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The Wolves among us

"Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]
von

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Ich weiß, ich brauche momentan ewig, um alle Kommentare zu beantworten ... Sorry an dieser Stelle. Ich habe momentan ziemlich viel um die Ohren, darum dauert es so lange^^ Ich freue mich natürlich über jeden einzelnen Kommi und werde auch sicher jeden beantworten, nur habt bitte Geduld mit mir^^ Komplett anzeigen
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Das Kapitel kommt später als geplant, weil ich leider bis heute kein ordentliches Internet und nebenbei noch viel zu erledigen hatte ... Aber ich habs tatsächlich heute noch geschafft, es hochzuladen. Ich wünsche also mal wieder viel Spaß! Komplett anzeigen
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Eine ganze Woche zu spät ... aber mich haben tatsächlich Arbeit und Studium so vereinnahmt, dass ich nicht mal zum Korrekturlesen gekommen bin. Dafür gibt es jz ein Kapitel mit Rekordlänge!
Und übrigens gibt es bei den Charabeschreibungen eine neue Collage mit den Erklärungen der Karten für das zweite Spiel.
Viel Spaß! Komplett anzeigen
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So, nach meinem Urlaub bin ich wieder im Land und hier kommt nun das nächste Kapitel :) Komplett anzeigen
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Ich bin schon wieder zu spät dran ... verdammter Sommerstress. Naja, hier also das nächste Kapitel. Komplett anzeigen
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Hier also das große Auflösungskapitel! Bisschen später, als ich es eigentlich hochladen wollte ... dafür ist es ein wenig länger als die vorhergehenden Kapitel ;) Wünsche viel Spaß! Komplett anzeigen
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Hiho, wünsche euch einen wunderschönen Sonntag!
Ehe ich es vergesse, wer Lust hat, eines der Lieder von Hidans Band zu hören, die im letzten Kapitel nur seinen eingefleischten Fans gefallen haben, ihr findet es hier: https://www.youtube.com/watch?v=mx47BPDsmXI
Es ist nicht ganz so, wie ich es mir vorstelle, aber besser habe ich es nicht hingebracht. Ich habe für die Vocals übrigens tatsächlich Hidans Stimme aus dem Anime verwendet ;)
Als kurze Erklärung dazu: Ich wollte mal eine Naruto-Highschool-FF mit Musik schreiben, und Hidan sollte dort als Nebencharakter mit seiner Jashinic Black Metal-Band vorkommen. Ich habe nie auch nur eine Zeile von der Story geschrieben, aber weil es ich mal ausprobieren wollte, hab ich mich mit der Musik beschäftigt und das da fabriziert. Weil die Band gut ins TWau-Setting passt, hatte sie nun also hier, Jahre später, ihr Debüt^^

So, und nun genug der Vorreden: Viel Spaß! Komplett anzeigen
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Ich glaube, es ist notwendig, dass ich ein bisschen was zu diesem Spiel sage, was das Mitraten betrifft.
Es dürfte dieses Mal wirklich quasi unmöglich sein, all die Karten richtig den Spielern zuzuordnen. Einerseits weil Sphinx diesmal wirklich sehr viel trickst, andererseits weil ich nicht bei allen Abstimmungsergebnissen einzeln auflisten will, wer wie abgestimmt hat. Ich empfehle euch daher eher, auf Spielebene mitzutüfteln anstatt auf der Meta-Ebene; sprich, die Morde in der Geschichte zu lösen und nicht die Karten. Es wird im Folgenden etliche Zwischenlösungen geben, auf die ihr kommen könnt, weil die einzelnen Morde relativ schnell gelüftet werden. Ihr werdet sehen, was ich meine - fokussiert eure kriminalistischen Energien also einfach auf die Morde in der Geschichte :)
Genug der Vorreden, los geht's! Komplett anzeigen
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Wir kommen zum zweiten Tag - und hier möchte ich gleich eine kleine Information zum Tag-Nacht-Zyklus geben. In diesem Spiel werden die Tage und Nächte der Meta-Ebene nicht gleichzeitig Tage und Nächte der Spiel-Ebene sein, ganz einfach weil ich die Gruppe nicht tagelang im Hotel einsperren kann, während die meiste Zeit über nichts passiert. Die Tage und Nächte der Meta-Ebene wechseln also einfach, während die Zeit im Hotel vergeht. Als kleine, zusätzliche Orientierungshilfe verrate ich euch dafür immer, wie spät es in der Spiel-Ebene gerade ist ;) Aber seht selbst - viel Spaß! Komplett anzeigen
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... oder "Victim and Sacrifice" auf Englisch, da käme die Bedeutung besser heraus ;) Komplett anzeigen
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... oder, frei ins Englische übersetzt: Wall of Text. Viel Spaß beim bisher längsten Kapitel! Komplett anzeigen
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Hier also das letzte Kapitel. Ein letztes Mal darf ich noch auf das Opening verweisen ;)
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Die erste Nacht


 

~ 1 ~

 

Wer die bunte Truppe in dem schicken silbernen Kleinbus auf der serpentinenreichen Landstraße dahinbrausen sah, musste unweigerlich denken, dass hier wohl vier junge Pärchen auf Urlaub fuhren. Das mit den Pärchen war nicht der Fall – zumindest nicht ganz –, aber es hatte ihnen einen netten Rabatt bei der letzten Hinterwäldlertankstelle eingebracht, deren weißbärtiger Besitzer ganz verzückt ob des vielfältigen jungen Glücks ins Schwärmen geraten war. Neji hatte ein wenig das schlechte Gewissen geplagt, wie er – hinterher – betont hatte, aber die anderen fanden es einen gelungenen Einstieg zu ihrem Urlaub auf Sparflamme.

Der Anlass war Naruto gewesen, der endlich die Führerscheinprüfung bestanden hatte. Es hatte wohl niemanden überrascht, dass er der Letzte gewesen war, der nun einen fahrbaren Untersatz lenken durfte. Sakura erinnerte sich, dass er selbst in der Schule oft mehrmals hatte Anlauf nehmen müssen, um einen Test zu bestehen. Man merkte ihm aber an, wie viel Fleiß er in die praktische Prüfung gebuttert hatte: Er kutschierte seine sieben Mitfahrer mit beachtlicher Behutsamkeit. Sakuras anfängliche Bedenken hatten sich schnell zerstreut.

Nicht so Nejis. Seiner Familie gehörte der Kleinbus, das einzige Gefährt, an das sie herangekommen waren, das wirklich acht Personen samt Gepäck transportieren konnte. Der junge Mann saß hinter Sakura in der letzten Reihe, als wollte er es möglichst spät spüren, wenn Naruto irgendwo hineinkrachte. Ständig rutschte er auf seinem Sitz herum, was Kiba neben ihm allmählich zur Weißglut brachte.

„Wenn du mal für kleine Nejis musst, sag’s einfach, ansonsten hör auf rumzuzappeln!“

„Am Ende machst du noch den Fahrer nervös“, erklärte Ino, die neben Sakura saß, mit einem zuckersüßen Grinsen.

Wie Neji reagierte, sah Sakura nicht, aber er schwieg. In einem Partybus mit acht Frischverliebten wäre es wohl ein bisschen lustiger, überlegte sie. Nejis Nervosität und Kibas Gereiztheit waren nicht das Einzige, das ein wenig an ihren Nerven rüttelte. Der Hauptgrund befand sich in der ersten Sitzreihe.

Sakura wusste nicht, wer auf die Idee gekommen war, ausgerechnet Sasuke auf den Beifahrersitz zu lassen. Seit sie aus der Stadt waren, drehte er die Straßenkarte in den Händen und ließ keine Gelegenheit aus, bei Naruto anzuecken.

„Wenn du da hinten links gefahren wärst, wären wir schneller gewesen.“

„Halt endlich den Rand“, knurrte der Blondschopf hinter dem Steuer. „Ich weiß, wo wir langmüssen.“

„Sah aber nicht so aus, als du vorhin auf diesem Bauernhof umdrehen musstest, mitten in einer ganzen Hühnerarmee.“

„Ach, lass mich doch in Ruhe! Als ich das letzte Mal hier war, war da noch kein Bauernhof.“

„Weil Bauernhöfe ja einfach so über Nacht aus dem Boden schießen“, spottete Sasuke.

„Ich schieß dich gleich aus dem Fenster, Klugscheißer!“

„Achte lieber auf die Straße. Du hast gerade die Ausfahrt verpasst.“

„Weil du mich abgelenkt hast, Idiot!“, fluchte Naruto „Sieh doch auf deine superschlaue Karte. Der Waldweg da vorn müsste auch zur Hütte führen.“

„Ja, aber so brauchen wir zwanzig Minuten länger. Ich sehe uns schon bei der nächsten Tankstelle um Rabatt betteln“, meinte Sasuke trocken.

„Hättest du mir dann nicht einfach vorher sagen können, dass ich abbiegen soll?“

„Ich dachte, du kennst dich hier aus?“

„Könnt ihr beiden bitte mal die Klappe halten?“, fragte Sakura genervt.

„Ihr zankt euch, als wärt ihr seit dreißig Jahren verheiratet“, merkte Ino belustigt an.

„Ehe ich den heirate, heirate ich Kiba“, schnaubte Naruto, der den Scherz wohl etwas zu ernst nahm.

„Wie war das?“, rief Kiba vom Rücksitz aus, und Sakura konnte nicht einschätzen, wie viel von seinem Tonfall Drohung und wie viel Scherz war. Neben ihm lachte Tenten herzlich.

Wer die bunte Truppe in dem Kleinbus so dahinbrausen sah und auch hörte, wie es im Inneren zuging, musste wohl denken, dass sie sich alle nicht riechen konnten. Auch das stimmte nicht, aber Sakura hoffte dennoch, dass sie bald ankämen.

Sie waren nicht die ganze Clique, aber abgesehen davon, dass in Nejis Van niemand mehr Platz gehabt hätte, waren alle außer den acht Urlaubern zur Zeit verhindert. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, und länger hatten sie nicht warten wollen. Aber so leistete fast jeder von ihnen einen gewissen Beitrag zu ihrem Urlaub: Neji gehörte mehr oder minder der Wagen, Naruto fuhr, Sasuke spielte das wenig geduldige Navigationssystem, Tenten hatte die Idee gehabt, Inos Familie gehörte das Wochenendhaus, in dem sie fünf Tage verbringen wollten. Kiba hatte gemeint, er wäre für die gute Laune zuständig – und für diversen wichtigen Proviant wie Alkohol und Knabbergebäck –, Hinata fuhr einfach zu einem Teil wegen Neji und zu einem größeren Teil wegen Naruto mit, und Sakura war zuständig für … Nun ja, bedachte man die Lautstärke im Wageninnenraum und die wenig feinen Worte, die dann und wann über sie hinwegflogen, dann musste es ja auch jemanden geben, der die anderen zur Ordnung rief.

Die Viehweiden und Felder, die lange Zeit die kurvenreiche Straße gesäumt hatten, wichen einem dichten Fichtenwald. Höher und höher schraubten sich die Serpentinen den Berg hinauf. Sakura versuchte, in dem Dickicht Eichhörnchen oder andere Tiere zu entdecken, aber das schnelle Spiel von Licht und Schatten ließ ihre Sinne schwirren. Vielleicht lag es auch am Schlafmangel; sie war erst mitten in der Nacht von der Südsee heimgekehrt, nur um sich gleich in den nächsten Urlaub zu stürzen.

Irgendwann löste Schotter den Asphalt ab, und es gab auch keine Möglichkeit mehr, wie Sasuke Narutos Routenwahl kritisieren konnte, denn es ging einfach nur mehr geradeaus.

„Sind wir bald da?“, scherzte Kiba von hinten.

„Mami, Papi, ich muss mal“, rief Ino, an Naruto und Sasuke gewandt.

„Haben wir überhaupt alle in der Hütte Platz?“, fragte Sakura, als von vorn nur eisernes Schweigen kam.

„Klar. Es gibt zwei Schlafzimmer und ein Gästebett. Der Rest kann auf der Couch vor dem Kamin schlafen“, sagte Ino.

„Fahrt ihr eigentlich auch im Winter hierher?“

„Wenn es das Wetter zulässt. Einmal hat es uns für eine ganze Woche eingeschneit. Was glaubst du, wie traumhaft das war, meterhoher Schnee, der Sturm rüttelt an den Fensterläden, und drinnen knistert das Feuer im Kamin.“

„Wie romantisch“, seufzte Hinata, die bisher am wenigsten von allen gesprochen hatte. Wie immer.

„Wenn wir weiterhin so schleichen, wird es sowieso Winter, ehe wir ankommen“, bemerkte Sasuke.

„Du kannst auch gerne aussteigen!“, giftete Naruto zurück.

„Jungs, bitte“, murmelte Sakura.

Die beiden hatte schon immer eine merkwürdige Freundschaft verbunden: Auf der einen Seite waren sie aneinandergeraten, wann immer sie Gelegenheit dazu gehabt hatten, auf der anderen waren sie stets durch Dick und Dünn gegangen. Dann war Sasuke schließlich fortgezogen, und drei Jahre lang hatte keiner etwas von ihm gehört. Naruto und Sakura hatten versucht, ihn zu erreichen, jedoch vergebens. Angeblich hatte es familiäre Gründe gehabt, und als Sasuke vor einem halben Jahr wieder in die Stadt gekommen war, hatte er gemeint, dass er damals nicht vorgehabt hätte, zurückzukehren, und ihnen allen eine dauerhafte Trennung ersparen wollte, indem er alles begrub, was sie verbunden hatte. Naruto hatte ihm das sehr übel genommen und ihr Verhältnis war seither noch unterkühlter als sonst, aber Sakura wusste, dass er tief im Innern froh war, seinen besten Kumpel von damals wiederzuhaben.

Endlich war die letzte Steigung geschafft – zwanzig Minuten nach Plan, genau wie Sasuke es vorausgesagt hatte. Einige hundert Meter fuhren sie eben entlang, dann öffnete sich der Wald wie ein Vorhang, der die herrliche Kulisse eines Theaterstücks verdeckt hatte.

In hellem Blau schillerte der kristallklare Bergsee neben zwei Steilhängen, die ihn fast einkesselten. Durch unberührte, sattgrüne Wiesen strich sanft der Wind. Hin und wieder ragten graue Felsen aus der Idylle hervor. Sakura war sich sicher, dass sie hier Enzian finden würden.

Der Schotterweg führte noch fünfzig Meter den Hügel hinab zu einem kunstvollen, zweistöckigen Blockhaus. Die Wiesen fielen dahinter noch weiter ab und gaben den Blick auf ein weitläufiges Tal frei. Dunst hing dort über diesem Flickenteppich aus Weiden und Wäldern in verschiedensten Grüntönen und winzigen, hellen Punkten, die Höfe und Dörfer darstellten. Die hohen Berge ringsum trugen prächtige Schneekronen, aber in dieser Senke würden sie viel eher die Sonne spüren, die noch kräftig vom Himmel heizte. Es war wunderbar hier. Als Naruto den Wagen den Weg hinunter und unter den Carport neben dem Haus rollen ließ, dachte Sakura, dass sich hier wohl wirklich fünf wunderschöne Tage verbringen ließen.

 

„Also, kennt jeder die Regeln? Darüber stimmen wir gleich mal ab. Ja? Dann geht’s los!“

 

Seufzend und ächzend streckten sie sich, als sie nach der langen Autofahrt endlich ins Freie konnten. Nejis Erleichterung war ihm anzusehen. Er hätte wohl nicht gedacht, dass Naruto sie sicher herbringen würde – doch auch ihr zuverlässiger Fahrer stieß einen tiefen Seufzer aus, als er den Schlüssel abzog und ihn Neji zuwarf. Während Sakura tief die frische Bergluft einatmete, machten sich die anderen daran, den Kofferraum auszuräumen. Er war gerammelt voll mit ihrem Reisegepäck, das so konfus übereinandergestapelt war, dass es fast als abstraktes Kunstwerk durchgehen konnte.

Ino schloss die breite Eingangstür des Blockhauses auf. Bis auf die Dachschindeln bestand es völlig aus Holz. Dicke Wände trennte sie von einem gemütlichen Inneren. Die Fenster waren verglast worden, die Läden mit kunstvollen Schnitzereien versehen, genau wie die Westseite des Hauses, die ein einziges, verschlungenes Muster war. Es gab noch einen Anbau aus gewöhnlichem Mauerwerk, der eine Art Schuppen darstellen mochte.

Jeder packte das nächstbeste Gepäckstück und wuchtete es über die drei kleinen Stufen hoch zur Tür. Dahinter lag ein schmaler, mit einem ausgeblichenen grünen Teppich ausgelegter Flur. Eine Treppe führte in den ersten Stock, etliche Türen zweigten in die Räume ab. Da sie sich noch für keine Zimmereinteilung entschieden hatten, luden sie das ganze Gepäck erst mal im Flur ab.

„So“, meinte Ino und strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ehe wir auspacken, wie wär’s mit einer kleinen Erfrischung?“

„Da sag ich nicht nein.“ Kiba massierte immer noch seinen verspannten Nacken. „Was hast du denn Schönes?“

„Ich hatte an das gedacht, was du mitnehmen wolltest.“

„Oh. Noch besser.“

Kiba durchstöberte den Gepäckhaufen nach seiner Kühltasche und zog eine Flasche Prosecco hervor. Ino führte sie in die Küche, wo ein wuchtiger Tisch aus – natürlich – Holz und geschnitzte Bänke sie erwarteten. Über dem plumpen Holzofen öffnete sie ein Kästchen und förderte acht Sektgläser zutage. Kiba feuerte den Korken aus der Flasche und schenkte ein.

„Auf die jüngste Gefährdung des Straßenverkehrs“, hob Ino gut gelaunt ihr Glas.

„Auf unseren Urlaub“, erwiderte Tenten. Die anderen stimmten wahlweise in diesen oder jenen Spruch mit ein.

Der Prosecco wäre nicht Sakuras Wahl gewesen, aber er schmeckte dennoch nicht übel.

„Sagt mal, habt ihr hier keinen Kühlschrank?“, fragte Kiba, als die Flasche leer war. Er schien sich um das Wohl seiner Getränke zu sorgen.

„Wir könnten einen anschaffen, aber ohne Strom bringt uns das nicht viel“, erklärte Ino verschmitzt.

„Ihr habt hier keinen Strom?“

„Es soll ein Urlaubshäuschen fern jeder städtischen Hektik sein“, sagte sie theatralisch. „Es gibt Solarzellen auf dem Dach, aber die versorgen nur das Notfalltelefon. Sonst ist alles Natur pur. Mit Strom kommen nur Fernsehen und Internet und die ganze entspannte Atmosphäre ist dahin.“

„Scheiß auf die Atmosphäre, wo sollen wir die Getränke kühlen? Oder wollt ihr das Bier warm trinken?“

„Im Bergsee. Haben wir bisher immer so gemacht. Es gibt da eine nette Stelle, wo wir die Sachen versenken können.“

„Wie modern. Gut, aber gebt mir nicht die Schuld, wenn uns die Wölfe alles wegsaufen“, scherzte Kiba.

„Gibt es hier Wölfe?“, fragte Hinata unbehaglich.

„Klar – große, fiese Ungeheuer. Vielleicht sollten wir darauf hoffen, dass sie das Bier nehmen. Schmeckt ihnen vielleicht besser als Menschenblut.“

„Hör schon auf, Kiba.“ Sakura verpasste ihm einen Schlag gegen die Schulter, als sie sah, wie Hinata zurückwich und nach Narutos Ärmel griff.

„Keine Bange, Hinata“, sagte Ino. „Es gibt hier keine Wölfe. Und selbst wenn – kommt mal mit, ich wollte es euch sowieso zeigen.“

Sie lotste ihre Gäste in das Wohnzimmer, das den größten Teil des Erdgeschosses einnahm. Der versprochene Kamin lag tot und kalt vor ihnen, davor stand eine gewaltige, uralte Couch. Es gab zusätzlich eine einfache, aber gemütliche Sitzecke, noch einen Tisch und etliche Schränke. Einen davon schloss Ino mit einem winzigen Schlüsselchen auf. Die anderen stießen erstaunte Geräusche aus.

„Hübsches Ding, oder?“ Ino nahm das Gewehr aus dem Schrank und präsentierte es ihnen. „Eine Winchester. Die genaue Bezeichnung hab ich vergessen. Papa jagt manchmal damit, wenn wir hier sind.“

„Ist es … geladen?“, piepste Hinata.

 

„Eine Frage, spielen wir jetzt mit einem Bürgermeister oder ohne?“

„Sucht es euch aus.“

„Ohne. Mir ist nicht ganz klar, wozu der gut sein soll.“

„Ich sage auch, lassen wir ihn weg. Es ist das erste Spiel, am Ende wird es unfair.“

„Wie ihr wollt.“
 

Ino öffnete das Magazin, um zu zeigen, dass es leer war. „Ich habe auch keine Patronen dafür. Wir müssen hoffen, dass das Gewehr allein die Wölfe abschreckt“, meinte sie augenzwinkernd.

Naruto gähnte. „Schön, können wir dann in die Zimmer gehen? Ich bin hundemüde.“

Die anderen stimmten ihm zu.

Sakura würde bei Ino im Zimmer schlafen, das war beschlossene Sache. Da Ino die Gastgeberin war, hatte sie somit auch einen Fixplatz in einem der Betten. Die anderen ließen das Los entscheiden, wer auf der Couch oder auf dem Boden schlafen musste. Letztlich war es Sasuke, der sich wenig begeistert mit seinem Schlafsack begnügen musste. Naruto und Neji würden sich die ausziehbare Couch teilen, Kiba durfte im Gästezimmer schlafen und Hinata und Tenten bekamen das Doppelbett im ersten Stock.

Nachdem das geklärt war, begannen sie, im Flur ihr Gepäck auseinander zu sortieren. „Das gehört mir, und das, und das … Warte, Tenten, das ist meine Tasche.“

„Himmel, du hast ja den halben Haushalt mit“, kommentierte Sakura überrascht, als sie sah, wie Ino Koffer um Koffer um Tasche beschlagnahmte.

Auch Kiba fiel das auf. „Ich dachte, wir bleiben nur vier Nächte hier?“, feixte er.

„Im Gegensatz zu dir will ich irgendwann zwischendurch auch mal frische Klamotten anziehen“, gab sie zurück.

„Soll ich dir beim Rauftragen helfen, Hinata?“, bot Neji an.

„Ich helf auch!“ Naruto war sofort ebenfalls zur Stelle. Hinata lächelte sie scheu an und nickte, und die beiden Männer schleppten ihre Koffer in eifriger Eintracht die Treppe hoch.

„Die hast du ja ganz schön unter der Knute, meine Liebe“, bemerkte Tenten grinsend. „Verrat mir doch, wie du das machst.“

„Was? Oh, ich, also, ich mach ja eigentlich gar nichts …“, stotterte Hinata.

„Wem gehört das hier?“, fragte Sakura, als jeder mit seinen Gepäckstücken beladen zu sein schien, aber immer noch eine kleine Schachtel auf dem Flur lag. Keiner meldete sich. „Neji? Naruto? Gehört das euch?“

Zwei verschwitzte Köpfe tauchten am oberen Ende der Treppe auf. „Die Schuhschachtel da? Meins ist es nicht“, rief Naruto herunter. Neji schüttelte den Kopf.

„Wenn es eine Schuhschachtel ist, gehört sie sicher den Mädels“, versuchte Kiba einen Scherz zu machen.

Ino hob die Schachtel kurzerhand auf und öffnete sie. Darin befand sich nur ein bedrucktes Blatt Papier. Stirnrunzelnd überflog sie es, dann verzog sie den Mund. „Frechheit.“ Energisch zerknüllte sie den Zettel und warf ihn über die Schulter, wo ihn Sakura auffing und neugierig wieder entfaltete.

Wir werden euch töten. Alle. Fragt nicht, warum. Fragt nicht, wer wir sind. Gebt einfach Ruhe und sterbt friedlich“, las sie vor.

Für einen Moment war es totenstill im Flur. Dann erwachten die ersten Reaktionen.

„Was zum Teufel soll das sein?“, knurrte Kiba. „Das ist nicht witzig, Ino.“

„Glaubst du, ich finde das witzig?“, fuhr sie ihn an. „Ich sehe den Zettel auch zum ersten Mal!“

„Das ist doch dein Haus, oder? Von wem sollte er sonst sein?“

„Der Flur war leer, als wir das Gepäck hier abgeladen haben“, überlegte Neji.

„Das … Ich …“ Hinata tippte nervös ihre Fingerspitzen aneinander und wollte offenbar etwas sagen, aber die anderen übergingen sie sofort.

„Willst du damit sagen, dass die Schachtel bei unserem Gepäck dabei war?“, fragte Sasuke. „Ich dachte, sie gehört niemandem?“

„Irgendwer will uns hier verarschen“, murmelte Naruto.

„Hö-Hört mal, ich …“

„Nun macht euch nicht ins Hemd wegen so einer Nachricht. Ist bestimmt bloß ‘n Scherz“, sagte Tenten.

„Ich mach mir nicht ins Hemd!“, empörte sich Kiba sofort. „Ich würde nur gern wissen, wer dahintersteckt.“

„Leute, ich …“

„Psst“, machte Sakura. „Hinata will was sagen.“

Das schüchterne Mädchen lief hochrot an, als es die Blicke aller auf sich spürte. „Ich habe … Ich habe das Päckchen hereingebracht.“ Sakura runzelte die Stirn. Hinata war zu so etwas fähig? Auch die anderen waren zu verblüfft, um zu antworten. „A-aber der Zettel ist nicht von mir!“, fuhr sie fort. „Die Schachtel war im Kofferraum, also dachte ich …“

Sakura nickte. Also hatte sie das ominöse Päckchen einfach ins Haus getragen, so wie sie sich alle wahllos Gepäckstücke gegriffen hatten. „Das heißt, es war im Wagen. Seid ihr sicher, dass nicht einer von euch das geschrieben hat, um die anderen zu erschrecken?“, fragte sie eine Spur zu tadelnd und löste damit Empörungsstürme bei Naruto, Ino, Tenten und Kiba und schweigende Verneinung bei Neji, Hinata und Sasuke aus.

„Was soll’s, ist doch nur ein olles Stück Papier“, meinte Naruto schließlich. „Werfen wir es weg, und gut.“

„Aber merkwürdig ist es schon.“ Neji kratzte sich am Kinn. „Es muss doch jemand in unseren Kofferraum getan haben. Aber warum?“

„Ich würde sagen, es liegt auf der Hand“, meinte Kiba großspurig. „Neji gehört der Wagen. Gib’s zu, du hast es schon vorher hineingelegt.“

„Was – nein! Warum sollte ich das tun?“

„Vielleicht wolltest du mal witzig sein? Gratulation, ist dir nicht gelungen.“

„Wir hätten alle das Päckchen reinschmuggeln können“, verteidigte Tenten ihn. „Wir haben schließlich alle nacheinander den Kofferraum befüllt. Keiner hat darauf geachtet, was die anderen hinein schlichten.“

„Die Tankstelle!“, fiel Naruto ein. „Vielleicht hat irgendein Spaßvogel die Schachtel in den Kofferraum gelegt, als wir gerade nicht aufgepasst haben.“

„Meinst du nicht, das hätten wir bemerkt?“, meinte Ino zweifelnd.

„Ich glaube auch. Es war außerdem immer jemand beim Wagen.“ Als Naruto mit Tanken beschäftigt gewesen war, hatten sich die anderen die Beine vertreten, waren schnell auf die Toilette verschwunden oder hatten im Shop etwas gekauft. Irgendjemand hatte aber immer den Kleinbus im Blick gehabt. In dem Fall war es wirklich jemand von uns … Sakura zermarterte sich das Hirn, aber sie konnte sich nicht erinnern, wer allein beim Wagen gewesen war.

Allein … Plötzlich schoss es ihr durch den Kopf. Von wegen allein! Die Schreiber der Nachricht sprachen von sich im Plural. Gab es also mehrere Verantwortliche?

„Ich finde trotzdem, derjenige, der das Päckchen als Erstes gesehen hat, ist am ehesten verdächtig“, befand Sasuke mit verschränkten Armen.

„Ich hab es einfach nur so am Boden liegen sehen, verdammt nochmal!“, zischte Ino.

„Wartet mal, wir sind hier ja nicht vor Gericht“, beschwichtigte Naruto seine Freunde. „Ist es denn nicht egal, von wem die Nachricht ist? Derjenige hat sich einfach einen Scherz erlaubt und schämt sich jetzt, es zuzugeben. Rätsel gelöst.“

„Und warum wiegelst du die Sache so schnell ab?“, fragte Kiba mit schmalen Augen.

„Warum reitest du denn so drauf rum?“, erwiderte Naruto.

„Weil ich keine Lust habe, mir von irgendjemandem drohen zu lassen, dass er mich ermorden will, verdammt!“

In der Hinsicht hatte er recht, fand Sakura. Was da in zwei nüchternen, computergeschriebenen Zeilen stand, war ein wenig verstörend. Selbst als Scherz ging das zu weit.

Ino atmete tief durch und klatschte in die Hände, als wäre sie die Lehrerin, die ihre Klasse Halbwüchsiger zur Ordnung rief. „Okay, einigen wir uns darauf, dass wir das alle nicht lustig finden. Wir lassen den Zettel hier liegen.“ Sie drapierte ihn auf einem kleinen Beistelltisch vor der Treppe, auf dem eine leere Blumenvase stand. „Wer immer es war, er hat bis morgen Zeit, eine Entschuldigung draufzukritzeln. Nein, sagen wir, er malt einfach ein Kreuz auf den Zettel.“ Sie hob für alle sichtbar einen Kugelschreiber und legte ihn auf den Zettel. „Das ist gleichbedeutend mit einer Entschuldigung. Niemand wird bloßgestellt, und alles ist geritzt. Einwände?“

Wenig begeistert wurde die Idee angenommen. Sakura wurde dennoch ein gewisses Gefühl des Unwohlseins nicht los.

 

Da vor allem Naruto und Sakura wiederholt gähnten, kochte Ino Wasser auf dem Ofen und machte ihnen Löskaffee. Die anderen sahen sich im Haus und im Tal um und kühlten die Getränke ein. Als Sakura ihnen nach draußen folgte, war es Nachmittag. Die Luft war frisch, es wehte eine angenehme Brise, aber wo die Sonne ungehindert den Hang beschien, wurde einem rasch warm.

Die Tür zum Schuppen stand offen, und Sasuke, Kiba und Neji schleppten soeben einfache Liegestühle ins Freie. Vor dem Bergsee breitete Tenten eine Picknickdecke aus, auf der Snacks, Bier, Eistee und Orangensaft zur freien Entnahme bereitstanden. Offenbar hatten die anderen beschlossen, eine Weile die Sonne zu genießen. Sakura nahm eine der Liegen in Beschlag und zog sich ihr verschwitztes Top über den Kopf. Sie trug bereits ihren Bikini; Ino hatte ihr schon vor der Abreise mitgeteilt, dass es heiß werden würde. Besser, sie holte noch ihren Sonnenhut aus ihrem Zimmer.

Eilig lief sie zurück ins Ferienhaus. Ino hörte sie in der Küche kramen, und als sie in das Schlafzimmer gehen wollte, vernahm sie noch etwas: Aus dem oberen Stockwerk, wo die Tür offen stand, drang gedämpftes Kichern. War das Hinata? Sakura hatte sie draußen nicht gesehen. Die Stimme, die danach erklang, war eindeutig Narutos. Was er wohl da oben zu suchen hatte? Vermutlich half er ihr einfach beim Auspacken, aber allein Hinatas regelmäßiges Kichern machte klar, dass die beiden einen Moment allein genossen. Ein Grinsen schlich sich auf Sakuras Lippen, als sie in ihr Zimmer huschte und sich schnell ihren Strandhut schnappte.

Genießerisch streckte sie sich auf der Liege aus, eine breite Sonnenbrille vor dem Gesicht und den Hut auf dem Kopf. Auch Ino und Naruto kamen in ihren Badeklamotten, etwas später Hinata in einem zünftigen Badeanzug, und da es ihm zu heiß wurde, ging Neji sich ebenfalls umziehen. Als die Sonne ungehindert seine recht blasse Haut attackierte, riet Tenten lachend, er solle sich besser mit Sonnencreme einschmieren. „Wenn du willst, übernehm ich das für dich“, meinte sie neckisch.

Schließlich erklärte Ino den Männern, wo der Sonnenschirm zu finden war, und mit vereinten Kräften keilten Naruto und Sasuke ihn so zwischen zwei Felsen ein, dass der Wind ihn nicht umwarf. Heiter unterhielt sich die Gruppe oder spielte Kartenspiele, und nichts war geblieben von dem Argwohn, den der mysteriöse Brief ausgelöst hatte.

Sakura döste vor sich hin und betrachtete ab und zu den prächtigen Ausblick ins Tal, dann wieder hörte sie den anderen zu. „Traut sich jemand, in den See zu springen?“, fragte Ino herausfordernd. „Ein See zum Abkühlen gehört zum Sonnenbaden doch dazu.“

„Klar!“, machten Naruto und Kiba unisono.

Sie gingen an den Rand des Sees, der gleich vor ihren Füßen einen halben Meter tief war. An der tiefsten Stelle maß er drei Meter kristallklaren Wassers. Sakura hatte noch nie einen so sauberen See gesehen.

Naruto machte als Erstes einen gewagten Satz hinein – und erstarrte zu einem stocksteifen Brett, die Muskeln zu sehr angespannt, als dass er auch nur einen Schrei hätte ausstoßen können. Die Partie auf den Liegen lachte herzlich.

„Sei nicht so eine Memme“, sagte Kiba und folgte ihm. Er brachte wenigstens einen zittrigen Schrei zustande. „Sch-Scheiße, ist das kalt!“

„Hey! Mach hier keine Wellen!“, schrie Naruto mit viel zu hoher Stimme, dem die kalten Wasserverwirbelungen gegen den Bauch schwappten.

Ino lachte. „Da drin sammelt sich Schmelzwasser von den Bergen. Im besten Fall ist er fünfzehn Grad warm.“

„Okay. Wer zuerst ganz drin ist, hat gewonnen“, knurrte Kiba mit zusammengebissenen Zähnen, machte aber keine Anstalten, sich vom Fleck zu bewegen.

„Wer ist jetzt die Memme?“ Tenten, die einen Khaki-gemusterten Bikini trug, sprang auf, rannte am Rand des Sees entlang und köpfelte an einer besonders tiefen Stelle ins Wasser. Allen Versammelten blieb der Mund offen stehen. „Sagt mal, macht sie neuerdings Tauchkurse in Sibirien?“, stieß Kiba hervor.

Man sah Tenten ein Stück weit tauchen, ehe sie nach wenigen Sekunden wieder die Wasseroberfläche durchbrach. „Wie sieht’s aus? Wollt ihr eine kalte Dusche?“ Sie machte Anstalten, Naruto und Kiba nasszuspritzen, die sich mit schrillen Schreien duckten, immer noch nicht bereit, auch nur einen Zentimeter eroberten Boden aufzugeben.

Schließlich stand auch Sasuke auf, klappte seine Sonnenbrille zusammen und watete seelenruhig in den See. Ohne einen Ton von sich zu geben, trotzte er dem eisigen Wasser, bis es ihm zum Hals reichte. Vor allem Naruto sah aus, als würde er ihm am liebsten den Hals umdrehen.

„Wenn ihr Angeber fertig seid, kommt wieder raus“, rief Ino ihnen zu. „Ich will nicht, dass sich jemand erkältet.“

Während die vier sich abtrockneten, tauchte Sakura ihren Fuß ins Wasser. Es war wirklich so kalt, dass es schmerzte. Hinterher kribbelte ihre Haut. Fröstelnd dachte sie daran, dass sie das Sonnenbaden getrost auch ohne Abkühlung durchstehen würde.

 

Als die Sonne über dem Tal unterging, war es ein herrlicher Anblick. Die Berge glühten golden, der Himmel war rötlich-orange und die wenigen Wolken waren wie Feuerkränze. Sakura wurde ein wenig neidisch, als sie daran dachte, dass Inos Familie dieses farbenfrohe Panorama regelmäßig genießen durften.

Am Abend wurde es allerdings auch relativ schnell kalt, und die Freunde beeilten sich, ihre Sachen zusammenzusammeln. Das meiste kam wieder in den Schuppen, den Sakura nun erstmals auch von innen sah: Außer den Liegestühlen befanden sich allerlei Gerätschaften und Werkzeug darin, Benzinkanister, Autoreifen, Bretter und Metallstangen, sogar eine Werkbank.

Zurück im Ferienhaus verkündete Ino, sich um das Essen kümmern zu wollen. Die anderen legten die Reihenfolge fürs Duschen fest. Es gab kein fließendes Wasser in dem Häuschen, daher war die Dusche eine gewagte Bastelarbeit: Aus einem großen Kanister lief Wasser durch eine Art Sieb, das eine Brause simulieren sollte, und unter dem Gitter, das den Boden des Badezimmers darstellte, wurde es nach draußen geleitet. Entsprechend kalt war es auch, darum war Sakura frisch und munter, als sie als Letzte damit fertig war und sich die Haare trockenrubbelte.

Zum Abendessen gab es ein einfaches Reisgericht. Die Stimmung am Tisch war hervorragend: Selbst die notorischsten Streithähne unter ihnen hatten Besseres zu tun, als sich gegenseitig anzugiften. In bequemer Kleidung saßen sie da, wärmten alte Zeiten auf, erzählten von ihren jüngsten Erlebnissen und hatten großen Spaß dabei. Sakura schielte oft zu Sasuke hinüber. Er lachte nicht so ausgelassen wie die anderen, aber auch er wirkte zufrieden.

Schließlich wurden zur Feier des Tages zwei weitere Sektflaschen geköpft, danach wurde Tentens Pokerkoffer geöffnet. Naruto hatte besonders Glück und erbeutete gleich bei der ersten Partie einen ganzen Haufen Chips. Zufrieden zog er sie an sein Ende des Tisches. „So muss sich ein Pirat fühlen, wenn er auf einer einsamen Insel einen Schatz findet.“

„Pirat trifft’s ganz gut“, brummte Ino sarkastisch.

Naruto grinste. „Wäre doch cool gewesen, oder? In der Piratenzeit zu leben. Über die sieben Weltmeere zu segeln, ohne Sorgen, auf Schatzsuche zu gehen …“

„Ja, ja. Mach schon, du bist der Dealer.“

Kiba übernahm die Rolle des Barmanns und mixte den anderen Drinks aus seinem mitgebrachten Alkoholvorrat, was die Stimmung nach und nach weiter anhob. Die meisten hielten sich, was das Trinken anging, eher zurück, aber Kiba, Naruto und Tenten fiel es bald schwer, sich zu artikulieren. Als Naruto Sasuke zu einem Wetttrinken herausforderte, wollte dieser ebenfalls nicht kneifen, und während Sakura nur den Kopf schütteln konnte, leerten sie Glas um Glas. Trotzdem, die Atmosphäre war heiter und angenehm. Acht Freunde, die zum ersten Mal seit langem wieder etwas gemeinsam unternahmen. Und jeder von ihnen schien auf seine Weise Spaß zu haben.

Da sie von allen am müdesten war, war Sakura die Erste, die den anderen eine gute Nacht wünschte und sich ins Schlafzimmer verzog. Die anderen waren trotz ihres angeheiterten Zustands rücksichtsvoll genug, die Musik, die aus Narutos Handy trällerte, leiser zu drehen. Das Schlafzimmer lag jedoch gleich hinter der Küche, und Sakura hörte sie noch lange lachen und feiern, ehe sie in den Schlaf dämmerte.

 
 

- In den Bergen, erste Nacht -
 

„Die erste Nacht bricht an. Das ganze Dorf schläft ein. Und die Werwölfe erwachen. Sie wetzen die Klauen, lassen ihre Zähne im fahlen Mondlicht blitzen. Wer wird ihr Opfer sein? Sie wählen es aus, sie zeigen es mir. Dieses hier?

Sie haben ihr Opfer gewählt. Die Werwölfe laufen auf leisen Sohlen näher, blutrünstig hechelnd, und stürzen sich auf den armen Dorfbewohner, der nicht weiß, wie ihm geschieht, zerfleischen und reißen … Und die Werwölfe schlafen wieder ein.

Ich werde nun die Charaktere mit den besonderen Fähigkeiten aufrufen, also gebt acht, dass ihr nicht verschlaft.“

 
 

- In den Bergen, erster Tag -

 

„Der erste Tag bricht an, das Dorf erwacht langsam aus seinem Schlummer …“
 

Sakura streckte sich gähnend. Die Sonnenstrahlen, die sie durch das Fenster kitzelten, hatten sie geweckt, also musste sie lange geschlafen haben; laut Ino dauerte es bis zum späten Vormittag, ehe die Sonne im Osten über die Bergspitzen blinzelte.

Die andere Hälfte des Doppelbetts war zerwühlt, aber leer. Ino musste bereits aufgestanden sein. Sakura schwang die Beine aus dem Bett und atmete tief den Holzduft ein, der im Raum hing. Wie es wohl den anderen ging? Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie gestern noch gefeiert hatten. Jetzt, da sie endlich ausgeschlafen war, nahm sie sich vor, heute Abend auch dabei zu sein – wenn die anderen willens waren, ihre kleine Küchenparty zu wiederholen.

Auf dem Weg ins Badezimmer kam ihr etwas seltsam vor, aber sie kam nicht drauf, was. In der kleinen Kammer stand ein Eimer mit Wasser bereit, mit dem sie sich gründlich das Gesicht wusch, dann schöpfte sie etwas davon in ihren Becher und machte sich ans Zähneputzen, um einen frischen Atem zu bekommen.

„Morgen“, nuschelte Hinata, die im Pyjama ins Bad kam.

„Morgen“, antwortete Sakura gut gelaunt. „Bin gleich fertig.“

„Lass dir Zeit.“

„Weißt du, wie lange die Jungs gestern noch durchgehalten haben?“, fragte Sakura und wusch die Zahnbürste aus.

„Keine Ahnung. Tenten ist überhaupt nicht zu mir hochgekommen. Ich war die ganze Nacht allein.“

„Wirklich?“ Sakura runzelte die Stirn.

Als sie sich auf den Weg in die Küche machte, wurde ihr klar, was sie am Flur störte: Er war zu leer. Der lange, grüne Teppich, der ihn fast zur Gänze ausgefüllt hatte, war verschwunden. Hatten die anderen beschlossen, einen spätnächtlichen Alko-Streich zu spielen?

Ino war in der Küche mit Frühstück beschäftigt – offenbar hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Gäste regelmäßig zu bekochen. Sogar eine altmodische Schürze hatte sie sich umgebunden, das blonde Haar vorerst einfach hochgesteckt. „Guten Morgen!“, begrüßte sie Sakura und verrührte gerade Reis mit irgendetwas Zähflüssigem in einer Pfanne.

„Morgen“, murmelte Sakura.

Tenten saß schon am Esstisch. Sie sah gar nicht gut aus: Die Augen dunkel gerändert, die Haut käseweiß, eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffee in den Händen. Sie nickte Sakura nur kurz zu.

„Dein Teppich ist weg“, sagte Sakura.

„Ich weiß.“ Ino rührte energischer um. „Wenn ich den erwische, der mir da draufgekotzt hat, der kann was erleben!“

„Draufgekotzt?“

„Warum sollten sie sonst den Teppich verstecken? Oder sind die Jungs neuerdings unter die Zauberkünstler gegangen? Die Vase haben sie mir auch zerdeppert.“

Es wäre tatsächlich eine logische Erklärung, dass jemand etwas unerfreuliche Nachwirkungen der Party gestern damit kaschieren wollte, indem er das davon betroffene Objekt einfach entfernte. Für Ino schien es sonnenklar zu sein, dass es einer der Jungs gewesen war. Sakura ließ das Thema einfach auf sich beruhen. „Kann ich dir irgendwie zur Hand gehen?“, fragte sie.

„Du kannst die Milch holen gehen. Es werden wohl so einige einen starken Schuss Kaffee brauchen“, meinte Ino mit einem abfälligen Blick in Richtung Tenten, den diese mit einem gequälten Lächeln quittierte. „Und nimm ruhig auch noch Orangensaft mit. Und Eier, die sind in der weißen Box. Dann mach ich noch Pfannkuchen.“

„Wird gemacht.“ Also durfte sie einen Morgenspaziergang zum Bergsee machen, wo verderbliche Speisen und Getränke eingekühlt waren. Keine schlechte Art, den Tag zu beginnen.

Als sie die Eingangstür ansteuerte, fielen ihr auch die Scherben auf, die nahe der Wand am nunmehr nackten Fußboden verteilt waren. Die Vase, die auf dem Tischchen vor der Treppe gethront hatte, war nirgends zu sehen. Da war gestern wohl jemand ziemlich betrunken. Sie tippte unbewusst auf Kiba, der das Gästezimmer gleich daneben bezogen hatte, wollte aber eigentlich keinen anschuldigen. Da fiel ihr Blick auf den Zettel mit der Drohung, den sie gestern gefunden hatten und der immer noch auf dem Tischchen lag.

Ino hatte für alle hörbar gesagt, der Verfasser der Nachricht solle ein Kreuz auf das Papier malen, um sich bei den anderen zu entschuldigen. Und es war tatsächlich etwas unter den Text gezeichnet worden.

Aber es war kein Kreuz. Es war ein freches Smiley, das die Zunge herausstreckte.

Sakura wusste nicht, warum, aber dieser neuerliche Scherz ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Mit schnellen Schritten war sie bei der Haustür und dann im Freien.

Die Luft war hier immer wieder traumhaft. Frisch und die Lebensgeister weckend, und die Sonne verhinderte trotzdem, dass einem kalt wurde. Das unbehagliche Gefühl fiel so schnell von ihr ab, dass sie gar nicht mehr sagen konnte, warum sie sich eigentlich Sorgen gemacht hatte. Beschwingt lief sie über die noch taufeuchten Wiesen zum Bergsee hinunter, zu der Stelle, wo einige Felsen im Wasser den behelfsmäßigen Kühlschrank formten.

Ino war wohl noch nicht draußen gewesen, sonst hätte sie gesehen, wo sich ihr Teppich befand: Er trieb sanft, eingerollt, im kristallklaren Wasser. Offenbar war er zu dünn und leicht, um zu sinken. Sakura schnaubte belustigt, während sie sich nach der Milch bückte. Ein wirklich gutes Versteck, Jungs.

Der See lag völlig ruhig da, und Sakura konnte keine sichtbare Strömung erkennen. Der frische Wind ließ den Teppich dennoch nahe am Ufer dahingleiten. Sakura überlegte, ihn herauszufischen, aber falls Ino recht hatte, war er vermutlich in keinem besonders appetitlichen Zustand. Da stutzte sie. Ragte da nicht etwas unter dem Rand der Rolle hervor? Neugierig trat sie näher und tippte den Teppich mit dem Fuß an, damit die Rolle sich herumdrehte und sie besser sehen konnte.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und sie schlug die Hand vor den Mund. Die Milchflasche, die sie noch in der Hand hielt, entglitt ihr und zerbrach; Milch und Scherben prasselten gegen ihre Beine, doch sie spürte es kaum.

Eingewickelt in mehrere Schichten Teppich, blickte ihr eine Gestalt aus weit aufgerissenen, leblosen Augen entgegen. Der Mund war leicht geöffnet, die Lippen blau, die Haut so weiß wie die Milch, die sie verschüttet hatte.

Dann erst erkannte sie das Gesicht. Sakura stieß einen schrillen Schrei aus.

 

„Und es gibt ein Opfer. Es ist … Neji.“

Eine schreckliche Entdeckung


 

~ 2 ~

 

„Dann lasst die Abstimmung beginnen.“

„Decken wir seine Karte nicht auf?“

„So ist es spannender – für mich, wie für euch.“
 

Eine kleine, zähe Ewigkeit starrte Sakura in Nejis verzerrtes Gesicht, die ebenso gut nur wenige Sekunden hätte dauern können. Niemand kam, also schrie sie ein zweites Mal.

„Sakura?“

Sasuke kam hinter dem Ferienhaus hervor, wo das Klohäuschen versteckt lag.

„Sasuke … komm schnell! Bitte!“, brachte Sakura erstickt hervor. Im Nu war er bei ihr und sog scharf die Luft ein.

„Was zum …“

Seine Stimme brach ab. Sakura hatte die Hand vor den Mund gepresst. Die Teppichrolle drohte fortzutreiben.

„Hilf mir, ihn rauszuholen“, sagte Sasuke tonlos.

Obwohl sie nichts weniger gern getan hätte, bückte sie sich neben Sasuke. Gemeinsam packten sie den Teppich und zerrten ihn aus dem See. Als Sasuke ihn behutsam ausrollte, purzelte Neji aus seinem Gefängnis heraus. Sakura entkam ein entsetzter Schluchzer. Er trug immer noch den Trainingsanzug von gestern Abend. In seiner Kehle klaffte ein tiefes Loch.

„Was ist denn los da draußen?“, rief Ino von der Tür aus.

Sasuke fuhr zu ihr herum. „Weck sofort die anderen! Sie sollen alle auf der Stelle herkommen!“ Sakura hätte ihren Freunden den Anblick am liebsten erspart, aber Sasuke schien das anders zu sehen.

Mit leerem Gesicht hockte sie neben Neji und versuchte zu verarbeiten, was sich da vor ihren Augen abspielte. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr fühlte sie, wie ihr der Boden unter den Füßen fortgezogen wurde und sich ein bleiernes Gewicht auf ihr Herz legte. Es sollte doch einfach ein netter Urlaub werden! Sie hatten doch gestern so viel Spaß gehabt!

Sasuke hatte sich über den Toten gebeugt, um ihn zu untersuchen, und schüttelte stumm den Kopf.

Ino schien bemerkt zu haben, dass etwas Schreckliches passiert war, denn kurz darauf hatte sie die gesamte Truppe zusammengetrommelt. Sakura hörte rasche Schritte näherkommen – dann einen Schrei, der von Naruto stammte.

„Neji! Neji!“ Er stürzte an Sakura vorbei, kniete sich neben seinen Freund und rüttelte ihn an der Schulter, brüllte ihm wieder und wieder seinen Namen ins Ohr. Sakura begann zu zittern.  Sasuke sah aus, als wollte er Naruto zurückhalten, doch dann schwieg er.

Hinata brach mit einem hohen, langgezogenen Schrei in die Knie, als sie ihren Cousin sah. Sakura hatte selten etwas so Herzzerreißendes gehört, und dabei steckte ihr selbst ein Kloß im Hals. Sie betrachtete die anderen. Ino und Tenten waren kreideweiß im Gesicht und starrten den Toten mit offenem Mund an. Kibas Lippen bebten, als wolle er sein Entsetzen in Worte fassen und fand nicht die richtigen dafür.

„Wer war das?“, schrie Naruto mit rauer Stimme. „Wer zum Teufel hat das getan?!“

Sakura schüttelte nur den Kopf, immer noch voller Unglauben. Das konnte doch nicht die Wirklichkeit sein, oder? Sie musste unbedingt aus diesem Traum aufwachen … Sie hatten doch gestern alle noch gefeiert!

Wer hat das getan?“, wiederholte Naruto, als niemand antwortete. Als Sakura aufblickte, sah sie, dass er sie so zornig und anklagend anstarrte, dass sie einfach antworten musste.

„Wir … Wir haben ihn nur gefunden“, erklärte sie. „Er trieb im Wasser, in den Teppich eingerollt …“

Hinatas Schluchzen wurde lauter. Das Mädchen hatte fest die Hand vor den Mund gepresst, doch man hörte sie laut und deutlich. Sie zitterte und bebte. Tränen liefen haltlos über ihre Wangen.

„Seht mal“, murmelte Tenten tonlos und deutete auf etwas, das neben Neji auf dem Teppich lag. Sakura hatte es im ersten Moment gar nicht gesehen: Ein Schweizer Taschenmesser mit rotem Griff. Die Klinge war ausgeklappt; das kalte Wasser hatte sie gesäubert, aber es schien klar, dass sie für die tödliche Wunde in Nejis Kehle verantwortlich war.

Naruto wollte das Messer aufheben, aber Sasuke hielt ihn zurück. „Warte. Fass es nicht an. Wir sollten alles so liegen lassen.“

Naruto starrte ihn mit zornblitzenden, verquollenen Augen an, zog aber die Hand zurück.

„Verdammt, wenn ich dieses Schwein erwische“, knurrte Kiba und ballte zittrig die Fäuste.

Sakura hörte gar nicht zu, was sie noch sagten. Sie konnte nur Nejis Gesicht anstarren. Es kam ihr so unwirklich, so unwahrscheinlich vor, dass jemand aus ihrer Clique tot ein sollte … Sie konnte sich Neji nur lebend vorstellen. Das, was da vor ihr lag, konnte doch nur eine Wachsfigur sein, so hell und bleich und reglos …

„In diesem Tankstellenshop haben sie solche Messer verkauft“, sagte Sasuke plötzlich.

„Willst du damit etwa sagen, es war einer von uns?“, zischte Kiba. Sakura lief bei diesen Worten ein Schauer über den Rücken.

„Ich sage nur, was ich gesehen habe.“

„Das beweist doch gar nichts“, sagte Ino sofort, dann zögerte sie. In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen. „Wer … wer von euch war denn sonst noch in dem Shop?“

„Als ob das jetzt jemand zugeben würde“, murmelte Tenten.

„Der Brief!“, rief Kiba plötzlich. „Dieser verdammte Drohbrief von gestern!“

Sakura hatte ihn nie ganz vergessen. Sie hatte die Erinnerung an den Rand ihres Bewusstseins gedrängt, wo sie immer unheilvoll auf eine Gelegenheit gewartet hatte, mit blitzenden Zähnen über sie herzufallen. Jetzt war eine solche Gelegenheit. Das flaue Gefühl in ihrem Magen verstärkte sich. Und wenn es doch kein Scherz gewesen ist?

„Auf den Zettel hat jemand ein Smiley gemalt“, berichtete Tenten. „Kein Kreuz, sondern ein Smiley.“

„Ich weiß“, murmelte Ino finster. „Ich hab’s für einen Scherz der Jungs gehalten.“

„Dann ist es doch sonnenklar!“, knurrte Kiba. „Der verdammte Bastard, der den Brief geschrieben hat, hat sich ins Haus geschlichen und Neji ermordet!“

Hinata zuckte bei diesen Worten zusammen und begann noch lauter zu schluchzen. Sakura warf Kiba einen tadelnden Blick zu. Jedem von ihnen war klar, dass Neji ermordet worden war, aber es laut auszusprechen streute offensichtlich Salz in die Wunden seiner Kusine.

„Komm, gehen wir rein.“ Tenten, die sichtlich um Fassung bemüht war, half Hinata hoch und bugsierte sie sanft in Richtung Ferienhaus.

„Wir sollten die Rettung rufen“, sagte Sakura leise, als sie außer Hörweite waren.

„Wozu?“, schnaubte Kiba. „Glaubst du, die können noch irgendwas tun? Mach die Augen auf – er ist tot, verdammt!“

„Trotzdem muss so etwas auch immer ein Arzt bestätigen“, beharrte Sakura. „Und die Polizei müssen wir sowieso verständigen.“

Sasuke fischte sein Handy aus der Hosentasche. „Da haben wir aber ein Problem“, stellte er fest.

Sakura ahnte es schon. Auch ihr eigenes Handy zeigte kein Netz an. Ino hatte sie gewarnt, dass sie hier in den Bergen keinen Empfang haben würden. „Habt ihr nicht irgendein Funkgerät oder so etwas für den Notfall?“, fragte sie ihre Freundin.

Als erwache Ino aus einer Starre, zuckte sie zusammen. „Wir haben ein Satellitentelefon im Wohnzimmer.“ Sie lief los, in Richtung Ferienhaus.

„Wir sollten auch hineingehen“, murmelte Sakura.

Naruto machte Anstalten, den Teppich, auf dem Neji lag, zu packen. Er schien völlig in Gedanken versunken zu sein. „Ich werde ihn sicher nicht hier liegen lassen“, erklärte er, nun ruhig.

„Wir dürfen nichts an der Szene verändern, sonst kriegen wir Ärger mit der Spurensicherung“, sagte Sasuke.

„Ihr habt ihn doch auch aus dem Wasser gezogen, oder nicht?“

„Das war etwas anderes. Willst du, dass sie deine Fingerabdrücke auf der Leiche finden?“

„Ich werde ihn nicht hier im Gras verrotten lassen!“, fuhr Naruto auf. „Wir tragen ihn ins Haus!“

„Ich bin Narutos Meinung“, schaltete sich Kiba ein. „Ihn hier offen und sichtbar liegen zu lassen, fühlt sich falsch an.“

Sasuke schüttelte den Kopf. „Habt ihr mir nicht zugehört? Wir dürfen ...“

„Jungs“, unterbrach ihn Sakura müde. Sie fühlte sich so ausgelaugt wie schon lange nicht mehr, viel mehr als gestern. „Lasst ihn uns einfach zudecken, ja?“

 

Es widerstrebte ihnen, den Teppich zu benutzen. Naruto lief zurück zum Haus und kam mit einem Bettlaken zurück, das sie über Neji legten und an den Rändern mit Steinen beschwerten. Es hatte etwas Feierliches an sich, und Sakura hatte das Gefühl, noch einige letzte Worte an ihn richten zu müssen, aber sie brachte keinen Ton raus.

Schließlich kehrten sie niedergeschlagen ins Ferienhaus zurück. In der Küche saßen bereits Hinata und Tenten, die ihrer Freundin beruhigend über den Rücken strich. Hinata wurde immer wieder von heftigen Schluchzern geschüttelt, dazwischen zitterte sie. Sie hatte eine Decke um die Schultern gelegt und eine Tasse dampfenden Tee vor sich stehen, den sie sichtlich noch nicht angerührt hatte. Naruto setzte sich neben sie und drückte ihre Hand.

„Und?“, fragte Tenten. Ihre Stimme klang brüchig, und sie wirkte, als wäre sie um Jahre gealtert.

„Wir haben ihn zugedeckt“, berichtete Sakura knapp. Tenten nickte dankbar.

Sie verfielen in eisernes Schweigen. Jeder hing seinen eigenen, trüben Gedanken nach. Sakura konnte immer noch nicht glauben, dass all dies wirklich geschah; dass sie hier versammelt saßen und den Tod eines Freundes betrauerten, der allem Anschein nach ermordet worden war.

Ino kam zurück. „Es bringt nichts“, sagte sie. Ihre Stimme zitterte noch immer. „Ich komm nicht durch.“

„Was heißt das, du kommst nicht durch?“, fragte Kiba.

„Ich kriege keine Verbindung. Das Satellitentelefon funktioniert nicht richtig.“

Alarmiert blickten sie auf. „Meinst du, jemand hat es sabotiert?“, fragte Sasuke misstrauisch.

Ino zuckte mit den Schultern. „Vielleicht ist es auch nur ein technischer Defekt. Das ist schon mal vorgekommen. Wir sollten den Teufel nicht gleich an die Wand malen.“ Ihre Worte klangen etwas zu hysterisch, um sie glaubhaft zu machen.

„Wie weit geht denn dieses Funkloch?“, fragte Sakura. „Vielleicht haben wir ja im Wald schon wieder Empfang.“

„Davon träumst du. Ich hab mal versucht, im nächsten Bauernkaff zu telefonieren. Angeblich hat mein Gesprächspartner nicht die Hälfte davon verstanden. Das Mobilnetz ist hier so schlecht wie sonst nirgends auf der Welt, schätze ich“, schnaubte Ino.

„Dann müssen wir eben in die nächste Ortschaft fahren und von dort aus vom Festnetz anrufen“, sagte Sasuke und stand auf. „Den Wagenschlüssel hat Neji im Wohnzimmer abgelegt, wenn ich mich richtig erinnere.“

„Ich fahre!“ Naruto sprang entschlossen auf. Er wollte nicht länger untätig herumsitzen, erkannte Sakura.

Ich fahre“, sagte Sasuke mit fester Stimme. „Du kannst danebensitzen und die Karte halten, wenn du willst“, fügte er hinzu, aus Naruto aufbrausen wollte. Dieser zögerte, dann nickte er. Vielleicht war er froh, in dieser Stresssituation nicht auch noch seine frisch erlernten Fahrkünste austesten zu müssen. Die beiden verließen die Küche und Sakura war erleichtert, dass sie nicht auch mitfahren sollte. Auch wenn man sich nach so einem Schock bekanntlich mit etwas beschäftigen sollte, fühlte sie sich nicht in der Lage, davonzufahren und ein Telefon zu suchen. Viel eher fühlte sie sich, als wäre sie selbst gestorben. Da war ein Loch in ihrer Brust, und auch wenn das, was daraus hervorquoll, nicht Blut war, so war es doch genauso notwendig für ihr Überleben.

Ino konnte ihre Hände nicht stillhalten und kochte Kaffee für alle – schwarzen, da niemand Milch geholt hatte. Der Frühstücksreis wartete immer noch in der Pfanne auf der Anrichte, aber sie schien zu ahnen, dass niemand Appetit hatte.

„Meint ihr, die Polizei findet einen Anhaltspunkt?“, brach Kiba irgendwann das Schweigen. „Ich meine, Neji war ziemlich lange in dem eiskalten Wasser, verwischt das nicht die Spuren oder so?“

„Ich bin mir ziemlich sicher“, meinte Ino grimmig. „Die Kripo hat viel mehr drauf, als sie einem in Krimis weismachen wollen. Die werden herausfinden, wer es war, ganz sicher.“

„Wie konnte der Mörder überhaupt hereinkommen? War nicht abgeschlossen?“, fragte Tenten mit einer nie da gewesenen Schärfe in der Stimme. „Entschuldige“, flüsterte sie Hinata im nächsten Moment zu, als sie erkannte, dass sie schon wieder von Nejis Ermordung sprachen.

„Ist schon gut“, murmelte diese.

Ino schnaubte. „Es war abgeschlossen, aber ich hab den Schlüssel innen stecken lassen, für den Fall, dass einer von euch in der Nacht auf die Toilette muss.“ Sie sah mit schmalen Augen in die Runde. „Ist jemand von euch nachts rausgegangen und hat hinterher vergessen, den Schlüssel umzudrehen?“

Niemand antwortete. Jedem war klar, was sie damit sagen wollte – wer auch immer vergessen hatte, die Tür abzuschließen, hatte dem Mörder Zugang ins Haus gewährt.

„Aber Neji hat doch im Wohnzimmer geschlafen, gemeinsam mit Naruto und Sasuke. Das ist im hintersten Winkel des Hauses“, sagte Sakura. „Der Mörder kann doch nicht einfach an uns allen vorbeispaziert sein.“

„Willst du etwa schon wieder einen von uns beschuldigen?“, brauste Kiba auf.

„So hab ich das nicht gemeint.“ Sie hob erschöpft die Hände. „Ich wollte nur wissen, ob nicht vielleicht jemand von euch was gehört hat? Außerdem muss jemand bei dem Tischchen vor der Treppe gewesen sein und das Smiley auf den Zettel gemalt haben.“

„Ich glaube ja immer noch, dass das ein Scherz von den Jungs sein sollte“, brummte Ino.

„Wieso heißt es bei dir immer die Jungs, die Jungs?“, knurrte Kiba.

„Weil ihr die Einzigen wart, die noch wach und außerdem sturzbetrunken waren, als ich schlafen gegangen bin!“, zischte sie. „Und Neji ist wohlgemerkt noch vor mir ins Bett gegangen.“

„Tenten war auch noch wach“, sagte Kiba.

„Ich habe nichts bemerkt“, sagte Tenten und beantwortete damit die Frage, die Sakura vor einer Weile gestellt hatte. „Aber ich hab ziemlich tief geschlafen, und zwar genau hier.“

„Was bedeutet, dass du kein Alibi hast“, bemerkte Kiba und Hinata zuckte zusammen.

Tenten starrte ihn aus großen Augen an. „Was willst du damit sagen?“

Er erwiderte ihren Blick, dann wandte er sich ab. „Sorry. So hab ich das nicht gemeint.“

Ino seufzte tief. „Okay, nächste Frage. Wer von euch war heute Morgen als Erstes draußen?“

„Wird das etwa ein Verhör?“, fragte Kiba gereizt.

„Nein, verdammt! Ich will nur wissen, ob die Tür da schon offen war!“

„Ich bin rausgegangen, als ich die Milch holen wollte. Dann hab ich Neji gefunden. Da war die Tür nicht verschlossen“, berichtete Sakura.

„Okay. War jemand aus dieser Runde schon vorher draußen?“, hakte Ino nach. Wieder antwortete niemand. „Dann hat tatsächlich jemand vergessen, nachts abzuschließen“, meinte sie anklagend.

„Das kann ja mal passieren“, wiegelte Sakura ab, als sie weiterhin böse Blicke zu allen Anwesenden verschoss.

Mal passieren? Hallo? Es ist jemand gestorben, Sakura!“

„Aber trotzdem musst du nicht …“

Sie wurde von Sasuke und Naruto unterbrochen, die mit finsteren Mienen in die Küche zurückstapften. Sasuke warf den Autoschlüssel auf die Tischplatte.

„Was ist los?“, fragte Kiba alarmiert.

Sasukes Gesicht war wie in Stein gehauen, als er Naruto zunickte, dass er das Reden übernehmen sollte.

„Springt nicht an“, erklärte der Blondschopf. „Irgendjemand hat am Motor rumgepfuscht.“

„Was?!“ Ino sprang auf. „Seid ihr ganz sicher?“

„Die Reifen sind aufgestochen worden. Wir haben es trotzdem versucht, aber das Zündkabel fehlt“, erzählte Sasuke. „Generell sieht es unter der Motorhaube nicht wirklich ordentlich aus.“

Hinata wurde noch blasser. Sakura hatte gedacht, sie würde vielleicht gar nicht zuhören, aber offenbar verstand sie jedes Wort. „Das … das heißt, wir sitzen hier fest?“

Betretenes Schweigen breitete sich aus. „Nicht unbedingt“, sagte Tenten, machte aber den Eindruck, als wollte sie sich vor allem selbst beruhigen. „Es ist zwar ein schönes Stück Weg, aber es geht die meiste Zeit bergab. Wenn wir zu Fuß gehen …“

„Wir sind vier Stunden lang mit dem Auto gefahren“, warf Kiba ein.

„Wir müssen ja nicht bis zur Stadt. Wenn wir diesen Bauernhof erreichen, zu dem wir uns verirrt haben, können wir sicher telefonieren. Schlimmstenfalls leihen wir uns einen Traktor oder sonstwas aus.“

„Oder wir sind alle tot“, zischte Ino. „Wollt ihr wirklich durch einen Wald spazieren, in dem sich vielleicht Nejis Mörder versteckt?“

„Wenn wir alle zusammenbleiben, wird er es nicht wagen, uns anzugreifen“, versuchte Naruto, den anderen Mut zu machen.

„Und wenn die Bauernfamilie dahintersteckt?“, beharrte Ino.

„Du spinnst.“

„Ach ja? Ich hab mir schon immer gedacht, dass die etwas seltsam sind. Immer, wenn wir mit ihnen gesprochen haben, haben sie uns angestarrt, als würden sie uns dafür hassen, dass uns das Haus hier in den Bergen gehört. Die haben eindeutig was gegen Stadtmenschen!“

„Ich fühle mich wie in Wrong Turn“, murmelte Tenten.

„Jetzt bleibt mal auf dem Teppich.“ Sakura fiel etwas ein. „Sasuke … du bist doch heute schon vor mir rausgegangen, oder?“ Immerhin war er von der Toilette gekommen.

„Kann sein. Warum?“

„War die Tür bei dir zufällig abgeschlossen?“ Sie wusste nicht, welche Antwort ihr besser gefallen würde.

„Soweit ich mich erinnere, nicht.“

Ino seufzte wieder. Sakura berührte beschwichtigend ihren Arm. „Kannst du es nicht nochmal mit dem Satellitentelefon versuchen?“

Ihre Freundin zuckte mit den Schultern. „Versuchen kann ich’s, aber ob ich das reparieren kann …“, meinte sie mutlos.

Sakura hatte bemerkt, dass Sasukes Blick mehrmals ins Leere abschweift war. „Woran denkst du?“, fragte sie ihn.

Er zögerte. „Ich frage mich nur, was der Mörder damit erreichen will.“

„Womit?“

„Den Wagen zu sabotieren. Es ist schließlich nicht so, als könnten wir ohne ihn nie mehr zur Zivilisation zurückkehren. Irgendwann wird uns jemand vermissen und genau hier suchen. Spätestens dann kommt die Polizei ins Spiel, und alles kommt ans Licht.“

„Vielleicht will er ja nur, dass möglichst viel Zeit vergeht. Dann wird es für die Spurensicherung sicher schwieriger“, mutmaßte Naruto.

„Oder“, murmelte Sakura, die sich bewusst war, was ihre nächsten Worte anrichten konnten, „es ist genauso, wie in dem Brief steht. Er will uns alle töten, einen nach dem anderen.“

Schlagartig wurde es still in der Küche, dann, nach einem Moment, redeten alle wild durcheinander. Es war nicht so, dass niemand diese Möglichkeit in Betracht gezogen hatte. Nach dem Mord war wohl jedem wieder der Inhalt des Drohbriefs in den Sinn gekommen. Aber nun, da sie den Gedanken offen ausgesprochen hatte, war er gegenwärtig wie eine zusätzliche Person in diesem Raum, die mit wahnsinnigem Blick und tödlichen Waffen nach neuen Opfern Ausschau hielt. Obwohl sie erst vor kurzem ihren Freund tot aufgefunden hatten, wurde ihre Trauer plötzlich von nackter Angst überschattet.

„Dann dürfen wir erst recht nicht hier bleiben!“, rief Naruto hysterisch.

„Ich sage, wir müssen hier bleiben!“, hielt Ino dagegen. „Im Wald sind wir ein leichtes Opfer! Hier können wir uns einschließen!“

„Das hat uns doch heute Nacht auch nicht beschützt!“

„Ja, weil einer von euch Idioten vergessen hat, den Schlüssel wieder umzudrehen!“, schrie sie.

„Haltet alle den Rand!“, keuchte Kiba und hielt sich den Kopf. Offenbar hatte er noch einen gewaltigen Kater vom Vortag.

Da fiel Sakura noch etwas ein. „Wartet mal“, murmelte sie erschrocken, lief in den Flur und holte den Zettel mit der unheilverkündenden Nachricht und dem Zungen-Smiley, das jemand mit Kugelschreiber darunter gezeichnet hatte.

„Es wurde mit einem Computer geschrieben“, sagte Sasuke. „Du wirst nicht herausfinden, wer es war.“

„Das meine ich nicht. Habt ihr es ganz vergessen? Wir werden euch töten. Alle. Fragt nicht, warum. Fragt nicht, wer wir sind. Sie schreiben eindeutig in der Mehrzahl!“

„Du meinst, es gibt mehrere Täter?“, rief Tenten aus.

„Und wenn die Nachricht gar nichts mit dem Mord zu tun hat?“, fragte Naruto, nicht überzeugt.

„Das glaubst du doch selbst nicht! Ein Drohbrief, dann ein Mord. Das ist zu viel des Zufalls“, sagte Kiba.

„Der Brief war bei unserem Gepäck, das bedeutet …“ Sakura kombinierte im Stillen weiter, doch der Schaden war bereits angerichtet. Die anderen vervollständigten jeder für sich, was sie hatte sagen wollen. Nur einer von ihnen konnte den Brief in den Kofferraum gelegt haben. Und wenn derjenige auch gleichzeitig der Täter war, dann war Nejis Mörder hier in diesem Raum.

 

Eine hitzige Diskussion brach los. Sie gingen alle Möglichkeiten durch. Der alte Mann von der Tankstelle. Die Bauernfamilie, aber die konnte den Brief nicht geschrieben haben. An einen Zufall glaubte niemand mehr. Naruto wollte unbedingt zurückgehen, Ino bestand darauf, hierzubleiben, und Sakura musste ihr recht geben. Sie wollte niemanden von ihren Freunden verdächtigen, aber wenn der unwahrscheinlichste aller Fälle eintrat und der Mörder tatsächlich einer von ihnen war, würde es ihm im Wald noch leichter fallen, sein Werk fortzuführen. Sie wären dann sicherlich einen vollen Tag unterwegs, und der Weg war steil und gefährlich. Im Dickicht konnten sie leicht getrennt werden, jemand könnte verschwinden und die anderen aus dem Hinterhalt angreifen – und außerdem waren die Täter mindestens zu zweit.

Sasuke merkte dann an, dass das alles nur ein Psychospiel sein könnte und ein einzelner Mörder versuchen könnte, den Anschein zu erwecken, dass er Verbündete hatte. Warum sonst sollte er sein Handeln auf einem Blatt Papier ankündigen? Auf der anderen Seite – warum würde jemand von ihnen einen Brief in ihr Gepäck schmuggeln, wenn doch klar war, dass nur die Clique selbst darauf Zugriff hatte?

„Aber das Gleiche gilt doch auch für Neji“, sagte Sakura. Sie war erstaunt, wie die Unruhe und die Angst um Leib und Leben, die sie alle befallen hatte, sie die Situation plötzlich so nüchtern betrachten ließ. „Wir wissen jetzt, dass er ermordet wurde, und sind wachsam. Warum hat man ihn in den See geworfen? Wenn man ihn im Wald versteckt hätte, vielleicht sogar vergraben, hätten wir vielleicht geglaubt, er hätte sich verirrt. Während wir ihn gesucht hätten, hätte der Mörder wieder zuschlagen können.“

„Vielleicht ist es für den oder die Mörder einfach ein lustiges Spiel“, sagte Naruto trocken. „Verdammt, wenn ich die Kerle erwische …“

„Naruto …“ Hinata berührte schüchtern seinen Arm, als er die Zähne so sehr zusammenbiss, dass es knirschte.

„Ich bin mittlerweile dafür, wir pfeifen auf die Polizei“, knurrte Kiba. „Wir suchen diese verdammten Mistkerle selbst und führen sie ihrer gerechten Strafe zu!“

„Das können wir nicht machen“, rief Tenten erschrocken. „Das ist Lynchjustiz!“

„Na und? Die haben’s nicht anders verdient!“

„Wartet mal …“ Sakura war eine Idee gekommen. „Ich kenne mich bei Autos nicht so gut aus, aber muss man nicht normalerweise ins Wageninnere, um die Motorhaube zu entriegeln?“

Naruto und Sasuke warfen sich einen Blick zu. „Darüber wollten wir auch noch reden“, sagte Sasuke schließlich. „Der Schlüssel war nicht im Wohnzimmer.“

„Obwohl ich genau gesehen habe, dass Neji ihn gestern auf den Tisch bei der Sitzecke gelegt hat“, fügte Naruto hinzu.

„Dann war der Wagen also offen?“

„Nein“, sagte Sasuke. „Er war abgeschlossen. Der Schlüssel war bei Neji.“

Sie starrten die beiden sprachlos an. „Ich dachte, wir sollten die Leiche in Ruhe lassen?“ Kiba maß Sasuke mit einem finsteren Blick, der die Achseln zuckte.

„Es ging nicht anders. Sollten wir den Wagen etwa schieben? Der Schlüssel war in der Brusttasche von Nejis Trainingsanzug. Und das ist mehr als merkwürdig.“

Nachdem der Schock die Trauer mit ein paar zusätzlichen Adrenalinstößen niedergerungen hatte, arbeitete es hinter Sakuras Stirn auf Hochtouren. „Der Täter hatte den Schlüssel. Anders wäre er nicht an das Zündkabel herangekommen, richtig?“

„Zumindest sah es nicht aus, als hätte jemand versucht, die Motorhaube anderweitig aufzuhebeln.“

„Angenommen, der Täter will uns am Fliehen hindern. Warum auch immer …“

„Weil er uns töten will“, murmelte Naruto düster.

„Warum auch immer“, wiederholte Sakura. Sie waren wirklich schon verängstigt genug; kaum einer konnte mehr still sitzen. Sasuke und Naruto waren gleich stehen geblieben, und vor allem Letzterer trat ständig von einem Bein aufs andere. „Der Täter klaut den Schlüssel aus dem Wohnzimmer, weil die Eingangstür offen war, und dort tötet er auch Neji. Er sabotiert den Wagen, schließt ihn ab, steckt Neji den Schlüssel zu und wirft ihn in den See …“ Sakura raufte sich die Haare. „Das ergibt doch keinen Sinn! Warum würde er ihm den Schlüssel zurückgeben? Hätte er ihn doch ins Tal hinuntergeworfen oder im Wald vergraben, wir hätten ihn nie gefunden! Dann hätte er den Wagen auch überhaupt nicht sabotieren müssen.“

„Vielleicht wusste er nicht, ob Neji nicht einen Ersatzschlüssel hat“, meinte Tenten. „Oder ob einer von uns weiß, wo der Ersatzschlüssel ist“, fügte sie traurig hinzu.

„Trotzdem, hätte es nicht gereicht, die Reifen aufzustechen? Ich meine, damit wären wir auch nie über den Berg und die Serpentinen hinuntergekommen, oder?“

„Ich habe im Schuppen eine Menge Autoreifen gesehen“, überlegte Naruto.

„Und du meinst, die würden passen?“ Sasuke zog überheblich eine Augenbraue hoch.

„Wer weiß?“, zischte er. „Vielleicht war der Mörder nicht ganz sicher. Also hat er alles getan, um den Wagen fahruntüchtig zu machen.“

„Das führt doch zu nichts“, stöhnte Ino. „Lasst es gut sein, ihr Möchtegerndetektive. Ich sehe mir nochmal das Telefon an. Die Polizei wird die Sache schon aufklären.“

„Ich will aber nicht warten, bis hier irgendein uniformierter Wichtigtuer aufkreuzt und Neji wie eine Puppe zerpflückt, während der Mörder längst über alle Berge ist!“ Kiba hieb mit der Faust auf den Tisch. „Es gibt mindestens zwei Täter! Wer von euch hat in der Nacht etwas gehört oder gesehen? Naruto und Sasuke waren doch mit Neji im Zimmer! Das sind zwei Leute, reicht das nicht? Oder wollt ihr mir weismachen, dass ihr nichts bemerkt habt?“

Wieder senkte sich die Stille wie ein Schlag auf die Gruppe. „Willst du damit sagen, dass wir es waren?“, rief Naruto schrill. Sakura war perplex ob dieser ungeheuerlichen Anschuldigung – andererseits war es wohl nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die erste dieser Art ausgesprochen wurde. Allmählich begann sie den Sinn hinter dem Drohbrief zu verstehen. Sie begannen einander zu verdächtigen. Und ein gespaltenes Haus hatte keinen Bestand.

„Habt ihr was bemerkt oder nicht?“

Naruto schürzte die Lippen. „Hab geschlafen“, murmelte er.

„Ich bin einmal in der Nacht aufgestanden und hab mir aus der Küche etwas zu trinken geholt“, gab Sasuke freimütig zu. „Ich habe nicht nachgesehen, wer von den beiden auf der Couch geschlafen hat, aber ich habe definitiv jemanden schlafen gehört.“

„Mich!“, sagte Naruto sofort.

„Keine Ahnung.“

„In eurem Zimmer ist ein Mord passiert, und ihr habt nichts bemerkt?“

„Erstens wissen wir nicht, ob es wirklich im Wohnzimmer war. Neji war vielleicht draußen auf der Toilette. Das würde auch erklären, warum die Tür offen war. Zweitens waren Naruto und Sasuke gestern ziemlich betrunken. Ich habe auch nicht bemerkt, dass Sasuke in der Küche war“, sagte Tenten.

Allmählich beruhigten sie sich wieder. Kiba murmelte eine Art Entschuldigung, und die Luft war bald nicht mehr so dick, dass man sie mit einem Messer hätte schneiden können. Es klang logisch: Neji war nachts aufs Klo gegangen, überfallen und ermordet worden. Das könnte jeder getan haben, auch ein wahnsinniger Bauer.

Sakura sagte lieber nicht, dass sie immer noch einige Sachen daran störten. Wie der Drohbrief, der dem Mörder viel zu gelegen kam, und das Smiley. Oder die Tatsache, dass Neji den Autoschlüssel mit auf die Toilette genommen haben sollte, den ihm der Täter danach wieder zugesteckt hatte. Es war alles so wirr … Am besten, sie überließ die Sache wirklich der Polizei.

Und hoffte, dass, wer immer Neji auf dem Gewissen hatte, nicht draußen im Wald herumlungerte. Und schon gar nicht hier in diesem Zimmer war.

 

„Habt ihr euch bald entschieden?“

„Verdammt, lass dir Zeit! Wir haben gar keine Anhaltspunkte!“

„Wie schade. Beeilt euch, sonst bricht die Nacht herein.“

 

Während sie halbherzig und ausgelaugt weiterdiskutierten, was nun zu tun sei, wurde es Mittag. Immer noch hatte keiner der Gruppe Appetit, aber der Hunger meldete sich trotzdem langsam. Ino wärmte den Frühstücksreis auf und fügte noch ein paar Zutaten hinzu, die sie im Haus hatte. Niemand wollte in die Nähe des Sees gehen. Lustlos stocherten sie im Essen herum, um den Tisch gedrängt. Sakura dachte wieder daran, dass sie hier erst gestern ausgelassen gefeiert und gelacht hatten.

„Meint ihr, er wollte fliehen?“, fragte Tenten irgendwann. „Neji, meine ich.“ Sakura überlegte. Glaubte sie das, weil er den Autoschlüssel bei sich gehabt hatte?

„Reden wir nicht schon wieder davon“, bat Ino. „Zumindest nicht beim Essen.“

„Entschuldigt“, murmelte die junge Frau.

Als sie fertig waren, stapelten sie die Teller fürs Erste auf der Anrichte. Tenten stemmte sich hoch und verkündete, sich oben eine Weile aufs Ohr legen zu wollen. Ihr Nacken schmerze, und sie hätten ohnehin nichts anders zu tun. Außerdem wollte sie alleine sein.

Aber Ino ließ auch das nicht zu. „Tut mir leid“, sagte sie, „aber ich finde, wir sollten alle an einem Fleck versammelt bleiben, bis wir wissen, was zu tun ist. Wer alleine ist, setzt sich einem Angriff aus.“

Tenten seufzte, widersprach aber nicht.

Die Frage, ob sie durch den Wald marschieren sollten, erübrigte sich mittlerweile. Wenn sie jetzt losgingen, würden sie noch im Dunkeln umherirren. Also würden sie eine weitere Nacht auf dem Hügel verbringen, auf dem einer von ihnen einen gewaltsamen Tod gefunden hatte.

Das Vorhaben, ständig zusammenzubleiben, ließ sich natürlich nicht umsetzen. Sie hatten zwar noch etwas Essen im Haus und auch Wasser zum Kochen und Trinken, aber bald nach dem Mittagessen meldete Naruto, auf die Toilette zu müssen. Wieder gab es eine Diskussion. Das eine Lager bestand darauf, dass sie, wenn überhaupt, immer in Zweiergruppen gehen sollten, weil draußen der Mörder lauern könnte. Die anderen meinten, genau das wäre zu unsicher; wenn der Mörder wirklich einer von ihnen war, dann wäre es alleine am sichersten. Letztendlich konnten sie sich nicht einigen, und Naruto ging alleine, kam aber unbeschadet zurück.

Später lösten sich auch Sasuke und Ino von der Gruppe, um noch einmal den Van zu begutachten. Sakura folgte ihnen und überzeugt sich davon, dass der Wagen tatsächlich nicht mehr ansprang. Die Luft war aus allen Reifen entwichen.

Ino holte in Sasukes Begleitung Werkzeug aus dem Schuppen und dann das Satellitentelefon, das wie ein klobiges, schwarzes Uralthandy aussah, aus dem Wohnzimmer. Sie meinte, sie hätte das Ding schon einmal wieder funktionstüchtig gemacht, als es streikte. Während sie daran herumwerkte, diskutierten die anderen über das Messer, das sie bei Nejis Leiche gefunden hatten. Dass es diese Taschenmesser im Tankstellenshop gegeben hatte, warf natürlich einen Verdacht auf sie alle.

„Also, Sasuke hat schon zugegeben, dass er in dem Shop war“, fasste Ino zusammen, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. „Sonst noch jemand?“

„Mir geht dein Verhör allmählich auf den Geist“, knurrte Kiba.

„Es geht doch nur darum, ob ihr sonst noch jemanden dort gesehen habt, der uns vielleicht gefolgt ist.“

„Das glaubst du ja selbst nicht.“

„Ich war auch drin“, sagte da Tenten. „Ich habe aber nichts gekauft, nur gestöbert. Die Preise in solchen Läden sind der totale Wucher.“

„Bist du sicher, dass du dir nicht doch ein Messer angelacht hast?“, giftete Kiba. „Soweit ich weiß, bist du ja eine richtige Waffennärrin.“ Tenten funkelte ihn an.

„Tenten hat mit Nejis Tod nichts zu tun“, sagte Sasuke.

„Ach? Wieso? Weil sie ab und zu mal mit ihm geturtelt hat? So was kann böse Folgen haben, je nachdem wie es verläuft.“

„Du … wie kannst du es eigentlich wagen …“ Tenten hatte die Zähne zusammengebissen. Sie sah wirklich wütend aus.

„Ich habe sie in der Nacht hier schlafen gesehen“, sagte Sasuke.

„Das beweist gar nichts! Sie könnte Neji vorher oder nachher angegriffen haben! Oder warst du die ganze Zeit bei ihr?“ Kiba schien es nicht lassen zu können, herumzustänkern.

„Sie machte den Eindruck, als könnte sie selbst ein Kanonenschuss nicht wecken“, meinte Sasuke trocken.

„Danke, Sasuke“, seufzte Tenten und rieb sich das Genick.

„Seht mal!“ Ino hielt einen zusammengefalteten Zettel in die Höhe.

„Was ist das?“, fragte Sakura.

„Ich habe nur das Gehäuse runtergeschraubt. Das hab ich darin gefunden.“ Sie faltete das Blatt Papier auseinander, warf einen Blick darauf und schluckte. Dann legte sie es für alle sichtbar auf den Tisch.

Sakura beugte sich vor. Fast erwartete sie, dass es die Rechnung für das Messer war, auf der völlig unlogisch vielleicht noch der Name des Käufers aufgedruckt war. Aber es war etwas weit Simpleres.

Die Botschaft war vermutlich mit dem gleichen Kugelschreiber geschrieben worden, der auch das Smiley gezeichnet hatte. Und es waren genau drei Zeichen zu sehen, groß und krakelig.
 

1/6
 

„Was soll das denn sein?“, fragte Naruto stirnrunzelnd. „Das Ding gehört nicht wirklich zum Telefon, oder?“

„Warum sollte da so ein Zettel drin stecken? Denk doch mal nach“, spottete Sasuke.

„Ein Sechstel?“, überlegte Sakura. Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. „Eins von sechs! Die Mörder sind zu zweit!“

„Warte mal, das ist eine Nachricht von den Mördern?“, fragte Naruto.

„Na super“, murmelte Ino. „Ich hab’s verstanden. Einer ist tot, sechs sollen insgesamt sterben. Die Mörder prahlen damit. Und es bedeutet, dass zwei von uns die Mörder sind, die die anderen sechs umbringen wollen. Fünf, nach Nejis Tod.“

„Das ist doch ziemlich weit hergeholt“, meinte Sakura.

„Es ist die einzige logische Erklärung.“

„Wenn das eine Nachricht des Mörders ist“, sagte Sasuke ruhig, „gibt es keinen Grund, ihm zu glauben. Vielleicht will er uns nur gegeneinander ausspielen. Vielleicht ist er auch allein und will uns Angst einjagen. Oder es sind noch mehr, und sie wollen uns in relative Sicherheit wiegen.“

„Genau, wer kann schon wissen, was in so einem kranken Hirn vor sich geht“, murmelte Tenten.

„Darum geht’s hier nicht.“ Ino wedelte mit dem Zettel. „Der war in unserem Telefon. Wie kommt der da rein?“

Da hatte sie recht. Jemand musste sich daran zu schaffen gemacht haben. „Hast du das Telefon von Zuhause mitgenommen? Oder war es schon hier? Ich hab vergessen zu fragen“, sagte Sakura.

„Es ist immer hier. Aber es dürfte eigentlich keiner rangekommen sein, wir schließen die Tür immer ab. Die Fenster waren auch nicht beschädigt. Seit wir das letzte Mal hier Urlaub gemacht haben, war garantiert keiner im Haus.“

„Dann können wir wohl davon ausgehen, dass es tatsächlich jemand sabotiert hat“, sagte Sasuke düster. „Und anders als bei Neji, den jemand draußen überfallen haben könnte, wusste dieser Jemand, wo es sich befindet, und er ist bis ins Wohnzimmer gekommen.“

Sakura rieselte ein Schauer über den Rücken. Wenn man es so sah, war er Mörder eindeutig einer von ihnen. Und er gab es freimütig zu – das wollte ihr nicht so recht ins Bild passen.

„Aha!“, rief Kiba plötzlich triumphierend. „Ich hab das Rätsel gelöst! Mit diesem Zettel haben sie sich verraten!“

Alle starrten ihn erwartungsvoll an. Sakura konnte nicht glauben, dass ausgerechnet er die Mörder enttarnt haben sollte.

„Ist doch ganz klar.“ Sein ausgestreckter Finger wanderte über die Versammelten, eine Geste, die er sich getrost hätte sparen können. Zwischen Naruto und Sasuke hielt seine Hand inne, dann spreizte er Zeige- und Mittelfinger, um auf sie beide zu zeigen. „Ihr wart es! Ich hab’s doch geahnt, ihr wart von Anfang an verdächtig!“

„Was? Spinnst du?“, keuchte Naruto, während Sasuke nur die Stirn runzelte.

„Wer sonst? Erstens wart ihr beide mit Neji in einem Zimmer! Da hattet ihr ja wohl Gelegenheit genug! Zweitens hat er sicher schon lange vor euch geschlafen! Und ihr hattet auch Gelegenheit, das Auto  zu sabotieren! Ihr habt gesagt, der Schlüssel war in Nejis Tasche, aber wer außer euch kann das bezeugen? Ihr hattet ihn die ganze Zeit!“

„Das ist doch völliger Blödsinn!“, rief Naruto zornig. „Neji hatte ihn, verflucht nochmal!“

„Aber warum sollte Neji ihn mit sich rumschleppen, wenn er ihn schon abgelegt hat? Das ist des Rätsels Lösung!“

„Du tickst ja nicht ganz richtig, Mann!“

„Und das Telefon?“, fragte Ino.

„Das war auch bei ihnen im Zimmer! Ist doch klar, dass das auch die beiden waren! Den Zettel haben sie spätestens darin versteckt, als sie angeblich dort den Schlüssel holen wollten! Sonst war dort niemand! Und die Killer sind anscheinend zu zweit! Es passt alles zusammen!“

Es sprudelte alles so schnell aus ihm heraus, dass Sakura kaum Zeit blieb, das Gesagte zu verarbeiten, aber es hörte sich logisch an. So logisch, dass ihr graute. Naruto und Sasuke waren ihre besten Freunde, verdammt!

„Ach ja?“, feuerte Naruto zurück. „Wenn wir danach gehen, könnte Ino auch die Mörderin sein! Sie hat das Telefon als Erste angefasst, als wir Nejis Leiche gefunden haben! Und sie hat auch den Zettel darin entdeckt!“

„Dann ist sie eben eine Komplizin“, setzte Kiba noch eins drauf. „Sie war mit Sasuke gemeinsam im Schuppen, vielleicht haben sie es dort manipuliert, den Zettel reingetan und sich ins Fäustchen gelacht!“

„Das ist doch …“, wollte Tenten sagen, aber Ino fiel ihr ins Wort.

„Klar doch, ich bin die Mörderin. Wisst ihr was? Ich war die Einzige, die euch bisher bekocht hat. Falls ich euch umbringen wollte, meinst du nicht, dass ich euch da eher vergiften würde?“

Kiba öffnete den Mund, fand aber keine Erwiderung. „Meinetwegen“, murmelte er. „Dann spricht eben alles für Naruto und Sasuke.“

„Du hast sie ja nicht alle!“, rief der Blondschopf aus.

Die Stimmung am Tisch wurde von Sekunde zu Sekunde unangenehmer – und aggressiver. Sakura fürchtete sich schon davor, wie das Gespräch enden würde. Und dabei sind wir alle Freunde … Sie waren wie eine Kette. Kaum war ein Glied zerbrochen, hielt der Rest auch nicht mehr zusammen. „Hört doch auf, bitte“, murmelte sie, aber keiner hörte auf sie.

„Bevor du uns mit so einer Geschichte kommst, bring doch erst mal Beweise vor!“, rief Tenten.

Jedes Mal, wenn einer von ihnen losbrülle, zuckte Hinata zusammen und klammerte sich fester an Narutos Ärmel.

„Ich hab alles gesagt, was ich an Beweisen habe! Die beiden waren ständig zusammen unterwegs! Und Naruto ist nichts passiert, als er auf der Toilette war! Warum wohl?“

„Hört auf“, flüsterte Hinata.

„Glaubst du, Neji hätte gewollt, dass wir uns gegenseitig verdächtigen?“, rief Tenten. „Du tust die ganze Zeit nichts, als andere anzuschuldigen! Wenn jemand verdächtig ist, dann ja wohl du!“

„Das reicht jetzt!“, schrie nun auch Sakura, aber trotz ihrer Lautstärke übertönten sie die anderen noch. Was soll ich tun? Wir sind alle total mit den Nerven fertig, am Ende springen wir uns an die Gurgel!

„Ich?“ Kiba sog scharf die Luft ein und wurde hochrot. „Ich war die ganze Zeit über allein in meinem Zimmer! Was ist mit dir, Tenten? Total verkatert, wie? Du hast hier am Tisch geschlafen? Verarschen können wir uns selbst! Und in deinem Zimmer warst du nicht, oder?“ Sein Kopf ruckte zu Hinata. „Oder, Hinata? War Tenten bei dir? Sag schon, verdammt!“

Das Mädchen zuckte zusammen und wusste nicht, wohin mit ihrem Blick. „Ich … also …“ Sie sah kurz zu Tenten, ehe sie den Kopf hängen ließ. „Ich w-war …. allein.“

„Na also“, meinte Kiba triumphierend.

„Klar war sie allein, weil ich verdammt noch mal genau hier geschlafen habe!“, schnappte Tenten.

„Wie gesagt, ich kann das bezeugen“, sagte Sasuke.

„Sicher“, spottete Kiba. „Ihr zwei gebt ja auch ein hübsches Mörderpärchen ab. Die Stahlfrau und der Eismann. Beide hartgesotten genug, um durch den See zu tauchen.“

„Was hat das damit zu tun?“, rief Tenten. Ihre Stimme wurde langsam schrill.

„Du machst dich lächerlich“, sagte Sasuke.

„Ach ja? Und wie schaffst du es, die ganze Zeit so ruhig zu bleiben?“ Kibas Augen waren schmale Schlitze. „Ich hab dich beobachtet. Ich hab euch gesagt, ich finde die Mörder! Und du warst die ganze Zeit ruhig, obwohl wir hier einen Toten haben!“

„Vielleicht habe ich auch einfach bessere Nerven als du?“, schlug Sasuke vor.

„Weil du ein abgebrühter Killer bist? Wo warst du die letzten drei Jahre? Hat es in deiner Familie nicht einen rätselhaften Todesfall oder so was gegeben?“

Diesmal lockte er eine Reaktion in Sasukes Gesicht hervor. Seine Mundwinkel sanken nach unten und eine seiner Augenbrauen zuckte. Sakura hatte dieses Gerücht auch vernommen, aber Sasuke hatte nie davon gesprochen, also hatte sie keinen Grund gesehen, es breitzutreten. Sie wusste nicht, ob sie es taktlos von Kiba finden sollte, jetzt davon anzufangen, oder ob es abzusehen gewesen war, in Anbetracht der Umstände … Eigentlich wusste sie gar nichts mehr. Das kühle Überlegen, jegliche Logik und alles Kombinieren, es war einer einzigen Schreitirade gewichen.

„Ich finde, in so einem Fall“, sagte Ino, als kurz keine neuerlichen Boshaftigkeiten über den Tisch flogen, „macht sich derjenige am meisten verdächtig, der andere beschuldigt. Mit anderen Worten, Kiba.“

„Sagte sie, und beschuldigte sofort jemand anders! Wirklich toll!“, knurrte der junge Mann. „Aber wie du willst. Findest du so viele Beweise, wie ich sie für die anderen gefunden habe, hä?“

„Das sind keine Beweise!“, zischte Naruto. „Du redest Müll, sonst nichts!“

„Was ist daran Müll? Wir wissen, dass Tenten und Sasuke beide in diesem Shop waren. Aus dem Shop stammt das Messer.“

„Ich war es nicht“, stöhnte Tenten. „Hast du vergessen, wie viel wir getrunken haben? Ich hätte nicht mal in einer Linie gehen können, geschweige denn jemanden umbringen! Und Neji? Du hast sie ja nicht alle! Ich hab ihn … Ich war es nicht!“

„Sie hat einen Zeugen“, versuchte Sakura Kiba halbherzig zur Ruhe zu bitten.

„Der mit ihr unter einer Decke steckt! Oh, ich glaube ihnen schon, dass sie beide hier in der Küche waren. Irgendwo mussten sie ja ihren Plan für diese Nacht schmieden. Was ist hier noch zwischen euch passiert, hä? Ein kleines Techtelmechtel auf dem Küchentisch vielleicht? Wenn wir Neji als eifersüchtigen Liebhaber dazunehmen, haben wir sogar ein Motiv!“

Tenten sprang auf, und ehe Sakura reagieren konnte, hatte sie Kiba einen Kinnhaken verpasst, der ihn rückwärts samt seinem Stuhl umwarf. Auch die anderen sprangen auf die Beine. „Tenten!“, keuchte Sakura entsetzt. Ihre Freundin hatte das Gesicht verzerrt, ihre Wangen waren gerötet und ihr Atem ging schnell. So kannte sie Tenten gar nicht – andererseits war sie körperlich in wirklich mieser Verfassung, und Neji war ermordet worden. Neji, von dem Sakura nicht genau wusste, was genau – und ob überhaupt – zwischen den beiden gewesen war.

„Jetzt zeigst du also dein wahres Gesicht“, ächzte Kiba, während er sich hochrappelte und seine aufgesprungene Lippe betastete.

Ich habe Neji nicht ermordet!“, schrie Tenten ihn an und machte Anstalten, sich erneut auf ihn zu stürzen, aber Ino packte sie unter den Armen. „Lass mich los! Ich dreh ihm den Hals um!“

Sasuke legte indessen eine Hand auf Kibas Schulter und drückte drohend zu. „Das reicht jetzt, Kiba.“

„Fass mich nicht an! Ihr beide steckt unter einer Decke!“ Kiba fegte seine Hand fort und stieß ihn kraftvoll von sich.

Jetzt wollte auch Naruto einschreiten. Hinata wimmerte etwas, das im allgemeinen Chaos unterging. Sakura wusste schon nicht mehr, wo ihr der Kopf stand.

„Du warst es!“ Tenten hatte sich von Ino losgerissen und langte nach Kiba, der schnell auf Abstand ging. „Du versuchst nur, es uns anderen in die Schuhe zu schieben, gib’s zu!“

Sakura stellte sich ihr in den Weg und sagte sachlich zu Kiba: „Hör lieber auf. Es ist wirklich nicht unverdächtig, was du da machst.“

Ino verschränkte die Arme. „Der Meinung bin ich auch.“

Kibas Gesichtsfarbe wechselte zwischen hochrot und totenbleich. „Ihr … ihr spinnt doch alle!“ Dann warf er sich herum, stieß Naruto und Sasuke zur Seite und stürmte aus der Küche.

„Hier geblieben!“, rief Tenten zornig, schlüpfte unter Sakuras Arm hindurch und folgte ihm. Ihre Schritte trampelten durch den Flur.

„Mein Gott, haltet sie auf! Die beiden sind ja verrückt geworden!“, rief Ino, und noch bevor sie ausgesprochen hatte, jagten die anderen hinterher. Sakura hatte ein mieses Gefühl bei der Sache, ein ganz mieses.

Sie holten die zwei erst am Ende der Wiese ein. Sakura war noch nie so weit unten gewesen. Fast hundert Meter erstreckte sich die Graslandschaft noch unter dem Bergsee und fiel dabei immer steiler ab, bis dann, am Ende des Plateaus, ein gähnender Abgrund lauerte. Weit, weit unten waren die Wipfel eines Nadelwaldes zu sehen, und weiter vorne die Dörfer und Gehöfte. Was Sakura noch gestern für einen herrlichen Ausblick gehalten hatte, verwandelte sich vor ihren Augen in einen Albtraum, als sie Tenten und Kiba nahe an der Kante miteinander rangeln sahen. Beide versuchten die Arme des anderen zu packen und zerrten und schubsten.

„Hört sofort auf!“, kreischte sie. „Habt ihr völlig den Verstand verloren?“

„Auseinander!“, schrie auch Naruto.

Kiba hatte es irgendwie geschafft, seine Hand in Tentens Haar zu krallen und sie mit der anderen in den Schwitzkasten zu nehmen. „Kommt ja nicht näher!“, schrie er mit hochrotem Gesicht. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn. Er ging immer weiter rückwärts auf die Kante zu.

„Kiba, lass sie sofort los!“, brüllte Naruto. „Hast du sie nicht mehr alle? Wir sind doch alle Freunde!“

„Komm mir nicht mit Freunde! Ihr drei habt euch gegen uns verbündet! Irgendjemand muss euch ja aufhalten! Ich mache den Anfang!“

„Was … was hast du vor?“, murmelte Sakura. Ihr Unterkiefer zitterte, und ihr war eiskalt. Sie musste ihn zur Vernunft bringen, sie musste einfach! Außer ihr und Ino verdächtigte er alle, und Hinata war in solchen Fällen keine Hilfe.

„Kiba, das bringt doch nichts“, sagte Sasuke nun betont ruhig. „Lass sie los. Wir können über alles reden. Keiner von uns hat eine Waffe, keiner wird irgendwen umbringen.“

„Hör schon auf“, riet ihm auch Ino. „Wenn du so aggressiv bist, glauben wir am Ende wirklich noch, dass du etwas zu verbergen hast.“

Das hätte sie nicht sagen sollen. „Ich habe nichts zu verbergen!“, schrie er heiser. „Ich war’s nicht! Verdammt, ich bin unschuldig!“ Er trat noch näher auf die Kante zu.

„Kiba!“, schrie Naruto völlig aufgelöst. Wusste er überhaupt, wie nahe am Rand er stand?

„Okay, wir haben’s kapiert! Wir wissen, dass du unschuldig bist!“, rief Sakura. „Es kann niemand von uns sein! Komm wieder her, bitte! Wir suchen gemeinsam nach den Mördern, ja?“

Kiba schien mit sich zu hadern, und in dem Moment riss Tenten sich los, und die Tragödie geschah.

Sie schlüpfte unter Kibas Arm durch und drohte, auf der Kante das Gleichgewicht zu verlieren. Instinktiv griff sie nach seinem Hemd, krallte sich darin fest und zog sich auf die Wiese zurück. Kiba, der von dem plötzlichen Ruck überrascht war, taumelte und trat auf eine lockere Stelle im Felsen, der unter seinem Gewicht zerbröckelte. Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er mit den Armen ruderte, nur einen Moment, der vor Sakuras Augen zu einer zähen Ewigkeit wurde.

Dann fiel er hintenüber.

Tenten begriff, was geschah. Mit einem Aufschrei, die Augen weit aufgerissen, versuchte sie Kiba am Arm zu packen, aber ihre Finger glitten an seinen ab. Kibas Brüllen hallte von den Felswänden wider, als er mehrere hundert Meter in die Tiefe rauschte und irgendwo dort unten in den Baumkronen verschwand.

Verschanzung


 

~ 3 ~

 

Sie standen so lange an der Klippe und starrten in die Tiefe, bis der Himmel sich rot verfärbte. Tenten sah reglos auf die Stelle, an der Kiba in den Baumwipfeln verschwunden war. Bei ihrer Rangelei hatte sich einer von ihren Haarknoten gelöst, und die braune Mähne fiel ihr über die Schulter. Ein ungewohnter Anblick.

„Ich wollte das nicht“, hauchte sie, die Augen mit Tränen gefüllt. „Erst Neji, jetzt Kiba … Was … Was ist hier los? Ist dieses Ferienhaus verflucht?“ Sie stieß ein wortloses Heulen aus, die Finger gegen den Haaransatz gepresst.

Keiner antwortete. Alle starrten bedrückt in die Tiefe. Sakura fragte sich, wie es so weit hatte kommen können. Waren das noch ihre Freunde, die sich vor ihren Augen und Ohren gegenseitig beschuldigt hatten? Jetzt waren zwei von ihnen tot. Und hatte sie nicht auch darüber nachgegrübelt, wen sie beschuldigen sollte? War sie überhaupt noch sie selbst? Es heißt, dass ein Teil der Seele eines Menschen immer auch in der Seele seiner Freunde lebt. Waren also schon zwei Bruchstücke ihrer Seele unwiederbringlich verloren? Zwei Stücke von dem, was sie ausmachte?

„Und … Und wenn er es überlebt hat?“, fragte Naruto vorsichtig. Niemand war so naiv, das zu glauben. Dennoch schrie der Junge den Namen seines Freundes. Seine Stimme kehrte als Echo wieder, aber die Antwort blieb natürlich aus.

Hinata war es, die an Tenten herantrat und sie in den Arm nahm. „Komm, lass uns gehen.“ So wie vorher Tenten sie von Nejis Leiche fortbugsiert hatte, führte Hinata nun sie weg. Mechanisch wie eine Puppe bewegten sich ihre Beine, und immer noch sah sie Kiba hinterher.

„Wir sollten auch reingehen“, murmelte Sasuke. Sakura nickte.

Naruto schluckte hart und wischte sich mit dem Arm über die Augen. Nur Ino stand noch eine Weile vor dem Abgrund. „Das ist alles meine Schuld“, murmelte sie. „Ich habe euch hierher gebracht. Wenn ich gewusst hätte …“

„Mach dir keine Vorwürfe“, sagte Sakura, fühlte sich selbst jedoch so weinerlich, dass sie am liebsten losgeschluchzt hätte. „Komm.“

Während sie zum Haus zurückgingen, legte sich eine geradezu absurde Stille über den Hügel. „Ich weiß, das ist der falsche Moment, um das zu sagen“, murmelte Ino irgendwann, „aber ich glaube trotzdem, dass Kiba Neji getötet hat. Ich weiß nicht, warum. Aber ich denke, wir können heute Nacht ruhig schlafen.“

„Ruhig?“ Naruto sah sie voller Schmerz an. „Glaubst du echt, wir können überhaupt schlafen, nach allem, was heute passiert ist?“ Er sah zum Himmel hoch, als erwarte er von dort irgendeine Form der Erlösung. „Was ist geschehen, dass wir uns alle plötzlich so sehr gegenseitig fertigmachen? Braucht es wirklich nur irgendeinen fiesen Mörder, um unsere Freundschaft total zu entzweien?“

Sakura fühlte ähnlich. Sie wollte nichts weiter, als ihren Freunden zu vertrauen – und doch, irgendwie, aus irgendeinem Grund, war das nicht möglich. Selbst wenn alles darauf hindeutete, dass jemand sie gegeneinander ausspielen wollte – sie fürchtete, dieses blinde Vertrauen nie wiederzuerlangen. Sie fürchtete, am Boden zu landen, wenn sie sich fallen ließ.

Da sie für das Abendessen nicht nur Reis essen wollten, sollte jemand Eier und Fleisch aus dem See holen. Sakura meldete sich freiwillig. Sie hatte alleine keine Angst, und sie fühlte sich seltsam leer. Selbst als sie bei Neji vorbeiging, glitt ihr Blick zwar über das weiße Betttuch, aber sie fühlte nichts. Das empfand sie als genauso erschreckend wie alles andere.

Als sie die Nahrungsmittel und auch etwas zu trinken aus dem See zog, dachte sie, dass heute Morgen noch Nejis Leiche darin geschwommen war. Das Essen war aber noch frisch verpackt und außerdem kühl und in einer Box gelagert gewesen, also würde es schon gehen. Außerdem war das sowieso alles zu unwirklich, um noch wirklich schrecklich zu sein.

Nach einem Essen, das trotz der vielfältigen Zutaten geschmacklos zu sein schien, wurden Pläne für die Nacht geschmiedet. Sasuke schien der Einzige zu sein, der nicht völlig von Gefühlen überwältigt war. Er schlug vor, jemand solle die Tür bewachen, nur zur Sicherheit. Ihm war der Gedanke gekommen, dass, falls es trotzdem noch einen Unbekannten in diesem Trauerspiel gab, er vielleicht einen nachgemachten Schlüssel zum Ferienhaus besaß. Von der Tür aus konnte man außerdem den gesamten Flur im Blick behalten. Tenten bot sich für diese Aufgabe an, da sie meinte, jetzt sowieso niemals schlafen zu können – und sie gab zu, sich vor den Albträumen zu fürchten, die sie zweifellos heimsuchen würden. Aber niemand wollte ihr zumuten, die ganze Nacht Wache schieben zu müssen.

In einer kurzen Krisensitzung teilten sie die Nacht in Einheiten von anderthalb Stunden ein. Jeder würde eine Wache übernehmen, Tenten die erste, Sakura hatte die zweite Wache um halb zwölf, vor Ino. Dann folgten Naruto, Sasuke, und ab sechs Uhr noch einmal Tenten. Hinata wollten sie schlafen lassen. Das Mädchen hatte den ganzen Tag über kaum ein Wort gesprochen, und auch wenn Sakura ihr zutraute, dass sie im Ernstfall sogar die Nerven behielt, wirkte sie dennoch so zerbrechlich und ängstlich, dass die anderen übereinkamen, sie vom Wachdienst freizustellen.

„Ich kann auch …“, protestierte sie schwach.

„Du legst dich einfach ins Bett und schläfst“, sagte Naruto streng, aber freundlich.

Hinata knetete ihre Hände. „… bei mir“, murmelte sie nach einer kurzen Schweigeminute.

„Was?“

„Kannst du … bei mir bleiben?“, flüsterte sie so leise, dass es Sakura gerade so verstand.

Naruto sah sie überrascht, dann entschlossen an. Fragend warf er einen Blick in die Runde. „Wäre das okay?“

Ino seufzte. „Theoretisch sollten wir ohnehin sicher sein. Wenn Hinata dadurch besser schlafen kann, warum nicht? Was meinst du, Tenten?“

Tenten, die eigentlich mit Hinata im Zimmer geschlafen hätte, zuckte nur mit den Schultern. Ihr Mienenspiel war schon den ganzen Abend über düster und grimmig, und es lag nicht an den tiefdunklen Rändern unter ihren Augen. „Ist mir sogar lieber. Ich schlafe im Gästezimmer. Dann bin ich sofort zur Stelle, wenn was an der Tür passiert.“

Sakura musterte sie genau. Tenten schien entweder entschlossen, sie alle vor neuem Unheil zu beschützen, oder sie glaubte, dass es immer noch einen Mörder gab, den sie um jeden Preis entlarven wollte. Sakura kannte sie nicht so gut, um sich sicher zu sein.

„Niemand schläft in Kibas Bett“, sagte Naruto plötzlich. „Das ist nicht richtig.“

Tenten warf ihm einen abschätzigen Blick zu, wollte etwas erwidern, schien dann aber hin- und hergerissen ob Kibas Sturz von der Klippe, an dem sie nicht ganz unbeteiligt gewesen war.

„Du willst ihr Bett haben, verbietest ihr aber, in einem anderen zu schlafen?“, merkte Sasuke an. Als Naruto grimmig schwieg, fügte er hinzu: „Er ist nicht in seinem Bett gestorben. Und Neji hat auf der Couch geschlafen, willst du uns von dort auch verbannen? Was haben wir davon, wenn wir alle auf dem Boden schlafen?“

Naruto haderte mit sich. „Gut“, meinte er dann. „Sorry. Ist schon okay.“ Er nahm Hinatas Hand, als müsste er sich ablenken. „Ich werde auf dich aufpassen, Hinata. Einmal habe ich selbst Wache, aber sonst bleibe ich bei dir.“

Sie senkte errötend den Blick, nickte aber dankbar.

So wurde die neue Schlafordnung beschlossen. Um zehn Uhr begann Tentens erste Wache. Obwohl dieser Tag alle Versammelten mehr als aufgewühlt hatte, hatte die Erschöpfung doch ihre nagenden Zähne in sie geschlagen, und Ino bestand darauf, dass sie früh ins Bett gingen, um am nächsten Morgen frisch ausgeruht zu sein, falls sie tatsächlich den Marsch durch den Wald in Angriff nehmen würden. Tenten hockte sich mit angezogenen Knien auf den Stuhl, den sie im Flur direkt vor der Eingangstür platziert hatte. In der Hand hielt sie wie ein Westernganove im Film das Gewehr, das Ino ihr überreicht hatte. Die Winchester war zwar nicht geladen, aber mit etwas Glück wusste das ein potenzieller Einbrecher nicht. Am Tisch vor der Treppe stand nun ein Kerzenleuchter, und drei Flammen schenkten dem Flur zaghaftes Licht.

Sakura lag noch lange neben Ino wach und grübelte über diesen schrecklichen Tag nach. Schon komisch, sie betrachtete die Geschehnisse immer noch, als würde sie neben sich stehen, als würden sie sie nicht selbst betreffen. Vermutlich schaltete ihr Verstand einfach eine Sicherung dazwischen, ohne die sie in ein Meer aus Verzweiflung gestürzt wäre.

Im Schneidersitz saß Ino in ihrem kurzen, gelben Pyjama auf dem Bett und werkte halbherzig mit dem Schraubenzieher in den Innereien des Satellitentelefons herum. „Ich geb’s auf“, seufzte sie irgendwann. „Wir werden morgen wirklich zu Fuß ins nächste Dorf gehen müssen.“

Sakura antwortete nicht. Sie fragte sich, ob sie nach diesem Abenteuer je wieder dieselbe sein würde. Ob je wieder einer von ihnen lachen könnte, ohne an die Gesichter ihrer toten Freunde denken zu müssen. Morgen würden sie die Polizei verständigen – vermutlich auch die Bergrettung. Sie machte sich nichts vor; egal, wie weich das Nadeldach der Bäume gewesen war, diesen Sturz konnte Kiba nicht überlebt haben. Morgen würde sie eine neue Welt erwarten, ohne Anarchie und Chaos, mit routinemäßigen Polizeiarbeiten, Zeugenaussagen und all dem Kram, den man als gewöhnlicher Bürger mehr oder minder durch Serien und Filme vermittelt bekam. Sie würden harten Fakten ins Auge sehen, harten Fakten wie dem Tod zwei ihrer besten Freunde, aber es wäre auch das Ende dieser schrecklichen Ungewissheit.

„Okay, lass uns schlafen“, meinte Ino, als sie eine Weile vergeblich darauf gewartet hatte, dass Sakura etwas sagte. Sie stand noch einmal auf, um das Fenster zu schließen. Ino hatte allen eingeschärft, bei geschlossenen Fenstern zu schlafen, um es etwaigen Einbrechern nicht zu leicht zu machen, darum hatten sie und Sakura vor dem Schlafengehen noch einmal ordentlich gelüftet. Die Scharniere quietschten schrecklich; unwillkürlich dachte Sakura an eine zuschwenkende Gefängnistür. Ino löschte die Kerzen auf dem Nachtkästchen und kroch ohne ein weiteres Wort wieder in das Doppelbett.

Sakuras dunkle Gedanken echoten immer noch unter ihrer Schädeldecke. Wie ein Gefängnis … und sie selbst waren die Wärter, bewaffnet mit einem ungeladenen Gewehr.

 
 

- In den Bergen, zweite Nacht -

 

„Die zweite Nacht bricht heran. Die Werwölfe öffnen die Augen und wählen ein neues Opfer. Die Zeit für ein neuerliches Blutbad ist gekommen, und gierig geifernd ziehen sie durch das Dorf. Sie haben ihr Opfer gewählt, umkreisen es, stürzen sich darauf …

Und wir machen weiter wie beim letzten Mal. Bevor übrigens jemand von euch so dumm ist zu fragen: Ich spreche immer in der Mehrzahl von den Wölfen oder von den Dorfbewohnern, egal wie viele von ihnen noch am Leben sind.“
 

Als Sakuras Wecker läutete, hatte sie noch keine Minute geschlafen. Neben ihr drehte sich Ino grummelnd herum. Es war halb zwölf, Zeit für Sakuras Wache. Immerhin bereitete es ihr keine Probleme, aufzustehen und Tenten abzulösen.

Die junge Frau saß noch genauso da, wie sie sie zurückgelassen hatten. Sie hatte die Augen geschlossen, aber als Sakura in den Gang trat, schnellten ihre Lider auf. „Du bist es“, murmelte sie und streckte sich.

Sakura nickte. „Wachablöse. War alles ruhig?“

„Alles ruhig. Sie werden auch kaum schon vor Mitternacht was unternehmen.“ Tenten gähnte herzlich und reichte Sakura die Waffe.

Ein wenig unbehaglich fühlte sie sich schon, als sie die Winchester in den Händen hielt, obwohl sie wusste, dass es im ganzen Haus keine Patronen dafür gab. Tenten nahm einen Schluck aus der Orangensaftpackung, die sie neben der Wand abgestellt hatte. Dann rückte sie den Stuhl zurück. „Ich geh nur mal schnell für kleine Mädchen. Wenn ich viermal klopfe, lass mich wieder rein.“

Sakura nickte und Tenten huschte nach draußen. Ob Kiba tatsächlich Nejis Mörder gewesen war? Ihr wollte nicht einfallen, warum er das getan haben könnte, aber falls es stimmte, war dieses ganze Wacheschieben vermutlich reine Zeitverschwendung.

Nach einer Weile klopfte es viermal gegen das Holz, und Sakura öffnete. „Danke“, flüsterte Tenten. „Ich bin im Gästezimmer. Wenn du irgendwas Ungewöhnliches bemerkst, weck mich.“

Sie verzog sich in Kibas ehemaliges Zimmer vor der Treppe. Unwillkürlich fragte sich Sakura, ob Neji überhaupt der Grund war, wieso die beiden so aneinandergeraten waren. Sicher, wenn man annahm, dass Tenten in Neji verliebt gewesen war und sie Kibas Worte nach dessen Tod deshalb so sehr aufgeregt hatten, konnte man es wohl nachvollziehen – aber diese ganze Logik fußte auf einer Mutmaßung. Wenn es in Wirklichkeit einen ganz anderen Grund gehabt hatte …

Sakura schüttelte den Kopf und befreite sich von diesem Gedanken. Sie wurde allmählich paranoid.

Bis Ino sie um ein Uhr gähnend ablöste, verbrachte sie ihre Wache mit düsteren Grübeleien, aber die einzigen Angreifer, die es gab, schienen ihre eigenen Gedanken zu sein. Hundemüde tappte sie in ihr Zimmer, warf sich auf das leere Doppelbett, und diesmal schlief sie beinahe sofort ein.

 

„Sakura! Sakura, wach auf!“

„Hm?“ Sakura schlug blinzelnd die Augen auf. Schemenhaft erkannte sie Inos Gesicht über sich. „Was ist los?“ Sie setzte sich auf. War etwas passiert? Wie spät war es?

„Schscht! Hörst du das?“

Sakura lauschte verwirrt, hörte jedoch am Anfang gar nichts, dann nur das Pochen ihres Herzens – das mit jedem Moment schneller wurde.

„Jetzt ist es weg“, flüsterte Ino. Ihre Hand hatte sich in den Bezug ihres Kissens gekrallt.

„Bist du sicher, dass du nicht geträumt hast?“, murmelte Sakura hoffnungsvoll. Ihr Blick glitt zu ihrem Wecker, der auf dem Nachtkästchen stand. Die Leuchtzeiger verkündeten kurz nach vier. Draußen war es noch stockdunkel; ohne das sanfte Mondlicht, das durch das Fenster sickerte, hätte sie die Hand vor Augen nicht gesehen.

Plötzlich richtete sich Ino stocksteif auf. „Da! Da war es wieder!“ Ino schwang die Beine aus dem Bett, eilte zum Fenster und riss es auf. Das schrille Quietschen bohrte sich wie eine Nadel in Sakuras Gehörgang.

„Warte – es ist besser, wenn du vom Fenster wegbleibst“, wisperte sie und sprang ebenfalls auf. Ein heftiger Schwindelanfall attackierte sie, und für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen.

Ino sah sie unsicher an, dann duckte sie sich immerhin so weit, dass sie gerade so über dem Fensterbrett ins Freie lugen konnte. „Ich hätte schwören können … Hast du es nicht auch gehört?“

Sakura merkte, dass sie die Luft angehalten hatte. Langsam atmete sie wieder aus und kauerte sich neben ihre Freundin. „Wir sind alle überspannt“, sagte sie beruhigend und legte ihr die Hand auf den Arm. „Da ist nichts. Nur die Ruhe.“ Sie wünschte, sie könnte selbst ihre Ruhe wiederfinden. Auch ihre eigenen Träume waren verseucht gewesen von im Wasser treibenden Leichen und Bergen, die über ihren Freunden zusammenstürzten.

Ino atmete zittrig aus. „Es hat sich angehört wie ein Motor“, flüsterte sie.

„Ein Motor?“

„Ein ganz leises Brummen.“

„Wie von dem Van?“

Ino schüttelte den Kopf. „Unmöglich. Der lässt sich schließlich nicht mehr starten – es muss etwas anderes gewesen sein.“

Sakura fröstelte. Ein Fahrzeug, hier? Die Augen zusammengekniffen, versuchte sie etwas in der Dunkelheit draußen zu erkennen, aber die nahe Felswand und die fernen Berge waren nur finstere Schatten, und alles davor ein Mischmasch aus dunkelgrauen bis schwarzen Schlieren. Aber war dort nicht etwas, ein finsterer Fleck, schwärzer als das Gras, wie ein Tintenklecks? Etwas – oder jemand? Jemand, der sie beobachtete. Sakuras Augen wurden feucht, eine Gänsehaut überkam sie. Stand dort nicht jemand und starrte ihnen aus unheimlichen, unsichtbaren Augen entgegen?

„Vielleicht ist jemand einfach durch den Wald gefahren“, schlug sie vor. Sie verfluchte sich dafür, dass ihre Stimme so zitterte.

„Möglich …“ Inos Stimme klang nicht fester, und schon gar nicht klang sie überzeugt.

Mittlerweile war Sakura hellwach. Die frische Luft und das unangenehme Gefühl, von jemandem hämisch beobachtet zu werden, übertünchten die bleierne Müdigkeit, die sie gegen Ende des Vortages befallen hatte.

„Wir machen das Fenster zu“, sagte Ino entschlossen, mehr an sich selbst gewandt, drückte die Scheibe zu und verriegelte sie. „So. Die anderen sollten sie auch geschlossen lassen. Wer auch immer da draußen ist, er kann unmöglich herein.“ Sie hielt inne. „Wie spät ist es?“

„Kurz nach vier.“

„Dann hat Sasuke gerade Wache, oder? Gut, der wird zur Not die Nerven behalten.“

„Meinst du denn, sie versuchen einzubrechen?“ Sakura behagte der Gedanke ganz und gar nicht – es behagte ihr schon nicht, dass sie nun wieder annahmen, es gäbe noch einen Feind dort draußen. Die genauen Umstände von Nejis Tod waren noch nicht geklärt, aber es bestand eine gute Möglichkeit, dass er im Haus ermordet worden war. Außerdem waren der oder die Täter auch an das Satellitentelefon, den Autoschlüssel, den Teppich und möglicherweise den Drohbrief herangekommen. „Sag mal … gibt es von dem Hausschlüssel eigentlich ein Duplikat?“

Ino überlegte. „Nicht, dass ich wüsste … Das heißt, wir haben schon einen Ersatzschlüssel, aber der ist bei meinen Eltern zuhause. Hier im Ferienhaus ist der, der momentan in der Tür steckt, der einzige.“

„Aber es wäre prinzipiell möglich, ihn zu kopieren, oder? Wenn ihn jemand von euch zuhause gestohlen hätte, oder einen Abdruck von diesem hier gemacht hätte, als wir gerade nicht hingesehen haben …“

„Ich weiß, worauf du hinauswillst.“ Ino schluckte hörbar. „Aber es ist eine alte Tür mit einem Zylinderschloss. Wenn innen der Schlüssel steckt, kommt man von außen nicht rein, egal was man tut.“

Sie kletterten wieder ins Bett, doch keine der beiden machte Anstalten, sich hinzulegen. Stattdessen blieben sie einander gegenüber sitzen, wie zwei Freundinnen, die im Urlaub spät nachts noch tratschten. Nur dass dies hier kein gemütlicher Plausch war.

„So betrachtet, ist das Wacheschieben eigentlich überflüssig“, spann Ino den Gedanken weiter. „Es ist eher so, dass derjenige, der im Flur steht, das ganze Haus überblicken kann. Wie ein Aufseher in einer Jugendherberge.“

„Sasuke hatte die Idee“, erinnerte sich Sakura. „Meinst du, er denkt auch, dass einer von uns Neji umgebracht hat?“

Ino zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Ich weiß es nicht.“

„Und was denkst du?“

Diesmal ließ sich ihre Freundin mit ihrer Antwort Zeit und legte sich jedes Wort genau zurecht. „Ich denke, wir sind hier im Haus sicher. Solange die Fenster und die Tür geschlossen bleiben. Wenn da draußen jemand lauert, der imstande ist, das Holz aufzubrechen, haben wir vermutlich eh keine Chance gegen ihn.“

„Wir haben die Messer in der Küche“, erinnerte Sakura sie.

„Richtig. Aber das Prinzip bleibt dasselbe. Wenn der Mörder Neji in der Nacht erstochen hat, dann fehlen ihm vielleicht die Mittel, uns am helllichten Tag anzugreifen.“

„Gehen wir noch mal die Möglichkeiten durch“, sagte Sakura, einfach um sich zu beruhigen. „Wir beide sind hier. Tenten schläft allein im Gästezimmer, Sasuke im Wohnzimmer. Allein zu sein ist in unserem Fall schlecht, es sei denn …“

„Es sei denn, der Zimmerkollege ist ein Mörder“, vervollständigte Ino den Satz, den Sakura nicht hatte aussprechen wollen. „In diesem Fall ist man in einem Einzelzimmer am sichersten, solange die Wache ihren Dienst gut versieht.“

„Das aber auch nur, wenn der Wachposten nicht der Mörder ist. Dann ist man in einem Einzelzimmer wahrscheinlich geliefert. Oder wenn er jemanden von draußen hereinlässt, es muss ja gar nicht absichtlich sein.“ Sakura stöhnte auf und warf sich auf ihre Matratze. „Wir kommen keinen Schritt weiter“, jammerte sie. Und beruhigt hatte sie dieses Gespräch auch nicht. Im Gegenteil, allein sich ihre Freunde als Mörder vorzustellen, hatte ihr Übelkeit beschert.

„Vielleicht machen wir uns auch umsonst Sorgen“, beschwichtigte sie Ino und legte sich ebenfalls wieder hin. „Lass uns schlafen. Morgen machen wir uns auf den Weg ins nächste Dorf oder meinetwegen auch zu diesem Bauernhof, dann hat der Albtraum ein Ende.“

„Hoffentlich“, murmelte Sakura.

Diesmal dauerte es noch länger, bis sie in Orpheus‘ Arme fand. Ständig spukten ihr Möglichkeiten durch den Kopf, wie ein Mörder agieren könnte, sowohl welche, in denen sie völlig sicher waren, als auch solche, die man nur als Worst-Case-Szenarien beschreiben konnte.

Die Worst-Case-Szenarien überwogen.

 
 

- In den Bergen, zweiter Tag -

 

„Der zweite Tag bricht an. Die Sonne steigt hoch hinauf, und die Dorfbewohner erwachen.“

 

Ihr Schlaf war diesmal nur sehr kurz und unruhig, und als Sakura die Sonne aufweckte, fühlte sie sich wie gerädert. Ein wenig döste sie noch, um der Realität zu entfliehen, dann weckte sie ihr Pflichtgefühl endgültig. Sie hatten einen langen Marsch vor sich, und sie durfte auch nicht verpassen, was im Haus vorging. Außerdem war Ino wieder vor ihr aufgestanden, und Sakura wollte nicht zu lange von den anderen getrennt sein. Sie wusste nicht, ob aus Sicherheitsgründen, oder weil sie nicht wollte, dass man sie verdächtigte.

Als sie die Küche betrat, begrüßte sie der Gestank von Verbranntem. Sie rümpfte die Nase. „Was ist denn hier passiert?“

„Das riecht schon seit meiner Schicht so“, sagte Sasuke, der am Tisch saß, eine große Kaffeetasse vor sich, die noch dampfte. Offenbar war er ebenfalls erst aufgestanden. Er deutete auf eine Pfanne, in der schwarz verbrannte Reiskörner klebten.

„Irgendjemand war so schlau, sich in der Nacht was zu essen zu machen und die Pfanne auf dem Ofen stehenzulassen“, grummelte Ino, die mal wieder dabei war, so etwas wie Frühstück zuzubereiten. Sie erwärmte eben Öl in einer zweiten Pfanne und hatte Mehl und Zucker in einer Küchenwaage abgewogen. „Als ich mit Wacheschieben dran war, hat es jedenfalls noch nicht gestunken. Also muss es Naruto gewesen sein. Der kann was erleben, wenn er hier aufkreuzt! Die Pfanne schrubbt er mir höchstpersönlich.“

„Naruto ist halt mehr der Typ für Instant-Ramen“, seufzte Sakura und setzte sich Sasuke gegenüber. „Kann ich auch eine Tasse Kaffee haben? Ich bin hundemüde.“ Sasuke schob ihr wortlos die Kanne hin, Ino brachte ihr flink eine Tasse.

Die Eingangstür ging auf, und Tenten kam herein. „Morgen“, sagte sie, weniger euphorisch, als man es von ihr gewohnt war. In der Hand hielt sie eine Viererschachtel Eier, die sie Ino überantwortete. Anscheinend gab es heute Morgen Pfannkuchen. Als Sakura die anderen drei musterte, stellte sie fest, dass einer schlechter aussah als der andere. Sasuke hatte sie noch nie so wortkarg erlebt, Tenten sah man ihr doppeltes Wachpensum deutlich an, und Ino hatte wahrscheinlich dreimal so viel Makeup aufgetragen, um die dunklen Ringe um ihre Augen zu kaschieren. Sakura wollte gar nicht erst wissen, wie fürchterlich sie selbst aussah.

Als die Pfannkuchen sauber auf einem Teller gestapelt auf dem Tisch standen, sah Ino stirnrunzelnd zur Decke. „Jemand sollte diese zwei Langschläfer wecken gehen. Wenn wir heute losmarschieren wollen, sollten wir nicht wieder so lange damit warten.“

„Ich hole sie“, sagte Tenten und machte sich auf den Weg in den Flur. Kurz darauf hörte man die Treppe unter ihrem Gewicht knarren.

„War alles ruhig während deiner Wache, Sasuke?“, fragte Sakura, um ein Gespräch in Gang zu bringen. Sie hielt die drückende Stille nicht länger aus.

Sasuke sah einen Moment zwischen den beiden Frauen hin und her, dann machte er den Mund auf – und noch ehe er einen Ton von sich geben konnte, wurde er unterbrochen.

Tentens heller Schrei gellte durch das Haus.

Wie von der Tarantel gestochen sprangen die drei auf. Nein!, war das Einzige, was Sakura in den Sinn kam. Sie befürchtete das Schlimmste. „Wartet!“, rief Ino, als Sakura und Sasuke nach oben laufen wollten. Sie riss eine Schublade auf und verteilte drei große Messer, eines für jeden von ihnen.

Die Spitzen gesenkt, trampelten sie die Treppe hoch. Sakura fiel auf, dass sie noch gar nie im ersten Stock gewesen war. Die Treppe führte auf eine schmale Balustrade, von der nur eine einzige Tür abzweigte. Das Schlafzimmer lag halb über dem Flur, halb über dem Wohnzimmer, und nahm das komplette obere Stockwerk ein.

Tenten stand in der Tür und blockierte die Sicht ins Innere des Zimmers. Sasuke erreichte sie als Erster, drängte sich an ihr vorbei und blieb ebenfalls wie vom Donner gerührt stehen.

Sakura hatte keine Gelegenheit, das Zimmer, das eindeutig das luxuriöseste in der Hütte war, zu begutachten. Ihr Blick heftete sich auf das große Doppelbett. Sie hatte das Schlimmste angenommen, aber was auch immer sie sich ausgemalt hatte, das hier war schlimmer.

Lynchjustiz


 

~ 4 ~

 

„Diesmal gibt es zwei Opfer. Es sind … Hinata und Naruto! Beginnt mit der Abstimmung.“

 

Das Bett war blutbesudelt, das einst weiße Laken starrte vor dunklen Flecken. Sakura hatte noch nie in ihrem Leben so viel Blut gesehen. Es schien Narutos zu sein; er lag gekrümmt auf der rechten Betthälfte, die Kehle ein breites, rotes Lächeln. Seine Augen starrten ins Leere wie Glasperlen, seine Haut war kreideweiß. Sein Unterhemd war einst hellgrau gewesen, nun hatte es eine grässliche, rotbraune Farbe.

Neben ihm lag Hinata. Wären ihre Augen geschlossen gewesen, hätte man meinen können, sie hätte geschlafen, während Naruto gestorben war. Auch ihr Hals war verletzt, allerdings war nur wenig Blut zu sehen. Sakura war keine Fachfrau, aber es sah aus, als wäre sie mit etwas sehr Dünnem, Stabilem erdrosselt worden.

Obwohl sie außer dem Kaffee nichts zu sich genommen hatte, rebellierte Sakuras Magen, und sie presste sich die Hand vor den Mund, als sie Galle auf ihrer Zunge schmeckte.

„Nein!“ Ino stieß sie grob zur Seite und ließ sich neben Hinata zu Boden fallen. „Hinata! Naruto! Das … Scheiße! Scheiße, Scheiße, Scheiße! Warum konnte das passieren? Warum haben wir das nicht kommen sehen?“

Ihr Schrei weckte Sakura aus ihrer Starre, und sie heulte auf. Erst Neji, dann der Unfall mit Kiba … und nun Hinata, und Naruto, ihr bester Freund! Sie lagen hier, tot, während sie unten auf sie gewartet, vielleicht sogar schon, als sie noch friedlich geschlafen hatten … Sakura brach vor Narutos Betthälfte zusammen. Tränen strömten über ihr Gesicht. Nicht auch noch diese beiden! Warum? Wer tut so etwas? Binnen zwei Tagen sollte nur noch die Hälfte ihrer Gruppe am Leben sein? So hatte sie sich diesen Urlaub nicht vorgestellt, ganz sicher nicht!

Sie hatte es längst aufgegeben, auf ein Erwachen aus diesem Albtraum zu hoffen. Selbst wenn sie den Tod all ihrer Freunde nur träumte, würde sie auf ewig in diesem Traum gefangen sein. Nur ihr eigener Tod würde sie vermutlich retten. In diesem Moment zog sie sogar in Erwägung, sich einfach auch die Klippe hinunter zu stürzen.

Tenten kam mit wackeligen Beinen näher. Sie war weiß wie die Wand und murmelte irgendetwas vor sich hin.

„Verdammt“, murmelte auch Sasuke leise.

„Verdammt?“, fuhr Ino ihn an. „Ist das alles, was dir dazu einfällt? Es ist schon wieder jemand von uns gestorben – zwei sogar!“

„Das sehe ich.“ Sasuke hob herausfordernd die Augenbrauen. „Und ich habe auch gesehen, wie du gestern um das Haus herumgeschlichen bist. Willst du uns nicht sagen, was du wirklich dort draußen getan hast?“

Ino schnappte empört nach Luft. „Was zum … Das stimmt doch gar nicht!“

„Dann hat wohl heute Nacht ein Geist angeklopft und mich gebeten, ihn rein zu lassen?“

„Was redest du da überhaupt? Versuchst du mir hier was in die Schuhe zu schieben?“, zischte Ino. „Ich war die ganze Zeit in unserem Zimmer! Wie hätte ich denn überhaupt nach draußen kommen sollen? Falls du die Tür ordentlich bewacht hast, heißt das.“

„Hört schon auf“, schluchzte Sakura. „Ich bin es leid, dass wir uns ständig gegenseitig beschuldigen. Habt ihr vergessen, was letztes Mal passiert ist?“ Sie schüttelte sich. Was geschah hier? Vor wenigen Stunden noch hatten sie überlegt, wie ein Killer zuschlagen könnte. Dass es unsicher war, allein zu schlafen, wenn sich jemand ins Haus schlich oder der Wächter ein Mörder war. Dass es unsicher war, zu zweit zu schlafen, wenn der Zimmerkamerad sich als Mörder entpuppte.

Aber diese grausige Szene warf alle Überlegungen über den Haufen und verarbeitete sie zu Kleinholz. Beide waren tot. Es war nicht etwa einer von ihnen ein Mörder, Hinata und Naruto waren definitiv beide tot.

Schweigen breitete sich aus. Tenten, die Fäuste geballt, ging zum Fenster auf der rechten Seite des Raumes. „Seht mal“, sagte sie düster.

Das Fenster stand sperrangelweit offen. Sakura war aufgefallen, dass es recht kühl war, aber sie hatte dem Raum noch keine Beachtung geschenkt. Etwas mehr als einen Meter unter dem Fenster lag der Geräteschuppen. Im Wellblech, das ihn bedeckte, war eindeutig eine kleine Delle zu sehen.

„Der Mörder ist durch das Fenster geflohen“, sprach Tenten das Offensichtliche aus. „Er ist hinausgesprungen, auf den Schuppen, und dann vermutlich auf den Boden.“

„Der Schuppen ist gute zwei Meter hoch“, sagte Ino. „Wenn er da hinuntergesprungen ist, hat er sicher Abdrücke im Gras hinterlassen, oder er hat sich sogar dabei verletzt … Vielleicht finden wir eine Spur, vielleicht erwischen wir ihn irgendwo im Wald!“

Sie wollte nach draußen laufen, doch Sasuke packte ihr Handgelenk. „Es wäre dumm, jetzt loszurennen“, sagte er drohend. „Außerdem bist du mir eine Antwort schuldig geblieben.“

„Fängst du schon wieder damit an?“, fauchte Ino ihn an. „Ich war nicht im Freien, zum Teufel noch mal!“

„Wir haben draußen etwas gehört“, warf Sakura ein. „Bist du sicher, dass es Ino gewesen sein soll?“

„So sicher, wie ich hier stehe.“

„Ach?“, machte Ino mit hohntriefender Stimme. „Und du bist nicht zufällig selbst draußen herumgeschlichen? Naruto hatte nach mir Wache. Ich hab ihm das Gewehr gegeben. Nach ihm warst du dran – seltsam, oder? Du hattest die perfekte Gelegenheit. Du könntest ihn bei der Wachablöse hinterrücks angegriffen haben, oder du hast dich während deiner Wache hier ins Zimmer geschlichen, was von beiden war’s?“

 „Schalt doch mal dein Hirn ein“, knurrte Sasuke. „Wenn es meine Wache gewesen wäre, warum hätte ich dann durchs Fenster springen sollen? Ich hätte doch einfach wieder die Treppe hinunterspazieren müssen. Außerdem, glaubst du, ich hätte beide töten können, ohne dass sie zumindest schreien?“

Sakura warf einen Blick auf die beiden Leichen. Immer noch fand sie es eine schreckliche, tieftraurige Tragödie, die Gesichter der beiden leblos und von Entsetzen gezeichnet zu sehen, aber hinter all dem Schmerz lauerte bereits eine Wand aus Gleichgültigkeit, ein Schutzwall, den ihr Verstand ausfahren wollte. Sakura stumpfte ab. Vielleicht war das notwendig, um in diesen irren Bergen nicht wahnsinnig zu werden, aber Sakura wollte es nicht. Sie wollte weiterhin um ihre Freunde trauern können, den Schmerz spüren. Sonst, das wusste sie, hätte sie etwas davon verloren, was einen Menschen ausmachte, und sich unwiederbringlich verändert.

„Können wir das vielleicht draußen besprechen?“, fragte sie mit erstickter Stimme.

„Wartet noch.“ Tenten war an Naruto herangetreten und berührte ihn vorsichtig.

„Was machst du da?“, rief Ino entsetzt.

„Die Leichenstarre ist noch nicht sehr ausgeprägt, soweit ich das sagen kann“, murmelte die junge Frau, die bereits jegliche Hemmungen verloren zu haben schien. „Ihr Tod ist noch nicht lange her.“

Sakura schluckte. „Lass ihn los.“ Als Tenten weiterhin versuchte, Narutos Arme und Kopf zu verdrehen, sagte sie schärfer: „Lass ihn zufrieden!“ Es schien ihr falsch, ihn anzufassen. Alles hier war falsch; es war falsch, dass die beiden hier tot vor ihnen lagen, und es war falsch, dass Tenten an ihnen herumwerkte! Die Ohnmacht und die Angst schwenkten in Ärger um, dem sie ein Ventil geben konnte. Tenten machte Anstalten, auch noch Hinatas Glieder zu verrenken, und Sakura stieß sie grob weg. „Du sollst das bleiben lassen, hab ich gesagt!“

Tenten starrte sie an, als wäre ein Wutausbruch das Letzte gewesen, das sie von Sakura erwartet hatte. „Ich versuche doch nur, den Mörder zu finden!“, rechtfertigte sie sich. „Hast du da etwa was dagegen?“ Ihre Augen blitzten kampfeslustig. Sakura war für den Moment sprachlos.

„Wenn die Polizei kommt, wird sie den genauen Todeszeitpunkt schon feststellen“, sagte Ino schnell und warf Sasuke einen abschätzigen Blick zu. „Dann wissen wir ja, während wessen Wache es passiert ist.“

„Oder wir sind bis dahin alle tot.“ Tentens Miene wurde von Sekunde zu Sekunde düsterer, je länger sie in diesem Raum blieben. Wahrscheinlich war es kein Wunder.

Sakura entdeckte etwas neben dem Bett, auf Hinatas Seite. Auf dem Boden war ein scheinbar leeres Wasserglas zerschellt, das vom Nachtkästchen gefallen sein musste. Daneben lag Hinatas Smartphone. Das Glas war zu einem feinen Spinnennetz zersprungen, aber ansonsten war das Gerät intakt. Sakura hatte irgendwie gehofft, die Zeitanzeige darauf wäre in dem Moment stehen geblieben, in dem das Handy zu Boden gefallen war.

Als sie sich danach gebückt hatte, war ihr noch etwas aufgefallen. Halb unter dem Bett lag ein zerknülltes Blatt Papier. Sofort griff sie danach. Sie konnte nicht glauben, dass es zufällig hier lag – nichts in diesem Raum war zufällig. Vielleicht eine Nachricht von Hinata oder Naruto?

Es war eine Nachricht des Mörders, zusammengesetzt aus kleinen Sternchen, die mit einem Kugelschreiber gezeichnet worden waren – keine Chance, eine Handschrift zu erkennen.
 

Fehlen noch 2.
 

Sakura lief es zum wiederholten Male eiskalt den Rücken runter. Tatsächlich. Es hatte schon bei der Entdeckung der jüngsten Leichen keinen Zweifel mehr daran gegeben, aber nun war es offiziell. Die Mörder lebten noch. Kiba war ein unschuldiges Opfer gewesen. Vielleicht wollte man sie tatsächlich gegeneinander aufstacheln, aber falls nicht … die Auswahl wurde immer kleiner, und wenn man annahm, dass zwei hier im Raum gegen die anderen arbeiteten, dann ließen sich die Morde tatsächlich einfacher erklären. Immerhin – ein Außenseiter hätte sich heute Nacht keinen Zutritt zu diesem Haus verschaffen können. Es musste einfach jemand von ihnen gewesen sein! Oh, verdammt!

„Was hast du da?“ Tenten riss ihr den Zettel aus der Hand. „Fehlen noch 2? Die Bastarde geben es auch noch zu! Sie wollen uns alle umbringen!“

Ino und Sasuke waren immer noch damit beschäftigt, zu streiten. Mittlerweile pochte Sakuras Herz so schnell, dass sie gar nicht mehr versuchte, die beiden zu trennen. Abwechselnd wurde ihr heiß und kalt. Wie hatte sie es nur nicht sehen können? Einer von ihnen war der Täter. Zwei sogar, wenn die Nachricht stimmte. In der ersten Nacht hatte jemand das Telefon im Wohnzimmer manipuliert und die zweite Drohung darin platziert. Dafür musste er zumindest an Sasuke und Naruto vorbeigekommen sein. Und in dieser Nacht hatte immer einer von ihnen Wache gehalten – theoretisch jedenfalls. Jeder von ihnen hätte die Gelegenheit gehabt, Naruto und Hinata zu ermorden, außer denjenigen, die vor Naruto Wache geschoben hatten. Das ließ nur noch wenig Spielraum zu …

„Naruto hat sich in der Nacht Reis gebraten, hast du gesagt“, sagte Sasuke soeben. „Von der Küchenzeile aus sieht man die Eingangstür, aber nicht den Flur. Du könntest dich an ihm vorbeigeschlichen haben, als er gerade mit Kochen beschäftigt war. Dann hast du Hinata ermordet, auf Naruto gewartet und auch ihn getötet, bist aus dem Fenster gesprungen und dann durch die Eingangstür spaziert. Du kannst nicht leugnen, dass das möglich wäre.“

„Klar, weil ich ja die ganze Nacht warten würde, ob Naruto nicht vielleicht rein zufällig auf die Idee kommt, sich mal kurz was zu essen zu machen“, spottete Ino. „Jaja, ich weiß, du hältst ihn nicht für besonders helle, aber er würde nie so lange in der Küche verschwinden, ohne nicht ab und zu in den Flur zu spähen! Wieso bist du so fixiert auf mich?“

„Dir gehört das Haus. Allein das macht dich verdächtig“, mischte sich Tenten ein.

Ino lachte trocken, fast hysterisch auf. „Jetzt macht aber mal ‘nen Punkt, ja? Das Haus ist so klein, dass auch jeder, der zum ersten Mal hier ist, sich sofort zurechtfindet. Wenn ihr mich schon beschuldigt, dann bringt wenigstens irgendwelche Beweise vor!“ Sie hielt abwechselnd ihr Messer in Tentens und Sasukes Richtung. „Ich warte!“

Tenten war zurückgewichen. Vermutlich ging ihr erst jetzt auf, dass sie als Einzige in diesem Raum unbewaffnet war. „Nimm das runter“, murmelte sie. „Du benimmst dich wie Kiba.“

„Wer sagt, dass Kiba nicht unschuldig war? Und du hast ihn über die Klippe gestoßen!“ Ino streckte das Messer nach Tenten aus, die sich auf die Unterlippe biss. „Und ich verrate euch noch was. Als ich heute Morgen aufgestanden bin und Frühstück machen wollte, was habe ich da vor der Tür angetroffen?“ Tenten öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Ino redete einfach weiter. „Richtig! Eine seelenruhig schlafende Tenten! Du hast so schön gepennt, dass du fast vom Stuhl gefallen wärst – oder hätte ich das nicht verraten sollen?“

Tenten schnappte nach Luft und lief rot an. „Ich … Das war …“

„Jaja, ich weiß schon. Der Tag war anstrengend, und du hast sowohl die erste als auch die letzte Wache übernommen. Zumindest scheinst du bei der ersten alles richtig gemacht zu haben – oder hat sie da auch geschlafen, Sakura?“

Sakura brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass sie gemeint war. „Äh, nein. Sie war wach.“

„Wenigstens etwas. Aber da war Naruto noch am Leben, und Hinata höchstwahrscheinlich auch!“

Tenten schluckte. „Worauf willst du hinaus?“, murmelte sie kleinlaut, obwohl ihr klar sein musste, was Ino meinte.

„Während du geschlafen hast, hätte sich jeder hier raufschleichen und die beiden im Schlaf töten können. Das ganze Wacheschieben war für die Katz!“

„Ich habe nicht lange geschlafen!“, protestierte Tenten. „Höchstens ein paar Minuten! Und wenn jeder die Gelegenheit gehabt hätte, schließt das dich mit ein, Frau Frühaufsteher!“

„Wie gesagt, ich glaube nicht, dass ein einzelner Angreifer beide hätte töten können, auch nicht im Schlaf“, sagte Sasuke. „Hinata ist erwürgt worden, allein das braucht Zeit.“

„Dann ist das der Beweis, dass die Angreifer zu zweit sind“, sagte Ino. „Es würde eine Menge erklären.“

„Ich habe Narutos Leiche überprüft“, sagte Tenten und zwang sich zur Ruhe.

„Ja, das habe ich gesehen. Schon mal was von Totenruhe gehört?“

„Es ist nicht mal eine Stunde her, seit du mich geweckt hast; wenn jemand diesen Moment genutzt hätte, gäbe es noch keine Leichenstarre!“

„Du kannst behaupten, was du willst, du hast schließlich als Einzige diese angebliche Leichenstarre bemerkt“, zischte Ino.

„Dann sieh dir die beiden doch selbst an!“

„Niemand rührt die beiden an!“, rief Sakura dazwischen. „Das reicht jetzt wirklich! Wir überlassen das der Polizei, und fertig!“

„Du scheinst nicht zu verstehen, Sakura“, erwiderte Sasuke. Er hob kaum merklich die Spitze seines Messers, und man spürte immer deutlicher die Spannung, die in der Luft lag. „Wir können nicht einfach warten. Ino ist die Täterin. Ich bin mir sicher. Sie wird uns auch noch töten, wenn sie die Gelegenheit dazu hat.“

„Ich bin Sasukes Meinung“, erklärte Tenten und stellte sich neben ihn. Vielleicht hatte sie gemerkt, dass ihr gar nichts anders übrig blieb, als für eine Seite Partei zu ergreifen. Die Messer waren blitzend scharf und spitz.

„Kiba hatte euch beide schon in Verdacht“, murmelte Ino düster. „Und ihr habt ihn mehr oder weniger zum Schweigen gebracht. Oder bist du nur auf Sasukes Seite, weil er nach der ersten Nacht für dich ausgesagt hat, Tenten?“

„Vielleicht spielt das auch eine Rolle, immerhin weiß ich, dass er in dieser Hinsicht die Wahrheit gesagt hat. Und was er sagt, klingt logisch“, sagte die andere Frau.

„Gib’s zu, Ino. Ich habe dich heute Nacht gesehen. Du hattest auch Gelegenheit, den Zettel im Satellitentelefon zu verstecken“, fügte Sasuke hinzu.

„Ihr verdammten Lügner“, stieß Ino hervor. „Und was ist mit Neji? Glaubt ihr, ich hätte ihn alleine und in einen verdammten Teppich gewickelt bis zum See schleppen können? Und wie bin ich eurer Meinung nach an den Autoschlüssel gekommen, den er angeblich im Wohnzimmer abgelegt hat? Das Ganze stinkt doch zum Himmel!“

Beide Messerspitzen zeigten nun aufeinander. Ino sah aus, als würde sie bald auf Sasuke losgehen, und Sasuke sah aus, als würde er das begrüßen. Hört doch auf, dachte Sakura. Ist in diesem Zimmer nicht schon genug Blut geflossen? Doch sie brachte diese Worte nicht hervor. In ihrem Kopf drehte sich alles. Ihr war übel, und sie hatte das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen. Irgendetwas stimmte hier nicht, etwas Verdrehtes, Verkehrtes war hier im Gange, doch ihre Gedanken waren zu sehr von Blut und Entsetzen belegt, als dass sie herausfinden könnte, was.

„Sakura, komm hier herüber“, sagte Sasuke. „Man kann ihr nicht trauen.“

„Sakura, lass dich bloß nicht von ihren Worten einlullen!“, warnte Ino.

Sakura sah auf. Wie war das? Sie musste sich also zwischen einem der beiden Lager entscheiden? Zwischen ihren Freunden?

„Sasuke war nach Naruto für die Wache eingeteilt“, sagte Ino. Ihr Atem ging schnell. „Tenten hat gleich in seiner Nähe im Gästezimmer geschlafen. Die beiden hatten mehr als genug Gelegenheit, Hinata und Naruto zu überraschen und sich eine Geschichte auszudenken, in der ich angeblich als Todesfee ums Haus geschlichen bin!“

„Das bist du auch“, beharrte Sasuke und klang nun zornig. „Ich habe um vier Uhr Naruto abgelöst, und zwanzig Minuten später bist du vor der Tür gestanden.“

Da fiel es Sakura wie Schuppen von den Augen. „Nein“, hauchte sie. Durch ihre Hand, die das Messer hielt, ging ein Zucken. „Du bist es, Sasuke.“

Seine Augen wurden schmal. „Wie war das?“

Jetzt trat sie näher, stellte sich an Inos Seite. „Ino kann gar nicht um diese Zeit vor der Tür gewesen sein. Sie war bei mir im Zimmer, wir waren wach und haben geredet!“

Ino sah Sakura dankbar an. Tenten zuckte zusammen und sah zwischen den anderen dreien hin und her, doch sie fing sich schnell. „Das habt ihr euch ja fein ausgedacht“, sagte sie böse. „Warum sollten wir dir glauben? Du warst bisher immer seelenruhig, hast nur zugesehen, während wir einander beschuldigt hatten!“

„Ich habe immer wieder versucht, euch zu trennen, aber es hört ja niemand auf mich!“, brauste Sakura auf.

„Dann steckt ihr offensichtlich unter einer Decke.“ Sasuke seufzte. „Das hätte ich nicht von dir gedacht, Sakura.“

„Was ist denn das für eine Einstellung?“, empörte sich Sakura, die spürte, wie der Streit und der Misstrauensstrudel sie mehr und mehr erfasste. „Was ist mit dir und deinen Anschuldigungen?“

„Ich hätte es wissen müssen.“ Tenten ballte die Fäuste. „Jeder, der in einem Zweierzimmer schläft, ist doch automatisch verdächtig!“

„Du meinst, so verdächtig wie diese beiden?“ Ino nickte in Narutos und Hinatas Richtung. „Wahrscheinlich hatten wir einfach Glück, dass ihr nicht in unser Zimmer gekommen seid, was? Ich hätte euch beide nie hierher bringen dürfen!“

„Jetzt ist das Maß voll!“, spie Tenten ihr entgegen. „Leg das verdammte Messer weg, dann sehen wir ja, wie mutig du bist!“

„Kein Interesse“, höhnte Ino. „Sasuke, du legst das Messer weg. Wir sind zwei gegen einen. Wir fesseln euch beide und lassen euch hier zurück. Soll die Polizei entscheiden, was mit euch geschieht.“

Ja, bitte, ergebt euch doch einfach, dachte Sakura. In ihrem Kopf drehte sich alles, als wäre sie betrunken. War das der Schlafmangel? Nein, wohl eher psychische Erschöpfung. Seit gestern tat sie nichts als grübeln, grübeln, grübeln. Und daran zu verzweifeln, dass absolut nichts, was sie sagte oder tat, ihre Lage verbessern konnte. Sasuke, wie konntest du? Wir haben dir vertraut! Wir hatten gehofft, dass du noch derselbe bist, als du nach so langer Zeit zurückgekommen bist. Was waren wir doch dumm.

„Wenn ich mich ergeben soll, versuch doch, mir das Messer abzunehmen“, sagte Sasuke überheblich. „Aber glaub nicht, dass ich mich nicht wehre. Ich werde auch mit euch beiden fertig.“

In Inos Augen blitzte eine Wut auf, die Sakura nicht gefiel. „Tu, was sie sagt, Sasuke!“, rief sie hysterisch. „Das ist doch alles lächerlich!“

Sasuke blieb stur.

„Leg. Das. Messer. Weg.“ Inos Stimme wurde schrill.

„Sasuke, komm, wir hauen ab!“, rief Tenten.

Sakura hoffte inständig, dass niemand durchdrehte, obwohl sie spürte, dass sie selbst am Limit war. Sasuke ist ein Lügner … Wie gefährlich ist Tenten? Ich kann keinem von beiden trauen.

„Wenn du willst, dass ich das Messer weglege, musst du mir wohl die Hand abschneiden“, provozierte sie Sasuke.

„Wie du willst“, zischte Ino kaum hörbar und schoss davon wie eine Pistolenkugel.

„Nein!“, keuchte Sakura, doch ihre Hand griff ins Leere.

Tenten wollte hinzustürzen, aber Sasuke stieß sie weg. Sakura widerstand dem Impuls, das Gesicht in den Händen zu vergraben.

Zwei Körper prallten gegeneinander, zwei Klingenspitzen stießen in Fleisch, eine knirschend, eine schmatzend. Inos Schrei gellte misstönend durch das Haus, Sasukes Knurren war der Bass. Sakura wusste nicht, wer wen wo getroffen hatte, dann sah sie das Blut zu Boden tropfen.

Tenten sog scharf die Luft ein. Mit erhobenen Fäusten sprang sie auf die beiden zu, aber Sakura schnitt ihr den Weg ab, das Messer drohend erhoben. „Zurück!“, keuchte sie.

Tenten öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann hob sie nur entwaffnend die Hände und wich zurück, bis sie gegen die Wand stieß. Sakura ging tiefer in den Raum hinein, um sie im Auge zu behalten und einen Blick auf Sasuke und Ino zu werfen. Es graute ihre davor, genau zu erkennen, was geschehen war.

Noch mehr Blut platschte in die Pfütze, die sich zwischen den beiden bildete. Sasuke hustete, und als er das nächste Mal Luft holte, begleitete ein grässliches Rasseln den Atemzug. Ino wich zurück, wimmernd, sank auf das Fußende des Bettes. Sasukes Messer hatte eine breite Wunde in ihre Hüfte geschlagen, aus der sich frisches Blut ergoss.

Sasuke hatte es schlimmer erwischt. Das eigene Messer immer noch in der Hand, griff er mit zitternden Fingern nach dem Messergriff, der aus seiner Brust ragte, nahe des Brustbeins. Mit einem schmerzerfüllten Keuchen, das eher ein Blubbern war, zog er es heraus. Rosa Schaum bildete sich um seine Wunde und drang aus seinen Mundwinkeln. Sein Brustkorb hob und senkte sich asymmetrisch; der rechte Lungenflügel schien den linken verdrängen zu wollen. Mit beiden blutigen Klingen in den Händen, trat Sasuke drohend auf Ino zu, die die Hand in die verletzte Seite presste und das Gesicht verzerrte.

„Ino!“, schrie Sakura panisch, baute sich vor ihrer Freundin auf und hielt Sasuke ihr eigenes Messer unter die Nasenspitze. So weit ist es also mit unserer Freundschaft gekommen. Jetzt bedrohen wir uns gegenseitig mit Messern.

„Aus … dem … Weg, oder ich töte dich“, stieß Sasuke kalt hervor. Mehr Bläschen vor seinem Mund. „Das alles … endet jetzt!“

„Ja“, murmelte Sakura unter Tränen. „Es ist vorbei.“ Sie senkte das Messer – und warf sich mit ihrem ganzen Gewicht auf ihn.

Als sie gegen ihn prallte, hörte sie die Haut auf seiner Brust knistern. Sasuke konnte das Gleichgewicht nicht behalten und schlug hart auf dem Boden auf. Ein Messer entglitt ihm, das andere trat Sakura aus seiner Hand. Er ächzte rasselnd. Der Schaum vor seiner Brust zog sich bei jedem seiner unregelmäßigen Atemzüge zurück und quoll wieder hervor.

Sakuras Kopf war wie mit Nebel gefüllt. Was hatte sie nur getan? Sie wusste, sie hatte Ino wahrscheinlich das Leben gerettet, und dennoch … Es war einfach alles zu furchtbar. Wer oder was hatte da von ihnen allen Besitz ergriffen?

„Ihr seid ja beide wahnsinnig!“ Tenten schnappte sich eines der Messer. „Bleibt mir vom Leib, alle beide!“

Sakura sah, dass Ino sich aufgerappelt hatte. Sie knickte beinahe ein, und ein alarmierend starker Blutstrom lief an ihrem Bein hinab. „Gib auf, Tenten“, keuchte sie. „Wir sind zu zweit. Du kannst nicht gewinnen. Es ist aus. Der Spuk ist vorbei.“

„Gehörst du zu ihm?“, fragte Sakura und deutete auf Sasuke, der sich immer noch am Boden krümmte. Es tat ihr weh zu hören, wie es ihm schwerer und schwerer fiel, Atem zu schöpfen.

„Verdammt, ich weiß doch selbst nicht, was hier los ist!“ Tenten klang plötzlich weinerlich. „Sasuke war der Mörder? Oder seid ihr die Verrückten? Ich weiß nicht mehr, was was ist!“

„Es hat keinen Sinn, Sakura“, ächzte Ino. „Sie wird es uns nicht sagen. Vielleicht wollte Sasuke … uns tatsächlich nur gegeneinander ausspielen und hatte gar nicht damit gerechnet, dass sie sich … auf seine Seite schlagen würde. Oder sie waren tatsächlich von … Anfang an ein Killerpaar … wie Kiba gesagt hat.“

„Unsinn!“, rief Tenten. „Ich habe niemanden umgebracht, ich schwör’s!“

„Niemanden außer Kiba“, sagte Sakura düster. Der nächste Stich in ihrem Herzen. Sie hatte es nicht bemerkt, aber sie hatte bereits all ihre Freunde verloren. Die einen durch eine Reihe grausamer Tode, die anderen, weil sie ihnen einfach nicht mehr vertrauen konnte.

Tenten biss die Zähne zusammen, haderte mit sich selbst, dann stieß sie ein gutturales Stöhnen aus, schleuderte das Messer von sich und stürmte aus dem Zimmer. Sakura hörte sie die Treppe hinunterrennen, dann wurde die Tür aufgestoßen.

„Sie … sie wird …“ Ino keuchte auf, ging in die Knie und presste die Hand auf ihre Wunde.

„Ino!“ Sakura brauchte nur einen Blick auf die Verletzung zu werfen, um zu wissen, dass höchste Eile geboten war. Wenn sie Inos Hüfte nicht schnell verband, würde Ino verbluten … und wenn der Stich irgendwelche wichtigen inneren Organe getroffen hatte, war wohl selbst das nutzlos. Sie warf einen Blick auf Sasuke, dessen Atmung ruhiger geworden war. Er schien kaum noch bei Bewusstsein.

Ein weiterer Blick galt den beiden Toten auf dem Bett. Dieses Zimmer war ein einziger Albtraum. Das Ende eines jungen Paares, das Ende einer tiefen Freundschaft, das Ende jeglichen Vertrauens, das Sakura je wieder für einen anderen Menschen würde empfinden können.

Und sie hatte das Gefühl, selbst daran mitgearbeitet zu haben, dieses Vertrauen zu zerstören.

 

Tenten stieß tief die Luft aus und lehnte sich grinsend zurück. „Jetzt wird’s haarig. Darf ich eigentlich auch aussteigen?“

Die anderen lachten. „Natürlich nicht. Niemand verlässt das Dorf, es sei denn, er wird explizit verbannt“, erinnerte sie Sphinx.

„Willst du abhauen, weil du ein Werwolf bist?“, feixte Ino.

Sakura dachte angestrengt nach. Sie waren nur noch zu dritt – aber welche Karten waren noch im Spiel? Die Hexe? Die Seherin war vermutlich tot – oder sie kümmerte sich nur um ihr eigenes Überleben. Es war schließlich kompliziert für sie, ihre Stärken auszuspielen, wenn geheim blieb, welche Karten die Toten gehabt hatten. Wahrscheinlich war Neji die Seherin gewesen. Dann war es ein lästiger Zufall, dass er als erstes Opfer ausgewählt worden war.

„Von wegen! Wenn ich ein Werwolf wäre, hätte ich so gut wie gewonnen. Immerhin wäre ich dann jetzt wieder am Zug.“ Tenten beäugte Ino und Sakura über den Rand ihrer Karte. „Und genau das macht mir Sorgen.“

„Nachdem wir Sasuke gelyncht haben, gibt es nur mehr einen Werwolf“, sagte Ino. „Und ich glaube, dass die Hexe noch lebt. Der verbleibende Wolf ist also im Nachteil.“

Da hatte sie nicht Unrecht. Sakura kratzte sich an der Nasenspitze. Die Hexe hatte ihre Fähigkeiten noch nicht ausgespielt. Bisher war in jeder Nacht jemand gestorben, in der letzten sogar zwei auf einmal. Sakura glaubte aber nicht, dass das dem Gifttrank der Hexe zuzuschreiben war. Da nur noch sie, Ino und Tenten übrig waren, war es viel wahrscheinlicher, dass Hinata und Naruto das Liebespaar gewesen waren. „Das Liebespaar stirbt immer gemeinsam, oder? Bei Tag wie bei Nacht?“, fragte sie Sphinx.

„Genau. Wenn der eine stirbt, stirbt der andere automatisch an gebrochenem Herzen.“

„Das waren Hinata und Naruto, eindeutig“, meinte auch Tenten. Sie schien zu demselben Schluss gekommen zu sein wie Sakura. „Das heißt, es gibt noch einen Dorfbewohner, einen Werwolf, und die Hexe mit beiden Tränken. Sie kann jeden Trank nur einmal benutzen, oder? Auch gleichzeitig?“

„Genau, die Hexe hat genau einen Heil- und genau einen Gifttrank. Sie kann sie nach Belieben einsetzen, aber nur nachts, und sie kann auch beide Tränke in derselben Nacht aufbrauchen.“

„Und die Hexe sieht jedes Mal das Opfer der Werwölfe“, erinnerte sich Sakura. Sie strich mit dem Finger über ihre Dorfbewohner-Karte. Wer auch immer von den beiden anderen die Hexe war, sie war so schlau gewesen, ihre Tränke aufzubewahren. Jetzt konnten sie den verbleibenden Werwolf in die Ecke drängen.

Die anderen beiden dachten dasselbe, das sah sie ihren Gesichtern an. Wenn die Nacht hereinbrach, würde der Werwolf den Dorfbewohner oder die Hexe als Opfer wählen. Egal, welche von ihnen es war, die Hexe konnte sie retten. Und wenn das Opfer nicht sie selbst war, wusste die Hexe dann automatisch nach dem Ausschlussprinzip, wer der Werwolf war. Und den konnte sie dann mit dem Gifttrank zur Strecke bringen, noch bevor die nächste Abstimmung stattfand! Das bedeutete, in der nächsten Nacht würde es sich entscheiden. Wenn jemand anderes als Sakura starb, war das der Werwolf.

„Der Werwolf kann sich nicht selbst als Opfer aussuchen, oder?“, fragte sie sicherheitshalber nach.

Sphinx lächelte sein rätselhaftes Lächeln. „Wenn ihr wollt, können wir das in einem späteren Spiel so einrichten. Für den Moment darf er das jedenfalls nicht.“

Sakura lächelte. Das Spiel war so gut wie gewonnen.

Dräuendes Unheil


 

~ 5 ~
 

Oberste Priorität hatte Inos Wunde gehabt. Sakura hätte ja zuerst Sasuke behandelt, wenn sie nur irgendeine Ahnung gehabt hätte, wie sie das hätte anstellen sollen. Dank ihres Medizinstudiums hatte sie einigermaßen Erfahrung mit beschädigten menschlichen Körpern, und es war eine Wohltat für ihre Seele, dass sie nun tatsächlich etwas Nützliches tun konnte – all ihre Freunde waren zwar verletzt worden, aber keinem hatte Sakura helfen können. Dennoch waren ihre Möglichkeiten hier extrem beschränkt. Ino erklärte ihr, wo im Schlafzimmer der Erste-Hilfe-Koffer zu finden war, aber selbst ihr mitgebrachter Verbandskasten enthielt nichts, das Sasuke retten konnte. Ein Wort kam ihr in den Sinn, das Sasuke vielleicht geholfen hätte – Thoraxdrainage –, doch sie war weder Chirurgin noch Notärztin und wusste gar nicht, wo sie hätte anfangen sollen. Und wie sollte sie das hässliche Loch in seinem Brustkorb schließen?

Immerhin konnte sie etwas für Ino tun. Obwohl sie tief in ihr Fleisch eingedrungen war, hatte die Messerspitze keine wichtigen Organe verletzt – zumindest soweit Sakura das sagen konnte. Sakura desinfizierte die Wunde und nähte sie auf Inos Bitte hin sogar behelfsmäßig. Dann legte sie einen Verband an, so fest es ging. Auch wenn geplant gewesen war, dass sie die Hütte heute verlassen würden: In ihrem Zustand würde Ino nirgendwohin gehen. Abgesehen von ihren Schmerzen hatte sie viel Blut verloren.

Sasuke zuzusehen, wie er seine letzten Atemzüge tat, brach Sakura förmlich das Herz. Selbst Ino sah stumm zu und enthielt sich jeden Kommentars, obwohl sie ihn regelrecht hassen musste. Ihr Gesicht noch von Tränen feucht, kniete Sakura neben ihm und hielt seine Hand, die sich erstaunlich fest um ihre schloss, aber sie wusste nicht einmal, ob er noch instinktiv versuchte, gegen sie zu kämpfen. Sasuke hatte die Augen geschlossen und brachte nur noch ein tonloses Hauchen hervor, und seine Worte konnte sie nicht verstehen. Und sie war hilflos, abgeschnitten von der Zivilisation, von Ärzten und Sanitätern, von allem, was menschlich war, ohne jede Möglichkeit, Kontakt mit Leuten aufzunehmen, deren Hilfe für Sasuke wahrscheinlich zu spät kommen würde.

„Es tut mir so leid, Sasuke“, flüsterte Sakura. „Ich wünschte, das alles wäre nie passiert. Ich wünschte … ich wünschte, wir wären nie hierhergekommen.“ Ihre Tränen begannen wieder zu fließen, während sie weitersprach. „Ich wünschte, das alles wäre nur ein Traum. Ich wünsche es mir so sehr! Wie kann das alles plötzlich zerstört sein, zu Ende sein … Es ist alles sinnlos, es fühlt sich alles so leer an … Dabei habe ich euch alle geliebt, wirklich, ich hätte noch so gern etwas mit euch unternommen, wäre mit euch auf Skiurlaub gefahren oder ans Meer … Ich habe auch gedacht, wir könnten in Zukunft öfter mal in ein Café gehen, weißt du, du und Naruto und ich … Wieso musste es so kommen? Wieso?

„Sakura“, murmelte Ino.

Sie hielt inne. Die Hand, die sie nun so fest drückte, als wollte sie sie zerquetschen, war erschlafft. Sasukes letzte, qualvolle Atemzüge waren versiegt.

 

Mit leerem Gesicht saß Sakura auf ihrem Bett. Sie wusste nicht, wie viel Zeit seitdem vergangen war. Vielleicht war es Mittag. Aber sie verspürte keinen Hunger. Sie verspürte gar nichts. Diese entsetzliche Leere in ihrem Inneren quälte sie nicht länger, sie war eine Wohltat. Je apathischer sich Sakura fühlte, desto mehr konnte sie abschalten. Sie hoffte inzwischen, den Verstand zu verlieren. Lieber würde sie den Rest ihrer Tage in der Klapsmühle verbringen und sich ihre Freunde zusammenfantasieren, als sich der grausamen Realität zu stellen.

Ino schlief tief und fest neben ihr. Fast völlig auf ihre Freundin gestützt, hatte sie es über die Treppe ins Erdgeschoss geschafft. Auf Sakuras Anraten hin hatte sie eine Flasche Cola geleert, danach war sie schläfrig geworden. Sakura betrachtete ihr schweißüberströmtes Gesicht. Ino hatte auch um Alkohol gegen die Schmerzen gebeten, aber der erweiterte die Gefäße und hätte womöglich die Blutung verstärkt. Ino war jetzt ihre Patientin, die letzte Freundin, die ihr geblieben war. Sie wusste, auch sie war verdächtig, aber es blieb ihr nichts anders übrig, als für sie zu sorgen. Sie war es leid, allem und jedem zu misstrauen. Nur dadurch war es überhaupt so weit gekommen. Sie schwor sich, sich lieber nachts im Schlaf erdolchen zu lassen, als eine Freundin anzugreifen.

Dank der Wunde in Inos Hüfte hatte sich ihr Vorhaben, durch den Wald zur nächsten Siedlung zu marschieren, endgültig in Nichts aufgelöst. Sakura wusste nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. Alleinlassen wollte sie Ino nicht, und wenn Tenten noch in der Nähe war … Nein, sie hoffte, dass sie noch in der Nähe war. Sie sollte zurückkommen, sie würden über alles reden, und der Spuk würde ein Ende haben. Vielleicht war sie unschuldig, dann würde sie eine Waffenruhe willkommen heißen. Wenn nicht, würde Sakura sich anhören, was sie zu sagen hatte. Würde sie sterben, wenn sie Tenten ohne Waffe begegnete? Mittlerweile war ihr sogar das egal. Naruto. Sasuke. Hinata. Kiba. Neji.

Ino.

Zumindest ihr Überleben musste sie sichern. Ino hatte ihr Bestes getan, die Mörder ausfindig zu machen, und das war gut gewesen. Sie hatte Sakura gewarnt, wann immer sie etwas Merkwürdiges gehört oder gesehen hatte. Und wenn der unwahrscheinlichste aller Fälle eintrat und Ino und Tenten in Wahrheit die Täter waren, die die anderen einen nach dem anderen abgemetzelt hatten, dann war das in Ordnung. So würden wenigstens sie beide überleben. Was immer ihre Gründe sein mochten.

Sakura durchsuchte gründlich das Haus, jedes Zimmer und jeden Winkel. Niemand versteckte sich irgendwo, nirgends waren weitere Botschaften versteckt. Es gab keine Waffen bis auf diverse Küchenmesser. Sakura ließ sie alle in einen Kissenüberzug fallen. Nur zwei Messer ließ sie da, eines für Ino,  eines für sie selbst, obwohl sie im Grunde keines mehr anrühren wollte.

Die Tür war verschlossen, der Schlüssel fort. Tenten hatte ihn wohl einer Eingebung folgend mitgenommen, also kletterte Sakura durch das Fenster im Schlafzimmer. Von außen konnte sie es nicht schließen, aber wenn sie die Umgebung im Auge behielt, konnte sich auch niemand ins Haus schleichen. Zur Sicherheit drehte sie eine Runde um das Haus. Niemand war zu sehen. Sie glaubte Tentens Fußspuren im weichen Gras zu sehen, aber vielleicht waren es auch ihre eigenen Abdrücke oder die ihrer Freunde.

Sie kam am See an. Hier hatten sie die erste Leiche gefunden. Hier hatte alles Misstrauen seinen Anfang genommen, an einem wunderschönen Vormittag in den Ferien, nach einem wunderschönen Tag mit der ganzen Gruppe. Der Gruppe, von der nun nur noch drei Mädchen übrig waren.

Die Kälte machte ihr nichts mehr aus. Mitsamt ihren Kleidern stieg sie in das kalte Wasser, watete so weit hinaus, bis sie an eine tiefe Stelle kam. Dort ließ sie den Polsterbezug mit den Messern fallen. Der Stoff saugte sich mit Wasser voll, und das Metall im Inneren ließ ihn schnell sinken. Man sah durch das klare Wasser gut, dass hier etwas versenkt worden war, doch der sich bauschende Überzug wirkte nicht wie etwas Nützliches, in dem Waffen versteckt waren. Sakura hoffte jedenfalls, keinen Fehler gemacht zu haben.

Um sich abzulenken, versuchte Sakura sich einen Reim auf all die Morde und merkwürdigen Vorkommnisse zu machen. Sie fand eine Leiter im Schuppen, über die der Mörder vielleicht von dessen Dach geklettert war. Kurzerhand stieg sie hinauf und begutachtete die beiden seichten Dellen im Blech. Jemand war hier mit den Füßen gelandet, aber natürlich konnte sie nichts Verräterisches wie Schuhform oder Profil erkennen.

Als Nächstes schloss sie das Auto auf und setzte sich hinters Steuer. Der Motor gab kein Geräusch von sich, als sie den Zündschlüssel umdrehte. Sie warf einen Blick unter die Motorhaube, dann unter die Sitze und in alle versteckten Ritzen, auf der Suche nach einem weiteren Drohbrief, einem Beweisstück oder irgendetwas. Ergebnislos.

Sie dachte an die anderen, kleinen Dinge, die ihr rätselhaft erschienen. Ob der Mörder nun Sasuke oder Tenten oder beide oder sonst jemand war, warum hatten er Neji den Autoschlüssel zurückgegeben? War das einfach eine Gedankenlosigkeit gewesen, weil das Auto ohnehin fahruntüchtig war? Und warum hatte er sich die Mühe gemacht, auch noch die Reifen aufzuschlitzen? Hatte Tenten Kiba vielleicht doch absichtlich die Klippe hinuntergestoßen? Was war es, das Ino vor dem Fenster gesehen hatte? Wenn Sasuke der Täter war, hätte er für den Mord an Naruto und Hinata nicht ins Freie gehen müssen, da er Wachdienst gehabt hatte. War das Motorengeräusch Zufall gewesen? Wer verirrte sich schon hierher? Oder war der Mörder aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz doch niemand aus ihrer Clique, sondern ein Fremder, ein psychopatischer Nachbar, ein Waldmensch, etwas in der Art? Der sich vielleicht mit einem von ihnen verbündet hatte?

Sakuras Gedanken waren ein Strudel; sie drehten sich im Kreis und saugten sie tiefer und tiefer in eine Welt aus Halbwahrheiten und Möglichkeiten. Der Nebel in ihrem Kopf wollte nicht weichen. Als sie den Blick zum Himmel hob, sah sie, wie strahlend blau er war. Nur wenige Wolken tummelten sich dort oben. So ein schöner Tag. Das Wetter verhöhnte sie und ihre toten Freunde. Alles war still. Unter freiem Himmel fühlte sich Sakura plötzlich allein auf der Welt.

Sie ging in den Wald, dem einzigen Ort, an den Tenten geflohen sein konnte. Der Duft von Fichten war beruhigend, und es war hier wesentlich kühler. Sonnennadeln stachen durch das Dickicht, ließen Schatten und Licht wechseln und verliehen allem ein träumerisches Glühen. Der Boden war von trockenen, braunen Nadeln übersät. Hie und da lagen Baumstämme quer; der Wald schien selten durchforstet zu werden. Von Tenten fand Sakura keine Spur. Vielleicht war sie längst auf dem Weg zurück in die Zivilisation. Dann konnte es nur eine Frage der Zeit sein, ehe die Polizei hier eintraf. Selbst wenn nicht, ihre Familien würden sich fragen, wo sie so lange blieben. Sakura seufzte tief. Es war erst der dritte Tag. Zwei weitere mussten sie und Ino noch durchhalten an diesem Ort des Schreckens, dann erst stünde ihre Heimkehr auf dem Plan.

Schließlich kletterte sie ins Haus zurück und schloss wieder ordentlich das Fenster. Ino schlief immer noch, also beschloss sie, etwas aus den Resten zu kochen, die sie im Haus fand. Das Ergebnis war ein Eintopf von undefinierbarer Farbe, der trotz aller Gewürze fade schmeckte.

Schließlich wachte Ino irgendwann am Nachmittag auf und fuhr in die Höhe. „Tenten“, stieß sie aus. „Wo ist …“

„Bleib ruhig liegen.“ Sakura war überrascht, wie rau ihre Stimme klang. Es war, als müsste sie erst wieder lernen, wie man mit anderen Menschen sprach. „Hier, ich hab was gekocht.“

Ino zögerte, dann nahm sie die Schale mit dem Holzlöffel entgegen. Noch vor dem ersten Bissen wiederholte sie ihre Frage. „Wo ist Tenten?“

„Auf und davon, vermute ich. Ich glaube nicht, dass sie wiederkommt. Selbst wenn ich mich an ihrer Stelle verlaufen würde, in die Nähe dieses Hauses würde ich nicht mehr gehen.“

Ino sah nicht überzeugt aus. „Ich … danke.“

„Wofür?“

„Du hast zu mir gehalten. Ich weiß nicht … Also, ich meine …“ Sie lachte kurz, bitter. „Denk bitte nicht schlecht von mir, aber ich weiß nicht, ob ich dasselbe getan hätte.“

„Du warst unschuldig.“ Bevor das mit Sasuke passiert ist. Nein, sie wollte Ino nicht die Schuld an seinem Tod geben. Entschlossen fügte sie hinzu: „Und ich habe genug davon, andere zu verdächtigen. Iss jetzt, kalt schmeckt es sicher noch grässlicher.“

Nachdem die Schale leer war, ließ sich Ino wieder in die Kissen sinken. „Verdammt, wenn nur das Loch in meiner Hüfte nicht wäre …“

„Tut es sehr weh?“

„Als wäre das Messer immer noch drin“, murmelte Ino düster und sah ins Leere. „Hast du die Tür verschlossen? Wenn Tenten zurückkommt, bin ich keine große Hilfe, und du weißt ja, sie ist ziemlich sportlich …“

„Und ich habe ein Dutzend Selbstverteidigungskurse gemacht“, erwiderte Sakura. „Und die Messer habe ich im See versenkt, außer eines für jede von uns.“ Es tat ihr gut, mit jemandem zu sprechen, erkannte sie. Allein mit ihren Gedanken würde sie in tiefe Verzweiflung stürzen. „Allerdings … Die Tür ist zwar abgeschlossen, aber ich habe den Schlüssel nicht.“

Was?

„Tenten muss ihn mitgenommen haben.“

Ino stöhnte. „Diese … Diese Schlange … Sie wird sicher zurückkommen.“

„Oder sie wollte einfach nicht, dass wir ihr folgen. Ich schätze, sie ist in den Wald geflohen.“

„Prima. Dort kann sie sich verstecken“, brummte Ino und versuchte, sich in die Höhe zu ziehen.

„Du malst schon wieder den Teufel an die Wand. Vielleicht ist sie unschuldig.“

„Vielleicht“, ächzte Ino. „Aber wenn sie wirklich zu zweit waren, bleibt sonst niemand übrig. Glaubst du echt, Kiba wäre einer von denen gewesen? Er wusste zu viel, darum musste er sterben. Sasuke und Tenten waren wirklich von Anfang an ein krummes Paar. Dafür, dass sie so selten miteinander zu tun haben, meine ich.“

„Hoffen wir einfach das Beste und erwarten das Schlimmste. Ich schlage vor, dass wir weiterhin hier schlafen und immer eine von uns Wache hält. Bleib liegen, du solltest dich so wenig wie möglich bewegen.“

„Wenn ich dem Ruf der Natur folgen muss, bleibt mir wohl kaum was übrig, oder? Das kommt von der ganzen Flasche Cola“, brummte Ino übellaunig.

„Hat dein Vater vielleicht einen Spazierstock oder so etwas hier? Etwas, das du als Krücke verwenden kannst?“

Ino überlegte. „Bring mir das Gewehr“, sagte sie dann.

 

Sie bestand darauf, alleine zu gehen, obwohl Sakura ihr davon abriet. Es ging gerade so; schwer auf die Winchester gestützt, kam Ino langsam und mit zusammengebissenen Zähnen voran. Sakura trottete dennoch hinter ihr her. Wieder im Haus verbrachten sie den Abend in eisernem Schweigen. Als die Sonne unterging, verbarrikadierte Sakura die Zimmertür mit allerlei Stühlen und Bänken aus dem Schuppen und legte das Messer auf ihr Nachtkästchen. Mit Inos Wunde würde sie trotzdem selbst wieder zur Waffe greifen müssen, wenn das Äußerste passierte … „Gute Nacht“, murmelte sie.

„Gute Nacht. Hoffen wir, dass es nicht unsere letzte ist.“

„Ja.“

„Die Mörder haben bisher immer nachts zugeschlagen, ist dir das aufgefallen?“

„Wirklich?“ Sakura überlegte. „Du hast recht. Wenn man das mit Kiba wegzählt. Was meinst du wohl, warum?“

Ino zuckte mit den Schultern. „Vermutlich sind wir nachts einfach leichtere Ziele. Wir waren die ganze Zeit über so blöd, uns nicht in einem Zimmer zusammenzurotten.“

„Und wenn sie uns dann alle auf einmal getötet hätten? Hinata und Naruto hatten zu zweit ja auch keine Chance.“

Ino seufzte. „Keine Ahnung. Dann wäre es wenigstens vorbei gewesen.“

Sakura wusste genau, was sie meinte. Es war erst vorbei, wenn entweder sie beide tot waren, oder sie sich sicher sein konnten, dass Tenten nicht noch in der Nähe war und etwas gegen sie plante.

Und sicher sein konnten sie sich nie.

 
 

- In den Bergen, dritte Nacht -

 

„Und wieder wird es dunkel; es ist die dritte Nacht. Die Dorfbewohner wähnen sich in Sicherheit, aber die Werwölfe sind immer noch unterwegs. Sie suchen und überlegen und wählen schließlich ein neues Opfer …

Wir machen weiter wie gehabt.“
 

Diesmal war Sakura es, die mitten in der Nacht erwachte, weil sie ein Geräusch gehört hatte. Ein Blick auf den Wecker sagte ihr, dass es kurz nach fünf war. Die Kerzen, die sie ins Zimmer gestellt hatte, waren fast völlig heruntergebrannt. Ino schlief unruhig, auf die Seite gedreht.

Das Geräusch wiederholte sich. Jemand klopfte von draußen gegen die Holzwand, eindeutig.

Hätte sie sich nicht zu Bett begeben, wäre Sakura vermutlich ganz ruhig und gleichgültig gewesen. Aber nun hatte ein erstaunlich ruhiger Schlaf ihre Nerven mit Balsam bestrichen, und jetzt lagen sie wieder verwundbar der Realität zum Fraß vorgeworfen da. Fröstelnd setzte Sakura sich auf und langte nach ihrem Messer. „Ino“, flüsterte sie alarmiert.

Ino blinzelte ein paarmal, dann war sie hellwach. Sakura bedeutete ihr, zu lauschen. Das Klopfen ertönte wieder. Auch Ino griff nach ihrer Waffe. „Was tun wir?“, fragte Sakura.

„Kannst du nachsehen?“, wisperte Ino.

„Ist das eine gute Idee?“

„Nein“, räumte sie ein. „Aber weißt du, ich dachte … vielleicht ist es derselbe Typ wie gestern Nacht. Das würde Tenten von ihrem Verdacht reinwaschen, meinst du nicht?“

Sakura nickte. Wenn überhaupt, dann war das ihr Ziel: Ihren letzten, lebenden Freundinnen vertrauen zu können. Sie gab Ino mit einer Geste zu verstehen, dass sie liegen bleiben, aber wachsam sein sollte, und tappte geduckt auf das Fenster zu. Als sie über das Fensterbrett spähte wie schon in der Nacht zuvor, rechnete sie halb damit, dass gleich eine verwahrloste Gestalt mit glühenden Augen vor ihr aufspringen würde, aber nichts dergleichen geschah. Sie sah nichts Ungewöhnliches.

Vorsichtig drehte sie den Fenstergriff und öffnete die Flügel. Die Angeln quietschten mal wieder erbärmlich. Die kühle Luft schärfte Sakuras Sinne. Sie beugte sich hinaus, suchte zuerst den Bereich unter dem Fenster nach dem nicht vorhandenen Monster ab, dann sah sie nach links, von wo das Klopfen gekommen war, dann nach rechts – und ein schmaler Schatten sauste heran und traf sie mit voller Wucht am Hinterkopf. Sakuras Kinn knallte gegen das Fensterbrett, ihre Zähne schlugen schmerzhaft aneinander und sie schmeckte Blut im Mund. Jemand packte sie an der Schulter und riss sie mit Gewalt von der Fensterbank, auf der sie ohnehin nur noch wie ein schlaffer Sack lag. Zu dem Geschmack von Blut gesellte sich der von Gras und Erde, und sie spürte den kühlen Tau im Gesicht.

Als sie sich herumwälzte, sah sie gerade noch, wie eine Gestalt mit geschmeidigen Bewegungen durch das offene Fenster ins Zimmer schlüpfte. Verdammt! Das war eben eine riesengroße Dummheit! Was hatten sie sich dabei gedacht? Die Barrikade war nun nutzlos, Sakura selbst hatte dem Angreifer Tür und Tor geöffnet.

Oder eher, der Angreiferin.

Obwohl ihr Gesichtsfeld mehr und mehr verschwamm, hatte sie die Umrisse der Person klar erkannt. Tenten. Wer sonst. Von wegen, es könnte jemand anders sein. „Ino … pass auf …“, murmelte Sakura. Zu mehr war sie nicht imstande, und als ihr Bewusstsein schwand, war sie sicher, niemals wieder aufzuwachen.

 
 

- In den Bergen, dritter Tag -

 

„Und schon ist der dritte Tag angebrochen. Was noch vom Dorf übrig ist, erwacht jetzt …“

 

Sie hatte sich geirrt. Das Nächste, was sie spürte, war ein pochender Schmerz in ihrem Hinterkopf.

Sakura war eiskalt. Ihr Pyjama war völlig durchnässt von dem feuchten Gras, auf dem sie lag. Wo war sie? Was war nochmal geschehen? Richtig, die Welt war völlig aus den Fugen geraten, war so verrückt geworden, dass sie wider alle Logik immer noch am Leben war. Sakura fragte sich ernsthaft, warum sie noch nicht ermordet worden war. Wenn jemand sich durch die Reihen ihrer Freunde schlächterte, warum blieb sie dann als Einzige übrig? Wenn das Gnade sein sollte, dann war es Gnade voller Gift.

Die Sonne spähte gerade so über den Wald im Osten, so viel konnte sie von hier aus sehen. Erst nach und nach kamen alle Erinnerungen zurück – und sie sorgten dafür, dass sie so schnell aufsprang, dass sie beinahe wieder das Bewusstsein verloren hätte, und nur einem Wunder war es zu verdanken, dass sie auf dem glitschigen Gras nicht sofort wieder ausglitt, sondern sich an dem offenen Fensterladen festhalten konnte. Ino! Und Tenten!

Sie kämpfte verzweifelt gegen die schwarzen Flecken vor ihren Augen an, drängte sie an den Rand ihres Sichtfelds. Verdammt, sie musste sehen, was im Schlafzimmer passiert war! Endlich klärte sich das Bild, und wieder einmal wünschte sie sich, sie hätte einfach gar nichts gesehen.

 

„Und es gibt wieder ein Opfer.“
 

Beide ihre Freundinnen hatten einander schlimm zugerichtet. Ino war diejenige, die am schlimmsten aussah. Tenten hatte es dafür am schlimmsten erwischt.

 

„… Tenten.“

Sakura atmete auf. Für einen Moment hatte sie erwartet, Sphinx würde ihren eigenen Tod verkünden. Das hätte ihren ganzen Plan durcheinandergeworfen und all ihre Überlegungen als falsch hingestellt. Aber so musste die Hexe ihren Gifttrank ausgespielt haben, und wenn nicht Sakura, dann hatte sie den letzten Werwolf erwischt.

„Oh Mann“, seufzte Tenten, stand auf und verließ die Runde.

Auch Ino entspannte sich. „High Five, Sakura“, sagte sie, und die beiden klatschten ein.
 

Inos ganzer Körper war mit Blutergüssen und Schürfwunden übersät. Ihr Gesicht war geschwollen und ihre Hände zerkratzt, aber sie lebte. An das Fußende des Bettes gelehnt saß sie da. Die Wunde in ihrer Seite hatte sich wieder geöffnet; ein dunkler Fleck breitete sich auf dem Verband aus.

Tenten hatte einige wenige Stiche davongetragen, die jeder für sich fast harmlos aussahen, wenn man sie damit verglich, wie sehr sie Ino zugerichtet hatte. Sie hatte sich offenbar im Wald selbst Waffen besorgt; neben ihr ruhte ein Ast mit einem knotigen Auswuchs, der als Keule durchging, außerdem eine Art Speer, und im Zimmer verteilt lagen einige scharfkantige Steine, die vorher eindeutig noch nicht da gewesen waren. Im Tod hatte sich Tentens Hand jedoch um ein rotes Schweizer Taschenmesser geschlossen. Sakura erkannte die Klinge wieder, durch die Neji zu Tode gekommen war. Sie hatte völlig vergessen, sie mit den anderen Messern zu entsorgen.

Allem Anschein nach war Tenten jedoch nicht dazu gekommen, damit zuzustoßen. Sie lag halb unter Stühlen, Tischen und Bänken begraben, der Barrikade, die eingestürzt war. Getötet hatte sie jedoch ein Stich ins Herz. Was davon vorher geschehen war, vermochte Sakura nicht zu sagen. Anscheinend hatte Ino noch einmal Glück gehabt, obwohl sie so schwer verletzt war.

„Sakura“, nuschelte ihre beste Freundin, als sie sie am Fenster stehen sah. „Ein Glück, du lebst … Als ich dich da draußen liegen sah … Ich hab versucht, rauszuklettern, aber mit meiner Hüfte …“

Sakura schüttelte den Kopf. „Ist schon gut. Wie … wie hast du das geschafft?“

Ino zuckte mit den Schultern und sah so aus, als begreife sie es selbst nicht. „Ich weiß nicht, plötzlich war sie da und hat mit den Stöcken auf mich eingeprügelt … Sie wollte wissen, ob Sasuke noch lebt und hat ständig damit gedroht, mich umzubringen …“ Ino schüttelte sich. „Ich frage mich, was mit ihr los war.“

Sakura nickte. Sie konnte sich Tenten nicht in der Rolle einer Mörderin vorstellen. Andererseits konnte sie das auch bei keinem anderen ihrer Freunde … „Denkst du, sie war ganz einfach wahnsinnig?“

„Möglich. Ausschließen kann man es wohl nicht.“

„Lass mal sehen.“ Sakura kletterte durch das Fenster. Sie vermied es, Tentens Leiche anzusehen, obwohl es sie mittlerweile nicht mehr schreckte. Sie erneuerte den Verband und zog ihn nochmal straffer an, dann desinfizierte und verarztete sie all die anderen Kratzer und Schnitte, die Tenten Ino beigebracht hatte.

Als sie fertig war, ließ sie sich mit einem tiefen Seufzer auf ihr Bett fallen. Es war kein Seufzer der Erleichterung, sondern nur der Trauer. „Es ist vorbei“, meinte sie. „Der Albtraum ist vorbei.“

„Ja“, murmelte Ino. „Wir haben es geschafft. Wir haben überlebt … Und jetzt sitzen wir hier fest, mit den Leichen unserer Freunde unter einem Dach.“

„Wenn du willst, gehe ich gleich los und versuche, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen. Theoretisch sollten wir nichts mehr zu befürchten haben.“ Sasuke war tot, Tenten war tot. Alle Falschspieler waren ausgemerzt. Sakura glaubte nicht länger, dass ein Außenstehender seine Finger im Spiel gehabt hatte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie diesen Gedanken schon lange aufgegeben.

„Ich komme mit“, sagte Ino.

Sakura seufzte. „Das geht wohl kaum mit deiner Verletzung.“

„Ich muss es versuchen. Wenn du mich stützt, wird es schon gehen. Wenn du nicht willst, nehme ich wieder das Gewehr, oder ich robbe mich einfach durchs Gras! Ich schaffe das! Ich will auf keinen Fall länger hierbleiben, verstehst du? Wir, meine Familie und ich, haben mindestens fünf Mal unseren Urlaub hier verbracht, und jetzt liegen unsere Freunde überall im Haus verteilt herum … Wenn du willst, schlagen wir im Wald unser Lager auf. Dann brauchen wir eben ein wenig länger. Aber ich bleibe keine Minute länger in diesem Haus!“

Sakura verstand sie gut, und wie sie das tat. „Also gut“, meinte sie mit einem schweren Seufzer. „Aber erst schonst du dich. Du bleibst heute ruhig liegen und lässt die Wunde ein wenig verheilen, und am Abend brechen wir dann auf, ja? Wir schlafen nicht hier, aber wir ruhen uns hier aus, in Ordnung?“

„Wenn’s sein muss“, grummelte Ino.

Sakura half ihr aufs Bett. Dann oblag es ihr, Tenten aus dem Raum zu schaffen. Sie fand diese Aufgabe besonders makaber, aber vielleicht musste sie dann nicht ständig daran denken, was hier alles Schreckliches und Verdrehtes geschehen war. Sie baute den Rest der Barrikade ab und zerrte Tenten auf den Flur. Aus ihrer Tasche stellte sie den Eingangstürschlüssel sicher. Alle Fenster und Türen waren noch verschlossen, sie prüfte es schon fast aus Routine.

Ino war wieder eingeschlafen, der Blutverlust hatte sie sichtlich erschöpft. Sakura versuchte, die kolossale Blutlache, die die Dielen verunzierte, irgendwie aufzuwischen, gab es dann aber auf. Sie packte einige Dinge zusammen, die sie auf dem Weg durch den Wald brauchen konnten, von Proviant bis hin zu nützlichem Werkzeug. Als sie nicht länger die Zeit totschlagen konnte, ließ sie sich neben Ino auf dem Bett nieder und dachte wieder einmal nach. So viel war geschehen, aber immerhin, jetzt, bei Tageslicht und dem erneut strahlenden Wetter, kam ihr wenigstens nicht alles so düster vor wie gestern oder gar in der Nacht. Immerhin hatten sie überlebt. Das war nicht die Hauptsache, aber es war zumindest etwas.

Ehe sie sich versah, forderte die schon Tage andauernde Erschöpfung ihren Tribut, und auch sie fiel in tiefen Schlaf.

 
 

- In den Bergen, vierte Nacht -

 

„Da nur noch zwei Dorfbewohner übrig sind, gibt es an diesem Tag keine Abstimmung. Und schon senkt sich die vierte Nacht über das Dorf …“

Sakuras Herz machte einen Sprung. Was hatte das zu bedeuten? Sie hatten doch die Werwölfe besiegt, müssten jetzt nicht das Ende des Spiels und der Sieg der Dorfbewohner verkündet werden? Oder hatte sie nur eine Regel missverstanden?

Sie sah in Sphinx‘ breit grinsendes Gesicht. Und er war nicht der Einzige, der grinste.
 

So unsanft war Sakura trotz allem schon lange nicht aus dem Schlaf gerissen worden. Eine Hand presste sich auf ihren Mund, und sie spürte etwas Schweres auf ihrer Brust liegen.

Sakura stieß einen erstickten Schrei aus und riss die Augen auf. Auf ihr kniete, gekrümmt wegen ihrer Wunde, Ino. Sie lächelte hämisch. „Du bist die Letzte, Sakura.“

Damit fuhr das Messer in ihrer Hand herab.

 

„… und die Werwölfe haben gewonnen.“

Karten und Rätsel


 

~ 6 ~
 

Was zum …“ Sakura schleuderte ihre Karte von sich. Sie blieb mit dem gemalten Gesicht des Dorfbewohners nach unten zum Liegen, und Sphinx klaubte sie schnell auf. Er wollte nicht, dass jemand sah, welche Karte sie genau gehabt hatte.

Ino lachte laut auf. „Da haben wir dich schön drangekriegt, was?“

„Ich kapier das nicht … Wie …?“ Sakura raufte sich die Haare. Ino war der letzte Werwolf gewesen? Dann musste Tenten die Hexe gewesen sein – warum hatte sie nichts unternommen? Sie hatte doch wohl kaum absichtlich verlieren wollen – das bedeutete, Tenten hatte eine andere Karte gehabt, aber das war unmöglich … „Wie geht das?“

Inos Feixen wurde eine Spur breiter, dann erlosch es. Das Spiel war zu Ende, und die Realität prügelte den Spaß aus ihnen heraus. Dieses Kartenspiel wäre ein Hit für lange Abende mit der Clique gewesen, aber hier überschattete es der Einsatz.

Sphinx hob eine hübsche, alte Glocke vom Boden auf, eine von der Sorte, von der man erwartete, dass sie sofort einen Hotelpagen oder Butler herbeirief. Diese hier rief die anderen aus dem Nebenzimmer. Sakura sah, wie dort an der Decke etwas wie eine schwarze Beule prangte. Der kleine Raum war videoüberwacht, natürlich. Naruto öffnete den Mund, um das Ergebnis zu erfragen, aber Sakuras zerfurchte Stirn und die Karte, die Ino Sphinx nun reichte, schienen ihm Antwort genug zu sein. Erwartungsvoll traten sie näher und setzten sich wieder in den Kreis. Stuhlbeine rutschten über den Linoleumboden, altes Sofaleder knirschte leise. Die Sitzgelegenheiten waren bequem, ohne Zweifel. Wenn sich die Werwölfe doch nachts nur mehr bewegen müssten, anstatt nur mit dem Kopf in eine Richtung zu deuten, würde das Mobiliar sie verraten.

Sphinx lächelte unerschütterlich. „Das möchte ich von dir wissen“, antwortete er verspätet. „Aber du kannst frohlocken, Sakura. Du warst das letzte Opfer der Werwölfe, also kannst du die meisten Punkte erreichen. Mal sehen … Das Spiel war nicht sehr vertrackt, aber ich biete dir achtzig Punkte an, wenn du es vollständig löst. Ist das kein Anreiz?“

Sakura schwieg. Hinter ihrer Stirn arbeitete es. Sie wollte gar nicht gleich zu Beginn die größte Chance haben. Noch hatte sie nicht gut genug in das Spiel hineingefunden.

„Aber für euch andere gilt das Gleiche.“ Sphinx ließ mit Schwung seinen Sessel im Kreis drehen. Ein teures Stück, eindeutig. Echtes, dunkles Leder, schwer und edel. Dagegen sah der Mann, der darauf saß, lächerlich aus. Er wirkte weniger wie ein Therapierender als vielmehr jemand, der selbst eine Therapie nötig hatte. Die Sphinx in Ägypten hatte einen Löwenkörper und einen Menschenkopf. Die Sphinx vor ihnen wirkte ähnlich zusammengewürfelt, auch wenn es an ihrer Kleidung lag: Ein gestreifter Baumwollpulli in Grau und Schwarz mit einem übertriebenen Rollkragen, darüber eine schmale, leichte Lederjacke. Ein Gürtel mit einer riesigen, goldenen Schnalle, knallgrüne Shorts. Dazu unterschenkelhohe, weiße Socken und Lackschuhe. Sakura hätte Sphinx Farbenblindheit zugeschrieben, wenn das ausgereicht hätte, um sich so einzukleiden.

Nacheinander maß er Ino, Tenten, Naruto, Hinata, Neji, Sasuke, Kiba und schließlich wieder Sakura mit seinem Blick. „Ihr alle seid eingeladen, über die merkwürdigen Geschehnisse im letzten Spiel nachzudenken. Auch die, die früh ausgeschieden sind, können immerhin ein paar Punkte erzielen.“

„Ich schwör’s dir, wenn ich könnte, würde ich dir auf der Stelle den Schädel einschlagen“, knurrte Kiba.

„Na, na, na“, machte Sphinx tadelnd. „Mit solchen Drohungen solltest du dich lieber zurückhalten, wenn du deinen Aufenthalt hier nicht noch verlängern willst. Außerdem war das Spiel doch spaßig, oder nicht?“

„Es wäre spaßiger, wenn wir es einfach so spielen könnten“, sprach Sakura ihren Gedanken von vorhin aus. „Ohne Einsatz, nur so zum Spaß, und unter Freunden.“

„Euch würde es vielleicht mehr Spaß machen, aber es wäre längst nicht so spannend“, griente Sphinx. Er lehnte sich zurück und wirkte, als genieße er die Abneigung, die sie ihm entgegenbrachten. Lässig faltete er die Hände. „Also, als kleine Zusammenfassung für diejenigen, die uns zu früh verlassen haben: Neji starb in der ersten Nacht, Kiba am ersten Tag. Naruto und Hinata beide in der zweiten Nacht, Sasuke am zweiten Tag, Tenten verließ uns in der dritten Nacht und Sakura in der vierten.“ Sakura erkannte den Nachteil, den die anderen hatten. Sie hatten weder die Abstimmungen, wenn es ums Lynchen ging, mitbekommen, noch Mimik oder Argumente. Sie ahnte, dass diese Informationen wichtiger gewesen wären als nackte Fakten. „Wir hatten vier Dorfbewohner, zwei Werwölfe, eine Hexe und eine Seherin“, fuhr Sphinx fort. „Wer hatte welche Karte? Versucht, es herauszufinden und das Rätsel zu lösen. Wie oft habt ihr einen Unschuldigen geopfert? Dass Ino ein Werwolf war, ist ja kein Geheimnis mehr, aber wer war der zweite? Ihr habt ja so einige Leute auf Verdacht gelyncht“, stellte er belustigt fest. „Tja, so ist das immer.“

Naruto öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Sphinx‘ Finger schnellte in die Höhe wie eine Giftschlange und erstickte im Keim, was immer er hatte sagen wollen. „Vergesst unsere Spielregeln nicht. Wenn ihr einen Verdacht habt, teilt ihr ihn mir privat mit. Jeder muss selbst dahinterkommen. Hier wird sich nicht zusammengerauft, nicht konspiriert und nicht konsultiert. Übrigens, ihr wisst, dass ihr rund um die Uhr überwacht werdet?“

„Geht ihr mit euren Patienten immer so um?“, fragte Ino scharf.

„Mit den schweren Fällen?“, schlug Sphinx gleichgültig vor. „Aber eine kleine Belohnung bekommt ihr immerhin. Die Werwölfe haben gesiegt, deshalb erhalten sie beide fünf Punkte. Ino, du warst als Letzte noch im Spiel, darum bekommst du noch fünfzehn dazu. Im Allgemeinen werden die Punkte ein Geheimnis bleiben, ja? Wir wollen doch nicht, dass jemand anhand der Punkte darauf schließt, welche Karte jemand im letzten Spiel hatte. Das wäre nicht Sinn der Sache“, erklärte er und wackelte mit dem Finger wie ein Lehrer. Ein wertvoller Ring blitzte darauf.

Kiba murmelte etwas, das verdächtig nach Ich bring ihn um klang, und Sakura hoffte, dass Sphinx es nicht hörte. Je länger sie Zeit hatte, sich wieder auf die Wirklichkeit zu konzentrieren, desto unwohler fühlte sie sich. Was Sphinx wusste, beunruhigte sie. Was er bewerkstelligen konnte, ängstigte sie. Und was er noch alles vorhatte, ließ sie alle in tiefes, angespanntes Schweigen versinken.

Im Moment schien seine Spielsucht jedoch befriedigt. Er blickte auf seine schäbige Armbanduhr und hob überrascht die Augenbrauen. „Nanu, wir haben ja überzogen. Tja, so kann’s gehen, wenn man so vertieft ist. Wir sehen uns morgen wieder. Während der Einzelsitzungen könnt ihr mir verraten, was ihr herausgefunden habt. Bis dahin – seid artig. Hopp, hopp“, fügte er hinzu und wedelte mit den Armen, als sie keine Anstalten machten, aufzustehen.

Sasuke war der Erste, der sich mit steinerner Miene erhob. Kurz darauf sprang Naruto auf, dann, nacheinander, die anderen. Kiba war der Letzte, der auf die Tür zu schlich, gebückt und immer noch knurrend, als wäre er ein Werwolf, dem bei Tag die Hände gebunden waren. Kurz bevor er die Tür hinter sich zuschlug, rief Sphinx ihnen noch etwas nach. „Wenn es je einer von euch hier herausschaffen sollte, empfehlt mich weiter. So amüsante Therapiesitzungen sind schließlich selten.“

Kiba ließ seine Wut an der Tür aus. Mit einem gewaltigen Krachen sprang sie ins Schloss.

 

Der große Aufenthaltsraum war leer. Stühle standen kreuz und quer wie die Figuren auf dem einen Schachbrett. Das andere lag am Boden, offensichtlich fortgestoßen von einem schlechten Verlierer. Sakura wünschte sich, sie könnte Sphinx‘ Spiel ebenso leicht von sich schleudern.

Einer der Pfleger in den sauberen, hellblauen Kitteln bemerkte sie. Er war gerade dabei, etwas vom Boden aufzuwischen, von dem Sakura hoffte, dass es nur Orangensaft war. Den jemand verschüttet hatte. „Was macht ihr denn noch hier? Es ist längst Zeit fürs Abendessen!“, rief er aus.

Es war Maki, der Einzige vom Pflegepersonal, der die Patienten nicht ungerührt von oben herab behandelte. Dennoch wollte Sakura ihn im Moment am liebsten gar nicht sehen. Relativ jung war er, mit kurzen, schwarzen Haaren und Allerweltsgesicht.

„Oh, wir waren beschäftigt“, sagte Kiba gereizt. „So ein Kerl mit Löwenkörper und Menschenkopf, der gerne schmutzige Spiele spielt, wollte uns nicht eher gehen lassen.“

„Ich verstehe“, sagte Maki lächelnd. „Gut, dass ihr noch mal entkommen seid. Beeilt euch, sonst bleibt nichts für euch übrig, und das wollt ihr doch nicht, oder?“ So freundlich Maki auch war, er nahm nichts von dem ernst, was ihm seine Patienten erzählten. Und Kibas Worte halfen ihnen in ihrer Lage nicht gerade.

„Wir hatten eine Gruppentherapie bei Magister Hinx“, erklärte Sakura gezwungen ruhig.

„Ah, und er hat überzogen? Ja, das geschieht öfters. Schnell, schnell, beeilt euch.“ Maki winkte sie eilig in den Speisesaal weiter.

Der Gemeinschaftsraum hatte durch die hohen, hellen Wände und die hohen, hellen Fenster wenigstens etwas Heimeliges. Beim Speisesaal standen die Dinge ganz anders. Er lag ein halbes Stockwerk tiefer, und die Fenster waren zu schmalen Oberlichtern reduziert. Die Wände waren kalkweiß und wenig freundlich, der Boden quietschte unter Gummisohlen. In ordentlicher Hufeisenformation standen die Tische beieinander und erinnerten an die Mensa des Internats, in dem Sakura einmal eingeschrieben war.

Während des Essens versuchten die acht unter sich zu bleiben. Viele der etwa dreißig anderen stationären Patienten wirkten völlig normal, doch wenn Sakura ihre eigene Anamnese bedachte, wollte sie gar nicht genau wissen, weswegen sie hier waren. Erst beim Frühstück war es vorgekommen, dass ein übermütiger, kleiner Rotschopf – der ein wenig Ähnlichkeit mit Gaara gehabt hätte, wären seine Augen nicht funkelnd blau gewesen – seinem muskulösen Gegenüber einen Löffel Haferbrei ins Gesicht katapultiert hatte. Dieser war daraufhin ausgerastet und hatte versucht, ihn zu erwürgen, bis drei Pfleger ihn gemeinsam aus dem Raum geschafft hatten. Sakura ließ suchend die Blicke schweifen. Der Muskelprotz war nirgends zu sehen, und der Rotschopf neckte unbeirrt seine neuen Sitznachbarn.

Naruto stocherte lustlos in seinem Essen. „Ich kann den Fraß nicht mehr sehen“, murrte er.

„Wir sind erst seit gestern hier“, erinnerte Sakura ihn, konnte ihn aber verstehen. Diese Substanz, die wie ausgeblichenes Kartoffelpüree aussah, brachte man schon nach zwei Bissen kaum mehr hinunter.

„Wenn ich diesen Sphinx in die Finger bekomme – ich dreh ihm den Hals um. Wenn er mir morgen irgendwie krumm kommt, lynche ich zur Abwechslung mal ihn“, knurrte Kiba. Er hatte sich tief über seinen Teller gebeugt. Wahrscheinlich fühlte er sich auch nur mitschuldig an ihrer Misere.

„Halt den Mund“, zischte ihm Ino zu. „Was, wenn dich jemand hört?“

„Es ist denen doch sowieso egal, was ein armer Verrückter von sich gibt“, brummte er.

„Wenn Sphinx es zu Ohren kriegt, könnte er sich provoziert fühlen. Er sitzt am längeren Ast, vergiss das nicht.“ Sie sagte es nicht, aber alle wussten es. Sphinx hörte jedes Wort mit. Wie, davon hatten sie keine Ahnung, aber es gab viele Möglichkeiten. Mikrofone im Raum. Wanzen in ihrer Kleidung. Scharfe Ohren unter den Pflegern. Sphinx wollte nicht, dass sie einander zuflüsterten, welche Rollen sie im letzten Spiel hatten. Alles in dieser Einrichtung schien darauf fixiert zu sein. Sakura hoffte nur, dass ihn alle anderen Gespräche nicht interessierten.

„Mensch, ich kann immer noch nicht fassen, dass wir hier sind“, murmelte Naruto niedergeschlagen. „Ist wie im Traum, oder?“

Kiba schnaubte und fuhr fort, mit seinen Stäbchen Löcher in seinen Brei zu stanzen. „Es muss doch nur einer von uns hier raus schaffen“, sagte er irgendwann, deutlich leiser. „Ob er jetzt dieses dämliche Spiel gewinnt oder irgendwie abhaut. Dann kann er Sphinx anklagen und vor Gericht zerren, und wir kommen alle frei.“

„So einfach wird das nicht werden“, kommentierte Sasuke. „Wenn sie dich nicht offiziell entlassen, braucht der Richter nur einen Blick in deine mentale Krankenakte zu werfen, um dir kein Wort mehr zu glauben. Und Sphinx hat sicher seine Wege, zu verhindern, dass du uns von draußen hilfst.“

„Hinata, du musst essen“, sagte Neji mahnend in die folgende Stille. Hinata, die zwischen ihrem Cousin und Naruto saß, hatte mit ihren Stäbchen ebenfalls nur den Brei geknetet. Es hätte auch Fleischstückchen gegeben, allerdings waren die als Erstes vergriffen gewesen.

„Ich hab keinen Hunger“, murmelte das Mädchen. Wenn nicht mal Naruto Appetit hatte, brachte wohl auch sonst niemand etwas hinunter.

„Nun seid doch nicht alle so deprimiert“, versuchte Tenten mit einem gezwungenen Lächeln die Stimmung zu lockern. „Es könnte doch viel schlimmer sein. Immerhin sitzen wir nicht in irgendeinem Todestrakt. Wir haben ein Dach über dem Kopf und können essen, auch wenn es grauenhaft schmeckt.“

Kein Dach über dem Kopf wäre mir lieber“, murmelte Naruto.

„Aber überlegt doch, wir spielen um unsere Freiheit. Und es ist ein Kartenspiel mit Denksportaufgaben. So schlimm ist das doch nicht.“

„Nicht schlimm?“, brauste Kiba auf. „Er hält uns zum Narren! Die halten uns alle zum Narren! Und nur, weil ihm langweilig ist, diesem verdammten …“

„Schsch“, zischte Ino. Eine Pflegerin ging eben stirnrunzelnd hinter ihnen vorbei, auf Patrouille im Speisesaal.

„Außerdem ist es nicht nur unsere Freiheit“, erinnerte Sasuke Tenten trocken. „Sphinx hat gesagt, dass er unseren Einsatz verzinsen wird, je länger wir hier sind. Wenn der ursprüngliche Einsatz unsere Freiheit ist, was werden dann die Zinsen sein?“

Sakura schauderte. Sphinx hatte so ein merkwürdiges Glitzern in den Augen gehabt, als er ihnen das verkündet hatte … Alles an Sphinx war merkwürdig, nur seine Augen waren immer geheimnisvoll. Dass sie in diesem Moment so offen geglitzert hatten, verhieß nichts Gutes.

„Er ist ein irrer Spinner“, fauchte Ino. „Er gehört in eine Gummizelle, nicht wir!“

„Ich glaube nicht, dass er ein Spinner ist“, sagte Sakura. „Er ist klug. So klug, dass er uns hier hereingebracht hat, ohne dass jemand Verdacht geschöpft hat. Er hat im Handumdrehen Dokumente gefälscht, Gutachten verändert, Leute übers Ohr gehauen. Und er hat es einfach zum Zeitvertreib gemacht. So wie sich einer von uns in der Videothek einen Film ausleiht, der ihm ins Auge springt.“

„Genie und Wahnsinn liegen ja angeblich nahe beieinander“, zitierte Tenten bedeutungsschwer.

„Er ist einfach ein Arschloch“, beharrte Kiba.

Sie versanken wieder in Gedanken. Eigentlich sollte Sakura versuchen, das Rätsel zu lösen, das das letzte Spiel hinterlassen hatte. Sie wusste, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als nach Sphinx‘ Regeln zu spielen. Dennoch machte sie sich vor allem Vorwürfe, weil sie damals zugestimmt hatte, die rätselhafte Mail zu öffnen, mit der alles seinen Anfang genommen hatte.

 

Nach dem Abendessen hatten sie noch ein wenig Zeit, ehe die Pfleger sie freundlich, aber bestimmt in ihre Zimmer einwiesen. Neun Uhr – Zimmerzeit. Zehn Uhr bedeutete Bettruhe.

In Sakuras Trakt gab es nur Einzelzimmer – nicht, dass noch jemand darin Platz gehabt hätte. Gefängniszellen stellte sie sich luxuriöser vor. Zwar hatte sie einen Uralt-Fernseher, aber nur zwei Programme waren freigeschaltet. Rätselhefte stapelten sich auf dem kleinen Tisch, als wollte Sphinx sie verhöhnen. Ihr Fenster nahm fast die ganze Hinterseite des Zimmers ein, was keine Kunst war, und es offenbarte den verregneten Innenhof. Es war nicht vergittert, aber eine Art Sicherung erlaubte es ihr nur, es zu kippen.

Ab neun lag sie auf ihrem Bett und grübelte. Regentropfen trommelten an die Scheibe und machten sie schläfrig, aber sie musste irgendwie vorankommen. Ohne es zu überprüfen wusste sie, dass ihre Tür verschlossen worden war. Sakura hatte keine Ahnung, ob das in derartigen Anstalten üblich war; vielleicht wollte Sphinx auch nur verhindern, dass sich seine besonderen Patienten nachts besuchten. Immerhin hatte Sakura noch keine Kamera in ihrem Zimmer entdeckt, und auch nicht in dem winzigen, angrenzenden Badezimmer.

Sie zwang sich, noch einmal alles durchzugehen. Vielleicht würde es ihr besser gelingen, wenn sie sich an diese verteufelte Umgebung gewöhnen könnte, aber mit ihrer Welt, die auf dem Kopf stand, fiel es ihr schwer, sich auf die Welt in einem einfachen Kartenspiel zu konzentrieren.

Ino war ein Werwolf, soviel war klar. Naruto und Hinata das Liebespaar, aber sie konnten dennoch jede beliebige Karte besessen haben, soweit Sakura wusste. Was war mit Tenten? Offenbar war sie weder Hexe noch Werwolf. Also entweder die Seherin oder ein Dorfbewohner … Sollte sie einfach eines von beiden annehmen und versuchen, den Rest zu rekonstruieren?

Seufzend drehte sie sich herum und fasste sich an die Stirn. Der Regen nervte. Das kleine Bett nervte, und die kratzige Bettwäsche sowieso. „Denk nach, Sakura“, murmelte sie. Jemand wie Shikamaru hätte sicher bereits eine Lösung. Vielleicht auch Sasuke – er war immerhin die ganze Zeit relativ ruhig gewesen.

Sasuke! Es durchfuhr sie wie ein Blitz. Sasuke hatte Tenten verteidigt. Das hatte sie damals für natürlich gehalten, da sie der Ansicht gewesen war, beide wären Werwölfe. Inos wahre Identität erschütterte diese Theorie jedoch. Sasuke und Tenten waren auch nicht das Liebespaar gewesen, sonst wären beide gestorben, als Sakura und Ino Sasuke gelyncht hatten und Tenten sich zögerlich enthalten hatte. Richtig, sie hatte nicht gewusst, warum er sie am ersten Tag beschützt hatte. Wenn er ein Werwolf gewesen wäre, hätte er um ihre Unschuld Bescheid gewusst, aber auch, wenn …

Dann fiel ihr noch etwas ein. Sasuke war der Schlüssel, der sie enorm nach vorn brachte. Am ersten Tag hatte er für Tenten ausgesagt. Am zweiten gegen Ino. Beide Male hatte er Recht behalten … Er musste die Seherin gewesen sein. Jede Nacht hatte er auf einen Spieler gedeutet, und Sphinx hatte ihm ein Zeichen gegeben, ob es sich um einen Werwolf handelte oder nicht.
 

- In den Bergen, erste Nacht -
 

Offenbar bearbeitete jemand seinen Kopf mit Hammerschlägen. Sasuke presste stöhnend die Augen zusammen, hinter denen tausend Nadeln dabei waren, seine Stirn zu perforieren. Dass er nur eine dünne Schicht Stoff zwischen sich und dem Dielenboden hatte, half auch nicht gerade.

Wo war er? Warum hatte er einen so gewaltigen Kater?

Erst nach und nach kamen die Erinnerungen zurück. Er war mit seinen Freunden in dieser Ferienhütte, und gestern Nacht hatten sie sich an den Rand der Besinnungslosigkeit getrunken. Verdammter Naruto. Es war seine Idee gewesen, ein Wetttrinken zu veranstalten. Sasuke wünschte ihm die gleichen Kopfschmerzen, die er selbst durchstehen durfte.

Ächzend stemmte er sich auf den Ellbogen in die Höhe. Er lag in seinem Schlafsack, weil er beim Auslosen der Schlafplätze den Kürzeren gezogen hatte, hinter der Couch im Wohnzimmer der Blockhütte, in der Nähe der Tür. Leise drangen tiefe Atemzüge an sein Ohr. Naruto hatte es wohl tatsächlich bis auf die Couch geschafft. Oder war das Neji? Naruto würde vermutlich schnarchen. Vielleicht war es auch Kiba oder einer der anderen. Sasuke wusste nicht mehr genau, wer wann zu Bett gegangen war, aber Naruto hatte Tenten und Hinata mehrmals lallend angeboten, doch bei ihm auf der Couch zu schlafen, wenn sie es nicht mehr bis nach oben in ihr Zimmer schafften. Sasuke war sich nicht sicher, wie ernst er das gemeint hatte, aber es war schließlich auch ungewiss, wie ernst die anderen es nahmen. Er beschloss, nicht nachzusehen. Vielleicht wachte Naruto ja morgen auch Arm in Arm mit Kiba auf, der, soweit Sasuke sich erinnern konnte, von ihnen allen am meisten gebechert hatte. Er schmunzelte bei dem Gedanken.

Er beschloss, etwas trinken zu gehen, um das pelzige Gefühl in seinem Mund loszuwerden. Mit dröhnendem Schädel stand er auf und tappte in den Flur. Ihm schwindelte immer noch. Gegenüber dem oberen Treppenabsatz war ein Fenster eingelassen, durch das er einen Streifen Nachthimmel und Mond und Sterne sehen konnte, viel klarer und zahlreicher als in der Stadt. Es dauerte ein wenig, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, aber dann fand er den Weg in die Küche ohne Probleme. Auf dem Tisch müssten eigentlich neben den Überbleibseln des Saufgelages noch Orangensaft und Mineralwasser zu finden sein – obwohl der Gedanke an die eisgekühlten Getränke im See lockte, wollte er nicht so weit gehen.

In der Küche, ebenfalls vom fahlen Mondschein beleuchtet, fand er schließlich Tenten. Sie saß immer noch am Tisch, die Arme auf der Tischplatte verschränkt und den Kopf darauf gebettet. Sie hatte auch bei dem Wetttrinken mitgemacht und erstaunlich viel vertragen, erinnerte sich Sasuke. Als Naruto ihn damit aufgezogen hatte, dass er bereits kreideweiß wäre, hatte sie noch so frisch und munter gewirkt, als hätte sie gerade eine Morgenrunde im Bergsee gedreht. Irgendwann aber war sie einfach nach vorn gekippt und hatte wie ein Stein geschlafen. Offenbar hatte sie sich seither noch nicht von der Stelle gerührt. Sasuke entschied, sie schlafen zu lassen.

Die fluoreszierenden Zeiger des Weckers auf der Anrichte zeigten kurz vor drei, also konnte er nicht lange geschlafen haben. Sasuke schenkte sich ein Glas Wasser ein, lehnte sich an den Tisch und leerte es mit behutsamen Schlucken. Dabei dachte er über den vergangenen Tag nach. Er wollte nicht melancholisch werden, aber er fand es gar nicht so übel, mit seinen Freunden etwas zu unternehmen. Er hatte es sich schlimmer vorgestellt, vier Nächte lang mit ihnen unter einem Dach schlafen zu müssen. Blieb nur zu hoffen, dass sich auch die anderen morgen mies genug fühlten, um von weiteren Saufgelagen abzusehen.

Tenten riss ihn aus seinen Gedanken, als sie irgendetwas im Schlaf murmelte. Sasuke setzte das Glas ab und stellte sich darauf ein, noch ein paar Stunden unbequem in seinem Schlafsack zu verbringen.
 

- In den Bergen, zweite Nacht -
 

Als sein Handywecker ihn kurz vor vier aus dem Schlaf riss, stellte sich Sasuke auf eine ruhige, wenn auch unangenehme Wache ein. Er zwang sich, wieder ganz wach zu werden, und ging dann zu Naruto in den Flur. Sein Freund wartete schon und schien nur mit Mühe die Augen offenhalten zu können. „Wachablösung“, murmelte Sasuke mit heiserer Stimme.

Naruto gähnte. „Danke.“ Er reichte ihm das ungeladene Gewehr.

„Sag mal, was riecht hier so?“ Aus der Küche kam der Gestank von etwas Verbranntem.

„Reis“, murmelte Naruto.

„Hat’s geschmeckt?“, fragte Sasuke trocken.

„Hey, ich hab den nicht anbrennen lassen“, sagte Naruto empört. „Aber bis ich ihn vom Herd hatte, naja, da war er schon schwarz.“

„Klar“, seufzte Sasuke. Er war müde und hatte keine Lust, mit einem noch müderen Naruto über dessen Mitternachtssnacks zu diskutieren. „Geh schon schlafen.“

Naruto tappte die Treppe hoch zu seinem und Hinatas Zimmer, und Sasuke setzte sich allein im Schein des Kerzenleuchters auf den Stuhl, den sie vor die Eingangstür gestellt hatten. Und grübelte.

Es war verdammt viel passiert gestern. Sie hatten Nejis Leiche gefunden und Kiba war die Klippen hinuntergestürzt. Und das alles, obwohl ein gemütlicher Urlaub unter Freunden geplant gewesen war. Sasuke hatte in seinem Leben schon einiges durchgemacht und konnte von sich behaupten, abgebrühter als seine Freunde zu sein, dennoch kroch seit dem letzten Morgen etwas Dunkles durch seine Synapsen.

Neji und Kiba. Beide hatte er nicht wirklich gemocht, aber immerhin waren sie Teil des Freundeskreises, der ihn nach seiner Rückkehr nach drei Jahren vorbehaltlos wieder aufgenommen hatte. Wer auch immer hier ein schmutziges Spiel mit ihnen spielte, ob Feind von außen oder Freund von innen, Sasuke würde ihm das Handwerk legen. Die anderen waren alle zu sehr ausgetickt, auf sie konnte er sich nicht verlassen.

Er rechnete zwar nicht damit, dass plötzlich jemand versuchte, sich gewaltsam Zutritt zur Hütte zu verschaffen, aber er hoffte es.

Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Jemand pochte an die Eingangstür? War das jetzt ein Scherz?

„Naruto? Ich bin’s.“ Inos Stimme. Was zum Teufel tat sie draußen?

Er verrückte den Stuhl und öffnete die Tür einen Spalt. „Ino?“ Sie war im Pyjama.

„Ach, du bist’s, Sasuke. Ist es schon Zeit für deine Wache?“

„Schon lange.“ Erst kürzlich hatte er auf seine Handyuhr gesehen. Seit guten zwanzig Minuten saß er nun schon hier. „Was machst du da draußen?“

Ino rubbelte ihre Oberarme. „Kann ich dir das nicht auch drinnen erzählen? Ist kalt hier.“ Er zögerte, dann beschloss er, fürs Erste gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Irgendetwas war hier faul.

„Also?“, fragte er, als er die Tür hinter ihr geschlossen und wieder abgesperrt hatte.

„Ich war auf der Toilette, was glaubst du denn?“, fragte sie stirnrunzelnd. „Ist das plötzlich verboten? Naruto hat mich rausgelassen.“

„So lange? Es ist zwanzig nach vier.“

Ino bedachte ihn mit einem abfälligen Blick. „Manchmal braucht man eben ein bisschen länger. Ich hab ihm ja gesagt, er soll gleich warten, bis ich wiederkomme, aber offenbar …“

Sasuke erwiderte nichts. Er legte all sein Misstrauen in seinen Blick. Ino, die zwanzig Minuten lang durch die Nacht schlich? Aber wenn nicht Naruto, wer hätte sie sonst rauslassen sollen?

Als seine Antwort ausblieb, seufzte Ino. „Du glaubst mir also nicht. Okay, hör mal, ich bin wahrscheinlich nach alledem auch ein wenig paranoid, und ich war auch nicht scharf drauf, so lange da draußen auf dem Silbertablett zu sein. Aber mal ehrlich, was könnte ich im Klohäuschen schon Böses verbrochen haben?“

Da war etwas dran. Sie alle befanden sich im Haus, niemand von außen konnte ihnen etwas anhaben, solange die Fenster geschlossen waren, dafür sorgte die jeweilige Wache. Was für eine Ironie – Sasuke hatte schon erwartet, ein wahnsinniger Mörder würde versuchen, die Tür aufzubrechen … und dann kam Ino, mit dieser Geschichte? Hätte Naruto ihm nicht gesagt, dass sie noch draußen war?

Ino gähnte, als er immer noch keinen Kommentar dazu abgab. „Also, mach’s gut.“

Sein finsterer Blick bohrte sich in ihre Schulterblätter, als sie den Flur entlangmarschierte. „Ich behalte dich im Auge“, sagte er düster.

„Wunderbar. Ich wollte schon immer einen großen, starken, nach Möglichkeit dunkelhaarigen Beschützer. Gute Nacht.“ Sie winkte ihm zu, ehe sie in ihr und Sakuras Zimmer verschwand.

Sasuke setzte sich nachdenklich wieder hin. Was war das eben gewesen? Je länger er darüber nachdachte, desto verdächtiger kam ihm Inos Verhalten vor. Auf der anderen Seite – hätte sie draußen etwas tun können, das jemandem von ihnen geschadet hätte? Kaum. Vielleicht dachte er zu viel über diese Sache nach und es gab eine simple Erklärung für die mindestens zwanzig Minuten, während denen sie im Freien herumgestromert war.

Und trotzdem …
 

So musste es gewesen sein! Sasuke als Seherin, und Tenten als gewöhnlicher Dorfbewohner. Endlich setzte sich das Puzzle ein wenig zusammen …

 
 

- In den Bergen, dritter Tag -
 

Tenten verbrachte den Tag zwischen Verzweiflung und Hass. Sie hatte eine Senke im Wald gefunden, weit genug weg vom Ferienhaus, um nicht gleich entdeckt zu werden, sollte man nach ihr suchen. Sakura und Ino, verdammt sollten sie ein! Vielleicht stimmte es ja, vielleicht war Sasuke der Täter und hatte ihr nur aus einer Laune heraus ihr Alibi zugestanden, aber das machte sie doch nicht zur Mittäterin! Außerdem war sie mit jeder Minute, die verstrich, sicherer, dass die beiden in Wahrheit die Täter waren. Sie wusste nicht, wie sie das angestellt hatten, wie sie Neji und danach Hinata und Naruto getötet hatten, aber das würde sie schon aus ihnen herausprügeln!

Vielleicht war es dieser Gedanke, der sie daran hinderte, einfach das Weite zu suchen. Sie hatte die beiden in dem Haus eingeschlossen. Zunächst war es nur ein Impuls gewesen, um sie daran zu hindern, ihr mit ihren Messern nachzusetzen, so wie es ein zugegeben dämlicher Impuls gewesen war, ihre eigene Waffe in ihrer Resignation von sich zu schleudern. Die beiden konnten jetzt zwar immer noch durch die Fenster fliehen, aber Tenten hatte eine Möglichkeit, das Haus weiterhin zu betreten. Vielleicht lebte Sasuke ja noch, vielleicht wenigstens er. Sakura sah nicht so aus, als würde sie ihn einfach sterben lassen – aber auch Ino hätte Tenten diese Kaltblütigkeit schließlich nicht zugetraut.

Sie suchte sich Waffen für den Kampf gegen zwei mit Messern bewaffnete Gegnerinnen. Ein Ast mit einem knotenförmigen Auswuchs, der ihn wie eine Keule wirken ließ, war das Beste, das sie fand. Mit zwei Steinen schabte sie einen zweiten Ast spitz, um ihn wie einen Speer verwenden zu können, und schließlich steckte sie auch die Steine ein. Dann baute sie sich ein Lager aus Reisig, deckte sich gut zu, sodass man sie kaum sah, und holte Schlaf nach, den sie dringend nötig hatte. Als sie erwachte, knurrte ihr Magen und ihre Kehle war wie ausgedörrt, aber noch nie war Tenten so entschlossen gewesen. Sie würde Nejis Mörder an den Kragen gehen, Sasuke vielleicht retten, und vielleicht sogar ihre Freundinnen zur Vernunft und zu einem Geständnis bringen. Und sie schwor sich, niemanden zu töten.

Derart mit Holz, Stein und Vorsätzen bewaffnet, machte sie sich auf den Weg zurück zum Blockhaus. Es war bereits spät in der Nacht.
 

„Na, Frau Haruno, wie fühlen wir uns heute?“

Niemand hatte ihr erklärt, dass es eine ärztliche Morgenvisite geben würde. Der Mann mit dem nur noch halbmondförmigen, grauen Haaransatz sprach ohne wirkliches Interesse. Es war wohl so etwas wie die Einstiegsfloskel in ein hoffentlich nicht allzu langes Gespräch. Er und zwei junge Pflegerinnen hatten Sakura aus dem Schlaf gerissen. Eigentlich müsste sie sich empört fühlen.

„Zumindest halbwegs erleuchtet“, sagte sie stattdessen, in Anbetracht ihrer Erkenntnisse von gestern Abend. Außerdem war es wahrscheinlich ohnehin egal, was sie sagte. Der Weg nach draußen führte über Sphinx, nicht über einen Arzt oder Psychologen oder Anwalt oder Gutachter.

„Das freut mich“, sagte er mit eindeutig freudloser Stimme. „Demnach bereuen Sie Ihre Taten?“

Sie bereute, dass sie zugestimmt hatte, Sphinx‘ E-Mail zu öffnen. Geht nach Norden und findet den Schatz. „Kann man so sagen.“

„Nun, das ist ein Anfang.“

Sakura hoffte bereits, dass sie bald zum Schluss kamen.

 

Der Tag zog sich in die Länge. Nach der leeren Visite folgte ein Frühstück, das ein wenig mehr Geschmack hatte als das Abendessen gestern, dann durften sich die Patienten selbst beschäftigen und wurden von gelegentlichen Vorträgen unterbrochen. Sakura brannte darauf, ihren Freunden ihre Theorien zu offenbaren, doch sie wusste, dass sie ihre Zunge hüten musste. Stattdessen beobachtete sie sie genau. Immerhin, Tenten schien besser gelaunt als gestern. Vielleicht war sie zu ähnlichen Schlüssen gekommen wie sie selbst.

Nach einer Ewigkeit und einem weiteren, nicht völlig üblen Mahl kam der Nachmittag. Sakuras Tagesplan sah eine Einzeltherapie um fünf Uhr vor; damit war sie die Letzte aus ihrer Gruppe. Sphinx wollte sich die ergiebigste Spielerin wohl bis zum Schluss aufheben. Nachher würde es bei Bedarf eine weitere Gruppentherapie geben, wenn der betreuende Psychologe das für nötig hielt, hatte der Arzt gesagt. Und sie hatte den dringenden Verdacht, dass Sphinx das tat.

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, das zugenommen hatte, je länger sie gewartet hatte, trat sie in das Büro von – laut dem Schildchen – S. P. Hinx. Vor ihr war Hinata dran gewesen. „Ich drücke dir die Daumen“, hatte sie geflüstert, aber mit keinem Wort verraten, wie es ihr selbst ergangen war. Diese Geheimniskrämerei, was ihren eigenen Punktestand anging, glich jetzt schon seelischer Folter.

„Ah, wen haben dir denn da?“, sagte Sphinx, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.

„Begrüßt du so jeden von uns, oder hat man dir den Tagesplan vorenthalten?“, fragte Sakura trotzig.

Er lachte nur und deutete auf den gepolsterten Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Heute sah Sphinx nicht ganz so verrückt aus. Eine Brille ließ ihn sogar recht seriös wirken. Nur sein kariertes Hemd flackerte in mindestens vier Farben und verlieh seiner Patchwork-Natur Ausdruck. Wie er da thronte, hinter einem Monstrum aus Mahagoni, sah er tatsächlich wie jemand Wichtiges aus. Sakura fragte sich unwillkürlich, wie viel Anstrengung es ihm bereitet hatte, sich diese Position zu erschleichen.

„Frau Sakura Haruno. Angeklagt wegen … einer ganzen Menge.“ Er grinste.

„Wie lustig“, brummte sie.

„Ich kenne ein gutes Reinigungsmittel, um den Dreck an deinem Stecken zu reduzieren. Sag mir, was du kombiniert hast – aber ich will keine Vermutungen. Wir spielen immer noch, in gewisser Weise. Wenn du eine falsche Theorie äußerst, ist es wie mit Spielkarten. Was auf dem Tisch liegt, gilt auf ewig. Wenn du dich irrst, hast du die Punkte verschenkt.“

Sakuras Gedanken rasten. Sie hatte mehrere Theorien aufgestellt, was den zweiten Werwolf anging, aber sicher war sie sich nur bei Tenten und Sasuke. „Kann ich …“ Sie unterbrach sich, weil ihr Mund so trocken war.

„Oh, bitte, bediene dich.“ Sphinx deutete auf einen Wasserkrug und ein Glas auf dem Schreibtisch. „Deine Freunde waren auch ein wenig nervös. Einige zumindest.“

Sakura leckte sich aus Trotz nur über die Lippen und sprach mit rauer Stimme weiter. „Kann ich auch nur die Hälfte der Karten erklären und den Rest später versuchen?“

„Wie du willst. Achte nur darauf, dass du später keine Einzelheiten vergisst.“ Er zwinkerte ihr zu.

Sie atmete tief durch. Jetzt hieß es alles oder nichts. Ein paar Punkte, und zumindest der Anfang wäre geschafft. „Sasuke war die Seherin“, sagte sie mit fester Stimme. „Er hat in der ersten Nacht Tenten ausspioniert. Tenten war ein Dorfbewohner. In der zweiten Nacht hat Sasuke Ino als Werwolf enttarnt, dann haben wir ihn fatalerweise gelyncht.“

Sphinx‘ Grinsen war immer breiter geworden, und je mehr Sakura ihren Verdacht ausgesprochen hatte, desto sicherer war sie geworden, dass er falsch war. Doch dann nickte er.

„Gut gemacht. Ja, das ist korrekt. Wie steht es mit den anderen? Das Liebespaar?“

„Naruto und Hinata“, sagte sie, ehe sie ins Grübeln kam, ob da nicht doch die Hexe ihre Finger im Spiel gehabt hatte.

„Auch richtig.“ Sphinx‘ Mundwinkel kräuselten sich. Er schien es zu genießen, wenn seine Gegner der Wahrheit auf die Schliche kamen – oder er freute sich nur darauf, sie mit neuen Rätseln in noch tiefere Verzweiflung zu stürzen.

Plötzlich kam Sakura die ganze Situation dermaßen absurd vor, dass sie am liebsten laut gelacht hatte. Sie steckte hier fest, in einer Anstalt, unschuldig unter Wahnsinnigen, und um freizukommen, musste sie einem verrückten Clown den Ablauf eines Gesellschaftsspiels erklären. Ja, es war Wahnsinn. Gefährlicher, schneidender Wahnsinn – denn wenn sie in Sphinx‘ Augen keinen Wahnsinn erkannte, war sie es dann, die den Verstand verlieren würde?

„Und der zweite Werwolf? Wenn du ihn hast, sollte das ganze Spiel aufgedeckt sein.“

Kiba, wollte sie schon sagen, hielt sich aber zurück. Es konnte trotzdem auch ein Werwolf im Liebespaar stecken. Vielleicht hatte sich einer von ihnen bereitwillig geopfert – oder der andere Werwolf hatte ihn irgendwie dazu gebracht. Nein, das war hirnrissig. Dazu waren nicht genügend Wölfe im Spiel gewesen. Und Kiba hatte definitiv eine Spezialrolle innegehabt. Er hatte am ersten Tag wilde Anschuldigungen in alle Richtungen regnen lassen. Nun kannte sie ihn zwar als recht impulsiven Zeitgenossen, aber irgendetwas hatte er trotzdem verbergen wollten … Aber er hatte tatsächlich so gut wie jeden beschuldigt, auch Ino, und wäre er ein Werwolf gewesen, hätte er sie doch wohl gedeckt. Wenn Sakura allein sein Verhalten bei der ersten Abstimmung betrachtete, würde auch die Hexe sehr gut zu ihm passen, die gelyncht wurde, noch ehe sie ihre Tränke einsetzen konnte, aber …

Sie erkannte, dass sie festsaß. „Wenn alles gutgeht, weiß ich es morgen“, sagte sie nur.

Sphinx zeigte ihr ein strahlendes Lächeln. Seine Zähne waren weiß wie die Wüstensonne. „Eine gute Antwort. Ich schätze, unsere Einzeltherapie ist bereits beendet“, gluckste er. „Wir sehen uns um sechs im Gruppenraum.“

 

„Meint ihr, was hat er vor?“ Naruto rutschte unruhig auf dem Sofa herum, das Leder knarzte. „Will er ein neues Spiel beginnen, auch wenn wir das alte noch nicht gelöst haben?“

„Kann gut sein“, murmelte Sasuke.

Sie warteten seit zehn Minuten auf Sphinx. Gestern war er pünktlich gewesen. Auch Hinata fehlte noch in ihrer Runde, was ebenfalls seltsam war.

Das Therapiezimmer war behaglich eingerichtet, mit dem runden, weichen Teppich im Sitzkreis, dem wuchtigen wie schmucken Eichenholzschreibtisch in der Ecke und den vielen verspielten Wandlampen. Eine Leseecke gab es auch; das Regal dort war zur Hälfte mit Büchern und zur anderen mit Spielen vollgestopft. Hier konnte sich Sphinx ohne Zweifel austoben.

Sakura war im Geiste noch damit beschäftigt, die Identität des anderen Werwolfs herauszufinden. Sie kam einfach nicht weiter; ging man rein die Fakten durch, sprach immer noch alles für Kiba, aber seine Reaktionen während des Spiels … Die acht kannten einander ziemlich gut, das war ihr größter Vorteil Sphinx gegenüber. Etwas stank an der Sache.

Die Tür wurde aufgestoßen und mit weit ausholenden Gesten kam Sphinx flott hereinmarschiert. „Entschuldigt die Verspätung“, sagte er laut, „aber die Verstärkung, die ich organisiert habe, wurde leider ein wenig aufgehalten.“

Spontan wandten sich sieben verblüffte Gesichter den Gestalten zu, die von etlichen Pflegern in den Raum geleitet wurden, säuberlich gekleidet in die grauweißen Klamotten, die hier die Sträflingskleidung ersetzten.

„Ihr?“, entfuhr es Naruto.

Ein neues Spiel


 

~ 7 ~
 

Der hölzerne Bugspriet stieß durch den Morgendunst, versuchte die Sonne aufzuspießen, die sich als gleißender Ball aus dem Meer erhob. Eine steife Brise ließ die Vieja Gloria gute Fahrt machen und kräuselte die Wasseroberfläche zu kleinen, schaukelnden Wellen, deren Kämme im Morgenlicht glitzerten. Die Seeluft war frisch und angenehm. Salzig und voll von Abenteuern füllte sie Narutos Lungen. Es war eine Wohltat nach der unruhigen Nacht in seiner Kajüte, unter knarrenden Dielen und mit einem Schaukeln, dessen Ursprung man nicht hatte erkennen können. Auch der schmierige Lampenschein unter Deck war nichts für ihn. Eine Reise auf einem Schiff sollte genau das sein – man sollte sich dabei nicht länger als nötig im Schiff aufhalten.

Man konnte ewig die funkelnden Wellen betrachten, ohne ihres Anblicks müde zu werden. Stets neue Facetten, stets neues Licht, und irgendwann schwirrten einem die Sinne, als wäre man betrunken. Dazu das sanfte Schaukeln und die angenehme Trägheit. Es war berauschend.

Bis sie Land sichteten, würde dieser Anblick auch der einzige sein, den er genießen konnte. Kapitän Kakashi hatte vorausgesagt, dass die Insel nicht vor Mittag in Sichtweite kommen würde. Naruto hatte also jede Menge Zeit – dennoch war er froh, nicht in die Mannschaft eingestiegen zu sein.

Die Vieja Gloria war ein kleiner Schoner, der normalerweise Waren transportierte, doch für diese Reihe war sie als Passagierschiff zu chartern gewesen. Eine Fünf-Mann-Crew hätte für sie ausgereicht, wenn der Smutje noch kräftig mit anpackte. Ein heißblütiger Matrose, der Energie für drei aufbrachte, senkte die Zahl der notwendigen Besatzung auf drei Mann.

Naruto beobachtete das Energiebündel, das es zu lieben schien, in der Takelage herumzuklettern wie ein grün gekleideter Affe. Rock Lee nannten ihn die anderen. Man sah ihm seine Kraft nicht an, aber er war ziemlich stark, und unglaublich ausdauernd. Obwohl der Maat auch nicht gerade unfähig war – ein wild aussehender Kerl namens Kiba, der auch als Pirat hätte durchgehen können–, wirkte er neben Lee wie ein Faulpelz.

Nicht so faul jedoch wie der Kapitän. Der große, weißhaarige Mann war schon zu spät zum Auslaufen seines eigenen Schiffs gekommen. Seine Crew hatte die Passagiere bereits empfangen, und erst dann war er mit einer billigen Ausrede herangeschlendert. Natürlich war auch das Schiff später ausgelaufen als geplant. Aber Kapitän Kakashi war zuverlässig. Das Kap, das sie vor drei Tagen umsegelt hatten, hatte vor tückischen Riffen nur so gestrotzt, die See war aufgewühlt gewesen und die Sicht schlecht, und dennoch hatte er die Vieja Gloria sicher durch die Gefahrenzone manövriert. Nun hatten sie ihr Ziel fast erreicht, und Naruto war sich sicher, dass Kakashi und seine Mannschaft auch bei der Rückfahrt ganze Arbeit leisten würden. Er blinzelte gegen die aufgehende Sonne und war mit sich und der Welt zufrieden.

„Ein schöner Morgen an Deck, nicht wahr?“

Sakura hatte sich zu ihm gesellt. Ihr Haar schien in der Morgensonne zu leuchten. Vermutlich war sie schon länger auf als Naruto – es war sicherlich anstrengend, sogar auf einer recht entspannenden Schiffsreise als Dienstmädchen zu arbeiten. Ihre Herrin betrat soeben hinter ihr das Achterdeck. Lady Ino sah man die Lady nur zu deutlich an. Sie trug ein cremefarbenes Kleid, natürlich mit Korsett, weiße Netzhandschuhe, und das lange, blonde Haar hatte sie – oder eher Sakura – zu einem kunstvollen Zopf geflochten. Die herrliche Morgensonne hielt sie mit einem weißen Schirmchen, das aussah wie aus Zucker gegossen, von ihrer Haut fern. Naruto wusste nicht, ob sie eitel oder hochnäsig war. Er hatte noch nie mit ihr gesprochen, aber er vermutete es. Sakura hatte ihm nur erzählt, dass sie Ino mochte und umgekehrt. Sie waren zusammen aufgewachsen und hatten sich als Kind oft gestritten, aber nun waren sie ein Herz und eine Seele. Vielleicht lag es auch am Standesunterschied, dachte Naruto.

Sakura hatte sich für die Seefahrt besser ausstaffiert. Sie trug Abenteurerkleidung, ähnlich wie Naruto selbst; einen braunen Mantel mit großen, schlichten Knöpfen, bequeme Hosen und hochgeschlossene Stiefel. Die Haare trug sie offen. Naruto fand sie eigentlich sehr attraktiv und hoffte, sie würden nach diesem Abenteuer in Kontakt bleiben.

„Sehr schön, ja“, antwortete er mit einiger Verspätung, als sie sich neben ihm gegen die Reling lehnte. Sein eigener Mantel – rot mit bestickten Flammen, was recht beeindruckend aussah, wie er fand – wehte im Wind, als dieser auffrischte. „Hat deine Herrin auch mal beschlossen, an Deck zu kommen?“ Seit die Reise begonnen hatte, war sie fast nur in ihrer Kabine gewesen. Naruto vermutete, dass sie einfach seekrank war.

Ehe Sakura antworten konnte, rief Ino zu ihnen herüber: „Sakura, ich gehe wieder nach unten. Hier ist es mir zu zugig.“

„Würde kein Wind gehen, hätten wir ein Problem.“ Die belustigte Stimme gehörte Tenten, die hinter Ino ebenfalls aufs Achterdeck stieg und sich an der Lady vorbeidrängte.

Naruto hatte viele Seemannsgeschichten gehört, vor allem in den Tavernen seines Heimathafens wurde sehr viel Garn gesponnen und dem Aberglauben gefrönt. Viele Seebären hatte er schwören hören, es brächte Unglück, wenn eine Frau an Bord eines Schiffes ginge. Auf der Vieja Gloria waren sogar drei, und bisher hatten sie eine sichere Reise gehabt. Gut, dass der Kapitän nichts auf derlei Geschwätz gab.

Während Ino zurück zur Deckluke ging, gesellte sich Tenten zu ihm und Sakura. Sie sprachen alle drei aufgeregt über die Insel, die sie erwartete. Keiner konnte es mehr erwarten, nach all der Zeit auf dem Schiff endlich an Land zu gehen. Tenten konnte nicht wissen, was Naruto und Sakura wussten, aber sie hatte ihre eigenen Gründe, die Insel zu erforschen. Tenten war dorthin unterwegs mit Neji, und der war im Auftrag der Krone unterwegs. Es war wohl ein glücklicher Zufall, dass die Royals erst jetzt darauf gekommen waren, die Insel vermessen zu lassen. Außerdem sollte Neji Bodenproben und Pflanzenteile – und Kot, wie Kiba gern scherzte – aufsammeln und zurück ins biologische Institut nach Port Fronda bringen. Die Forscher, die sich wirklich damit auskannten, waren sicherlich ganz helle Köpfe, aber auf ein Schiff zu steigen bedeutete immer ein gewisses Maß an Gefahr, und sie wollten ihre hellen Köpfe schützen, so gut es ging.

Das war Nejis Aufgabe auf dieser Reise – und Tenten sollte ihm dabei einfach zur Hand gehen. Eigentlich hatte sie mit dem Institut nichts zu tun – sie handelte, so ungewöhnlich es war, mit allerlei Waffen, von einfachen Messern bis hin zu schwerkalibrigen Gewehren. Aber Tenten und Neji kannten einander von früher, hatte Naruto sich sagen lassen.

Wenn man es so betrachtete, war es ein kunterbunter Haufen, der an Bord der Vieja Gloria versammelt war. Er selbst, eine Waffenexpertin und ein Beauftragter der Krone, dann eine entflohene Braut und ihre Dienerin, ein etwas verschrobener Kapitän, zwei Matrosen – und dann noch die beiden rätselhaften und womöglich nicht ganz ungefährlichen Passagiere, die momentan noch unter Deck waren.

 

„Wo ist eigentlich Hinata?“, fragte Naruto, als alle Anwesenden Platz genommen hatten.

„Sie lässt sich entschuldigen“, sagte Sphinx mit unergründlicher Miene. „Ihr ist nicht ganz wohl zumute. Wir werden diese Runde ohne sie spielen.“

Das kam Sakura seltsam vor. Vor ihrer Besprechung hatte Hinata noch ganz in Ordnung gewirkt – hatte sie etwa schon genug Punkte gesammelt, um aussteigen zu können? Nein, das war nicht möglich.

„Was soll das heißen? Was ist mit ihr?“ Neji war aufgesprungen. „Wenn du Hinata irgendetwas zuleide getan hast …“

„Aber, aber“, wiegelte Sphinx im Plauderton ab. „Das hier ist eine Anstalt, um Menschen zu helfen, nicht um ihnen etwas zuleide zu tun, oder? Setz dich wieder, wir möchten anfangen.“

Neji starrte ihn noch eine Weile trotzig an – und Naruto wirkte, als würde er ihm gleich beispringen, aber schließlich glätteten sich die Wogen wieder. Sie hatten längst begriffen, wie das Spiel lief. Wer nicht tat, was Sphinx sagte, kam nie hier heraus. Blieb nur zu hoffen, dass Hinata nur ganz plötzlich übel geworden war.

Sakura konnte sich eines unguten Gefühls trotzdem nicht erwehren, als Sphinx seelenruhig die Karten mischte.

 

„Meint ihr, wir begegnen Piraten?“, riss Tenten Naruto aus seinen Gedanken.

„Niemals – warum sollten die zu so einer einsamen Insel unterwegs sein?“, fragte Sakura.

„Naja, wer weiß schon, was in deren Totenköpfen so alles vorgeht?“ Tenten sah aufs Meer hinaus. Hinter ihnen lag nichts als Wasser und der Horizont, ein wenig geschmückt vom Kielwasser der Vieja Gloria. „Ich habe viele Geschichten gehört über das Pack, das sich heutzutage auf hoher See tummelt. Und Piraten gehen nicht immer logisch vor, wisst ihr? Die tun, was ihnen gerade in den Sinn kommt.“

„Das ist doch alles Seemannsgarn.“

Naruto hatte Neji gar nicht kommen hören. Der königliche Botschafter trug Mantel und Hut in Grau und Weiß und war ein Ausbund an Vernunft. Das lange Haar hatte er im Nacken zu einem Zopf gebunden. Narutos Ansicht nach wäre er der Typ für eine dieser weißen Allongeperücken gewesen, aber sein echtes Haupthaar war wohl doch eindrucksvoller.

„In jeder Geschichte steckt immer ein Funken Wahrheit“, belehrte ihn Tenten. „Habt ihr von den Wolfspiraten gehört? Niemand weiß, wer sie sind und wo sie herumlungern. Sie segeln ohne Flagge, manche sagen sogar, sie hätten gar kein eigenes Schiff. Trotzdem sollen sie in letzter Zeit einige Plünderungen durchgeführt haben, und bei den meisten gab es Mord- und Totschlag.“

„Ammenmärchen“, sagte Neji sofort. „Wie soll man ohne ein Schiff andere Schiffe plündern?“

„Und dann“, Tenten senkte die Stimme, „gibt es noch die Legende, dass die Insel, zu der wir wollen, verflucht ist. Niemand, der sie bisher erforscht hat, ist je zurückgekehrt.“

„Hört schon auf. Das sind doch alles Geschichten“, sagte Neji ein wenig zu heftig.

Naruto musterte ihn genau, um eine mögliche Gänsehaut zu erkennen. „Kann es sein, dass du Angst hast?“

„Unsinn.“ Auch diese Antwort kam recht impulsiv. Naruto zuckte die Achseln und sah wieder über die Reling.

Eine Weile segelten sie ruhig dahin. Als hätte ihr Gespräch Unheil heraufbeschworen, erscholl kurz vor Mittag Rock Lees aufgeregter Ruf aus dem Ausguck. „Segel am Horizont, backbord voraus!“

Sofort wandten sich alle an Deck Anwesenden in die entsprechende Richtung. Ein anderes Schiff, hier, in diesen Gewässern? Das gefiel Naruto nicht. Er hoffte, dass ihm niemand seinen Schatz wegschnappte.

Das andere Schiff war nur unwesentlich größer als ihr eigenes, ein schnittiger Schnellsegler. Kakashi steuerte die Vieja Gloria ruhig weiter und überließ es dem Matrosen, ihn mit Informationen zu versorgen.

„Sie haben uns auch gesehen! Kapitän, sie steuern auf uns zu!“

Der Wind hatte mittlerweile gedreht, und Kakashi ließ die Vieja Gloria kreuzen. Das andere Schiff schnitt ihnen mühelos den Weg ab. Lees nächster Ruf war um einen Hauch schriller.

„Kapitän! Sie haben eine Piratenflagge gehisst, eine Piratenflagge!“

Die Worte schlugen wie eine Kanonenkugel an Deck der Vieja Gloria ein. „Setzt alle Segel. Wir versuchen, ihnen mit Vollzeug zu entkommen“, befahl Kakashi und setzte neuen Kurs Richtung Steuerbord, um den Piraten zu entfliehen. Kiba fluchte und eilte noch schneller als zuvor auf bloßen Füßen umher, als Kakashi ihn in die Wanten scheuchte.

„Sind es … die Wolfspiraten?“, fragte Neji. Er schien etwas blass um die Nase, aber vielleicht täuschte Naruto sich auch, schließlich hatte der Forscher einen fast schon adligen Teint.

„Nein – die segeln doch ohne Flagge“, erinnerte ihn Tenten.

„Ist doch egal, wer es ist“, murmelte Naruto. Die Aussicht, auf Piraten zu treffen, war niemals angenehm, aber gerade jetzt, wo er seinem Ziel so nahe war …

„Ich gehe Ino Bescheid sagen“, sagte Sakura leise und eilte die Treppe vom Achterdeck hinunter.

„Kapitän!“ Obwohl Lee in der Takelage herumturnte und die Vieja Gloria wieder mehr Fahrt machte, schien er das Piratenschiff im Auge zu behalten. „Ich kann die Galionsfigur sehen! Es ist eine große, hässliche Schlange!“

„Wenn du Zeit zum Rufen hast, bring unsere Passagiere unter Deck“, gab Kakashi zurück. Er blieb immer noch ruhig, und man konnte bei ihm auch nie erraten, was er gerade dachte. Der Kragen seines Kapitänsmantels ragte ihm bis über die Nasenspitze, und das linke Auge verbarg er hinter einer Augenklappe.

Naruto wusste schon jetzt, dass er lieber an Deck bleiben wollte. Seeschlachten stellte er sich schlimmer vor, wenn man sie in engen Räumen durchstehen musste. Auch Tenten und Neji blieben auf dem Achterdeck stehen. Tenten hatte bereits eine Pistole unter ihrem Ärmel hervorgezogen. Ihr Kollege hatte die Finger um die Reling geschlossen. Entweder war er einfach starr vor Angst, oder er war in Wahrheit mutiger, als Naruto seiner Erscheinung zutraute.

Das Piratenschiff kam so nahe, dass er die freudig johlende Mannschaft als verwaschene Flecken erkennen konnte, aber der Schnellsegler musste seinen Kurs anpassen. Hart am Wind trieb Kakashi die Vieja Gloria nach Norden. Als er das Schiff mit seinen dunklen Balken und den geblähten, beigefarbenen Segeln auf den Wellen schaukeln sah, die große Schlange mit dem blutdurstig geöffneten Maul wie ein Speer auf sie gerichtet, begannen Narutos Hände zu zittern. Ein Knallen wehte zu ihm herüber, leise zwar, aber Naruto zuckte zusammen. Im Ausguck des Schnellseglers stand einer der Piraten und schoss mit seiner Pistole in die Luft. Über ihm knatterte der bleiche Schädel vor schwarzem Grund, ein Zeichen von Gier und Tod.

„Wir machen gute Fahrt“, berichtete Kiba dem Kapitän. „Wenn wir hart am Wind bleiben, hängen wir sie vielleicht ab.“

„Sorg dafür, dass sich alle an Bord bewaffnen“, befahl Kakashi. „Die Lady soll sich in ihrer Kajüte einsperren.“

„Aye.“

Kiba trieb von irgendwo her geladene Pistolen auf und drückte sie Naruto und Neji in die Hand. Tenten wartete bereits grimmig mit zwei Waffen aus ihrem eigenen Sortiment darauf, dass sie geentert wurden. Naruto hoffte, dass es dazu nicht kommen würde. Er schob seine Pistole in seinen Gürtel und betete. Er würde sie benutzen, um seinen Traum zu verteidigen, das wusste er, aber nur wenn es sich nicht vermeiden ließ.

Die zähe Ungewissheit war das Schlimmste. Eine ganze Weile kamen sich die Schiffe nicht näher; die Piraten hatten bei ihrem Wendemanöver einiges an Geschwindigkeit eingebüßt. Der Wind drehte erneut und Kakashi nahm wieder Kurs auf ihr eigentliches Ziel. Nur wenig später schälten sich die Umrisse der Insel aus dem Dunst am Horizont, grün und braun und recht flach.

„Will er sich etwa an Land fliehen?“, fragte Sakura stirnrunzelnd, die plötzlich wieder an Deck aufgetaucht war. Naruto sah sich um, ob auch die anderen beiden Passagiere heraufgekommen waren, konnte sie jedoch nicht entdecken. Entweder versteckten sie sich feige unter Deck, oder es interessierte sie einfach nicht, wie die Jagd verlief, solange sie ihren Ausgang mitbekamen. Vermutlich Letzteres; die beiden hatten auf Naruto nicht den Eindruck gemacht, als wären sie Feiglinge.

„Das Wetter wird schlechter“, bemerkte Neji und kniff die Augen zusammen. Tatsächlich. Innerhalb der letzten halben Stunde waren aus den wenigen Schäfchenwolken große Wolkenberge geworden, und der Wind hatte auch aufgefrischt.

„Der Fluch der Insel“, murmelte Tenten. Es sah tatsächlich so aus, als hätte sie recht: Über ihrem Reiseziel kroch eine schwarze, zusammengeballte Unwetterwand hervor. Wieder drehte der Wind, blies ihnen von Westen die Gewitterwolken entgegen, doch diesmal machte Kakashi keine Anstalten, den Kurs anzupassen.

„Was hat er vor?“, fragte eine Stimme. Ino war zu ihnen gestoßen, die Stirn sorgenvoll krausgezogen.

„Ino! Du solltest doch unter Deck bleiben!“, sagte Sakura vorwurfsvoll.

„Ein so ängstliches Häschen, wie du tust, bin ich auch wieder nicht“, erwiderte ihre Herrin.

„Seht mal! Sie bleiben zurück!“ Tenten deutete auf das Piratenschiff. Der Abstand zwischen ihnen vergrößerte sich wieder.

„Ihr Schiff ist so gebaut, dass sie starken Wind gut ausnutzen können“, rief Kakashi ihnen zu. Hätte die steife Brise die Worte nicht in ihre Richtung geweht, hätten sie ihn gar nicht gehört. „Gegen den Wind sind wir schneller. Das wollte ich ausprobieren.“

Die Wellen wurden höher und schienen sich allmählich schwarz zu verfärben. Gischt sprühte, als die Vieja Gloria durch die Wogen brach. Donner erklang in der Ferne. Je näher sie der Insel kamen, desto näher kamen sie auch der brodelnden Schwärze. „Aber – hinter uns sind die Piraten, und vor uns ist ein Unwetter!“, rief Naruto.

„Richtig. Und ich habe meine Wahl getroffen. Sobald das Wetter schlimmer wird, geht unter Deck.“

„Dabei hat es heute Morgen gar nicht so ausgesehen, als würde von irgendwoher ein Unwetter aufziehen“, murmelte Sakura, als sie die ersten Regentropfen spürten.

Die Piraten blieben ihnen stur auf den Fersen, selbst als sie in das Unwetter segelten und das Auf und Ab der Wellen sogar Naruto Übelkeit bescherte. Blitze zerrissen das Firmament, und der Regen wurde so stark, als ergieße sich ein Wasserfall über sie. Die Balken und Planken der Vieja Gloria ächzten und knarzten laut, schienen nach Hilfe zu rufen. Direkt vor der Luke stand Naruto und betrachtete den infernalischen Wellengang – und das Piratenschiff. Es wurde viel mehr durchgeschüttelt als sie selbst, und er wünschte sich, es würde einfach sinken.

„Wunderschön“, sagte eine Stimme neben ihm.

„Was?“, brüllte Naruto gegen das Heulen des Sturms an. Er konnte sich nicht vorstellen, dass das, was er zu hören geglaubt hatte, dasselbe war, das die Person gesagt hatte.

Neben ihm stand der merkwürdige Passagier mit dem langen blonden Zopf. Er trug einen Mantel mit Hut und starrte mit offenem Mund auf die brodelnde Masse, die der Himmel über ihnen bildete, mit Blitzen, die wie Lichtschlangen die Wolken pulsieren ließen.

„Ein wunderschönes Gemälde, dieses Unwetter.“

„Spinnst du?“ Naruto stand jetzt nicht der Sinn nach Scherzen. „Das Unwetter wird uns noch versenken, was ist daran schön?“

Der Fremde starrte ihn abfällig an. „Die schönsten Kunstwerke sind nun mal die, die alles in einem großen Knall mit sich reißen können, hm.“

„Kapitän!“, brüllte Kiba vom Bug. Regentropfen spritzten von seinem Hut. Die Mannschaft hatte sich ihre schwarzen Regenmäntel angezogen und huschte scheinbar ohne Sinn und Verstand auf dem Deck umher. Naruto hingegen war bereits bis auf die Haut durchnässt. „Es ist weniger als eine Seemeile bis zur Insel! Wir müssen beidrehen, sonst laufen wir auf!“

Naruto wusste, was er meinte. Es war nie geplant gewesen, in einem Unwetter auf der Insel anzulegen. Viele scharfe Felsen ragten um sie herum aus dem Meer, Riffe gierten nach Schiffsrümpfen. Die Insel forderte Tribut von jedem, der unwillkommen an Land gehen wollte, und der Sturm war keine freundliche Willkommensgeste.

Dennoch wartete Kakashi bis zur allerletzten Minute. Jeden Moment würden sie in eine Untiefe geraten, Naruto glaubte schon das Biegen und Brechen von Holz zu hören, wenn sie auf Grund liefen. Doch der Kapitän hatte das Kap vor drei Tagen bezwungen, und er bezwang auch die tückische Küste einer verfluchten Insel. Naruto glaubte die Gischt an den Felsen schäumen zu sehen, an denen sie haarscharf vorbeisegelten, als Kakashi die Vieja Gloria quer zum Wind ausrichtete, bereit, die Insel zu umrunden und nach einer freundlicheren Stelle zum Anlegen zu suchen. Mit fast traumwandlerischer Sicherheit und immer noch äußerlich ruhig steuerte der Kapitän das Schiff inmitten von mannshohen Brechern aus schwarzem Wasser, gleißenden Blitzen, die nach dem Mast zu schnappen schienen, und den malmenden Kiefern von Riffen und Felsen, und ihnen allen entkam er, als könnten seine Augen die kleinste Gefahr genauestens abschätzen.

Wem er nicht entkam, waren die Kanonen des Piratenschiffs.

Naruto hatte gar nicht an diese Möglichkeit gedacht. Die Piraten schnellten auf pfeilgeradem Kurs hinter ihnen her, bei all dem Auf und Ab vor dem dunklen Himmel kaum mehr als ein schwarzer Schemen. Auch als die Vieja Gloria nach steuerbord schwenkte und der Schnellsegler naturgemäß aufholte, wähnten sie sich in Sicherheit. Die Piraten konnten ihnen unmöglich eine Breitseite verpassen, solange sie sie verfolgten. Als das erste Knallen ertönte, hielt Naruto es deshalb einfach für Donnergrollen, und er zollte auch der aufsprühenden Wasserfontäne direkt neben dem Schiff keinen Gedanken. Erst als der zweite Schuss den Mast direkt über ihm zerfetzte und Holzspäne auf ihn und den verschrobenen Passagier herabregneten, wurden er und die anderen darauf aufmerksam.

Die riesige Galionsfigur des Piratenschiffs hatte das Schlangenmaul geöffnet, und in von Blitzen erhellten Momenten sah Naruto das glänzende Rohr einer Kanone, das daraus hervorragte. „Sie schießen auf uns!“, rief er überflüssigerweise. Der Hauptmast knarrte bereits unheilvoll und neigte sich seitwärts. Die Taue spannten sich.

Der nächste Schuss erwischte das Heck der Vieja Gloria. Der Ruck warf Naruto von den Füßen. „Kapitän, was sollen wir tun?“, schrie Kiba heiser, doch Kakashi schien zu sehr mit seinem wagemutigen Kurs beschäftigt.

„Eine schießende Schlange?“, sagte jemand hinter Naruto, der für einen Moment den Halt auf dem gischtüberspülten Deck verloren hatte. Als er sich aufrichtete, war auch der andere verhaltene Passagier durch die Luke gekommen. Sasuke war sein Name, wenn er sich nicht täuschte. Falls er beunruhigt war, zeigte er es nicht. „Kein Zweifel. Das sind der Knochenmann und seine Mannschaft.“

„Sind nicht alle Piraten so etwas wie Knochenmänner?“ Naruto wischte sich das Blut von der Stirn. Er hatte sich beim Sturz auf die Planken die Haut aufgeschürft. Hoffentlich war den anderen unter Deck nichts geschehen.

„Das könnte man meinen“, lautete die Antwort.

„Vorsicht!“, schrie Lee in dem Moment. Etwas schnalzte, und mit einem Krachen landete der Mast auf der Reling, in der Mitte durchgebrochen.

„Schafft ihn von Bord!“, rief Kiba und lief mit einem Messer über das Deck. Die Taue hatten sich mit den anderen Segeln verstrickt, und die Vieja Gloria bekam gefährliche Schlagseite. Naruto versuchte mitzuhelfen, hatte aber keine Ahnung, wo er anpacken sollte.

Der Abstand zu den Piraten vergrößerte sich wieder. Waren sie auf Grund gelaufen, gefangen zwischen den schroffen Zähnen der Insel, mitten im Schlund des Unwetters? Naruto hatte keine Zeit, sich darüber zu freuen. Er sah Kakashi wie wild am Steuerrad drehen, dann hörte er das Knirschen und Schaben, als ein Felsen an ihrem Rumpf vorbeischrammte, und er meinte, die tödlichen Stacheln, die die Insel ausgefahren hatte, um ihren Schatz zu hüten, in den stöhnenden Schiffsleib eindringen zu spüren. Bis in den späten Nachmittag, der mit schwarzen Wolken und schwarzem Wasser wie tiefste Nacht wirkte, blieb ihm nichts außer zu bangen und zu beten.

 

Sphinx streckte den Kartenstapel einladend von sich. „Ich hoffe, ihr seid bereit. Für die Neuankömmlinge werde ich noch einmal schnell die Regeln erklären und euch ein kleines Handout geben. Niemand sollte während des Spiels nachfragen, was die Fähigkeit eines bestimmten Charakters ist. Das könnte schon zu viel verraten.“

„Dann frage ich jetzt“, murmelte Naruto und deutete auf die Neuen in der Runde. „Wie zum Teufel kommt ihr hier her? Buschige Augenbraue verstehe ich noch, er gehört ja mehr oder weniger auch zu uns, aber Sie, Kakashi? Und … ihr?“

„Nur damit du es weißt, wir haben nicht darum gebeten, hier zu sein“, sagte Sakon kühl.

„Irgendein elender Wichser hat uns reingelegt“, zischte Tayuya und meinte eindeutig den säuerlich lächelnden Sphinx damit. „Ich zerreiß ihn in der Luft, wenn ich auch nur den Hauch einer Gelegenheit bekomme.“

„Da musst du dich hinten anstellen“, sagte Kiba trocken.

„Es sind wohl etwas … komplizierte Umstände, die uns hier zusammenführen“, murmelte Kakashi und kratzte sich am Kopf. Die Aufseher hatten ihm seinen Mundschutz gelassen, wie es aussah. „Ich vermute, ihr anderen seid auch dank einiger haltloser Anschuldigungen hier?“

Sie nickten unisono. Deidara schnaubte. „Kunstraub! Als ob ich an diesen verstaubten Metallkästen in so einem Uralt-Museum interessiert wäre.“

„Für Wiedersehensfreude ist später Zeit“, sagte Sphinx gelangweilt. „Einige von euch sind ganz einfach hier, weil sie zu schlau waren, als dass ich sie hätte in Ruhe lassen können. Der Rest ist Kanonenfutter“, erklärte er lächelnd. „Wo gehobelt wird, fallen Späne. Keine schöne Schnitzerei ohne ein wenig Ausschuss.“

Nach und nach begriffen nun auch die Neuankömmlinge, was hier gespielt wurde. Dass zumindest ein Mitarbeiter dieser Anstalt sehr genau wusste, dass sie hier in Wahrheit nichts verloren hatten. „Du warst das also, ja?“, knurrte Tayuya. „Bring uns hier sofort wieder raus, oder ich mach Hackfleisch aus dir.“

„Was hast du denn, Tayuya? Du benimmst dich doch eh, als wärst du schon lange für die Klapse fällig“, grinste Kidoumaru, der das alles nicht so ernst zu nehmen schien.

„Halt dein verfluchtes Maul!“

Sphinx räusperte sich. „Können wir dann? Ich weiß von einem von euch, dass er Spielen nicht ganz abgeneigt ist. Würdest du die Meute für mich mäßigen?“

Aller Augen richteten sich auf Kidoumaru – zumindest jener, die von seinem Hang zum Spielerischen wussten. Er hob entwaffnend beide Arme. „Hey, ich schwöre, ich hab mit dem Typen nichts zu tun. Aber vielleicht bringen wir die Sache hinter uns, und nachher überlegen wir uns, wie wir ihn am besten in seine Einzelteile zerlegen, ja?“ Sakura ahnte, dass hinter seiner Vernunft vor allem Neugier auf die Karten steckte, die Sphinx in der Hand hielt.

„Also schön“, sagte ihr Spielleiter, als etwas Ruhe eingekehrt war. Sakura nahm sich vor, Kakashi und Lee und vielleicht auch die anderen genau zu befragen, welche Umstände sie hergeführt hatten. „Die Grundregeln sind einfach. Es gibt Dorfbewohner, und unter ihnen gibt es noch Werwölfe. Nachts wählen die Werwölfe ein Opfer, das sie töten. Tagsüber versuchen die Dorfbewohner, die Wölfe zu finden und zu lynchen. In der Regel gibt es somit einen Toten pro Tag und einen pro Nacht. Jeder darf mitstimmen, wenn es ums Lynchen geht. Dann gibt es noch Dorfbewohner mit speziellen Fähigkeiten. Je mehr Mitspieler, desto interessanter ist das Spiel. Darum habe ich auch so viele von euren Bekannten … rekrutiert.“ Sphinx lächelte sein rätselhaftes Lächeln. „Das erste Spiel war nur zum Aufwärmen. Ein lauwarmer Happen, sozusagen. Die Hexe und die Seherin waren die einzigen Spezialkarten. Dieses hier wird anders sein. Wir werden mit nur zwei gewöhnlichen Dorfbewohnern spielen. Die anderen Karten im Spiel sind diese hier.“

Er blätterte den Stapel durch, obwohl er ihn schon gemischt hatte. Vermutlich war es ihm vor lauter Vorfreude nicht gelungen, die Finger stillzuhalten. „Ein Werwolf. Das Wolfsjunge. Die Zaubermeisterin. Die Lykanthropin, der Günstling, der Alte Mann. Der Verfluchte, der Leibwächter, die Hexe, der Jäger, die Unruhestifterin. Die Seherin und der Seher-Lehrling. Letzteren berühre ich an der Schulter, wenn es an der Zeit ist, das Amt der Seherin zu übernehmen. Und wir werden ein Liebespaar und einen Bürgermeister haben. Jede Menge unvorhergesehener Ereignisse werden passieren. Ich freue mich schon auf eure Theorien.“ Es wirkte ehrlich gemeint. Sphinx teilte die Karten aus und gab jedem von ihnen eine weiße, bedruckte Extra-Karte. Darauf standen die Fähigkeiten jeder Karte, die im Spiel war.

Sakura drehte ihre Charakterkarte um musterte sie.

Es sah so aus, als würde sie diesmal für die Werwölfe spielen.

„Nun denn, meine Lieben.“ Sphinx klatschte in die Hände und lächelte strahlend – aber sein Lächeln hatte nun eindeutig etwas Herausforderndes, Leidenschaftliches. „Die erste Nacht bricht herein. Vergesst nie, ihr spielt in erster Linie gegen die jeweils andere Fraktion, in zweiter jeder gegen alle anderen, aber in Wahrheit spielt ihr alle gegen mich.“

 

Goldrausch


 

~ 8 ~
 

- Schiffbruch, erste Nacht -
 

Naruto hatte sich vor Erschöpfung kaum mehr auf den Beinen halten können, als er endlich Land unter den Füßen gespürt hatte. Selbst im Traum verfolgten ihn die Geschehnisse noch. Er hatte nicht sagen können, wie lange es gedauert hatte oder wie spät es war, als alles vorüber war; die ganze Zeit hatten schwere Gewitterwolken die Nacht und Blitze die Sonne ersetzt. Die robuste Vieja Gloria war unter ihren Füßen regelrecht zusammengefallen. Sie hatten es nicht geschafft, den Mast in dem tobenden Unwetter vom Deck zu schaffen, aber Kakashi hatte sein treues Schiff auf Biegen und Brechen in einer etwas ruhigeren Bucht auf Grund laufen lassen – der Rumpf war aufgeschlitzt gewesen von vielen bösartigen Felskanten und die Kabinen und der Laderaum standen schon zur Hälfte unter Wasser, als er es allein durch seine Massenträgheit auf ein Riff nahe dem Ufer gesetzt hatte. Das Meer saugte und zog unter Deck, Planken rissen ein, das Schiff knickte mittendurch, und obwohl es so fest steckte, dass nicht einmal der Wellengang es fortreißen konnte, sank es weiterhin.

Lee war in den letzten Minuten über Bord gegangen, aber bald darauf zwischen den tosenden Wellen jenseits des Riffs wieder aufgetaucht. Offenbar endeten die Felsen dort, gerade etwas zu spät, als dass sie sicheres Gewässer hätten erreichen können. Kakashi befahl allen, von Bord zu gehen. Die Wellen überspülten das Deck und machten jeden Schritt lebensgefährlich, und aus den Luken blubberte es bald unheilverkündend. Sie nahmen an sich, was sie an Wertsachen tragen konnten, und nicht einmal die Lady Ino weigerte sich, ins eisige Wasser zu springen. Der Sturm hatte etwas nachgelassen, dennoch war es eine Tortur, an Land zu schwimmen, wo sie ein höhnisch weicher Sandstrand erwartete. Auf allen Vieren, zitternd und mit Sand verklebt, schleppten sich zehn armselige Gestalten bis in den Schatten der ersten Palmen. Und als der Regen kurz darauf aufhörte, als hätte er erkannt, dass es keinen Zweck mehr hatte, sie ertränken zu wollen, hatte das Rauschen der Wellen Naruto schon in den Schlaf gewiegt.

 

„Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr Opfer in dieser Nacht. In Ordnung. Nun erwacht die Zaubermeisterin. Sieh dir an, wer deine Verbündeten sind. Du schläfst wieder ein, und der Günstling erwacht. Diejenigen, die die Augen offen haben, sind die Werwölfe. Die Werwölfe und der Günstling schlafen wieder ein.

Ich tippe jetzt zwei von euch auf die Schulter, die nun ebenfalls erwachen. Ihr seid das Liebespaar. Denkt daran, wenn einer von euch stirbt, stirbt auch der zweite an gebrochenem Herzen. Ihr müsst also um jeden Preis gemeinsam überleben. Ihr schlaft wieder ein.

Die Seherin erwacht. Von wem willst du wissen, ob er Wolf oder Dorfbewohner ist? Ich gebe dir ein Zeichen. Die Seherin schläft wieder ein.

Die Zaubermeisterin erwacht und sucht nach der Seherin. Von wem willst du wissen, ob er es ist? Du schläfst wieder ein.

Die Hexe erwacht. Ich zeige dir das Opfer dieser Nacht; möchtest du einen deiner Tränke einsetzen? Ein Nicken genügt für den Heiltrank. Für den Gifttrank zeige auf dein Opfer. Und die Hexe schläft wieder ein.

Der Leibwächter erwacht. Wen möchtest du in dieser Nacht beschützen? Ja? Dann schläfst du wieder ein.

Die Unruhestifterin erwacht. Möchtest du das Dorf am nächsten Morgen etwas aufwiegeln? Die Unruhestifterin schläft wieder ein.

Es war eine lange Nacht. Das Dorf regt sich, die Dorfbewohner erwachen gähnend – alle bis auf einen.“
 

- Schiffbruch, erster Tag -
 

Als Orpheus‘ warme Hände Naruto losließen, spürte er Sand an seiner Wange kleben, und zwischen seinen Zähnen knirschte es. Stöhnend rollte er sich herum. Wo war er?

Richtig, die Insel. Sie hatten es mit letzter Kraft aus dem Wasser geschafft. Hinter ihm ragte der raue Stamm einer Palme auf. An sie hatte er sich gelehnt, als er eingeschlafen war, doch er dürfte wieder in den Sand gerutscht sein. Die Sonne blendete vom Himmel. War da gestern tatsächlich so ein Unwetter gewesen? Sogar der Sand tat hell in den Augen weh, fast weiß war er.

Um ihn herum lagen, wie angeschwemmtes Treibholz, die anderen. Einige waren ebenfalls wach und auf den Beinen … Verwirrt stellte er fest, dass er deren Gesichter nicht kannte, und es dauerte einen Moment, ehe er begriff, dass das, was da auf ihn zeigte, ein Pistolenlauf war.

„Guten Morgen“, krähte ein braungebrannter Mann mit struppigem, ungepflegtem, braunem Haar. „Ihr seid alle keine Frühaufsteher, was? Aufgestanden, ihr Landratten!“

Die eisige Klammer um Narutos Herz zog sich zu, je genauer er die fünf Gestalten musterte, die sie umkreist hatten. Nach und nach erwachten auch seine Mitschiffbrüchigen, verwirrt und mit Sand in Haaren und Gesicht. Ino stieß einen Schrei aus, als sie die Waffen sah, die auf sie gerichtet waren.

„Klappe!“, herrschte ein geschminkter Kerl sie an. Er war blasser, als in diesen Gefilden ratsam war, und seine Haarfarbe war irgendetwas Stumpfes zwischen Grau und Blau. „Macht keine Dummheiten, sonst färbt sich der hübsche Sand rot. Auf die Beine, Hände nach oben!“

Der blonde Passagier, dessen Namen Naruto noch nicht kannte, grummelte schimpfend vor sich hin, tat aber wie geheißen. Sasuke starrte den anderen trotzig entgegen, erhob sich dann aber ebenfalls, betont langsam. Sakura half Ino auf die Beine, die bleicher war als ihr mittlerweile zerrissenes Kleid.

Während die Sonne vom Himmel knallte und in seinen Augen schmerzte, versuchte Naruto die Leute zu erkennen. Es waren die Piraten vom Vortag, da war er sich ganz sicher. Wer sonst sollte noch auf dieser Insel sein? Offenbar hatten sie überlebt.

Neben den ersten beiden Männern war da noch ein ziemlich dicker, grimmig dreinsehender Seeräuber mit einer Menge Messer am Gürtel und einer schweren Muskete in den kräftigen Armen. Die Nächste in dem Kreis war eine junge Piratenbraut. Ihr feuerrotes Haar loderte in der Sonne, und ihre Augen waren so kalt wie die See vor den Riffen. Eben stieß sie Lee mit dem Fuß an, der noch im Schlaf vor sich hinmurmelte. „Auf die Beine, du fauler Sack, oder ich puste dir ein Loch in deine Träume!“

Der Fünfte trug einen schwarzen Kapitänshut mit besticktem Totenkopf und gekreuzten Knochen. Kein Zweifel, er war der Knochenmann, von dem Sasuke gesprochen hatten. Weiße Piratenzöpfe umrahmten ein fast ebenso knochenweißes Gesicht, in dem rote Punkttätowierungen wie Blutflecken leuchteten. Alle fünf waren in braunes Leder und weiße Hemden gekleidet und trugen hohe, schwarze Stiefel. Ob ihre Crew nur aus diesen fünf bestand oder der Rest davon ertrunken war, wusste Naruto nicht zu sagen; er hatte die Flecken, die er aus der Ferne auf ihrem Schiff gesehen hatte, nicht gezählt.

„Was ist mit dem?“ Nachdem auch Kiba wie ein knurrender Hund auf die Beine gekommen war, deutete der Piratenkapitän auf Kakashi. „Ist er schwerhörig? Hievt ihn hoch, und gebt Acht, dass ihr uns keinen Grund zum Schießen gebt.“

Kiba sah Lee an, dann rüttelten sie ihren Kapitän an der Schulter. Als keine Reaktion kam, drehten sie ihn herum.
 

„Das Opfer ist Kakashi. Tut mir leid für dich, es war wohl ein kurzes Vergnügen. Beim nächsten Spiel hast du vielleicht mehr Glück.“

Kakashi reichte Sphinx achselzuckend seine Karte und stand auf. „Da kann man wohl nichts machen.“ Er folgte dem ausgestreckten Finger, der ihm den Weg ins Wartezimmer wies.

Sphinx hob die letzte Karte in seiner Hand. „Diesmal spielen wir mit dem Bürgermeister. Der Bürgermeister hat am Tag bei Stimmengleichheit eine zweite Stimme. Wir entscheiden den ersten durch Zufall; danach wird die Karte immer weitergegeben, sobald ein Bürgermeister stirbt.“ Er schnippte die Karte senkrecht in die Höhe. Sie flatterte durch den Raum, begleitet von den Blicken aller Anwesenden, ehe sie vor Kimimaros Füßen landete.

Dann beginnt mit der Abstimmung. Der Bürgermeister wird die Diskussion leiten. Wer soll gelyncht werden?“
 

„Warum habt ihr das gemacht?“, rief Kiba, als das rote Lächeln auf Kakashis Hals sichtbar wurde. Der Kapitän hing schlaff in den Armen seiner Matrosen. „Verflucht, das war … unnötig!“

„Wir haben gar nichts gemacht“, erwiderte der geschminkte Kerl. „Stell dich wieder zu den anderen, sonst bist du der Nächste.“

„Gebt gefälligst zu, dass ihr ihn getötet habt!“, knurrte Naruto wütend. Kakashi war ein guter Seemann gewesen, und er hatte sie sicher auf diese Insel gebracht. Er hatte ein solches Ende nicht verdient! „Ihr seid das Letzte!“

„Vorsicht, du Galgenvogel“, zischte die Piratin und hielt ihm ihre Pistole direkt unter die Nase. „Vielleicht schieß ich dir ein drittes Ohr, damit du uns verstehst. Du läufst jetzt brav mit den anderen da rüber, damit wir euch alle im Blick haben.“ Ein rascher Schwenk mit der Pistole.

Zögerlich und widerstrebend – Naruto ließ die Zähne knirschen – trotteten sie weiter in Richtung Strand.

„Du da, was versuchst du da?“ Der Geschminkte schlug Sasuke mit der Pistole gegen die Brust und zwang ihn, stehenzubleiben. Sasukes Hand war nach hinten unter seinen Mantel geglitten. „Na los, raus damit“, sagte der Pirat.

Langsam zog Sasuke eine Feldflasche hervor, in der es gluckerte. „Durst“, erklärte er.

„Sakon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit“, sagte der Knochenmann, woraufhin sein Untergebener Sasuke zu den anderen scheuchte. Sie standen nun alle mit erhobenen Händen in einer Linie im Sand. Naruto spürte die Sonne in seinem Nacken. Schräg hinter ihm rauschten die Wellen. Kakashi hatten sie liegen gelassen. Er bot einen trostlosen Anblick, mit der blut- und sandverkrusteten Wunde.

„Durchsucht sie“, befahl der Kapitän. Ino wich erschrocken zurück, als dem braungebrannten Piraten ein schmutziges Grinsen entkam. Sakura hielt ihre Hand fest, und Tentens Blick verfinsterte sich. „Tayuya übernimmt die Frauen“, beschloss der Knochenmann.

„Wie edel von dir“, spottete der blonde Passagier.

Tayuya, die Piratin, trat ihm kräftig auf den Fuß, als sie an ihm vorüberging, und ließ ihn fluchen. „Denkt euch nichts dabei“, sagte sie trocken. „Die drei sind nur nicht so hässlich, dass wir sie Kidoumaru gegönnt hätten.“

Fachmännisch klopften die Piraten ihre Kleidung ab. Sie fanden Pistolen bei Kiba und Tenten, bei Sasuke sogar zwei, eine in verdächtiger Nähe zu seiner Feldflasche, wie Sakon grinsend bemerkte und ihm dafür einen Schlag in den Nacken verpasste, der ihn in die Knie knicken ließ. Auch der blonde Abenteurer hatte eine Waffe bei sich, außerdem ein Messer und genügend Schwarzpulver, um sich selbst in die Luft zu sprengen. Die Piraten warfen alles auf einen Haufen.

„Gut so.“ Der Knochenmann sank mit einem Ächzen in den Sand. „Wenn ich mich nicht täusche, seid ihr seit gestern also Schiffbrüchige – auf einer Insel, an die sich für gewöhnlich niemand heranwagt. Was wollt ihr hier?“

Es steckte mehr hinter dieser Frage, das spürte Naruto. Eine ganz besondere, eigennützige Art von Interesse, die ihn beschwor, nichts, rein gar nichts von sich preiszugeben. Ob die Piraten von dem Schatz wussten?

Als niemand antwortete, feuerte Sakon seine Pistole in die Luft ab, und die Gefangenen zuckten zusammen. „Nicht alle auf einmal, verdammt! Wir wollen wissen, ob eure kümmerlichen Leben mehr wert sind als das Vergnügen, euch mit Kugeln zu durchlöchern, also preist euch mal in höchsten Tönen an!“

„Wir gehören nur zur Crew“, platzte Lee heraus und deutete auf sich und Kiba. „Wir haben einfach angeheuert und sind gesegelt.“

„Zu zweit?“, hakte Tayuya nach.

„Unsere Jugend gab uns genügend Kraft, das Schiff gemeinsam mit unserem Kapitän zu steuern“, erklärte Lee und schlug sich theatralisch auf die Brust.

„Wir sind gute Seeleute!“, beteuerte Kiba rasch. „Uns umzubringen, wäre eine Verschwendung.“

„Die Nächste“, sagte der Knochenmann nur und nickte Sakura zu, die neben Lee stand.

„Ich bin die … Freundin von …“ Sie wandte sich an Ino. Wie viel soll ich ihnen erzählen?, fragte ihr Blick.

Ino hatte sich gefasst und straffte resolut die Schultern. „Sie ist mein Dienstmädchen. Ich bin Lady Ino von Port Fronda, und wenn ihr uns unbeschadet gehen lasst, werdet ihr einen Batzen Lösegeld dafür bekommen.“

„Und ich bin die Königin“, kommentierte Tayuya. „Oder was macht eine Lady auf einer Schiffsreise, hierher, zum hässlichsten Pickel auf dem Arsch der Welt?“

„Tayuya“, sagte der Dicke mit beschwörender Stimme. „Auch wenn wir Piraten sind, könntest du ein bisschen niveauvoller reden.“

„Ich bin geflohen.“ Ino atmete tief durch. „Meine Eltern wollten mich gegen meinen Willen verheiraten. Mein Freier wäre eine gute Partie, aber ich werde mich auf keinen Fall zwingen lassen.“ Ihr Blick wurde abfällig. „Aber ein schmutziges Piratenmädchen wird solche Probleme schließlich nie haben.“

„Dem Himmel sei Dank“, gab Tayuya genauso abfällig zurück. „Kimimaro, darf ich sie bitte töten?“

„Nein“, sagte ihr Kapitän. „Die Nächste.“

Die Nächste war Tenten, und als er das Wort an sie richtete, platzte sie heraus: „Ich werde den Teufel tun und euch irgendwas von mir erzählen! Kakashi war ein gewöhnlicher Schiffskapitän, und ihr habt ihn auch umgebracht, ohne euch darum zu scheren, was soll also diese Heuchelei? Bringt es hinter euch und verschont uns mit diesem Verhör!“

Kimimaros Blick wurde nachdenklich. „Wie wir bereits sagten, wir haben euren Kapitän nicht getötet. Er lag bereits so im Sand, als wir euch im Morgengrauen fanden. Wie immer ihr es dreht und wendet, es ist einer von euch, der sein Blut vergossen hat.“

„Und das sollen wir glauben?“, fragte Sakura herausfordernd. Die Frauen dieser Abenteuerreise waren definitiv mutiger als die Männer, dachte Naruto. Ihm war ganz und gar unwohl zumute beim Anblick all der glänzenden Rohre, in denen Bleikugeln nur darauf warteten, durch ihre Körper zu rasen.

„Wie ihr wollt“, meinte Kimimaro achselzuckend. „Mir wäre es lieber, wenn sich unter euch nur brave Abenteurer befänden, die keiner Mücke etwas zuleide tun können. Das erspart uns einigen Ärger. Wenn also einer von euch in der Nacht was gehört hat, nur raus damit.“
 

„Machst du Witze? Was sollen wir gehört haben?“, fragte Kiba. „Ist ja nicht so, als müssten die Werwölfe nachts im Zimmer herumlaufen.“

„Vielleicht habt ihr gehört, wie sich jemand nachts umgesehen hat“, erklärte Kimimaro. „Diese Kittel rascheln ein wenig, wenn man den Kopf dreht, habt ihr das noch nicht bemerkt? Oder eine Veränderung der Atmung. Oder ihr habt eine ungewöhnliche Bewegung neben euch gespürt, wenn jemand auf das Opfer gezeigt hat – solche Dinge.“

Das war nicht übel, fand Naruto. Er würde sich in der nächsten Nacht mehr auf seine Umgebung konzentrieren, auch wenn es ihm ein wenig wie Mogeln vorkam.
 

„Ich weiß es“, murmelte Neji plötzlich. „Ich ahne, wer es getan hat.“ Er hatte noch keinen Laut von sich gegeben, und sofort richteten sich dreizehn Augenpaare auf ihn.

„Verdammter Klabautermann, du bist ein Kerl?“, griente Tayuya.

„Wer war es?“, fragte Kimimaro. Er schien es gewohnt zu sein, über die Köpfe seiner Leute hinwegzureden.

Neji atmete tief durch. Seine spiegelblanken Augen verschwanden für einen Moment hinter den Lidern, dann richteten sie sich auf die Frauen. „Ino. Mit einem Messer, in der Nacht.“

Für einen Moment war es totenstill. „Ich?“, rief die Lady schrill und deutete fassungslos mit dem Finger auf sich. „Hat dir die Sonne das Hirn verbrannt? Wieso sollte ich den Kapitän töten?“

„Erkläre das“, forderte Kimimaro. „Und fass dich kurz, ich will hier nicht den ganzen Tag mit euch verbringen müssen.“
 

„Ich weiß es, weil ich die Seherin bin“, sagte Neji.

Die anderen starrten ihn an. „Echt jetzt?“, war das Einzige, das Naruto einfiel.

„Ich würde euch meine Karte zeige, wenn ich dürfte.“

„Niemand zeigt seine Karte her“, sagte Sphinx scharf. „Und nein, auch nicht versehentlich. Sonst verbringt ihr den Rest eures Lebens in einer Gummizelle. Zusammen mit einem anderen, der es wirklich verdient hat.“

Naruto kaute auf seiner Unterlippe und schielte auf seine eigene Karte. Sollte er Neji glauben? Es war ein dreister Zug, sich als Seherin zu outen, egal ob es die Wahrheit war oder nicht. Sofern Neji kein Werwolf war, würde er in der nächsten Nacht sterben. Die Seherin war der schlimmste Feind der Wölfe – immerhin konnte sie sie von anderen Bürgern unterscheiden.
 

„Ich bin in der Nacht aufgewacht. Vielleicht ein Geräusch, oder ein Albtraum.“ Neji sah Ino fest in die Augen, keine Spur von Unsicherheit war mehr darin. Wenn er sich in ein Thema verbissen hatte, schien er es entschlossen zu verfolgen. „Ich habe Ino am Meer gesehen, bei den Wellen. Zuerst dachte ich, ich sehe Gespenster. Als sie zurückkam und sich in den Sand legte, war ihr Kleid zerrissen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich die Blutflecken herausgeschnitten und die Fetzen samt dem Messer ins Meer geworfen hat.“

„Das ist doch verrückt!“, rief Ino aus. „Er lügt! Ich würde so etwas nie tun! Ich könnte gar nicht … Sakura, du glaubst mir, oder?“ Aber ihre Dienerin starrte sie nur fassungslos an. Ino heulte wütend auf. „Ihr glaubt doch nicht, was dieser Halsabschneider von sich gibt, oder?“
 

„Dann gib uns irgendein Gegenargument“, forderte Neji sie auf.

Ino biss die Zähne zusammen, dann lachte sie. „Kannst du haben. Du sagst, du bist die Seherin? Lüge! Du kannst nicht die Seherin sein – ich bin die Seherin! Außerdem könnte das jeder behaupten!“ Ihr Lachen klang nicht echt, und sie sprach schneller als sonst. Auf Kleinigkeiten zu hören brachte tatsächlich viel.

„Stimmt“, beharrte Neji. „Aber du nicht, nicht in dieser Situation. Es klingt nach einer billigen Ausflucht, meinst du nicht?“

Ino bedachte ihn mit einem funkelnden Blick. Neji hatte sie tatsächlich alle überrumpelt – aber es stimmte auch, gerade deswegen konnte er auch jeden beschuldigen, selbst eine andere Seherin. Allerdings würde diese Taktik nur ein einziges Mal funktionieren.

Zu diesem Schluss schien auch Ino zu kommen. „Also gut, machen wir einen Kompromiss“, sagte sie.

„Du willst nur deinen Hals aus der Schlinge reden“, kommentierte Sasuke.

„Keineswegs. Sphinx?“

„Bitte?“

„Wir müssen nicht unbedingt jemanden lynchen, oder? Es kann ja auch vorkommen, dass wir zu keiner Entscheidung kommen, richtig?“

„Das stimmt. Wenn das der Fall ist, lasse ich euch wieder schlafen. Die Nacht wartet nicht auf euch.“ Aus Sphinx‘ Miene ließ sich nichts herauslesen, das auf die wahre Identität der Werwölfe oder auch nur einen Gemütszustand hindeutete. Sie war so unbewegt wie die seiner ägyptischen Namensschwester.

„Also, folgender Vorschlag“, sagte Ino. „Wir lynchen heute niemanden. Ich biete mich gerne als Opfer an, wenn wir dadurch die Werwölfe enttarnen können und Punkte bekommen. Aber ich will, dass ihr einen Tag wartet, ja? In der Nacht wird wieder jemand sterben. Wenn Neji zu den Dorfbewohnern hält, wird er sich doch sicher auch in Gefahr begeben, oder?“

Neji runzelte die Stirn, sagte aber nichts.

„Ich kann dein verzweifeltes Gejammer nicht mehr hören“, sagte Tayuya. „Ich bin dafür, wir bringen sie gleich um.“

„Es ist kein verzweifeltes Gejammer!“, widersprach Ino heftig. „Es ist vernünftig! Lasst mich ausreden, wenn ihr keine Werwölfe seid.“ Sie ignorierte Tayuyas Gähnen und fuhr fort. „Die Werwölfe werden die Seherin so schnell wie möglich beseitigen wollen. Wenn Neji in der kommenden Nacht stirbt, ist es klar, dass er kein Werwolf ist. In dem Fall könnt ihr ihm glauben, dass er die Seherin ist. Dann lasse ich mich morgen freiwillig lynchen, einverstanden? Wenn Neji aber überlebt, ist er ein Werwolf, der sich nur als Seherin ausgebeben hat. Ich werde in der Nacht nachschauen, um das zu überprüfen. Neji gegen mich, was sagt ihr?“ Sie sah gewinnend in die Runde.

„Netter Versuch“, schnaubte Sasuke. „Nur werden die Werwölfe Neji auf diese Vereinbarung hin auf keinen Fall umbringen.“

„Ich bleibe dabei, ich beschuldige Ino“, sagte Neji fest.

„Ich auch, damit sie Ruhe gibt“, murmelte Tayuya grinsend.

„Du hast keine Ahnung, worum es in diesem Spiel geht, oder?“, fauchte Ino sie an.

„Zwei Spieler haben jemanden zum Lynchen nominiert“, sagte Sphinx. „Bürgermeister, führ die Abstimmung durch.“

„Leute, seid vernünftig! Ich war schon beim letzten Spiel Werwolf – wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich es jetzt wieder bin?“, rief Ino.

„Gleich hoch, statistisch gesehen“, sagte Sasuke.

„Wie schade“, meinte Tayuya hämisch.

„Also gut, wer ist dafür, dass Ino gelyncht wird? Auf drei – Daumen runter. Wer will, dass sie weiterlebt – Daumen hoch“, sagte Kimimaro. „Eins, zwei – drei.“

Vierzehn Daumen wurden gezückt, Inos eingeschlossen. Die meisten deuteten nach unten. Tod, wie schon im alten Rom. Ino seufzte genervt auf.
 

„Was ist mit euch? Ihr glaubt doch nicht wirklich …?“ Die Worte blieben Ino im Hals stecken, oder sie schauspielerte besonders gut, als die anderen einen Schritt von ihr  zurücktraten. Nur Sakura blieb unschlüssig stehen.

„Gut“, sagte Tayuya. „Hätten wir das geklärt.“ Sie hob ihre Pistole. Ein Knall durchbrach das Wellenrauschen, und Ino stürzte mit einem blutsprühenden Loch im Kopf in den Sand. „Danke, mein Großer“, sagte die Piratenbraut zu Neji und tätschelte ihm den Kopf. „Ich konnte sie eh nicht leiden.“

Neji selbst war wie erstarrt, genauso wie Naruto und die meisten anderen. Naruto spürte Galle in sich hochsteigen, als sich Inos Blut durch den Sand fraß. Das hier waren Piraten, rief er sich Erinnerung. Wie hatte er nur eine naive Sekunde lang glauben können, sie würden alles einfach bereden können?

Nach Sekunden stieß Sakura einen Schrei aus. „Du kleine Piratenhure!“ Mit geballten Fäusten stürzte sie sich auf Tayuya, die sich völlig überrascht mit ihrer leergeschossenen Pistole zu Boden reißen ließ. „Ino war meine Freundin! Sie war ein herzensguter Mensch! Ihr hattet keine Beweise, gar nichts!“ Bei jedem Satz fuhr ihre Faust herab.

Sakon und der Dicke stürzten zu den beiden und rissen Sakura grob von der Piratin herunter. „Hör auf zu träumen, Kleine!“ Tayuya blutete aus der Nase, und zwischen ihren Fingern linsten Büschel von Sakuras Haar hervor. „Das hier ist eine gottverlassene Insel ohne Gesetze, und wir sind nicht die königliche Marine! Wir geben einen verdammten Scheiß auf Beweise und herzensgute Menschen! Wenn uns jemand krumm kommt, brechen wir ihn mittendurch, kapiert? Lass sie los, Jiroubou.“

Der Dicke nahm seine Pranken von Sakura, und diesmal versetzte Tayuya ihr einen Faustschlag, der sie in den Sand plumpsen ließ. Bitterböse starrte sie zu der Piratin empor. Naruto machte einen Schritt, um ihr zu helfen, spürte aber eine Hand, die ihn festhielt. Er drehte sich verärgert um und erblickte Neji, der stumm den Kopf schüttelte.

„Pass also lieber auf, dass du mir nicht auch krumm kommst, verstanden?“, schimpfte Tayuya und spuckte Blut aus.

„Das reicht, Tayuya“, sagte Kimimaro und erhob sich schwerfällig. Es sah aus, als bereite ihm irgendetwas Schmerzen. „Der Grund, warum wir euch so genau aushorchen, ist folgender. Wir suchen etwas auf dieser Insel, und wir nehmen an, dass wir nicht die Einzigen sind. Und da das, was wir suchen, keine Kleinigkeit ist, haben wir den starken Verdacht, dass es eine andere Piratenbande auch darauf abgesehen hat. Und die Piraten, die wir meinen, agieren mitunter so, wie es eure Freundin getan hat. Es war in eurem eigenen Interesse, dass wir sie getötet haben“, behauptete er.

Naruto spürte zum wiederholten Male heute den Kloß in seinem Hals. Er fühlte sich fast so schwer und unangenehm an wie die Karte, die er nah an der Haut in seinem Hemd versteckt trug und die die Piraten zum Glück nicht gefunden hatten.

Tayuya lud ihre Pistole nach. „Genau so ist es. Und wir mögen es nicht, wenn uns jemand krumm kommt. Ich hab reichlich Munition, und ich bin gerade in der Stimmung zum Töten, also spuckt verdammt nochmal endlich eure schmutzigen Geheimnisse aus, oder ich mache direkt mit dem Löcherschießen weiter!“
 

„Damit das Spiel strategischer wird, werde ich es euch dieses Mal sagen, wenn ihr erfolgreich einen Werwolf gelyncht habt“, erklärte Sphinx. Die anderen spannten sich an. „So wie jetzt“, fügte er lächelnd hinzu.

Naruto seufzte erleichtert auf. Dann fehlte nur noch einer.

„Der Vollständigkeit halber: Kakashi war kein Werwolf“, fügte Sphinx hinzu.

Ino brummte irgendwas und reichte ihm ihre Karte.

„Bist du sauer, weil du ständig ein Werwolf bist?“, frage Kiba neckisch. „Sowas ist natürlich Mist. Die meisten Punkte kriegen schließlich die Dorfbewohner.“

„Nimm’s nicht so schwer“, sagte Tenten. „Letztes Mal warst du die einzige Überlebende.“

Ino seufzte. „Du hast ja recht. Viel Glück noch.“

Nachdem sie zu Kakashi ins Wartezimmer gegangen war und Sphinx ihr nachgerufen hatte, dass jedweder Informationsaustausch zwischen ihnen beiden streng verboten war, sagte Naruto: „Gut gemacht, Neji. War ein starker Zug – wenn du wirklich die Seherin bist.“

„Ja, wenn“, murmelte Sakon. „Ich kauf ihm das nicht ab.“

Weil du Neji nicht kennst, hätte Naruto beinahe gesagt. Neji hatte ziemlich fest geklungen. Und aufrichtig. Naruto traute ihm nicht zu, so sehr zu schauspielern – zumindest nicht ganz. „Ich bin überzeugt, dass es stimmt“, sagte er, um die anderen künftig davon abzuhalten, ihn zu lynchen. „Sag uns einfach weiterhin, wer ein Wolf ist und wer nicht. Es sollte jetzt schließlich nur mehr einen geben. Wir müssen dich nur irgendwie durch die kommenden Nächte bringen.“

Neji lächelte, schwach und unglücklich.

„Der Leibwächter“, sagte Kimimaro, der sich die Regelkarte mit den Fähigkeiten durchlas. „Er hat die Fähigkeit, einen Spieler in der Nacht zu beschützen. Nur nicht zweimal hintereinander denselben.“

„Dann muss der Leibwächter in der nächsten Nacht Neji beschützen“, sagte Naruto. „Es gibt nur noch einen Werwolf, wenn wir den erwischen, haben wir gewonnen!“

Ein leises Hüsteln kündigte an, dass Sphinx die Dämmerung rufen wollte.
 

Den Rest des Vormittags durften die Schiffbrüchigen unter wachsamen Augen und Pistolenläufen ihre Ziele, ihre Vergangenheit und ihren Beruf darlegen – und schließlich auch ihre Namen. Neji erzählte von seiner Arbeit an der Akademie, Tenten gab zu, mit Waffen zu handeln. Naruto verstand nicht, warum sie zuvor so ein Aufhebens darum gemacht hatte; sie schien den Piraten von allen am meisten zu bieten zu haben.

Sakura wiederholte nicht, was sie gesagt hatte, aber sie wurde nicht erneut gefragt. Der blonde Reisende stellte sich als Deidara vor, und als Abenteurer, Künstler und Kunstkenner. Anscheinend hatte ihm jemand ein wertvolles Sammlerstück – was immer es sein mochte – versprochen, wenn er diese Reise mitmachte und ein Auge auf die Vorkommnisse an Bord der Vieja Gloria warf. Wer sein Auftraggeber war, wusste er angeblich nicht. Sasuke kam mit einer ebenso fadenscheinigen Ausrede durch: Er wäre einfach ein Abenteurer, der die Welt sehen und zufällig mit dieser Insel beginnen wollte. Als es an Naruto war, sich vorzustellen, schluckte er. Fieberhaft hatte er über eine Ausrede nachgegrübelt. Sakura hatte einen guten Vorwand gehabt, und sie wusste schließlich auch Bescheid … aber warum hätte er diese Reise antreten sollen? Abenteuerlust? Dieses Thema schien verbraucht.

Die Blicke der Piraten wurden bohrend. Schweißtropfen bahnten sich ihren Weg durch Narutos sandiges Gesicht. „Ich bin … fortgelaufen. Ich heiße Naruto.“

„Fortgelaufen? Aus dem Kerker? So siehst du mir nicht aus“, stellte sogar der eher schweigsame Jiroubou fest.

„Nein, von Zuhause. Ich will, wisst ihr, mein Traum ist es …“ Ach, es spielte keine Rolle mehr. Er fühlte sich bereits jetzt wie bis auf die Haut ausgezogen. „Ich möchte einmal der Gouverneur von Port Fronda werden“, platzte er heraus.

Die Piraten starrten ihn einen Moment an. Dann begannen sie schallend zu lachen. „In Ordnung“, krächzte Sakon und hielt sich den Bauch. „Der Witz ist so gut, dass wir dich damit durchkommen lassen.“

„Das ist kein Witz!“ Naruto fühlte sich in seiner Ehre gekränkt, doch er war längst darüber hinaus, wegen solcher Kleinigkeiten zu erröten. „Ich werde eines Tages Gouverneur sein, ob ihr’s glaubt oder nicht! Ich werde mein Glück in der Ferne machen und als reicher Mann zurückkommen! In dieser Welt kann man sich Respekt nur mit Geld erkaufen, und wenn ich genügend habe und mich beweisen kann, kann ich bis an die Spitze klettern!“

„Lass mich raten.“ Tayuya wischte sich eine Träne aus den Augen. „Die feine Dame, die ich gerade abgeknallt habe, war in Wirklichkeit mit dir verlobt, und du wolltest dich in irgendeine reiche Familie vögeln?“

„Nein, ich …“ Naruto verstummte. Er hatte tatsächlich darüber nachgedacht, als reicher Mann um die Hand einer ebenso reichen Frau anzuhalten. Das Regierungssystem in Port Fronda orientierte sich sehr an der Krone. Es gab nur zwei Möglichkeiten, es in der Politik zu etwas zu bringen: mit blauem Blut geboren zu werden, oder blaues Blut zu heiraten. Naruto hatte wenig Erfahrung mit adligen Damen, aber er stellte sie sich schrecklich langweilig vor, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, hielt er zum Beispiel Sakura für viel erstrebenswerter, aber noch war er nicht in einer Position, in der er sich darüber den Kopf zerbrechen musste. Erst das Geld, dann alles weitere. Konnte es ihm jemand übelnehmen, dass er an die Spitze wollte? Er tat es mit ehrlichen Motiven, und wenn diese Reise nach Plan gegangen wäre, hätte er dabei niemandem geschadet. „Vielleicht“, sagte er patzig.

„Du bist also auf Geld aus, Naruto?“, fragte Kimimaro.

Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen. Er war zu emotional geworden und hatte verraten, was er eigentlich für sich behalten wollte. „Wer nicht?“

„Da du hierhergekommen bist, weißt du auch bestimmt, dass auf dieser Insel ein Schatz vergraben sein soll?“

Verfluchter Mist!

Die anderen rissen die Augen auf, starrten den Kapitän ungläubig oder erfreut an. Naruto achtete kaum auf ihre Reaktion. Er konnte spüren, wie ein Schweißtropfen sein Kinn verließ und den trockenen Sand befeuchtete. „Nein“, sagte er heiser und unglaubwürdig.

„Nun, jetzt weißt du es.“ Kimimaro hustete und stemmte sich wieder in die Höhe. Diesmal dauerte es noch länger. „Diejenigen von euch, die gelogen haben, werden es bereuen. Die anderen sind keine Gefahr für uns. Tut, was wir sagen, und ihr kommt mit dem Leben davon.“

Wieder hustete er. Sakon trat auf ihn zu, doch Kimimaro stieß ihn weg. „Ihr habt kein Schiff, mit dem ihr entkommen könntet. Vergesst das nicht. Die einzige Möglichkeit, hier wegzukommen, ist, für uns zu arbeiten. Wir bringen euch ein wenig Proviant und Werkzeug von unserem Schiff, außerdem eine Karte. Ihr werdet brav buddeln und uns den Schatz bringen.“ Sein nächster Hustenanfall schien kein Ende nehmen zu wollen.

„Ihr habt es gehört, milchblütiges Pack“, sagte Sakon laut. „Das ist soweit alles. Jiroubou, Kidoumaru, ihr passt auf, dass sie keine Dummheiten anstellen. Wir gehen zurück zum Schiff und holen alles Nötige.“

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als Kimimaro schon mit weit ausholenden Schritten losstapfte. Tayuya und Sakon sammelten die konfiszierten Waffen ein und liefen ihm nach.
 

Während sie warteten, ließen sich die Gefangenen in den Sand nieder. Er war weich, und das Sitzen, nachdem sie in Reih und Glied aufgefädelt gewesen waren, war herrlich. Dann glitt Narutos Blick zu Inos Leiche, dann zu Kakashis, und ihn schauderte. So hatte er sich dieses Abenteuer gewiss nicht vorgestellt.

„Danke, dass du mich vorhin zurückgehalten hast“, flüsterte er Neji zu, als er glaubte, dass ihre Bewacher nicht hinhörten. „Ich glaube, ich hätte etwas ziemlich Dummes getan.“

„Keine Ursache.“ Nejis Blick war stets leer, doch diesmal wirkte er noch trostloser, als schämte er sich dafür, Ino an den Pranger gestellt zu haben. „Sie haben Waffen. Auch wenn es uns nicht gefällt, wir müssen uns wohl oder übel gefallen lassen, was sie tun.“

Naruto nickte zerknirscht. Er hasste solche Gedankengänge, aber an ihrer misslichen Lage gab es nichts zu rütteln. „Du hast eine ziemlich gute Beobachtungsgabe. Ich habe nicht mehr gewusst, dass Inos Kleid nicht zerrissen war, als wir uns an Land gerettet haben.“

Neji sah ihn an, als versuchte er zu beurteilen, ob Naruto eine versteckte Anschuldigung herüberbringen wollte. Dann wurde seine Miene milde. „Ich muss in meinem Beruf einfach genau hinsehen.“

„Aber normalerweise siehst du dir Dreck und Mücken an.“

Neji besaß offenbar wenig Sinn für Humor. „Ich tue mehr als das“, meinte er beleidigt.

„Kannst du deine gute Beobachtungsgabe vielleicht weiterhin einsetzen?“, fragte Tenten, die das Gespräch offenbar mitangehört hatte. Sie sah besorgt aus – verständlich, in ihrer Situation, aber da lauerte noch etwas anderes in ihren dunklen Augen.

„Sicher, aber wozu?“

„Die anderen Piraten, von denen Kimimaro gesprochen hat.“ Tenten strich über ihren Oberarm, als wollte sie eine Gänsehaut vertreiben. „Ich glaube, er hat die Wolfspiraten gemeint.“

Naruto runzelte die Stirn, nicht sicher, was sie meinte. „Meinst du, ein drittes Schiff wird hier anlegen wollen?“

„Sie brauchen kein Schiff. Ich hab euch doch erzählt, dass sie ohne Flagge segeln.“ Auch Sakura und Deidara drehten sich nun interessiert zu ihnen um. Sasuke blieb teilnahmslos mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen sitzen.

„Selbst ohne Flagge müssen sie irgendwie übers Meer kommen.“ Worauf wollte diese Frau hinaus?

„Das tun sie auch. Es heißt, dass sich die Piraten immer an Bord der Schiffe schleichen, von denen sie sich Beute versprechen. Wenn es hier wirklich einen Schatz gibt und selbst der Knochenmann glaubt, dass sie es darauf abgesehen haben …“

„Du meinst, auf unserem Schiff sind Piraten gesegelt?“, platzte Kiba heraus. „Spinnst du? Die anderen sind die Piraten, nicht wir!“

„Was schwatzt ihr da? Gebt Ruhe!“, rief Kidoumaru. Er und Jiroubou hatten sich ein wenig abseits niedergelassen, ihre Waffen auf dem Schoß, und spielten ein Würfelspiel auf einem Holzbrett.

Die Gefangenen duckten sich, als Tenten mit gesenkter Stimme einräumte: „Ich sage ja nicht, dass von denen nicht auch jemand ein Wolf sein kann. Sie planen große Dinge immer schon lange im Voraus, heißt es. Und wenn ich ein Wolfspirat wäre, würde ich gleichzeitig auch bei einer echten Piratencrew anheuern. Doppelte Aussichten, den eigenen Willen durchzusetzen, meint ihr nicht?“

„Das sind doch Ammenmärchen“, sagte Deidara und gähnte. „Sehen wir lieber zu, dass wir diesen Schatz finden und uns die lieben Piraten wieder nachhause bringen.“

„Weil du diesen Schatz natürlich überhaupt nicht attraktiv findest, Abenteurer.“ Sakura musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen.

„Stimmt. Glitzerndes Zeug gibt es überall. Mit wahrer Kunst kann sich nicht mal Gold messen, hm.“

„Es ist besser, wir nehmen an, dass es stimmt“, beharrte Tenten.

„Das heißt aber auch, dass wir uns gegenseitig verdächtigen sollen, und ob das so gut ist …“ Naruto ließ die Frage in der heißen Mittagsluft hängen.

„Wie viele Leute hat denn die Wolfs-Crew?“, fragte Lee. „Oder weiß man das nicht?“

„In den Erzählungen sind es nie mehr als vier. Aber es wurde noch kein Einziger überführt. Wenn sie zuschlagen, setzen sie sich meist Wolfsmasken auf, damit sie unerkannt bleiben“, erzählte Tenten.

„Du bist ja erstaunlich gut informiert“, bemerkte Deidara.

„Weil erstaunlich viele erstaunlich zwielichtige Gestalten ihre Waffen bei mir kaufen“, gab sie zurück.

„Und das kannst du mit deinem Gewissen vereinbaren?“ Er winkte ab, als sie zu einer Antwort ansetzte. „Lass es gut sein. Mir ist es egal. Ich bin auch nicht die Ehrlichkeit in Person, hm. Die königlichen Gesetze sind zum Teil einfach lächerlich.“

Da stimmte Naruto ihm zu. Es herrschten einige Missstände, vor allem in den ärmeren Bevölkerungsschichten. Das war mit ein Grund, warum ihn der Gouverneursposten lockte.
 

Zu Mittag kamen Sakon und Tayuya zurück, ohne die Begleitung ihres Kapitäns. Sie brachten Spaten und Äxte, schimmliges Brot und ein paar Decken. Für Piraten war das vielleicht eine seltene Geste der Großzügigkeit, doch Naruto verspürte nach dem Seegang gestern und den Leichen heute keinen Hunger.

Tayuya scheuchte Jiroubou und Kidoumaru auf und beredete etwas mit ihnen, das Naruto nicht verstand. Sakon gab indessen Anweisungen. „Hier habt ihr die Karte. Gebt euch Mühe und bringt uns den Schatz. Unsere Vorräte wären schon knapp genug, wenn wir euch nicht durchfüttern müssten. Sobald ihr weniger wert werdet als unser Essen, war’s das. Verstanden?“ Er warf eine hölzerne Röhre auf den Haufen, den ihre Ausrüstung bildete. „Und wenn ich irgendeine Axt zu sehr in unserer Richtung sehe, ebenfalls. Kidoumaru passt auf euch auf. Schlafen werdet ihr hier am Strand. Die Decken genügen ja wohl.“

„Wieso muss ich den Aufpasser spielen?“, beschwerte sich Kidoumaru.

„Wer von euch hat denn euer kleines Würfelspiel verloren, wenn ich fragen darf?“ Tayuya grinste.

„Ich“, murmelte der braungebrannte Pirat zerknirscht.

„Noch Fragen?“

Kiba hatte bereits einen Spaten aufgehoben und rammte ihn in den Sand. „Ihr glaubt also wirklich, wir arbeiten für Piratenpack? Einfach so?“

„Nein“, antwortete Sakon, „nicht einfach so. Wenn ihr brav seid, schneiden wir euch nicht die Kehlen durch. Reicht das als Anreiz?“

„Das werdet ihr bereuen“, sagte Sasuke ruhig.

„Ich hab jetzt schon Angst. Kidoumaru, sieh zu, dass der Milchbubi hier ordentlich drankommt. Jiroubou, wir gehen zurück.“

„Mag es dein Kapitän, wenn du dich so als Anführer aufspielst?“, gab ihm Tenten noch mit auf den Weg. Naruto hoffte, dass die anderen bald den Mund hielten. Auch ihm schmeckte es nicht, sich den Piraten unterwerfen zu müssen – Himmel, sein Traum war gerade geplatzt! –, aber aufmüpfig zu werden, nur weil sie noch nicht getötet worden waren, war sicher eine dumme Idee.

Tayuya handelte auch sofort und nahm zwei der Brote von dem Haufen. „Wie es aussieht, gibt es nicht genug zu essen für jeden von euch“, verkündete sie. „Bedankt euch bei Tenten. Ihr solltet also gut überlegen, wer was abbekommt und wer nicht.“

„Du elende …“, knurrte Kiba und ballte die Fäuste.

„Ja? Was?“ Tayuya trat ganz nah an ihn heran und grinste ihm ins Gesicht. „Willst du mir was sagen?“

„Kiba“, flüsterte Neji beschwörend. Deidara seufzte.

Schließlich senkte Kakashis ehemaliger Maat den Blick.

„Na also.“ Tayuya stieß ihn vor die Brust, was ihn taumeln ließ, und drehte sich um. „Hat noch jemand Beschwerden?“

„Komm endlich, es ist heiß in der Sonne“, knurrte Sakon.

„Hast du Angst, deinen Teint zu ruinieren?“

Drei der Piraten zogen ab, nur der raue Kidoumaru blieb zurück. „Dann schultert mal schön euer Werkzeug. Wir marschieren los.“

Naruto wurde mit der Karte betraut. Seufzend erkannte er, dass es dieselbe war, über der Sakura und er vor über drei Wochen in dieser schmierigen Kneipe die Köpfe zusammengesteckt und ihre Reise geplant hatten. Er selbst hatte seine Karte einem alten, senilen Seemann abgekauft, der beständig etwas von Flüchen und Meuterei gestammelt hatte. Wie waren wohl die Piraten daran gekommen?

Die Mitte der Insel war ein paradiesischer Wald aus Palmen und Felsen. Sogar an einer natürlichen Quelle mit Trinkwasser kamen sie vorbei. Wäre dies hier ein gewöhnlicher Urlaub gewesen, Naruto hätte sich keine schönere Insel vorstellen können.

Riesige, hellgrüne Farnblätter erschwerten das Vorankommen. Kidoumaru hatte als Einziger einen Säbel bei sich, um den Weg freizuhacken, doch er ging als Letzter. Die anderen mit ihren Spaten und Äxten taten sich eher schwer dabei.

Sie würden graben müssen, das war klar. Um bei Kräften zu bleiben, kostete Naruto von dem Brot. Es war eklig weich, mit Schimmel so dick wie eine Butterschicht.

„Halt“, sagte Sasuke plötzlich, der zuvorderst ging. Ihr Gänsemarsch kam zum Stehen.

„Wir müssen tiefer hinein“, sagte Naruto und deutete auf die Karte. Er ging als Zweiter.

„Nicht, wenn es vor uns vor Schlangen nur so wimmelt.“

„Schlangen?“, fragte Neji.

„Ich sehe keine Schlangen“, murmelte Naruto und strengte seine Augen an. Vor ihm lag nur ein Meer aus Farn und anderem Grünzeug – allerdings wäre dies auch ein gutes Versteck für allerlei Kriechtier.

„Da vorne. Und da.“ Als Sasuke mit seinem Spaten ausholte, um in die Richtung zu zeigen, stieß er Naruto den Stiel in die Rippen. Er verstand.

„Oh mein Gott“, sagte er laut. „Die kenne ich, die sind giftig.“

„Wollt ihr mir eine Pause abluchsen, oder was?“, fragte Kidoumaru, der immer noch schlecht gelaunt war. „Weiter, oder ihr seid tot!“ Er trug gleich zwei Pistolen und hatte noch eine Muskete auf den Rücken geschnallt. Offenbar traute er es sich damit zu, acht Personen gleichzeitig zu bewachen. Die ersten beiden, die sich sträubten, würde es garantiert erwischen, und niemand wollte den Anfang machen.

„Das sind wir auch, wenn wir weiter gehen“, sagte Sasuke unbeeindruckt. „Wir brauchen deinen Säbel.“

„Bist du noch ganz richtig im Kopf?“ Kidoumaru lachte nur.

„Dann deine Pistole. Ein Schuss verjagt sie vielleicht.“

„Wie wär’s dann, wenn der Schuss durch dich geht?“

Naruto machte plötzlich schreiend einen Satz zurück und prallte gegen Lee. „Sie ist mich angesprungen! Passt auf!“

Auch Sasuke wich zur Seite. Sakura verstand und spielte mit. „Schlangen!“, kreischte sie, warf ihre Schaufel zu Boden und stürmte Hals über Kopf davon. Ihr Fuß verfing sich in einer Schlingpflanze, und ihr Sturz ließ ihre Flucht noch echter wirken. Auf allen vieren krabbelte sie davon.

„He! Zurück mit dir!“, brüllte Kidoumaru, schoss aber nicht. „In die Reihe, ihr alle! Macht euch nicht ins Hemd!“

Naruto rempelte auch noch Neji an. „Fall um“, flüsterte er. Und Neji fiel. Naruto begann auf einem Bein herumzuhopsen. „Ahh! Sie haben mich gebissen! Hilfe!“

„Verflucht, was seid ihr nur für Memmen!“ Kidoumaru bahnte sich einen Weg an Tenten, Deidara und Kiba vorbei und trat neben Sasuke, die Pistolen erhoben. Seine Augen suchten den Waldboden ab. „Ich sehe keine …“

Sasukes Spaten beendete seinen Satz. Mit einem blechernen Klonken traf er Kidoumaru am Hinterkopf. Leise stöhnend sank der Pirat in die Farnschicht.

„Gute Arbeit“, kommentierte Deidara. „Ein wenig lauter, und ihr hättet die halbe Insel zusammengeschrien.“

„Solange es nicht die Hälfte ist, auf der die Piraten sind, kann ich damit leben.“ Sasuke ließ den Spaten sinken und nahm Kidoumaru die Pistolen ab. Eine drückte er Naruto in die Hand. Kiba nahm die Muskete.

„Töten wir ihn?“, fragte Deidara, während die anderen den Bewusstlosen nach Messern und Nahrung durchsuchten.

„Könnten wir“, meinte Sasuke.

„Wartet“, hielt ihn Naruto zurück. „Es sind heute schon genug gestorben, findet ihr nicht?“

„Er ist mit dran schuld.“ Sasuke zuckte mit den Schultern.

„Ich finde auch, dass schon genug Blut geflossen ist. Vielleicht kann er uns ja sogar noch helfen“, warf Neji ein. Gut, dass wenigstens einer vernünftig war. „Er weiß, wo ihr Schiff vor Anker liegt. Vielleicht können wir ihn auch als Geisel nehmen.“

„Es sind Piraten. Das wird die nicht die Bohne interessieren“, erinnerte ihn Kiba.

„Auf einen Versuch sollten wir es ankommen lassen.“

„Also schön“, sagte Sasuke. „Wir haben nicht viel Zeit. Diejenigen, die ihn unbedingt leben lassen wollen, dürfen ihn tragen.“

Sie hatten kein richtiges Seil, also fesselten sie Kidoumarus Hände und Beine mit der Schnur, die seine Hosen hielt, und knebelten ihn mit einem Stück Stoff. Naruto, Lee und Neji teilten sich sein Gewicht und wuchteten ihn in die Höhe. „Wohin sollen wir denn gehen?“, ächzte Naruto.

„Drei Feuerwaffen sind zu wenig“, meinte Tenten. „Die Piraten haben sicher noch Messer und Macheten, tonnenweise Schießpulver und außerdem mehr Erfahrung im Töten als wir.“

„Wir gehen zurück zum Strand“, beschloss Sasuke. „Vielleicht ist noch was von unserem Schiff übrig. Ich habe Pistolen und Munition dort gelassen, als wir über Bord gesprungen sind. Wenn wir Glück haben, wurden sie irgendwo an Land gespült oder schwimmen zwischen den Felsen.“

„Du wirst mir langsam unheimlich, wirklich“, murmelte Naruto.

„Das Pulver ist sicherlich nass geworden“, gab Neji zu bedenken.

„Hört mit der Schwarzmalerei auf.“ Deidara war schon auf halbem Weg durch den Wald und drehte sich ungeduldig um. „Was für eine andere Wahl haben wir? Ich schufte sicher nicht für Piraten, hm. Außerdem hab ich auch ein paar Sachen auf der Vieja Gloria zurücklassen müssen.“
 

Sie folgten unbemerkt dem Weg zurück. Spaten und Äxte hatten sie mitgenommen, man konnte ja nie wissen. Der blutbefleckte Strand war verlassen bis auf die beiden Leichen, die immer noch dort lagen. Naruto zwang sich, nicht hinzusehen, aber Sakura starrte genau.

Die Wellen rauschten, aber es waren kaum Felsen an dieser Stelle. Sie setzten ihre Geisel ab, und Deidara erklärte sich bereit, nach draußen zu schwimmen. Nach kurzer Zeit sahen sie ihn auf einen der Felsen klettern, die wie abgefaulte Zahnstümpfe aussahen, schwarz und nass. Er sah sich um, dann machte er sich auf eine halsbrecherische Reise über die Nachbarfelsen, wobei er immer wieder ins Wasser zurückrutschte. Hinter einem gewaltigen steinernen Monster, hoch wie ein Haus, geriet er außer Sicht.

„Vielleicht gibt es dort in diesem Felsen eine Höhle. Da wären wir einigermaßen sicher“, überlegte Neji.

„Bis uns die Vorräte ausgehen“, sagte Sakura sarkastisch. „Die sich auf genau sieben Brote und die paar harten Würste von Kidoumaru belaufen.“

Jener regte sich soeben stöhnend. Sasuke schickte ihn mit einem heftigen Tritt zurück ins Reich der Träume.

Nach einer Weile tauchte Deidara prustend aus der Gischt zwischen den Felsen auf. Naruto hatte gerade begonnen, sich Sorgen zu machen. Der Abenteurer ließ sich von den Wellen an Land treiben. „Gute Nachrichten.“ Tropfend hockte er sich in den Sand und wrang sein langes Haar aus. „Ihr werdet’s nicht glauben. Unser Schiff hat’s überlebt. Sieht richtig hübsch aus.“

„Was hast du gesagt?“, fragte Naruto fassungslos.
 

Es gab keinen einfachen Weg über die Felsen, sie alle wurden nass und von den Wellen ordentlich durchgeschüttelt und gegen das Gestein gedrückt, und es war verteufelt schwierig, Kidoumaru auch noch mit sich zu schleppen. Als die Vieja Gloria schließlich in Sicht kam – Naruto hatte wirklich daran gezweifelt – wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte.

Nichts war von ihrem Stolz geblieben. Der Schoner war nicht mehr als ein Wrack, das nur nicht gesunken war, weil es sich zwischen den Felsen verkeilt hatte, regelrecht davon aufgespießt worden war. Die Wellen brachen sich an einem Rumpf, der mehr Lecks als Holz aufwies. Selbst im Tod hatte die Vieja Gloria noch Schlagseite; der zersplitterte Mast tauchte über die zerstörte Reling hinweg ins Wasser, die Segelfetzen daran blähten sich von Zeit zu Zeit, als versuchte dieses verkrüppelte Schiff noch jetzt auf geradezu widernatürliche Art, weiterzusegeln.

„Die alte Dame hält wirklich ganz schön was aus“, sagte Kiba stolz.

„So alt ist sie gar nicht“, entgegnete Lee. „Sie ist jung ist kräftig, das hat sie davon abgehalten, zu sinken.“

Gestern Abend hatte es nicht danach ausgesehen. Der Seegang und das Rütteln und Krachen der Balken waren eine infernalische Botschaft gewesen wie von Davy Jones persönlich. Es war ein kleines Wunder, dass die Vieja Gloria nur zur Hälfte gesunken war. „Da soll noch einer sagen, diese Insel ist verflucht“, lächelte Naruto.

Neji und Tenten sahen ihn an, als hätte er das besser nicht sagen sollen.
 

Die See war viel rauer dort, wo das Schiff im Wasser vor sich hin vegetierte, und es war nicht einfach, an Bord zu kommen. Die Lecks waren groß genug, um hindurchzuschwimmen, aber die Wellen, die hineinschwappten, wirkten irgendwie zornig, und die geborstenen Balken hatten scharfe Kanten hinterlassen. Lee schaffte es irgendwie, über den gebrochenen Hauptmast hinaufzuklettern, und half den anderen dann mit Seilen nach oben. Eigentlich war diese tückische Kletterpartie eine gute Sache – so würden auch die Piraten ihre liebe Not haben, zu ihren Gefangenen zu gelangen.

Das Deck war kaum wiederzuerkennen, aber es hatte am wenigsten vom ganzen Schiff abbekommen. Schlimmer sah es darunter aus: Zerstörtes Holz hatte viele Kajüten miteinander verbunden. Der unterste Laderaum stand fast völlig unter Wasser, in Narutos Kabine und der Kapitänskajüte reichte es nur bis zu den Knöcheln. Bücher, Karten und Instrumente schwammen dort herum. Sie trugen alles ins Trockene, was ihnen irgendwie nützlich erschien.

Naruto fragte sich, wie sicher die Leiche der Vieja Gloria tatsächlich war. Wenn der Wind auffrischte oder besonders starke Wellen gegen den durchlöcherten Rumpf klatschten, ächzte und stöhnte das ganze Schiff, als hätte es Schmerzen. Jeder Schritt ließ die Planken knarren. Die Nacht würde höllisch werden, und es war bereits beschlossene Sache, dass sie sie hier verbringen würden.

Kidoumaru banden sie unter Deck fest. Er zappelte und zeterte durch den Knebel in seinem Mund. Dann trugen sie alle Vorräte zusammen, die noch genießbar waren, und aßen im Mannschaftsraum, der trocken und gerade groß genug war, sie alle aufzunehmen. Sakura, Naruto und Tenten hatten sich umgezogen und trugen nun wieder trockene Kleidung. Sasuke hatte eine neue Pistole aus seiner Kabine geholt, Deidara hatte sich ebenfalls bewaffnet und drückte auch Neji eine Waffe in die Hand – als Vertrauensbeweis, weil er die mörderische Lady enttarnt hatte, wie er sagte. Neji schien darüber eher unglücklich zu sein. Kidoumarus zweite Pistole bekam erst Lee, obwohl Tenten und Sakura sie beide verlangten. Lee schien eine gewisse Schwäche für Sakura zu haben, denn er reichte die Waffe großzügig an sie weiter.

Danach herrschte Schweigen, denn niemand hatte eine Idee, wie es weitergehen sollte. Sie brauchten das Piratenschiff, um von der Insel wegzukommen, so viel war jedem klar, und sie würden darum kämpfen müssen. Nichts davon brauchte ausgesprochen zu werden, und nichts davon behagte Naruto oder den meisten anderen. Dazu kam die schwache, hoffnungsvolle Stimme in ihm, die den Schatz noch nicht ganz aufgegeben hatte.

Als der Abend sich über die Vieja Gloria senkte, wurde die Stimmung immer angespannter, und alle waren mucksmäuschenstill. Spätestens jetzt würden die Piraten ihr Verschwinden bemerken und nach ihnen suchen. Das Schiff ließ sich besser verteidigen, als sie sich wünschen konnten, aber wenn sie es fanden und erneut mit Kanonen beschossen, waren sie erledigt.

Irgendwann legte sich auch die Anspannung ein wenig, als nichts passierte und die bleierne Müdigkeit sie einholte. „Ich werde Wache halten“, sagte Naruto, als Sakura zu gähnen begann.

„Ich auch. Aber nicht hier“, sagte Sasuke, der die ganze Zeit mit seiner Pistole gespielt hatte, in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Er stand auf.

„Wo willst du hin?“

„In meine Kabine. Ich glaube nicht, dass die Piraten noch kommen werden.“

„Hier ist es aber sicherer!“, rief Naruto, doch Sasuke schnaubte nur spöttisch.

„Ach ja, das Leben eines einsamen Wolfes“, seufzte Deidara und streckte sich. „Ich verzieh mich auch. Das bisschen Wasser in meiner Kabine macht mir weniger aus als diese Hitze. Wir haben schon zum Sitzen kaum Platz hier. Alle können hier nicht schlafen.“

Da hatte er leider recht. Außerdem schickte es sich bestimmt nicht, die ungewaschene Mannschaft und diese zwielichtigen Abenteurer mit den Frauen in einem Raum schlafen zu lassen. Nach einer Weile verabschiedeten sich Tenten und Sakura tatsächlich und erklärten, Inos Passagierkabine benutzen zu wollen. Naruto blieb mit Neji, Kiba und Lee im Mannschaftsraum zurück. Sie sprachen noch lange, über die Geschehnisse des heutigen Tages, die ihnen noch in allen Knochen steckten, über die Piraten und über die Reise, dann über ihre Vergangenheit. Naruto lernte die anderen besser kennen und erfuhr, dass dies die erste gemeinsame Heuer der Matrosen war. Flüchtig gekannt hatten sie einander aber schon vorher.

Als die beiden bereits in ihren Hängematten schnarchten und Neji es sich auf dem Boden bequem gemacht hatte, blieb Naruto seufzend vor der Tür sitzen. Die Piraten würden kaum an Bord schleichen und sie im Schlaf erdolchen, oder? Naruto schätzte Leute wie diesen Sakon oder Tayuya eher so ein, dass sie mit lodernden Fackeln und heißem Pulvergestank auf das Schiff stürmen würden. Er beschloss, trotzdem wach zu bleiben.

Die Anstrengungen der letzten Tage und das flüchtige Gefühl von Sicherheit forderten jedoch gierig Tribut. Der Schlaf überfiel ihn genauso hinterhältig und plötzlich, wie Sasuke Kidoumaru hatte schlafen lassen.
 

- Schiffbruch, zweite Nacht -
 

„Kommen wir also endlich zur zweiten Nacht. Was wird wohl so alles hinter dem Schleier der Dunkelheit passieren?

Ihr kennt das Prozedere. Die Werwölfe erwachen und wählen ihr Opfer.“

Sakura öffnete die Augen, als Sphinx die Werwölfe rief. Es war ziemlich offensichtlich, wer heute Nacht sterben musste. Die Seherin war eine tückische Gefahr. Aber sowohl der Leibwächter als auch die Hexe konnten Neji retten. Es sei denn, sie glaubten nicht, dass er tatsächlich die Seherin war …

Ihre Augen glitten über die schlafenden Dorfbewohner. Die Seherin konnte pro Nacht nur einen Spieler ausspionieren. Die Chancen, dass er einen gewöhnlichen Dorfbewohner erwischte, waren ziemlich hoch. Und der Leibwächter konnte ihn nicht zweimal hintereinander beschützen.

Sakuras Blick blieb an einem Spieler haften, und sie gab Sphinx ein stummes Zeichen.

„Die Werwölfe haben gewählt und schlafen wieder ein. Ich rufe jetzt wieder nacheinander alle Dorfbewohner mit Spezialfähigkeiten auf. Lasst uns sehen, was der neue Morgen bringt.“
 

- Schiffbruch, zweiter Tag -
 

„Und der zweite Tag bricht heran. Wacht auf, liebe Dorfbewohner!“
 

Naruto schrak hoch, als die Tür aufgerissen wurde. Verschlafen tastete er nach seiner Pistole, fand sie im ersten Moment aber nicht. Verschwommen sah er Neji direkt vor sich stehen, schwer atmend. „Hoch mit euch!“, keuchte er. „Die Piraten sind …“

Er kam nicht dazu, auszusprechen. Ein Entermesser schob sich wie aus dem Nichts vor seine Kehle. „Ganz ruhig“, schnurrte seine Besitzerin Neji ins Ohr. Nasses rotes Haar klebte an ihrer Piratenkleidung. „Ich mag dich, also zwing mich nicht, an dir herumzuschnitzen.“

„W-was …“ Naruto kam so sehr schwankend auf die Beine, als machte das Schiff volle Fahrt. „Lee! Kiba!“, rief er und bekam endlich den Griff seiner Pistole zu fassen. Sie war ihm aus der Hand gerutscht. Ärgerlich stöhnend griff er danach.

„Lass sie lieber liegen, mein Sohn.“ Eine andere Pistole stieß neben Neji in den Mannschaftsraum. Sakon war neben Tayuya aufgetaucht. „Habt ihr geglaubt, ihr Landratten könntet euch vor uns verstecken? Was habt ihr mit Kidoumaru gemacht?“

In einem anderen Teil des Schiffes ertönte ein Schrei. „Jiroubou scheint eure Frauen gefunden zu haben“, grinste Sakon.

Kurz darauf hörte man auch Jiroubous Schrei, der einem dumpfen Schlag folgte. „Was macht der dämliche Fettsack da?“, zischte Tayuya.

„Halt die Schwerenöter in Schach“, befahl ihr Sakon. „Ich nehme mir diese Hälfte vor.“ Er deutete den Gang entlang.

Tayuya zog mit geübter Bewegung eine eigene Pistole und bedrohte Naruto in der Linken damit, noch während sie das Messer an Nejis Gurgel hielt. „Kommt, ihr ungewaschenen Bastarde. Was haltet ihr von einem kleinen Landspaziergang?“
 

Zuerst wurden sie an Deck gebracht. Die Piraten hatten Seile dabei. Davon, ihre Opfer frei arbeiten zu lassen, schienen sie nichts mehr zu halten. Jiroubou trug Tenten wie einen Kartoffelsack nach oben, die sich heftig wehrte. In der anderen Hand konnte der starke Pirat noch eine Waffe halten, mit der er Sakura vor sich her scheuchte. Sakon ließ Deidara und Sasuke antraben, mit zwei Pistolen bewaffnet und mit einem Messer zwischen den Zähnen. Im Schlaf überrascht zu werden hatte wohl keinem von ihnen viel Handlungsspielraum geboten. Wieder hatten die Piraten ihren Opfern sämtliche Waffen abgenommen.

Naruto hatte erwartet, ihren Kapitän an Deck anzutreffen, würdevoll und vor der aufgehenden Sonne wartend, aber Kimimaro war auch diesmal nicht dabei. Vielleicht war es im Gegenteil unter seiner Würde.

Die drei Piraten banden ihre Gefangenen aneinander und machten die Seile am Fockmast fest, der noch intakt war. Neji und Naruto banden sie direkt an den Mast, die anderen fädelten sie daneben auf. „Also“, sagte Sakon und spuckte sich das Messer gekonnt mit dem Griff voraus in die Hand. „Wir haben die halbe Nacht nach euch gesucht und keine Lust, auch noch den Rest von eurem halb verfaulten Schiff zu durchstöbern, daher werdet ihr uns brav sagen, wo Kidoumaru steckt.“

Zuerst schwiegen alle stur. Naruto konnte nicht glauben, dass sie schon wieder in die Hände dieser Halsabschneider geraten waren. Wäre er nur nicht eingeschlafen!

Als Tayuya mit einem vielsagenden Grinsen nähertrat und ihr Entermesser im ersten Licht der Morgensonne aufblitzen ließ, löste das Lees Zunge. Man könnte wohl auch sagen, er war in dem Moment der Vernünftigste von ihnen. „Er ist im Frachtraum. Direkt unter uns. Der, durch den der Mast verläuft.“

„Ah ja?“ Sakon hob die Augenbraue. „Jiroubou, geh nachsehen.“

„Das kannst du dir sparen!“, schallte eine Stimme von der Reling herüber. Naruto glaubte nicht recht zu sehen. Mit einem breiten Grinsen balancierte Kidoumaru über den umgestürzten Hauptmast. Wie war er entkommen – und wann?

„Kidoumaru, da bist du ja“, begrüßte ihn Sakon gespielt überschwänglich. „Hast wohl ein wenig Pause gemacht gestern, was?“

„Kann schon sein. Heute hab ich auf jeden Fall irre Lust, jemanden über die Planke zu schicken.“ Kidoumaru kam näher. „Was ist denn das? Habt ihr gemeutert oder was?“

Er deutete auf den Kapitänshut auf Sakons Kopf. Naruto war er bisher gar nicht wirklich aufgefallen – einen Piraten stellte man sich schließlich stets mit einem Hut mit gekreuzten Knochen und Schädel vor, aber in Kimimaros Mannschaft hatte er bisher tatsächlich nur einen einzigen gesehen.

„Von wegen“, schnaubte Sakon. „Stell dir vor, während du in diesem Wrack geschlafen hast, ist unser geliebter Kapitän von uns gegangen.“
 

„Das Opfer der heutigen Nacht ist Kimimaro. Der natürlich kein Wolf war.“

Während die anderen diese Nachricht höchstens milde überrascht hinnahmen, musste sich Sakura Mühe geben, ihre Miene zu versteinern. Falsch, das war falsch! Hatte Sphinx ihren Entschluss missinterpretiert? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen … Aber es war die falsche Person gestorben! Sphinx ließ sich nichts anmerken.

Die anderen diskutierten bereits darüber, wer es getan haben könnte, aber Sakuras Gedanken schlugen Purzelbäume. Ja, wer hatte es getan? Kimimaro war nicht durch die Werwölfe gestorben! Das war doch …

Es war nicht unmöglich. Was dachte sie da? Es gab genügend Spieler mit speziellen Fertigkeiten. Irgendjemand hatte das eigentliche Opfer gerettet, ganz einfach. Dabei hatte sie gedacht, dass der Leibwächter in dieser Nacht die Seherin beschützen würde, also Neji, und absichtlich jemand anderen gewählt … Ein Zufall? Oder hatte die Hexe ihre Finger im Spiel?

„Schade, unser Bürgermeister ist gestorben“, sagte Sphinx. „Die Neuen haben aber auch ein Pech. Kimimaro, als kleiner Trost darfst du die Bürgermeisterkarte einem Spieler deiner Wahl weitergeben.“ Er lächelte. „Übrigens, ihr werdet es schon vermutet haben, dass Bürgermeister oft nicht sehr geschätzt sind unter den Werwölfen. So manche Amtsperiode ist recht kurz.“

Kimimaro reichte Sakon wortlos die Karte, der es ihm mit einem Grinsen dankte. Dann verließ er die Runde und gesellte sich zu Kakashi und Ino.

„Sicher ist einer von seinen Kameraden der zweite Werwolf“, meinte Kiba. „Ich meine, wir würden doch auch alle viel eher auf die Leute losgehen, die wir besser kennen, oder? Versteckte Psychologie und so ein Zeug.“

„Sakon, du hast ja jetzt zwei Stimmen“, sagte Tayuya. „Lass uns als Nächstes diesen Idioten lynchen.“ Ihr schien das Spiel zu gefallen.

Sakura war nahe dran, sich die Haare zu raufen. Natürlich, für die anderen wirkte es so, als wäre das Opfer ganz normal von den Werwölfen getötet worden. Sie zermarterte sich das Hirn. Es gab doch wohl eine naheliegende Erklärung. Wenn das eigentliche Opfer gerettet worden war, wer hatte dann Kimimaro umgebracht? Und warum gerade ihn? Auf gut Glück? Vielleicht hatte die Hexe von beiden Tränken Gebrauch gemacht?

Sakura konnte ihre Vermutungen nicht mal mit jemandem besprechen, sonst wussten die anderen gleich Bescheid. Während sie bereits fleißig diskutierten, wer der letzte Werwolf sein könnte, dachte sie sich, dass wohl nicht jede Nacht so ablief, wie die Wölfe es gern hätten.

Das war der Moment, als ein alter, schon fast eingerosteter Schalter in ihren Gedanken plötzlich Klick machte. Die Gedankenfäden, die sie zu entwirren versuchte, spannten sich weiter, bis zu dem letzten Spiel, und daran hing plötzlich etwas Brauchbares, so offensichtlich, dass sie gar nicht verstehen konnte, warum sie nicht schon längst mit der Nase darauf gestoßen war.

„Ich möchte das momentane Spiel gern unterbrechen!“, rief sie laut und übertönte dabei die anderen, die sie verwundert ansahen.

Sphinx schwieg eine Weile. Seine Augen wurden schmal, nur ganz kurz, nur ein winziges bisschen. „Und warum, wenn ich fragen darf?“

„Ich will eine persönliche Unterredung mit dir“, platzte sie heraus. „Ich habe es gelöst.“ Sie musste es unbedingt gleich loswerden – und vielleicht waren ihre Worte auch ein kleiner Hinweis für die anderen, die noch im Dunkeln tappten.

„Was gelöst?“, fragte Naruto.

„Das letzte Spiel. Unser erstes Spiel, das wir gestern gespielt haben.“ Sakura atmete tief durch und sah Sphinx fest in die Augen. „Ich weiß endlich, was genau geschehen ist, wer welche Rolle hatte. Ich habe es vom Anfang bis zum Schluss durchschaut.“

Den Schleier zerreißen


 

~ 9 ~
 

Was hast du gesagt?“, fragte Naruto. „Wir sind noch mitten im Spiel, und ausgerechnet jetzt hast du das letzte gelöst?“

„Ja doch“, sagte sie ungeduldig und starrte Sphinx in die Augen. „Bitte, ich will eine Bestätigung haben. Sonst kann ich mich nicht auf das hier konzentrieren.“

Sphinx wartete. Zögerte er, oder versuchte er sie zu foltern? „Wir machen für heute Schluss“, sagte er dann gedehnt. „Ich will keine Gespräche über den Verlauf des Spiels unter euch, auch nicht über den des vorigen. Ihr werdet alle Geschehnisse vergessen und euch erst morgen daran erinnern, wenn wir weitermachen.“ Er bimmelte mit seiner Glocke nach den anderen.

Ino kam als Erste aus dem Nebenzimmer, überrascht. „Ihr seid schon fertig?“, fragte sie. „Heißt das …“

„Nein“, sagte Sphinx, ehe Sakura es verraten konnte. „Wir verlegen den zweiten Teil des Spiels auf morgen. Zeigt euren neuen Leidensgenossen ein wenig unsere Anstalt. Das Spiel ist einfacher, wenn man sich besser kennt“, erklärte er mit einem wölfischen Grinsen, als wüsste er bereits jetzt, dass sich die zwei Gruppen seiner Spielteilnehmer nicht riechen konnten.

Sakura blieb als Einzige sitzen. Sphinx wartete geduldig, bis die anderen die dicke, gepolsterte Tür geschlossen hatten. Dann streckte er sich in seinem knarzenden Sessel. „So“, meinte er seufzend. „Die Spitzenreiterin des letzten Spiels will ihre Punkte abholen?“

„Allerdings.“

„Du weißt, dass du bei einer falschen Antwort null Punkte bekommst, ohne die Chance, es noch einmal zu versuchen?“

„Ich kenne aber die richtige Antwort.“

Sphinx schmunzelte. „Das hoffe ich. Ich höre gern geniale Theorien – wäre das anders, hätte ich das Spiel nicht unterbrochen.“ Er beugte sich vor. „Dann lass uns das erste Spiel nochmal rekapitulieren.“ Offenbar wollte er es so dramatisch wie möglich machen und den entscheidenden Augenblick hinauszögern. „Teilnehmer waren du, Naruto, Sasuke, Ino, Tenten, Neji, Kiba und Hinata. Es gab vier Dorfbewohner, zwei Werwölfe, eine Hexe und eine Seherin, außerdem ein Liebespaar. Keinen Bürgermeister. Die Karten wurden nicht aufgedeckt. In der ersten Nacht starb Neji, daraufhin habt ihr Kiba gelyncht. In der zweiten Nacht starben Hinata und Naruto, und am zweiten Tag wurde Sasuke gelyncht. Das Opfer der dritten Nacht war Tenten, danach gab es keine Abstimmung mehr. In der vierten Nacht bist schließlich du gestorben.“ Er lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme. „Dann schieß mal los. Ich will, dass du alles erklärst. Welche Rolle jeder in dem Spiel hatte, was er getan hat. Los geht’s.“

Sakura räusperte sich. Obwohl sie ziemlich sicher war, hatte sie ein mulmiges Gefühl. Ihrer Stimme konnte sie jedoch einen festen Klang verleihen. „Ich fange gleich mit der ersten Nacht an. Die hat mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet, gebe ich zu.“

„Ich bin gespannt.“

 
 

- In den Bergen, erste Nacht -

 

Kiba erwachte mitten in der Nacht mit einem Geschmack im Mund, den er nur als faulig bezeichnen konnte. Er war froh, dass er überhaupt etwas schmeckte; so wie sein Kopf dröhnte, könnte er genauso gut bewusstlos sein.

Vermutlich war er das auch gewesen, bis gerade eben. Er wusste nur noch, dass er es mit letzter Kraft ins Bett geschafft hatte. Wer hatte nochmal das letzte Wetttrinken gewonnen? Er konnte sich nicht mehr erinnern.

Reglos blieb er liegen, doch das Hämmern in seinen Schläfen wollte nicht aufhören. So würde er nie wieder einschlafen können. Langsam, als wäre sein Hals aus zähem Gummi, drehte er den Kopf und tastete auf dem Nachtkästchen nach seinem Handy. Als er es zu fassen bekam und sah, dass es kurz nach drei Uhr nachts war, hätte er beinahe auf das Display gekotzt. Von der kleinen Bewegung war ihm speiübel geworden. Verfluchter Alkohol. In seiner Familie waren alle recht trinkfest, das lag ihnen irgendwie im Blut. Wenn seine Schwester ihn so sähe, würde sie ihn auslachen. Offenbar hatte er die Getränke gestern einfach zu stark gemischt. Oder hatten sie einfach ein besonders vernichtendes Trinkspiel gespielt?

Sein Magen rebellierte, als er die Beine aus dem Bett schwang. Alles drehte sich, was die Übelkeit nur verstärkte. Als er festen Boden unter den Füßen spürte, ging es einigermaßen. Kiba atmete tief durch und fuhr sich durch die Haare. Sein Trainingsanzug war schweißnass. Das Fenster stand offen, was einerseits für dringend nötige Frischluft sorgte, ihn andererseits frösteln ließ.

Zu dem fauligen Geschmack gesellte sich nun auch Galle, als er aufstand und fast das Gleichgewicht verlor. Einen Eimer, ich brauche einen Eimer. Nur zur Sicherheit. Nichts wäre ihm peinlicher, als wenn er sich in ein fremdes Bett übergeben würde. Er glaubte sich zu erinnern, im Badezimmer einen gesehen zu haben. Vielleicht würde er auch schnell eine kalte Dusche über sich ergehen lassen, aber zunächst einmal war der Eimer wichtiger.

Nach zwei Schritten stieß er mit dem Fuß schmerzhaft gegen den Bettpfosten und fluchte. Wenigstens war er allein in dem Zimmer. Als er die Tür in den Gang öffnete, hatte er Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Nach links oder nach rechts? Er war wohl noch benebelter, als er gedacht hatte.

Schließlich schälten sich die Umrisse der Treppe aus der Finsternis. Sie lag rechts von ihm. Dann musste er also neben ihr den Flur entlanggehen, und hinter der Treppe lag rechts das Badezimmer, genau. Auf leisen Sohlen, damit niemand von seiner nächtlichen Eskapade erfuhr, tappte er weiter, neben der Treppe entlang.

Es dauert eine Weile, bis er es bemerkte, und noch länger, bis er erkannte, dass seine Augen ihm keinen Streich spielten.

Ein Schatten hockte auf der Treppe, spähte auf halber Höhe zwischen den Geländerstäben auf ihn herab. Fast war es, als könnte Kiba in dem fahlen Licht Augen sehen, die ihn beobachteten. Er hielt den Atem an. Wer war das? Warum kauerte er dort oben wie ein großer, dunkler Tintenfleck?

Sein benebelter Verstand tat sich schwer, die Szene zu verarbeiten, und er tat, was ihm als Erstes in den Sinn kam: Er versuchte, den Schatten einfach zu fragen. „Hallo …“, wollte er rufen, aber nur ein raues Krächzen verließ seine Kehle.

Der Schatten erhob sich langsam und packte das Geländer mit beiden Händen. Wollte er sich herunterschwingen? Im gleichen Moment ging mit einem leisen Knarren die Eingangstür auf. Kiba wirbelte herum – und seine Sicht verschwamm, als ihn eine neue Welle der Übelkeit attackierte.

Dort war noch ein Schatten. Kiba konnte nur undeutlich seine Umrisse sehen, und statt eines Kopfes war dort nur ein unförmiger Klumpen. Hatte der Unbekannte einen Strumpf oder einen Sack über den Kopf gestülpt? Was konnte er wollen? Kibas Gedanken flossen zäh wie Honig, doch als er das riesige Messer sah, das die Gestalt in den Händen hielt, durchzuckte ihn ein fiebriger Blitz.

Gleichzeitig wollte er schreien und davonlaufen, und beides funktionierte nicht so, wie er es geplant hatte. Sein Schrei ging in einem erstickten, galligen Keuchen unter, und beinahe hätte er diesmal endgültig seinen Mageninhalt auf dem Teppichboden entleert. Und als er losrannte, taumelte er und stolperte fast über seine eigenen Füße, musste sich am Treppengeländer festhalten. Der erste Schatten war direkt über ihm, das wusste er, und er glaubte, im Mondlicht, das durch die offene Tür fiel, etwas Silbernes in seiner Hand aufblitzen zu sehen, war sich aber nicht sicher.

Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt! Kiba biss die Zähne zusammen, stieß sich ab und hangelte sich bis zu seiner Zimmertür vor, warf sie hinter sich zu und presste sich mit dem Rücken dagegen. Ein Schloss gab es keines. Würden sie die Tür in Stücke hacken?

Ohne Erfolg versuchte er seinen Atem zu beruhigen. Alles in ihm drängte ihn, endlich nach Hilfe zu schreien, aber er brachte vor Schwindel kein Wort heraus. Der ganze Raum drehte sich, er spürte kalten Schweiß auf der Stirn, Bilder prasselten auf sein inneres Auge ein, von dem Drohbrief und dem Saufgelage und von einem Messer, von einem Messer … Was zum Teufel waren das für Gestalten auf dem Flur? Die vermummten Köpfe ließen sie kaum menschlich wirken …

Vielleicht war das alles nur ein blöder Traum, den er in seinem Rausch zusammenfantasierte, ja, das musste es sein, das musste es sein, das musste es einfach sein! „L-Leute“, versuchte er zu rufen, aber wieder verließ nur ein erbärmliches, heiseres Krächzen seine Kehle. Auf dem Gang blieb es ruhig.

Er betete, dass niemand sich an der Tür zu schaffen machte, und wankte auf den Stuhl zu, auf den er gestern nach dem Duschen seine Kleider geworfen hatte. Mit zittrigen Fingern holte er das Schweizer Taschenmesser aus der Hosentasche hervor, das er am Vortag in diesem Tankstellenshop gekauft hatte. Er hatte sich auf einen Urlaub in den Bergen in der Nähe eines Waldes eingestellt, wo man sich Spazierstöcke und Ähnliches schnitzen konnte, und das Messer hatte ihn förmlich angelacht. Jetzt war er froh, zugegriffen zu haben. Er klappte die größte Klinge aus und schlich mit immer noch bebenden Lungenflügeln auf die Tür zu. Warum verfolgten ihn die Schatten nicht? Warteten sie vor der Tür, die Messer zum Zustechen erhoben? Wahrscheinlich.

Er legte die Hand auf den Türgriff, um sich abzustützen, und kniff die Augen zusammen. Sollte er sich ins Bett legen und hoffen, dass er nur träumte? Vielleicht war er dann einem ewigen Traum näher. Er holte tief Luft, wollte schreien und die anderen aufwecken, als ihn einmal mehr ein so heftiges Schwindelgefühl packte, dass er nach vorn gegen die Zimmertür sank und versehentlich die Klinke nach unten drückte. Mit einem heiseren Krächzen stolperte er in den Flur, als die Tür aufschwang.

Und dumpf gegen etwas stieß.

Die Einbrecher!

Als sich ein Schemen grummelnd an der Tür vorbeikämpfte, setzte Kibas Denken aus. Er warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Angreifer und bekam ihn irgendwie zu fassen. Ein dumpfes „Uff“ ertönte, die Gestalt wehrte sich, Finger tasteten über Kibas Gesicht. Panisch versuchte er sie von sich zu schubsen, stieß mit der Schulter gegen die immer noch halb offene Tür und prallte dann mitsamt seinem Gegner gegen die Wand. Dabei spürte er, wie sich das Messer, das er so fest umklammerte, dass es wehtat, in etwas Weiches, Knorpeliges bohrte, und kurz darauf floss etwas Warmes, Nasses über sein Handgelenk.

Kiba keuchte auf. Der Angreifer brachte ein Gurgeln zustande. Die Eingangstür stand immer noch offen, und das Mondlicht wurde von zwei großen, hellen Augen reflektiert, die ihn anstarrten. „Ki…ba …“

Er hatte gedacht, es könnte nicht mehr schlimmer werden. Als die blinde Angst seine Sehnerven verließ und er mehr und mehr von seinem vermeintlichen Feind erkennen konnte, starrte er in Nejis schmerzverzerrtes Gesicht. Sein Blut lief über das Messer, das knapp unterhalb seines Kehlkopfs in seinem Hals steckte, über Kibas Arm und tropfte zu Boden. Sein Freund formte noch Worte mit den Lippen, aber Kiba verstand sie nicht. Dann erschlaffte Neji in seinen Armen.

In Kibas Gedanken tobte der pure Horror. Was habe ich getan? Was habe ich getan?! Neji entglitt seinen Armen und fiel auf den weichen Teppichboden, das Messer immer noch in der Kehle. Diesmal verlor Kiba den Kampf gegen seinen Magen und erbrach sich auf dem Flur, würgte und spuckte und ließ den bitteren Geschmack sein Entsetzen begleiten. Er hatte etwas getan, das nie wiedergutzumachen war, er würde sich nie wieder im Spiegel anblicken können, und Neji … Neji würde tot sein, für immer, keiner aus ihrer Clique würde es verkraften, und er, er hatte ihn umgebracht, Neji, seinen Freund … Das muss ein Traum sein, oh bitte, mach, dass es ein Traum ist!

Als nur noch flüssige Galle kommen wollte, sank Kiba an der Wand herunter und begann leise zu schluchzen. Verdammt! Neji! Warum musstest du gerade jetzt auftauchen? Er hatte nur die beiden Angreifer in die Flucht schlagen wollen – nicht einmal das, eigentlich hatte er nur seine Freunde warnen wollen! Und nun lag einer dieser Freunde tot vor ihm, weil er wahrscheinlich einfach nach draußen zur Toilette wollte!

Minutenlang saß Kiba da, bar jeden Gefühls außer bodenloser Scham. Das Mondlicht schien ihn zu verhöhnen. Irgendwann hob er den Kopf und sah zu Nejis Leichnam. Der Teppichboden hatte sich mit seinem Blut vollgesogen, aber wenigstens sah er die Wunde nicht. Was sollte er jetzt tun? Die anderen wecken? Was würden sie sagen? Was würde er selbst sagen, wenn Naruto ihn plötzlich an der Schulter rütteln und ihm gestehen würde, er hätte einen ihrer Freunde umgebracht? Es ist ein Albtraum. Für mich und für sie.

Sie würden ihn hassen. Auf ewig. Tenten war Neji ziemlich nahegestanden, vielleicht würde sie sich sogar an ihm rächen wollen … Kiba hätte es ihr nicht mal übelgenommen. Auf jeden Fall konnte er Neji nicht hier liegen lassen. Es war kein Anblick, dem er die anderen morgen früh aussetzen wollte. Er musste die Leiche wegschaffen, ja, verschwinden lassen.

Dann kam ihm eine irrsinnige Idee, die so verrückt war, dass er sich am liebsten gleich nochmal übergeben hätte, um sie zu vertreiben. Aber sie blieb. Sie blieb und weigerte sich hartnäckig, von ihm abzulassen.

Und wenn die beiden Einbrecher es getan hätten?

Sie waren hier in den Bergen, ohne Handyempfang, meilenweit von der Zivilisation und der nächsten Polizeistation entfernt. Bis die hier eintraf, hätte er eine Gnadenfrist. Bis dahin könnte er die anderen davon überzeugen, dass die Unbekannten die Täter gewesen waren. Vielleicht kam er währenddessen mit sich selbst ins Reine, vielleicht konnte er den anderen sogar die schreckliche Wahrheit beichten. Oder vielleicht … Eine zweite Idee, eine noch verrücktere kam ihm in den Sinn.

Der See.

Irgendwann hatte er einmal einen Krimi gesehen, in dem das Opfer tiefgefroren worden war. Dadurch war der Todeszeitpunkt nicht mehr feststellbar gewesen, und der Täter hatte sich ein Alibi ergattern können. Wenn das wirklich funktionierte und nicht nur TV-Kram war, dann hatte Kiba vielleicht noch eine Chance. Der See würde die Leiche zwar nicht einfrieren, aber vielleicht nützte es doch etwas. Außerdem könnte das Wasser womöglich Spuren oder sogar Fingerabdrücke beseitigen, wer weiß? Keine schlechte Idee für so ein betrunkenes Hirn.

Sein Entschluss stand fest. Er packte Neji unter den Achseln und wuchtete ihn hoch. Der junge Mann war eher schmal gebaut, und Kiba war ziemlich kräftig. Dennoch wankte er bedrohlich und stieß versehentlich gegen den Beistelltisch unter der Treppe. Die Vase darauf kam ins Kippen und fiel herunter. Der Teppich dämpfte den Aufprall, doch sie zersprang trotzdem. Kiba biss die Zähne zusammen und verharrte, Neji halb hochgehoben. Wenn ihn hier jemand erwischte, war es das gewesen. Dann konnte er wohl nur noch das Messer nehmen und sich selbst das gleiche Schicksal zufügen …

Aber niemand kam. Er meinte, im Wohnzimmer, wo Naruto und Sasuke schliefen, etwas zu hören, aber vielleicht täuschte er sich. Die Tür blieb jedenfalls geschlossen.

Ganz hochheben konnte er Neji trotz allem nicht, also ließ er ihn mit den Füßen über den Teppich schleifen. Die kalte Nachtluft klärte seine Sinne ein wenig, und kurz kehrte die Furcht zurück, die beiden Vermummten könnten zurückkehren. Dann sterbe ich eben auch, dachte er bitter. Verdient hätte ich’s.

Der Weg bis zum See zog sich dahin. Noch war es dunkel; ehe es hell wurde, musste er alle Spuren verwischen. Er war schon drauf und dran, die Leiche in den See zu werfen, als ihm klar wurde, dass man dennoch von weitem sehen würde, dass jemand im Wasser trieb. Fieberhaft überlegte er, was er tun konnte. Sollte er ihn doch lieber im Wald vergraben? Auf diese Weise würde man ihn vielleicht gar nicht finden … andererseits, wenn die Polizei ihn mit Hunden suchte und dann ausbuddelte und man Kibas Fingerabdrücke oder sonst was fand … Nein, das langsam tickende Uhrwerk, zu dem der Alkohol seinen Verstand degradiert hatte und der sich trotz des Adrenalinrausches nicht wieder völlig in seinen Idealzustand versetzt hatte, fand die Idee mit dem See besser.

Den Teppich musste er ebenfalls verschwinden lassen. Nejis Blut war darauf getropft, und gleich nach dem Aufstehen einen gewaltigen Blutfleck zu sehen, sprach auch Bände. Da kam ihm die dritte Idee, die er am genialsten gefunden hätte, wäre das alles nicht so surreal und tragisch. Er lief noch einmal zum Ferienhaus zurück und rollte den mit Blut und Erbrochenem besudelten Teppich zusammen. Einige Scherben der Vase rieselten dabei klirrend zu Boden, aber darum konnte er sich nicht auch noch kümmern. Er trug den dünnen Teppich mühelos ebenfalls zum See und wickelte die Leiche darin ein, so, dass möglichst wenig von Neji zu sehen war.

Die Rolle konnte er beim besten Willen nicht mehr hochheben, also stieß er sie mit dem Fuß an, so fest es ging. Mit einem dumpfen Platschen landete sie im Wasser. Sie ging nicht unter, wie er gehofft hatte. Warum zum Teufel ging sie nicht unter? Im Fernsehen funktionierte das doch auch immer! Der Teppich war ziemlich dünn und hart, konnte er sich nicht genügend mit Wasser vollsaugen? Aber mit etwas Glück würde sie immerhin ans andere Ende des Sees treiben, das man dank der Steilklippen nur schwimmend erreichen konnte – und wer würde sich in dieses Eiswasser wagen, nur um einen dahintreibenden Teppich zurückzuholen?

Er stand noch eine Weile am Rand des Sees und überlegte, ob er nicht einfach hinterherspringen und das kalte Wasser seine Arbeit tun lassen sollte. Es wäre ein schmerzhafter, langsamer, qualvoller Tod, viel schlimmer als der von Neji, und er hätte ihn verdient. Dann sprach er ein letztes, trauriges Gebet für seinen Freund und machte sich auf den Rückweg.

 

„Kiba war die Hexe. Und er war das erste Opfer der Werwölfe“, sagte Sakura. „Die Hexe erfährt immer von dir, wer das Opfer sein soll, und er hat seinen Heiltrank benutzt, um sich zu retten. Jeder würde das tun. Und dann hat er den Gifttrank benutzt und, vermutlich wahllos, einen aus unserer Runde getötet. Neji. Für uns sah es wie ein gewöhnlicher Werwolfangriff aus, aber das war es nicht. Genau wie eben in unserem jetzigen Spiel“, fügte sie leise hinzu.

„Deswegen bist also du auf diese Theorie gekommen“, nickte Sphinx. „Sprich weiter. Ich höre dir bis zum Ende zu.“

Sakura wurde nun doch nervös. Sie wollte es am liebsten schon hinter sich haben. Rein faktisch konnte sie sich immer noch irren. Vielleicht war auch Naruto oder Hinata die Hexe gewesen und hatte Kiba gerettet und Neji getötet, aber wenn sie an Kibas Reaktion während der Abstimmung am nächsten Tag dachte, verwarf sie diesen Gedanken schnell wieder. Er hatte definitiv schuldig gewirkt, als wäre er nicht sicher, ob er das Richtige getan hatte. Und es sah ihm ähnlich, sofort zurückzuschlagen, sobald die Werwölfe ihn als Opfer auswählten. Sakura selbst hätte sich den Gifttrank vermutlich aufgehoben, bis sie sicher sein konnte, dass sie nicht den Falschen damit tötete. Sie folgte diesem Faden und kam zu einem einzigen Entschluss, der sich mit dem deckte, was Sphinx ihr bereits zugestanden hatte.

„Ich weiß jetzt auch, wer der zweite Werwolf in Wirklichkeit war“, sagte sie. „Es war Neji.“

 

Es war Zeit für das erste Opfer. Ino hatte vorgeschlagen, Kiba zu nehmen. Er schlief als Einziger allein, folglich war er leicht zu überraschen – und er war sicherlich sturzbetrunken. Ino hätte zwar auch problemlos ihre Zimmernachbarin ermorden können, aber dann wäre unweigerlich Verdacht auf sie gefallen.

Etwa gegen drei wollten sie losschlagen. Neji hatte seinen Handywecker gestellt, allerdings vibrierte er nur, doch das war genug, um ihn aus seinem leichten Schlaf zu wecken. Er richtete sich auf und leuchtete mit dem Display im Wohnzimmer herum.

Naruto schlief wie ein Stein am anderen Ende der Couch. In der Nähe der Tür hatte sich Sasuke in seinem Schlafsack eingerollt. Auf leisen Sohlen schlich Neji zu dem Tisch in der Ecke, auf dem er seinen Wagenschlüssel abgelegt hatte. Dann zog er sich einen schwarzen Strumpf über den Kopf und traf sich mit Ino im Flur.

Sie stand im Schatten unter der Treppe und hob grüßend die Hand, als sie ihn sah. Offenbar hatte sie sich auch ohne Probleme aus ihrem Zimmer schleichen können. Sakura hatte beim Feiern auch wirklich müde ausgesehen. Sie verständigten sich mit kurzen Signalen. Ino wollte auf der Treppe ausharren, von wo sie alle vier Zimmertüren mehr oder weniger gut im Blick hatte. Außerdem würde sie den anderen eine Nachricht auf dem Drohbrief hinterlassen, der noch auf dem Tischchen lag – am besten ein freches Smiley. Das Satellitentelefon hatte sie schon sabotiert, ehe sie mit dem Van hergefahren waren, und auch gleich den Zettel darin versteckt. Es war schließlich vorherzusehen, dass die Freunde es zum ersten Mal würden benutzen wollen, nachdem der erste Mord geschehen war.

Neji oblag es, den Wagen zu sabotieren. Niemand sollte den beiden entkommen können. Ino reichte ihm eines der Tranchiermesser, die sie schon im Vorhinein in ihrem Zimmer versteckt hatte, in Erwartung dieses Tages, der sich nicht hatte vermeiden lassen.

Er öffnete die Eingangstür. Die frische Nachtluft war angenehm, auch wenn er sie durch den stickigen Stoff atmen musste. Er huschte zu seinem Wagen, schloss ihn auf, entriegelte die Motorhaube und machte sich an dem Zündkabel zu schaffen. Nicht nur, dass er es herausschnitt, er hackte es in viele kleine Teile. Ein paar Meter entfernt hob er einen kleinen Felsen hoch und verstreute die Kabelstücke darunter. Niemand würde sie hier suchen, geschweige denn wieder zusammensetzen können, aber sicher war sicher. Er sperrte das Auto wieder ab und steckte den Schlüssel ein. Dann ging er zum Haus zurück.

Die Tür hatte er nur angelehnt. Er öffnete sie einen Spalt und sah Ino immer noch auf der Treppe sitzen. Gut, das bedeutete, dass niemand in der Zwischenzeit sein Zimmer verlassen hatte. Soweit lief also alles nach Plan. Es war eine Frage des Vermummtseins und Nicht-Vermummtseins.  Hätte ihn jemand draußen beim Auto erwischt, war es gut, wenn dieser ihn für einen unbekannten Saboteur hielt. Hätte man Ino auf der Treppe gesehen, wäre sie als Einbrecher durchgegangen, und von dort aus konnte sie schnell fliehen, außer es wäre Kiba gewesen, der sie gestellt hätte, und der schlief hoffentlich wie ein Stein. Wäre Ino plötzlich von ihrem Aussichtsposten verschwunden gewesen, hätte er selbst seine Maske abnehmen und als Neji von einem simplen Toilettengang ins Haus zurückkehren müssen, um weiterzuschlafen.

Aber Ino war noch da, und nicht nur das – Kiba stand neben der Treppe und gaffte zu ihr hoch. Verflucht, warum hatte sie ihn nicht gleich erledigt? Glaubte sie, ihn allein nicht überwältigen zu können, trotz ihres Messers?

Neji trat ein. Die Tür knarrte, und Kiba fuhr zu ihm herum. Dann rannten sie gleichzeitig los. Ohne dass Kiba einen Schrei von sich gegeben hätte, stürzte er auf seine Zimmertür zu. Ino schwang sich über das Geländer und trat die Verfolgung an, doch die Panik verlieh ihm beachtliche Geschwindigkeit.

Als er die Tür hinter sich zuknallte, war das sicher im ganzen Haus zu hören. Nejis Gedanken rasten, er schwitzte unter dem Strumpf. Kiba presste sich sicher von innen gegen die Tür. Wenn er nach Hilfe rief, waren sie geliefert. Der Plan war gescheitert – einfach nur, weil ihr Opfer nicht so fest geschlafen hatte, wie es sich für einen Betrunkenen gehörte. Musste er ausgerechnet jetzt aufwachen?

Ino bedeutete ihm, die Sache abzublasen. Im Schatten der Treppe zogen sie sich die Strümpfe von den Köpfen und waren wieder gewöhnliche Urlauber in diesem Haus. Als Ino die Hand nach seinem Messer ausstreckte, schüttelte er den Kopf und steckte es sich in den Bund seiner Trainingshose, das Oberteil so darübergezogen, dass man den Griff nicht sah. Ino hob fragend die Augenbrauen. So leise es ging, wisperte er ihr seinen Plan zu, und sie nickte schließlich.

Ino verzog sich wieder in ihr Zimmer, ließ aber die Tür einen Spalt offen, um mitzubekommen, was im Flur geschah. Neji wollte ganz offen vor Kibas Tür treten und ihm zurufen, ob alles in Ordnung wäre. Der völlig verstörte Kiba würde sich freuen, eine bekannte Stimme zu hören, und ihn einlassen. In seinem Zimmer bekam Neji sicher Gelegenheit, den Mord doch noch zu begehen.

Betont arglos und nicht länger um Geräuschlosigkeit bemüht, ging er auf Kibas Zimmertür zu – und bekam sie gegen die Schulter geschlagen, als Kiba erneut seine Pläne zunichtemachte, indem er zu früh aus seinem Zimmer trat. Opfer stürzte sich auf Jäger, Neji versuchte, ihn von sich wegzudrücken und sein Messer aus dem Hosenbund zu ziehen, als Kiba ihn gegen die Wand drückte – und dann spürte er selbst eine Klinge, die sich durch seinen Hals bohrte.

 

„Das erklärt alles“, sagte Sakura. „Ino war daraufhin die ganze Zeit alleine, und die Hexe war ausgeschaltet. Sasuke war die Seherin; dass das stimmt, hast du mir bereits gesagt. Er hat in der ersten Nacht gesehen, dass Tenten unschuldig ist. Und Naruto und Hinata waren das Liebespaar. Wenn einer von beiden ein Werwolf gewesen wäre, wäre bei nur zwei Wölfen nie der jeweils andere Liebende ausgewählt worden. Bleiben nur Ino, Neji und Kiba. Da die Hexe später nie etwas getan hat – zumindest sieht es für mich nicht danach aus –, muss Kiba die Hexe gewesen sein. Neji hätte sich in der Nacht geschützt, und Kiba könnte sich am Tag unmöglich schützen. Tags darauf haben wir ihn gelyncht. Der Rest ist einfach. In der zweiten Nacht hat Sasuke herausgefunden, dass Ino ein Werwolf ist. Ino hat Naruto oder Hinata getötet, und der jeweils andere ist gleichzeitig gestorben. Ich muss nicht raten, wer von ihnen Opfer und wer liebeskrank war, oder?“

Sphinx lächelte. „Nein. Das musst du nicht.“

 
 

- In den Bergen, zweite Nacht -

 

Nachdem Sakura endlich ins Bett gegangen war, packte Ino fiebrige Erregung. Es war so weit. Die heutige Nacht würde eine kriminelle Glanzleistung werden, wenn alles glattging – und das morgige Opfer wäre gleich inbegriffen. Sie fand ihren Plan jetzt schon genial. Er hatte viele Lücken und Ungewissheiten, aber genau das machte ihn so aufregend. Das Fieber, das sie und Neji teilten, war sein Grab geworden. Für Ino würde es eine einzige Erfüllung sein.

Sie hatte gesehen, was mit ihm im nächtlichen Flur geschehen war. Zum Eingreifen war es zu spät gewesen, aber immerhin hatte Kiba alle am nächsten Tag dermaßen verrückt gemacht, dass sie nun sicherlich überzeugt waren, er würde hinter dem Mord und der Drohung stecken. So gesehen spielte dieser unglückliche Zufall Ino sogar ein wenig in die Hände: Nejis Leiche würde den Verdacht von dieser einen Sache ablenken, diesem Fehler, den er und Ino letzten Monat begangen hatten. Sie war nicht sicher, wie die Polizei mit der Tatsache umgehen würde, dass Kibas Leiche nicht in der Nähe des Ferienhauses zu finden war – aber vielleicht konnte sie auch diesen Umstand ausnutzen. Wenn man zwei Menschen vermisste und eine davon später am Fuß einer Klippe fand, ging man dann nicht eher davon aus, dass auch der zweite tot war? Ino würde sich das noch gut überlegen müssen, aber sie beschloss, das Beste aus ihrer Situation zu machen.

Sie wusste gar nicht mehr, wann die Sache ihren Anfang genommen hatte. Vor einem halben Jahr vielleicht? Neji war mehr oder weniger der Auslöser gewesen, als er begonnen hatte, sich intensiv mit Krimis zu beschäftigen, dann mit echten, ungelösten Mordfällen, und irgendwie hatte er Ino damit angesteckt und in ihr eine Seelengefährtin gefunden. Sie hatten sich die Nächte damit um die Ohren gehauen, sich allerlei perfekte Verbrechen auszudenken. Ino war überrascht gewesen, wie verquer der sonst so vernünftige, zurückhaltende Neji denken konnte. Ino glaubte nicht, dass derartige Gespräche normal waren. Aber es war eine Lust, mit dem Möglichkeiten zu spielen und perfide Pläne für fiktive Morde zu schmieden.

Wie wenig Skrupel sie beide hatten, kam dann später ans Licht, als sie irgendwann den verrückten Entschluss fassten, einen arglosen Obdachlosen zu töten und es als Unfall aussehen zu lassen. Seitdem hatten sie es noch ein paarmal getan, immer zu zweit, wie ein junges Paar, das ihre Affäre im Geheimen auslebte – nur dass ihre Affäre aus Blut und Tod bestand.

Vor nicht ganz einem Monat war ihnen dann bei einer ihrer Aktionen ein Fehler unterlaufen. Sie hatten das Szenario hinterher noch einmal durchgedacht und waren zu dem Schluss gekommen, dass die Polizei sie mit einiger Wahrscheinlichkeit überführen würde. Also hatten sie nach einer Möglichkeit gesucht, von der Bildfläche zu verschwinden – die Dringlichkeit dieser Aufgabe hatte ihnen einen zusätzlichen Kick verpasst.

Schließlich hatte sich Narutos bestandene Fahrprüfung angeboten. Hier, abgeschnitten von der Umwelt, mit ein paar verschrobenen Landeiern als Nachbarn, konnten sie sicher abtauchen. Um die Sache überzeugend zu gestalten, mussten leider auch ihre Freunde dran glauben – nicht einmal das war eine wirkliche Überwindung gewesen, Neji hatte nur gezögert, Tenten einzuladen.

Der Plan hatte vorgesehen, dass sie ihre Freunde ermordeten und teilweise ihre Leichen versteckten. Anschließend würden sie alle Beweise vernichten, dass sie selbst es getan hatten, und durch den Wald abhauen. Wie es dann weiterging, das hatten sie als den nächsten Nervenkitzel vorgesehen. Selbstredend konnten sie so etwas Langweiliges wie Gift nicht verwenden – die Spurensicherung hätte geschlussfolgert, dass nur die Freunde selbst etwas ins Essen hätten mischen können. Also zogen Ino und Neji mit Messern und Drähten ins Feld. Und noch eine Sache war interessant: Die Zwietracht, die sie mit ihren Nachrichten säten, hatte schon dazu geführt, dass Ino kaum zu Kibas Tod hatte beitragen müssen. Je verworrener die Polizei den Fall vorfand, desto leichter würde Ino davonkommen. Soweit jedenfalls die Theorie. Alles andere war Spannung pur. Und nun würde der nächste Schritt in ihrem bisher größten Ding beginnen.

Ino atmete tief durch. Sie war dran mit Wacheschieben, und das erste Risiko war, dass jemand sie erwischte, während sie nicht auf ihrem Posten war. Es war ein reines Glücksspiel, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, auch wenn sie sich einfach hinausreden konnte. Gerade, als sie nach draußen gehen wollte, hörte sie jemanden die Treppe herunterkommen. Naruto. Mit ein paar knappen Worten schob er sich durch die Tür, um draußen sein Geschäft zu verrichten. Kurz dachte Ino darüber nach, ihren Plan zu ändern und Hinatas Tod vorzuziehen, aber das wäre dumm gewesen. Naruto hätte sie während Inos Schicht gefunden. Umgekehrt konnte sie auch Naruto nichts tun, ohne dass Hinata sein Fehlen irgendwann auffallen würde. Nein, sie musste an ihrem eigentlichen Plan festhalten. Dann konnte sie den Tod der beiden wunderbar jemand anderem in die Schuhe schieben.

Nachdem Naruto mit den Worten „Bis dann!“ wieder nach oben verschwunden war, wartete Ino eine Weile, um sicherzugehen, dass er wieder schief. Dann erst verließ sie ihren Posten.

Die Nachtluft war so kühl, dass sie fröstelte, trotzdem sie zwei Schichten Pyjama trug. Flink huschte sie durch taunasses Gras ums Haus, am Carport vorbei zum Schuppen. Er war abgeschlossen, aber sie hatte dafür gesorgt, dass jeder an den Schlüssel hätte kommen können, indem sie ihn gut sichtbar auf ein Regal in der Küche gelegt hatte. Ino zog das Blechtor in die Höhe und ließ sich vom Mondlicht den Weg weisen. Die ausfahrbare Aluminiumleiter stand, einfach zu erreichen, an der Wand. Sie war nicht sonderlich schwer, aber unhandlich. Ino brauchte einige riskante Minuten, um sie an die Rückseite des Schuppens zu lehnen und sich zu vergewissern, dass sie stehen blieb. Anschließend zog sie einen Pyjama aus und verstaute ihn im Schuppen; der, den sie darunter trug, war komplett mit ihm ident. Eine reine Vorsichtsmaßnahme.

Zurück im Haus, atmete sie tief durch. Niemand schien ihr Verschwinden bemerkt zu haben. Zeit für Phase zwei. Sie legte neue Scheite in den Ofen in der Küche und heizte ihn an. Auf der Anrichte bereitete sie eine gusseiserne Pfanne mit Reis vor. Es war ein altes Teil, ohne isolierten Griff. Nachdem sie bei geschlossener Küchentür, um die anderen nicht zu wecken, den Reis gebraten hatte, musste sie die Pfanne mit einem Geschirrtuch anfassen. Sie hoffte, dass Naruto später genauso zimperlich war, um sich nicht die Hände zu verbrennen.

In eine Schüssel schöpfte sie gerade so viel Reis, dass sie benutzt aussah. Wirklich Hunger hatte sie nicht, dazu war sie zu aufgeregt. Als die Zeit für Narutos Wache heranrückte, stellte sie die Pfanne auf den Herd zurück und begrub das Geschirrtuch unter dem Stapel schmutziger Schüsseln und Teller, die noch seit gestern hier standen, sodass nur noch ein Zipfel herausschaute, und legte ordentlich Holz nach. Sie betete, dass das Feuer gut und heiß weiterbrannte, und setzte sich mit der Reisschale zurück auf ihren Posten.

Naruto verpennte, das war ein Problem. Zum Glück brauchte auch das Feuer ein wenig, um wieder ordentlich in Gang zu kommen, und als er fünf nach halb drei endlich die Treppe herunterstiefelte, roch es zumindest noch nicht angebrannt.

„Na endlich“, schnauzte Ino ihn an. Sollte er ruhig ein schlechtes Gewissen kriegen.

Naruto blinzelte verschlafen und beäugte ihre Reisschale.

„Ich hab uns was zu essen gemacht. Ist noch was übrig.“ Als sie seinen skeptischen Blick sah, fügte sie hinzu: „Ich hab zwischendurch immer wieder in den Flur gesehen, mach dir nicht ins Hemd.“

„Ich sag ja gar nichts.“

„Dann ist ja gut. Hier.“ Sie reichte ihm das Gewehr, er wünschte ihr eine gute Nacht. Dann ging sie zu Sakura ins Zimmer. Jetzt wurde es hektisch.

Auf leisen Sohlen, um ihre Zimmerkollegin nicht zu wecken, schlich sie um das Bett herum. Sakuras Wecker war kein Funkwecker, das hatte sie gesehen, und er machte auch keinen Ton, wenn man ihn stellte. Ino rechnete sich kurz durch, für wann sie ihr Alibi brauchte, und drehte den Wecker eine Stunde zurück. Wunderbar. Es folgte ihr eigener, dann musste sie schon wieder in den Flur.

Durch den Türspalt spähend, bekam sie gerade mit, wie Naruto stirnrunzelnd die Küchentür öffnete. Ino konnte es leise prasseln hören, aber wahrscheinlich hatte er auch gerochen, dass der Reis anbrannte. An die Wand gepresst, darauf bedacht, nicht lauter zu sein als die Geräusche in der Küche, trippelte sie den Flur entlang. Sie hörte Naruto leise in der Küche fluchen, als er sich die Hände an der Eisenpfanne verbrannte und erst das Geschirrtuch ausgraben musste. Beides, der Ofen und der Geschirrberg, lagen in einem toten Winkel zum Treppenansatz. So schnell es ging, ohne einen Laut zu verursachen, lief Ino in den ersten Stock. Zum Glück kannte sie die Treppe in- und auswendig und wusste, wo man sie belasten konnte, ohne dass sie knarrende Geräusche von sich gab. Ihr war klar, dass sie nur wenige Sekunden hatte, aber als sie auf der kleinen Balustrade angekommen war, war Naruto immer noch mit dem vor sich hin brutzelnden Reis beschäftigt.

Ino nützte ihr Zeitbudget voll aus, um die Tür zum Schlafzimmer so langsam wie möglich zu öffnen, gerade so weit, um hindurchschlüpfen zu können.

Es war fast stockdunkel, aber ihren Atemzügen nach zu urteilen, schlief Hinata tief und fest. Das war gut; es hätte auch sein können, dass ihr die Erlebnisse des Tages schlaflose Nächte bescheren würden, aber sie war eigentlich viel härter im Nehmen, als die meisten Leute vermuteten. Ino schlich zu dem Doppelbett, das das schickste im ganzen Haus war und bisher immer ihren Eltern vorbehalten gewesen war.

Ino zog ihre Handschuhe an, nur um sicherzugehen. Dann musste sie zwischen dem Draht und dem Messer wählen. Sie entschied sich für Ersteres; das war sauberer. Auf Zehenspitzen kroch sie an Hinatas Betthälfte heran, formte mit dem Draht eine Schlinge, mühte sich ab zu erkennen, wo in dem Chaos aus Bettlaken, Kissen und glänzend dunklem Haar sich Hinatas Kehle befand, und schoss dann wie ein Springteufel in die Höhe, presste ihrem Opfer fest die Hand vor den Mund, fädelte die Schlinge um ihren Hals und drehte kräftig daran. Hinata stieß einen erstickten Schrei aus und strampelte wie verrückt. Fast wäre sie Ino entkommen, so heftig schlug sie um sich – aber nur fast.

Hinata fegte etwas vom Nachttisch, erwischte Inos langes Haar und zog kräftig daran, aber dann machte sich der Luftmangel bemerkbar, und schließlich verließ ihren Körper die Kraft. Als sie in Inos Armen erschlaffte, sahen ihre Augen aus wie Nejis, als er von Kiba erstochen worden war. Wäre er noch am Leben, wäre das hier alles einfacher. Eigentlich hatten sie die zweite Nacht völlig als Teamwork durchgeplant gehabt, und den ganzen Tag über hatte Ino daran getüftelt und gekniffelt, wie sie es alleine fertigbringen konnte, das Turtelpaar ihrer Gäste zu erledigen.

Als sie sicher war, dass Hinata tot war, musste sie die Leiche verstecken. Der Schrank wäre eine gute Option gewesen, aber das Gerangel hatte auch Ino an den Rand ihrer Kräfte getrieben, die sie nicht überstrapazieren wollte. So wälzte sie Hinata nur aus dem Bett und schob sie fürs Erste darunter.

Wenn der arme Naruto wüsste, dass während seiner eigenen Wache jemand seine Hinata ermordet hatte … Ino konnte sich eines diabolischen Grinsens nicht erwehren. Das war das Fieber, das sie liebte.

Sie legte sich ins Bett, auf Hinatas Seite, und deckte sich bis über den Kopf zu. Selbst in der Dunkelheit wollte sie sichergehen, dass Naruto sie nicht erkannte. Dann wartete sie. Über eine Stunde würde sie warten müssen. Sorgen, dass sie einschlief, machte sie sich keine. Dazu war sie zu aufgeregt.

Zum Ende seiner Wache – also musste es vier Uhr morgens sein – hörte sie, wie jemand vorsichtig die Türklinke nach unten drückte. „Bin wieder da“, flüsterte eine Stimme, die nur Naruto gehören konnte. Ino fand, dass sie selbst wesentlich geräuschloser über die Dielen geschlichen war. Immerhin, er störte sich nicht daran, dass seine Freundin so in ihre Decke gekuschelt dalag. Das Bett knarzte und gab ein wenig nach, als er auf der anderen Seite auf die Matratze kletterte. Sie hörte Naruto seufzen, dann legte sich seine Hand um ihren Bauch. Wie niedlich.

Ino musste nicht lange warten, dann war er eingeschlafen. Vorsichtig löste sie sich aus seiner Umarmung, fischte das Messer aus ihrer Pyjamatasche und befreite die Klinge aus der Plastikhülle. Mit der Linken tastete sie nach Narutos Hals, und als sie wusste, wo in der Dunkelheit sie zustechen musste, fuhr ihre Rechte auf ihn herab.

Er würde ein ähnliches Ende nehmen wie Neji. Die scharfe Klinge zog eine blutige Linie über seine Kehle, und eine Sekunde darauf rollte sich Ino schwungvoll aus dem Bett und landete federnd auf allen Vieren.

Naruto zuckte, schien etwas sagen zu wollen und brachte einen gurgelnden Laut hervor. Dann war sein Todeskampf auch schon vorbei. Ino hatte die Halsschlagader erwischt. Sein Blut spritzte immer noch in alle Richtungen, und sie meinte zu spüren, dass etwas davon ihre Wange erwischt hatte. Aber das machte nichts.

Zum Glück waren beide Morde relativ leise vonstattengegangen. Als sie aufstand, knirschte etwas unter ihren Füßen, aber sie konnte nicht erkennen, was es war. Sie langte in ihre Tasche und ließ den zerknüllten Zettel mit der Nachricht achtlos fallen. Nachdem Narutos Blutfontäne endlich versiegt war, zerrte Ino auch Hinata wieder unter dem Bett hervor und hievte sie unter Einsatz all ihrer Kraft zurück auf die Matratze. Niedlich, wie sie so dalagen, im Tode vereint. Vielleicht war es ja in ihrem Interesse.

Der schwierigste Teil war geschafft. Jetzt musste Ino einen Schnitzer in der Perfektion ihres Plans hinnehmen. Sie öffnete das Südfenster, das sie hinterher nicht würde schließen können, aber je nachdem, wie sich ihr Plan morgen früh weiterentwickelte, konnte ihr sogar ein Fehler zum Vorteil gereichen.

Das Blech gab ein dumpfes Geräusch von sich und gab sogar nach, als Ino auf den Schuppen sprang, dessen Dach nur etwas mehr als einen Meter unter dem Fenster lag. Ihre Füße hatten zwei hübsche Dellen hineingezaubert – ärgerlich, aber sie hatte diesen Stunt nie vorher ausprobiert. Über die Leiter kletterte sie zu Boden – einen zweiten, noch tieferen Sprung hatte sie nicht riskieren wollen –, ehe sie sie wieder im Schuppen verstaute. So weit, so gut.

Der letzte Akt konnte beginnen. Ino fand es fast schade, dass es gleich vorbei war. Sie schnappte sich ihren Ersatzpyjama, der im Schuppen ein wenig zu müffeln begonnen hatte – vielleicht bildete sie sich das auch ein – und lief zum See hinunter. Dort könnte man sie problemlos sehen, wenn man aus dem Fenster im Gästezimmer oder in der Küche sah, aber theoretisch sollte Sasuke der Einzige sein, der wach war, und der hatte sich im Flur aufzuhalten, mit einer Tür ohne Sichtfenster im Rücken.

Mithilfe des Mondlichts nahm sie ihr Handydisplay als Spiegel her und betrachtete ihr Gesicht. Tatsächlich, ein paar Blutspritzer verpassten ihr ein makabres Makeup. Auch ihr Pyjamaoberteil war versaut; ein ziemlich großer, dunkler und vor allem auffälliger Fleck war zu sehen. Ino zog es sich über den Kopf, wusch sich lange und gründlich mit dem Seewasser, das so kalt war, dass sie den Atem anhalten musste, und schlüpfte dann in den Reservepyjama. Nach kurzem Überlegen tauschte sie auch die Hose; all das Herumklettern und Herumspringen und Herumschleichen könnte Flecken hinterlassen haben, die sie in dem schwachen Licht nicht sah. Sie verbarg die verräterischen Kleidungsstücke unter einem bestimmten Felsen in der Nähe, den sie und Neji als Versteck für mögliche Beweisstücke ausgewählt hatten. Das Messer und der Draht folgten.

Ein Blick auf ihre Handyuhr sagte ihr, dass sie volle zwanzig Minuten gebraucht hatte, um Naruto zu töten und hierher zu kommen, wesentlich länger, als sie vorgehabt hatte. Nun würde ihre Geschichte noch weniger glaubwürdig sein, aber ein Zurück gab es nicht mehr. Sie hätte ja zu Beginn ihrer Aktion das Fenster in ihrem eigenen Zimmer geöffnet, um nun wieder ganz einfach hineinschlüpfen zu können, aber diese dämlichen Scharniere quietschten so schräg, dass Sakura davon bestimmt aufgewacht wäre.

Möglichst gelassen und betont müde tappte sie also zur Eingangstür und klopfte dagegen. „Naruto? Ich bin’s“, rief sie.

Die Tür ging einen Spalt auf und ein äußerst misstrauischer Sasuke blickte ihr entgegen. „Ino?“

„Ach, du bist’s, Sasuke. Ist es schon Zeit für deine Wache?“

„Schon lange.“ Er musterte sie mit unergründlichen Augen. „Was machst du da draußen?“

„Kann ich dir das nicht auch drinnen erzählen? Ist kalt hier.“ Sie schlang demonstrativ die Arme um den Leib.

Sasuke sah aus, als wollte er ihr den Eintritt verwehren, dann trat er zur Seite. Nach all der Dunkelheit und dem kalten Mondlicht hieß sie der Schein der Kerzen willkommen. Und der Geruch von Verbranntem.

„Also?“ Sasuke hatte die Arme verschränkt. Er versah seinen Dienst wohl peinlich genau.

„Ich war auf der Toilette, was glaubst du denn? Ist das plötzlich verboten? Naruto hat mich rausgelassen.“

„So lange? Es ist zwanzig nach vier.“

„Manchmal braucht man eben ein bisschen länger“, meinte sie schnippisch. „Ich hab ihm ja gesagt, er soll gleich warten, bis ich wiederkomme, aber offenbar …“ Sie zuckte mit den Schultern. Unter Sasukes bohrendem Blick seufzte sie. „Du glaubst mir also nicht. Okay, hör mal, ich bin wahrscheinlich nach alledem auch ein wenig paranoid, und ich war auch nicht scharf drauf, so lange da draußen auf dem Silbertablett zu sein. Aber mal ehrlich, was könnte ich im Klohäuschen schon Böses verbrochen haben?“

Er dachte immer noch nach, und als er nicht antwortete, gähnte sie demonstrativ.

„Also, mach’s gut.“

„Ich behalte dich im Auge“, versprach er.

„Wunderbar. Ich wollte schon immer einen großen, starken, nach Möglichkeit dunkelhaarigen Beschützer. Gute Nacht.“

Zurück in ihrem Zimmer verbat sie sich, tief durchzuatmen. Es war klar gewesen, dass er Verdacht schöpfte. Jetzt kam es auf den Feinschliff an. Sie schlich sich zurück ins Bett und wartete zum zweiten Mal. Schließlich wurde es fünf Uhr – ihrer und Sakuras Wecker zeigte eine Stunde vorher an. Zeit, sich ihr Alibi zu verschaffen.

 

„Hinata und Naruto waren meiner Theorie nach beide Dorfbewohner. Danach haben wir Sasuke gelyncht, die Seherin. In der Nacht darauf hat Ino Tenten getötet, sie kann nur eine Dorfbewohnerin gewesen sein. Und in der vierten Nacht bin ich gestorben.“

Das war’s. Sakura atmete tief durch. Sphinx ließ sich mit seiner Antwort Zeit, ewig, wie es schien. Sie hasste ihn dafür, herausgefunden zu haben, wie nervös sie war. Schließlich applaudierte er und lächelte. „Brillant geschlussfolgert. Alles richtig. Ich gratuliere.“

Sakura fiel ein Stein vom Herzen. Erst jetzt bemerkte sie die Schweißperlen auf ihrer Stirn, obwohl die Klimaanlage surrte.

„Aber das war auch ein sehr einfaches Spiel. Das jetzige wird wesentlich komplizierter, das kann ich dir versprechen. Nun“, er grinste schief, „für dich vielleicht nicht. Aber kommen wir zu dem, was du eigentlich hören willst: der Punktevergabe.“ Er tat, als überlegte er kurz. „Siebzig Punkte in Summe. Ja, das scheint mir fair.“

„Was?“ Sakura starrte ihn an. „Du hast mir achtzig versprochen, wenn ich das Spiel komplett löse!“

„Richtig.“ Sein Lächeln wurde abfällig. „Aber einfach so das Spiel abzubrechen und zu denken, ich merke nichts, sollte dich eigentlich wesentlich mehr kosten.“

„Was … was meinst du?“, murmelte sie.

„Tu nicht so. Ein scheinbar ganz normales Werwolfopfer, und plötzlich rufst du, du hättest das letzte Spiel gelöst, das bisher offensichtlich zu vertrackt dazu war. Hast du nicht gehofft, den anderen damit einen Hinweis zu liefern? Dass die Dinge vielleicht anders sind, als sie scheinen?“

„Ich habe nicht …“ Sakura biss sich auf die Lippen. Ja, sie hatte es gehofft. Offen über ein Spiel zu sprechen, war verboten, aber sie hatte geglaubt, ein Schlupfloch gefunden zu haben.

„Siebzig Punkte. Das sind mehr, als du verdient hast – nenn es meinetwegen eine Belohnung für deinen Mut. Das nächste Mal lasse ich dich beinhart auf null fallen, verstanden?“

Sie seufzte resigniert. „Ja, Herr Magister“, sagte sie säuerlich.

„Braves Mädchen. Du kannst jetzt gehen. Sag deinen Freunden, morgen um neun Uhr geht es hier weiter, gleich nach dem Frühstück.“

 

Naruto wartete schon ungeduldig, als Sakura endlich in den Aufenthaltsraum kam. „Wie ist es gelaufen?“, fragte er ungeduldig. „Hattest du recht?“

„Als ob ich das sagen dürfte“, gab sie zurück, aber er kannte sie zum Glück sehr gut. Ihr Gesichtsausdruck, ihre Gangart, ihr Tonfall – sie war niedergeschlagen, aber nicht so sehr, als hätte sie es vergeigt. Vielleicht fehlte ihr doch noch ein winziges Puzzlestück. Jedenfalls freute er sich für sie, dass sie vorangekommen war. Er selbst hatte Sphinx seine Vermutungen am Vortag erzählt und war danebengelegen. Er hatte einfach zu wenig von der Endphase des Spiels mitbekommen, um eine Chance zu haben.

Kakashi stand bei ihrer Gruppe, die Clique um Sakon sah sich gerade im Raum um. Deidara schien nicht recht zu wissen, was er tun sollte. „Habt ihr ihnen schon gesagt, wie wir hier hineingeraten sind?“, fragte Sakura.

„Ja. Kakashi hat Sphinx fast auf die gleiche Weise erwischt“, sagte Naruto. „Er ist auf ein Preisausschreiben hereingefallen.“

„Ist das wahr?“

„Naja.“ Ihr ehemaliger Lehrer kratzte sich am Kopf. „Anscheinend hat er meine Vorliebe für gewisse … Bücher entdeckt.“

„Und in Wahrheit war der erste Preis ein Daueraufenthalt in dieser netten Klinik hier“, vermutete Sakura.

„Gewisse Bücher?“ Die anderen stießen zu ihnen. Tayuya fuhr fort: „So wie ihr davon erzählt habt, sind es sicher Pornoromane. Gib’s ruhig zu. Du bist eklig.“

„Und wie kommt ihr hierher?“, fragte Sakura.

Tayuya zuckte nur mit den Schultern, und auch die anderen schienen wenig in der Stimmung für einen kleinen Plausch. „Wir waren bei einem Bandentreff“, erklärte Kimimaro schließlich.

„Nennt man das jetzt so, wenn sich ein paar Rowdys gegenseitig verprügeln, mit Graffiti beschmieren und sich betrinken?“, fragte Ino spitz. Sie schien den fünf nicht verzeihen zu können, dass sie sie gleich am ersten Tag hinausgewählt hatten. Bei ihren Freunden lagen die Dinge zum Glück anders.

Sakon grinste. „Es gab auch Livemusik und Skateboardparcours. Ein richtig großes Event.“

„Wir haben eine Herausforderung von einer Gang namens Sphinx erhalten“, fuhr Kimimaro fort. „Ich schätze, das kommt euch bekannt vor?“

„Wartet – ihr habt ein Rätsel von Sphinx gelöst und seid deshalb für würdig befunden worden, mit ihm zu spielen?“, rief Kiba aus.

„Wieso nicht?“

„Weil es bei Rätseln vor allem um die Anzahl der Gehirnzellen geht, darum“, versetzte Ino.

„Ah ja?“ Tayuya baute sich drohend vor ihr auf. „Wir werden ja sehen, wer als Erstes wieder hier herauskommt, Blondie.“

„Nicht streiten. Gibt es ein Problem?“ Maki, der Pfleger, war hinzugekommen und lächelte die beiden Mädchen breit an.

„Hau ab, Pisser!“, fuhr Tayuya ihn an. Maki schüttelte nur tadelnd den Kopf und wartete, bis die beiden wieder etwas Abstand zwischen sich gebracht hatten. Dann ging er fröhlich pfeifend zu den Bücherregalen und sortierte ein paar dünne Heftchen ein. Die Beleidigung war einfach an ihm abgeprallt.

„Werden die Pfleger hier nicht auch verrückt?“, fragte Sakon sarkastisch.

Tayuya seufzte und wandte Ino demonstrativ den Rücken zu. Das konnte ja noch heiter werden mit den beiden. „Was soll’s. Vielleicht ist es hier ja ganz lustig. Man kann die Sau rauslassen, und keiner schaut einen schief an. Ins Kittchen kommen wir nicht, weil wir ja verrückt sind, und in die Klapse auch nicht, weil wir verflucht nochmal schon drin sind! Und wenn wir wollen, lösen wir Sphinx’ dämliches Spiel und kommen wieder raus.“

„Ja, wenn“, murmelte Kimimaro.

„Treibt der Kerl seine Spiele eigentlich mit jedem hier?“, mischte sich Deidara ein.

„Nein. Nur mit uns, soviel ich weiß“, sagte Sakura und sah sich um. „Sagt mal, wo sind denn Neji und Tenten?“

„Die suchen einen Pfleger, der sie zu Hinata lässt“, sagte Naruto düster. „Sie hat sich in ihrem Zimmer eingesperrt und will nicht herauskommen. Ehrlich, ich mach mir große Sorgen.“

„Ich werde auch mal mit ihr reden“, beschloss Sakura und ging los. Ihre Freunde folgten ihr.

„Tut das“, sagte Kidoumaru. „Wer hat Lust auf eine Partie Mühle? Da vorn sehe ich ein Spielbrett.“

„Ich hab für heute genug gespielt“, brummte Sakon und trabte in die andere Richtung davon.

„Ich auch“, sagte Jiroubou.

Was die anderen erwiderten, konnte Naruto nicht verstehen, da Sakura ein ordentliches Tempo vorlegte.

Der Trakt, in dem Hinatas Kammer lag, schien verlassen. Eine Deckenlampe war kaputt, eine flackerte, und die Wand ihrer Tür gegenüber war mit blauer Farbe beschmiert. Seifenschaum tropfte davon, aber das Kunstwerk schien nicht abgehen zu wollen.

„Hinata?“ Sakura hämmerte an ihre Tür. „Ich bin’s, Sakura. Lässt du mich rein?“

Erst kam keine Antwort, dann, nur ein Hauchen: „Geh weg.“

„Was ist los, Hinata? Willst du nicht herauskommen?“

„Bitte, lasst mich in Ruhe.“

Naruto presste sein Ohr gegen die stabile, weiße Holzplatte. Sie schluchzte – nein, sie wimmerte! Es zog ihm das Herz zusammen. „Hinata!“, rief er lauter, als er beabsichtigt hatte. „Bitte, sag uns, was los ist!“

„Sie ist verflucht“, krächzte eine Stimme hinter ihnen. Naruto fuhr herum. Er hatte gar niemanden kommen gehört.

Ein gebeugter, alter Mann mit wässrigen Augen stand hinter ihnen. Er trug Patientenkleidung, war aber barfuß, mit schwarzen Flecken auf den Füßen.

„Wer sind Sie?“, fragte Lee.

„Sie wird nicht rauskommen. Sie weiß, was passiert, wenn sie es tut.“ Die Stimme klang wie ein Federkiel, der über altes Pergament kratzte. „Sie will die Bestie in ihrem Inneren nicht freilassen.“

„Wovon reden Sie?“, fragte Naruto. Kakashi neben ihm lauschte nur schweigend.

Die verwaschenen Augen waren seltsam klar und bohrend. „Sie spürt es. Wir haben es alle gespürt. Irgendwann werdet ihr es auch spüren.“

„Wovon sprichst du, du alter Knacker?“, fragte Kiba gereizt. „Sag uns, was mit Hinata los ist, wenn du es weißt!“

Fauchendes Lachen. „Die Gier hat sie gepackt“, hauchte er. „Die Gier. Hört nicht auf die Gier. Ihr werdet, was ihr wart, und ihr endet, wie es geendet hat, und jeder Ausgang ist schrecklich.“

„Hört nicht auf ihn“, sagte Kakashi schließlich, und seine ruhigen Worte legten sich wie Balsam auf ihre gereizten Gemüter. „Vergesst nicht, wo wir hier sind.“

„Ihr habt keine Ahnung, wo ihr hier seid!“ Der Alte offenbarte schwarze, spitze Zahnruinen. „Naivlinge! Ich spucke auf euch. Ihr werdet sie noch spüren, wenn sie euch packt!“

„Jetzt reicht es.“ Kiba packte den Mann am Kragen. „Hier im Irrenhaus sind Prügeleien sicher ganz normal, oder?“, fragte er liebenswürdig.

„Ehehehe“, machte der Alte. „Sieh nur zu, dass du nicht in der Gummizelle aufwachst. Dort kannst du nicht gegen den Fluch ankämpfen.“ Zum Teil schien er ziemlich klar im Kopf, so verschroben er auch wirkte.

„Von welchem Fluch sprechen Sie die ganze Zeit?“, fragte Naruto.

„Könnt ihr nicht lesen? Da steht es doch.“ Er deutete auf das blaue Gekritzel an der Wand.

„Lesen Sie es uns bitte vor“, murmelte Sakura, nachdem sie eine Weile vergebens versucht hatten, irgendeinen Sinn in die Flecken und Formen zu bringen.

Doch der Alte schien wieder in eine andere Welt abgedriftet zu sein. „Gebt nicht nach“, sagte er und humpelte langsam den Gang entlang. „Gebt der Gier nicht nach und zieht keinen Verdacht auf euch. Das ist die einzige Möglichkeit, zu überleben.“ Die ganze Zeit über schüttelte er den Kopf, als wollte er schlimme Gedanken loswerden.

Ino schüttelte sich. „Der Kerl ist gruselig.“

„Hier sind alle gruselig“, sagte Sakura und klopfte wieder an der Tür. „Hinata? Bitte, lass uns rein. Wir sind deine Freunde, oder?“

Es kam keine Antwort mehr. Oder war dort ein leises Stöhnen? Naruto packte plötzlich kalte Angst. Sie würde sich doch nichts antun, oder? „Hinata!“, schrie er. „Hinata! Mach auf!“ Er rüttelte an der Klinke und warf sich gegen die Tür, aber es half nichts. „Bitte! Hinata!“

In dem Moment kamen Neji und Tenten mit einem Pfleger. Auf den letzten Metern begannen sie zu rennen. „Was ist los?“, fragte Neji alarmiert.

„Sie antwortet nicht!“, rief Naruto verzweifelt. „Verdammt, was ist mir ihr los?“

Neji schob ihn zur Seite. „Hinata?“, rief er betont ruhig. „Es ist alles in Ordnung. Wir wollen dir nichts tun, wir wollen nur reden. Du kannst immer mit uns reden, das weißt du. Bitte mach auf.“

Immer noch keine Antwort. Naruto lief es eiskalt den Rücken runter.

„Schließen Sie schon auf“, forderte Tenten den Pfleger auf.

„Oh. Das geht nicht, tut mir leid“, sagte der Mann, nachdem er einen Blick auf das Schloss geworfen hatte.

„Sie machen wohl Witze!“, rief Naruto.

„Für diese Art von Schloss haben nur die Ärzte einen Schlüssel. Das sind die besonders schweren Fälle, wenn ihr versteht.“

„Das kann nicht sein!“ Naruto sprang ihn förmlich an. „Sie könnte sich etwas antun, nach all dem kranken Scheiß, den sie hier miterlebt hat! Tun Sie doch was, verdammt!“

Der Mann schüttelte seine Hände ab, wie er ein lästiges Insekt verscheuchen würde. „Ihr könnt ganz beruhigt sein“, sagte er kühl. „In derartigen Zellen gibt es nichts, das den Insassen gefährlich werden könnte. Außerdem werden sie videoüberwacht.“

„Von wegen!“, sagte Sakura. „Meine Tür sieht genauso aus, und ich habe nirgendwo Kameras entdeckt. Und wenn ich mich umbringen wollte, fände ich eine Menge Gelegenheiten dazu!“

Umbringen wollen. Sie hatte es ausgesprochen. „Hinata wird sich nicht … Sie wird doch nicht …“ Neji wich zur Wand zurück.

„Sphinx!“, rief Naruto. Er stieß den Pfleger zur Seite und stürmte den Gang entlang.

Sollte der verrückte Psychologe zeigen, wie gut er die Sache im Griff hatte! Wenn jemand wusste, was mit Hinata los war, dann ja wohl er!

Er rannte an verdutzen Pflegern und großäugigen Patienten vorbei. Im Aufenthaltsraum war eine Rangelei im Gange, doch er sah nicht genau hin. Vor der Tür zu Sphinx‘ Büro kam er schlitternd zum Stehen. „Sphinx!“, schrie er, was seine Lungen hergaben. „Mach auf! Sofort!“ Diese Tür war genauso abgeschlossen. Naruto wummerte dagegen. Er musste hier sein! „Mach auf, verdammt! Hinata ist in Gefahr! Mach die Tür auf!“

„Na, na, na, wer wird denn hier so einen Radau veranstalten?“ Maki kam auf Naruto zu, unerschütterlich freundlich, wie immer, und natürlich ohne Plan, was los war.

„Bleib mir vom Leib“, keuchte Naruto. Sein Hals schmerzte bereits. „Sphinx! Mach die verdammte Tür auf, oder ich trete sie ein!“

Makis Hand legte sich auf seine Schulter, fester, als man es dem Pfleger zugetraut hätte. „Komm, deine Freunde suchen dich sicher schon.“

Naruto wand sich, der Griff wurde fester. „Sphinx! Wenn Hinata sich etwas antut, werde ich dir das nie verzeihen!“

„Muss ich einen Arzt rufen, damit er dich mit der Nadel piekt?“, fragte Maki mit leichtem Ärger in der Stimme. Er versuchte Naruto nun mit beiden Händen fortzuziehen. „Du bist doch sicher müde. Wir werden dich ins Bett bringen und dann …“

„Nein!“ Naruto sah Rot. Er hatte die Schnauze voll von diesem Laden, von den gleichgültigen Pflegern und von Maki mit seiner undurchdringlichen Ignoranz. Er wirbelte herum und verpasste dem jungen Mann eine Backpfeife, die ihn gegen die Wand taumeln ließ. Verdutzt sank er zu Boden.

Naruto hämmerte weiter gegen Sphinx‘ Bürotür, bis ihm die Fäuste wehtaten. Plötzlich packten ihn erneut zwei, dann vier Arme, kräftigere diesmal, und er sah sich zwischen zwei weiteren Pflegern eingekeilt, die ihn fortzerrten. Wütend wehrte er sich, verfluchte sie und schrie im gleichen Atemzug weiterhin Sphinx‘ Namen.

Als ihm beide Hände auf den Rücken gedreht wurden und seine Schultergelenke schmerzend protestierten, knarzte die Gegensprechanlage unter Sphinx‘ Namensschild. „Geh weg“, erklang die wohlbekannte Stimme.

„Komm sofort raus! Wir brauchen dich!“, schrie Naruto verzweifelt. „Wenn wir je wieder mit dir spielen sollen, dann komm und rette deine Mitspielerin!“

„Bitte, lasst mich in Ruhe.“

„Du musst …“ Naruto blieben die Worte im Hals stecken. Wie vom Donner gerührt stand er da, ließ sich davonschleifen wie einen Mehlsack. Maki stand daneben, grimmig, mit blutender Nase.

Die gleichen Worte, es waren die gleichen Worte gewesen … In seinem Kopf drehte sich alles. Er wusste nicht, ob ihm schwarz vor Augen wurde, weil die Pfleger ihm tatsächlich irgendein Medikament gespritzt hatten, oder weil Sphinx exakt Hinatas Worte wiedergegeben hatte.

Der Gestank von Schießpulver


 

~ 10 ~

 

Er wachte in seinem Zimmer auf, ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen war. Draußen rauschte der Regen, ununterbrochen, und tötete alle anderen Geräusche ab. Naruto lauschte. Grub in seinem Gedächtnis. Wut kam mit den Erinnerungen. Das Ratespiel. Die E-Mail. Ein nackter Mann mit einem Streichholz. Im Süden ist das Wasser säurehaltig. Eine Kugel glüht über einem Stock. Geht nach Norden und findet den Schatz. Naruto lag da und fragte sich, ob er dabei war, den Verstand zu verlieren.

Ein Bild aus seinen Träumen echote durch seinen Kopf. Hinata, an eine Wand genagelt wie an ein Kreuz. Und blaues Blut, das aus ihr tropfte und abstruse Muster zeichnete.

Die Erinnerung durchfuhr ihn wie ein fiebriger Blitz. Er wälzte sich aus seinem Bett, seine Beine wollten sein Gewicht nicht tragen. Mit schwarzen Punkten, die vor seinen Augen tanzten, ging er zu Boden, kroch mit zusammengebissenen Zähnen zu seiner Tür. Es hatte einen Traum gebraucht, damit er sich an Hinata erinnerte. Was zum Teufel hatten sie ihm gegeben?

An der Klinke zog er sich in die Höhe. Sie fühlte sich kalt und scharf an in seiner Hand, wie ein Messer, das da aus der Tür ragte. Und sie ließ sich nicht bewegen, war nicht nur abgeschlossen, sondern fixiert. Naruto sah auf den Wecker auf seinem Nachtkästchen. Neun Uhr abends. Kurz nach Zimmerzeit. Verdammt! Er schlug mit der flachen Hand gegen seine Gefängnistür. Sie schmerzte – von den vielen anderen Türen, gegen die er heute gepocht hatte, ebenso vergebens.

Fast eine Stunde lang lehnte er sich gegen die Tür. Nichts als ein stöhnendes Heulen verließ seine Kehle. Er weinte nicht, wenigstens weinte er nicht. Aber jeder Ruf hätte seine geschundenen Stimmbänder gequält. Naruto kam es wie das Heulen eines Wolfes vor. Als es auf zehn Uhr zuging, verstummte er. Ab zehn hatte jeder ruhig zu sein, und er wollte nicht noch einen Schuss bekommen, der ihn für Stunden an einen Ort schickte, der ihn am liebsten in Wahnsinn ertrinken lassen wollte.

Er vergrub sich in seinem Bett, tief unter Kissen und Decke. Sein Magen knurrte; er hatte das Abendessen verpasst, aber ihm war gleichzeitig so übel von dem Mittel, dass er sich garantiert übergeben hätte. So lag er da, halb krank vor Sorge. Waren die anderen in Ordnung? Was war mit Hinata? Er spürte Müdigkeit in sich anschwellen und kämpfte gegen den Schlaf an. Nicht schlafen, dachte er, während sich alles um ihn herum drehte. Eine Nachwirkung des Medikaments? Er schob den Kopf unter der Decke hervor, um aus dem Fenster zu sehen. Auf der Scheibe prangte, blau und glühend, ein hingeschmiertes Muster. Nicht schlafen, nachts kommen die Werwölfe.

Und er schlief doch.

 

Die Visite am nächsten Tag war wie die gestrige. Der Zwischenfall wurde mit keinem Wort erwähnt. Magister Hinx erwarte ihn um neun Uhr zur Gruppentherapie. Das war alles.

Wie ein Zombie trottete er zum Frühstück in den Speisesaal.

„Naruto!“ Sakura stürmte auf ihn zu und schloss ihn kurz in die Arme. Ihre Augen hatten tiefe Ringe. „Alles okay? Du siehst schrecklich aus.“

Er brachte ein schmales Lächeln zustande. „Du auch nicht viel besser.“

Sakura atmete erleichtert auf.

Sie saßen wieder alle am selben Tisch, sogar Sakons Bande. Ein Aufenthalt in dieser Anstalt schien selbst verschiedene Welten zusammenzuschweißen. Kidoumaru sah von allen am übelsten aus: Die Hälfte seines Gesichts war geschwollen und ihm fehlte ein ganzes Büschel Haare.

„Er hat sich mit einem Patienten angelegt“, flüsterte Sakura, als sie Narutos Blick bemerkte. „Hat ihn angeblich beim Mogeln erwischt.“

„Aha.“ Es interessierte Naruto nicht wirklich. Nicht einmal sein Essen interessierte ihn, obwohl er einen Bärenhunger haben müsste. „Wisst ihr schon was von Hinata?“

Sakura wich seinem Blick aus. „Wir waren nochmal vor ihrer Tür. Wir haben sie nicht herausbekommen, aber sie hat wenigstens wieder mit uns geredet.“

„Was hat sie gesagt?“

„Wieder das Gleiche. Wir sollen sie in Ruhe lassen.“

„Wieder das Gleiche“, murmelte Naruto. Wie Sphinx. Er sah in die Runde. Die anderen hatten es eilig, sich auf ihr Essen zu konzentrieren, nur Sasuke blickte ungerührt drein und Kakashi mitleidig. Nicht einmal ihre Reserviertheit verletzte Naruto. „Sphinx weiß, was mit ihr los ist“, sagte er schließlich.

„Ja“, sagte Tenten leise. „Ja, wahrscheinlich.“

„Nicht wahrscheinlich. Er hat mir geantwortet. Der Kerl hat Hinatas Worte nachgeahmt, sogar im Tonfall! Er hat uns sicher belauscht, er hat sicherlich zumindest eine Wanze in ihrem Zimmer installiert!“

Sakura überlegte. „Aber das ist doch eine gute Neuigkeit, oder?“, fragte sie vorsichtig. „Wenn er weiß, was in ihrem Zimmer los ist, kann er  zur Not eingreifen.“

„Sie wird sich nichts antun“, sagte Neji fest. „Nicht Hinata.“

„Gestern hattest du noch Bedenken“, sagte Ino.

„Wer kann’s ihr denn verübeln?“ Kiba raufte sich die Haare. „Ich bin auch knapp vorm Durchdrehen. Von wegen Heilanstalt. Wenn wieder jemand im Nachbarzimmer mitten in der Nacht ein Lied anstimmt und dann drüber lacht, dass fast die Fensterscheiben zerspringen …“ Er packte seine Essstäbchen so fest, dass sie brachen. „Und dann diese verdammten Pfleger, und dieser elende Fraß … Ich muss hier raus. Wir müssen hier raus, oder wir werden verdammt noch mal wirklich verrückt!“

„Ich werde Sphinx zur Rede stellen“, beschloss Naruto. Als er die anderen ansah, schienen die meisten von ihnen zurückzuzucken. „Ich brauche eure Hilfe. Lasst uns sein bescheuertes Spiel boykottieren!“

 

„Guten Morgen!“, begrüßte Sphinx die Runde, die sich auf Stühle und Sofas verteilt hatte, fröhlich. Heute trug er eine glitzernde Achtziger-Jahre-Jacke über einem schwarzen Shirt, Jogginghosen und Flip-Flops. Schwungvoll warf er sich in seinen Therapeutensessel. „Wir wurden gestern recht abrupt unterbrochen, also fangen wir direkt an, ja?“ Die Ausgeschiedenen waren diesmal nicht eingeladen.

Naruto ballte die Fäuste. Immer noch schmerzten seine Knöchel. „Zuerst sagst du uns, was mit Hinata ist“, sagte er eiskalt. „Wir spielen nicht eher mit dir, bevor wir wissen, ob es ihr gut geht.“

„Hinata?“ Sphinx tat, als müsste er überlegen. „Wer war das noch gleich?“

„Glaub nicht, dass du uns verscheißern kannst!“ Naruto sprang auf, sein Stuhl rumpelte über den Boden. Es fehlte nicht mehr viel, und er würde die Beherrschung verlieren. Diese ganze Geschichte, das Spiel, das Sphinx außerhalb seines Werwolf-Spiels spielte, zermürbte seine Nerven. „Noch sind wir nicht verrückt! Wir wissen genau, dass du Hinata etwas gesagt oder getan hast, oder dass du zumindest weißt, was mit ihr los ist! Warum kommt sie nicht mehr aus ihrem Zimmer?“

Neji stand auf, ihm zur Seite. „Ich werde auch erst weiterspielen, wenn du mit der Sprache herausrückst.“

Sakura erhob sich ebenfalls, dann Tenten, und schließlich fast alle, bis auf Sakons Clique. Sogar Deidara stand auf, und als selbst Jiroubou mitmachte, stemmten sich auch die Letzten in der Runde in die Höhe.

„Wie anstrengend“, seufzte Sphinx. „Müsst ihr euren Spielleiter mit so kalten Augen ansehen? Ich habe gar nichts gemacht. Hinata geht es gut. Sie hat nur eine etwas … schockierende Entdeckung gemacht.“

„Was?“, wollte Naruto wissen. „Was hast du ausgeheckt?“

Sphinx grinste breit. „Ich sprach doch davon, den Einsatz zu erhöhen, nicht wahr? Hinata hat im letzten Spiel keinen einzigen Punkt erreicht. Da war sie nicht die Einzige, aber ich habe beschlossen die Zinsen an ihr auszuprobieren. Vielleicht bin ich da ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen.“

„Was für Zinsen? Red nicht um den heißen Brei herum!“

„Vielleicht kennt ihr Hinatas Schwester. Hanabi, wenn ich mich nicht irre. Ein hübscher Name. Ich habe nur eine kleine Bemerkung fallen lassen, wie wenig hübsch sie in ihrem Inneren ist. Schlimme Sache, das mit diesem Obdachlosenheim.“ Er schüttelte bedauernd den Kopf.

„Du machst mich noch ganz kirre! Was für ein Obdachlosenheim?“

„Ach, ihr wisst es noch gar nicht?“ Sphinx lachte. „Wie auch? Bisher weiß sie es noch nicht mal selbst. Seht ihr, ich habe Beweise, dass sie in einem Obdachlosenheim mit Feuerwerkskörpern hantiert hat. Passt doch zu ihrem Namen, nicht? Dabei ist leider das ganze Heim abgebrannt und an die vierzig Menschen kamen ums Leben. Vierzig Menschenleben haben beträchtliche Macht vor Gericht, selbst wenn sie nur als Zahlen und Buchstaben auf Papier existieren, wisst ihr? Ich weiß nur noch nicht, ob ich Hanabi auch hierher holen oder ob sie gleich ins Gefängnis wandern soll. Vielleicht in eine Jugendstrafanstalt, aber das Leben dort soll ja besonders hart sein.“

„Du … du Bastard …“ Mehr brachte Naruto nicht heraus. Er fühlte sich so blutleer, wie seine Hände aussahen. Das war es also. Hinata zweifelte an sich und ihrer Fähigkeit, es hier herauszuschaffen. Und wenn sie es nicht schaffte, musste ihre Schwester leiden. Darum wollte sie auch niemanden sehen, vermutete er. Sie allein musste das Rätsel lösen. Niemand durfte ihr helfen.

Sakura presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Naruto wusste, was sie dachte. Sie hatte erzählt, wie Hinata sich nichts hatte anmerken lassen, als sie am Vortag Sphinx‘ Büro verlassen hatte. Sie war mehr als tapfer gewesen.

„Bitte“, murmelte sie. „Können wir es unseren Freunden erzählen, damit sie sich um Hinata kümmern können?“

„Das wird nicht nötig sein“, sagte Sphinx. „Kommt rein! Ich kann Lauscher nicht leiden!“

Jetzt erst bemerkte Naruto, dass sich die Tür nicht ganz geschlossen hatte, als Sphinx hereingekommen war. Nun wurde sie aufgedrückt, und Kakashi, Ino und Kimimaro kamen herein.

„In diesem Raum sind schon zwei Leute, die dir irgendwann mal den Kragen umdrehen wollen. Gerade sind es drei geworden“, sagte Ino bitterböse. So viel Einsatz für Hinata legte sie sonst eigentlich selten an den Tag. Sphinx brachte sie alle eindeutig näher zusammen.

„Gib ihnen den Schlüssel, Sphinx“, bat Sakura. „Du hast einen, oder? Sie werden Hinata davon überzeugen, weiterzumachen. Ich gebe ihr die Hälfte … ach was, ich trete all meine Punkte an sie ab. Du spielst doch gerne mit Leuten, die viele Punkte machen können, oder? Auf die Weise behältst du mich länger hier.“

„Ich bin dabei“, sagte Naruto, obwohl er auch noch keine Punkte vorzuweisen hatte.

Sphinx faltete die Hände und schien angestrengt nachzudenken. Schließlich lachte er leise. „Was für eine innige Freundschaft. Rührend genug, um einen kleinen Metallgegenstand fortzuwerfen.“ Er zog einen kleinen, blitzenden Schlüssel mit kompliziertem Bart aus der Tasche und warf ihn Ino zu. „Eins nach dem anderen. Bringt sie dazu, morgen wieder mitzuspielen. Danach sehen wir weiter, was sich machen lässt. Ihr habt schon recht, strenge Regeln alleine garantieren nicht den Spielspaß. Man muss auch flexibel sein.“

Naruto fiel ein Stein, nein, ein ganzer Felsen vom Herzen. Ino suchte seinen Blick. „Ich kümmere mich gut um sie“, versprach sie. Kakashi nickte ihm aufmunternd zu.

„Ich danke euch“, seufzte Naruto. Nun glaubte er tatsächlich, die Tränen zu spüren, die unter seinen Lidern lauerten.

„Und schließt die Tür.“ Sphinx klatschte in die Hände. „Nachdem wir nun endlich wieder für heitere Stimmung gesorgt haben, lasst uns keine Zeit mehr verlieren, ja?“
 

- Schiffbruch, zweiter Tag -

 

„Der Kapitän ist tot? Und du hast ihm den Kapitänshut aus seinen kalten Klauen gerissen, oder wie war das?“ Kidoumaru gesellte sich zu Sakon und musterte seine an Deck der Vieja Gloria gefesselten Peiniger sichtlich zufrieden.

„Er hat ihn Sakon freiwillig überlassen“, sagte Tayuya und klang nicht ganz glücklich. „Ich war dabei.“

 

„Stimmt ja, ich bin ja soeben Bürgermeister geworden“, erinnerte sich Sakon gut gelaunt. „Ihr seid jetzt ja hoffentlich wegen eurer Freundin beruhigt, oder? Dann mal her mit euren Verdächtigungen. Wen lynchen wir heute?“

„Gute Frage“, sagte Tenten. „Ino war ein Werwolf, das wissen wir. Kann sich noch jemand erinnern, wer gestern dagegen gestimmt hat, sie zu lynchen?“

Naruto verstand – und schalt sich sofort dafür, nicht genau aufgepasst zu haben. Die Werwölfe würden natürlich zusammenhalten, aber wenn sie das zu offensichtlich taten und die Karten hinterher aufgedeckt wurden, liefen sie Gefahr, sich zu verraten. Eigentlich stand ihm der Sinn nicht nach diesem Spiel, noch weniger als sonst – aber er würde weitermachen. Er war in einer guten Position, er würde Punkte machen und Hinata damit unterstützen. Er würde all seine Freunde unterstützen, die gemeinsam mit ihm aufgestanden waren! Naruto war schon immer ein Motivationskünstler gewesen. Mit Feuereifer stürzte er sich ins Gefecht. „Neji, hast du in der Nacht was herausgefunden?“, fragte er. Es tat gut, einem Mitstreiter vertrauen zu können. Hoffentlich täuschte er sich in ihm nicht.

 

„Ihr werdet mit Sakon als Kapitän nicht glücklich werden“, murmelte Neji.

„Hä? Was hast du gesagt?“, schnauzte der Pirat ihn an.

Neji begegnete seinem Blick mutig, trotzdem er gefesselt und damit wehrlos war. „Sakon ist einer der Wolfspiraten. Sie haben eure Crew genauso unterwandert wie unsere.“

„Ich wusste es!“, stieß Tenten aus. „Die Wölfe verteilen sich über alle sieben Weltmeere, wenn’s sein muss. Sie sind auf den Schatz aus!“

 

„Ach kommt schon, das ist billig“, stöhnte Sakon. „Gib doch gleich zu, dass du der neue Bürgermeister sein willst.“

„Es ist die Wahrheit. Ich bin die Seherin.“

„Wenn du die Seherin wärst, hättest du gesehen, dass ich kein verdammter Werwolf bin!“

„Wenn Neji das sagt, nominiere ich dich auch fürs Lynchen“, sagte Naruto.

„Somit darfst du dein eigenes Urteil moderieren, Sakon“, merkte Sphinx belustigt an.

 

„Ich weiß nicht, warum ich einem Galgenvogel wie dir überhaupt zuhören sollte“, grunzte Sakon. „Wolfspiraten? Unsinn!“

„Unser Kapitän ist gestorben“, erinnerte ihn Neji, „und ihr habt beteuert, nichts damit zu tun zu haben. Keiner von uns hatte Streit mit ihm, aber jetzt, da er tot ist, kommen wir nicht mehr von der Insel herunter. Keiner von uns, der das ist, was er vorgibt zu sein, kann uns nach Hause bringen. Er müsste navigieren können, die Position im Meer ermitteln können und einiges mehr. Oder kann das jemand von euch?“ Sein Blick galt Lee und Kiba, die einander einen Moment ansahen und dann die Köpfe schüttelten.

„Na und?“ Sakon verschränkte die Arme. „Du redest nichts als Müll. Meine erste Amtshandlung als Kapitän wird sein, dich über die Planke gehen zu lassen, was sagst du dazu?“

 

„Erst stimmen wir über dich selbst ab“, sagte Sphinx amüsiert. „Du wurdest von zwei Mitspielern zum Lynchen nominiert. Vergiss die Spielregeln nicht.“

 

„Nur ein Pirat hätte etwas davon, Kakashi umzubringen. Also entweder einer von euch oder ein Wolfspirat“, fuhr Neji fort. „Und wie willst du erklären, dass euer Kapitän heute Nacht überraschend gestorben ist? Einer aus eurer Crew hat ihn ermordet, und ich habe dich kurz vor dem Morgengrauen mit einer Wolfsmaske gesehen.“

„Lächerlich“, sagte Sakon sofort. „Kimimaro ist wie ein Feigling von alleine gestorben, als kranker Mann. Früher oder später wäre das so oder so passiert.“

„Aber es war der ungünstigste Zeitpunkt, meint ihr nicht?“, warf Jiroubou nachdenklich ein. „Der Tag, an dem wir eine Insel mit einem unglaublichen Schatz erreichen.“

„Und plötzlich müsst ihr ihn nicht mehr durch fünf teilen“, fügte Sasuke hinzu.

„Halt den Mund!“, fuhr Sakon ihn an. „Noch ein Wort, und ich reiß dir die Zunge raus!“

Ich kann‘s ja nicht gewesen sein“, erklärte Kidoumaru, der einen Heidenspaß zu haben schien. „Ich war hier gefangen, schon vergessen? Und allein das Ding auf deinem Kopf wäre ein Motiv, Sakon.“

Sakon bedachte Neji mit einem säuerlichen Blick. „Hervorragend“, sagte er sarkastisch. „Du hast meine eigene Crew gegen mich aufgebracht. Bist du zufrieden?“

„Denk dir nichts dabei.“ Kidoumaru bohrte sich im Ohr. „Wir sind Piraten, oder? Ist doch ganz klar, dass wir nicht mal einander vertrauen.“

Der neue Piratenkapitän stöhnte auf. „Tayuya, sag’s ihnen. Du hast gesehen, wie Kimimaro gestorben ist.“

„Hab ich das?“ Sie hob grinsend eine Augenbraue und ließ Sakon damit wütend mit dem Fuß aufstampfen.

„Beim Klabautermann! Bist du etwa auch scharf auf den Kapitänshut? Das ist Meuterei!“

 

„Na fang schon an“, sagte Deidara ungeduldig. „Bring’s hinter dich, hm.“

„Also schön“, brummte Sakon übellaunig. „Wer will, dass ich lebe, deutet mit dem Daumen nach oben. Die Arschlöcher, die mich lynchen wollen, nach unten. Eins, zwei … drei.“

Narutos Herz pochte. Er vertraute Neji zu siebzig Prozent. Wenn er recht hatte, und Ino war schließlich ein Werwolf gewesen, genau, wie er es gesagt hatte, dann waren sie auf bestem Wege, das Spiel zu gewinnen.

Nejis Daumen zeigte natürlich auf Lynchen, Sakuras ebenfalls. Kidoumaru glaubte seinem Kameraden wohl auch nicht, denn sein Daumen war ebenfalls gesenkt. Narutos Blick glitt die Spieler entlang. Sakon stimmte natürlich für sich selbst, genauso wie Tayuya und Jiroubou. Sasuke und Deidara stimmten für ihn, Kiba und Lee wollten ihn tot sehen. Und Tentens Daumen deutete nach oben. „Leute, was soll das?“, rief Naruto, der Sakon natürlich ebenfalls lynchen wollte.

„Wir wissen nicht, ob Neji wirklich die Seherin ist, Schlaumeier“, sagte Sasuke.

„Aber wir hätten es doch sofort herausgefunden“, rief Sakura. „Nach Sakons Tod hätten wir erfahren, ob er Wolf oder Dorfbewohner war.“

„Aha!“ Kiba zog den Daumen ein, dafür deutete sein Zeigefinger auf Sasuke. „Ein Werwolf, der den anderen Werwolf schützen will?“

„Mach dich nicht lächerlich“, sagte Sasuke trocken. „Wenn Neji die Seherin ist, wäre Sakon der einzig lebende Werwolf. Keiner, der für sein Überleben gestimmt hat, könnte dann ein Werwolf sein. Im Gegenteil – die, die ihn unbedingt tot sehen wollen, sind verdächtig.“

Das musste Naruto überdenken. Sie waren verdächtig … Verdammt, Sasuke hatte recht! Daran hatte er gar nicht gedacht. Rasch versuchte er sich zu merken, wer wie abgestimmt hatte.

„Das wären dann sechs gegen sechs Stimmen“, fasste Sphinx zusammen. „Da der Bürgermeister jedoch bei Gleichstand eine zweite Stimme hat, sind es sechs zu sieben. Sakon darf weiterleben. Ihr dürft einen anderen Spieler nominieren.“

„Verdammt“, murmelte Naruto. Nejis Gesicht blieb ausdruckslos.

„Gut.“ Sakon wirkte hocherfreut. „Jetzt siehst du gleich, was du davon hast, Alter. Wer ist dafür, diesen Neji abzumurksen, der nichts Besseres zu tun hat, als ständig Leute anzuschuldigen?“

Vielleicht war es Sasukes Einwand zu verdanken, dass Naruto die Geschehnisse aus einem neuen Blickwinkel sah – und mit einer plötzlichen Kälte, die ihn schaudern ließ. Opfere Neji, sagte eine Stimme in seinem Inneren, eine Stimme, die von reiner Logik erzeugt worden war. Opfere ihn.

Sasuke nominierte Neji ebenfalls. Somit begann eine neue Abstimmung. Sakon zählte die Sekunden. In Narutos Gehirn drehten sich die Zahnräder, angeheizt von der Idee, die ihm eben gekommen war. Tod oder Leben. Wenn Neji nicht die Seherin war, hatte er gelogen. In dem Fall hätte er sich, wenn er ein aufrechter Dorfbewohner wäre, nur selbst in Gefahr gebracht. Das hieß, dass er dann nur ein Werwolf oder ein Verbündeter der Werwölfe sein konnte, oder? Dann konnten sie ihn ruhigen Gewissens lynchen. Und wenn er doch die Seherin war … Es gab eine Möglichkeit, das zweifelsfrei festzustellen, und die stand Naruto als Einzigem offen. Er würde herausfinden, ob Neji gelogen hatte oder nicht. Ob er die Seherin war oder ein Werwolf. Wenn er jetzt starb.

Naruto deutete nach unten. Er fragte sich, was Kakashi getan hätte.

Die anderen jedoch teilten seine Entscheidung. Obwohl so viele gestern noch hinter ihm gestanden waren, wollten jetzt nur noch Deidara und Tenten, dass er überlebte. Die anderen hatte Sasukes Ausführung wohl überzeugt – oder sie lynchten auf gut Glück.

Oder sie waren Werwölfe. Das war jetzt unmöglich festzustellen.

Auch wenn seine Stimme keinen Unterschied gemacht hätte, Naruto hoffte, dass er das Richtige getan hatte.

 

„Jetzt mal im Ernst“, sagte Kidoumaru. „Selbst, wenn er recht haben sollte. So einem gefesselten Würstchen sollte man den Mund nur öffnen, um eine Kugel darin zu versenken.“

„Vielleicht sind diese Wolfspiraten ja wirklich auf der Insel“, überlegte Jiroubou. „Dann werden sie uns gegeneinander aufbringen wollen.“

„Möglich“, räumte auch Tayuya ein. „Und ich lasse mich sicher nicht von denen manipulieren.“

„So ist es.“ In Sakons Augen glitzerte es, als er seine Pistole auf Neji richtete. „Und wer versucht gerade, uns gegeneinander auszuspielen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass du ein faules Ei bist, Drecksammler.“

„Wartet, das könnt ihr nicht machen!“, rief Naruto.

„Er hat mehr oder weniger die blonde Nobelhure auf dem Gewissen. Ein Leben für ein Leben, oder wie man sagt“, meinte Tayuya. Dass sie es selbst gewesen war, die Ino erschossen hatte, schien sie dezent zu ignorieren. Auch sie richtete ihre Pistole auf Neji, dem Schweiß auf die Stirn trat.

„Hört auf, wir reden darüber, ja? Wir sind gefesselt, was sollen wir euch noch tun?“, rief Naruto.

„Richtig. Ihr könnt nur versuchen, uns zur Meuterei aufzustacheln“, brummte Jiroubou. „Das würde euch natürlich zum Vorteil gereichen, aber so dumm sind wir nicht.“ Er hätte seine Muskete nehmen können, aber auch er wählte eine Pistole, um Neji zu bedrohen.

„Und ich möchte den Kerl einfach so tot sehen“, erklärte Kidoumaru fröhlich.

„Ihr macht einen Fehler!“, rief Naruto heiser. Was machte er sich auch die Mühe, mit Piraten zu verhandeln? Sie taten ja ohnehin, was sie wollten. Die anderen schienen zum selben Schluss gekommen zu sein. Sasuke schien gar nicht mehr zuzuhören.

Nur Tenten wagte noch zu widersprechen. „Seid vernünftig, bitte. Wir besorgen euch diesen Schatz, wenn ihr Neji leben lasst.“

„Nein“, sagte Sakon. „Ihr besorgt uns den Schatz, nachdem wir ihn getötet haben. Ganz einfach.“

Damit drückte er ab, die anderen nur Sekundenbruchteile später.

Trotz ihrer scheinbaren Gleichgültigkeit schrien die Gefangenen, als Nejis Blut in alle Richtungen spritzte. Tenten wohl am lautesten. Auch Naruto spürte etwas gegen seine Wange klatschen, warm und klebrig. Es war, als erinnerte sie erst der Tod wieder an ihre Menschlichkeit. An den Mast gebunden, zuckte Nejis Körper einmal heftig, dann sank er in sich zusammen, sein Gesicht kaum noch zu erkennen. Naruto kniff die Augen zusammen, so fest es ging. Die anderen murmelten sich erschrocken etwas zu, doch die Schüsse klingelten noch in Narutos Ohren. Der Gestank von Schießpulver lag in der Luft, aber er wusste nicht, ob das der Grund war, aus dem ihm die Augen tränten.

Quartett und Sextant


 

~ 11 ~
 

Nachdem Neji die Runde verlassen hatte, gestattete ihm Sphinx, zu Hinata zu gehen. Er wies ihn nicht einmal mehr darauf hin, dass jedes Wort von ihm aufgezeichnet wurde und früher oder später seine Ohren erreichte.

„Jetzt mach’s nicht so spannend“, murrte Kidoumaru. „War er ein Wolf oder nicht?“

Sphinx schien den Moment genüsslich auszukosten, denn er ließ sich Zeit.Neji war kein Werwolf“, sagte der dann mit erschütternder Endgültigkeit.

„Verdammt!“ Kiba schlug sich mit der Faust auf den Oberschenkel.

 

Der Pulvergestank war heiß und beißend. Nejis Blut malte warme Spuren auf Narutos Wange. Er wagte es nicht, die anderen anzusehen. Das Holz des Fockmastes war glänzend rot. Sieh nach vorn, sagte er sich. Dorthin, wo die Piraten eben ihre Waffen senkten.

„Bringen wir doch einfach alle um“, sagte Tayuya und warf ihr Haar zurück. Rot wie ein Blutschwall kam es Naruto in dem Augenblick vor. „Ich wusste, es ist eine schlechte Idee, sie leben zu lassen.“

„Nicht so schnell.“ Sakon grinste teuflisch. „Ihr erwartet doch nicht im Ernst, dass ich euch noch glaube?“

Naruto war mindestens ebenso sprachlos wie Tayuya. Was hatte er gerade gesagt?

Sakon steckte seine leergeschossene Pistole weg und zog eine zweite. Die richtete er direkt auf Tayuya, sodass sie fast ihre Nasenspitze berührte. Sie versuchte zu lächeln, aber es missglückte ihr. Sakon ließ seinen Nacken kreisen, dass es knackte. „Wir leben in einer sehr, sehr bösen Welt“, sagte er. „Und ziemlich offensichtlich sind sogar die Wolfspiraten hier. Es heißt, sie haben schon mehrere Piratenbanden auseinandergenommen – von innen heraus. Nicht, dass es mir nicht in den Kram passen würde, jetzt Kapitän zu sein, aber wer sagt, dass ihr Kimimaro nicht vergiftet habt? Er wollte noch eine Flasche Rum, wenn ich mich nicht täusche. Wer hat ihm die gebracht? Du, Tayuya? Und hast du ihm nicht noch Abendessen gebracht, Jiroubou?“

„Du siehst Gespenster“, lachte Tayuya, aber ihre Augen blieben wachsam. „Gift? Woher sollten wir sowas Feiges wie Gift nehmen?“

„Da sehe ich viele Wege“, erklärte Sakon. „Ihr habt es einfach irgendwo im letzten Hafen gekauft und schleppt es mit euch rum. Oder ihr habt es sogar in der Kombüse versteckt. Wir haben allerlei Zeug auf dem Schiff, das man nicht unbedingt essen sollte, Teer und Sachen zum Konservieren. Und Kimimaros Zustand hat sich auf dieser Reise bemerkenswert schnell verschlechtert, was? Wäre doch ein Kinderspiel, ihm ständig was ins Essen zu mischen, ohne dass er es merkt, bis er abkratzt. Und wer hätte es da am leichtesten? Unser Smutje natürlich!“ Sakon wirbelte herum. Diesmal zeigte seine Pistole auf Jiroubou, der bereits nach seiner Muskete hatte greifen wollen.

Naruto konnte kaum glauben, was er da sah. Drehte Sakon durch? Oder war das Piratenleben einfach geprägt von einer gewissen Paranoia? Vermutlich Letzteres.

„Wie gut, dass du mich nicht verdächtigst, Kapitän“, flötete Kidoumaru und machte Anstalten, Sakon die Hand auf die Schulter zu legen. Dieser verpasste ihm aus der Drehung heraus einen Schlag mit dem Pistolenlauf ins Gesicht.

„Von wegen. Du bist am verdächtigsten von allen“, erklärte Sakon. Sein Grinsen war nur noch ein einfaches Zusammenbeißen der Zähne. „Du warst angeblich hier gefangen. Trotzdem läufst du hier rum wie ein verspieltes Kind. Bist du sicher, dass du nicht mit den Galgenvögeln hier unter einer Decke steckst?“

Kidoumaru hob beruhigend beide Arme. Seine aufgeplatzte Lippe schien er kaum zu bemerken. „Wo gräbst du solche verrückten Ideen aus? Ist das nicht Beweis genug?“ Er deutete auf seine Handgelenke, die von den Fesseln durchgescheuert und blutig waren. „Ich hab mich befreien können. Habt ihr nicht den Mantel gesehen, den ich an den Schiffsrumpf gebunden habe, als Zeichen, dass ich hier bin? Ich hab mich nur drüben beim Felsen versteckt, bis ihr kommt. Ich schwör’s!“

„Beim Felsen, ja? Sicher, dass du nicht einen Abstecher zu unserem Schiff gemacht hast? In die Kapitänskajüte vielleicht?“

„Du hast echt ein Rad ab“, schnaubte Tayuya. „Nach der Ansage weiß ich nicht, ob ich dich nicht wirklich für einen Verräter halten soll. Du hast uns gerade selbst einen Haufen Wege genannt, wie du Kimimaro umgebracht haben könntest.“

„Halt den Mund“, fuhr Sakon sie ab. „Damit das klar ist, ich würde jedem von euch die Gurgel durchschneiden, wenn ich das Schiff allein von hier fortbringen könnte.“ Da schien ihm etwas einzufallen, denn plötzlich hellte sich seine Miene auf. „Andererseits … was brauch ich euch? Ich hab hier jede Menge williger Arbeitskräfte.“

Tayuya war einmal mehr sprachlos. „Du willst … Sakon, du hirnverbrannter Idiot!“

„Du vertraust ihnen mehr als uns?“, fragte Jiroubou.

„Von euch weiß ich, dass ihr verlogene Halunken seid“, meinte Sakon selbstzufrieden. „Ich könnte euch alle Waffen abnehmen und wüsste dennoch, dass ihr noch irgendwo welche versteckt habt.“

Keiner der Gefangenen wagte es, die Piraten beim Streiten zu stören. Naruto begann zu hoffen, dass sie sich tatsächlich gegenseitig an die Gurgel sprangen.

„Das wird wohl unser letztes gemeinsames Abenteuer“, meinte Kidoumaru. „Egal, wie es ausgeht.“

„Das denke ich auch“, sagte Jiroubou düster.

„Und wennschon!“, schnaubte Tayuya. „Lasst uns diesen verdammten Schatz holen und heimsegeln. Dann kann ja jeder seiner Wege gehen. Oder willst du hier und jetzt herausfinden, wer die Wölfe unter uns sind?“

„Ich fasse also zusammen“, sagte Kidoumaru. „Jeder von uns hätte den Kapitän ins Jenseits befördern können. Vielleicht hat er das auch selbst getan, mit einem schönen langen Zug aus der Rumflasche. Und diese gefesselten Knilche sind die Einzigen auf der Insel, die nicht wissen, wo unser Schiff liegt. Nicht, dass sie es nicht trotzdem gefunden haben könnten.“

„Eines ist ja wohl klar“, sagte plötzlich Sasuke, und seine ruhige Stimme inmitten dieser Streithähne wirkte irgendwie fehl am Platz. „Zumindest einer von euch ist kein Wolf. Sonst wäre das ein ziemlich lächerliches Spiel, das ihr da vor uns zum Besten gebt.“

„Hat dich jemand gefragt?“, schnauzte Sakon ihn an.

„Wie ich das sehe, gibt es eine einfache Möglichkeit, wie ihr euch nicht gegenseitig in Misstrauen ertränken müsst“, fuhr Sasuke ungerührt fort.

Sakon verstummte. „Und die wäre? Red schon!“

„Befrei mich, und ich erkläre es dir.“

„Anderer Vorschlag.“ Sakons Pistole schwenkte einmal mehr herum. „Du erklärst es mir, und ich lasse dich leben.“

Sasuke zögerte, aber ihm musste klar sein, dass die Piraten ihn wohl nicht unbedingt brauchten, um eine Lösung zu finden. Er wartete noch eine Weile, wie um Sakon zu reizen, dann sagte er: „Jeder von euch braucht etwas, das unbedingt notwendig ist, um von dieser Insel fortzukommen. Ich fahre noch nicht lange zur See, aber ich denke, ein Sextant wäre so ein Ding. Zumindest ist es besser, damit die Position auf hoher See zu bestimmen, als mit irgendwas anderem. Nehmt alle Sextanten, die auf eurem Schiff sind. Zerlegt sie und gebt jedem von euch ein paar Teile davon. Die vergräbt dann jeder für sich auf dieser Insel, an einem Ort, den nur er kennt. Bis ihr den Schatz gefunden habt, muss also jeder von euch am Leben bleiben, und ihr kommt nur gemeinsam von hier weg. Auf dem Rückweg könnt ihr euch ja genau im Auge behalten, wenn es sein muss.“

„Was für eine Schnapsidee!“, sagte Kidoumaru.

„Darf ich das dann so auffassen, dass du ein Wolf bist?“ Sakon maß ihn mit schmalen Augen. „Ich finde die Idee gut. Wir gehen zurück zum Schiff! Die da können ja einstweilen in der Sonne sauer werden.“ Er drehte gekonnt die Pistole in der Hand. „Ich hoffe, ihr langweilt euch nicht“, spottete er. „Sobald das erledigt ist, kommen wir wieder, und dann wird fleißig nach dem Schatz gegraben.“

Die Piraten gingen von Bord, wobei sie einander kritisch beäugten. Als sie außer Hörweite waren, seufzte Deidara auf. „Endlich Ruhe. Aber war es so klug, ihnen den Tipp zu geben? Sie hätten einander ruhig an die Gurgel gehen können.“

„Du hast doch gesehen, dass sie in einem Patt waren. Außerdem kommen sie so nicht auf die Idee, uns im Eifer des Gefechts auch zu erschießen“, entgegnete Sasuke und streckte umständlich die Füße von sich. Er saß am äußersten, seine Fesseln hatten die Piraten zusätzlich an die Reling geknotet. „Jetzt können wir reden. Was sagt ihr zu der Sache mit Neji?“

Naruto war überrascht, dass dieser eigenbrötlerische Fremde plötzlich etwas auf ihre Meinung gab. Aber vermutlich war das nicht einfach Interesse. Auch Sasuke wollte wissen, in welche Richtung seine Mitreisenden dachten.

„Es war ein Fehler, ihn umzubringen.“ Naruto zwang sich einmal mehr, nicht zu der Leiche zu sehen, die direkt neben ihm in ihren Fesseln hing. „Er war klug und ehrlich.“

„Er hat jeden Tag jemanden beschuldigt. Und er wusste, dass die anderen denjenigen töten würden. Damit ist er genauso vorgegangen wie die Wolfspiraten“, sagte Sakura. Sie schien ihm Inos Tod nicht verziehen zu haben. Als Naruto zu ihr hinübersah, war die Hälfte ihres Gesichtes rot und ihre Augen kalt. Ihn schauderte.

„Wenn er wirklich ein Wolfspirat war, dann hat er doch auch Kakashi umgebracht, oder?“, fragte Lee vorsichtig. „Das heißt, wir haben den Täter entlarvt.“

„Du vergisst, dass die Wolfscrew bis zu vier Mitglieder haben könnte“, sagte Naruto.

Eine Weile schwiegen sie. „In einem hat Sakura recht“, murmelte Lee dann, der sich die Sache offenbar nochmals durch den Kopf hatte gehen lassen. „Wir wissen gar nichts über ihn. Wir wissen auch nichts übereinander.“

„Die Truhe!“, rief Kiba plötzlich. „Ich habe Nejis Gepäck damals an Bord gebracht. Da war eine große, schwere Truhe mit einem dicken Schloss dabei! Sie müsste noch in seiner Kabine stehen.“

„Und das sagst du uns erst jetzt?“, fragte Sasuke.

„Woher sollte ich wissen, ob das wichtig ist?“

„Es wäre gut, wenn wir sie aufbrächten. Vielleicht finden wir darin etwas, das Nejis Unschuld beweist“, murmelte Naruto.

„Es wäre gut, wenn wir einen Weg finden würden, diese verdammten Fesseln loszuwerden, hm.“ Deidara wand sich nach Kräften, aber die Stricke hielten.

„Keine Sorge. In Kürze kommt jemand, der uns dabei helfen wird“, sagte Sasuke rätselhaft.

„Was meinst du damit?“, fragte Naruto, aber jeder Versuch, noch etwas aus Sasuke herauszubekommen, war vergeblich.

Jedoch sollte er recht behalten. Es war gegen Mittag, die Sonne war so hoch geklettert, dass Naruto sie glühend heiß im Nacken spürte. Fette Fliegen und riesige tropische Mücken surrten an Deck, und er war sich ziemlich sicher, dass er wusste, worauf sie es abgesehen hatten. Irgendwann, zwischen Durst und einem allmählich schummrigen Gefühl im Kopf, schoben sich zwei kräftige Hände über den umgestürzten Mast und zogen ächzend einen Körper nach sich. Die schweren Schritte allein, die über Deck kamen, ließen erahnen, um wen es sich handelte.

Jiroubou schwitzte ebenfalls in der Hitze, doch trotz seiner Leibesfülle schien er in Form, denn er keuchte nicht einmal sehr von der Klettertour. Mit grimmigem Gesichtsausdruck betrachtete er seine Gefangenen.

„Bekommst du keinen Ärger, wenn du mit uns redest?“, fragte Sasuke herausfordernd.

„Was wisst ihr über die Wolfspiraten und den Kerl da?“ Jiroubou deutete auf Neji.

„Genauso wenig wie ihr“, sagte Deidara. „Es sei denn, du bindest uns los. Dann könnten wir etwas herausfinden.“

„Du glaubst also nicht, dass wir die Wölfe sind?“, fragte Sasuke.

Jiroubous Kiefer mahlten. „Ich traue keinem von euch“, sagte er sofort. „Allerdings war es eine gute Idee, das mit dem Vergraben der Sextantteile. Ein Wolf hätte vermutlich gewartet, bis wir einander mit Kugeln durchsieben.“

„Wäre vielleicht auch besser gewesen“, merkte Deidara an.

„Und was hast du jetzt vor?“, fragte Naruto.

Jiroubou sah in die Ferne, als suchte er dort nach einer Antwort. „Dasselbe wie ihr. Überleben. Und ich möchte den Schatz. Bis wir hier ablegen können, sind wir einigermaßen sicher.“ Damit meinte er zweifelsfrei nur die Piraten. „Aber danach wird es kompliziert. Ich sage es ganz offen, ich glaube, dass Sakon und Tayuya Wolfspiraten sind. Sie waren die Einzigen, die bei Kimimaros Tod anwesend waren.“

„Hast du ihn danach noch gesehen?“

„Nur kurz. Als ich seine Kajüte betreten habe, haben sie ihn gerade zugedeckt. Wunden oder etwas in der Art hab ich nicht gesehen. Ich wollte hinterher nicht mehr nachsehen gehen, sie hätten mich nur zur Rede gestellt, was ich in der Kapitänskajüte zu suchen habe. Auf dem Rückweg wollen sie seine Leiche der See übergeben.“

„Womit nicht einmal der beste Arzt aus dem medizinischen Institut von Port Fronda noch feststellen könnte, woran er wirklich gestorben ist“, sagte Sakura.

„Seebestattungen sind nicht ungewöhnlich. Schon gar nicht unter Piraten, vermute ich“, warf Kiba ein.

„Es stimmt, dass er tödlich krank war“, offenbarte ihnen Jiroubou. „Allerdings ging es dann doch ziemlich schnell. Und Sakon hätte ein Motiv.“

„Da du uns das erzählst, musst du irgendeine Hilfe von uns erwarten“, schlussfolgerte Sasuke.

Der Seeräuber nickte. „Ihr werdet für mich die Augen offenhalten“, beschloss er.

„Schade nur, dass ihr den Mann mit dem schärfsten Blick heute Morgen hingerichtet habt“, spottete Deidara.

Jiroubou ging nicht darauf ein. Er zog sein Messer und rammte es neben Sasuke in die Planken. „Nehmt das. Wir wollen uns bei unserem Schiff wieder treffen, dann kommen wir her, um euch zu holen, und ihr werdet für uns nach dem Schatz graben. Nachts bringen wir euch wieder hierher, damit ihr nicht erfahrt, wo unser Schiff liegt. Sakon hat das beschlossen. Ich vermute, dass wir vier uns trotz allem irgendwo auf der Insel verstecken werden, um zu schlafen. Getrennt. Dann könnt ihr euch befreien und euch ein wenig umsehen.“

„Mit umsehen meinst du, die anderen drei umbringen?“, fragte Kiba lauernd.

Jiroubou schüttelte den Kopf. „Keinen von uns könnt ihr allein mit einem Messer erledigen. So einfach mache ich es euch nicht. Ihr sollt nur beobachten, nachsehen, was die anderen tun. Die Wölfe agieren doch angeblich nachts. Wenn ihr mir helft, heil mit dem Schatz unterm Arm von dieser Insel zu kommen, nehm ich euch mit und ihr kriegt ein paar Münzen ab.“

„Und du gibst uns das Wort eines Piraten?“, spottete Kiba.

„Hör auf, Kiba“, sagte Tenten. „Es ist die beste Möglichkeit, die wir haben.“

Jiroubou nickte. „Also dann. Seid unauffällig, bis die Nacht hereinbricht. Wir sehen uns.“

Als er wieder über die Reling geklettert war und die Sonne weiterhin auf sie niederbrannte, als wollte sie nach ihren Kehlen auch noch ihre Haut ausdörren, seufzte Tenten tief und schloss die Augen, als wollte sie einschlafen und nie wieder aufwachen. „Langsam verstehe ich, warum es heißt, dass diese Insel verflucht ist.“

„Warum?“, fragte Lee neben ihr.

„Wir sind erst seit gestern hier. Trotzdem sind schon vier Leute tot, und die Überlebenden vertrauen sich gegenseitig keinen Schritt weit mehr.“

„Der Fluch des Goldes“, murmelte Sakura, und Naruto wünschte sich, nie einen Fuß auf diese Insel oder auch nur die Vieja Gloria gesetzt zu haben.

 

Jiroubou behielt recht. Am frühen Nachmittag kamen die Piraten zurück, seltsam einträchtig, wenn auch noch immer mit argwöhnischem Blick. Sie brachten Wasser, das die Gefangenen gierig hinunterstürzten, sobald sie ihre Fesseln lösten, außerdem weiteren Proviant, besser als das Brot von gestern, aber immer noch halb ungenießbar. Jiroubou plünderte die Kombüse der Vieja Gloria und die Vorräte, die sie letzten Abend zusammengetragen hatten, aber für den Moment schien er seinen geheimen Verbündeten nichts davon abgeben zu wollen.

Nach dem Essen wurden sie wieder mit Stricken zusammengebunden. Wie Verurteilte, die im Gänsemarsch zum Galgen watscheln durften, trieben die Piraten sie vor sich her ins Herz der Insel, der Schatzkarte folgend. Im Schatten der Palmen war es kühler, und die Quelle lud ein, sich einfach samt Kleidung ins Wasser zu werfen. Sie kamen an dem Ort vorbei, an dem sie gestern Kidoumaru übertölpelt hatten.

„Da fällt mir was ein“, sagte er und verpasste Sasuke einen Hieb mit dem Knauf seines Säbels, so plötzlich, dass es ihn in die Knie warf. „Das war für meine Beule!“

Schweigend rappelte sich Sasuke wieder auf und ging weiter, ohne ihn auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen.

„Hier muss es sein“, sagte Sakon schließlich, einige hundert Meter weiter. Sie standen auf einer kleinen Lichtung, auf der fast kniehohes Gras wuchs. Ein gewaltiger Menhir ragte in ihrer Mitte auf. „Dann spuckt mal in die Hände. Irgendwo unter diesem grünen Teppich liegt etwas Glitzerndes, das eure kühnsten Träume übertrifft.“

Spaten wurden ausgeteilt, Äxte diesmal nicht. Offenbar erwartete niemand, dass sie hier auf dickere Wurzeln stießen. Die Piraten setzten sich in den Schatten der Palmen und anderen Bäume und hielten die Augen und Waffen auf die Lichtung gerichtet, während sie sie graben ließen.

„Der Erste, der den Schatz findet, bekommt eine Münze davon“, rief Sakon, während sie sich abrackerten. Er sah äußerst selbstgefällig aus, wie er, den Kapitänshut auf dem Kopf, am Stamm seiner Palme lehnte und mit seinem Säbel spielte.

„Elende Mistkerle.“ Schon nach kurzem stützte sich Deidara auf einen Spaten. Sein Haar klebte ihm feucht im Gesicht, sein Hemd zeigte Schweißflecken. „Ich bin für sowas nicht gemacht, hm.“ Naruto hatte sich das Bergen des Schatzes auch anders vorgestellt. Er wollte ihn gar nicht mehr haben.

Da sie keine weiteren Anhaltspunkte hatten, wo sie graben mussten, hoben sie wahllos Gruben aus. Das Erdreich war fest und knirschte, und einmal schreckten sie etwas auf, das im hohen Gras raschelnd die Flucht ergriff. Hoffentlich gab es hier nicht wirklich Schlangen.

Als die Sonne endlich zu sinken begann, spannte sich Narutos Haut schmerzend. Das würde einen üblen Sonnenbrand geben. Sie waren alle fix und fertig. Lee grub zwar noch unermüdlich, aber der Rest stocherte nur noch mit den Spaten in der Erde herum. Irgendwann kippte Deidara einfach um. Er war zwar der Erste, aber auch Naruto hätte bald schlapp gemacht, das wusste er. Zu wenig Wasser, zu wenig Essen, zu viel Anstrengung und zu viel Hitze.

„Was hat er denn?“ Tayuya kam näher und stieß den Ohnmächtigen mit der Stiefelspitze an. „Schlappschwanz. Sakon, ich glaube, das wird heute nichts mehr!“

„Macht nichts.“ Der zweifelhafte neue Kapitän trat hinzu. „Wir haben noch Proviant für ein paar Tage. Sammelt den da ein und dann stellt euch in einer Reihe auf!“

Lee brauchte die Hilfe von Kiba und Sasuke, um Deidara zu tragen. Diesmal wurden nur ihre Fußknöchel aneinander gebunden, sodass sie nicht davonlaufen konnten. Als sie abgeführt wurden wie eine Sträflingskompanie nach der Zwangsarbeit, kam Naruto die ganze Sache immer unwirklicher vor. Ein Schatz sollte hier vergraben sein? Vermutlich hatte sich nur jemand einen üblen Scherz erlaubt.

Wasser von der Quelle weckte Deidara wieder. Diesmal konnte Naruto nicht widerstehen; er warf sich samt seiner Kleidung in den hellgrün schimmernden Teich, und einige der anderen Gefangenen folgten ihm, bis die Piraten sie anherrschten, gefälligst weiterzugehen.

Die Sonne war nur noch eine rote Halbkugel am Horizont, als sie unter Deck der Vieja Gloria gebracht wurden. Dort war es wenigstens kühl. Sie wurden dort angebunden, wo sie in der Nacht zuvor Kidoumaru untergebracht hatten, im Lagerraum unter dem Vordeck, durch den der Fockmast stach. Nejis Leiche war immer noch an Deck festgebunden, mit zerstörtem Gesicht und Insekten, die ihn umschwärmten.

„Bindet sie gut fest“, sagte Kidoumaru, als Tayuya und Jiroubou die Fesseln um den Mast legten. „Man kommt frei, wenn man die Stricke lange genug am Holz scheuern lässt. Nehmt lieber noch ein paar.“

Wieder wurde Naruto direkt an den Mast gefesselt, Sakura so dicht neben ihm, dass sich ihre Schultern berührten. Rundherum die anderen, jeweils Rücken an Rücken, so vertäut und aneinander festgezurrt, dass sich am Ende keiner von ihnen mehr rühren konnte. „Und wenn einer mal dem Ruf der Natur folgen muss?“, fragte er und meinte es ernst.

Sakon schnaubte. „Ich dachte, euch wäre heiß? Nasse Hosen kühlen sicherlich.“ Und auch er schien es ernst zu meinen.

 

Die Dunkelheit fand sie, ehe das Mondlicht sich seinen Weg durch den geborstenen Rumpf suchte. Schweigen, so kalt wie das Wasser, in dem sie hockten, betäubte die Sinne. Die Piraten würden es wenig bequemer haben, wenn das, was Jiroubou gesagt hatte, sich bewahrheitete. Vermutlich hatten sie ihr Schiff ganz aufgegeben. Eine seltsame Melancholie ergriff von Naruto Besitz. Ihm kam der Gedanke, dass, solange sie hier aneinander gefesselt waren, sie sich nicht verdächtigen mussten.

Das Messer, das Sasuke irgendwann nach einigen Verrenkungen aus dem Hosenbund zog, zerschnitt diese Illusion. Zuerst befreite er sich selbst und streckte sich ausgiebig, ehe er die Klinge weiterreichte. Als sie alle befreit waren und ihre schmerzenden Glieder streckten, beschlossen sie, zunächst Nejis Habseligkeiten zu untersuchen.

Sie fanden die Truhe, von der Kiba gesprochen hatte, in Nejis Kajüte, einer derjenigen, deren Wände von den Riffen zerschmettert worden waren. Es war ein wuchtiges, eisenbeschlagenes Ungetüm und roch geradezu nach Geheimnissen. Das Schloss war ebenso widerstandsfähig, und Naruto befürchtete, Sasuke würde eher sein Messer zum Zerbrechen bringen.

„Soll ich sie aufsprengen?“, fragte Deidara.

„Witzbold“, knurrte Sakura.

„Neji muss doch einen Schlüssel gehabt haben“, überlegte Tenten, aber um nichts in der Welt wollte Naruto dessen Leiche zu nahe kommen. Vielleicht, dachte er, würde sich der Ekel, den er bei dem Gedanken empfand, irgendwann im Laufe dieses Abenteuers verlieren, wurde er doch schon geringer.

In dem Moment schaffte es Sasuke wie durch ein Wunder tatsächlich, das Schloss aufzubrechen. Neugierig scharten sich die sieben um die Truhe.

Irgendwie war der verrückte Gedanke in Narutos Kopf aufgeflammt, Neji könnte den Schatz schon geborgen und die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt haben. Die ganze Reise war so verrückt, dass er sich kaum gewundert hätte. Allerdings waren das keine funkelnden Ringe, kein blitzendes Gold und keine teuren Juwelen, die unter dem schweren Deckel verborgen lagen. Im Gegenteil, die Ausbeute war fast langweilig. Decken, Kleidung zum Wechseln, Seife, medizinische Kräutermischungen, das meiste durchnässt von dem Wasser, das in die Truhe gedrungen war. Fast gewöhnliches Reisegepäck, wie es die meisten von ihnen mitgebracht hatten. Unter einem Regenmantel fand Sasuke schließlich etwas Erfreuliches: eine Pistole mit vergoldeten Verzierungen, allerdings ohne Munition. Grimmig nahm er sie an sich, und niemand hatte etwas dagegen einzuwenden.

„Warum hat er die nicht bei sich getragen?“, fragte Tenten verwundert.

„Er hatte eine andere, gestern“, sagte Sakura, die sich an die Waffe erinnerte, die Deidara ihm gegeben hatte – und die sich nun wieder im Besitz der Piraten befand. Und es war eine modernere gewesen, keine einfache Faustbüchse wie diese hier. Naruto kam die Pistole außerdem eher wie ein Schmuckstück vor, so wie die königlichen Soldaten bei Paraden ihre Zierdegen schwenkten.

Sasuke hatte indessen weitergegraben und eine Schatulle vom Boden der Truge zutage gefördert. Er klappte sie auf und fand etliche Papiere und ein kleines Büchlein darin. Als er die Augen über den Text gleiten ließ, stieß er einen Pfiff aus.

 

Die dritte Nacht beginnt. Mir ist der Gedanke gekommen, dass die Werwölfe eigentlich fast zuletzt erwachen sollten. Chronologisch gesehen macht das schließlich mehr Sinn. Ich lasse also die Seherin zuerst erwachen.

Als Naruto eine leichte Berührung an seiner Schulter spürte, überlief ihn eine Gänsehaut. Volltreffer. Seine Hände klammerten sich fester an seine Karte, und er schlug die Augen auf. Er war der Seher-Lehrling, und der Seher-Lehrling nahm das Amt der Seherin ein, wenn diese starb. Das bedeutete, dass Neji tatsächlich die Seherin gewesen war. Er hatte ihn nicht umsonst geopfert. Streng genommen konnte auch Kimimaro die Seherin gewesen und schon letzte Nacht gestorben sein, doch das war sicher zu viel des Zufalls.

Er sah sich um. Sphinx‘ Gesicht war wieder eine perfekte Maske, aber Naruto interessierte sich ohnehin mehr für seine Mitspieler. Seine Gedanken rasten. Neji war die Seherin gewesen, und er hatte Sakon letzte Nacht als Werwolf gesehen. Damit war das Spiel eigentlich so gut wie gewonnen. Nun musste er nur noch die anderen davon überzeugen, dass er die neue Seherin war und sie Neji vertrauen konnten … Also war es im Grunde egal, wessen Identität er aufdeckte. Wahllos zeigte er in eine Richtung.
 

- Schiffbruch, dritte Nacht -

 

Neugierig nahm Naruto das größte Dokument in die Hand. Sofort war ihm klar, was Sasuke erstaunt hatte. Von Zeile zu Zeile konnte er weniger glauben, was er las. „Marine“, murmelte er. „Admiral … Sonderauftrag … Im Namen der Krone … und da unten ist das Siegel des Gouverneurs.“

„Was heißt das?“, fragte Lee. „Ich dachte, er wäre ein Forscher oder so etwas?“

„Da hat er uns ganz schön angeschmiert, hm“, stellte Deidara fest. „Hier steht, dass er zur Marine gehört. Der Kerl ist ein ranghoher Offizier!“

„Wenn man dem Schriftstück Glauben schenkt“, räumte Sasuke ein.

Für Naruto gab es keinen Zweifel. Er hatte Neji von Anfang an vertraut. Und er vertraute dem Gouverneur, dessen Posten er unbedingt erreichen wollte. Von der Krone abgesegnet und vom Gouverneur in Auftrag gegeben … Neji konnte auf keinen Fall ein Wolfspirat gewesen sein. Wenn dem so wäre und diese Mörderbande schon die höchsten Persönlichkeiten auf ihre Seite gezogen hatte, wären all seine Hoffnungen und Ideale zunichtegemacht. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als an die Echtheit der Dokumente zu glauben. Selbst wenn es sonst niemand tat. Neji war einer der Guten gewesen.

„Hier steht, dass er dazu auserwählt wurde, diese Insel zu untersuchen. Offenbar hat die Krone …“ Sasuke verstummte. Seine Stirn durchzogen plötzlich Falten.

„Was?“, fragte Naruto.

„Lies es selbst“, murmelte der Abenteurer tonlos und reichte ihm zwei weitere Papiere.

Das eine Schriftstück war eine Art Brief, das Neji in jedem Hafen in königlichem Besitz vollste Handlungsvollmacht einräumte. Sogar ein Grund war angegeben. Ermittlung gegen die Piraterie. Das zweite war aufschlussreicher. Darin wandte sich der König persönlich an Neji und wies ihn an, auf genau diese verfluchte Insel zu fahren. Der Glaube an den Schatz ist wie eine Mückenfalle für Piraten. Wenn wir etwas über die Wölfe der See herausfinden wollen, ist dies der ideale Ort. Es sind genügend Karten im Umlauf, um sämtlichen Abschaum der Weltmeere dorthin zu locken. Wer immer dorthin fährt, ist verdächtig. Ich möchte eine genaue Liste.

Narutos Herz begann zu pochen, als er länger über diese in wunderschöner Zierschrift geschriebenen Worte nachdachte. Man konnte sie auf zwei Arten interpretieren. Entweder wusste die Krone von dem Schatz, hielt ihn aber für ein Ammenmärchen und für eine gute Methode, die Wolfspiraten ausfindig zu machen. Oder aber – und alles in Naruto sträubte sich dagegen, es in Erwägung zu ziehen – der Schatz war eine Erfindung der Royals und sie alle hatten sich für nichts und wieder nichts in Lebensgefahr begeben.

„Wir können es nicht ausschließen“, sagte Sasuke, „aber falls Neji ein Wolf sein soll, hat er sich sehr viel Mühe gegeben, eine Dreifachidentität aufzubauen.“ Er hatte in dem Buch gelesen, das noch in der Schatulle gewesen war, ein Reisetagebuch offenbar. Naruto fürchtete sich fast davor, einen Blick hineinzuwerfen.

Es waren sämtliche Namen von Nejis Mitreisenden verzeichnet. Bei Lady Inos Namen hatte er vermerkt: Wolfspirat? Daneben stand tot, genau wie neben Kapitän Kakashis Namen. Selbst die Crew des Knochenmannes hatte er aufgelistet. Weiters waren sehr genau die Ereignisse während der Herfahrt und auf der Insel vermerkt. Neji musste den letzten Eintrag erst letzte Nacht verfasst haben.

„Ein Spitzel der Krone“, meinte Deidara säuerlich. „So viel dazu, dass wir ihm vertrauen können.“

„Aber gerade das beweist es doch!“, sagte Naruto impulsiv.

„Tut es nicht. Die Krone und der Gouverneur sind doch allesamt Mistkerle, hm.“

„Das ist nicht wahr!“ Sicher gab es Missstände, aber jeder Regierung war daran gelegen, Piraten zu fangen, oder etwa nicht?

„Wie auch immer“, sagte Sasuke gedehnt. „Er ist tot.“

„Wir sind so weit wie vorher“, meinte Kiba.

„Nicht ganz“, sagte Naruto mit fester Stimme. „Ich glaube, dass Neji die Wahrheit sagt. Er hat herausgefunden, dass Ino eine Wolfspiratin war. Und heute Morgen hat er Sakon verdächtigt.“

„Vielleicht wollte er auch nur seine Crew gegen ihn aufbringen“, meinte Tenten. „Und es ist ihm ja auch fast gelungen. Leider nur fast.“

„Ist doch egal, wen er verdächtigt hat“, murrte Kiba. „Vielleicht irren wir uns ja alle und die Wolfspiraten sind gar nicht hier. Aber da sind andere Piraten, und die machen mir momentan mehr Sorgen.“

„Stimmt“, bekräftigte Sasuke. „Die sollten wir loswerden.“

„Aber Jiroubou hat uns seine Hilfe angeboten, wenn wir die Wölfe in seiner Crew enttarnen“, gab Sakura zu bedenken. „Lasst sie uns heute Nacht ausspionieren.“

„Wozu?“, fragte Tenten. „Sie werden kaum so dumm sein, sich jetzt noch gegenseitig zu töten. Wenn, dann haben sie es auf uns abgesehen. Und wir sind keine Gefahr für sie. Vermutlich ist der Spuk so oder so zu Ende.“

„Du vergisst da etwas, Schätzchen.“ Deidara hatte die Arme verschränkt und nickte in Richtung der Dokumente. „Da steht, dass es den Schatz gar nicht gibt. Was, glaubst du, machen die mit uns, wenn wir ihnen nicht bald ein bisschen Gold ausgraben?“

„Es ist nicht gesagt, dass es den Schatz nicht gibt“, meinte Naruto vorsichtig, aber vermutlich sprach nur die Hoffnung aus ihm. Es ging auch niemand darauf ein.

„Wir sollten nochmal mit Jiroubou sprechen“, überlegte Sakura. „Er scheint mir recht vernünftig für einen Piraten. Wir zeigen ihm Nejis Aufzeichnungen und erklären ihm unseren Standpunkt.“

„Und er wird dann fröhlich mit uns in See stechen, ohne irgendetwas erbeutet zu haben“, spottete Deidara. „Träum weiter. Außerdem hatte ein gewisser Jemand die schlaue Idee, es so einzurichten, dass die Piraten nur gemeinsam von hier wegkommen.“

„Angenommen, Neji hat recht und Sakon ist ein Wolf. Jiroubou verdächtigt ihn ohnehin“, sagte Sakura. „Sie schlafen getrennt, hat er gesagt. Wenn wir Jiroubou einen konkreten Beweis bringen könnten, würde er sicher etwas gegen Sakon unternehmen.“

„Und dann? Wir kommen immer noch nicht von dieser Insel fort, hm.“

„Wir könnten Sakon foltern, damit er uns verrät, wo er seinen Teil von dem Sextanten versteckt hat“, schlug Sasuke vor.

„Hast du denn gar kein Gewissen?“, rief Naruto empört.

„Willst du hier nicht auch wegkommen?“

Eine Weile schwiegen sie. Man hörte nur das Gluckern des Wassers, irgendwo unter ihnen.

„Also schön“, seufzte Tenten plötzlich. „Wir müssen etwas tun, bevor der Tag anbricht, und wenn wir morgen wieder graben sollen, wäre ein wenig Schlaf auch nicht schlecht. Teilen wir uns doch einfach auf und erkunden wir die Insel. Und wenn es nur deswegen ist, um herauszufinden, was die Piraten treiben. Ich vertraue Jiroubou nämlich auch nicht wirklich.“

„Gute Idee“, fand Deidara. „Ich kann es kaum erwarten, von euch unentschlossenen Kleinkindern fortzukommen, hm.“

„Schlechte Idee“, widersprach Sasuke. „Keiner sollte allein unterwegs sein. Vielleicht haben wir auch noch einen Wolf unter uns.“ Er musterte alle mit bohrendem Blick. „Dann erhält der einen Freibrief, die anderen anzugreifen.“

Naruto seufzte. „Und was sollen wir dann stattdessen tun? Wenn wir komplett auf dem Holzweg sind, gibt es noch vier Wölfe.“

Sasuke überlegte nicht lange. „Wir gehen zu zweit. Die Insel in Dreiergruppen zu durchkämmen dauert zu lange. Zwei Wölfe in einer Gruppe können zwar ebenfalls morden, wie sie wollen, aber es ist unwahrscheinlicher, dass tatsächlich zwei in einer Gruppe landen. Und wenn einer von uns allein zurückkommt, können die anderen davon ausgehen, dass er ein Wolf ist und seinen Partner getötet hat. Es bleibt ein Restrisiko, aber ohne etwas zu wagen, gewinnen wir nichts.“

Sie wägten noch eine Weile das Für und Wider ab, ehe sie Sasukes Plan zustimmten. Einer würde trotzdem zwangsläufig allein bleiben. Das Los entschied, dass es Kiba sein sollte. Zu Narutos Erleichterung gingen die anderen nicht so weit, ihn zu fesseln, um ihn daran zu hindern, auf eigene Faust loszuziehen. Deidara sollte mit Tenten gehen, Sakura mit Lee, der darüber sehr erfreut war. Er selbst wurde mit Sasuke in eine Gruppe gesteckt, was ihm überhaupt nicht schmeckte, aber er wollte nicht derjenige sein, der eine neue Verteilung verlangte.

Als sie sich an Land kämpften und in drei verschiedene Richtungen loszogen, stand der Mond hoch am Himmel. Gegen den hellen Sand sah Naruto, dass jede der dunklen Gestalten größtmöglichen Abstand zu ihrem Partner hielt. Unwillkürlich dachte er daran, dass sie sich mittlerweile genauso paranoid verhielten wie die Piraten, und kurz wünschte er sich, wieder gemeinsam mit den anderen gefesselt zu sein, unschuldig und unverdächtigt.

 

Schuld und Unschuld


 

~ 12 ~

 

Das Lagerfeuer war schon von weitem zu sehen. Sie hatten seine Schein nach nur einer halben Stunde Fußmarsch entdeckt. Auf dem weichen Sandstrand, wo er die Umgebung gut beobachten konnte, lagerte einer der Piratencrew.

Naruto wurde ganz mulmig zumute. Das Messer wäre ein schwacher Trost gewesen, doch das hatten sie Kiba gegeben, der alleine hatte zurückbleiben müssen. Sasuke hatte vorgeschlagen, sich durch das Dickicht zu schlagen und sich von der Innenseite der Insel her zu nähern. Hinter den letzten Palmen hielten er und Naruto an, drückten sich gegen die Stämme und spähten auf den Strand.

Der Wind kam vom Meer und wehte Stimmen zu ihnen herüber. Es waren mindestens zwei Gestalten, die dort auf Treibholz saßen und sich unterhielten. Naruto wurde ein seltsames, dunkles Gefühl nicht los, dass dort irgendwas im Gange war. Hatten die Piraten nicht beschlossen, einander nicht mehr zu trauen? Hatte Jiroubou recht gehabt und das da waren Sakon und Tayuya, die etwas ausheckten?

Obwohl er wusste, dass es gefährlich war, duckte sich Naruto und robbte sich bäuchlings über den Sand. „Was machst du da, Idiot?“, zischte Sasuke, doch er hörte nicht auf ihn. Er musste herausfinden, wovon sie sprachen. Neji hätte es sicher auch so gemacht. Naruto betrachtete den Admiral als Freund. Er würde kein schlechtes Licht auf ihn fallen lassen und beweisen, dass er recht gehabt hatte!

Er war sicher gut im hellen Sand zu erkennen, aber mit etwas Glück verhinderte das flackernde Feuer, dass die Piraten allzu gut sahen. Mit angehaltenem Atem zog er sich hinter eine Düne und spähte über deren Kamm. Er konnte die beiden nun verstehen – und auch erkennen.

Er hatte sich geirrt. Nicht Sakon und Tayuya saßen da, sondern Kidoumaru und Jiroubou. Beide spielten mit ihren Waffen, dass es geradezu nach Misstrauen stank. Über ihnen funkelten Sterne, und sie sahen aus wie zwei einsame Gestrandete. Als wären sie harmlose Opfer der Gezeiten und nicht die Schrecken der Meere. Sachte rauschten die Wellen.

Eben schüttelte Kidoumaru den Kopf. „Du musst echt einen Sonnenstich haben. Das Gerede über die Wolfspiraten ist doch Seemannsgarn.“

„Seemannsgarn, das so dick ist wie ein Seil.“

„So dick wie du, meinst du?“, spottete Kidoumaru und lachte leise in der Nacht. „Nein, mal im Ernst. Dass Tayuya und Sakon Wölfe sein können, ist doch nur ein Verdacht, oder?“

„Neji war sich sicher.“

„Neji? Der Kerl, den wir erschossen haben? Ich glaube keinen Leichen.“ Kidoumaru stand auf und putzte sich den Sand von den Klamotten. „Ich finde das alles hier nur lächerlich. Die Gefangenen haben euch einen Floh ins Ohr gesetzt, damit wir uns gegenseitig bekriegen. Dieser verdammte Sasuke ist ihr Rädelsführer. Wenn du jemanden verdächtigen willst, dann ihn. Aber ich halt‘ mich da raus. Gute Nacht.“

Naruto zuckte zusammen, als Kidoumaru sich zum Gehen wandte, aber er folgte dem Strand und kam nicht mal in die Nähe seiner Düne – allerdings ließ er den Blick einmal in seine Richtung schweifen. Naruto blieb fast das Herz stehen. Für einen Moment war er fest davon überzeugt, dass der Pirat ihn entdeckt hatte.

Dann aber wandte sich Kidoumaru plötzlich wieder an Jiroubou. „Sag mal … stimmt es, dass die beiden allein mit Kimimaro waren, kurz bevor er gestorben ist?“

Der dicke Pirat nickte.

„So, so. Hm.“ Kidoumaru schien zu überlegen. „Weiß du, ich habe genug von diesen ewigen Verdächtigungen, und Sakon hat damit angefangen. Wegen ihm sitzen wir hier in dieser lächerlichen Lage und können uns nicht mal aufs Schiff wagen. Wenn wir auf der Rückreise sind, was hältst du davon, wenn wir uns auch zusammentun?“

„Du willst meutern?“

Kidoumaru lachte. „Allein, was du mir eben alles erzählt hast, ist schon halb Meuterei.“

„Ich habe noch keine Beweise, dass Sakon und Tayuya wirklich Wölfe sind.“

„Dann sieh zu, dass du an welche rankommst. Ich mag dich, mein Dicker. Mehr jedenfalls als die anderen zwei. Lass uns zusammenhalten, wenn’s hart auf hart kommt, ja?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte Kidoumaru weiter.

Ihm zu folgen wäre sehr riskant gewesen. Vielleicht tat das Sasuke ja. Naruto würde hier warten und den Mann beobachten, der es von allen Piraten angeblich am mildesten mit ihnen meinte. Obwohl ihn der Sand juckte und ihm Kälte in die Glieder kroch, harrte er aus.

Jiroubou starrte noch eine ganze Weile in die Flammen. Dann löschte er das Feuer mit Sand aus und wickelte sich in eine Decke ein, dass er aussah wie eine weitere Düne. Er schien zu schlafen. Naruto zwang sich, die Augen offenzuhalten, aber es sah nicht aus, als hätte der Pirat in dieser Nacht noch ein krummes Ding vor.

Als sich erste Spuren von Morgenrosa zeigten, schlich Naruto zu Sasuke zurück, der immer noch bei den Bäumen wartete und sichtlich wütend aussah. „Was sollte das? Willst du dich auf einem Silberteller präsentieren?“, fragte er.

„Nein. Ich wollte was Nützliches erfahren, nicht nur in der Gegend rumstehen wie du.“

„Und?“

Naruto grinste vielsagend.

 

Sphinx hielt schweigend eine Dorfbewohner-Karte in die Höhe. Naruto nickte, und Sphinx ließ ihn wieder schlafen und die anderen Spieler drankommen.

Jiroubou war also unschuldig. Sphinx würde der Seherin nicht offenbaren, ob er ein spezieller Dorfbewohner war wie die Hexe oder der Jäger, nur, ob es sich um einen Werwolf handelte. Aber das reichte. Naruto beschloss, es wie Neji zu machen und seine Karten offen auf den Tisch zu legen. Dann würde ihm Jiroubou auch beistehen.

Hoffentlich.

 

„Wieder wird es Tag, der dritte in diesem Spiel. Ein neues Opfer wird gefunden. Wir kommen voran.“
 

- Schiffbruch, dritter Tag -
 

Naruto und Sasuke waren die Letzten, die beim Schiff ankamen, aber da die Sonne kurz vor dem Aufgehen war, wunderte ihn das nicht. Eigentlich hatte er auch kaum noch Energie, um sich über irgendwas zu wundern – auf dem Weg zurück hatte er unablässig gegähnt, und wenn er gekonnt hätte, wäre er im Gehen eingeschlafen.

Als er sich endlich den letzten beschwerlichen Meter über den Mast hochgearbeitet hatte, begriff er zunächst gar nicht, was sich vor seinen Augen abspielte. Zuerst dachte er, alle hätten sich um Nejis Leiche versammelt, die ihn in seiner jetzigen Verfassung auch nicht mehr abschreckte. Dann erkannte er seinen Irrtum. Es war nicht länger Neji, der dort vor dem Fockmast lag.

 

„Und das Opfer dieser Nacht ist Kiba. Der Bürgermeister führt die Abstimmung.“

„Na toll“, murmelte der Betreffende. „Vielen Dank auch.“ Er stand auf und ging.

 

„Kiba?“, murmelte Naruto. Träumte er jetzt schon? War das Kiba?

„Was ist hier los?“, fragte Sasuke und drängte sich in die Reihe der Schaulustigen.

„Gute Frage“, sagte Deidara. „Ich würde sagen, dein Plan ging nach hinten los.“

Nach und nach sickerten die Bilder in Narutos Bewusstsein. Kiba lag mit durchgeschnittener Kehle vor dem Mast. Von Neji war nichts mehr zu sehen. Eine Blutspur führte von der Reling bis zu der Lache, die sich unter ihm ausgebreitet hatte. Soweit Naruto das erkennen konnte, war sie nicht allzu frisch.

Sasuke musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen und schwieg eine Weile. „Und er ist wirklich tot?“

„Sieht er für dich etwa lebendig aus?“, rief Tenten. „Wir hätten uns gleich denken können, dass die Wölfe es auf denjenigen abgesehen haben, der allein zurückbleibt!“

„Stimmt“, sagte Sasuke nur. „Wer hat ihn gefunden?“

„Diese beiden hier“, murmelte Sakura und deutete auf Tenten und Deidara.

Letzterer zuckte mit den Schultern. „Wir waren einfach die Ersten, die zurückgekommen sind. Da lag er schon so da. Das Messer ist übrigens verschwunden.“

„Sag jetzt bloß, du gibst uns auch die Schuld daran?“, fragte Tenten erregt, als Sasuke wieder schwieg. Offenbar hatten Sakura und Lee sich schon ihre Gedanken gemacht.

Naruto hatte die Nase voll von weiteren Schuldzuweisungen. Er fühlte sich müde und elend. Er hatte gedacht, er würde den anderen nützliche Informationen bringen. Dass wieder jemand sterben würde … Er hätte es ahnen müssen. Schließlich war diese Insel verflucht. Fing er nun auch schon an, diesen Unsinn zu glauben?

„Keiner hat euch beschuldigt“, wiegelte Sakura ab. „Wir haben nur gesagt, dass ihr eine Gelegenheit gehabt hättet. Das hätten wir aber alle.“

„Von mir aus. Können wir dann vielleicht endlich unter Deck gehen? Ich hab’s satt, überall nur Blut und Leichen zu sehen!“, stieß Tenten hervor und raufte sich die Haare. Sie schien mit den Nerven am Ende, was nach der durchwachten Nacht kein Wunder war.

Sasuke begutachtete noch das Deck, als Naruto bereits nach unten taumelte. Im Mannschaftsraum, in dem nun wesentlich mehr Platz war als das letzte Mal, hockten sie sich auf die Hängematten oder einfach nur auf den Boden.

„Es hat also niemand von euch den Mörder gesehen?“, fragte Sasuke rhetorisch. Vier Köpfe, die geschüttelt wurden. „Und Deidara und Tenten haben Kiba gefunden. Wann?“

„Vor drei Stunden. Höchstens“, sagte der angebliche Kunstliebhaber. „Wir haben ihn so gelassen, wie wir ihn vorgefunden haben. Am Ende hätte jemand von euch gesehen, dass wir ihn zudecken wollen oder so. Dann hättet ihr uns auch beschuldigt, oder?“

„Das tun sie doch sowieso“, stöhnte Tenten. „Kommt schon, verpfeift uns an die Piraten, damit wir das lustige Spiel mit den Pistolenkugeln heute auch wieder spielen können.“

„Ich beschuldige euch nicht“, sagte Sasuke so ruhig, dass die Waffenhändlerin ihn fragend ansah. „Das war ein typischer Wolfspiraten-Mord, und ich glaube nicht, dass die Wolfspiraten so dumm sind, jemanden umzubringen und dann bei seiner Leiche zu warten.“

Tenten atmete auf.

„Da ist was dran“, sagte Deidara.

„Warum seid ihr überhaupt bei ihm geblieben? Ihr hättet auch wieder gehen und jemand anderes die Leiche finden lassen können“, fragte Sakura.

Naruto fiel auf, dass es ihnen allen schon wesentlich leichter fiel, sachlich über die Toten zu reden. Vermutlich war die Müdigkeit nicht ganz unschuldig daran.

„Der Gedanke ist uns eben nicht gekommen, hm. Hättest du es denn so gemacht?“, fragte Deidara lauernd.

Sakura verzog das Gesicht. „Ich hätte euch bestimmt nicht über so etwas angelogen. Außerdem hätte mich auch jemand sehen können, wie ich das Schiff wieder verlasse.“ Sie sah Sasuke abschätzend an. „Kann es nicht auch sein, dass die Wolfspiraten ahnen, dass du diesen Schluss ziehen würdest, und dass sie deswegen absichtlich bei der Leiche bleiben würden?“

„Das kann natürlich auch sein“, sagte Sasuke und fiel dabei Tenten ins Wort, die auffahren wollte. „Vor allem, wenn sie mich schon ein bisschen kennen. Wovon ich ausgehe.“

„Wieso?“, fragte Deidara. „Du meinst, der Mörder befindet sich unter uns? Können es nicht auch die Piraten gewesen sein?“

„Die Piraten haben bisher all ihre Opfer erschossen. Kiba hatte ein Messer; warum sollten sie es riskieren, ihm im Nahkampf gegenüberzutreten? Wir hingegen haben keine Schusswaffen mehr. Und uns hätte Kiba auch an Bord gelassen, ohne misstrauisch zu werden. Wenn man es genau nimmt, kann es jeder von uns gewesen sein.“

„Das heißt, auch du?“, hakte Deidara nach.

„Theoretisch, ja. Aber ich war die ganze Zeit mit diesem Idioten unterwegs. Zumindest ich weiß, dass ich es nicht bin. Und ich habe euch eben einen weiteren Grund gegeben. Hätte ich euch von diesem Gedankengang erzählt, wenn ich der Mörder gewesen wäre?“

„Du könntest es trotzdem getan haben, um uns davon zu überzeugen, dass du es nicht bist, hm.“

Naruto konnte ihnen nicht mehr wirklich folgen. Er wusste nur, dass sich das Gespräch im Kreis drehte und dass er am liebsten umfallen und schlafen wollte.

„Zumindest eines wissen wir“, sagte Sasuke. „Wer immer es getan hat, sie waren zu zweit. Es waren zwei Wölfe in einer Gruppe. Oder hat sich euer Partner irgendwann in der Nacht davongeschlichen?“

Die Abenteurer sahen einander an. Dann, plötzlich, rümpfte Sakura die Nase. „So in etwa“, sagte sie. Nun blickten alle zu ihr – und gleich darauf zu Lee, der sichtlich verfiel.

„A-aber Sakura …“, stammelte er. „Das war doch nicht … Du hast das falsch verstanden!“

„Ich wüsste nicht, was es da falsch zu verstehen gäbe.“

„Was soll das heißen?“, fragte Tenten. „Wart ihr zwei nicht gemeinsam unterwegs?“

„Am Anfang schon.“ Sakura warf ihr einen säuerlichen Blick zu. „Aber Lee scheint eine seltsame Vorstellung von Inselromantik zu haben.“

„Was soll das heißen?“, fragte nun auch Naruto. Lee schien zerfließen zu wollen.

„Verdammt, wie deutlich soll ich’s denn noch sagen?“, rief Sakura. „Er hat versucht, mich zu küssen, irgendwo zwischen stacheligem Gestrüpp und glitschigen Lianen!“

Naruto fiel die Kinnlade herunter.

„Aber du hast doch … Ich dachte, du …“, stammelte Lee.

„Ich habe nur gesagt, Ino hat mir einmal gestanden, dass sie einsame Inseln und Geschichten über Schiffbruch romantisch findet! Von mir war gar nicht die Rede!“

„Du machst da ja ein ganz schönes Drama aus einem einfachen Kuss, hm“, stellte Deidara trocken fest.

„Halt du den Mund! Dich hat ja kein zappeliger Affe mit daumendicken Augenbrauen attackiert!“, zischte Sakura spitz. Lee schien bald in Tränen auszubrechen.

„Beruhigt euch wieder“, rief Sasuke die anderen zur Ordnung. „Und danach habt ihr euch getrennt.“

„Kann man so sagen. Ich habe ihm eine Ohrfeige gegeben und bin alleine weitermarschiert“, sagte Sakura schnippisch.

„Was dich zur Hauptverdächtigen macht“, schloss Sasuke.

„Wieso?“, fragte sie empört. „Was hättest du getan? Außerdem bin ich tiefer in den Wald gegangen.“

Sasuke konnte nichts erweichen. Naruto glaubte jedoch nicht, dass Sakura die Schuldige war. Ihr Verhalten kam ihm richtig vor.

„Sakura war es nicht“, platzte Lee – ausgerechnet Lee – heraus. „Sie würde so etwas nicht tun. Vielleicht bin ich in jugendlichem Übermut zu weit gegangen, aber ich würde mich nie in eine Mörderin verlieben!“

Die Liebeserklärung, falls sie noch nötig gewesen wäre, kam ihm ebenfalls überaus leicht über die Lippen.

Sasuke seufzte und massierte sich die Nasenwurzel. „Ich fasse zusammen. Die Mörder sind entweder Naruto und ich, was Unsinn ist, oder Deidara und Tenten, oder Sakura, oder Lee. Sofern auf dieser Insel nicht mehr Wölfe als Schafe sind, gibt es nur diese vier Möglichkeiten.“

„Vielen Dank, dass du das so schön für uns aufgeschlüsselt hast“, sagte eine gut gelaunte Stimme von der Tür her. Sakon stand im Gang, neben ihm die anderen drei Piraten. Wieder einmal waren sie bis an die Zähne bewaffnet. Natürlich, sie wollten ja bei Sonnenaufgang zurückkommen, um ihre Gefangenen abzuholen. Naruto war mittlerweile alles egal.

„Sagt, soll der blutige Leichtmatrose an Deck eine Drohung oder eine Begrüßung sein?“, fragte der Piratenkapitän.

„Such’s dir aus“, sagte Sasuke halblaut.

„Wir sehen uns das gleich nochmal an. Ich hab was dagegen, wenn unter unseren Gefangenen ein gedungener Mörder steckt. Oder zwei. Marsch, an Deck!“

Naruto stemmte sich auf seine schmerzenden Füße hoch. Fast war es, als hingen sie in einer Zeitschleife fest, in der sie wieder und wieder gezwungen waren, sich vor den Piraten zu verantworten. Oder wollte Sakon sie einfach nur alle loswerden und suchte Gründe dafür?

 

Als er Kibas bleichen Leichnam erneut ansehen musste, wurde Naruto übel, und trotz seiner Müdigkeit zwang er sich, an dem, was kam, teilzuhaben.

Sakon. Sasuke hatte diese Möglichkeit nicht angesprochen, aber Sakon konnte ebenfalls der Mörder sein.

„Was hast du gesagt?“, fragte jener plötzlich scharf.

Naruto zuckte zusammen. Alle starrten ihn an. Er hatte offenbar vor Erschöpfung laut gedacht.

Hier stand er, umgeben von Gefährten, weniger Freunden als Mitleidenden, von denen vielleicht einer oder mehrere seine schlimmsten Feinde waren; mit Pistolen, die auf ihn gerichtet wurden, sein Leben auf Messers Schneide, seine Träume zerschmettert, und wahrscheinlich kam er nie wieder von hier fort. Da konnte er die Schlinge um seinen Hals auch genauso gut selbst zuziehen. „Neji war ein Marineadmiral im Auftrag der Krone“, murmelte er. „Den Schatz gibt es nicht. Und Sakon ist ein Wolfspirat, genauso wie Ino.“

Der Pirat sah ihn verwundert an, dann lachte er lauthals los. „Du gefällst mir. In meinem schlimmsten Dusel war ich nicht so verrückt wie du.“

 

„Ich mein’s ernst“, sagte Naruto und Sakon blieb das Lachen im Hals stecken.

„Ich dachte, wir hätten das schon das letzte Mal abgehandelt“, knurrte er. „Du willst mich ernsthaft erneut nominieren? Von mir aus. Dem Letzten, der das getan hat, hat’s schlecht bekommen.“

„Und das war ein Fehler.“ Naruto holte tief Luft. Sphinx amüsierte sich sicherlich königlich, also konnte er gleich noch ein Schäuflein nachlegen. „Neji war die Seherin. Ich weiß es, weil ich der Seher-Lehrling bin. Vorhin hat mich Sphinx angetippt, also bin ich jetzt die amtierende Seherin. Neji hat also die Wahrheit gesagt.“

„Du lügst“, sagte Sakon leichthin. „Ist es nicht ziemlich dumm, sich als Seherin zu outen?“

Naruto sah hilfesuchend in die Runde. „Die Überlebenden eines Spiels bekommen Punkte. Wir sollten also versuchen, mit so wenig Verlusten wie möglich zu überleben.“

„Bevor ihr auf dumme Ideen kommt“, warf Sphinx ein, „die Werwölfe bekommen im Verhältnis mehr, wenn sie gewinnen. In eurem eigenen Interesse solltet ihr alle mit vollem Einsatz spielen.“

„Ich weiß schon, was Naruto sagen will“, sagte Tenten. „Ich nominiere auch Sakon. Wir werden ja gleich sehen, ob er ein Werwolf ist.“

„Ich bin aber kein Werwolf“, sagte Sakon. „Ihr lyncht auf gut Glück. Ja, ich geb’s zu, es war eine blöde Idee, Neji zu lynchen. Hey, ich spiel das zum ersten Mal.“

„Und wen hast du als neue Seherin ausspioniert?“, fragte Sakura.

„Jiroubou“, sagte Naruto sofort. „Er ist kein Werwolf.“ Der Dicke nickte. Naruto hoffte, ihn damit gleichsam auf seine Seite gezogen zu haben.

 

„Jiroubou hat dich schon immer verdächtigt. Ich habe ihn heute Nacht beobachtet, er hat mit Kidoumaru darüber geredet, dass er dir misstraut. Er hat selbst Theorien aufgestellt, wer die Wolfspiraten sein könnten, und es klang für mich nicht so, als hätte er das nur getan, um den Verdacht von sich selbst abzulenken. Dann hat er geschlafen. Auf unserem Schiff ist währenddessen ein Mord passiert. Wir haben zwar geglaubt, dass jemand von uns die Täter sein muss, aber du kannst es genauso gewesen sein. Du könntest dich auf unser Schiff geschlichen und Kiba angegriffen haben“, behauptete Naruto.

Sakon hatte die Zähne zusammengebissen. Naruto schaffte es nicht, in seiner Miene zu lesen. Zwar fühlte er sich wie in einem belebenden Rausch, nun, da er alles auf eine Karte setzte, aber er brauchte seine ganze geistige Kraft, um die Flure, die seine Gedanken eröffneten, bis zum Ende zu durchschreiten.

„Wir haben doch schon darüber gesprochen“, sagte Sasuke unbeeindruckt. „Von den Piraten hätte keiner Kiba im Nahkampf herausgefordert. Red‘ dich nicht um Kopf und Kragen, du bist der einzige Unverdächtige.“

Du bist der Einzige, dem ich trauen kann, wollte Sasuke damit wohl sagen, war aber natürlich zu stolz dafür. Sasuke hatte ihn in den Dünen die ganze Zeit beobachtet. Er wusste, dass Naruto Kiba nicht getötet hatte … und deshalb glaubte er seine Theorien. Wahrscheinlich hätte er jetzt gerührt sein müssen.

„Du hast was vergessen, Sasuke“, sagte er und ballte die Fäuste. „Ich hab darüber nachgedacht, was ich tun würde, wenn ich gegen Kiba kämpfen wollte. Ich habe keine Waffe, also hätte ich ihn vielleicht um einen ehrlichen Zweikampf gebeten. Ich hätte gewollt, dass er das Messer wegwirft. Und da ist es mir eingefallen.“ Er atmete tief durch. „Sakon könnte mit der Pistole in der Hand auf Kiba zugekommen sein. Dann hat er ihn gezwungen, das Messer wegzulegen. Vielleicht hat er gesagt, er würde ihn nur fesseln wollen. Und dann hat er ihn mit dem Messer umgebracht und es aussehen lassen, als wäre einer von uns der Täter. Die Wolfspiraten wollen doch Zwietracht säen, oder? Darum gehen sie ja so geheimnisvoll vor!“

„Das klingt einleuchtend“, fand Tenten.

Sakura starrte ihn mit großen Augen an. „Naruto … Ich hätte nicht gedacht, dass du so gut kombinieren kannst.“

Er lächelte schwach und erwartete dabei, jeden Moment erschossen zu werden. „Vielleicht werden andere Teile meines Gehirns aktiv, wenn ich müde bin“, scherzte er.

„In deinem Gehirn wird gleich nie wieder etwas aktiv werden“, blaffte Sakon und spannte den Hahn seiner Pistole.

„Warte.“ Ein zweiter Hahn wurde gespannt. Jiroubou richtete seine Waffe auf Sakons Kopf.

„Hast du sie noch alle?“, entfuhr es dem Piratenkapitän. „Ich lass dich über die Planke laufen, du Verräter! Machst du etwa gemeinsame Sache mit denen?“

„Ich will nur meinen Kopf behalten“, erklärte der Pirat. „Ich glaube, du bist ein Wolf. Du hast den Kapitän getötet und willst dich durch uns andere metzeln. Du, und wahrscheinlich auch Tayuya.“

„Bist du verrückt?“, lachte die Rothaarige.

„Wenn das nicht so ist, dann zeig mal, auf wessen Seite du bist“, forderte Kidoumaru und richtete seine Waffe ebenfalls auf Sakon, auf dessen Stirn eine Ader zu pochen begann. Es war fast wie gestern mit Neji, nur dass diesmal wirklich ein Übeltäter bedroht wurde … Naruto begann wieder, Hoffnung zu schöpfen.

 

„Nun denn, Sakon, du hast wieder die Ehre, ein Urteil über dich selbst zu verlangen“, erklärte Sphinx.

„Also schön.“ Sakon rollte die Augen.  „Auf drei, und ich rate euch, für mein Überleben zu stimmen. Eins, zwei – drei!“
 

„Von mir aus. Mir liegt nichts an diesem Großmaul.“ Gleichgültig richtete Tayuya auch ihre Pistole auf Sakon.

„Wartet, ihr verdammten Feiglinge!“, keuchte Sakon. Naruto genoss es fast, ihn in der Klemme zu sehen. „Seht ihr nicht, dass ihr auf den ältesten Trick der Welt reinfallt? Die da wollen uns entzweien, genau so, wie es Wolfspiraten tun würden!“

„Wir sind doch längst entzweit“, sagte Jiroubou. „Das ist der Fluch dieser Insel.“

„Ohne mich kommt ihr hier nie fort!“, behauptete Sakon. „Ihr habt keine Ahnung, wo ich meinen Teil des Sextanten versteckt habe!“

„Den brauchen wir auch nicht“, flötete Kidoumaru. „Ich hab so ein kleines Zerwürfnis schon erwartet. Ich kann nur immer wieder betonen, wie dämlich ich dieses gegenseitige Misstrauen finde. Mal ehrlich – warum ist keiner von euch auf die Idee gekommen, dass der Kapitän dieses Schiffes auch einen Sextanten haben könnte?“

„Natürlich bin ich auf die Idee gekommen“, schnaubte Tayuya. „Ich hab in seiner Kajüte danach gesucht. Keine Ahnung, wo das Ding hingekommen ist. Da waren Lecks in der Wand, ich dachte, das Wasser hätte es rausgespült.“

„Falsch.“ Kidoumaru entblößte triumphierend die Zähne. „Ich war nur schneller als du. Die haben mich unter Deck eingesperrt, und dort hab ich mir ungefähr eine Vorstellung davon gemacht, wo die Kapitänskajüte ist. Als wir die Kerle am Mast angebunden und danach nach Proviant gesucht haben, bin ich schnurstracks dorthin gelaufen und hab den Sextanten gefunden, fein säuberlich in einer Schublade aufbewahrt.“

„Du hast …“ Sakon wurde weiß vor Zorn. „Das ist Meuterei, du verfluchter Schuft!“

„Und trotzdem hab ich keinem was angetan“, meinte Kidoumaru achselzuckend. „Du siehst, mich zu verdächtigen war unnötig.“

„Und mich?“, rief der Kapitän. „Wie wäre ich deiner Meinung nach von der Insel gekommen, wenn ich als ach so böser Wolfspirat meine gesamte Mannschaft umgebracht hätte?“

„Durch Folter“, sagte Sasuke nur.

„Ein königlicher Piratenjäger hat dich als Wolfspirat identifiziert“, sagte Sakura. „Du bist überführt.“

„Aber erschießt ihn nicht!“, rief Naruto, bevor jemand etwas Dummes tun kann. „Wir fesseln ihn und übergeben ihn in Port Fronda der Obrigkeit.“

„Wir sind Piraten, Kleiner“, sagte Tayuya. „So läuft das nicht.“

„Stimmt. So läuft das nicht“, knurrte Sakon, duckte sich blitzschnell und fasste die nächste Person ins Visier, die er erwischte. Sakura.

Narutos Schrei blieb ihm im Hals stecken, als der Schuss in seinen Ohren widerhallte.
 

Naruto zählte mit klopfendem Herzen die Daumen. Hoffentlich lief es nicht so ab wie mit Neji … Aber diesmal sah es gut aus. Er musste nicht einmal versuchen sich einzuprägen, wer welche Meinung vertrat: Jeder außer Sakon selbst stimmte für dessen Tod. Damit war es entschieden.

„Tut mir leid, Sakon“, erklärte Sphinx lächelnd.

„Ach, leckt mich doch alle.“ Sakon schleuderte ihm seine Karte entgegen, stand wütend auf und stapfte aus dem Therapiezimmer.

„Und? Was ist jetzt?“, wollte Tenten wissen. „War er ein Werwolf?“ Auch Naruto konnte die Spannung kaum ertragen. Er konnte sich gerade davon abhalten, seiner Karte nervös ein Eselsohr zu verpassen.

Sphinx betrachtete mit einem rätselhaften Lächeln Sakons Karte, als wüsste er es nicht ohnehin. Dann legte er sie bedächtig in die Schachtel, lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte sie alle mit verschränkten Armen. „Werwolf“, flüsterte er schließlich bedeutungsschwer.

Naruto fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte.

„Gut gemacht!“, rief Tenten und klopfte ihm auf die Schulter. Sasuke nickte ihm zu, selbst Tayuya runzelte als winziges Zeichen der Anerkennung die Stirn.

„Auf den Helden des Tages!“, rief Deidara. „Zwei von zwei Wölfen tot. So, her mit den Punkten, wir haben gewonnen. Ich will endlich wieder auf mein Zimmer und ein wenig Ruhe haben.“

Sphinx schenkte ihm ein teuflisches Lächeln. „Die vierte Nacht bricht an.

Narutos Glieder wurden plötzlich bleischwer. Wie vom Donner gerührt sah er ihren Spielleiter an. Wie bitte?

Wolfsgen


 

~ 13 ~

 

Wär doch schade um seine Munition gewesen“, sagte Tayuya und ließ den rauchenden Lauf sinken. Ihre Kugel hatte Sakon erwischt, ehe er hatte abdrücken können. Sakura öffnete die Augen und schien überrascht, dass sie noch lebte.

Tayuya hob Sakons Pistole auf und den Kapitänshut, der ihm vom Kopf gerutscht war. „Den nehme ich. Es hat doch niemand was dagegen? Damit meine ich vor allem unsere Meuterer-Bande“, grinste sie Kidoumaru und Jiroubou an.

„Das kommt ganz auf deine Führungsqualitäten an, Frau Kapitän“, grinste Kidoumaru zurück. „Mir ist es gleich.“

„Wunderbar.“ Sie setzte sich den Hut auf, bezeichnend mit Totenkopf und gekreuzten Knochen. „Steht mir gut, finde ich. Was sollte ich euch nun befehlen? Diese Plagegeister werden schließlich von Mal zu Mal aufmüpfiger.“

Naruto fühlte sich, als stürze er in ein bodenloses Loch. Da waren sie also hingeraten, indem sie seine Pläne befolgt hatten. So weit hatte er nicht vorausgedacht – aber vermutlich hatten sie von Anfang an keine Chance gehabt.

„Wie wäre es, wenn sie uns helfen, unser Schiff wieder flottzumachen?“, fragte Jiroubou.

„Zuerst möchte ich den Blonden hier noch was Wichtiges fragen“, sagte Tayuya. „Wie war das vorhin? Warum hast du gemeint, es würde unseren Schatz gar nicht geben?“

Naruto und Sasuke tauschten Blicke. „Wir zeigen es dir“, sagte der Abenteurer.

Unter Deck betrachteten die verbliebenen drei Piraten eingehend die Schriftstücke, die Neji bei sich gehabt hatte. „Das überzeugt mich nicht“, sagte Tayuya dann entschieden. „Hier steht nicht direkt, dass es den Schatz nicht gibt.“

„Mann kann es aber so interpretieren“, sagte Deidara und klang bedauernd.

„Man kann es auch so interpretieren, dass Schweine fliegen können“, schnaubte die Piratenbraut. „Wir gehen hier nicht eher fort, bis wir nicht die ganze verdammte Insel umgegraben haben! Marsch, an die Arbeit!“

 

Die Tortur vom Vortag wiederholte sich nicht nur, sie war schlimmer. Man brachte die Gefangenen wieder auf die Lichtung, wo sie gestern lediglich Gras ausgegraben hatte. Diesmal wurden sie nicht gefesselt, aber das machte es nicht besser. Keiner von ihnen hatte in der Nacht geschlafen, und das sah man ihnen an. Es war noch nicht mal Mittag, als Deidara wieder als Erstes ohnmächtig wurde. Naruto stand kurz davor. Er schaffte es kaum noch, seinen Spaten zu heben.

„Bei allen Klabautermännern“, fluchte Tayuya augenrollend. „Ihr seid die schwächlichsten Mickerlinge, die ich je gesehen habe.“

„Wenn ich das richtig verstanden habe, haben sie letzte Nacht alle kaum geschlafen“, sagte Jiroubou.

„Das ist mir egal. Sie sollen buddeln.“

„Aber sie nutzen uns mehr, wenn sie wieder ein wenig zu Kräften kommen.“

„Also gut, Fettwanst. Deine Mutterinstinkte haben ihnen das Leben gerettet. Wir machen Schluss für heute!“, verkündete Tayuya, und Naruto sank erschöpft auf die Knie und schlief mitten in der Grube, die er ausgehoben hatte, ein.

 

„Was soll das heißen, die vierte Nacht bricht an?“, fragte Deidara.

„Nicht reden“, sagte Sphinx mit einem gutmütigen Lächeln. „Schlafen.“

„Wenn du damit meinst, gute Nacht und schlaft schön, dann – von mir aus.“ Deidara stand auf und wollte zur Tür rausspazieren, aber Sphinx hielt ihn zurück.

„Niemand geht, solange das Spiel nicht zu Ende ist“, sagte er kalt.

„Aber das Spiel ist zu Ende! Wir haben den zweiten Werwolf enttarnt, oder nicht? Es gibt nur zwei Werwölfe!“

Sphinx schien jede Sekunde zu genießen. Naruto glaubte, dass er seine emotionslose Maske nur ablegte, um sie zu provozieren. „Genau genommen habe ich nur eine Werwolf-Karte ausgeteilt. Und eine Wolfsjunges-Karte. Sie zählen jedoch beide als Werwölfe, daher habe ich für die Sterbestatistik keine Unterscheidung gemacht.“ Er lächelte immer noch, aber in seinen Augen schien sich ein Rätsel zu verstecken.

Tenten war die Erste, die es zu entschlüsseln versuchte. „Wartet“, sagte sie tonlos. „Welche Karten waren noch mal im Spiel? Werwolf, Wolfsjunges, Hexe, Leibwächter, Jäger? Was noch?“

„Die Zaubermeisterin, der Günstling, die Lykanthropin und der Verfluchte“, sagte Sasuke. „Ich verstehe.“

„Was? Ich verstehe gar nichts!“ Naruto fühlte sich hilflos – und das, nachdem er eben noch eine recht gute Figur gemacht hatte.

„Sphinx macht keinen Unterschied zwischen Werwolf und Wolfsjunges“, sagte Sasuke düster. „Verständlich, er ruft in der Nacht auch immer ganz pauschal die Werwölfe auf.“

„Ja und?“

„Schau auf deine Regelkarte. Dann weißt du, warum das Spiel noch nicht vorbei ist. Es ist nicht ganz so einfach, wie wir geglaubt haben.“

Verwirrt musterte Naruto die Fähigkeiten, die auf der Karte aufgelistet waren. Dann ging ihm ein Licht auf. „Heißt das …?“

„Sphinx hat uns gelinkt“, sagte Tenten düster. „Oder eher, wir haben uns linken lassen. Die Lykanthropin sieht für die Seherin wie ein Werwolf aus. Kann es sein, dass auch der Spielleiter sie als Werwolf bezeichnet, wenn sie stirbt?“

Sphinx‘ Grinsen wuchs in die Breite. „Die Lykanthropin ist ein Dorfbewohner mit einem unterdrückten Werwolfsgen. Sie ist harmlos, sieht einem Werwolf aber zum Verwechseln ähnlich.“

„Das hättest du uns sagen sollen!“, klagte Naruto.

„Ihr hättet es euch denken können. Der Spielleiter ist nicht allwissend, er berichtet nur davon, was in dem Dorf vor sich geht.“

„Also war entweder Ino oder Sakon die Lykanthropin und somit unschuldig?“, fragte Jiroubou.

„Es könnte auch der Verfluchte gewesen sein“, murmelte Tayuya, die endlich richtig mitzuspielen schien. „Hier steht, dass der Verfluchte zum Werwolf wird, sobald sie ihn zum Opfer wählen. Dann gäbe es in Summe drei.“

„Aber dann hätte es eine Nacht ohne Opfer geben müssen, weil der Verfluchte von den Wölfen nicht getötet wird“, warf Sasuke ein. „Es ist aber jede Nacht jemand gestorben.“

„Aber es gibt genügend andere Karten im Spiel, die jemanden sterben lassen können“, sagte Sakura.

Sphinx schnippte ungeduldig mit den Fingern. „Hebt euch eure Mutmaßungen für den Tag auf. Ich möchte, dass ihr jetzt einschlaft. Ich sage es nicht noch einmal: Die Nacht bricht heran.

Gehorsam schlossen sie die Augen.

„Sehr gut. Und während ihr schlaft, könnt ihr überlegen. Das Opfer der letzten Nacht – Kiba – war übrigens kein Wolf, falls es euch interessiert. Nun denn, fangen wir an: Die Seherin erwacht als Erstes. Von wem möchtest du wissen, ob er Wolf oder Dorfbewohner ist?“

Für Naruto war das fast zu schnell gegangen – er hatte das Spiel schon gewonnen und seine Punkte sicher geglaubt. Und nun lag er auf dem Präsentierteller. Jeder wusste, dass er die neue Seherin war.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als einen Spieler auswählen, dessen Identität er noch nicht kannte. Auf sein Zeichen hin zeigte Sphinx ihm eine Dorfbewohner-Karte und schickte ihn wieder schlafen. Verdammt.

Ehe er sich den Launen der Werwölfe auslieferte, wie viele auch immer es noch geben mochte, verließen noch zwei Worte murmelnd seine Lippen, auch auf die Gefahr hin, dass Sphinx ihn bestrafte.

„Beschützt mich.“

 
 

- Schiffbruch, vierte Nacht -
 

 

Als er erwachte, war es fast völlig dunkel. Das war wohl kein Wunder – er wäre nicht mal überrascht gewesen, hätte er einen vollen Tag durchgeschlafen. Sterne standen noch keine am Himmel; es musste sehr später Abend sein. Erde klebte Naruto feucht und kalt an der Wange, und er drehte sich stöhnend herum. Als er erkannte, wo er lag, stemmte er sich in die Höhe. Dieses Loch kam ihm plötzlich wie sein Grab vor …

Er kletterte aus der Grube, weil seine Blase voll war. In der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen, außerdem waren seine Augen schlafverklebt. Es schienen noch andere direkt auf der Lichtung zu schlafen. Hoffentlich waren sie nicht tot … Was Sasuke gestern gesagt hatte, kam ihm wieder in den Sinn. Jeder von ihnen könnte genauso gut der Mörder sein. Nur weil Naruto eine Möglichkeit entdeckt hatte, dass auch Sakon Kiba getötet haben könnte, musste das ja nicht der Wahrheit entsprechen.

Am Rand der Lichtung sah er einen Gluthaufen glimmen. Wahrscheinlich hatten sich dort, in der Nähe der Bäume, die drei Piraten niedergelassen. Naruto wünschte sich, dass sie bald nur noch so wenige waren, dass sie sie überwältigen konnten. Da er abgelenkt war, stieß er mit dem Fuß gegen etwas Weiches, das daraufhin grummelte.

Lee lag da im Gras, schlief unter einer breiten Decke, die er wohl von den Piraten hatte. Also hatten sie auch den anderen gestattet, hier zu schlafen. Naruto stieg über ihn hinweg, verrichtete sein Geschäft am anderen Rand der Lichtung und tappte wieder zu dem Kreis aus schlafenden Körpern. Immer noch war er so verschlafen, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Als er erneut an Lee vorbeikam, blieb er stehen.

Lee und Sakura hatten sich gestern Nacht getrennt. Einer von ihnen konnte theoretisch ein Wolfspirat sein. Laut Sasuke traf das auch auf alle anderen zu, aber dann hätte deren jeweiliger Partner ebenfalls ein Wolf sein müssen, und Naruto war es lieber, nur einen seiner Gefährten zu verdächtigen. Ob Lee heute Nacht mit einer Wolfsmaske herumschleichen und jemanden töten würde? Gab es überhaupt noch Wölfe unter ihnen? Suchten sie sich jede Nacht ein Opfer aus? Und agierten sie immer alle gemeinsam?

Kurzerhand legte er sich auf Lees Decke, die breit genug für zwei war. Lee hatte sich so darin eingerollt, dass Naruto beide Enden zu Boden drückte. Sollte Lee heute Nacht aufstehen, würde er es merken. Mit diesem Gedanken schlief er wieder ein.

 

„Die Unruhestifterin erwacht. Möchtest du das Dorf am nächsten Tag etwas aufwiegeln? Ein Nicken reicht. Du schläfst wieder ein. Der Leibwächter erwacht. Er zeigt auf den Spieler, den er diese Nacht beschützen will … und schläft wieder ein. Die Zaubermeisterin erwacht. Von wem willst du wissen, ob er die Seherin ist? Ich gebe dir ein Zeichen. Die Zaubermeisterin schläft wieder.

Nun erwachen die Werwölfe. Sie wählen ihr heutiges Opfer. Sie umkreisen es, überlegen gut, ob es das richtige ist …Und sie schlafen wieder ein. Die Hexe erwacht. Ich zeige dir, wen die Werwölfe heute gewählt haben. Möchtest du einen Heiltrank einsetzen, um das Opfer zu retten, dann nicke. Oder du zeigst auf jemanden, den du vergiften möchtest. Vergiss nicht, dass du auch beides tun kannst, oder gar nichts davon. Und ihr anderen erinnert euch daran, dass ich die Hexe auch nach Gift- und Heiltrank frage, wenn sie das Jeweilige bereits verbraucht hat. Die Hexe schläft wieder ein.

Die Vöglein begrüßen den neuen Morgen in dem Dorf, das trotz all der Morde immer noch so gut schlafen kann.“

 
 

- Schiffbruch, vierter Tag -
 

 

Als ein ungehaltener Stiefeltritt ihn weckte, schlief Lee immer noch. Naruto streckte sich stöhnend. Jeder Knochen im Leib tat ihm weh, aber wenigstens war der Druck hinter seinen Augen verschwunden.

„Aufstehen, faule Bande“, schimpfte Tayuya. „Frühstück für alle, dann wird wieder gegraben!“

Das Frühstück bestand wieder aus Brot, das natürlich noch mehr verschimmelt war als das letzte. Die Schiffbrüchigen aßen auf der Lichtung zwischen Löchern und aufgehäufter Erde. Naruto stellte mit Erleichterung fest, dass in der Nacht nicht noch ein Mord passiert war. Vermutlich hatte er Lee Unrecht getan. Vielleicht hatte der Spuk endlich ein Ende.

Sogar das eine oder andere Gespräch kam auf, und Deidara hatte tatsächlich den Nerv, Tayuya eine Frage zu stellen. „Was tun wir, wenn es den Schatz wirklich nicht gibt?“

„Ihr solltet besser beten, dass es ihn gibt. Versuch nicht, dich vor der Arbeit zu drücken“, gab sie bitterböse zurück.

„Wir sollten uns aber darauf einstellen. Man kann nie wissen“, gab Jiroubou zu bedenken, während Deidara irgendetwas Abfälliges murmelte.

„Seit wann bist du der Kapitän, Fettwanst?“, schnauzte Tayuya ihn an.

„Ohne deine Autorität untergraben zu wollen, sie könnten recht haben“, sagte Kidoumaru. „Es ist und bleibt ein Glücksspiel.“

„Dann musst du ja einen Heidenspaß haben“, giftete Tayuya. „Nimm dir einen Spaten und acker mit. Du auch, Jiroubou. Es schadet dir gar nicht, dir ein paar Pfund abzutrainieren.“

„He“, maulte Kidoumaru beleidigt. „Wofür haben wir das Fußvolk?“

„Unser Fußvolk hat dummerweise an fähigen Armen eingebüßt. Ich zähle auf euch, Männer. Wenn wir den Schatz finden, teilen wir ihn durch drei, das muss Anreiz genug sein.“

Naruto ertappte sich dabei, wie er auf einen neuerlichen Piratenstreit hoffte, doch die beiden fügten sich. So arbeiteten sie zu acht weiter, während Tayuya sich mit einer Muskete in den Händen im Schatten der nahen Palmen räkelte.

 

„Siehe da – niemand ist gestorben.“

Naruto atmete wieder einmal auf. „Danke“, sagte er in die Runde. Es war klar gewesen, dass die Werwölfe ihn angreifen würden. Der Leibwächter musste ihn beschützt haben. Er besah sich noch einmal die Karte mit den Fähigkeiten. Der Leibwächter konnte niemanden in zwei aufeinanderfolgenden Nächten vor den Wölfen bewahren. Sie mussten heute also den letzten Werwolf finden. Wenn es denn der letzte war.

„Also, Seherin“, sagte Kidoumaru. „Mittlerweile hast du uns ja überzeugt. Wen hast du ausspioniert?“ So entspannt, wie er fragte, war er sicher kein Werwolf … Nein, Naruto kannte ihn nicht gut genug. Vielleicht konnte er auch gut schauspielern.

„Lee“, sagte er wahrheitsgemäß. „Er ist ein Dorfbewohner.“

„Dann bleiben noch Sakura, Tenten, Kidoumaru, Deidara, Tayuya und ich“, sagte Sasuke. „Es hat im Grunde nur Vorteile, dass wir wissen, wer von den Gelynchten tatsächlich Wölfe waren. Gehen wir das Ganze am besten strategisch an.“ Er schien entschlossen zu sein, sich zum Wortführer des Tribunals aufzuschwingen.

„Bevor ihr das tut, fehlt uns noch ein Bürgermeister“, sagte Sphinx belustigt. „Da der letzte überstürzt den Raum verlassen hat, ohne einen Nachfolger zu ernennen, machen wir es uns einfach.“ Er schnippte die Bürgermeisterkarte wieder in die Luft. Diesmal landete sie vor Tayuyas Füßen, die sie freudig aufhob.

„Das ist doch ein Witz, oder?“, maulte Tenten. „Ständig bekommt sie jemand aus dieser Ecke.“

„Sei nicht sauer, Süße“, meinte Tayuya. „Versuch einfach, mich zu töten, vielleicht hast du dann Glück.“

„Kannst du haben. Ich nominiere Tayuya“, sagte Tenten patzig.

„Nimm die Nominierung zurück“, sagte Sasuke ruhig.

„Was? Wieso?“

„Weil es kindisch ist. Wir müssen systematisch vorgehen, nicht nach Gefühl. Oder bist du ein Wolf, weil du wahllos nominierst?“

Tenten seufzte. „Schön. Ich ziehe die Nominierung zurück.“

Tayuya grinste. „Ich verzeihe dir.“

„Was hast du dir überlegt?“, fragte Deidara Sasuke.

Dieser schloss die Augen, wie um besser nachdenken zu können. „Wir können davon ausgehen, dass der Leibwächter Naruto beschützt hat. Vielleicht auch die Hexe, zur Sicherheit.“

Die anderen nickten. Niemand schien seine Identität preisgeben zu wollen, um nicht selbst ins Fadenkreuz zu kommen. Abgesehen davon, dass man sie auch verdächtigen konnte – immerhin konnte nur die Seherin annähernd nachweisen, dass sie ehrlich waren. Naruto wusste nicht, ob er und Neji sehr couragiert oder einfach dumm gewesen waren.

„Das heißt auch, falls die Hexe keinen Heiltrank mehr hat, haben wir in der nächsten Nacht ein Problem“, sagte Sakura. „Dann wird Naruto sterben. Also geben wir uns Mühe.“

„Richtig. Zuerst eine rhetorische Frage: Hat jemand einen konkreten Verdacht?“, fragte Sasuke, auch wenn eigentlich Tayuya das Dorftribunal leiten sollte. Als sich niemand meldete, sagte Sasuke: „Dann erzähle ich euch, was ich mir gedacht habe. Am ehesten finden wir den Werwolf, wenn wir uns an die vergangenen Tribunale erinnern und diejenigen herauspicken, die für das Überleben eines Werwolfs gestimmt haben. Natürlich können wir nicht mit Sicherheit sagen, dass jemand nicht nur aus einer Laune heraus den Daumen nach oben oder unten gestreckt hat.“ Er warf Tenten einen finsteren Blick zu.

„Hab’s verstanden, tut mir leid“, murrte sie.

„Einer der Verliebten würde auch nicht wollen, dass sein Partner stirbt“, wandte Sakura ein.

„Richtig, aber eine bessere Spur gibt es nicht. Nehmen wir die erste Abstimmung her. Ich kann mich erinnern, dass Tayuya recht schnell für Inos Tod gestimmt hat. Das hätte sie nicht getan, wäre sie auch ein Werwolf.“

„Vielleicht versteht sie ja auch die Regeln nicht“, überlegte Tenten scheinheilig. Tayuya schien sich schnell Feinde zu machen. „Oder Ino war die Lykanthropin, und die Werwölfe wussten das. Klar, dass sie dann für ihren Tod stimmen.“

„Das gilt für alle gelynchten Wölfe, also nehmen wir diese Möglichkeit auch aus der Rechnung“, entschied Sasuke. „Sakura, du hast für Inos Überleben gestimmt, oder?“

„Kann sein“, murmelte sie.

„Kann sein?“

„Das war gestern“, verteidigte sich Sakura. „Und das Spiel hatte gerade erst begonnen. Wir wussten quasi gar nichts.“

„Ich habe für Tod gestimmt. Wer hat sonst noch im Kopf, wie die Abstimmung verlaufen ist? Einstimmig war sie nicht“, sagte Sasuke.

„Ich habe auch für Inos Leben gestimmt“, gab Naruto zu. „Wie Sakura sagt, das Spiel hatte da gerade erst begonnen. Wir wären ja ebenso verdächtig, hätten wir für den Tod eines Dorfbewohners gestimmt, oder?“ Auch Lee outete sich, und sonst niemand mehr.

„Naruto ist die Seherin. Falls das nicht stimmt, passt meine Theorie hinten und vorne nicht. Die anderen merken wir uns. Zweite Abstimmung: Es ging um Sakon, dann um Neji. Tayuya, Jiroubou, Deidara, Tenten und ich haben damals für Sakons Leben gestimmt. Ich sage dazu, dass ich nicht überzeugt war, dass Neji die Seherin ist. Bedenkt man die Abstimmung danach, scheinen mehrere derselben Ansicht gewesen zu sein. Immerhin hat Naruto bestätigt, dass Jiroubou unschuldig ist. Viel bringt es uns also nicht weiter. Bei der zweiten Abstimmung gegen Sakon waren plötzlich alle gegen ihn. Wahrscheinlich waren die Werwölfe, die Zaubermeisterin und der Günstling so schlau, einen der ihren zu opfern, um ihre eigene Tarnung aufrechtzuerhalten.“

„Also bringt uns dein Gedankengang auch nicht weiter“, seufzte Sakura.

„Moment“, sagte plötzlich Tenten. „Wenn wir annehmen, dass Sakon die Lykanthropin war … davon wussten die Werwölfe nichts, oder? Nur die Seherin, die sich täuschen ließ?“

Sasuke nickte nur. Seine Überlegungen schienen in dieselbe Richtung zu führen.

„Worauf willst du hinaus?“, fragte Lee.

„Naja, es würde die ganze Rechnung umdrehen, oder nicht? Die Werwölfe würden natürlich gegen Sakon stimmen. Immerhin gehört er nicht zu ihnen, und es wird ein Unschuldiger gelyncht, was ihnen zugutekommt. Die Seherin macht dazu die anderen glauben, dass er ein Werwolf ist. Das würde erklären, warum zum Schluss jeder Einzelne gegen ihn war.“

Naruto ging ein Licht auf. „Aber das heißt ja …“

Sasuke nickte. „Das heißt, wir finden die Werwölfe am ehesten, wenn wir uns ansehen, wer für Sakons Tod gestimmt hat, bevor die Seherin die anderen von sich überzeugt hat. Mit anderen Worten, Sakons erste Abstimmung ist der Schlüssel. Und diejenigen, die ihn mit Freuden hätten tot gesehen, waren Neji, Sakura, Kidoumaru, Kiba und Lee.“

„Du hast dir das echt so genau gemerkt?“, fragte Naruto erstaunt.

„Im Gegensatz zu manchen anderen will ich hier rauskommen“, meinte Sasuke säuerlich.

„Neji hat sich als Seherin täuschen lassen. Kiba ist tot und unschuldig, also fällt er weg“, zählte Tenten auf. „Lee ist laut Naruto auch unschuldig. Bleiben nur noch Sakura und Kidoumaru.“

Sakons Kumpane zuckte mit den Schultern. „Ich wollte ihm nur eins auswischen.“

„Das glaube ich dir sogar.“ Sasukes Blick glitt zu Sakura. „Dein Name scheint in meiner Liste öfter auf, Sakura.“

„Das hat doch weder Hand noch Fuß“, wehrte Sakura ab. „Nur weil ich zu Beginn für Ino gestimmt habe …“

„Und du warst erstaunlich still, je näher wir dir gerade gekommen sind“, sagte Sasuke. „Ich nominiere dich.“

Naruto starrte Sakura an. Konnte Sasuke recht haben? War er überhaupt selbst unschuldig und wollte sie nicht nur mit verdrehter Logik in die Irre führen? Er wünschte sich, er hätte bei ihr nachgesehen.

„Sakura ist zu ehrlich, um ein Wolf zu sein“, behauptete Lee.

„Ja, wer’s glaubt“, knurrte Deidara. „Sasukes Theorie hat was für sich. Ich nominiere sie auch.“

„Dann wird abgestimmt“, sagte Tayuya und gab Sakura keine Gelegenheit, zu widersprechen. Diese hatte offensichtlich sowieso auf die Schnelle kein passendes Gegenargument parat. Tayuya zählte bis drei, und alle Daumen, bis auf Sakuras und Lees, zeigten auf Tod.

 

Sasuke buddelte neben Naruto. Er stemmte sich irgendwann auf seinen Spaten und sah Naruto unverwandt an, sodass diesem klar wurde, dass er ihm etwas zu sagen hatte.

„Hm?“

„Wer, glaubst du, gehört noch zu den Wolfspiraten?“, fragte Sasuke mit gedämpfter Stimme.

Naruto sah sich hastig um, aber die anderen waren in die Arbeit vertieft. Die Piraten unterhielten sich und sahen nicht in ihre Richtung.

„Was meinst du damit, wer noch? Es ist seit gestern nichts mehr passiert“, flüsterte Naruto.

„Bisher sind sechs Leute gestorben. Wir können wohl davon ausgehen, dass weder Kakashi noch der Knochenmann Wölfe waren. Und Kiba vermutlich auch nicht, dazu ist seine Geschichte zu vertrackt.“

„Ja, und?“

„Wenn wir Tenten glauben, könnten bis zu vier Wolfspiraten auf der Insel sein. Von den sechs Leichen waren höchstens drei von ihnen Wölfe, und das auch nur, wenn wir Glück haben und Neji sich nicht geirrt hat. Bleibt noch einer.“

Naruto schluckte. „Du glaubst, es gibt noch immer Wolfspiraten hier bei uns?“

„Es ist möglich. Wir sollten uns anstrengen und den letzten auch noch aus dem Weg räumen.“ Sasuke schippte wieder Erde, als wären seine Worte das Logischste auf der Welt.

„Du willst noch jemanden umbringen?“, fragte Naruto entsetzt. „Sind denn nicht schon genug Menschen gestorben? Ist dir der Schatz so wichtig?“

„Es geht nicht um den Schatz. Ich habe noch so einiges vor und werde daher garantiert nicht auf dieser Insel mein Leben aushauchen“, sagte Sasuke überheblich. „Was ist mit dir? Ich habe noch nie von einem Gouverneur gehört, der aus seinem Grab heraus regiert.“

Naruto haderte mit sich. Es war einfach ungeheuerlich, dass Sasuke noch mehr Blut sehen wollte! Allerdings … „Können es nicht doch nur drei sein? Was, wenn wir warten, ob noch etwas passiert?“

Sasuke seufzte, als müsste er einem kleinen Kind erklären, warum es keine Zuckerstange mehr essen dürfe. „Das Nächste, was passiert, wird dein Tod sein. Oder meiner. Ich glaube kaum, dass die Wölfe es gut finden, dass wir mit Jiroubou eine Allianz geschlossen haben.“

„Aber das haben wir doch gar nicht …“

„Wir haben seine Unschuld bezeugt. Genauer gesagt, du hast das getan. Die Wölfe werden uns entweder töten oder versuchen, unser Bündnis anderweitig zu zerschlagen.“

Naruto seufzte unglücklich und blinzelte in den Himmel hoch. „Und was schlägst du vor?“

„Wir gehen auf Nummer sicher. Vielleicht genügt es, wenn wir den letzten Wolf festsetzen. Reicht dir das?“

„Also schön“, murmelte Naruto.

„Gut. Sag mir, wie gut kennst du Sakura?“

„Sa-Sakura?“, wiederholte er erschrocken. „Sie soll ein Wolf sein?“

„Sie könnte einer sein. Sie und Lee waren letzte Nacht getrennt unterwegs. Und sie ist ziemlich ausgerastet, als die Piraten Ino erschossen haben.“

„Das war, weil sie Freundinnen waren!“, rief Naruto. „Ein Wolfspirat hätte seine Gefühle doch sicher besser unter Kontrolle!“

„Dann hat sie eben gut geschauspielert“, meinte Sasuke ungerührt. „Du hast heute Nacht ein Auge auf Lee gehabt, oder?“

„Dir entgeht aber auch nichts“, seufzte Naruto. „Ja, er hat geschlafen wie ein Murmeltier. Das muss aber nichts heißen.“

„Wenn Jiroubou, Lee und wir beide unschuldig sind“, überlegte Sasuke dennoch, „bleiben von den Piraten noch Tayuya und Kidoumaru. Kidoumaru hätte Kimimaro kaum töten können, da er auf unserem Schiff war, aber das kann Sakon erledigt haben. Kakashi wurde zweifellos von Ino getötet, und bei Kiba könnte es auch Sakon gewesen sein.“

„Aber auch jeder andere.“ Naruto dachte angestrengt nach. „Diese Sache mit dem Sextanten … Wäre ich Kidoumaru und ein Wolfspirat, hätte ich die anderen Piraten umgebracht und den Schatz dann nicht teilen müssen.“

„Du vergisst, dass er uns alleine kaum in Schach halten könnte. Und Jiroubou hat er gestern Nacht nichts getan.“

Naruto stöhnte. „Was weiß ich! In dieser Hitze kann ich nicht denken!“

„Du bist zu nichts zu gebrauchen“, sagte Sasuke abfällig.

„Heda! Hier wird nicht geredet, zurück an die Arbeit!“, drang Tayuyas verärgerte Stimme an ihr Ohr.

Zwei Stunden später ergab sich eine neue Gelegenheit, sich zu besprechen. Sasuke und Naruto gruben am Rand der Lichtung, nebeneinander und mit den Rücken zu den anderen. „Ich habe nachgedacht“, sagte Sasuke. „Wir haben es noch nicht von der logischsten Seite betrachtet. Ja, die Wolfspiraten morden nachts, aber glaubst du nicht, es hat auch eine Bedeutung, wen sie ermorden?“

Naruto zuckte mit den Schultern. Er wollte besser gar nicht wissen, was in den Köpfen dieser Mörder vorging.

„Kiba war eine billige Arbeitskraft für die Piraten“, fuhr Sasuke fort. „Nicht einmal Sakon hätte einen Grund gehabt, ihn zu töten. Mit ihren Waffen können sie uns lange in Schach halten. Wenn die Piraten des Knochenmannes die wirklichen Wolfspiraten wären – oder wenn allein der Kapitän einer wäre –, hätten sie ohnehin alle unter ihrer Knute. Stell dir aber vor, du bist einer von vier Wölfen, die unbewaffnet sind, und auf einer Insel mit anderen, bewaffneten Piraten. Vielleicht hat einer von euch die anderen infiltriert, aber er hat nicht genug Einfluss, um die Dinge zu eurem Vorteil zu lenken. Was würdest du tun?“

„Hör bitte auf damit, mich mit einem verrückten Mörder gleichzusetzen“, sagte Naruto gereizt.

„Ich sage dir, was ich tun würde. Ich würde versuchen, Zwietracht zu säen und die Leute auf der Insel zu dezimieren, wo ich kann. So, wie sie es tatsächlich tun. Also glaube ich, dass niemand, der je einen Kapitänshut getragen hat, ein Wolf  war. Sonst hätten die Morde ab da aufgehört, verstehst du?“

„Dann war Sakon unschuldig.“

„Er war immer noch ein Pirat. Der Punkt ist, von den Piraten kommt Kidoumaru als Einziger infrage, ein Wolf zu sein. Aber der wusste nicht, dass nur Kiba an Bord unseres Schiffes war. Er hätte gewiss nicht riskiert, herzukommen.“

„Du redest heute recht viel“, merkte Naruto an. Er konnte ihm längst nicht mehr folgen.

„Also war einer von uns der Mörder. Die Piraten konnten wir ebenfalls nicht finden, weil sie sich getrennt versteckt haben. Tenten und Deidara waren zu zweit unterwegs. Wenn es wirklich nur noch einen Wolf gibt, kann keiner von ihnen Kiba getötet haben, ohne dass der andere es mitbekommen hätte. Und Lee, hast du gesagt, ist unschuldig, zumindest heute Nacht, und Neji hat ihn auch nicht verdächtigt, obwohl wir lange mit ihm gereist sind.“

Naruto fröstelte trotz der Hitze, als er erkannte, wohin dieser Gedankengang führte. „Aber wenn Sakon kein Wolf war, könnte es noch zwei geben“, meinte er. „Dann könnten Tenten und Deidara es genauso gewesen sein.“

„Das glaube ich aber nicht“, sagte Sasuke. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sie beide in eine Gruppe gelost würden, ist zu gering. Einfacher ist es, wenn Sakura mit ihrem Partner, wer auch immer ihr zugeteilt würde, einen Streit beginnt, um dann allein davonzustapfen und Kiba zu töten. Vielleicht hat sie Lee schöne Augen gemacht und sich dann quergestellt, als er zudringlich wurde. Nach dem Mord ist sie wieder vom Schiff gegangen und hat Tenten und Deidara die Leiche finden lassen.“

„Du … du spekulierst nur“, brachte Naruto heraus.

„Darum frage ich dich ja. Wie gut kennst du sie?“

„Ich … Naja, wir haben uns ein paarmal getroffen und über diese Reise und den Schatz gesprochen …“ Am liebsten hätte er sich die Zunge abgebissen, doch Sasuke schien so etwas schon vermutet zu haben, denn er war nicht überrascht.

„Also war sie bei der Planung beteiligt. Sie kannte das Ziel und den Grund für die Reise.“

„Ja, das heißt, eigentlich … Ich glaube nicht, dass sie eine Wolfspiratin ist!“

„Ich aber.“ Damit ließ Sasuke seinen Spaten fallen und überquerte die Lichtung. Naruto bekam einen eisigen Schreck.

„Was hast du vor?“, rief er ihm hinterher, ließ die Arbeit ebenfalls stehen und hastete Sasuke hinterher.

„Ich habe etwas zu verkünden“, sagte Sasuke zu Tayuya, die ihn gelangweilt ansah.

„Halt dein Maul und geh wieder an deine Arbeit.“

„Erst, wenn der letzte Wolf ausgeräuchert ist. Ich hasse es, wenn jemand mich bedroht.“

Tayuya hob die Augenbrauen. „Und du hast auch eine Theorie, um wen es sich handeln könnte?“

Sasuke wiederholte seine Gedankengänge, und obwohl es nur Vermutungen waren, hörte Tayuya aufmerksam zu. „So, so“, sagte sie. „Und ich soll jetzt wieder Richterin spielen und die Schlampe erschießen?“

Sakura war während Sasukes Ausführungen sichtlich bleich geworfen. „Wartet – das sind doch nur Mutmaßungen!“

„Sakura und Naruto wussten außerdem von dem Schatz“, fügte Sasuke hinzu. „Aber für Naruto verbürge ich mich.“

„Interessant.“ Tayuya grinste schmutzig. „Schuldig, würde ich sagen.“

Sakura riss den Mund auf. „Du elende …“

„Wir schaffen sie in unser Schiff!“, rief Naruto mit bebenden Lippen. „Wir fesseln sie und dann … kann sie uns nichts tun.“

Tayuya schnaubte. „Trottel. Du weißt doch, wie es läuft. Wir haben wenig genug Proviant. Wer nicht arbeitet, stört nur, und ich lasse die Kleine sicher nicht mehr in meine Nähe. Außerdem seid ihr immer noch zu aufmüpfig, und die Warterei hat mir Lust gemacht, jemanden zu erschießen.“ Plötzlich strahlte sie übers ganze Gesicht. „Kidoumaru, ich hatte eben einen Einfall, der dir gefallen wird. Spielen wir doch ein kleines Spiel: Unsere lieben Gefangenen werden sich ab heute doppelt so sehr anstrengen, den Schatz zu finden, sonst verpassen wir jeden Tag einem von ihnen eine Kugel in den Kopf. Was meinst du?“

„Solange wir davon ausgenommen sind, gern“, grinste Kidoumaru.

Sakura wich kreideweiß vor ihr zurück, aber Tayuya hatte schon ihre Pistole gezückt. „Die erste Runde. Ihr könnt gleich sehen, dass ich’s ernst meine.“ Damit drückte sie ab, und am lautesten von allen schrie sicher Narutos Gewissen.

 

„Meinen Glückwunsch.“ Sphinx klatschte vergnügt in die Hände. „Welch scharfsinniger Zug. Ihr habt es geschafft, einen weiteren Werwolf zu enttarnen.

Naruto unterdrückte den Impuls, sich Schweiß von der Stirn wischen zu wollen. Sakura seufzte lächelnd, stand auf und reichte Sphinx ihre Karte. „Viel Glück“, wünschte sie den anderen noch, ehe sie zu Hinata ging.

„Jetzt aber“, sagte Deidara erfreut. „Schluss für heute …“ Er verstummte. „Warum hat sie uns viel Glück gewünscht?“

Sphinx‘ Lächeln war grausam. „Kommen wir zur fünften Nacht.

Blutroter Höhepunkt


 

~ 14 ~

 
 

- Schiffbruch, fünfte Nacht -

 

Naruto konnte nicht einschlafen. Er zitterte und schwitzte am ganzen Körper. Er hielt das nicht mehr aus! Hier auf der Insel waren doch alle wahnsinnig! Und er würde bald genauso verrückt sein …

Am schlimmsten war: Er fühlte sich verantwortlich. Sasuke hatte nur mit unbewegter Miene zugesehen, wie diese Piratenhexe Sakura erschossen hatte. Dann hatte er Naruto den Rücken zugewandt mit den Worten: „Du bist zu naiv.“ Nie wieder würde er diesem Kerl irgendwas erzählen!

„Psst!“, hörte er jemanden ganz in der Nähe zischen. Naruto drehte sich um und sah Tenten, die ihn unter ihrer Decke ansah. Auch sie wirkte hellwach. Vorsichtig robbte sie näher an ihn heran.

Naruto warf einen Blick zum Lager der Piraten. Wieder campierten sie am Waldrand, aber es war schwierig, mehr als Schemen zu erkennen. Man konnte nicht sagen, wer wach war und wer schlief.

„Ich habe schon mit Deidara und Lee gesprochen“, wisperte Tenten. „Wir haben die Schnauze voll von den Launen dieser Halsabschneider! Wir wollen versuchen, in den Wald zu fliehen. Sonst muss morgen wieder einer von uns dran glauben. Wir suchen das Piratenschiff – die haben sicher noch Waffen dort!“

„Ist das nicht …“ Naruto verstummte. Gefährlich, ja. Aber nicht weniger gefährlich, als hier zu bleiben und sich nur für einen raschen Tod abzurackern.

„Der Himmel zieht zu“, sagte Tenten. „Wenn der Mond verdeckt ist, schleichen wir davon. Wenn sich von den Piraten jemand regt, rennen wir! Bist du dabei? Deidara fragt eben Sasuke.“

Naruto wäre es lieber, wenn Sasuke hierblieb, erkannte er. Trotzdem nickte er. Tenten lächelte ihm kurz zu und kroch dann wieder unter ihre Decke zurück.

Die Wolken wanderten zäh über den Nachthimmel. Als die ersten die Mondscheibe erreichten, wurde sich Naruto unsicher. Wann genau würden sie loslaufen? Sobald es merklich finsterer war? Oder sollte der Mond zur Gänze verschwunden sein?

Die ersten Wolken strichen über den hellen Knopf, ohne dass sich einer seiner Gefährten regte. Dann schwamm eine wahre Wolkenwand über den Nachthimmel, der Mond verschwand, und es wurde fast stockdunkel.

Naruto hörte das Rascheln einer Decke. Er sah Tentens Silhouette nur gegen das schwache Glimmen des heruntergebrannten Lagerfeuers. Vorsichtig richtete er sich ebenfalls auf. Nebeneinander tasteten sie sich auf Händen und Knien vorwärts, um nicht in eines der Löcher zu fallen, die sie gegraben hatten. Irgendwo in der Nähe bewegte sich ebenfalls etwas.

„Was ist da los?“, schallte eine scharfe Stimme durch die Nacht.

Naruto fluchte innerlich. Noch keine vier Meter weit, und sie waren schon entdeckt! Ohne Rücksicht auf Verluste stürmte er los, Tenten nur knapp neben ihm. Auf der anderen Seite sah er ebenfalls zwei Schemen in die Finsternis davonhuschen.

„Bleibt stehen, verdammt, oder ich filetiere euch bei lebendigem Leib!“, brüllte Tayuya. Ein Schuss ging durch die Dunkelheit, scharf und berstend.

Naruto und Tenten erreichten den Wald gleichzeitig und sprangen regelrecht ins schützende Dickicht. Sie jagten weiter, die Schlingpflanzen warfen ihre tückischen Fallen aus. Die beiden stolperten, stürzten, rappelten sich wieder auf, glitten immer wieder auf taufeuchtem Farn aus. Einmal prallte Naruto halb gegen einen Baumstamm, der viel zu plötzlich vor ihm aufgetaucht war. Die Düsternis zwang sie, langsamer zu rennen, dennoch war es im wahrsten Sinne des Wortes eine Flucht Hals über Kopf.

„Hier lang“, rief Tenten irgendwann, schlug einen Haken nach links und zog ihn mit sich. Naruto verstand. Im Zickzack liefen sie durch den Wald. Er sah nur rasche Abfolgen von Schwarz und Fast-Schwarz, hörte nur Tentens Keuchen. Obwohl sie ihm recht sportlich erschien, verlangte ihr die Jagd durch das Dickicht alles ab. Irgendwann überlegte Naruto, ob es nicht besser wäre, sich einfach zu Boden zu werfen und unter den Farnwedeln Schutz zu suchen – leiser wäre es auf jeden Fall gewesen. Allerdings wussten sie nicht, ob es auf dieser Insel nicht doch Giftschlangen oder etwas Ähnliches gab.

Als die Bäume sich lichteten und vor ihnen der von leise rauschenden Wellen umspülte Strand lag, hätte Naruto am liebsten erleichtert aufgeseufzt. Der Mond zeigte sich wieder und beleuchtete den Sand. Kein Menschenseele weit und breit.

Tenten zog ihn wieder in den Schutz der Bäume zurück. „Wohin jetzt?“, flüsterte er.

Sie zuckte mit den Schultern. „Gegen den Sand sieht man uns.“

Naruto konnte auf keinen Fall stillsitzen, während drei blutrünstige Piraten sie verfolgten. Wahllos schlug er eine Richtung ein. Sie hielten sich weiterhin im Wald. Irgendwann, nach einer Ewigkeit, packte Tenten ihn plötzlich am Arm und deutete wieder auf den Strand hinaus. Naruto folgte ihrem Blick stumm; Worte waren nicht notwendig.

Sie hatten das Piratenschiff gefunden. Es lag zwischen einigen Felsen auf einer Sandbank und ragte selbst wie ein finsterer Fels in den Nachthimmel hinein. Zwei schlanke Masten kratzten wie mahnende Finger am Sternenzelt. Es war ein wenig kleiner als die Vieja Gloria, aber vor dem Hintergrund dieser schießpulverschweren Nacht wirkte es bedrohlich groß und finster.

„Sollen wir?“, fragte Tenten.

„Wozu?“

„Wozu“, schnaubte sie. „Schon vergessen? Die haben sicher noch jede Menge Waffen an Bord! Und Schießpulver. Meinst du, Piraten wie sie würden nur mit dem reisen, was sie am Leib tragen können?“

Naruto hatte keine Ahnung, wie Piraten reisten, aber wenn sie auf dem Schiff etwas fanden, mit dem sie sich verteidigen konnten, war er auf jeden Fall mit an Bord.

Geduckt huschten sie über den Strand, die Deckung eines jeden Felsens ausnutzend. Das Schiff lag sicher nur bei Ebbe auf Grund. Es war fest vertäut und die Landeplanke war auf einen abgeflachten, schrägen Felsen gelegt. Mühelos gelangten die beiden über die Reling.

Naruto fröstelte. Er war nun also an Bord eines Piratenschiffs … Ob das wohl gut ausging?

Tenten fand an Deck eine Öllampe und schaffte es irgendwie, sie zu entzünden. Hastig deckte sie das schmierige Licht mit ihren Händen ab und bedeutete Naruto, ihr durch die Luke zu folgen. Die Planken schienen zu ächzen, als sie hinabstiegen.

Es roch muffiger als an Bord der Vieja Gloria, und der Salzgeruch war unter Deck nicht so penetrant. Tenten durchstöberte mit ihrer Lampe alle Lagerräume und Kajüten, auf die sie stießen. „Wer sagt’s denn“, murmelte sie irgendwann zufrieden.

Naruto sah ihr über die Schulter. In einer kleinen Kammer waren mehrere unverschlossene Kisten fest mit Riemen gesichert. Tenten hatte eine von ihnen geöffnet und nahm zwei Pistolen heraus. Fachmännisch überprüfte sie ihre Ladung.

Plötzlich glaubte Naruto, ein Geräusch gehört zu haben. Nur das Stöhnen des Schiffs? Oder …

„Hier“, sagte Tenten und drückte Naruto eine der Waffen in die Hand. „Und diesmal lassen wir sie uns nicht wieder abnehmen“, erklärte sie grimmig.

Er wollte gerade etwas erwidern, als sich das Geräusch wiederholte. Diesmal zuckte er zusammen. „Da ist jemand!“, wisperte er.

Tentens Gesicht verdüsterte sich im Schein ihrer Lampe. Sie hob den Finger vor die Lippen. Beide verharrten reglos.

Sie hörten leise die Brandung, das war alles. Das Schiff schwankte nicht in den Wellen, von daher konnte das Knarzen wohl kaum natürlicher Ursache sein, oder? Da war es wieder – direkt in ihrer Nähe!

„Nimm das“, murmelte Tenten, drückte Naruto die Lampe in die Hand und schwang sich zurück in den Schiffsflur. Nun trampelte eindeutig jemand durch den Bauch des Schiffes.

Naruto hörte sich um. Das Geräusch kam von achtern. „Hier lang!“, kommandierte er und lief voraus, die Pistole schussbereit.

Der Gang machte nach wenigen Schritten einen Knick. Naruto bog um die Ecke – und sah an dessen Ende eine Gestalt stehen, die schwarzgewandet mit der Dunkelheit verschmolz. Nur ihre Wolfsmaske reflektierte etwas Licht. Naruto vergaß vor Schreck, zu atmen, und erst recht, zu schießen.

„Steh nicht so rum!“

Der Wolfspirat bewegte sich, als sich Tenten an Naruto vorbeidrängelte – das heißt, sie stieß ihn regelrecht zur Seite. Die beiden Schüsse fielen fast gleichzeitig, sodass Naruto erst dachte, es gäbe nur einen. Tenten stöhnte auf und wankte. Der Wolfspirat war verschwunden, dafür waren seine Schritte wieder zu hören.

„Hinterher“, murmelte Tenten durch zusammengebissene Zähne.

„Du bist verletzt!“, rief Naruto entsetzt, als er die blutige Wunde an ihrer Schulter sah.

„Kaum der Rede wert! Los!“ Sie lief voraus, aber allein an ihrem Gang merkte man, dass sie starke Schmerzen hatte. Sie brauchten wesentlich länger als der Wolfspirat, die Luke zu erreichen, die wieder an Deck führte.

Naruto kletterte als Erstes empor. Mit eingezogenem Kopf erwartete er, dass man sofort auf ihn schießen würde, sobald er sich an Deck zeigte, aber der Wolf war nirgends mehr zu sehen. Er lief einmal über das ganze Schiffsdeck, ehe Tenten sich heraufangeln konnte. Nichts. Der Pirat war verschwunden.

„Siehst du ihn irgendwo?“, fragte sie kurzatmig.

Naruto schüttelte den Kopf und sah über die Reling. Am Strand, gegen den hellen Sand … hatte sich da nicht gerade etwas bewegt? „Da unten“, flüsterte er aufgeregt. „Ich glaube, ich sehe ihn!“ Das Licht seiner eigenen Laterne störte ihn.

„Dann schieß doch!“, zischte Tenten.

Er biss die Zähne zusammen. Die Hand mit der Pistole zitterte. „Auf die Entfernung treffe ich nie“, murmelte er.

Stöhnend entriss sie ihm die Waffe, zielte auf den Schemen am Strand und schoss. Naruto fragte sich, ob ihr das Kunststück gelungen war.

Offenbar nicht, denn in nächsten Moment kam die Antwort wie ein Echo. Die Gestalt im Sand war nur als Silhouette zwischen den Felsen wahrnehmbar gewesen, Tenten jedoch stand im Licht der Laterne. Die Kugel erwischte sie mit furchtbarer Präzision und schleuderte sie von den Füßen.

Naruto schrie auf und duckte sich – einerseits, um selbst kein Ziel zu bieten, andererseits, um nach Tenten zu sehen. Was er sah, ließ ihn bis ins Mark erschrecken – obwohl er tödliche Wunden mittlerweile zur Genüge kennen sollte.

In ihrer Brust gähnte ein klaffendes Loch, wo sie die Kugel getroffen hatte. Im schmierigen Lampenschein wirkte das Blut, das ihr aus dem Mundwinkel rann, fast schwarz. „Verdammt“, murmelte sie mit einem unmenschlichen Rasseln bei jedem Atemzug. „Ich war … leichtsinnig.“

„Halte durch“, rief Naruto. „Ich finde was, um dich zu verarzten! Bleib einfach hier liegen!“

Also ob sie noch irgendwo hingehen könnte!

„Nein“, meinte sie schwach. „Ich glaube nicht, dass das … noch was hilft …“

„Natürlich wird es das!“ Er hatte Tränen in den Augen. „Gib nicht auf! Wir verlassen diese verdammte Insel zu zweit, das verspreche ich dir!“

Ein Lächeln krümmte ihre blutigen Lippen. „Weißt du … schon als wir gestrandet sind, dachte ich nicht, dass wir jemals wieder hier wegkämen. Vielleicht … vielleicht braucht man so viel Optimismus wie du … damit man es schafft.“ Beim nächsten Atemzug hustete sie einen Schwall Blut.

„Tenten!“ Zitternd hielt er ihre Hände, unfähig, irgendetwas anderes zu tun, während ihr rasselnder Atem langsam ruhig wurde und dann verebbte. Ihr Blick war leer.

 

Als Sphinx die Seherin rief, deutete Naruto auf Tenten. Der Spielleiter schüttelte langsam den Kopf. Kein Werwolf.

 

Er warf einen verstohlenen Blick zum Strand, doch der Wolfspirat ließ sich nicht mehr blicken. Vielleicht fürchtete er sich vor den Unmengen an Schießpulver, die sicher noch an Bord waren. Naruto deckte Tenten mit einem Stück Segeltuch zu. Dann stieg er wieder unter Deck.

Nach Tentens Tod fühlte er sich irgendwie ruhiger. Nicht, weil er sie verdächtigt hatte – es war, als wäre seine Anspannung in dem Moment verpufft, in dem das Leben aus ihr gewichen war. Er fand noch eine Muskete und lud ihre beiden Pistolen nach. Ein blitzend scharfes Entermesser befand sich ebenfalls auf dem Boden einer Truhe, das steckte er in seinen Gürtel. Dann löschte er seine Lampe und wartete in der Dunkelheit auf neue Geräusche, die von einem Feind kündeten. Im Stillen verwünschte er diese verdammte Insel mit ihrem verdammten Goldschatz, der so viel Leid über sie gebracht hatte. Ob jeder, der hier landete, die Insel irgendwann verfluchte, mit Worten oder in Gedanken? Stammte von daher der Fluch, der auf dem Gold lag?

Es musste auf die frühen Morgenstunden zugehen, als er tatsächlich wieder Besuch bekam. Diesmal war er gewappnet. Der Eindringling ging auch nicht gerade behutsam vor. Den Wolfspiraten hatte Naruto kaum gehört, aber dieser hier trampelte die Treppe herunter wie eine Herde Kühe.

Er umklammerte die Muskete mit beiden Händen und zwang sich, ruhig zu atmen. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, dennoch sah er hier drin kaum etwas. Dann bemerkte er den Lichtschein. Der Fremde trug auch eine Lampe. Unendlich vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen und schob sich, an die Wand gepresst, zur Tür in den Flur.

Seit er diese Insel betreten hatte, musste er vom Pech verfolgt sein. Vielleicht hatte er den Abzug der Muskete unvorteilhaft gehalten, vielleicht war es auch einfach Zufall: Ein Schuss löste sich aus der Waffe, mit einem Knall, der Naruto in den Ohren wehtat. Ehe er es verhindern konnte, stieß er einen erstickten Schrei aus.

Das Getrampel draußen verstummte sofort. Verdammt! Wie hatte er nur so ungeschickt sein können? So leise und so schnell wie möglich legte Naruto die Muskete fort und zog das Entermesser, als er eine Stimme hörte. „Naruto? Bist du das? Alles in Ordnung? Ist da noch jemand?“

Er zögerte, ehe er antwortete. Die Stimme gehörte … „Buschige Augenbraue?“

Ein Stein fiel ihm vom Herzen, als der Lichtschein heller wurde und er Rock Lees unverwechselbares Gesicht erkannte. Der Matrose trug keine Waffe, aber Naruto glaubte auch nicht, dass er ihm ans Leder wollte. Zumindest letzte Nacht hatte er friedlich und unschuldig geschlafen.

„Wo sind die anderen?“, fragte Lee.

„Ich weiß nicht“, gestand Naruto. Rasch erzählte er ihm, was ihm und Tenten widerfahren war.

Lee senkte betreten den Kopf. „Tenten war in der Blüte ihrer Jahre“, murmelte er. „Es ist sehr schade, dass das passiert ist.“

Naruto hätte andere Worte gewählt, aber so war Lee nun mal. „Was meinst du?“, fragte er unbehaglich. „Schaffen wir es zu zweit, mit diesem Schiff in See zu stechen?“

Lee schüttelte den Kopf. „Ich habe mir den Rumpf angesehen, bevor ich an Deck gegangen bin. Da sind zwei große Lecks. Die müssten wir vorher reparieren, und selbst dann könnten wir das Schiff kaum steuern.“

„Warum nicht? Ich habe von vielen Schiffen gehört, die nur mit zwei Mann Besatzung ausgekommen sind. Segeln wir eben nur mit halbem Zeug …“

„Es ist, weil …“ Lee wich seinem Blick aus. „Ich kann nicht navigieren. Kannst du es?“

„Oh“, murmelte Naruto. Daran hatte er nicht gedacht.

Plötzlich zerriss ein gedämpfter Knall die bedrückte Stille, die auf Lees Worte folgte, und die beiden zuckten zusammen. Naruto meinte, jemanden etwas rufen zu hören. Fragend sah Lee ihn an. „Sollen wir nachsehen gehen?“

Naruto zögerte. Hier im Schiffsrumpf waren sie vermutlich sicherer … Ein weiterer Knall, gleich darauf noch einer.

„Nimm die hier“, flüsterte Naruto seinem Kameraden zu und reichte ihm eine seiner Pistolen. „Ist dir jemand gefolgt?“

Lee schüttelte im schmutzigen Licht der Lampe den Kopf. „Aber sie wissen vielleicht trotzdem, dass hier jemand ist, wenn sie die Leiche sehen.“

„Was für eine Leiche?“ Meinte er Tenten?

„Draußen am Strand liegt jemand. Ich …“

In dem Moment ertönte vom Deck Gepolter und wieder ein Schuss.

„Sie sind auf dem Schiff“, zischte Naruto. Nun begann seine Hand mit der Pistole wieder zu zittern. So würde er nicht mal die Muskete nachladen können – das lag sicher daran, dass der Lärm und das Getrampel so hektisch und unmittelbar und … gefährlich klangen.

„Sie kämpfen“, murmelte Lee. „Oder nicht? Sie schießen aufeinander.“

„Dann haben die Piraten wahrscheinlich die anderen in die Enge getrieben“, murmelte Naruto und biss die Zähne zusammen. „Komm mit, wir helfen ihnen, sich hier unten zu verschanzen.“

Darauf bedacht, nicht zu laut zu trampeln, eilten sie den Gang entlang und kletterten durch die Luke an Deck. Dort angekommen, erlebten sie eine Überraschung. Einerseits ging bereits die Sonne auf, ein zartrosa Schimmer schob sich über den Horizont. Und andererseits waren es nicht Sasuke und Deidara, die auf das Deck geflohen waren.

An die Reling gekauert saßen Jiroubou und Tayuya. Das Haar der Piratin wehte hinter ihr her, als sie herumwirbelte und Naruto und Lee aus großen Augen anstarrte. „Was macht ihr hier auf unserem Schiff?“, keuchte sie. Ihr Hemd war an der Schulter blutig. Dann blitzte Wut in ihrem Blick auf. „Ihr wart es! Sagt schon, wer von euch Halsabschneidern hat Kidoumaru auf dem Gewissen?“

 
 

- Schiffbruch, fünfter Tag -

 

„Ein neuer Morgen ist angebrochen … Wir schreiben den fünften Tag. Es gab zwei Opfer: Kidoumaru und Tenten. Tut mir sehr leid. Sie waren außerdem keine Werwölfe.

Tenten zuckte nur mit den Schultern, als hätte sie das vorhergesehen, und stand auf.

Kidoumaru schnaubte, reichte Sphinx die Karte. „Nettes Spiel“, meinte er, „aber man scheidet leicht aus. Soll ich jetzt auch eure kleine Freundin trösten?“

„Hauptsache, du störst das Spiel nicht“, brummte Sasuke und starrte geradezu verbissen auf seine Regelkarte.

„Du kannst es dir auch in deiner Zelle gemütlich machen oder ein wenig meine wunderbare Einrichtung erforschen“, sagte Sphinx. Er wartete, bis Tenten und Kidoumaru den Raum verlassen hatten, dann sagte er mit einem breiten Lächeln. „Nun sind noch sechs Bewohner übrig. Wir kommen nun langsam zum Ende, meine Freunde. Und ich habe eine Nachricht für euch: Die Unruhestifterin hat heute Nacht beschlossen, das Spiel ein wenig zu beschleunigen. Das heißt, am heutigen Tag werden gleich zwei Leute gelyncht. Tobt euch aus.“

Und schon trudelten die ersten Nominierungen ein.

 

„K-keine Bewegung!“, rief Naruto und deutete mit seiner zitternden Pistole auf Tayuya, die ihn abfällig musterte.

„Sag bloß, du hast Angst zu schießen“, meinte sie belustigt. Betont langsam hob sie ihre eigene Waffe und richtete sie auf ihn.

Lee wich einige Schritte zur Seite. Seine Hand war ruhiger, fand Naruto. Er schien jedoch nicht zu wissen, was er tun sollte.

In dem Moment ertönte vom Strand her noch ein Schuss, und ein Stück Holz splitterte aus dem Mast. Naruto zuckte zusammen – und dieses Zucken nutzte Tayuya aus und schoss ihrerseits. Naruto schrie auf, als er den sengenden Schmerz in seinem Oberarm spürte. Er hätte nie gedacht, dass eine Bleikugel eine solche Kraft entwickeln könnte, aber sie riss ihn halb nach hinten, und beinahe wäre er gestürzt. Tayuya rollte sich ab, Lees Schuss kam nur eine Sekunde später und zerfetzte die Reling. Der Matrose warf die nutzlos gewordene Waffe fort und stürzte sich mit bloßen Händen auf sie.

„Jiroubou, tu was, verdammt!“, keuchte Tayuya, als sie und Lee ineinander verkrallt über den Boden rollten.

Naruto fing den Blick des dicken Piraten auf, sah sein Nicken. Gut, er war noch immer auf ihrer Seite. Er biss die Zähne zusammen und bückte sich nach der Waffe, die ihm entglitten war.

„Keine Bewegung!“, ertönte da eine Stimme von der Planke, die auf den flachen Felsen führte. Sasuke und Deidara sprangen auf das Schiff, als wären plötzlich sie die Piraten – oder waren sie es? Naruto schluckte. Sasuke war nie recht zimperlich gewesen, wenn es darum ging, jemanden anzuprangern … und Deidara traute er sowieso nicht. Die Tatsache, dass sie beide Pistolen in den Händen hielten, machte sie nicht vertrauenswürdiger.

„Was sucht ihr denn hier?“, fragte Deidara, und sein Kamerad kniff die Augen zusammen.

Instinktiv begegnete Naruto der Pistole, die Sasuke auf ihn richtete, mit seiner eigenen. Wann würden sie endlich aufhören können, einander zu bedrohen? „Und ihr?“, fragte er düster. „Warum laufen die Piraten plötzlich vor euch davon?“

„Weil wir sie endlich ihre eigene Medizin schmecken lassen“, erklärte Deidara. „Weg mit der Erbsenschleuder, hm.“

„Und woher habt ihr die Waffen?“, fragte Naruto schrill. „Ihr seid die Wolfspiraten!“

„Mach dich nicht lächerlich“, brummte Sasuke. „Die Tatsache, dass ihr hier auf dem feindlichen Schiff seid, ist auch nicht gerade unverdächtig.“

„Dann sag schon, woher habt ihr die Pistolen?“

„Betriebsgeheimnis“, sagte Deidara augenzwinkernd.

In dem Moment drang ein ersticktes Ächzen aus dem Knäuel, das Tayuya und Lee auf den Planken gebildet hatten, und langsam kam wieder Bewegung in die beiden. Tayuya rappelte sich auf und zerrte mit vor Anstrengung geröteten Gesicht Lee vor sich in die Höhe, wie als lebendigen Schild – oder doch nicht so lebendig, denn aus einem fachmännischen Schnitt in seiner Kehle quoll Blut, und Tayuya hielt ein rot glänzendes Messer in der linken Hand, mit der sie sich umständlich ihren Kapitänshut zurechtrückte. „Glaubt ihr, ich lasse mich auf meinem eigenen Schiff bedrohen?“

„Lee!“, rief Naruto und vergaß die Waffen, die auf ihn gerichtet waren. Er wollte schon auf sie zutreten …

„Bleib stehen, Idiot!“, knurrte Sasuke. „Du kannst ihm nicht mehr helfen.“

„Jiroubou, das büßt du mir“, zischte Tayuya und funkelte ihren Kameraden an. „Meuterer, ihr wart alle nichts als Meuterer!“

„Immerhin ist Jiroubou kein Wolfspirat!“, rief Naruto. Wenn es ihm schon Tayuya nicht glaubte, dann mussten wenigstens die anderen sich daran erinnern, damit sie nicht aus Versehen den Falschen angriffen …

„Viele kommen nicht mehr in Frage“, meinte Sasuke tonlos. Seine Waffe deutete immer noch auf Naruto. „Bist du sicher, dass du uns nicht die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hast, Naruto?“, fragte er kalt.

„Du scherzt wohl!“, stieß Naruto aus.

„Hört mir auf mit diesem Dreck über die Wolfspiraten“, fauchte Tayuya. „Es gibt keine Wolfspiraten! Ich lasse euch über die Planke laufen, alle!“

„Dann kommst du aber nie wieder von hier weg“, gab Jiroubou zu bedenken.

„Halt‘s Maul, Fettsack! Um dich kümmere ich mich auch noch!“

„Welche Chancen rechnest du dir aus?“, fragte Sasuke. „Du bist hier die Einzige ohne Waffe.“

„Nicht mehr lange.“ Tayuya stieß Lees Leiche von sich, die gegen Naruto prallte, und stürmte an ihm vorbei. Jiroubou schoss – auf wen, konnte Naruto nicht sagen. Als er das Gleichgewicht wiederfand und sich herumdrehte, drückte auch Sasuke eben den Abzug – in dem Moment, in dem Tayuyas geschleudertes Messer sich in seine Hand bohrte. Die Kugel war eine knappe Handbreit zu hoch, riss der Piratin den Kapitänshut vom Kopf, und im nächsten Moment hatte sie ihn und Deidara erreicht.

„Schieß!“, schrie Naruto, Lees leblosen, noch warmen Körper im Arm.

Doch Deidara zögerte, abzudrücken. Tayuya schnellte wie ein Pfeil zwischen ihn und Sasuke, entriss Deidara gekonnt die Waffe, ein Schuss krachte – Sasuke warf sich zu Boden und rollte sich ab, doch allein die Art, wie er landete, machte Naruto klar, dass Tayuya ihn getroffen hatte. Stöhnend blieb er liegen.

Nun reichte es Naruto endgültig. Also schön, er würde zum Mörder werden, aber offenbar hörte das sinnlose Töten andernfalls nicht auf! Er schleuderte seine Pistole von sich, die letzte, die geladen war. Damit würde er ohnehin kaum treffen. Stattdessen schwang er sein Entermesser und ging damit auf die endlich unbewaffnete Tayuya los.

Er hätte sich denken können, dass Piraten niemals unbewaffnet waren.

Sie bückte sich, fischte ein winziges Messer aus ihrem Stiefel und trat Naruto damit entgegen. Er zögerte kurz, dann schlug er zu – sie packte sein Handgelenk, nutzte Narutos eigenen Schwung und schleuderte ihn über ihre Schulter. Ächzend prallte er auf die Planke, die das Schiff mit dem Felsen verband. Für einen Moment bekam er keine Luft. Dann kniete Tayuya plötzlich auf seiner Brust, setzte das Messer an seine Kehle …

„Ich bin noch nicht fertig mit euch …“, hörte Naruto ein röchelndes Knurren. Sasuke!

Tayuya fuhr in die Höhe. Naruto blinzelte an ihr vorbei. Sasuke hatte sich am Mast hochgestemmt. Blutiger Schaum lief aus seinem Mund, aber Naruto konnte von hier keine Schusswunde sehen. Tayuya musste ihn am Rücken getroffen haben. Und in der rotverschmierten Hand hielt Sasuke die Waffe, die Naruto eben von sich geschleudert hatte. Er hatte gar nicht darauf geachtet, wo sie gelandet war.

„Das war’s“, erklärte er eisig.

„Warte!“ Ein Schritt, ein waghalsiger Sprung, die Planke erzitterte …

Um Naruto herum drehte sich alles. Sah er gerade tatsächlich Deidara, der sich vor Tayuya in die Schusslinie warf?

Die Kugel traf den Abenteurer in die Schulter, aber sie riss ihn, noch mitten im Sprung, regelecht um. Deidara prallte gegen die Piratin, Naruto spürte schmerzhaft, wie ein Stiefelabsatz gegen seine Hüfte stieß, die beiden taumelten, stürzten … und dann war die Planke zu Ende. Er hörte noch Tayuyas wütenden Schrei, als sie beide über Bord gingen, und dann ein hässliches Geräusch, das andeutete, dass sie nicht im Wasser, sondern auf einem der spitzen Felsen gelandet waren, die den Strand säumten.

Die Pistole entglitt Sasukes Hand, und kreidebleich rutschte er am Mast zu Boden. Wo er gelehnt hatte, glänzte das Holz dunkelrot. Naruto hörte noch sein Röcheln, und bald darauf nicht einmal mehr das.

Und dann war es vorbei.

Ein würdiger Gegner

Die Abstimmung für Lee wurde nur knapp entschieden. „Der Bürgermeister hat gesprochen“, erklärte Sphinx, während die anderen Tayuya nur böse anstarrten. Die Ankündigung, dass es heute zwei Hinrichtungen geben würde, schien die Bande, die die Spieler untereinander geknüpft hatten, so gut wie zerstört zu haben. Plötzlich verdächtigte wieder jeder jeden – und nachdem Tayuya mit ihrer zweiten Stimme ihr Leben vor Jiroubou, Lee und Sasuke verteidigt hatte, hatte sie selbst Lee nominiert. Deidara hatte sich ihr angeschlossen, dann Sasuke.

„Aber Lee ist unschuldig!“, hatte Naruto noch gerufen, doch natürlich konnte er gegen die Mehrheit nichts ausrichten.

Tatsächlich war Lee kein Werwolf.“ Dieser Verkündigung folgten schwere Seufzer. Naruto biss die Zähne zusammen, obwohl er es gewusst hatte. „Das war nur der erste Streich“, sagte Sphinx lächelnd. „Ich bitte um eine weitere Nominierung.“

„Bevor irgendjemand noch etwas sagt“, begann Sasuke und funkelte vor allem die Bürgermeisterin an, „denkt daran, dass es jetzt um alles geht. Ein falscher Zug, und wir haben verloren. Es muss noch einen Werwolf unter uns geben.“

„Was du nicht sagst“, meinte Deidara augenrollend. „Deine Ratschläge sind tatsächlich nachvollziehbar, aber deswegen sind sie auch nicht besser.“

„Was soll das heißen?“

„Sasuke hat immerhin schon Sakura enttarnt“, sprang Naruto seinem Kumpel bei.

„Und, hast du ihn schon mal ausspioniert, große Seherin?“

Naruto verstummte. War Sasuke doch ein Werwolf? Er versuchte, in seiner Miene zu lesen, doch das war nicht möglich. Sasuke blieb ob der impliziten Anschuldigung ruhig. Und wenn er seine Kameradin ans Messer geliefert hatte, um sich selbst als braver Dorfbewohner zu etablieren … Nein, das war nicht möglich! Hätte ihm das überhaupt etwas gebracht?

„Ich nominiere Sasuke“, brummte Jiroubou. „Ich traue ihm nicht.“

„Dasselbe gilt umgekehrt“, erwiderte dieser.

„Sasuke, hm“, sagte Deidara. „Stimmen wir ab.“

Narutos Gedanken rasten. Von allen anderen konnte er nur Jiroubous Unschuld bezeugen – Sasuke hatte ein paar gute Ideen gehabt, ja, aber das hieß nicht, dass er nicht ein Schaf im Wolfspelz war.

Wie sich herausstellte, war seine Stimme gar nicht vonnöten. Deidara, Jiroubou und Tayuya stimmten allesamt gegen Sasuke.

„Das ist dann wohl dein Todesurteil“, stellte Sphinx süffisant fest. „Hast du noch einige letzte Worte?“ Sein lauernder Unterton löste in Naruto sofort Unbehagen aus.

„Allerdings“, sagte Sasuke düster und drehte seine Karte um, sodass sie alle sehen konnten. „Jäger.“

Naruto schluckte. Er hatte nicht vergessen, was die Fähigkeit dieser Karte war. Vor seinem Tod konnte Sasuke noch jemanden mit in den Tod reißen. Eine mächtige Karte, vor allem in so einer Situation … Nun konnte er seine Verdachtsperson selbst lynchen.

„Wen möchtest du erschießen, ehe du stirbst?“, fragte Sphinx.

Grimmig streckte Sasuke den Finger aus. „Deine zweite Stimme war lästig genug“, sagte er zu Tayuya, die abfällig zischte und seinem Blick auswich.

„Da haben wir das nächste Todesopfer“, rief Sphinx entzückt und klatschte in die Hände. „Aber, o weh, wieder kein Werwolf!“

„Ihr Penner.“ Tayuya drückte ihm ihre Karte so in die Hand, dass sie zerknitterte.

„Aber das war noch nicht alles“, sagte Sphinx. „Heute geht es ja richtig rund. Zusammen mit Tayuya stirbt … Deidara!

„Hä?“, machte Naruto.

Der Blonde schnaubte und gab seine Karte zurück. „Was für eine dämliche Regel, hm.“

„Finde ich auch.“ Tayuya hatte die Arme verschränkt. „Kann mir einer sagen, warum ausgerechnet ich und er das Liebespaar sein sollen?“

Naruto schlug sich die Hand vor den Kopf. Das hatte er ja total vergessen … das Liebespaar starb immer gemeinsam. Er blickte sich um. Sphinx bedeutete den drei Ausgeschiedenen, sitzen zu bleiben. Hieß das … Sein Blick glitt zu Jiroubou, dem letzten Überlebenden außer ihm, der nachweislich unschuldig war. Erst nach und nach begriff er, was das zu bedeuten hatte.

Sie hatten gewonnen!
 

- Schiffbruch, sechste Nacht -

 

Naruto war Jiroubou keine große Hilfe, aber eigentlich hatte er auch keine Lust mehr, den Schatz zu heben. Auf der anderen Seite – was sollten sie sonst tun?

Den ganzen Tag über war alles an ihm vorbeigezogen. Erst nach und nach war ihm klar geworden, dass er und der dicke Pirat, der ihm Freundschaft geschworen hatte, die letzten lebenden Menschen auf dieser Insel waren. Ein bedrückender Gedanke, selbst wenn das zweifellos bedeutete, dass nun alle Gefahr gebannt war. Was war das für ein Sieg, wenn kaum noch jemand übrig war, der ihn feiern konnte?

Naruto betrachtete Kidoumarus Leiche im Sand vor dem Piratenschiff. Ein Loch zierte seinen Kopf. Tenten musste doch getroffen haben – ein unglaublicher Glückstreffer. Zweifellos war er sofort tot gewesen. Aber woher war dann der Schuss gekommen, der Tenten gleich danach getötet hatte? Naruto wollte nicht darüber nachdenken. In seinem Kopf drehte sich sowieso alles.

Jiroubou hatte nach einer Weile begonnen, auf der Lichtung weiter zu graben. Naruto mit seinem verletzten Arm war nur daneben gesessen und hatte ihm dann und wann Wasser gebracht. Außerdem hatte er beschlossen, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Neji hätte es garantiert so gemacht, sobald er erkannt hätte, dass ein Wegkommen von der Insel nicht möglich war. Wenn es seinen Auftraggebern schon nicht half, dann wirkte es vielleicht als Warnung an jene, die später einmal an dieser verfluchten Insel anlegen würden.

Es hatte gar nicht lange gedauert. Als Jiroubou tatsächlich gegen Mittag eine uralte Kiste zutage förderte, schmeckte es nach bitterer Ironie, ebenso wie das Gold, mit dem sie randvoll gefüllt war: Münzen und Ringe, Armreifen und sogar ein kleines Krönchen. Ein wunderbarer Schatz, alles, was Naruto für seinen Traum je gebraucht hatte – und doch wollte er ihn nicht mehr haben.

„Halbe-halbe“, meinte Jiroubou. „Das wäre fair.“

„Ja“, meinte er. „Fair wäre es. Nur werden wir es nie ausgeben können.“

Jiroubou verstand etwas vom Navigieren, allerdings waren nun beide Sextanten unauffindbar. Außerdem war das Piratenschiff immer noch leck, und Naruto konnte nicht wirklich dabei helfen, es zu reparieren. Um nichts unversucht zu lassen, sammelten sie alles Holz zusammen, das sie nicht mehr brauchen konnten, sowohl von dem Schnellsegler als auch von der Vieja Gloria. Sie entzündeten auf gut Glück ein Feuer am Strand, um auf sich aufmerksam zu machen. Darüber brieten sie am Abend gerade einen Teil des kläglichen Proviantrestes, der ihnen geblieben war, als Jiroubou plötzlich die Augen zusammenkniff und auf den Horizont deutete. „Schau. Ein Segel.“

Narutos Herz schlug höher. Tatsächlich, vor dem dunkler werdenden Himmel zeichnete sich blassrosa Segeltuch ab. Hatte sich wirklich ein anderes Schiff hierher verirrt? Es grenzte an ein Wunder. „Wäre es doch nur einen Tag früher aufgetaucht“, murmelte er bitter und dachte an all die Leben, die auf dieser verfluchten Insel ausgelöscht worden waren. „Meinst du, es bemerkt uns?“

Jiroubous Blick maß das Feuer. Hoch und kräftig loderten die Flammen. „Vielleicht noch nicht“, meinte er. „Aber wenn es Nacht wird, sollte man uns gut sehen können.“ Er klopfte auf die Schatzkiste, auf der er saß. Fast war es, als hätte all dieser verfluchte Reichtum sich genau sie beide ausgesucht und würde nun erlauben, dass sie die Insel verließen.

Die Sonne sank über den Rand der Welt und das Segel versank im Dämmerlicht. Allerdings war das Schiff nicht allzu weit von ihnen entfernt gewesen, als die Nacht hereingebrochen war. Sie mussten das Feuer einfach gesehen haben!

In angespannter Erwartung standen Naruto und Jiroubou am Stand und starrten in die Nacht hinaus. Wo ihn Tayuyas Kugel getroffen hatte, pochte Narutos Oberarm, als er seinen Reisebericht in eine leere Rumflasche steckte und sie zukorkte.

„Sag mal“, begann Jiroubou irgendwann, der ihm nicht zugesehen hatte, sondern den Horizont im Auge behielt.

„Ja?“

„Du verstehst es doch, oder?“

Naruto blinzelte ihn verwirrt an. „Was?“ Dann sah er das Entermesser in Jiroubous Hand, wie es im nächsten Moment auf ihn zu sauste. Die Flasche entglitt seinen Fingern, und dann spürte er nichts mehr.

 

„Trommelwirbel, bitte …“ Sphinx klopfte mit den Fingern auf seinen  Oberschenkeln. „Und … Deidara war ebenfalls kein Werwolf!

Naruto lief es kalt den Rücken runter. Etwas in Jiroubous Augen verändert sich. Was? Wie kann das sein?

„Der Rest ist wohl schnell durchgespielt“, meinte Sphinx nonchalant. „Schließt trotzdem die Augen. Ich rufe noch mal alle auf – schließlich sollt ihr nicht wissen, welche Karten Naruto und Jiroubou hatten. Die sechste Nacht bricht heran. Die Unruhestifterin hat das Dorf bereits aufgemischt. Wen schützt der Leibwächter? Ja? Die Seherin, sofern sie noch lebt, sieht, dass ihr Gegenüber ein Werwolf ist, und die Werwölfe wählen ihr Opfer. Will die Hexe einen Trank benutzen? Den Gifttrank? Den Heiltrank? Dann schlaf wieder ein. Naruto ist gestorben. Die Werwölfe haben gewonnen.

„Was soll das?“, brach es aus Naruto heraus. Er war aufgesprungen. „Du hast mir vorhin gesagt, dass Jiroubou ein Dorfbewohner ist!“

„A-a-ah!“, machte Sphinx. „Zwiesprache halten wir dann in den Einzelsitzungen. Denkt gut nach bis dahin. Und jetzt solltet ihr vielleicht zu eurer Freundin gehen. Nach dem Abendessen kommt ihr in mein Büro.“

 

Als das Spiel zu Ende war und die anderen in das Zimmer kamen, hatte sich Hinata schon ziemlich beruhigt. Sakura saß auf ihrer Matratze und streichelte ihr den Rücken.

Naruto sah sie besorgt an. „Alles in Ordnung, Hinata?“

Das Mädchen schluckte, nickte schüchtern.

„Wir tun alles, damit du Punkte für Hanabi bekommst, echt jetzt. Ich hab zwar noch keine Ahnung, was bei dem letzten Spiel abgegangen ist, aber das finden wir schon noch heraus!“

„Dieses Mal wissen wir von einigen ja schon ziemlich sicher, welche Karten sie hatten“, sagte Deidara. „Und wir haben auch schon während dem Spiel ziemlich viele Gedanken ausgetauscht.“

„Dafür haben wir zwei Werwölfe zu viel“, entgegnete Sasuke.

„Sprecht lieber nicht hier darüber“, warnte sie Sakura. „Am Ende wertet Sphinx das als Regelbruch.“

Endlich fand Hinata ihre Stimme wieder. „Ihr … ihr müsst das nicht tun.“ Die anderen sahen sie fragend an. „Ihr braucht mir eure Punkte nicht zu geben. Ich werde … Ich werde es selbst schaffen. Ich spiele beim nächsten Spiel wieder mit und schaffe es aus eigener Kraft!“

Naruto sah ihr ernst in die Augen. „Bist du sicher?“

Hinata nickte. „Ihr … braucht keine Rücksicht auf mich zu nehmen. Aber ich danke euch trotzdem.“

„Wir schaffen es alle hier heraus.“ Tenten drückte lächelnd Hinatas Hand. „Und wenn es ewig dauert.“

 

Am Abend erzählte Naruto Sphinx von seinen Vermutungen. Da er die Seherin gewesen war, hatte er nicht allzu viele mögliche Punkte zu erreichen, und er machte geradezu miese Ausbeute, obwohl er seit Spielende an nichts anderes mehr gedacht hatte als an die Karten, die die anderen während des Spiels in der Hand gehalten haben mochten. Kaum eine seiner Theorien stimmte, und mit schlappen fünfzehn Punkten entließ Sphinx ihn.

Vor der Bürotür wartete Sakura. „Viel Glück“, murmelte er ihr niedergeschlagen zu. Sie nickte nur und versuchte selbst ihr Bestes.

Er beschloss, auf sie zu warten. Kakashi kam hinzu; er würde als Nächstes drankommen – obwohl er als erstes Opfer nur raten konnte, wie das Spiel gelaufen war.

„Tenten hat vielleicht recht. Es wird wirklich ewig dauern“, meinte Naruto deprimiert.

Kakashis Antwort war ernüchternd. „Das könnte tatsächlich sein.“ Er kratzte sich am Kinn. „Sphinx wird sich Spiel um Spiel überlegen, und wer hundert Punkte hat, ist frei, habe ich das richtig verstanden?“

Naruto seufzte nur.

„Komplizierte Spiele bringen mehr Punkte“, fuhr Kakashi fort. „Allerdings gibt es dann auch mehr Spieler, und nicht jeder kann gleich viel erreichen. Wenn das so weiter geht, muss jeder, der bei der Rollenverteilung Pech hat, mehrere Spiele spielen. Und Sphinx muss immer neue Leute entführen, und es wird niemals enden.“

„Vielleicht will er das ja sogar“, meinte Naruto düster.

„Wahrscheinlich. Aber vergiss nicht, was er noch viel dringender will: einen würdigen Gegner.“

„Einen würdigen Gegner?“

Kakashi nickte. „Er hat bereitwillig zugestimmt, als ihr eure Punkte Hinata schenken wolltet. Er will diejenigen, die fähig im Kombinieren sind, im Spiel halten. Wenn ihm einer von uns ein Spiel liefern kann, das ihn wirklich begeistert – in anderen Worten, ein wahnsinnig kompliziertes Spiel komplett löst –, vielleicht erklärt er sich dann bereit, uns freizulassen.“

„Ich hab ja nicht mal die ersten zwei Spiele richtig durchschaut“, brummte Naruto. „Wir bräuchten schon …“ Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Wir bräuchten Shikamaru!“

Kakashi zuckte mit den Schultern. „Ich werde natürlich auch mein Bestes geben. Ich will Sphinx nicht vorschlagen, ihn mit hinein zu ziehen.“

Sakura verließ das Büro, und Kakashi nahm ihren Platz ein. Naruto durfte sie nicht nach ihren Punkten fragen, aber er erzählte ihr von seinem Gespräch mit ihm.

„Shikamaru wäre sicher am besten von uns allen für diese Art von Rätselraten geeignet“, meinte sie dann.

„Er muss uns helfen!“, sagte Naruto. „Und wenn er erfährt, was mit uns los ist, wird er es auch sicher tun!“

„Aber das hieße, ihn auch hierher zu schleppen“, meinte Sakura stirnrunzelnd. „Ich weiß nicht, ob ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann.“

„Ich werde es Sphinx vorschlagen“, beschloss Naruto. „Und ich sage ihm, dass er auf jeden Fall wenigstens Shikamaru freie Wahl lassen soll. Sonst prügel ich ihn windelweich, egal, was sie dann mit mir machen!“

 

Er wartete, bis alle anderen sich ihre Punkte von Sphinx geholt hatten. Mittlerweile war es tiefe Nacht, die Gänge waren finster und nur wenig Pflegepersonal war noch in der Nähe und räumte auf. Kidoumaru verließ Sphinx‘ Büro mit einem breiten Grinsen, was bei diesem Spiele-Narren jedoch nichts heißen musste. Naruto fing die Tür auf und trat selbstbewusst ein.

Sphinx hatte sich von ihm weggedreht und sah aus dem Fenster. Sein Haarschopf lugte über der Sessellehne hervor. „Was willst du noch?“, fragte er, als er Narutos Spiegelbild in der Scheibe sah.

„Dir etwas vorschlagen. Einen würdigen Gegner.“

„So?“ Sphinx stand auf, drehte den Schirm seines Computers in Narutos Richtung und schaltete ihn ein. „Du meinst nicht zufällig ihn?“

Sprachlos blickte Naruto auf die schwarzweiße Liste, neben der Shikamarus Porträtfoto prangte. Einige Ordner verwiesen auf weitere Fotosammlungen und Informationen – warum war er überhaupt überrascht? Bei Sphinx sollte ihn doch eigentlich nichts mehr wundern.

„Ich habe nach neuen Rekruten für das nächste Spiel Ausschau gehalten“, sagte Sphinx versonnen, als Naruto schwieg. Er schwieg auch weiterhin, obwohl allein diese Ankündigung ihm sauer aufstieß. „Dieser hier ist selbst mir ein Rätsel, muss ich sagen. Aus euren Mails und SMS kann ich mehr oder weniger herauslesen, dass ihr viel von ihm haltet, was seine Intelligenz angeht. Und einige wenige Institutionen haben schon Empfehlungsschreiben für ihn verfasst – und in absehbarer Zeit werde ich wissen, ob es sich nur um Vetternwirtschaft handelt oder ob tatsächlich was dahintersteckt. Die Sache ist nämlich die: Es fällt mir schwer, ihm das Genie abzukaufen. Er hat nie irgendetwas geleistet, das in irgendeiner Form bemerkenswert gewesen wäre. Seine Schulzeugnisse sind allesamt mäßig, er hat an keinen Wettbewerben teilgenommen, nicht mal ein Kreuzworträtsel eingeschickt – nichts. Es wirkt, als lebe er einfach in den Tag hinein. Außer der Tatsache, dass er mit euch befreundet ist, ist dieser Shikamaru Nara völlig farblos.“

Naruto konnte nicht anders, als unverschämt zu grinsen. „Das hast du davon, dass du uns ausspionierst. Schön, dass Shikamaru dir ein Schnippchen geschlagen hat. Wenn auch sicher nicht mit Absicht.“

„Demnach findest du, seine sprichwörtliche Intelligenz ist doch nicht ganz so sprichwörtlich? Ich habe ihm Gelegenheit genug gegeben. Eine ähnliche Mail, die ihr auch erhalten habt, eine Herausforderung zu einer Shougi-Partie – irgendwo habe ich die Information gefunden, dass er schon mal Shougi gespielt hat –, dann den Straßenkünstler, der einem zu leichtem Geld verhelfen kann, die ganz legale Schiene … Ich habe in den letzten zwei Tagen eine Menge Tricks versucht. Die alte Dame in Nöten wollte ich als Nächstes ausprobieren, aber irgendwie habe ich das Gefühl, er würde nicht mal ihr helfen.“

Naruto wollte gar nicht wissen, was der Trick mit der alten Dame war. Offenbar hatte Sphinx Shikamaru im Visier, seit er auch ihm und den anderen sein verhängnisvolles Eröffnungsrätsel gestellt hatte. Im Süden ist das Wasser säurehaltig. Eine Kugel glüht über einem Stock. Geht nach Norden und findet den Schatz … „Das heißt bei Shikamaru nicht viel. Er könnte deine Rätsel sicher im Handumdrehen lösen. Er will nur nicht.“

„Was soll das heißen, er will nicht? Wie kann man ein Rätsel unberührt lassen, das vor einem liegt und von dem man weiß, dass man es lösen kann?“ Sphinx klang, als wäre es ihm unbegreiflich.

„Frag das Shikamaru“, grinste Naruto. „Er ist einfach unglaublich faul, das ist alles.“

Sphinx schien zu überlegen. Das war das erste Mal, dass Naruto ihn unsicher sah. „Ich will keine unfähigen Leute in meinem Spiel“, legte er fest. „Shikamaru Nara wäre schon längst hier, wenn ich mich von seiner Intelligenz überzeugen könnte.“

Naruto witterte seine Chance. „Er hat sicher schon gemerkt, wohin wir alle verschwunden sind. Vielleicht hat er im Gegenzug sogar dich ausspioniert, ohne dass du es gemerkt hast. Er wäre der beste Spieler für dein Werwolf-Raten, den es gibt. Schreib ihm eine einfache Mail – oder besser, lass mich sie schreiben. Wie faul und genervt von allem er auch ist, er wird uns sicher nicht hängen lassen!“

„Ich habe immer noch nur dein Wort als Beweis für seine Schläue“, merkte Sphinx an.

„Dann schick ihm unser letztes Spiel! Erklär ihm die Regeln, schreib ihm, wie es abgelaufen ist, die Morde, die Hinrichtungen. Ich bin sicher, er kann es lösen, selbst wenn du ihm nur eine Zusammenfassung lieferst.“ Falls man es überhaupt lösen kann, dachte Naruto, behielt das aber für sich.

„Das wäre tatsächlich eine gute Idee“, meinte Sphinx. „Vielleicht hätte ich das irgendwann ohnehin getan, wenn ich nicht langsam das Interesse an ihm verloren hätte.“

„Schlag ihm vor, herzukommen. Ganz ohne faule Tricks, eine einfache Einladung. Um uns zu retten.“ Naruto hasste sich fast dafür, weiterzusprechen, aber er war es Hinata und all den anderen schuldig. „Wirf ihm das komplizierteste, schwierigste, verrückteste Spiel entgegen, das dir einfällt. Somit kannst du wunderbar deinen Intellekt mit dem von Shikamaru messen. Und wenn er dich besiegt, dann lass uns alle frei! Mehr als Shikamaru können wir dich nicht unterhalten!“

„Hm.“ Sphinx dachte tatsächlich darüber nach. Minutenlang wartete Naruto mit bangem Herzklopfen. Schließlich gab der Spielmeister seine Einwilligung. „Also schön. Shikamaru Nara scheint ein Spieler zu sein, der ohne hohen Einsatz nicht spielt. Dann werde ich also all eure fehlenden Punkte setzen. Was er mir als Ausgleich bieten kann, überlege ich mir noch.“ Sphinx kramte ein Blatt Papier und einen einfachen Filzstift aus seiner Schreibtischschublade hervor. „Ihr könnt ihm eine Nachricht schreiben. Fleht ihn um Hilfe an oder etwas anderes. Bewegt ihn dazu, das Werwolfrätsel zu lösen, das ich ihm schicke.“

Naruto nickte. „Aber nur, wenn du dein Wort hältst. Ein letztes Spiel mit Shikamaru. Wenn er zustimmt. Und wenn er gewinnt, sind wir frei. Kein Entführen, keine miesen Tricks.“

Sphinx grinste schief. „Du hast mein Wort.“

 

Es war spätnachts und Shikamaru war noch auf. Er konnte nicht schlafen, obwohl er müde war und tagsüber viel Zeit auf seiner Couch verbracht hatte. Die Sache mit Naruto und den anderen kreiste in seinen Gedanken. Sie waren alle plötzlich in eine Nervenheilklinik eingeliefert worden. Diesen Mist kaufte natürlich niemand, der ihnen nahestand, ab, aber alle Atteste und Papiere waren echt – oder meisterhaft gefälscht. Shikamaru tippte auf Letzteres.

Freunde und Familie von ihnen hatten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Bescheide außer Kraft zu setzen. Gai beispielsweise wollte vor Gericht ziehen, und einige Eltern der Vermissten ebenso. Diese regelrechte Masseneinlieferung lag erst ein paar Tage zurück, und die Mühlen des Gesetzes arbeiteten bekanntlich langsam. Dennoch spürte Shikamaru, dass irgendetwas die Sache zusätzlich verzögerte. Judikative, Polizei, Ärzte – sie alle versprachen, diesen merkwürdigen Sachverhalt schnellstmöglich zu prüfen, aber bislang hatte niemand sichtbare Fortschritte gemacht.

Sasukes Bruder hatte versucht, ihnen Zugang zu der besagten Klinik zu verschaffen, hatte mit wichtigen Leuten gesprochen und war bis vor die Tore des Gebäudes gefahren. Immer wieder war die Antwort höflich, aber bestimmt gewesen. Niemandem war es gestattet, die Kranken zu besuchen.

Und als wäre das noch nicht genug, war plötzlich ein neurologischer Befund aufgetaucht, der Itachi völlige Unzurechnungsfähigkeit anhängte. Dieser Befund wiederum raste geradezu durch die Hände von Itachis Vorgesetzten und Medizinern. Vor nicht mal einer Stunde hatte Shikamaru davon erfahren. In einer Welt, in der Worte auf Papier alles bedeuteten, würde es wohl nicht mehr lange dauern, bis Itachi tatsächlich die Klinik betreten durfte – als neuer Gefangener in diesen unfreundlichen Mauern. Wenn das keine Racheaktion desjenigen war, der hinter dieser Farce steckte, wollte Shikamaru nicht mehr Shikamaru heißen.

Er selbst hatte natürlich Nachforschungen angestellt, gemeinsam mit Chouji. Die Verbrechen, die seine angeblich geisteskranken Freunde begangen haben sollten, waren in sämtlichen Papieren sehr vage beschrieben, und unter dem Deckmantel des Betroffenenschutzes ließ sich kaum ausforschen, wer die Opfer waren. Shikamaru war sich sicher, dass die Missetaten aus der Luft gegriffen waren. Aber ohne mit seinen Freunden darüber zu sprechen, was in den Tagen vor ihrer Zwangseinweisung geschehen war, war es kompliziert, logische Schlüsse zu ziehen.

Eher zufällig entdeckte er die Mail von einem gewissen Magister Hinx. Er hob die Augenbrauen. Sie war signiert mit dem digitalen Stempel der Mitarbeiter ebenjener dubiosen Klapsmühle. Und sie enthielt eine Bitte, offenbar von Naruto, und ein Rätsel.

 

Es klopfte an der Tür, der Mann trat ein. Shikamaru setzte die Schreibfeder ab und sah ihn erwartungsvoll an. Er kannte ihn zwar nicht, aber das musste nichts heißen – er trug die Uniform der Marine, mit einem Abzeichen, das ihn als ungefähr gleichrangig mit Shikamaru auswies.

„Ja?“, fragte Shikamaru.

Der Mann salutierte. „Offizier, ich habe eine Nachricht für Euch. Ein persönlicher Auftrag des Gouverneurs.“

Shikamaru seufzte. Wie mühsam. „Und zwar?“

„Es geht um die Vieja Gloria, die samt Besatzung auf See verschollen ist. Einer unserer besten Männer war mit an Bord, als sie auslief.“

Er erinnerte sich. „Ah ja. Die Sache mit der verfluchten Insel und dem Piratenschatz?“

„Genau. Man hat nie wieder davon gehört, aber heute Morgen erfuhren wir, dass ein Passagierschiff jüngst in der Nähe dieser Gewässer gekreuzt ist. Sie haben uns das hier übergeben.“ Der Soldat stellte eine Flasche auf Shikamarus Schreibtisch. „Der Gouverneur zweifelt nicht an der Echtheit der Nachricht. Ihr sollt für ihn herausfinden, was mit unserem Mann geschehen ist – und mit den anderen Besatzungsmitgliedern.“

„Was auf dieser Insel passiert ist, also?“ Einen neuerlichen Seufzer unterdrückend, leerte Shikamaru den gefalteten Brief aus der Flasche und studierte ihn. „Das ist doch ein Reisebericht. Reicht das dem Gouverneur nicht?“

Der Soldat schüttelte knapp den Kopf. „Es sieht so aus, als hätte der Verfasser selbst nicht gewusst, wie ihnen allen geschah. Der Gouverneur wünscht, Licht in die Sache zu bekommen. Ihr sollt Euch melden, sobald Ihr etwas herausgefunden habt.“ Damit salutierte er erneut und ließ Shikamaru in seinem Amtszimmer allein.

Nun konnte er getrost wieder seufzen. Wenn man als derjenige Marineoffizier bekannt war, der sämtliche mysteriöse Verbrechen, die auf und rund um die sieben Weltmeere geschahen, aufklären konnte, blieb einem auch nichts erspart. Schweigend begann er über der Flaschenpost zu brüten.

 

Sie hörten zwei Tage nichts, obwohl Sphinx Shikamaru sicher keine so lange Frist eingeräumt hatte. Dann hatte Sphinx jedoch eine erfreuliche Nachricht für sie. Während sie sich die Zeit in dem großen Aufenthaltsraum vertrieben, kam er persönlich auf sie zu und nickte. „Er hat es geschafft“, sagte er nur.

Naruto und viele der anderen strahlten einander an. Natürlich hatten er und Sakura ihnen von dem Ausweg erzählt, den Sphinx ihnen angeboten hatte. Zwar fühlte er sich noch immer mies dabei, seinen Freund in die Sache mit hinein gezogen zu haben, aber er hatte gewusst, dass Shikamaru das Rätsel lösen könnte. Und in dieser kurzen Zeit … Eigentlich könnte Sphinx doch selbst jubeln. Er hatte einen würdigen Gegenspieler gefunden.

„Da wir nun mit einem Alternativprogramm fortfahren, könnt ihr aufhören, euch die Köpfe darüber zu zerbrechen“, fuhr Sphinx fort. „Er hat sich auch bereiterklärt, bei dem nächsten Spiel mitzumischen. Ich lasse ihn eben herbringen. Ihr könnt übrigens das letzte Spiel auflösen.“ Damit ließ er sie wieder allein.

Nach dem Mittagessen brachten zwei weißgewandete Männer Shikamaru tatsächlich durch die große Tür, von der der Weg in die Freiheit durch ein labyrinthisches Sicherheitssystem führte. Wer ihn näher kannte, begrüßte ihn freudig, Naruto auch ein wenig beschämt. Und er war nicht der Einzige, der zu ihrer unglücklichen Gruppe stieß.

„Also fährt Sphinx für sein letztes Spiel noch einmal mächtige Geschütze auf“, kommentierte Tenten trocken, als sie die zehn bekannten Gesichter sah. Gaara, Temari, Kankurou. Chouji, Asuma und Kurenai. Itachi, Sasori und Hidan. Und Shino. Sie waren wohl alles andere als freiwillig hergekommen. Das hatte Sphinx also die letzten drei Tage getrieben – eifrig Unterstützung für ein gigantisches Spielbrett gesammelt. Keine Entführungen und keine Tricks – das hatte der Spielleiter wohl nur auf Shikamaru bezogen.

Sie verbrachten den Nachmittag damit, die aufgeregten und verwirrten Neuankömmlinge über sein schmutziges Spiel und seine Methoden aufzuklären. Sie waren alle auf ähnliche Weise wie Narutos Gruppe hergeschafft worden – allmählich musste es auffallen, dass alle möglichen Leute aus ihrem Freundeskreis in eine geschlossene Anstalt eingeliefert wurden! Aber Naruto traute Sphinx zu, selbst dafür einen logisch klingenden Grund zu erfinden. Da sie nun alles auf eine Karte setzen würden, glaubte die Außenwelt vielleicht, heute wäre hier Tag der offenen Tür oder irgendein anderes Event, zu dem Unbeteiligte kommen konnten. Und wenn sie nicht wieder rauskamen, würde Sphinx sicher auch dafür etwas einfallen. Naruto wunderte, was ihren Spielleiter anging, gar nichts mehr.

Es gab nun tatsächlich keinen Grund mehr, ihre Identitäten im letzten Spiel geheim zu halten. Nacheinander legten sie ihre Karten auf den Tisch. Shikamaru tat die ganze Zeit über nichts anderes, als bestätigend zu nicken.

Die nie zurückkehrten


 

~ 16 ~
 

Shikamaru stand persönlich vor dem Gouverneur von Port Fronda. Er hätte darauf verzichten können, sich derart ins Rampenlicht zu drängen, aber die Obrigkeit bestand nun einmal darauf. Offenbar hatte der Gouverneur sich selbst einige Gedanken über die Flaschenpost dieses Abenteurers namens Naruto gemacht und fieberte einer Auflösung entgegen.

Nachdem er seine Unlust hinuntergeschluckt hatte, begann Shikamaru mit seinen Ausführungen. „Admiral Neji, der den Auftrag hatte, die Vorkommnisse auf der Insel zu untersuchen, war ziemlich erfolgreich. Schon in der ersten Nacht, als sie sich nach dem Schiffbruch an Land gerettet hatten und die meisten anderen todmüde waren – was ich verstehen kann –, beobachtete er den ersten Mord durch eine Wolfspiratin. Naruto schreibt, Neji hätte dies in seinen eigenen Aufzeichnungen festgehalten. Die Mörderin ist eine Dame aus hohem Hause, wohnhaft hier in Port Fronda. Die Durchsuchung ihrer Villa lieferte zwar kein Ergebnis, aber wir müssen sie ja wohl nicht mehr bestrafen. Ein paar kleine Ungereimtheiten bezüglich ihres Verhältnisses zu ihrer Dienerin, einer jungen Frau namens Sakura, stachen mir allerdings ins Auge. Ich glaube deshalb, Narutos Reisebericht erzählt die Wahrheit – selbst wenn nicht, können wir die meisten der Verbrecher nicht mehr bestrafen.“

Der Gouverneur nickte. „Selbst wenn dieser Naruto sich die ganze Geschichte ausgedacht hat, ich möchte sie aufgelöst wissen. Fahrt bitte fort.“

„Lady Ino war eine Wolfspiratin und tötete in der ersten Nacht Kakashi, den Kapitän der Vieja Gloria, mit einem Messer, das sie anschließend irgendwo bei den Felsen im seichten Wasser versteckte. Ein gewagter Zug, denn es hätte sehr wohl wieder angespült werden können. Jedenfalls glaubte die Piratenbande des Knochenmannes ebenfalls, dass sie schuldig war, und tötete sie.“ Shikamaru warf einen Blick auf die Botschaft. „Was danach am ersten Tag auf der Insel geschah, lässt wenig Raum für Mutmaßungen. Die Piraten teilten sich in zwei Gruppen auf. Kapitän Kimimaro, Sakon und Tayuya kehrten zu ihrem Schiff zurück, während die anderen ihre Gefangenen bewachten. Der Knochenmann schien übrigens schwer krank zu sein, das hat der Pirat Jiroubou Naruto und seinen Begleitern gegenüber irgendwann erwähnt. Möglicherweise gab es einen Grund, warum sie diese beschwerliche Reise dennoch auf sich genommen hatten, wenn abzusehen war, dass seine Zeit schon bald gekommen sein würde – aber darüber kann man nur spekulieren. Und das ist mir zu mühsam.“

 
 

- Schiffbruch, erster Tag -

 

Sakon sah zu, wie sich Kimimaro auf das Bett in der Kapitänskajüte wuchtete. Die letzten paar Meter wäre er fast in Versuchung geraten, ihn zu stützen. Hätten sie nicht die Landeplanke auf einen abgeflachten Felsen legen und bequem an Bord gehen können, hätte es der Kapitän vermutlich nicht mal aufs Schiff geschafft.

Es war wie immer dunkel hier drin. Tayuya zündete eine Ölleuchte an. „Das ging ja diesmal ziemlich flott“, sagte Sakon, nachdem Kimimaro nur eine Weile schwer geatmet hatte, und meinte seinen Anfall.

„Sie werden häufiger.“ Kimimaros Stimme war fest, aber es bereitete ihm Anstrengung zu sprechen, das war zu hören. „Ich habe vermutlich nicht mehr viel Zeit. Sie wird gewiss nicht reichen, um das Schiff wieder seetüchtig zu machen und mit dem Schatz nach Port Fronda zu segeln.“

„Dann haben wir ein Problem.“

Es war nicht so, dass Kimimaro Sakon besonders viel bedeutete. Er konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als er, Tayuya, Kidoumaru und Jiroubou ihren Kapitän gleichzeitig zu einem Messerkampf herausgefordert hatten. Damals war er noch nicht ihr Kapitän gewesen, also hatte es sich nicht um Meuterei, sondern um ein schlichtes Kräftemessen gehandelt. Der Beginn ihrer Piratenlaufbahn.

Kimimaro hatte sie alle vier abgefertigt. Wenn er starb, würde einer von ihnen Kapitän werden, und Sakon war sich ziemlich sicher, dass der Hut an ihn gehen würde, und das war ein angenehmer Gedanke. Aber Kimimaro war ein verdammt guter Seemann gewesen, ein guter Kapitän und ein fähiger Pirat. Ihn zu verlieren bedeutete, eine wahre Bestie der See zu verlieren, die an ihrer Seite gekämpft hatte.

„Die Landratten werden schon spuren“, sagte Tayuya. „Wenn wir denen ordentlich Feuer unterm Hintern machen, graben sie bis zum Mittelpunkt der Welt. Wir werden den Schatz im Nu haben.“

Kimimaro schnaubte. „Das Schiff leckt.“

„Wir spannen die Feiglinge einfach für die Reparaturen ein.“

„Selbst dann dauert es zu lange.“ Er stemmte sich auf die Ellbogen hoch. „Vergesst mich einfach. Lasst mich heute Nacht noch einmal in diesem Bett schlafen.“

„Sicher. Dann sollen wohl die ganzen Anstrengungen umsonst gewesen sein?“, fragte Tayuya und zog zornig eine Augenbraue hoch.

Sie hatten etliche Entbehrungen auf sich nehmen müssen, um an die Karte zu kommen. Kidoumaru hatte in einer verrauchten Hafenkneipe zum ersten Mal davon gehört. Dutzende aufgeschlitzte Kehlen, Blut und Wunden hatten den Weg gepflastert, der letztlich zu ihr geführt hatte. Jiroubou hatte sich sogar shanghaien lassen müssen, und beinahe wären sie alle in der folgenden Seeschlacht draufgegangen. Der alte Seebär, den Kimimaro in einem fairen Säbelkampf geschlagen hatte – ein unnötiger Anfall von Ehre, wie Sakon fand – hatte nur eine verblichene Kopie der Karte besessen, aber es hatte gereicht, um die Insel zu finden. Und dann hätte sie gestern dieser verfluchte Sturm fast von der See gefegt. Aye, es war ein steiniger Weg bis hierher gewesen.

„Es war nicht umsonst. So müsst ihr den Schatz nicht für meine Medizin aufwenden. Nehmt ihn und kauft euch jedes Vergnügen, das ihr haben wollt. Ich bin froh, euer Kapitän gewesen zu sein. Das reicht mir.“

„Verdammt, red‘ nicht so einen sentimentalen Mist“, knurrte Sakon.

Aber Kimimaro hatte schließlich recht. Die einzige Medizin, die Heilung für ihn versprach – und das war auch nur eine Vermutung – lagerte in den Labors der medizinischen Fakultät der Königlichen Akademie – und damit dummerweise direkt unter dem Fort von Port Fronda. Sich einzuschleichen wäre nicht das Problem gewesen, wohl aber, etwas zu stehlen. Irgendeine der Royals schien an derselben Krankheit wie Kimimaro zu leiden und stellte für die Medizin großzügige Forschungsgelder zur Verfügung, und solche Investitionen wurden natürlich streng bewacht. Piraten wateten oft durch Blut, aber in die Lagerkammern unter dem Fort einzubrechen, hätte sie auch durch ein Meer aus Pulver und Blei geschickt.

Der Schatz war eine andere Sache. Kimimaro hätte sich nicht einmal die Blöße geben müssen, seine Crew um Mithilfe bei seinem ganz privaten gesundheitlichen Problem zu bitten. Wenn nur die Hälfte der Geschichten stimmte, hätte sein Kapitänsanteil allein ausgereicht, um sich einen ganzen Vorrat zu kaufen, genau wie die Royals. Zumindest genug, bis er die nächste Wagenladung Gold parat hatte. Es war schon seltsam, dass Fläschchen mit trübem Inhalt, fast wie dreckiges Regenwasser, so viel wert sein sollten.

Aber dann sollte es wohl nicht so sein. Sie würden alles, was sie auf dieser Insel fanden, durch vier teilen, ob Fluch oder Gold.

„Verschwindet endlich“, krächzte Kimimaro. „Bringt mir ein wenig Rum, dann rutsche ich besser ins Jenseits.“

 

„Kapitän Kimimaro blieb an Bord des Piratenschiffes, die anderen beiden kehrten zu den Gefangenen zurück“, fuhr Shikamaru fort. „Letztendlich brachte Kidoumaru sie ins Inselinnere, um dort nach dem Schatz zu graben. Dort dürfte ihnen ein kleines Kunststück gelungen sein: Sie überwältigten den Piraten und versteckten sich auf ihrem eigenen, offenbar ziemlich maroden Schiff, wo sie Kidoumaru unter Deck einsperrten. Bis zur Nacht blieb alles ruhig, und Naruto beschreibt erst wieder, wie Admiral Neji sie am nächsten Tag weckt, mit den Piraten bereits wieder im Nacken.

Offenbar hatte Neji auch einen Wolfspiraten in dieser Nacht entdeckt, wenngleich jener niemanden getötet haben dürfte. Vermutlich hatte ihn jemand oder etwas daran gehindert. Einfach ohne Grund in einem Schiff herumschleichen wäre selbst einem Piraten zu mühsam, denke ich. Was das Ganze verkompliziert, ist die Tatsache, dass sich die Schiffbrüchigen in getrennte Räume zurückgezogen hatten. Sasuke und Deidara schliefen in ihren jeweils eigenen Kabinen, Tenten und Sakura bezogen eine Kabine zu zweit, und Naruto, Lee, Kiba und Neji blieben im Mannschaftsraum. Da die Wölfe Masken trugen, kommen also mehrere Personen dafür infrage. Ich habe allerdings einige konkrete Vermutungen, was in dieser Nacht genau vorgegangen ist, und hier in Port Fronda habe ich sogar ein paar Beweise gefunden, die sie untermauern.“

 
 

- Schiffbruch, zweite Nacht -

 

Die Nacht war schon weit fortgeschritten und er war zwischendurch immer wieder eingenickt, als der Boden knarzte. Nicht laut, aber selbst ein geübter Attentäter hätte diesem gebrechlichen Kahn ein Stöhnen entlockt.

Deidara hatte mit dem Rücken zur Tür durch den schmalen Spalt gelauscht. Jetzt spähte er auf den Gang. Erkennen konnte er nichts, aber dort war eindeutig jemand – und wenn dieser Jemand nichts Unfeines vorhatte, hätte er eine Lampe mitgebracht.

Hatte er es sich doch von Anfang an gedacht! Nun, genau genommen hatte es sich Itachi gedacht, aber das machte jetzt auch keinen Unterschied mehr. „Wenn es diesen Schatz wirklich gibt, werden es die Wolfspiraten ebenfalls darauf abgesehen haben“, hatte er gesagt, als sie sich das letzte Mal in dem etwas zweifelhaften Club von Port Fronda getroffen hatten – dem kleinen, aber trotzdem hübsch eingerichteten, der dem echten Gentlemen’s Club direkt gegenüberlag, auch wenn die feinen Herren keine Ahnung hatte, was sich hinter der roten Wolke auf der Eingangstür verbarg.

„Komm schon“, hatte Deidara gelacht und seine Zigarre über die Fingerknöchel wandern lassen. „Wer weiß denn überhaupt davon?“

„Gute Frage. Wie hast du davon erfahren?“

Deidara hatte gegrinst. „Das möchtest du nicht wissen, hm.“

„Also auf die unehrliche Art.“

„Das würd ich so nicht sagen. Sagen wir, ich hab neulich eine feurige Piratenbraut kennengelernt. Wir waren beide ziemlich betrunken, sonst wären wir uns sicher aus dem Weg gegangen. Aber sie hatte ein lukratives Angebot für mich.“

„Den Schatz, meinst du?“

„Einen Schatz schon, aber nicht den von dieser Insel. Was glaubst du wohl, was besagter Piratin bei einem ihrer Raubzüge untergekommen ist? Du errätst es nie!“

Itachi hatte ihn desinteressiert gemustert. „Es hat mit Kunst zu tun“, sagte er überzeugt.

„Richtig, hm. Ein zwei mal drei Meter großes Gemälde des alten Königspalastes, gemalt in einer Gewitternacht vom bedeutendsten Pinselschwinger der damaligen Zeit. Ein königlicher Frachter hatte es nach Port Fronda bringen sollen.“

„Ich dachte, du machst dir nichts aus Bildern?“

„Das ist etwas anderes“, hatte Deidara brüskiert geantwortet. „Es ist ein absolutes Einzelstück, entstanden am Rand einer Klippe im strömenden Regen. Bevor du fragt, ja, es war überdacht, aber der Künstler hätte in jedem Moment vom Blitz getroffen werden oder abstürzen können. Unzählige Momente seines Beinahetodes, eines Abtrittes mit einem gewaltigen Donner- oder Steinschlag, sind in dem Bild gefangen. Vermutlich verstehst du das nicht. Die Piraten haben‘s auch nicht verstanden, wussten aber nicht, wie sie das Bild an den Mann bringen sollten, immerhin würde es jeder mit ein bisschen Verstand erkennen.“

„Also haben sie es dir versprochen?“

„So sieht’s aus. Im Gegenzug soll ich ihnen bei dem Schatz helfen. Die Kleine hat gemeint, wenn ich ein Schiff kenne, das auch zu der Insel fährt, soll ich mit an Bord gehen und aufpassen, dass ihnen keiner den Schatz wegschnappt.“

„Wahrscheinlich hat sie auch vermutet, dass die Wolfspiraten davon Wind bekommen haben.“ Itachi hatte nachdenklich ausgesehen und war dann endlich mit der Sprache herausgerückt. „Jemand hat vor kurzem genau so ein Schiff gechartert. Heute legt es ab, und Sasuke ist auch an Bord.“

„Woher weißt du das?“

„Ich habe meine Beziehungen. Mein kleiner Bruder scheint es sich in den Kopf gesetzt zu haben, so weit wie möglich von daheim davonzulaufen. Vielleicht will er in der Ferne nach einer Möglichkeit suchen, sich an mir zu rächen.“ Das hatte Itachi gesagt.

Und nun war Deidara hier. Mit Sasuke, in der Ferne, auf einem zerstörten Schiff. Die geplagten Balken ächzten, die Wellen rauschten. Irgendwo flüsterte noch ein Geräusch, das Deidara nicht einordnen konnte. Aber zwischen alledem konnte er jemanden atmen hören, ruhig und abgebrüht, aber es klang saugend, wie durch … eine Maske eben. Eine besonders hohe Welle schwappte gegen die Vieja Gloria und ließ den Rumpf blubbern. Vor dieser Geräuschkulisse bewegte sich der Unbekannte weiter, denn kurz danach war das Atmen weg. Auch die Schritte hörte er nicht mehr. Es gab allerdings nur einen Ort, zu dem man gelangen konnte, wenn man an Deidaras Unterkunft vorbeikam. Sasukes Kajüte.

Deidara stand behutsam auf und schob lautlos die Türe auf. Seine Pistole hatte er gar nicht erst aus der Hand gelegt. Er trat in den Gang, sah aber nur dräuende Schatten jenseits seiner Tür.

Blind rannte er los, denn leise zu sein hatte hier keinen Zweck. Der Lauf seiner Pistole stieß gegen etwas Lebendiges, das zusammenzuckte, direkt vor Sasukes Tür. Aus der Nähe erkannte er die schattenhafte Gestalt. „Was versuchst du denn da?“, raunte er dem unförmigen Kopf zu.

Zu schnell, als dass er hätte abdrücken können, wirbelte die Gestalt herum. Deidara sah in ein Antlitz aus geschnitzten weißen Zähnen mit blutigem Zahnfleisch, der Rest der Maske war ebenso schwarz wie die Kleidung des Wolfspiraten. Einer der Regenmäntel, wie man sie auf fast jedem Schiff fand? Ein Fuß trat ihm wuchtig die Pistole aus der Hand, dann warf sich der Angreifer mit der Schulter gegen ihn. Mit einem dumpfen Ächzen prallte er gegen die Wand und riss sein Messer aus dem Gürtel.

Der Wolfspirat floh. Kaum lauter als zuvor huschte er den Gang entlang, ein Schatten, der in die Dunkelheit flüchtete. „Ja, lauf nur“, rief Deidara ihm mit gedämpfter Stimme hinterher. „Ich erwische dich schon! Du weißt, was dir blüht, wenn du wiederkommst!“

Itachi hatte Deidara damals eindringlich angesehen, und er hatte plötzlich gewusst, was er von ihm wollte. „Wenn du auch zu der Insel fährst, tu mir einen Gefallen“, hatte er gesagt. „Hab ein Auge auf Sasuke.“

Und das würde er auch tun. Itachi war ihm eine große Hilfe gewesen, als er dem Club hatte beitreten wollen. Deidara blickte zum Holz von Sasukes Kajütentür. Er würde auf seinen kleinen Bruder achtgeben. Solange es seinem Gemälde nicht im Weg war.

 

„Haben diese Beweise, von denen Ihr sprecht, etwas mit diesem zwielichtigen Club zu tun?“, fragte der Gouverneur stirnrunzelnd.

Shikamaru nickte. „Ich habe mit einiger Finesse herausgefunden, dass der ältere Bruder von diesem Sasuke in dem Club verkehrt – und Deidara war ebenfalls Mitglied. Ein paar Spionagearbeiten später erfuhr ich, dass eine gewisse rothaarige Piratin Deidara offenbar für seine Mithilfe beim Bergen des verfluchten Schatzes einen wertvollen Kunstgegenstand angeboten hat. Und laut Narutos Beschreibung ist die Frau namens Tayuya ebenfalls rothaarig.“

Der Gouverneur nahm einen Schluck aus seinem Weinkelch. „Also steckten die beiden unter einer Decke?“

„Sie schienen zumindest passiv versucht zu haben, einander am Leben und bei Laune zu halten“, sagte Shikamaru.

„Was ist mit diesem anderen Piraten, diesem Kidoumaru? Er dürfte doch irgendwie entkommen sein, oder?“

Shikamaru nickte. „Er muss seine Kameraden darauf hingewiesen haben, dass Neji ihren Plänen gefährlich werden könnte. Den Verdacht miteinbezogen, dass es zu jener Zeit noch drei Wolfspiraten auf der Insel gab, glaube ich, dass er ebenfalls einer war.

 

Das eisige Wasser, das den Boden gerade so benetzte, ließ Kidoumaru wachbleiben. Wenn er diese verdammten Bastarde zu fassen kriegte, würde er ein lustiges Spiel mit Kugeln und Messern mit ihnen spielen, das schwor er sich!

Zu rufen brachte nichts, der Knebel ließ ihn nur erstickte Laute von sich geben. Also versuchte er seine Hände zu befreien, die an den Fockmast gefesselt waren. Er befand sich in irgendeinem Lagerraum oder etwas in der Art, und der Mast führte durch den schräg liegenden Schiffbauch. Unermüdlich ließ Kidoumaru die dünnen Stricke an dem Holz scheuern, nutzte jede Unebenheit aus. Die Sonne war längst untergegangen, und im Mondlicht tanzte Staub in dem Lagerraum – vielleicht auch eher das Sägemehl, in das sich die Planken verwandelt hatten –, als die Schnüre endlich schnalzend nachgaben. Kidoumaru atmete tief durch. Seine Handgelenke waren wund, aber das scherte ihn nicht. Als Nächstes betrachtete er die Knoten um seine Knöchel. Die verdammten Matrosen dieser schwimmenden Bruchbude hatten ihm echte Seemannsknoten verpasst. Durch das eisige Wasser, das salzig in seinen Wunden brannte, robbte Kidoumaru sich in den hinteren Teil des Raums. Ein Loch klaffte dort, und an den scharfen Kanten schaffte er es umständlich, auch seine Füße zu befreien.

Nun war die Rache sein. Aber wie sollte er es anstellen? Er zog sich seinen Mantel aus, der ohnehin nur klamm und schwer vom Wasser war, und band ihn mit dem Rest der Schnüre an die Planken beim Loch. Er hatte keine Ahnung, wo er war, aber offenbar war das Schiff dieser Leute irgendwo vor der Küste auf Grund gelaufen. Wenn seine Kameraden ihn suchen kamen, würden sie den Mantel vielleicht sehen.

Seine Stiefel gaben schmatzende Geräusche von sich, selbst nachdem er das Wasser daraus leerte, also nahm er sie in die Hand und schlich auf leisen Sohlen aus seinem Quartier. Sich durch den kalten Bauch des halbtoten Schiffes tastend, suchte er den Aufgang aufs Deck. Der Boden war schief, wankte aber nicht.

Kidoumaru hörte ein flüchtiges Geräusch und huschte in die erste offenstehende Tür, die er sah. Sie führte zur Kombüse, wenn er sich nicht irrte – zumindest lag allerlei Küchenzubehör am Boden herum. Draußen sah er eine Gestalt herumschleichen, zu klug für eine Laterne, doch seine scharfen Augen erkannten die Umrisse auch im Dunkeln. Es war der königliche Forscher, dieser Neji. Ein schlauer Kerl, zweifellos. Kidoumaru hatte nicht vergessen, wie er seine Reisegefährtin mehr oder weniger absichtlich ans Messer geliefert hatte. Mit Kidoumaru als Aufpasser war er sehr zurückhaltend gewesen, aber stille Wasser waren bekanntlich tief. Er hatte gehört, was diese Landratten über scharfe Augen geflüstert hatten. Neji war gefährlich. Und gerade schnüffelte er wieder herum.

Und das konnte so nicht bleiben. Ino hatte er bereits enttarnt. Noch einen von ihnen würde es nicht erwischen. Kimimaro hatte oft genug von den Wolfspiraten geredet. Dass sie vielleicht auch hierher unterwegs wären. Jeder, der an diese Insel angeschwemmt würde und nur ein wenig gefährlich wirkte, gehörte ausgelöscht. Kidoumaru lachte sich immer noch ins Fäustchen, wenn er an die Ironie der Sache dachte. Ob Kimimaro ahnte, dass selbst seine eigene Crew infiltriert war?

Am liebsten hätte er Neji sofort den Bauch aufgeschlitzt, aber er war immer noch unbewaffnet. Hier in der Kombüse lagen zwar jede Menge Messer herum, aber die anderen hatten Pistolen, und wenn Nejis helle Augen tatsächlich so scharf waren … Das Risiko ging er lieber nicht ein. Lieber etwas Zwietracht säen, und das Problem löste sich von alleine.

Er wartete ab, ob der Schnüffler zurückkam. Als er es tat, rannte er nicht, also hatte er vermutlich nicht in den Lagerraum gesehen und Kidoumarus Verschwinden bemerkt.

Der Sonnenaufgang ließ sicher nicht mehr lange auf sich warten. Kidoumaru fand unbehelligt das Deck und atmete wieder frische Seeluft, angenehmer als die in dem Lagerraum. Eine steife Brise wehte. Hoffentlich flatterte sein Mantel schön. Kidoumaru sah sich um, mit dem prächtigen Vollmond direkt über sich. Das war das Piratenleben, wie er es liebte: Ein Spiel auf Messers Schneide, und doch immer wieder umgeben von roher Schönheit.

Dieser Seelenverkäufer hatte sich zwischen den Felsen verkrochen, vom Strand aus ungesehen dank eines riesigen Zackens, der aus dem Meer ragte. Die See war rau, aber mit etwas Glück konnte er dorthin schwimmen. Vielleicht fand er eine Höhle oder ein anderes Versteck. Wenn die anderen kamen, würde er seine Rache bekommen. Er wollte die Kerle nicht im Schlaf abstechen, das war so langweilig, dass er es seinen Kameraden überließ. Er würde ihnen am helllichten Tag gegenübertreten, bewaffnet und gestärkt, und dann würden sie schon sehen, was es hieß, sich mit Kidoumaru dem Wolfspiraten anzulegen!

 

„In dieser Nacht starb auch der Knochenmann, Kapitän Kimimaro“, fuhr Shikamaru fort. „Selbst wenn die Schiffbrüchigen später von Gegenteiligem ausgingen, halte ich es für wahrscheinlich, dass sich seine Krankheit einfach verschlimmert hatte, bis sie ihn schließlich dahinraffte.“

 

Ein Stiefeltritt weckte Tayuya. Grummelnd schlug sie die Augen auf. „Es ist so weit“, sagte Sakon.

Sie folgte ihm in die Kapitänskajüte, wo Kimimaro gerade sein Leben ausröchelte. Stumm blieben sie vor seinem Bett stehen, nur eine einzige Laterne erhellte seine letzte Stunde. Tayuya konnte selbst nicht sagen, ob es Respekt oder Ungeduld war, was sie hergetrieben hatte.

Mit zitterndem Arm streckte Kimimaro seinen Kapitänshut von sich und legte ihn in Sakons Hände. „Mach mir keine Schande, Kapitän“, hauchte er kraftlos. „Und tu am besten etwas gegen deine Arroganz.“

Sakon setzte andächtig den Hut auf. „Hör auf, mich zu belehren“, sagte er unwirsch, aber er hatte die Zähne fest zusammengebissen. „Tritt schon ab, wenn du es so eilig damit hast.“

Und als hätte Kimimaro dem neuen Kapitän gehorcht, wurde sein Blick glasig, und sein pumpender Brustkorb erstarrte.

 

„Aber hat Admiral Neji nicht gesehen, dass dieser Sakon ein Wolfspirat war? Dann hätte dieser seinen Kapitän doch auch selbst töten können. Er hätte ein Motiv gehabt. Und Naruto hat Nejis Annahme später bestätigt“, wandte der Gouverneur ein.

 

Die Sonne würde bald aufgehen. Neji hatte viel zu lange geschlafen.

Er hatte die Geschichte erst nicht glauben wollen, aber auch er hatte viele Gerüchte über die Wolfspiraten gehört. Und falls es sie wirklich gab, trug der Mord an Kapitän Kakashi eindeutig ihre Handschrift. Die Wölfe schlugen immer nachts zu und hinterließen keine Spur, wer es getan haben könnte. Sie raubten die Leute auf die effektivste und kräftesparendste Methode aus: Im Schlaf, wenn sie gerade dabei waren, zu erkalten.

Er hatte nicht gewollt, dass Ino gleich getötet wurde, ohne sie einem Gericht gegenüberzustellen. Allein deshalb musste er achtgeben, ob sich der Wolf nicht immer noch unter ihnen befand – oder einer seiner Kumpanen.

Neji fand Naruto schlafend neben der Tür vor. Er nahm es ihm nicht übel. Immerhin schien es jedem im Mannschaftslogis gutzugehen. Mit der Pistole griffbereit begann er, durch das Schiff zu patrouillieren. Die Kabinen der anderen betrat er nicht; er wollte nicht in ihre Privatsphäre eindringen, und die meisten schliefen sowieso getrennt. Man hatte ihn gebeten, die Augen offenzuhalten, und das würde er tun.

Alles war ruhig, als er durch die teils in Salzwasser versinkenden Eingeweide der Vieja Gloria schritt, langsam und vorsichtig. Er überlegte, ob er ihrem Gefangenen einen Besuch abstatten sollte, entschied sich aber dagegen. Die anderen wären nur misstrauisch geworden, warum er so spät noch auf war – oder so früh, je nachdem.

Er beendete seinen Rundgang, ohne auf etwas Außergewöhnliches zu stoßen. Als er wieder in den Mannschaftsraum trat, hatte sich Naruto im Schlaf herumgedreht, und die anderen schnarchten noch vor sich hin. Neji wollte gerade die Tür hinter sich zuziehen, als er ein Geräusch hörte und innehielt. Durch den kleinen Spalt sah er einen Schatten vorbeihuschen. Sein Herz begann wild zu hämmern. Einen Moment haderte er mit sich, dann schalt er sich dafür und nahm die Verfolgung auf, ebenfalls so leise wie möglich. Er hatte nur den Eindruck einer schwarzen Figur gesehen, mit einem Kopf, der irgendwie falsch war. Eine Maske, ging ihm durch den Kopf. Die Wolfspiraten trugen Masken, hatte Tenten gesagt.

Der Schatten war aus der Richtung gekommen, in der die gewöhnlichen Passagiere ihre Quartiere hatten. Jetzt schliefen dort nur noch Sasuke und Deidara. Am Mannschaftsraum vorbei führte der Gang zur Luke und dann weiter zur Luxuskajüte – was immer Luxus auf einem Schoner wie der Vieja Gloria heißen mochte. Dorthin hatten sich Sakura und Tenten zurückgezogen.

Natürlich war der Schemen nirgends mehr zu sehen. Neji strengte seine Augen an. Eine Flut aus Mondlicht fiel durch die Luke unter Deck und offenbarte nasse Fußspuren. Jemand war über die Treppe nach oben gestiegen. Neji leckte sich über die Lippen. Sollte er …?

Langsam, die Pistole schussbereit, kletterte er an Deck. Frische, kühle Luft, nicht so schwer und feucht wie unten, ließ seine Sinne kribbeln. Im Osten schob die Sonne bereits sanftes Morgengrauen über den Horizont. Das Meer darunter war noch fast schwarz – und vor diesem malerischen Hintergrund sah er die Gestalt erneut und duckte sich unter den Rand der Luke. Er sah nur den Kopf, da der umgestürzte Mast direkt vor ihm seine Sicht behinderte, aber der Mann hob eben etwas Schwarzes von diesem Kopf und fächelte sich damit Luft zu. Neji erkannte ihn genau. Es war Sakon von der Crew des Knochenmannes.

Neji ließ sich wieder unter Deck sinken, um nicht gesehen zu werden. Was sollte er tun? Es mit ihm aufnehmen? Er war sicher bewaffnet, und außerdem ein kampferprobter Pirat. Es war ratsamer, die anderen zu wecken – Neji war sich fast sicher, dass Sakon einen von ihnen getötet hatte. Weit konnte er nicht kommen, von der Reling aus könnten sie ihn im Wasser gut aufs Korn nehmen.

Als er den schiefen Weg zurück zum Mannschaftsquartier entlanglief, hörte er, als er die Tür aufriss, gerade noch Schritte über die Treppe poltern.

 

„Er hatte keine Beweise“, berichtigte Shikamaru. „Neji irrte sich höchstwahrscheinlich, oder eher, er erlag einer Täuschung. Auch hatte er keine Gelegenheit mehr, seine Gedankengänge diesbezüglich aufzuschreiben, sodass Naruto auf eine mündliche, wenig stichhaltige Aussage vertrauen musste. Er sah den Wolfspiraten, mit Maske, danach Sakon an Deck, vermutlich ohne Maske. Ich hatte bereits das enge Verhältnis zwischen Sakura und der Lady Ino angesprochen. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Sakura nichts vom Doppelleben ihrer Herrin gewusst hatte – oder anders gesagt, sie war mit ziemlicher Sicherheit selbst eine Wölfin.“

„Habt Ihr dafür auch Beweise?“, fragte der Gouverneur.

Shikamaru unterdrückte ein Gähnen. „Brauche ich die? Ihr wolltet eine Auflösung. Wenn meine Theorie logisch zusammenpasst, reicht mir das. Es ist ja nicht so, als könnten wir die Toten auf der Insel bestrafen.“

Der Gouverneur zögerte kurz, dann bedeutete er ihm mit einer Handbewegung, fortzufahren.

„Ich habe die Baupläne der Vieja Gloria in der Werft von Port Fronda verlangt. So wie Naruto ihre Schlafstätten beschreibt, führte der Weg zur Kabine von Sakura und Tenten an der Deckluke vorbei. Ich glaube, dass es Sakura war, die auf der Suche nach einem neuen Opfer durch den Schiffsbauch schlich. Neji folgte ihr wohl – und nahm die falsche Abzweigung. Möglicherweise sah er Kidoumarus nasse Fußspuren oder etwas anderes und glaubte, der Wolf wäre an Deck gestiegen. Dort sah er jedoch Sakon und zog die falschen Schlüsse. Vielleicht hatte er gegen die Morgensonne geblinzelt und Sakons neugewonnenen Kapitänshut für eine Maske gehalten, die er eben absetzte.“

Wieder überlegte der Gouverneur und gab sich dann damit zufrieden. „Und danach wiegelte Kidoumaru die Piraten auf, um Neji, der Sakon beschuldigte, zu töten.“

„Genau. Offenbar tricksten die Gefangenen die Piraten hernach aus und säten Misstrauen, sodass Jiroubou ihnen half, sich zu befreien, als die anderen gerade nicht in der Nähe waren. Nachts durchsuchten sie Nejis Gepäck und fanden den Brief von Euch.“ Der Gouverneur nickte grimmig. Shikamaru erzählte weiter: „Daraufhin beschloss Naruto für sich, Nejis Arbeit fortzusetzen. Hier wird es wieder knifflig. In Zweiergruppen verließen sie das Schiff, um die Piraten zu beobachten. Naruto und Sasuke, Lee und Sakura, Deidara und Tenten. Kiba blieb auf dem Schiff.“

 
 

- Schiffbruch, dritte Nacht -

 

Kidoumaru grinste in sich hinein, während er nach seinem heimlichen Gespräch mit Jiroubou sein eigenes Lager im Dickicht der Palmen und Farne aufsuchte. Dieser blonde Gnom hatte wohl geglaubt, er hätte ihn nicht im Sand liegen sehen. War das zu fassen? Sie hatten sich erst am Morgen des letzten lästigen Schnüfflers entledigt, und nicht nur hatten sich ihre Gefangenen ein zweites Mal befreit, nein, jetzt spionierte schon der nächste des Nachts herum!

Vor Jiroubou hatte er kein Aufhebens machen wollen. Der dicke Dummkopf glaubte hoffentlich, sie würden im selben Boot sitzen. Zum Glück war Kidoumaru noch eingefallen, dass Jiroubous Verdächtigungen seiner Sache sehr entgegen kamen. Er würde bei der nächsten Gelegenheit auch einfach Sakon und Tayuya bezichtigen. Diese beiden trauten einander sicher kein Stück weit, da waren er und Jiroubou dann schwer im Vorteil.

Was den blonden Dummkopf anging, so würde Kidoumaru schon dafür sorgen, dass er seine Nase nicht mehr in fremde Angelegenheiten stecken konnte. Früher oder später, aber irgendwann auf jeden Fall.

Was machten die anderen wohl gerade? Sicher passierte eben irgendwo ein Mord. Kidoumaru war schon gespannt, wen es diesmal erwischte. Die Wölfe hielten nichts von Sklaverei. Sie würden den Schatz schon selbst heben, das war das Sicherste und Einfachste. Alle anderen konnten ruhig vorher sterben. Und wenn alles so weiterging wie bisher, würde es sowieso Ewigkeiten dauern, bis sie richtig zum Graben kamen.

 

„Und Kiba wurde das nächste Opfer“, wusste der Gouverneur.

„Genau. Und bedenkt man unser Wissen über Sakuras Schuld, kommt automatisch jemand in den Verdacht, der letzte Wolf im Bunde zu sein.“

 

Kiba wartete ungeduldig auf die Rückkehr der anderen. Schlaf konnte er keinen finden, obwohl ihm die Anstrengungen der letzten beiden Tage noch in den Knochen steckten. Seine Muskeln marterten ihn, als wühlte darin eine Armee aus Ameisen.

Immerhin war er auf dem Schiff sicher. Von Deck aus konnte er die Umgebung gut überblicken, und die Nacht war sternenklar. Er wagte es nicht, ein Licht zu entzünden. Nejis Leiche hatte er schließlich über Bord geworfen, ohne sie zu durchsuchen. Aberglaube hin oder her, er wollte nicht mit einem Toten auf demselben Schiff sein. Mit dem Messer im Gürtel ging er auf und ab, vom Bug bis zum Heck und wieder zurück. Am liebsten wäre es ihm ja gewesen, selbst auf Piratenjagd zu gehen. Dass er allein mit dem Messer wenig Chance hätte, kümmerte ihn nicht. Dämliches Los! Wenn die anderen ihn nicht an Bord vorfanden, wenn sie zurückkehrten, würden sie ihn verdächtigen. Sie hatten gemeinsam beschlossen, dass es zu gefährlich war, zu dritt loszuziehen. Zwei Wölfe könnten einen harmlosen Abenteurer mühelos überwältigen. Das würde auf die zwei zwar auch ein schlechtes Licht werfen, aber ihr Opfer hätte nicht mal die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Und außerdem sollte jemand dafür sorgen, dass das Schiff bei ihrer Rückkehr nicht plötzlich piratenverseucht war.

Gereizt drehte er eine weitere Runde. Bis spätestens Sonnenaufgang würden sie unterwegs sein, dann schlafen, bis die Piraten wiederkamen. Kiba war sich sicher, dass keiner so verrückt war, den Zeitrahmen derart zu überspannen. Ein wenig ausruhen wollten sie ja hoffentlich auch. Wo blieben sie dann, verdammt nochmal?

Endlich tauchten auf den Felsen, die zum umgestürzten Mast führten, zwei Gestalten auf. Er erkannte sie als Sakura und Lee. Dass eine Frau nicht lange auf der Insel herumwandern konnte, hatte sich Kiba gedacht. Lee hingegen hatte Energie für zwei. Sicher hatte sie ihn dazu gedrängt, aufzuhören. Naja, ihm sollte es recht sein. Er winkte ihnen zu, und sie winkten zurück.

„Irgendwas entdeckt?“, fragte Kiba, als sich die beiden auf das Deck sinken ließen. Die Kletterpartie über die Felsen war jedes Mal anstrengend, und ihre Kleider waren nass.

Aber da war noch etwas anderes. Die beiden wirkten ungewohnt hektisch, und so sehr keuchte man eigentlich auch nicht, wenn man an Bord kletterte …

„Und ob“, sagte Sakura atemlos. „Schnell, wir müssen unter Deck!“

„Was?“ Kiba war verwirrt.

„Unter Deck! Sie sind knapp hinter uns! Mit Pistolen!“

Kiba zog alarmiert sein Messer. „Wer? Die Piraten?“

„Schlimmer – die Wölfe! Drei an der Zahl!“, rief Lee.

„Verdammt, wirklich?“ Kiba stürzte an die Reling, um die Felsen abzusuchen. Ob er bekannte Gesichter dort unten erkennen würde? Noch sah er niemanden.

Ein heftiger Schlag gegen seine Schulterblätter unterbrach seine Gedanken und ließ ihn gegen die Reling krachen. Für einen Moment blieb ihm sogar die Luft zum Schreien weg. Verdattert sank er zu Boden, drehte sich dabei um. Lee stand direkt hinter ihm.

„Verdammt, du …“, stieß er keuchend hervor. Die Klinge seines Messers blitzte im Mondlicht auf.

Ein Fußtritt gegen seine Schläfe schickte ihn endgültig zu Boden. „Sie waren nicht hinter uns. Sie waren hinter dir, als du uns den Rücken zugewandt hast“, erklärte Sakura süffisant.

Vor Kibas Gesichtsfeld tanzten schwarze Flecken. Das Messer war ihm entglitten, seine Finger tasteten über die rauen Planken, ohne es zu finden. Schemenhaft konnte er Lees Stiefel neben sich erkennen. „Warum?“, presste er hervor. Lee war doch so ein guter Kamerad gewesen!

„Weil er mir eine Bitte nicht abschlagen kann“, flüsterte Sakura in Kibas Ohr, und er fühlte das Messer wieder, direkt an seiner Kehle.

 

„Naruto schreibt, wie Sakura und Lee einhellig eine Geschichte erzählen: Er hätte sie belästigt, sie wäre davon gestapft. Ziemlich leichtsinnig, so etwas zuzugeben, nachdem eine neue Leiche gefunden wurde, nicht wahr? Jeder von beiden könnte nun verdächtig sein. Sofern sie nicht entweder zu ehrlich oder zu naiv gewesen waren, diesen kleinen Streit für sich zu behalten, sollte das Ganze meiner Meinung nach nur davon ablenken, dass sie beide unter einer Decke steckten. Sie töteten Kiba, verzogen sich wieder von Bord und kamen mit Unschuldsmienen zurück, nachdem Tenten und Deidara die Leiche gefunden hatten.“

Shikamaru streckte sich.

„Der Rest erklärt sich eigentlich von selbst. Nachdem sie wieder zur Arbeit gezwungen worden waren, prangerte Sasuke Sakura bei den misstrauischen Piraten an, die sehr schnell mit der Hand am Pistolengriff waren. Nachts flohen die Gefangenen endgültig. Deidara und Sasuke blieben wohl beisammen. Ich denke, Deidara versuchte Sasuke im Auge zu behalten, auf Drängen seines Bruders. Dazu stahl er vermutlich Waffen aus den Vorräten der Piraten auf der Schatzlichtung, während diese im Wald nach ihnen suchten – es ist wohl naheliegend, dass die Piraten sich dafür trennten, bedenkt man die folgenden Ereignisse. Naruto und Tenten fanden das Piratenschiff und gingen an Bord, wo sie ein Wolfspirat angriff.“

„Aber ist das nicht merkwürdig?“, fragte der Gouverneur. „Laut Naruto folgten sie dem Wolf durch den Bauch des Piratenschiffs, nachdem er Tenten verletzt hatte. Doch als sie das Deck erreichten, war er schon vom Schiff geflohen. Ich dachte, es wäre Kidoumaru gewesen. Tenten schoss auf ihn, weil sie am Strand jemanden sahen, wie Naruto schreibt. Er dachte zunächst, sie hätte nicht getroffen, weil sie kurz danach selbst von einer Kugel tödlich verwundet wurde.

Als aber später Tayuya und Jiroubou eintrafen, lag Kidoumaru tot im Sand – und als Naruto, nachdem es nur noch zwei Überlebende gab, die Leiche betrachtete, hatte er keinen Zweifel, dass der Pirat sofort tot gewesen war. Wer hatte Tenten erschossen, wenn nicht ein Wolfspirat? Die anderen hätten sich doch gezeigt? Mir fällt nur Lee ein, aber wusste der überhaupt, wo das Piratenschiff zu finden war? Hatte er es durch Zufall gefunden, oder hatte ihn Kidoumaru eingeweiht? Wenn, dann hätten sie Tenten und Naruto doch wohl zu zweit angegriffen, oder?“

Shikamaru nickte. Diese Sache hatte ihn auch länger beschäftigt. „Hier gibt das Ende Aufschluss“, sagte er. „Das Ende, das Naruto nie geschrieben hat.“

 
 

- Schiffbruch, vierte Nacht -

 

Deidara beobachtete, wie Naruto das Lager verließ, um sein Geschäft zu verrichten, und kurz darauf wiederkam. Dann legte sich der Junge neben Lee ins Gras. Offenbar gefiel ihm sein selbst geschaufeltes Grab nicht mehr.

Deidara lag nicht weit von den beiden entfernt. Er gestattete es sich nicht, tief einzuschlafen. Bei jedem Geräusch schreckte er in die Höhe. Sein ursprüngliches Ziel war ein wenig in den Hintergrund gerückt, als er ohnmächtig geworden war. Nun schliefen sie alle hier auf einer Lichtung, Freund und Feind, und das Einzige, dessen Deidara sich sicher sein konnte, war, dass erst Neji und jetzt Naruto anständige Leute waren. Anständig genug, um keinen Mord zu begehen. Er hatte den Jungen lange genug beobachtet; momentan glaubte er eher daran, dass sein Schützling Sasuke etwas mit den Wölfen zu tun haben könnte als Naruto, der Sakon so souverän enttarnt hatte. Von seinem Schlafplatz aus konnte er sehen, wie sich Narutos Silhouette im Rhythmus seines Atems bewegte. Sollte sie je damit aufhören, sollte sich heute Nacht jemand an ihn heranschleichen, Deidara würde sofort mit seinem Spaten zur Stelle sein.

Bei aller Liebe zur Kunst und bei allem Pflichtgefühl gegenüber Itachi musste Deidara schließlich auch dafür sorgen, dass er irgendwann wieder heil hier wegkam.

 

„Das hat ja ewig gedauert“, sagte Sakura.

„Was soll ich machen, ich musste ihn erst überreden“, meinte Kidoumaru achselzuckend.

Jiroubou war verwirrt, dass die Frau aus Port Fronda in der Dunkelheit zwischen den Bäumen auf sie wartete. „Was bedeutet das?“, fragte er. „Sie wolltest du mir zeigen? Deswegen weckst du mich?“

„Dummkopf. Ist es nicht klar, warum ich dich hierher gebeten habe? Wir sind die Wolfspiraten, Jiroubou“, schnaubte Kidoumaru.

„Ihr seid …“ Jiroubou fehlten die Worte. Er griff nach seiner Pistole, aber Kidoumaru war schneller. Er hielt das glänzende Stück Eisen bereits in der Hand.

„Nur die Ruhe“, sagte der andere Pirat. „Wir hätten uns dir nicht zu erkennen gegeben, wenn wir dich töten wollten. Du kannst dir ja sicher vorstellen, wie wir denken. Ich hätte keine Skrupel gehabt, dir im Schlaf die Kehle aufzuschlitzen. Vielleicht hätte ich es auch gemacht, wäre das nicht langweilig. Und Sakura hat gemeint, wir sollten uns für heute mal zurückhalten. Die anderen fühlen sich ja gerade recht sicher. Das sollten wir ausnutzen, um unsere Pläne voranzutreiben.“

„Was wollt ihr dann?“, fragte Jiroubou mit belegter Stimme.

„Was wohl?“ Sakura hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt. „Es sind noch neun Menschen auf der Insel, und wir sind nur zu dritt. Ausnahmsweise erlauben wir jemandem, bei uns einzusteigen. Dann wären wir vier gegen fünf. So gut stehen unsere Chancen selten.“

„Ihr wollt mich anheuern?“, fragte Jiroubou ungläubig. „Warum ausgerechnet mich?“

„Weil ich dich gut kenne“, sagte Kidoumaru. „Du bist wenigstens ein bisschen loyal, und ganz ehrlich, seit Kimimaro tot ist, ist unsere Crew keine Crew mehr. Du kannst gut kämpfen und bist ein guter Pirat. Und du hast mehr Verstand als Tayuya. Die will hier weiterschürfen, bis uns der Proviant ausgeht. Dafür hab ich den Sextanten nicht geklaut.“

„Demnach glaubt ihr nicht, dass es den Schatz wirklich gibt?“

Kidoumaru zuckte mit den Schultern. „Was zählt, ist das Spiel, oder?“

„Was Kidoumaru meint“, sagte Sakura lächelnd, „ist, dass wir nicht so versessen auf eine bestimmte Goldtruhe sind. Für einen Wolfspiraten wäre der Schatz hier ein Riesenbonus, keine Frage. Aber eine Crew wie die unsere kann sich auch noch auf viele andere Arten bereichern. Denk mal logisch nach – wenn du auf einem sinkenden Schiff bist und es stellt sich heraus, dass höchstwahrscheinlich doch keine Schatzkiste an Bord ist, suchst du trotzdem noch unter jeder Bodenplanke danach, oder kundschaftest du ein neues Ziel aus?“

Jiroubou schwieg. Er wusste jetzt schon, wie er sich entscheiden würde. Abgesehen davon, dass ihm diese Schatzjagd ebenfalls zum Hals raushing, gab es wohl keinen Piraten, der das Angebot einer Heuer bei den Wölfen der See abschlagen würde.

„Du hast gesagt, ihr seid bisher zu dritt. Wer ist noch dabei?“, fragte er.

„Das sagen wir dir, wenn du selbst lange genug dabei bist“, erklärte Sakura und zwinkerte verschmitzt.

„Das heißt also, du bist an Bord?“, fragte Kidoumaru. Als Jiroubou nickte, steckte er die Pistole weg. „Gut. Dann kommen wir zum eigentlichen Thema. Wir sind diesen Neji losgeworden, aber jetzt nervt ein anderer. Naruto, der blonde Gouverneur in spe.“

Sakura nickte. „Ich hab mir auch schon gedacht, dass er gefährlich werden kann. So viel Aufmerksamkeit hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Ich habe ihn in einer Kneipe in Port Fronda kennengelernt. Wir haben uns öfter dort getroffen, haben geredet über Freiheit und Gold und so. Dann hat er plötzlich diese Schatzkarte aufgetrieben und wir haben diese Reise gemeinsam geplant. Ohne ihn wären wir alle nicht hier. Damals habe ich ihn für einen chaotischen Tagedieb gehalten. Ich habe ihn unterschätzt.“

Jiroubou war nun auch etwas anderes klar geworden. „Also hast du über Sakura von dem Schatz erfahren?“, fragte er Kidoumaru.

Sein Kamerad grinste. „War doch eine verlockende Geschichte. Und ich dachte mir eben, ich bringe euch gleich als Verstärkung mit.“

„Um uns dann zu töten.“

„Wenn es sein müsste, ja. Der Schatz ist mir immer noch mehr wert als eure Freundschaft. Selbst wenn es ihn vielleicht nicht gibt. Das verstehst du sicher.“

Natürlich verstand Jiroubou. Sie waren beide Piraten. Sehr viel ausgekochter als gewöhnliche Seeräuber konnten die Wölfe auch nicht sein. „Was wollt ihr also gegen Naruto unternehmen?“

„Er ist gefährlich. Ich habe ihn gestern Nacht bei deinem Lager gesehen. Vermutlich war er eine ganze Weile da. Er muss sterben“, entschied Kidoumaru.

„Aber nicht heute“, sagte Sakura. „Die anderen haben sicher schon bemerkt, dass er nützlich für sie ist. So wie ich das sehe, vertraut ihm zumindest Sasuke, und der hat in unserer Gruppe mehr oder weniger das Sagen. Wenn wir ihn töten wollen, wird das nicht einfach. Lassen wir sie fürs Erste im Glauben, alles wäre jetzt ruhig. Wenn wir bis morgen den Schatz nicht gefunden haben, geben wir auf und schlagen wieder zu, bis wir die anderen so weit haben, dass wir heimsegeln können.“

 

„Wir haben nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die Wölfe einen der anderen auf ihre Seite gezogen haben“, sagte Shikamaru. „Narutos Bericht endet, als er und dieser Jiroubou als einzige Überlebende um ein Lagerfeuer sitzen. Unser Marineschiff hat auf der Insel alles so vorgefunden, wie er es beschrieben hat, nur Jiroubou fehlte – er und der Schatz. Und Narutos Leiche war am Waldrand versteckt gewesen. Offensichtlich hat Jiroubu ihn umgebracht und ist alleine von der Insel geflohen. Die Besatzungsmitglieder des Schiffs, das ihr Signal überhaupt erst gesehen hat, berichten auch nur von einem einzigen Mann, den sie an Bord gelassen haben.“

„Aber Jiroubou war ein Pirat“, warf der Gouverneur ein. „Piraten tun so etwas. Er muss kein Wolf gewesen sein.“

„Das muss er nicht“, gab Shikamaru ihm recht. „Ich glaube trotzdem, dass er einer war.“

„Naruto schreibt explizit, dass Jiroubou sauber war. Er hat ihn des Nachts beobachtet, und er war auch derjenige, der sich mit den Gefangenen zusammengetan hat. Ein Wolf würde doch eher versuchen, Zwietracht zwischen den beiden Gruppen zu säen, und nicht der größeren gegen die kleinere helfen.“

„Das mag alles sein“, sagte Shikamaru. „Ich kann es nicht beweisen, aber ich glaube, Jiroubou wurde von Sakura und Kidoumaru rekrutiert, nachdem sie alle auf der Lichtung versammelt waren. Er war es letztlich auch, der Naruto und Tenten auf dem Piratenschiff auflauerte. Tenten rettete Naruto dort mehr oder weniger das Leben.

Jiroubou floh von Deck, wo Tenten ihn am Strand zu sehen glaubte und erschoss. Das war allerdings Kidoumaru, sein Komplize, der vielleicht verhindern sollte, dass ungebetene Gäste hinzukamen. In dem Moment, als Tenten ihn traf, tötete Jiroubou im Gegenzug sie, verzog sich wieder in die Wälder und kam mit Tayuya später zum Schiff zurück. Dabei allerdings hatten Sasuke und Deidara die beiden entdeckt, nun bewaffnet, und versuchten sie in die Enge zu treiben. Und schließlich gipfelte alles in dem Kampf an Deck, den Naruto beschrieben hat. Das wären meine Ausführungen. Habt Ihr noch Fragen?“

Der Gouverneur überlegte und leerte schließlich sein Weinglas. „Ich denke nicht. Falls mir noch etwas durch den Kopf gehen sollte, werde ich vermutlich selbst darauf kommen. Gute Arbeit, Offizier. Ihr dürft Euch entfernen.“ Er stellte das Glas ab. „Und, verdammt nochmal, ich hoffe wirklich, dass wir die Piraterie irgendwann besiegen und solche Szenarien in Zukunft nie wieder vorkommen.“

Shikamaru nickte knapp und ließ den Gouverneur allein. Er war froh, das hinter sich gebracht zu haben. Es war auch gar nicht so einfach gewesen, sich zu vergegenwärtigen, mit welch hoher Persönlichkeit er gesprochen hatte. Der kunterbunte Kleidungsstil des Gouverneurs war so gewöhnungsbedürftig wie unpassend.

 

Es war alles so abgelaufen, wie Shikamaru es sich gedacht hatte. Die einfachen Dorfbewohner waren Kakashi und Kiba gewesen, die Werwölfe Ino und Sakura. Mit ihnen verbündet waren Lee, der Günstling, und Kidoumaru, die Zaubermeisterin. Shikamaru hatte lange darüber nachgedacht, sich aber Stück für Stück zum Ergebnis getastet, indem er nach und nach alle Bürger mit Spezialfähigkeiten analysiert hatte.

In der ersten Nacht hatten die Wölfe Kakashi getötet. Der Leibwächter, Deidara, hatte sich nach eigener Aussage selbst vor Werwolf-Attacken geschützt – ein verständlicher erster Zug, wenn er noch nicht wusste, wie sich das Spiel entwickeln würde. Neji, die Seherin, hatte das Glück gehabt, schon in der ersten Nacht einen Werwolf ausfindig zu machen, der Zaubermeisterin aber verborgen zu bleiben. Am folgenden Tag prangerte er Ino an, die daraufhin gelyncht wurde.

Die zweite Nacht verlief anders als von dem verbleibenden Wolf geplant. Sakura hatte Sasuke als Opfer ausgewählt, doch der Leibwächter, Deidara, hatte ihn beschützt. Stattdessen war Kimimaro gestorben, der Alte Mann. Diese Wende hatte Shikamaru erst dazu gebracht, Neji zu vertrauen. Der Alte Mann starb immer in der Nacht X, und X war die Menge der Werwölfe plus eins. Da er in der zweiten Nacht gestorben war, musste zu dem Zeitpunkt nur noch ein Werwolf am Leben gewesen sein – Sakura. Was wiederum Ino als Werwolf und Neji als Seherin bestätigte. Gleichzeitig meinte Neji, einen weiteren Werwolf ausfindig gemacht zu haben: Sakon. Kidoumaru hingegen entdeckte die Seherin, was ihr schließlich zum Verhängnis werden sollte.

Da Shikamaru Neji vertraute, musste jener einer Täuschung unterlegen sein – was bedeutete, dass Sakon nur die Lykanthropin sein konnte. Sakon wendete seinen Tod jedoch ab, und Kidoumaru beschuldigte Neji. Sakura, die Kidoumarus Identität kannte, tat dasselbe, und mit Lee, der wiederum Sakura kannte, hatten sie eine gute Basis, um die Abstimmung zu gewinnen.

In der dritten Nacht übernahm der Seher-Lehrling das Amt der Seherin. Das war offensichtlich Naruto – niemand sonst hatte derart die Initiative ergriffen. Ob sie sich einfach nur bedeckt halten wollten? Dafür war Shikamaru der darauf folgende Zusammenhalt zu stark gewesen.

Naruto beobachtete, dass Jiroubou kein Werwolf war. Sakura als letzter Wolf tötete Kiba. Kidoumaru hatte wieder Glück und enttarnte Naruto schon am Anfang seiner Funktionsperiode als neue Seherin. Der Leibwächter, Deidara, schützte sich abermals selbst.

Am dritten Tag setzte sich Naruto durch und tötete Sakon, den Neji bereits beschuldigt hatte. In Wahrheit war dieser nur die Lykanthropin gewesen – und somit eigentlich ein Verbündeter.

Da Sakura vermutete, dass Naruto vom Leibwächter beschützt werden würde – was tatsächlich der Fall war –, griff sie in der vierten Nacht Jiroubou an. Dieser war der Verfluchte und starb somit nicht, sondern schloss sich als neuer Werwolf den Antagonisten an. Naruto überprüfte in dieser Nacht Lee. Er war zwar der Günstling der Werwölfe, aber im Grunde nur ein Dorfbewohner. Niemand starb in dieser Nacht. Erst hatte Shikamaru gedacht, der Leibwächter hätte Naruto einfach erfolgreich beschützt, aber so naiv, das nicht auch vorauszusehen, hatte Sakura nicht sein können. Die anderen hatten erzählt, dass sie ihnen nach ihrem Tod noch viel Glück gewünscht hatte. Sie musste selbst geahnt haben, dass Jiroubou der Verfluchte und das Spiel somit noch nicht vorbei war, wohl weil die Hexe ihren Trank für Naruto aufheben und der Leibwächter, wenn es ihn noch gab, ihn sicher beschützen würde.

Am vierten Tag schließlich ging es Sakura an den Kragen. Die Menge an Opfern in der nächsten Nacht konnte nur bedeuten, dass Ino der einfache Werwolf und Sakura das Wolfsjunge gewesen war. Nach dessen Tod durften die Wölfe in der folgenden Nacht immerhin gleich zwei Opfer wählen.

Die Arbeit der Werwölfe setzte Jiroubou fort. Ab hier war es wieder knifflig geworden. Natürlich würde er die neue Seherin anfallen, da der Leibwächter nicht zweimal hintereinander denselben Spieler schützen konnte. Dennoch war Naruto nicht gestorben, dafür Tenten und Kidoumaru – den Jiroubou sicher nicht angreifen würde. Die Sache ließ sich erklären, wenn man Tenten als Hexe annahm. Man könnte vielleicht meinen, sie würde sich mit ihrem Trank selbst heilen, wenn sie angegriffen wurde, doch Tenten wusste, dass es wichtiger war, die Seherin zu beschützen. Also heilte sie Naruto benutzte im nächsten Moment auch ihren Gifttrank, bevor ihr Tod verkündet wurde. Damit tötete sie Kidoumaru, vielleicht mit einem leisen Verdacht.

Tenten war also die Hexe, Sasuke war erwiesenermaßen der Jäger. Die Unruhestifterin bestimmte in derselben Nacht, dass demnächst zwei Nominierungen durchzuführen wären; folglich war sie zu diesem Zeitpunkt noch am Leben. Somit konnten die gewöhnlichen Dorfbewohner automatisch nur Kiba und Kakashi gewesen sein. Die Unruhestifterin selbst musste dann Tayuya gewesen sein. Wie passend. Deidara hatte wieder einmal Sasuke beschützt.

Das Gemetzel erreichte seinen Höhepunkt am fünften Tag. Günstling Lee wurde gelyncht, außerdem Sasuke, der sich als Jäger entpuppte und Tayuya mit in den Tod riss. Deidara hatte mit ihr das Liebespaar gebildet, also starb er ebenfalls. Nur Jiroubou und Naruto blieben übrig, und der letzte Werwolf fraß sein letztes Opfer in der folgenden Nacht.

„Es war eigentlich vom Anfang bis zum Schluss eine Täuschungsaktion“, murmelte Neji. „Sphinx hat das Spiel so aufgebaut, dass die Seherin möglichst oft in die Irre geführt wird.“

„Ich glaube auch, dass das seine Absicht war“, sagte Sakura. „Er wollte uns beweisen, dass selbst die mächtigste Karte im Spiel nicht unfehlbar ist.“

„Klingt alles sehr kompliziert“, meinte Chouji. „Und wir sollen da echt mitspielen und mitraten?“

„Mitraten werde nur ich“, sagte Shikamaru. „Es ist zwar höllisch lästig, aber dieser Kerl geht mir ordentlich auf den Senkel.“

„Was meint ihr, welche Karten wird es im nächsten Spiel geben?“, fragte Hinata beklommen. Niemand wollte darüber Vermutungen anstellen.

„Mal was anderes“, sagte Shikamaru und wandte sich an Naruto. „Wie genau seid ihr nun eigentlich hier gelandet? Ich hab mir ein bisschen was zusammengereimt, aber seid so gut und klärt mich auf.“

Naruto warf Sakura und Kiba einen Blick zu und begann dann zu erzählen.

Von nackten Männern, Schätzen und Wahnsinn


 

~ 17 ~
 

Wir müssen systematisch vorgehen“, erklärte Neji. „Am besten fangen wir mit der Todesursache an.“

„Er ist verbrannt“, sagte Kiba überzeugt. „Deswegen ist er nackt. Alles ist verbrannt.“

„Nein.“

„Aber er ist durch ein Feuer gestorben!“

„Falsch.“ Sakura grinste.

„Was heißt hier falsch?“, rief Kiba. „Der Typ hat ein Streichholz in der Hand und ist tot!“

„Richtig.“

„Sakura, du bis heute echt fies“, lachte Tenten.

„Richtig.“

„Ah, verdammt!“ Kiba raufte sich die Haare. Auch Naruto fand die Sache merkwürdig – aber das war ja der Sinn des Spiels.

„Er kam also nicht durch ein Feuer um. Aber er ist definitiv tot und er liegt am Fuße eines Berges“, rekapitulierte Neji.

„Genau“, bestätigte Sakura.

„Woran ist er denn dann gestorben?“, platzte Naruto heraus.

„Das frage ich euch“, gluckste Sakura. „Ihr kommt nie drauf.“

Ihre Clique hatte ihre Leidenschaft für Rätsel entdeckt. Nicht diese üblichen Rätsel, die man in Zeitschriften und Rätselblöcken fand, sondern echte Kopfnüsse. Ausgehend von Neji hatte der Hype auch die anderen angesteckt. Neulich hatte Sakura ein interessantes Kartenspiel mitgebracht, das perfekt in die Gestaltung ihrer lustigen Abende passte: Ein Spieler schilderte kurz einen abstrusen Todesfall, und die anderen mussten erraten, welche Umstände zu dem Tod geführt hatten. Dabei tasteten sie sich mit Ja-Nein-Fragen Stück für Stück an die Lösung heran. Im Moment waren sie bei der fünften Runde, und an diesem Rätsel bissen sie sich noch die Zähne aus.

„Er liegt ganz allein da“, sagte Sasuke und tippte nachdenklich die Zeigefinger gegeneinander. „Am Fuß eines Berges. Er ist nicht zufällig von eine Lawine überrascht worden, und der Schnee ist dann im Frühling geschmolzen?“

Die anderen starrten ihn verblüfft an. „Mann, wie kommst du nur auf so was?“, fragte Naruto.

„Wow“, machte Sakura und besah sich ihre Karte mit der Lösung, um dann zu grinsen. „Leider auch falsch.“

„Hast du geglaubt, weil er nackt ist, würde er viel eher erfrieren?“, lachte Naruto, der sich freute, dass  Sasuke sich geirrt hatte.

„Selbst in Eskimoklamotten würdest du unter einer Lawine sterben, Idiot.“

„Na, na“, versuchte Tenten den aufbrandenden Streit zu schlichten.

„Dann muss sein Körper irgendwelche Wunden aufweisen“, machte Neji sofort weiter.

„Ja, vermutlich“, meinte Sakura. Einige Details musste man sich manchmal dazureimen, um auf die Fragen der Mitspieler antworten zu können. Das war in Ordnung, solange die Geschichte konsistent blieb.

„Aha!“, rief Kiba. „Ist doch völlig klar! Das blödes Streichholz soll uns nur in die Irre führen, er ist in Wahrheit an der Felswand zerschellt!“

„Hm.“ Sakura schien etwas ratlos. „Kannst du das präzisieren?“

„Er ist gefallen und mit hoher Geschwindigkeit gegen etwas Felsiges geprallt“, sagte Neji. Sakura nickte. „Das bedeutet, er kann sowohl vertikal als auch schräg dagegen geflogen sein“, erklärte Neji seine Formulierung.

„Also ist er irgendwo abgestürzt“, vermutete Tenten.

„Beim Bergsteigen!“, war sich Naruto sicher.

„Nackt und mit einem Streichholz bewaffnet?“, fragte Ino hämisch. „Wie schlau.“

„Vielleicht war er ein Idiot?“ Naruto zuckte die Achseln.

„Der Mann war kein Idiot“, sagte Sakura. „Und nein, er war nicht beim Bergsteigen. Was Tentens Frage angeht …“ Wieder zögerte sie. „Das ist schwer zu beantworten … Kannst du sie vielleicht etwas anders stellen?“

„Du bist nicht sicher, ob man abstürzen auch so auslegen kann, dass er freiwillig gesprungen ist“, vermutete Sasuke. „Also sagen wir, er ist gesprungen.“

„Jetzt hast du mich“, grinste Sakura verlegen. „Stimmt.“

„Dann ist er aus einem Flugzeug gesprungen“, warf Naruto mit seiner nächsten Theorie um sich. „Ich hab’s! Es war finster, und er wollte irgendwas nachsehen gehen. Darum hat er ein Streichholz entzündet, aber die Flamm hat die Triebwerke in die Luft gehen lassen – nein, der Tank hat angefangen zu brennen. Da ist der Mann lieber abgesprungen.“

„Falsch“, prustete Sakura.

„Das war die bisher dämlichste Theorie“, meinte Sasuke trocken. Naruto funkelte ihn zornig an.

Hinata sah schon seit einer Weile so aus, als wollte sie etwas sagen. Jetzt, da die anderen nur überlegten, kam sie endlich zu Wort. „Und wenn er das … das Streichholz gar nicht angezündet hat?“, fragte sie vorsichtig.

Alle starrten sie an. „War das Streichholz frisch?“, fasste Neji die Vermutung in neue Worte.

„Ja, es war ungebraucht“, sagte Sakura und nickte. „Nicht schlecht.“

„Bitte was?“ Naruto war nun vollends verwirrt. „Wieso hat der Kerl nichts als ein Streichholz dabei und hat noch nicht mal ein Feuer oder sowas damit gemacht?“

„Wartet, überlegen wir doch erst mal, von wo er abgestürzt ist“, schlug Ino vor. „Ein Flugzeug also nicht. Also doch von einer Bergspitze? Ich meine, er muss ja nicht geklettert sein, vielleicht wohnt er dort oben.“

„Er ist nicht von dem Berg abgestürzt“, sagte Sakura.

„Ist er aus einem von Menschen gebauten, fliegenden Objekt gespru… nein, begann sein Sturz an Bord eines solchen Objekts?“, fragte wieder Neji mit seinen seltsamen Formulierungen. Erklärend fügte er hinzu: „Es ist besser, möglichst abstrakt zu bleiben. So kommen wir eher auf die Lösung.“

„Ja, Nejis Theorie stimmt“, bestätigte Sakura.

„Toll. Viel weiter sind wir immer noch nicht“, murmelte Tenten.

„Doch.“ Sasuke beugte sich vor. „Das fliegende Objekt wurde mit Gas betrieben, oder? Mit irgendeinem Gas.“

„Ja.“

„Dann war es ein Heißluftballon. Das Streichholz hat aber damit nichts zu tun?“

„Ähm …“ Sakura schien sich nicht sicher zu sein. Vermutlich konnte man allein anhand dieser Tatsache ein Stückchen in Richtung Wahrheit kommen – Naruto konnte es jedenfalls nicht. „Nein, also dieses Streichholz nicht. Und es war ja auch noch ungebraucht.“

„Aber es war kurz“, sagte Neji plötzlich, und diesmal fing er sich einige verwirrte Blicke ein. Sakura grinste vielsagend. „Folgende Theorie“, sagte Neji. Er war mit vollem Eifer bei der Sache – wenn es etwas gab, das ausdrückte, wie sehr er etwas genoss, dann das. „Der Mann ist mit dem Heißluftballon geflogen, zusammen mit ein paar anderen. Plötzlich kommt ein Berg oder eine Bergkette in Sicht. Sie können nicht wenden, und sie sind zu schwer, als dass sie darüberfliegen könnten. Also muss einer von ihnen springen.“

„Und wer sich opfern muss, haben sie mit Streichholzziehen ausgelost“, murmelte Tenten bewundernd. „Du bist ein Genie, Neji.“

„Ich habe nur die Informationshappen, die Sakura uns geliefert hat, zu einem Bild zusammengesetzt.“

„He, werft ihm nicht gleich eure Lorbeeren zu“, mischte sich Kiba ein. „Er hat uns noch nicht gesagt, warum der Kerl nackt war.“

„Überleg doch mal.“ Nejis helle Augen richteten sich auf ihn. „Du bist mit Freunden in einem Ballonkorb, und ihr seid zu schwer. Was würdest du als Erstes tun?“

„Ballast abwerfen, natürlich.“ Kibas stutzte. „Du meinst …?“

Neji nickte. „Sie haben zuerst ihre Kleidung über Bord geworfen. Dann waren sie immer noch nicht hoch genug und haben jemanden springen lassen. Hätten wir Sakura gefragt, ob in der Nähe des Mannes auch seine Klamotten liegen, hätte sie ja gesagt.“

„Bravo. Du hast es.“ Sakura las ihre Karte vor. „Drei Freunde unternahmen eine Ballonfahrt. Unterwegs steuerten sie auf eine Bergkette zu, doch selbst, nachdem sie ihre Kleidung abgeworfen hatten, waren sie zu schwer, um sie zu überfliegen. Also zogen sie Streichhölzer, und derjenige mit dem kürzesten musste springen.

Kiba nickte Neji anerkennend zu. „Das ist doch blöd“, maulte Naruto. „Warum hält der sich an dem Streichholz auch noch fest, während er fällt? Wer macht so was?“

„Offenbar hat er die Hand eben richtig darum verkrampft“, versetzte Sakura. „Was ist, wollt ihr noch eins?“

„Wartet, ich check noch mal kurz meine Mails.“ Kiba trat zu seinem Schreibtisch und schaltete den Bildschirm ein. Die anderen scharten sich erwartungsvoll um ihn.

Dann sahen sie die Mail in seinem Posteingang blinken – den Grund, warum sie sich alle bei ihm versammelt hatten und die Zeit totschlugen. „Hey, sie ist echt da!“, rief er erfreut. Ein Mausklick, und die Mail war offen.

Eine Woche zuvor hatten die jüngst Rätselbegeisterten bei einem schwierigen Online-Rätsel mitgemacht. Es war eine Mischung aus Kombinationsaufgabe, Kreuzworträtsel und ein paar anderen Rätselsorten gewesen, und ein schickes Auto war zu gewinnen gewesen. Die Freunde hatten die Kopfnuss alle gemeinsam in Angriff genommen, anfangs ohne viel Hoffnung, doch zu acht hatten sie sie letztlich nach nur einem Tag geknackt. Dass nun tatsächlich eine Mail von den Seitenbetreibern eingelangt war, bedeutete Aufregung pur.

Kiba las vor. „Sehr geehrte Teilnehmer – wie jetzt, die wissen, dass wir mehrere sind? –, Sie haben sich in unserem Online-Rätsel bewährt. Wir laden Sie herzlich zu einer Endrunde ein. Sie sind nur noch ein Rätsel vom Hauptpreis entfernt. Schicken Sie uns das gesuchte Wort zusammen mit Namen und Anschrift aller Mitglieder Ihrer Gruppe zu. Die erste Mail, die uns erreicht, gewinnt den Hauptpreis. Sollten sich in Ihrer Gruppe mehr als eine Person befinden, erhalten Sie für Ihre gute Zusammenarbeit einen Gruppenbonus. Klingt doch klasse, oder?

„Klingt merkwürdig“, hielt Sasuke entgegen. „Warum wollen sie es fördern, wenn mehrere Leue die Rätsel lösen? Sollte das nicht eher jeder für sich versuchen?“

Kiba las bereits das Rätsel vor. „Im Süden ist das Wasser säurehaltig. Eine Kugel glüht über einem Stock. Geht nach Norden und findet den Schatz. Hä? Was soll das sein?“

„Ein Rätsel“, witzelte Sakura.

„Das ist aber echt schwer“, murmelte Naruto.

„Ich bleibe dabei. Die ganze Sache ist seltsam.“ Sasuke verschränkte die Arme, und Neji nickte zustimmend: „Das klingt mir eher nach einem Phishing-Versuch oder wie das heißt. Die wollen nur unsere Daten.“

Kiba rollte mit den Augen. „Seid nicht solche Pussys. Ich opfere mich und geb als Einziger meine Anschrift raus, ja? Bei euch schreib ich nur die Vornamen hin – okay?“

 

„Verstehe“, murmelte Shikamaru. „Und damit wart ihr dann einverstanden.“

„Anfangs nicht“, brummte Sasuke. „Aber diese Quälgeister können einen echt nerven. Von wegen Gruppenbonus.“

„Und Sphinx haben natürlich Kibas Adresse und eure Namen gereicht, um eure Verbindung zueinander herauszufinden und euch alle abzuholen“, schlussfolgerte Shikamaru.

Die anderen nickten betreten. „Mit einem weißen Kastenwagen. Ich dachte, ich sehe nicht richtig!“, berichtete Tenten. „Steigen da nicht plötzlich drei Leute aus, zeigen mir irgendeinen ärztlichen Wisch und zerren mich ins Auto, ohne dass sie auf irgendwas hören, was ich sage oder tue!“

„Naruto haben sie sogar mit Medikamenten ruhiggestellt“, sagte Sakura mit einem Blick auf ihren Freund, der den Mund verzog. „Er hat sich heftig gewehrt.“

„Ja, und obwohl ich das halbe Stiegenhaus zusammengeschrien habe, hat keiner einen Finger gerührt“, maulte er. „Die dachten echt, ich bin bekloppt!“

„Ist bei dir ja auch gar nicht so abwegig“, meinte Sasuke.

Wie war das?“, knurrte Naruto.

„Hört schon auf“, mischte sich Sakura ein und wandte sich wieder an Shikamaru, um den beiden Streithähnen keine Gelegenheit für weitere Anfeindungen zu geben. „Mich würde interessieren, was du zu dem Rätsel mit dem säurehaltigen Wasser und dem Schatz sagst. Kannst du es lösen?“

Shikamaru ließ es sich noch einmal aufsagen und nickte dann. „Ist nicht weiter schwer.“

„Ehrlich? Wir haben drei Tage gebraucht!“

„Ist eigentlich ein Wunder, dass wir trotzdem die Ersten waren, die geantwortet haben“, meinte Ino säuerlich.

„Ein Wunder? Bist du sicher?“, gab Tenten genauso angesäuert zurück.

„Da die Lösung offenbar ein Wort ist, müssen sich in dem Rätsel die entsprechenden Buchstaben verstecken. Anders kann ich mir nicht erklären, warum die Sätze so total unzusammenhängend sind. Es ist zwar von einem Schatz die Rede und ich hab zuerst gedacht, dass das eine Art Geo-Caching ist und man das Lösungswort auf einem Zettel irgendwo versteckt hat, aber dazu gibt es zu wenig Hinweise. Wenn das ein Online-Rätsel war, haben sicher Leute von überallher dabei mitgemacht. Sphinx hätte die wohl kaum quer über den Kontinent geschickt, wenn es ihm darum geht, gute Leute für sein Spiel zu finden“, sagte Shikamaru.

„Rückwirkend betrachtet ist es natürlich einfacher“, meinte Neji. „Immerhin kennen wir jetzt die Intention des Rätselmachers.“

„Was nicht unwichtig sein kann“, sagte Shikamaru, doch ehe Sakura fragen konnte, was er damit meinte, fuhr er fort: „Also. In dem Rätsel verstecken sich zwei Richtungsangaben. Süden und Norden. Beide werden aber gern abgekürzt, zum Beispiel auf einem Kompass. Zwei Buchstaben sind also S und N. Dann das säurehaltige Wasser. Das scheint mir wirklich aus der Chemie zu kommen. Ob eine Lösung – oder eigentlich irgendwas – sauer oder basisch ist, stellt man durch den PH-Wert fest. Der Ansatz ist ein wenig willkürlich, aber man muss dazu kein Chemiker sein und es gibt zwei weitere Buchstaben her. Jetzt ist es eigentlich schon ziemlich einfach. Eine Kugel glüht über einem Stock – abstrakt gesehen sieht das wie ein i aus. Und wenn es heißt, Geht nach Norden und findet den Schatz, denke ich an eine Schatzkarte. Und der Ort des Schatzes wird meist durch ein X markiert. So einfach ist das Ganze. Die Buchstaben lassen sich sogar linear zusammenfügen, und das Lösungswort ist …“

„Sphinx“, seufzte Sakura. „Wir wissen es.“

„Hat mich jemand gerufen?“, griente eine Stimme. Alle Versammelten wandten sich zu der skurrilen Gestalt um, die an sie herangetreten war. Ein kariertes Hemd, dazu warme Handschuhe, ein Hut im Leprechaun-Stil und weite Pluderhosen verliehen ihm etwas Clownhaftes, Dürres. Seine Auserwählten füllten fast die Halle aus, und wenn man es genau nahm, hätten sie ihn spielerisch überwältigen können – wobei Sphinx‘ Leute in dieser Anstalt sicher über wirksame Maßnahmen verfügten, aufmüpfige Insassen zu besänftigen.

„Es freut mich, dass so viele meinem Ruf gefolgt sind“, erklärte Sphinx süffisant und ließ den Blick von einem zum nächsten schweifen. „Ich vertraue darauf, dass die Veteranen unter euch den anderen alles über die Spielregeln erzählen werden. Lasst mich trotzdem ein paar Dinge erklären. Dieses Mal werde ich mit allen Tricks und aller Härte spielen.“ Bei diesen Worten fixierte er vor allem Shikamaru, wie es Sakura schien. „Ich werde euch selbst die Figuren zuteilen, die ihr spielen werdet. Es gibt keine Zufallsauswahl mehr. Shikamaru bekommt die Karte des Beobachters. Er kann nicht getötet werden, hat während des ganzen Spiels zu schweigen und nachts zu schlafen. Wir werden das Spiel ohne Unterbrechung spielen, und wer ausscheidet, bleibt ruhig sitzen. Und wenn der Erste von euch versucht zu mogeln oder ein Werwolf nicht ernsthaft spielt, merke ich das, verstanden? In dem Fall breche ich ab und lasse euch hier drin versauern.“ Als er merkte, dass ihre Gesichter grimmig wurden, lächelte Sphinx. „Versteht es als meinen dringenden Wunsch, dieses Spiel perfekt und intellektuell zu machen. Wir sehen uns heute Nacht – die Alteingesessenen bleiben in ihren Zimmern, die anderen dürfen ausnahmsweise hier schlafen.“ Er machte eine ausschweifende Geste. Der große Aufenthaltsraum war wie durch Zufall von sämtlichen anderen Patienten und Pflegepersonal geräumt.

Nachdem Sphinx sich wieder in sein Büro eingeschlossen hatte, entwickelten sich tatsächlich verschiedene brachiale Ausbruchspläne. Natürlich wollte nicht jeder alles auf Shikamaru setzen. Diejenigen, die es für vernünftiger hielten, sich Sphinx ein letztes Mal zu fügen, setzten sich letztendlich durch. Und nachdem die Neuankömmlinge in das Spiel eingeweiht waren, brach die für sie hoffentlich letzte Nacht in dieser Anstalt an.

 

Tenten konnte nicht schlafen. Nicht nur, weil ihr übel war. Sie saß auf ihrem Bett und versuchte, sich schon mal Strategien für morgen auszudenken, sowohl solche, in denen sie der Werwolf war, als auch solche, in denen sie die Werwölfe bekämpfen musste. Sie wünschte, sie wäre besser in solchen Sachen. Welche Taktik würde gerade so offensichtlich sein, dass Sphinx sie durchgehen ließ? War es überhaupt okay, in diese Richtung zu denken?

Ein Klicken ließ sie zusammenfahren. Sphinx war da.

Von draußen fiel gedämpftes Licht in ihr Zimmer, das völlig in Schatten versunken war. Selbst Sphinx‘ Umrisse hatten etwas Groteskes. „Schönen guten Abend“, sagte er leise und trat ein. „Ich bringe euch eure Karten.“

Als Tenten in dem schummrigen Licht sah, was er aus der Innentasche seines Sakkos zog und auf ihren Nachttisch warf, blieb ihr fast das Herz stehen.

 

Die Neuen stromerten durch den Aufenthaltsraum, saßen in kleinen Gruppen zusammen oder schliefen auf den Stühlen. Shikamaru hatte sich alles Wissenswerte erzählen lassen und war dabei, am Rande einer leise diskutierenden Gruppe einzuschlafen. Einmal schreckte er aus seinem Dämmerzustand hoch, als es einen Aufruhr gab. Einer der Neuen – natürlich war es dieser lästige Schreihals, dem Shikamaru fast ein Tourette-Syndrom unterstellte – hatte bei einem der Pfleger angeeckt, die aufgetaucht waren, nachdem es Schlafenszeit geworden war. Wobei Pfleger wohl nicht ganz hinkam: Sie waren eher von der Sorte, die die Leute hierher brachte, muskulöse Männer in weißen Mänteln, die überall in der Innenstadt als Türsteher durchgegangen wäre. In der kurzen Auseinandersetzung ließen sie freimütig das Waffenarsenal erkennen, das sie am Gürtel oder in ihrem Mänteln trugen: Von einem Schlagstock über eine Taserpistole bis zu einigen Injektionsnadeln und verschiedenen Ampullen war alles dabei. Shikamaru fühlte sich eher wie in einem Gefängnis. Dieser Sphinx zog hier offensichtlich eine total übertriebene Show ab, doch es wirkte: Der Aufmüpfige wurde von seinen eigenen Bekannten zurückgezogen, ehe die Wärter in die Offensive gehen mussten.

Shikamaru hoffte nur, dass die Nacht nicht in der Weise weiterging.

Schließlich erschien Sphinx, gut gelaunt, und teilte ihnen die Karten aus. Beobachter stand auf Shikamarus, und eine Figur mit Vergrößerungsglas war darauf abgebildet. Sphinx schärfte ihnen ein, die Karten einander nicht zu zeigen – in einem Tonfall, mit dem man einem Kind verbat, auf der Straße zu spielen.

Danach versuchte Shikamaru einmal mehr, einzuschlafen – doch er wurde wieder gestört.

Er wusste nicht, wo der Typ plötzlich hergekommen war, aber als er mit starrem Blick neben ihm stand, zuckte Shikamaru zusammen. „Du bist der Beobachter?“, fragte er, die Stimme war krächzend wie die einer Krähe.

„Sieht so aus“, erwiderte Shikamaru, als der Alte ihn nur unverwandt anstarrte. Die Augen sahen aus, als würden jeden Moment Tränen daraus hervorbrechen. Der Buckel wirkte schmerzhaft.

„Es gab noch nie einen Beobachter“, murmelte der Mann abwesend. „Immer nur Täter und Opfer und Opfer, die zu Tätern wurden.“

„Sie kennen das Spiel?“, fragte Shikamaru, doch der Alte entfernte sich bereits mit langsamen Schritten von ihm. Shikamaru konnte nicht sagen, ob sein Kopfschütteln als Antwort galt.

„Ein Beobachter … Vielleicht ist es gut“, hörte er ihn noch murmeln. „Ein Beobachter wird dem Fluch vielleicht nicht unterliegen …“

Die Security-Pfleger ließen ihn ohne Weiteres davonmarschieren, in die kalten Gänge der Anstalt hinein. Wo sein Zimmer lag, wusste er offenbar. Shikamaru verbat sich, zu viel über ihn nachzudenken. Er tat es trotzdem, schlief aber immerhin bald ein.

Am nächsten Tag begann nach einem kargen Frühstück für alle das letzte Spiel.

 

Das Twilight sah von außen schon schäbig aus, sogar für einen Nachtclub in dieser heruntergekommenen Gegend. Nachdem die bulligen Securitys sie hineingelassen hatten, stellte Shikamaru fest, dass es innen nicht viel ansehnlicher war. Das Etablissement war kaum mehr als eine simple Kellerbar, in der man sich leicht die Ellenbogen an den rohen, gemauerten Wänden zerschrammte, wenn man sich an den dicht an dicht stehenden Besuchern vorbeidrängeln wollte. Die Decke bestand aus leicht modrigen Holzbalken. Trotzdem stank es hier nicht nach Moder oder Keller, sondern eher nach verschiedensten Rauchnuancen von süß bis bitter. Aus den Lautsprechern vor der kleinen, gezimmerten Bühne dröhnte lauter Bass. Die Bühne selbst lag, sah man von dem verhüllten Schlagzeug ab, noch wie ausgestorben da. Dahinter hing ein breites, schwarzes Banner mit dem Logo der Vorband. Lesen konnte man den Bandnamen nicht, dazu waren die Buchstaben zu krakelig, aber die Farbgebung erinnerte an Blut, das an einer Wand hinunterlief.

„Das Lokal ist genauso zwielichtig wie sein Name“, stellte Shikamaru trocken fest.

„Wäre dir ein Aufgebot an Glitzervampiren lieber gewesen?“, neckte ihn Ino.

„Meint ihr, es gibt hier auch was Warmes zum Essen?“, fragte Chouji unvermittelt und musterte die Bar an der einen Seite des Kellerlochs. Es sah eher so aus, als gäbe es nur Drinks, aber Shikamaru wollte die Hoffnungen seines Freundes nicht zerschlagen.

Ino sah sich um, dann blickte sie auf ihr Handy. „Noch fünfzehn Minuten. Hoffentlich kommen sie rechtzeitig.“

„Na, auch schon da?“, übertönte eine Stimme neben Shikamaru die wummernde Musik – was nichts anderes bedeutete, als dass ihm jemand mit aller Macht ins Ohr schrie.

Stöhnend bohrte er mit dem Zeigefinger darin herum. „Du bist so nervtötend wie eh und je“, murrte er.

Temari grinste ihn breit an. „Lange nicht gesehen, ihr drei.“ Sie deutete auf ein Fass in einer Ecke, das als Tisch diente. „Gesellt euch doch gleich zu uns. Dort hinten ist vergleichsweise wenig los.“

Shikamaru meinte unter den Rauchschwaden, die seine Sicht trübten, etwas Rotes zu sehen. „Gaara ist auch mitgekommen?“, sprach Ino seine Gedanken aus.

„Er musste“, erklärte Temari süffisant. „Wenn sein Bruder seinen großen Auftritt hat, hat er gefälligst dabei zu sein.“

Großer Auftritt war übertrieben, dazu war das Lokal einfach zu klein. Aber Kankurou machte immerhin den Bassisten der Hauptband. Nachdem die einzige Vorband drei, vier Songs zum Besten gegeben hatte, würde sie das Feld für das eigentliche Highlight des Abends räumen, und falls die Puppeteers je groß rauskommen sollten, würden sie dieses Ereignis sicher als ihren persönlichen Startschuss sehen.

Bei der Gelegenheit hatten Shikamarus Freunde beschlossen, seit langem wieder einmal gemeinsam zu feiern. Zumindest Kiba war ein großer Fan von Kankurous Musik, und Lee fand es sowieso unwiderstehlich cool, dass er in einer Band spielte. Außerdem waren Ino und die anderen erst vor ein paar Wochen von ihrem Urlaub aus den Bergen zurückgekehrt. Sie dürften in Inos Wochenendhaus eine stressfreie Zeit verbracht haben, um die Shikamaru sie beneidete. Jedenfalls waren sie hinterher der Meinung gewesen, dass sie auch mal wieder was mit der ganzen Clique unternehmen sollten, und dieses Konzert am schmutzigsten Ende der Stadt hatte sich da förmlich aufgedrängt.

Nachdem Shikamaru, Ino und Chouji auch Gaara begrüßten, den sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatten, ging Temari an die Bar, um etwas zum Anstoßen zu besorgen. Ino zückte ein weiteres Mal ihr Handy. „SMS von Sakura“, verkündete sie. „Sie werden es nicht bis zur Vorband schaffen. Naruto hat mal wieder getrödelt.“

„Was sonst“, seufzte Shikamaru.

Kurz bevor es acht wurde, tauchte noch die dritte Partie ihres Freundeskreises auf. Kiba, Lee und Shino wohnten im selben Bezirk, daher waren sie gemeinsam hergefahren. Erster wirkte hochmotiviert, zweiter sowieso, nur Shino trug seine undifferenzierte Miene zur Schau. Ino winkte, und kurz darauf bestellte Kiba die zweite Runde. Nun fehlte also nur noch Narutos Truppe.

„Hast du gesehen?“ Temari stieß ihren Bruder an und deutete in die Menge, die sich nahe der Bühne drängte. Gaara nickte. Offenbar war dort jemand, den sie kannten. Shikamaru konnte wieder nur einen roten Haarschopf erspähen, ähnlich Gaaras, dann schob sich jemand Großes dazwischen und er verlor ihn aus den Augen.

„Trinkt aus“, forderte Temari die anderen auf und stürzte ihren Whiskey auf einmal hinunter. „Ich geh mal schnell für kleine Mädchen und hol dann noch eine Runde.“

„Willst du uns etwa was vom Klo mitnehmen?“, scherzte Kiba.

Temari verdrehte die Augen. „Ich werde den Barkeeper extra für dich fragen, ob er was Vergleichbares hat“, sagte sie säuerlich und war dann auch schon verschwunden. Shikamaru schmunzelte. Dann ging plötzlich überall in dem Club das Licht aus und nur die Bühne wurde von einem breiten Spotscheinwerfer erhellt.

 

„Jetzt beeilt euch schon! Wegen euch kommen wir zu spät!“

„Darf ich dich daran erinnern, dass du es warst, der noch drei Mal in seine Wohnung gerannt ist, weil er irgendwas vergessen hat?“, fragte Sakura mit zornblitzenden Augen. Naruto lief wie von einer Wespe gestochen immer wieder ein paar Schritte vor und wartete dann ungeduldig, bis seine Freunde in normalem Eilschritt zu ihm aufschlossen. Hinata, die von ihnen allen die schlechteste Kondition hatte, atmete schon schwer und hatte gerötete Wangen, aber nicht einmal darauf achtete Naruto.

„Dann müsst ihr eben jetzt die verlorene Zeit wieder rausholen!“, rief Naruto.

„Spinner“, brummte Sasuke.

Sakuras Handy vibrierte. „Ino hat gerade geschrieben, dass die Vorband zu spielen anfängt“, sagte sie.

„Sieh lieber nach vorne. Bei Narutos Geschwindigkeit läufst du noch gegen eine Straßenlaterne“, scherzte Tenten.

„Leute, schneller!“, drängelte Naruto weiter.

Der Bezirk, in dem sie unterwegs waren, genoss mit Recht einen schlechten Ruf. Dass man ihn gemeinhin den Hinteren Bezirk nannte, war eigentlich eine Beschönigung. Die Straße stank nach Unrat, der Bürgersteig war an vielen Stellen brüchig, der Asphalt sowieso. Nur dann und wann brauste ein Auto an den sechs vorbei, Fußgänger hatten sie noch gar keine gesehen. Die Gebäude ringsum waren niedrig und entweder von vornherein nur halbherzig verputzt worden, oder aber der Verputz bröckelte schon wieder ab. Die vorherrschenden Farben reichten von weiß bis dunkelgrau, mit unfreundlichen, schwarzen Sprenkeln, wo sich sogar an den Außenwänden der Häuser Schimmel breitmachte. Im schwindenden Tageslicht wurde die ganze Szenerie zunehmend düster.

„Echt ätzend, dass es in diesem verdammten Stadtteil gerade mal eine Buslinie gibt. Und die muss natürlich einen weiten Bogen um das Twilight machen“, seufzte Tenten. „Was sagt unser Navi? Sind wir hier überhaupt noch richtig?“

Neji, der eine App von der Straßenkarte auf seinem Smartphone hatte und genau genommen noch weniger auf die Straße achtete als Sakura, nickte. „Das da vorn könnte eine Abkürzung sein“, sagte er.

„Wo? Das da?“ Sasuke blieb vor einer schmalen Seitengasse stehen und musterte die Backsteinwände, die einen kaum zwei Meter breiten Weg einpferchten. Eine verbogene Regenrinne neigte sich wie ein künstlicher Schranken über den Eingang.

Sakura rümpfte die Nase, als sie bei ihm ankam. Aus der Gasse wehte fauliger Geruch. „Keine zehn Pferde bringen mich da hinein.“ Hinata konnte das nur zu gut nachempfinden.

„Hast du etwa Angst?“, fragte Naruto scherzhaft.

„Ich hab nur was dagegen, mich mitten in der Nacht im heruntergekommensten Teil der Stadt durch eine enge, stinkende Gasse zu zwängen“, schnappte sie gereizt.

„Ich … ich habe Angst“, gab Hinata kleinlaut zu. „Wenn wir einfach der Straße folgen, kommen wir doch auch zu dem Lokal, oder?“

„Theoretisch schon“, sagte Neji. „Aber es dauert länger. Und wir sind schon fünf Minuten über der Zeit.“

„Es ist besser, ein paar Minuten von Kankurous Auftritt zu versäumen, als in einer dunklen Gasse überfallen zu werden“, sagte Sakura.

„Also hast du doch Angst“, stellte Sasuke mit einem schiefen Grinsen fest. „Ihr habt doch ein paar starke Männer an eurer Seite, was soll schon passieren?“, fragte er überheblich.

„Ich habe keine Angst“, zischte sie. Das meinte sie vermutlich ernst. Hinata schätzte, dass sie in dem Moment einfach nur stur sein wollte. „Komm, Hinata. Lassen wir die Idioten doch einfach durch diese Müllhalde kriechen.“

Sie stapfte los, wieder die Straße entlang. Hinata folgte ihr zögerlich, wandte sich noch einmal kurz um. „Naruto?“, fragte sie schüchtern. Es wäre ihr lieber, wenn er nicht in diesen finsteren Schlund ging.

Naruto schien hin- und hergerissen, dann zuckte er mit den Achseln. „Also schön.“ Hinata fühlte bodenlose Erleichterung, als er ihnen hinterher marschierte. Sakura legte ein strammes Tempo vor.

„Bist du jetzt auch unter die Angsthasen gegangen?“, rief Sasuke ihm hinterher.

„Nein“, rief Naruto gedehnt zurück. „Aber die Straßen sind hier auch gefährlich, also sollten sie einen Mann dabeihaben, oder?“

Hinata bewunderte ihn für die schlaue Ausrede – so schlagfertig war er selten –, aber Sakura funkelte ihn an, als wollte sie ihn im nächsten Moment ihre Faust spüren lassen. Die anderen standen noch vor der Seitengasse. „Was ist mit dir?“, fragte Sasuke Tenten. „Willst du ihnen nicht auch nach?“

„Weil ich ein Mädchen bin, oder was?“ Sie grinste. „Bist du neuerdings sexistisch veranlagt? Wenn da in der Gasse jemand lauert, sollte er besser Angst vor uns haben.“

Neji trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. Hinata kannte ihren Cousin gut genug, wahrscheinlich bereute er mittlerweile, die anderen auf die Abkürzung aufmerksam gemacht zu haben. Tenten gab ihm allerdings keine Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen. Sie hakte sich bei ihm unter und verkündete fröhlich: „Das Navi bleibt bei uns, damit wir uns dort drin nicht verirren.“

So betraten Tenten, Neji und Sasuke die finstere Seitengasse, und obwohl sie es nicht laut sagte, hatte Hinata ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.

 

Als sie eingetreten waren, hatte Ino einen Witz über Glitzervampire gemacht. Als die Vorband auf die Bühne kam, musste Shikamaru unwillkürlich daran denken. Die vier Bandmitglieder glitzerten zwar nicht, aber von Vampiren waren sie nicht mehr weit entfernt: Alle vier waren weiß geschminkt, die Augen dunkel umrahmt, das Haar bleich und lang. Am furchterregendsten sah der Sänger und Leadgitarrist aus: Er spielte mit nacktem, geschwärztem Oberkörper, auf den im Corpse-Painting-Stil Rippen und andere Knochen gemalt waren. Das Gesicht war ebenfalls schwarzweiß bemalt.

Am hässlichsten jedoch war sein Gesang, wenn man es denn überhaupt noch als solchen titulieren wollte. Es klang eher, als wollte er mit Halsschmerzen einen Sturm übertönen, und das mit einer Handvoll Reißnägel im Mund. Shikamaru verstand kein Wort von dem gegrölten Text. Die Gitarren waren so sehr verzerrt, dass sie gar nicht mehr wie ein Musikinstrument klangen, und er war nicht sicher, ob es in dem Song überhaupt so etwas wie eine Strophenstruktur oder auch nur einen richtigen Takt gab. Immerhin, den eingefleischten Fans ganz vorne bei der Bühne schien es zu gefallen, sie ließen mit gespreizten Fingern ihre Haare durch die Luft wirbeln.

„Spielt Kankurous Band auch so einen Stil?“, schrie er Gaara zu.

„Was?“ Er hielt eine Hand an sein Ohr. Die Musik war selbst hier hinten so laut zu hören, dass man kaum sein eigenes Wort verstand. Shikamaru winkte ab und geduldete sich, bis das Lied zu Ende war.

„Wie heißt die Band überhaupt?“, fragte Kiba, als sich die kreischenden Instrumente beruhigt hatten und Shikamarus Ohren sich wie mit Wolle gefüllt anfühlten.

„Ich weiß nicht genau. Irgendetwas mit Jashin“, sagte Gaara. „Offenbar haben sie eine Abmachung mit den Leuten, denen das Twilight gehört. Sie dürfen immer auftreten, wenn hier irgendein Gig stattfindet. Kankurou versteht es auch nicht ganz.“

Dann gab es immerhin Hoffnung, dass Shikamaru Kankurous Musik besser gefiel. Die Jashin-Band quälte ihre Instrumente noch für ein zweites, ebenso furchtbares Lied, dann schien der Sänger eine Ankündigung machen zu wollen.

„Haut rein, Anhänger Jashins!“, schrie er in sein Mikrofon. Shikamaru fand, dass seine Stimme ruhig heiserer klingen dürfte. „Heute Nacht schwebt wieder ein blutiger Mond über dieser beschissenen Stadt, und das heißt, dass unser Meister Hunger hat!“

Ganz vorne johlten ein paar Fans auf. Shikamaru hatte keinen Plan, was der da Typ faselte.

„Seid ihr bereit, ihm euer Blut zu opfern?“, schrie der Sänger, als wäre er gerade in höchster Ekstase. Oder war er auf Drogen? Die paar Leute in der ersten Reihe stimmten freudiges Geschrei an. „Pain for Jashin!“, hörte Shikamaru heraus. Vielleicht war das der volle Name der Band.

„Einfach nur krank“, war Inos simpler Kommentar dazu.

„Sehr gut!“, rief der Sänger und ließ seine Hand über dem Kopf tanzen, als vollführe er eine Zaubershow. „Jashin hat zu mir gesprochen! Einer hier im Raum hat die Ehre, ihm als Opfer zu dienen!“ Diese zweifelhaften Anhänger tanzten daraufhin wie wild herum.

„Nein, danke“, meinte Gaara trocken. Kiba und Lee lachten.

„Schaut übrigens immer mal wieder auf unsere Website! Jashin freut sich über jeden neuen Anwärter! Und jetzt geht es weiter mit Drain Blood To Kill!

Shikamaru war jetzt ganz froh darüber, nicht zu verstehen, worum es in deren Liedtexten ging. Das Gitarrengetöse setzte wieder ein, und wenn ihn nicht alles täuschte und er die zurückhaltenden Gesichtsausdrücke der anderen Besucher richtig deutete, fand der Großteil der Gäste des heutigen Abends diese erzwungene Vorband geschmacklos.

Als sie gerade beim vierten Song waren, kam Bewegung in die starren Körper der Zuhörer, als sich drei Neuankömmlinge an ihnen vorbeidrängten. Sie hatten sie bemerkt und steuerten auf das Holzfass zu; Ino winkte ihnen überflüssigerweise zu.

Die letzten Gitarrentöne verklangen pünktlich um halb neun und von ganz vorne brandete Jubel auf, hier und da ertönte verhaltener Applaus. „Da seid ihr ja endlich!“, rief Ino gegen ihre halbtauben Ohren an, als Sakura, Hinata und Naruto das Fass erreichten.

„Hey. Sorry für die Verspätung. Was war denn das gerade?“, fragte Sakura stirnrunzelnd.

„Ihr habt nichts verpasst“, sagte Chouji sarkastisch. Die drei Neuankömmlinge begrüßten die anderen per Handschlag, Umarmung oder Küsschen – zumindest Sakura und Naruto; Hinata murmelte nur eine Begrüßung. Naruto freute sich besonders, dass Gaara auch hier war, und versprach, gleich Drinks für alle zu bestellen, obwohl Temari sich gerade erst mit einem Tablett durch die Menge kämpfte, auf der die letzte Runde stand. Als er in Richtung Bar verschwand, stand der Sänger immer noch starr auf der Bühne, die Arme ausgebreitet, als wollte er das ganze Lokal umarmen, die Augen geschlossen. Hoffentlich machten sie bald Platz für Kankurous Band.

„Hat ja lange gedauert“, merkte Shikamaru an, als Temari endlich bei ihnen war und das Tablett auf dem Fass abstellte.

„Jaja, tut mir leid“, sagte sie genervt und blickte nervös hinter sich, dann machte sie ein paar Schritte in den Kreis hinein, den die Freunde um das Fass bildeten, sodass sie nun vor Shikamaru stand.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte er stirnrunzelnd und wollte sich schon in die Richtung drehen, in die sie gespäht hatte.

„Bleib so stehen“, sagte sie tonlos. „Und dreh dich nicht so auffällig um, verdammt. Siehst du den Kerl da hinten? Der hat mich aufgehalten.“

„Welcher Kerl?“ An der Bar war ziemlich was los. Naruto drängte sich gerade an einigen pockennarbigen Schwermetallern vorbei.

„Der mit den langen Haaren. Gott, schau nicht so auffällig!“

Da sah Shikamaru ihn auch. Ein Mann zwischen zwanzig und dreißig starrte direkt zu ihnen herüber, ein Glas mit irgendetwas Klarem in der Hand. Seine Haarmähne erinnerte ihn an Inos, blond und lang und gepflegt. Schulterzuckend drehte sich Shikamaru wieder um. „Und? Was ist mit ihm?“

Temari verdrehte die Augen. „Nehmt euch einfach eure Drinks, okay?“

Da bemerkte Shikamaru, dass auch Sakura suchend den Blick über die Menge schweifen ließ. „Sagt mal, wo sind die anderen?“

„Welche anderen?“, fragte Ino.

„Sasuke, Tenten und Neji. Sind sie noch nicht hier?“

„Ich dachte, sie wollten mit euch herkommen?“

Shikamaru wandte sich verdutzt zu Sakura um und sah, wie ihre nachdenkliche Miene langsam in Besorgnis umschlug.

 
 

- Der Hintere Bezirk, erste Nacht -

 

„Und wieder ist es Zeit für das Dorf, einzuschlafen. Ich gehe davon aus, jeder hat sich mit der Fähigkeit seines Charakters vertraut gemacht?“

Shikamaru nickte nicht, er hielt nur konzentriert seine Augen geschlossen. Er wusste, welche Karten es insgesamt gab, aber er wusste nicht, welche alle im Spiel waren. Deshalb war es wichtig, in der ersten Nacht aufzupassen. Sphinx hatte ihm erlaubt, tagsüber Notizen zu machen, daher musste er sich unbedingt merken, wen er in welcher Reihenfolge aufrief.

„Zuerst stirbt der Geist und erwacht gleich darauf. Beherrschst du das Finger-Alphabet? Ja? Dann sieh dir an, was heute Nacht noch so alles geschieht, und in der Dämmerung zeigst du mir dann den Buchstaben, den du den Lebenden mitteilen willst.“ Der Geist war von Anfang an tot. Er durfte das ganze Spiel über die Augen geöffnet haben, aber mit keinem anderen Spieler in irgendeiner Weise in Kontakt treten. Selbst Blickkontakt war verboten, und Sphinx war da sicher sehr streng. Dafür durfte der Geist pro Nacht eine Nachricht aus dem Jenseits senden, einen einzelnen Buchstaben, der jedoch nicht als Initiale eines Namens gedacht sein durfte.

„Nun erwachen die Freimaurer. Sie sehen sich an und erkennen sich – gut so. Sie schlafen wieder ein.“ Die Freimaurer kannten einander und wussten daher, dass sie keine Werwölfe waren. Dass Sphinx nicht sagte, wie viele es gab, war lästig. So war es schwierig, sie ausfindig zu machen.

„Als Nächstes erwacht die Alte Vettel. Zeige auf einen Spieler, der am nächsten Tag das Dorf verlassen muss.“ Der verbannte Spieler konnte tags darauf weder abstimmen noch gelyncht werden. Diese Fähigkeit konnte sowohl nützlich als auch verhängnisvoll werden.

„Du schläfst wieder ein. Jetzt erwacht der Leibwächter und zeigt mir den Spieler, den er in dieser Nacht vor Tötungsversuchen schützen möchte. Der Leibwächter schläft wieder ein, die Unruhestifterin erwacht. Möchtest du das Dorf schon am ersten Tag etwas aufwiegeln? Du schläfst wieder ein und die Doppelgängerin erwacht. Wähle einen Spieler, und du erhältst dessen Charakter, wenn er stirbt. Sobald er tot ist, wachst du in der Nacht auf, und ich werde dir die Karte zeigen, die du von da an dein Eigen nennen darfst.“ Noch ein tückischer Charakter. So etwas war wieder einmal perfekt, um die Seherin auszutricksen. Ob Sphinx zweimal denselben Schachzug verwenden würde?

„Nachdem die Doppelgängerin wieder in süße Träume versunken ist, erwacht der Strolch und wählt seine beiden Todfeinde. Zeige sie mir. Du schläfst wieder ein.“ Der Strolch musste in der ersten Nacht zwei Spieler auswählen. Er gewann nur, wenn beide am Ende tot waren und er selbst noch lebte.

„Der Paranormale Ermittler erwacht. Möchtest du drei nebeneinander sitzende Spieler auf Werwölfe durchleuchten? Der Priester erwacht und sagt mir, ob er gern jemanden segnen möchte. Dann schläft er wieder ein. Die Zaubermeisterin erwacht und sucht nach der Seherin. Wähle einen Spieler und ich zeige dir, ob du richtig liegst … Die Zaubermeisterin schläft wieder ein.“

Shikamaru spürte ein starkes Verlangen, die Augen zu öffnen und wie der Geist zuzusehen, was des Nachts geschah. Sphinx hatte wieder so viele Charaktere mit Spezialfähigkeiten ins Spiel gebracht …

„Die Seherin ist dran. Wähle einen Spieler. Wenn er ein harmloser Dorfbewohner ist, deute ich mit dem Daumen nach unten, andernfalls nach oben … Du schläfst wieder. Der Kultführer erwacht! Wähle einen Spieler, der in deinen Kult eintreten soll!“ Der Kultführer also auch. Hier schienen mehrere Fraktionen gegeneinander anzutreten. Der Kultführer musste versuchen, alle lebenden Spieler in seinen Kult zu bekommen, einen pro Nacht. Schaffte er das und überlebte selbst auch, gewann er unabhängig von den Werwölfen. Die Mitglieder des Kultes selbst erfuhren davon gar nichts. „Sollte der Kultführer übrigens sterben, tippe ich, wenn ich den Kultführer in der nächsten Nacht aufrufe, dem ältesten Kultmitglied auf die Schulter. Dann wird es zum nächsten Kultführer, und das Mitgliedersammeln geht weiter. Du schläfst wieder ein. Jetzt erwachen die Werwölfe.“

Endlich ging es zur Sache. Shikamaru hielt gespannt den Atem an.

„Ihr wählt euch ein Opfer für diese Nacht.“

Nach Shikamarus Geschmack könnte es ruhig ewig dauern, bis er etwas zu tun bekam, aber irgendwie freute er sich, dass die Nacht bald vorbei war und er die Augen wieder öffnen durfte. Jetzt musste Sphinx nur noch die Hexe aufwecken, damit diese ihre Tränke ausspielen konnte, dann war der Morgen da.

„Die Werwölfe schlafen wieder ein.“ Shikamaru konnte Sphinx‘ Lächeln während seiner nächsten Worte förmlich hören. „Die Vampire erwachen.“

Der Hinterhof der Zivilisation


 

~ 18 ~

 

Ein erstickter Laut ertönte, als einer von Shikamarus Freunden beinahe eine Frage stellte, aber er konnte weder Richtung noch Stimme identifizieren. Noch immer hielt er die Lider geschlossen. Rings um ihn blieb es bis auf diesen Japser still, doch das Schweigen der anderen wurde deutlich angespannter, so wie in einem geschlossenen Raum irgendwann die Luft dicker wird. Hätte er so gute Ohren, hätte Shikamaru sicher bemerkt, wie der Atemrhythmus seiner Freunde sich veränderte.

„Brav“, sagte Sphinx, als niemand mehr einen Laut von sich gab. „Falls ihr etwas zu sagen habt, wartet bis zum Tag. Die Vampire stören sich nicht am unruhigen Schlaf der Dorfbewohner, sondern wählen rasch ihr Opfer. Außerdem erwacht nun noch einmal die Zaubermeisterin. Diese Mal ist sie mit den Vampiren verbündet. Ihr erkennt euch, und die Zaubermeisterin schläft wieder. Die Vampire zeigen mir das Opfer. Danach schlaft ihr auch wieder ein.

Also gab es in diesem Spiel Werwölfe und Vampire. Shikamaru hätte nicht gedacht, dass Sphinx beide Gruppen rufen würde. Das machte alles ungleich komplizierter … Und lästiger. Die Vampire waren sowohl die Feinde der Dorfbewohner als auch der Werwölfe. Sie wussten nicht, wer die Wölfe waren – umgekehrt war es genauso – und kochten ihr eigenes Süppchen. Auch sie wählten nachts Dorfbewohner – oder auch Werwölfe, je nachdem, wen sie erwischten –, die dann tags darauf vor der ersten Abstimmung starben. Umgekehrt konnten Vampire nicht von Werwölfen getötet werden, was es beinahe unmöglich machte, den Grund für eine leichenlose Nacht zu erraten. Und wenn Shikamaru Pech hatte, würde das Spiel nicht nur ein Überlebenskampf des Dorfes gegen die Werwölfe werden, sondern auch in einen Machtkampf zwischen Wölfen und Vampiren ausarten. Sphinx hatte nicht gelogen, als er sagte, er würde ihm mit allen Tricks das Leben schwermachen.

„Zu guter Letzt erwacht die Hexe. Ich zeige dir das Opfer der Werwölfe.“ Das der Vampire erfuhr sie offenbar nicht. „Möchtest du einen Heiltrank einsetzen, dann nicke. Möchtest du einen Gifttrank einsetzen, dann zeige auf dein Opfer, ansonsten schüttle den Kopf. Du schläfst wieder ein.“

 

Echt toll gemacht“, seufzte Tenten. „Es ist schon zehn nach acht, und wir stecken fest.“

„Das beste Navigationssystem hilft nichts, wenn sie den Weg mit einem Gitter versperren“, sagte Neji ruhig und sah sich nach einem Schlupfloch um.

Er hatte sie durch ein kleines Gewirr aus Backstein, Regenrinnen und feuchtem Straßenpflaster geführt, wo Seitengassen in Seitengassen mündeten und wohl selbst tagsüber kaum Licht über die hohen Hauswände kroch. Nun waren sie bei der vorletzten Biegung angelangt und die Gasse war hier auch schon wieder breiter – allerdings wurde der Weg von einem hohen Maschendrahtzaun versperrt, der natürlich in Nejis App nicht aufschien.

„Wir können auch einfach darüber klettern“, schlug Tenten vor.

„Gibt es keinen anderen Weg? Dort hinten war ja noch ein Durchgang in der Mauer“, erkundigte sich Sasuke. Vermutlich wollte er sich sein teures Markenoutfit nicht ruinieren.

Neji überlegte. „Wenn meine App sich nicht irrt, dann führt der Durchgang in einen Hinterhof. Aber ich weiß nicht, ob wir von da aus auf die Straße kommen.“

„Wir versuchen es einfach“, bestimmte Sasuke und ging los. Den anderen beiden blieb nichts weiter übrig, als ihm zu folgen. Nachdem sie ein paar Meter weiter hinten die gemauerte, runde Türöffnung gefunden hatten, blickte Neji noch einmal auf seine Handyuhr. Viertel nach acht. Er würde wetten, dass Narutos Partie vor ihnen im Twilight war und sie gründlich damit aufziehen würde.

Plötzlich blieb Tenten stocksteif stehen. „Habt ihr das gehört?“, flüsterte sie.

„Was?“ Die beiden Männer sahen sie fragend an.

„Psst!“

Sie lauschten. Ein leises Klopfen drang an Nejis Ohr – oder waren das Schritte? Und das andere … spielten ihm seine Sinne einen Streich, oder stöhnte dort jemand?

„Was ist das?“, wisperte Tenten. Sie schien dasselbe gehört zu haben.

„Nichts“, meinte Sasuke. „Da hat nur jemand in einer dunklen Gasse ein bisschen Spaß.“

Leises Stimmengemurmel. Neji verstand die Worte nicht, aber sie kamen aus dem Innenhof. Dann ertönte ein erstickter Schrei. „Nach Spaß hört sich das nicht an“, sagte er, und Tenten stürmte los, ehe er sie zurückhalten konnte. „Warte!“

Immer sie und ihre spontane Art. Würde er sie nicht dafür lieben, müsste er sie hassen. Sasuke riss ihn aus den Gedanken, als er ihr ebenfalls im Laufschritt folgte, doch sein Fuß blieb an irgendeinem vorstehenden Stein hängen und er landete mit einem dumpfen Ächzen am Boden. Das war es wohl mit seinen hübschen Ausgehklamotten. Fluchend arbeitete er sich wieder hoch.

„Alles in Ordnung?“, fragte Neji und bot ihm seine Hand an. Sasuke würdigte ihn keines Wortes und nahm auch seine Hilfe nicht an. Ein wenig würdevoller Sturz wie dieser kratzte sicher gewaltig an seinem Ego. Schließlich folgten sie Tenten Seite an Seite, die schon in der Dunkelheit verschwunden war.

Der Durchgang war nur kurz, dann folgte ein weiteres, winziges Gässchen, das nach einem Knick in dem Hof mündete. Tenten war schon dort, noch ehe Neji auch nur einen Blick darauf erhaschen konnte – und ihr heiserer Schrei konnte nichts Gutes bedeuten. „Tenten!“ Er beschleunigte seine Schritte und hoffte, dass ihr nichts passiert war.

Sasuke blieb unter dem Dach stehen. Neji ging auf Tenten zu, die in den Hof hinausgelaufen war. Er war so klein, wie es sich für einen Innenhof in diesem Stadtteil geziemte, staubig und erdig mit ein paar Grasbüscheln, die im Mondlicht bleich und tot aussahen. Ein aus morschen Brettern gezimmerter Komposthaufen faulte in einer Ecke vor sich hin. Ein breites Tor, das einen Spalt offen stand, führte tatsächlich auf die Straße, zu der sie wollten. Tentens Blick war jedoch auf eine der Wände gerichtet.

Der Hof wurde von dreistöckigen, schmucklosen Gebäuden umrahmt. Fenster ohne Vorhänge glotzten auf ihn herab, der weiße Verputz war überall rissig und zerbröckelte. Eben kam der Mond wieder hinter einer Wolke hervor, und an der Stelle, die Tenten anstarrte, prangten, im silbrigen Licht gut erkennbar, glänzende rote Flecken.

Blut. Neji schluckte und trat näher. Sasuke rührte sich nicht von der Stelle.

Die Wand war tatsächlich mit Blut vollgespritzt – und es war noch frisch. Glänzende Spuren liefen nach unten. Vor der Wand war auch die Erde dunkel und schwer, und jetzt erkannte Neji auch die schmale Blutspur, die sich über den Hof zog und sich irgendwann auf dem Weg zu einer schmalen Tür verlor, die in den Wohnkomplex führte.

„Was ist hier passiert?“, fragte Tenten. Ihre Stimme klang wieder fest; sie hatte sich gefangen, auch wenn ihr Atem noch rasch ging.

„Nichts, was uns etwas anginge“, sagte Sasuke laut. Während er den ganzen Hof mit wachsamen Blicken maß, kam er näher. „In diesem Stadtteil gibt es eine Menge Straßenbanden, die sich kloppen. Das ist nicht unser Bier.“

„Das sieht mir nicht nach harmlosem Kloppen aus“, meinte Neji. Es war eine ganze Menge Blut, das hier geflossen war.

Sasuke schnaubte. „Ich habe nie behauptet, dass es harmlos ist“, sagte er trocken.

„Meint ihr, wir sollten die Polizei rufen?“, fragte Tenten unsicher.

„Und was sagst du denen? Wir haben eine blutige Wand im Hinteren Bezirk gefunden? Die werden uns höchstens eins husten.“

„Hier hat eindeutig ein Verbrechen stattgefunden“, sagte Neji streng. „Das gehört gemeldet.“

„Viel Spaß dabei. Hier finden ständig Verbrechen statt.“

Neji konnte ihn nicht verstehen. Er wusste, dass Sasuke aus einer Polizistenfamilie stammte. Sein Bruder war sogar Mordkommissar oder etwas in der Art. Oder reagierte er so, weil er mehr Einblick in das Ganze hatte als Neji oder Tenten?

Er sah, wie Tenten etwas vom Boden aufhob und intensiv musterte. Neji wollte schon näher treten und eine entsprechende Frage stellen, als Tenten plötzlich einen spitzen Schrei ausstieß, rückwärts taumelte und gegen ihn prallte. „Da … da oben!“ Ihr Finger deutete aufgeregt auf den dritten Stock eines der Häuser. Eine rostige Feuerleiter wand sich von dort bis in den Hof herunter – und für den Bruchteil einer Sekunde sah Neji es auch.

Dort oben kauerte jemand, ein tiefschwarzer Schatten vor der hellen Hauswand, und für einen Moment hatte Neji den Eindruck, eine große, haarige Gestalt zu erkennen. Als Bewegung in die finstere Masse kam, verschwand die Illusion – was den Schatten selbst nicht weniger unheimlich machte. Er richtete sich auf und huschte in die offen stehende Balkontür im dritten Stock. Dann war er verschwunden, und hätte Tenten ihn nicht auch gesehen, hätte Neji gedacht, dass er sich die Gestalt nur eingebildet hatte.

Aber sie war eindeutig da gewesen. Und nicht nur das – Neji hätte schwören können, dass sie zwischen den rostigen Geländerstäben der Feuerleiter in den Hof herabgespäht hatte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.

„Er … er hat uns gesehen“, flüsterte Tenten mit gezwungener Ruhe, aber auf ihren nackten Oberarmen erkannte Neji ebenfalls eine Gänsehaut. „Neji, er hat uns gesehen … Wir sind Zeugen, und er hat uns gesehen!“ Ihre Stimme wurde nervöser.

„Aber wir haben nichts gesehen“, sagte Sasuke lauter, als nötig gewesen wäre. „Nur einen Blutfleck an einer Wand, weil hier mal wieder irgendwelche Straßengangs gerauft haben. Das ist alles.“ Er packte Tenten und Neji an den Schultern und schob sie kurzerhand fort von hier. „Gehen wir endlich. Das Tor steht offen.“

 

Die Bühne wurde ein wenig umgebaut, das Banner ausgetauscht, und Kankurous Auftritt würde noch ein wenig auf sich warten lassen. So hatte Shikamaru genügend Zeit, sich um Neji, Tenten und Sasuke zu sorgen. Sakura zufolge hatten die drei eine Abkürzung durch die Seitengassen nehmen wollen – dabei hätten sie es besser wissen müssen. In diesem Teil der Stadt betrat man die Seitengassen einfach nicht, schon gar nicht, wenn es dunkel war. Was hatten sie sich nur dabei gedacht?

Eine Welle der Erleichterung überlief ihn, als die fehlenden drei endlich zur Tür hereinschneiten. Shikamaru machte sofort die anderen auf sie aufmerksam, die sie zu ihrem Fass winkten.

Neji, Sasuke und Tenten wirkten alle drei ein wenig reserviert. Selbst Tenten, die ihre Freunde und Bekannten üblicherweise freudig begrüßt hätte, murmelte nur etwas Einsilbiges und lächelte verhalten. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, wurde stärker. Schließlich sprach Naruto aus, was ihnen allen auf der Zunge lag: „Sagt mal, ist alles in Ordnung bei euch? Wo wart ihr überhaupt so lange?“

„Frag das unser Navi“, sagte Sasuke mit einem abfälligen Seitenblick zu Neji, dem dieser zu entgehen schien.

„Was habt ihr euch nur dabei gedacht? In den Seitengassen ist es hier gefährlich“, sagte Ino bestimmt und stemmte die Hände in die Hüften.

„Stell dir vor, das haben wir auch bemerkt“, gab Sasuke zurück. Er wirkte ein klein wenig gereizt.

„Tenten, sag du uns wenigstens, was los war“, seufzte Sakura. „Von den beiden Schweigebolzen kriegt man ja doch keine Antwort.“

Tenten wich ihrem Blick aus und zuckte mit den Schultern. „Da war … Also …“

„Da war gar nichts“, fiel ihr Sasuke ins Wort. „Irgendjemand hat irgendjemand anderen zusammengeschlagen. Wir haben ein paar Blutspuren gesehen, sonst nichts.“

„Das waren nicht nur ein paar Blutspuren!“, zischte sie ihn an. „Das sah aus, als wäre da einer gestorben! Wir hätten die Polizei rufen sollen!“

„Um ihnen was zu sagen?“, gab Sasuke zurück. „Untersucht bitte die Blutspuren, forscht das Opfer aus und fragt es, wer ihm das angetan hat? Wenn es das sagen will, wird es ja wohl selbst zur Polizei gehen, oder?“

Tenten holte Luft zu einer scharfen Antwort, aber in dem Moment begann ein Trommelwirbel. Auf der Bühne ging die Show los. Kankurou und seine drei Bandkollegen legten eine schnelle Nummer hin und wieder waren die Instrumente so laut, dass man sich nicht unterhalten konnte, ohne zu schreien. Die Aufmerksamkeit aller lenkte sich auf den eigentlichen Grund ihres Zusammenkommens.

Die Puppeteers waren viel besser als Pain for Jashin, spielten aber auch nur sechs oder sieben Songs. Shikamaru hatte von Musik keine Ahnung, aber er fand den Auftritt ganz annehmbar. Die anderen Bandmitglieder kannten angeblich nur Kankurous Geschwister und diese auch nicht sonderlich gut, also riefen einige aus ihrer Clique zwischen den Liedern einfach Kankurous Namen statt den der Band.

Es war einundzwanzig Uhr dreiundvierzig, als das Licht auf der Bühne ausging, die Fans jubelten und die Band ihren Auftritt beendete. Nachdem man seine eigenen Worte nun wieder verstehen konnte, wandte sich Ino mit besorgtem Gesichtsausdruck erneut an Tenten. „Also, was ist jetzt passiert?“

Auch Shikamaru waren ihre Erzählungen den ganzen Auftritt lang nicht aus dem Kopf gegangen. Tenten rollte jetzt allerdings nur mit den Augen. „Schon gut, vergesst es. Ich bin wohl zu sensibel. Nur weil jemand drei Liter Blut verloren hat, will ich schon zur Polizei gehen.“ Sie schoss einen bitterbösen Blick auf Sasuke ab.

„Na, na, machen wir kein Drama draus“, sagte Kiba. „So was passiert hier sicher jeden Tag. Solange es euch gut geht, ist alles okay. Was trinkst du, Tenten?“

Sie starrte Sasuke noch eine Weile stur an, ehe sie sich auf den Themenwechsel einließ. „Weiß nicht. Was hattet ihr denn schon?“

Die Stimmung lockerte sich etwas, als Kiba wenig erfolgreich versuchte, sich die Bestellungen für die nächste Runde zu merken. Sasuke verkündete schließlich leicht genervt, dass er bestellen würde. Nachdem er in das Gewurl vor der Bar eingetaucht war, zuckte Temari plötzlich zusammen. „Scheiße“, zischte sie.

„Was ist?“ Shikamaru wandte sich in die Richtung, in die sie gesehen hatte.

„Dreh dich nicht schon wieder um, verdammt!“

Da sah er ihn. Der Mann von vorhin steuerte direkt auf ihre Gruppe zu, zwischen die Hände geschickt mindestens ein halbes Dutzend Gläser gepresst. „‘n Abend, Ladys“, sagte er und stellte seine Last auf ihrem Fass ab. „Täusche ich mich, oder seht ihr durstig aus?“ Die Jungs überging er dezent.

Shikamaru konnte sehen, wie Temari innerlich aufstöhnte. „Danke, wir kriegen bereits was. Kannst du dich bitte wieder verziehen?“

„Ganz schön kratzbürstig, hm.“ Er fuhr sich durch die Haare, die dadurch kein bisschen zerzaust wurden. „Was sollte das vorhin überhaupt? Du bist ziemlich schnell abgehaut.“

„Weil ich keinen Bock habe, mich mit dir zu unterhalten“, knurrte Temari, sah ihn dabei aber nicht an.

„Hast du gehört?“, fragte Gaara rhetorisch und kalt. „Behalte deine Spendierhosen für dich.“

„Dann eben nicht, hm.“ Der Mann seufzte. „Aber irgendeines der Mädels hier wird sich doch sicher meiner erbarmen, oder? Oder soll ich die Drinks alle selbst vernichten? Ich bin übrigens Deidara.“

„Ich lasse mich gern einladen“, erklärte Ino grinsend und griff nach einem der Gläser. „Prost.“

Deidara stieß lächelnd mit ihr an, dann sah er fragend in die Runde. „Noch jemand? Ihr seid ja eine ziemlich lahme Truppe, hm.“

„Dafür, dass dich niemand eingeladen hat, hast du ein ziemlich loses Mundwerk“, stellte Naruto fest.

„Mit dir redet ja auch keiner.“ Nun lächelte er Hinata an. „Wie wär’s, meine Liebe? Ein Whiskey in Ehren?“

„I-ich … mag keinen Whiskey“, sagte sie leise.

„Nein? Und was ist mit dir?“ Deidara wandte sich Sakura zu. Irgendwie war er Shikamaru suspekt.

„Ich mag dich nicht“, sagte sie und ließ Naruto, Temari und Ino in Gelächter ausbrechen.

Tenten hingegen streckte zögerlich die Hand nach den Getränken aus. Als Lee jedoch Anstalten machte, dasselbe zu tun, schlug sie ihm auf die Finger. „Du nicht, Lee.“ Dann ließ sie es selbst auch bleiben.

„Meine Güte, seid ihr alle steif“, seufzte Deidara. „Nimm doch auch eines, Schätzchen.“

„Dein Schätzen gibt dir gleich eine“, zischte Temari.

„Ist das der Dank, dass ich dir deine Runde vorhin bezahlt hab?“ Deidara wandte sich wieder Ino zu, die ihr Glas schon halb geleert hatte. „Dann bleiben wir wohl besser unter uns, hm.“

„Wie du meinst.“ Sie stürzte den Rest ihres Glases hinunter und schenkte ihm ein fieses Grinsen. „Vorher sollte ich dir aber vielleicht sagen, dass ich nicht auf Kerle mit langen Haaren stehe. Einladen lasse ich mich natürlich trotzdem gern.“

Irgendwie befriedigte es Shikamaru ungemein, zu sehen, wie Deidara den Mund verzog.

„Deidara. Sieh an.“

Eine neue Stimme wurde hörbar. Ein etwas kleinerer, ziemlich jung wirkender Mann mit feuerroter Mähne war hinter ihn getreten. Er lächelte in die Runde. „Temari. Gaara. Ich hätte mir denken können, dass ihr auch hier seid.“

„Hm, mit dir hätte ich hier nicht gerechnet, Sasori.“ Deidaras Laune schien sich gebessert zu haben. „Komm, lassen wir diese Spießer allein. Ich lade dich ein.“ Er bugsierte seinen Bekannten in Richtung Bar und zwinkerte Ino noch kurz zu, auf die übrigen fünf Whiskeys deutend. „Mein Abschiedsgeschenk. Vielleicht überlegst du es dir ja noch.“ Ino schnaubte abfällig, aber da hatte er sich schon wieder umgedreht und plauderte mit Sasori.

„Ihr kennt ihn?“, fragte Neji. „Diesen Sasori.“

„Mehr oder weniger“, antwortete Temari. „Er kommt aus derselben Gegend wie wir. Hatte dort früher ein Spielzeuggeschäft.“ Sie grinste. „Wir haben oft gewitzelt, dass das wohl nur eine Tarnung ist und er in Wahrheit zwielichtige Geschäfte macht.“

„So sieht er auch aus“, griente Naruto und spielte damit sicher auf den leicht verschlafenen Gesichtsausdruck Sasoris an, der ihn etwas high wirken ließ.

Sasukes Runde und Kankurou kamen fast gleichzeitig bei ihnen an. Der Bassist wurde von allen begrüßt und von vielen für seinen Auftritt gelobt. Speziell Lee war begeistert. Sie stürzten die neue Runde hinunter – Shikamaru machte sich bereits jetzt Sorgen um den Alkoholspiegel seiner Freunde und hoffte, dass seine Leber ihm verzeihen würde – und ließen Kankurou eine neue bestellen, der seine Beziehungen spielen ließ und sie gratis bekam.

„Ich … setze eine Runde aus“, erklärte Ino, als sie anstoßen wollten. Sie presste die Hand auf ihren Bauch. „Entschuldigt mich kurz, ich gehe ein wenig an die frische Luft.“

Shikamaru bemerkte den feinen Schweißfilm, der auf ihrer Haut glänzte. Sie wirkte käseweiß. Er tauschte einen Blick mit Chouji, der es ebenfalls bemerkt hatte. „Ich seh‘ mal nach ihr“, sagte Chouji und folgte Ino, die sich wankend zur Tür durchkämpfte.

Die anderen sprachen gerade mit Kankurou über seine Proben, als Shikamarus bester Freund zurückkam und ihm auf die Schulter klopfte. „Ino geht’s nicht so gut. Ich rufe ein Taxi und bringe sie heim.“

„Was hat sie denn?“, fragte Sakura besorgt.

„Nichts allzu Ernstes … hoffe ich“, meinte Chouji und sah unsicher zurück in Richtung Tür. „Ihr scheint was auf den Magen geschlagen zu haben.“

„Aber sie hat doch gar nicht so viel …“ Naruto verstummte, sein Blick glitt über die Getränke, die Deidara gebracht hatte und die immer noch unberührt auf dem Rand des Fasses standen. Ein einziges Glas war leer. Sogar Naruto kam zu demselben Schluss wie Shikamaru. „Der Mistkerl hat ihr was in den Whiskey getan!“

Sofort drängte er sich an Chouji vorbei und ließ den Blick schweifen. Die auffallende Haarmähne war nirgends mehr zu sehen. „Wo ist er? Den verarbeite ich zu Kleinholz, aber sowas von!“

„Vergiss den mal, sehen wir lieber nach Ino!“ Sakura setzte sich sofort in Bewegung, die anderen folgten ihr.

 

Ino sah schrecklich aus. Sie saß in der Nähe des Clubeingangs auf einem dieser Betonblöcke, die Falschparken verhindern sollten, und umklammerte ihren Bauch. Ihr Atem ging stoßweise, ihr Gesicht war leichenblass und sie zitterte. Die Zähne hatte sie zusammengebissen.

„Ino! Oh mein Gott!“ Sakura stürzte zu ihr. „Was ist los? Was hast du?“

„Sieht man das nicht?“, fragte Sasuke trocken.

„Du bist eine tolle Hilfe“, giftete Naruto und hockte sich zu seiner Freundin.

„Chouji“, seufzte sie. „Ich … ich schaff das nicht …“

„Doch, du schaffst das. Ich rufe ein Taxi.“ Schon hielt er ein Handy an sein Ohr, zögerte aber. „Oder eher einen Krankenwagen?“

„Das halte ich für die bessere Idee“, murmelte Shikamaru.

„Keinen … Krankenwagen“, brachte Ino hervor und stöhnte auf. „Oh Gott, ich sterbe …“

„Ganz ruhig.“ Temari setzte sich zu ihr. „Denk nach. Was hast du alles getrunken?“

„Ich … ich weiß nicht …“

„Einen Wodka-Racer von mir, einen von Naruto, dann einen Whiskey von Sasuke, oder?

„Ich sag doch, dass es dieser Typ war!“ Narutos Zorn war endgültig entflammt, als er seine Freundin so sah.

„Scheiße.“ Ino krümmte sich zusammen, dass es wehtat, ihr zuzusehen. Ihre Augen waren glasig, ihre Worte kamen ihr nur verwaschen über die Lippen. „Es ist aus mit mir, ich sterbe, ich will nicht …“

„H-halt durch!“ Lee war bestürzt. „Kannst du nicht … Kannst du nicht versuchen, den Finger runterzustecken, und …“

„Was glaubst du, was ich getan habe?“, fauchte sie ihn an. Shikamarus Blick wanderte, ohne dass er es wollte, zu den nahen Büschen, die den nackten Straßenrand verzierten. Ino gab ein würgendes Geräusch von sich und sackte zur Seite. Hätte Sakura sie nicht festgehalten, wäre sie von dem Betonsockel gerutscht. In Shikamaru wurde der flaue Verdacht laut, Deidara könnte sie vergiftet haben.

„Ich rufe jetzt ein Taxi“, sagte Chouji resolut und telefonierte.

„Kankurou, frag drinnen in der Bar nach einem Glas Wasser“, sagte Sakura. „Schnell.“

„Nein …“, stöhnte Ino.

„Das Wasser wird dir gut tun!“

„Ich krieg nichts runter ... sicher nicht …“ Sie beugte sich vor und würgte. Sakura hockte neben ihr und hielt ihr die Haare zurück, aber Ino spuckte nur Galle. Die anderen drehten sich diskret weg.

Es dauerte eine schiere Ewigkeit, bis das Taxi da war. Ihre Freunde hatten Ino dazu gedrängt, einen Krankenwagen zu rufen oder wenigstens den Ärztenotdienst, aber sie hatte vehement verweigert. Shikamaru konnte sie ein Stück weit verstehen. Ihm wäre es in dieser Situation auch unangenehm, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, wenn es vielleicht irgendwie anders auch ging.

Der Taxifahrer wirkte wenig begeistert, ein in seinen Augen vermutlich sturzbetrunkenes Mädchen heimzukutschieren, aber er sagte kein Wort. Chouji stieg mit ein, dann brausten sie davon und ihre Freunde sahen dem gelben Gefährt nach, wie es die Straße entlang fuhr und dann um eine Ecke bog.

„So viel zu unserer Wiedersehensfeier“, murmelte Kiba.

„Hoffen wir lieber, dass es ihr gut geht!“, meinte Sakura mit funkelnden Augen.

„Stimmt. Sorry.“

„Wollt ihr … wieder reingehen?“, fragte Temari vorsichtig.

Eine Weile blieben sie noch unschlüssig stehen – Naruto schwor Deidara zum wiederholten Male Blutrache, und Kiba und Tenten stimmten mit ein –, dann betraten sie mit gedrückter Stimmung wieder das Twilight.

 

Kaum jemand schien zunächst noch große Lust auf Alkohol zu haben. Nach einer Weile jedoch verlor der Vorfall an Schärfe. Es war nicht das erste Mal, dass einer aus ihrer Clique eine Party frühzeitig abbrechen musste, und es war ja nicht gesagt, dass Deidara Ino wirklich etwas in ihr Getränk gemischt hatte. Shikamaru kam es nun allerdings verdächtig vor, dass er die Whiskey-Runde bei ihnen stehen gelassen und für sich und Sasori neue Getränke gekauft hatte. Jedenfalls war der Kerl wie vom Erdboden verschluckt.

Schließlich entspannte sich die Stimmung wieder ein wenig – eine Weile zumindest. Nach dem vierten oder fünften Drink stellte Tenten ihr Glas wuchtig auf dem Holzfass ab. „Ich gehe morgen zur Polizei und melde das“, sagte sie entschlossen. Ihre Wangen schimmerten rötlich, aber vielleicht lag das an dem schlechten Licht.

„Wegen Ino?“, fragte Sakura verwirrt.

„Komm schon“, redete wieder Sasuke dagegen, der zu wissen schien, was Tenten meinte. „Spar dir die Mühe.“

„Lass mich. Du musst ja nicht mitkommen.“

Sasuke zuckte mit den Schultern. „Mach, was du willst.“

„Vielleicht …“ Tenten sah zu Boden und ihre Stimme war so leise, dass man sie kaum verstand. „Vielleicht brauche ich sogar Personenschutz.“

Nun sahen sie alle fragend an. „Weil du eine Aussage machen willst? Die werden kaum deine Identität preisgeben“, sagte Sakura.

„Was ist denn überhaupt los?“, fragte Kankurou. Die anderen erklärten es ihm, und er runzelte die Stirn. „Oh. Das ist übel.“

„Es ist nicht wegen der Aussage“, beantwortete Tenten schließlich Sakuras Frage. „Es ist … Sie wissen, wer ich bin.“

Wer weiß das?“, fragte Neji.

„Herrgott nochmal, woher soll ich das wissen?“, fuhr sie ihn an. „Du warst doch dabei! Hast du vergessen, dass uns da einer beobachtet hat? Wer soll das gewesen sein, wenn nicht der Mörder?“

Das Wort schlug ein wie eine Granate. Hinata war kreidebleich, als sie zittrig fragte: „Du … du glaubst, jemand ist gestorben?“

„Natürlich! Nur weil Herr Uchiha meint, dass das hier alltäglich ist, braucht ihr doch nicht zu denken aufhören! Irgendjemand hat jemanden umgebracht und dann die Leiche verschwinden lassen! Und dabei haben wir ihn gestört!“ Sie funkelte Neji bitterböse an. „Und du Vollidiot hast noch meinen Namen gerufen! Jetzt wissen sie auch noch, wie ich heiße!“

Neji zuckte zurück und wirkte mit einem Mal äußerst unglücklich. „Es tut mir leid“, murmelte er. „Als du geschrien hast … Ich dachte …“

„Moment mal, hast du einen Mord gesehen oder nur die Auswirkungen davon?“, fragte Temari sachlich.

„Weder noch“, beharrte Sasuke. „Nur Blut. Das beweist gar nichts.“ Tenten rollte mit den Augen.

„Sagt mal …“ Naruto arbeitete an seinem Kragen rum. „Würd’s euch stören, wenn wir das draußen weiterbereden? Irgendwie ist es hier ziemlich heiß geworden.“

Shikamaru hatte auch nichts gegen ein wenig Frischluft einzuwenden. Er glaubte kaum, dass Naruto seine Freunde absichtlich ins Freie bringen wollte, damit sie ihr Mütchen kühlen konnten, aber er hatte mal wieder einen guten Riecher gehabt. Die stehende Hitze und der wummernde Hintergrundlärm konnten gereizte Nerven relativ leicht labil werden lassen.

Wie schon zuvor war es auch draußen laut, aber annehmbar. Es war nach Mitternacht, und Betrunkene verließen das Twilight allein oder zu zweit, sich gegenseitig stützend. Sasuke zündete sich eine Zigarette an.

„Also“, sagte Shino und klang konzentriert. Shikamaru hatte fast vergessen, dass er auch dabei war. Das passierte einem bei Shino schnell. „Nochmal von vorne.“

Tenten atmete tief durch. „Erstens kennen sie meinen Namen. Zweitens haben sie uns drei gesehen. Wir sind Zeugen eines Mordschauplatzes.“

„Du bist betrunken“, wiegelte Sasuke die Sache ab. „Uns wird nichts passieren.“

„Sagst du! Mister Ich-fürchte-mich-nicht-und-wenn-ich-dabei-draufgehe!“

„Ich bin realistisch.“

„Es reicht, Sasuke“, sagte Sakura plötzlich. „Hört auf zu streiten. Tenten, wenn es dich beruhigt, begleite ich dich morgen zur nächsten Polizeistation. Und ich glaube kaum, dass uns heute Nacht jemand ausfindig machen kann.“

Tenten wirkte ungemein erleichtert. Sie nickte.

„Und wenn, dann treten wir ihm gehörig in sein Hinterteil!“, bekräftigte Lee mit strahlendem Grinsen Sakuras Worte. Jetzt lachte auch Tenten wieder.

 

Der Abend klang nicht so schön aus, wie er es hätte tun können, und es wurde nicht so spät, wie es hätte sein sollen. Gegen drei Uhr schleppten sich die Freunde in den vierten Stock des Hotels, in dem sie nächtigen wollten – über die Treppe, wohlgemerkt, denn einen Aufzug gab es nicht.

Der Hintere Bezirk war quasi das Ende der Welt. Kaum ein öffentliches Transportmittel verirrte sich nachts hierher. Wollte man vom Twilight oder diversen anderen Pubs nachhause, hatte man die Wahl zwischen Schusters Rappen oder einem Taxi. Ersteres war nachts auch nicht ungefährlich und zudem war der Weg zurück in die Zivilisation weit, Letzteres relativ teuer und wenn man Pech hatte, wartete man eine halbe Ewigkeit – dass Inos Taxi so schnell gekommen war, grenzte schon an ein kleines Wunder.

Das war aber nicht der einzige Grund, warum die Freunde beschlossen hatten, in dem angeblich sichersten und luxuriösesten – nichtsdestotrotz nur zwei Sterne besitzenden – Hotel La Grande abzusteigen. Da Kankurou, seine Band und seine Geschwister nicht aus der Stadt waren und extra mit der Bahn angereist waren, hatten sie sich naturgemäß eine Bleibe suchen müssen. Der Rest der Freunde hatte beschlossen, ebenfalls im La Grande auszuschlafen, den folgenden Tag noch gemeinsam zu verbringen und dann mit dem letzten Bus heimzufahren.

Soweit der Plan. Shikamaru bereute ihn jetzt schon.

Er hatte einmal einen Gangsterfilm gesehen, der irgendwann vor dem zweiten Weltkrieg gespielt hatte. Darin war auch ein Hotel vorgekommen, dem dieses hier erschreckend ähnlich sah. Das Treppenhaus war winzig, die Holzstufen knarrten und das rohe Geländer spickte die Unvorsichtigen mit Speilen. Die Gänge waren eng und mit verblichenen Läufern ausgelegt, die rosa Blümchentapete hing in Fetzen von den Wänden und das einzige gerahmte Bild, das er in diesem Haus sah, natürlich schief. Ino war es gewesen, die für sie alle reserviert hatte. Das hier wäre der sicherste Ort im ganzen Hinteren Bezirk, hatte sie gemeint. Dabei schien das einzige Zugeständnis an Sicherheit die Überwachungskamera in der winzigen Lobby zu sein, deren Funktionstüchtigkeit Shikamaru bezweifelte.

Im vierten und obersten Stock angekommen, teilte sich die Clique ausgelaugt nach kurzen Gutenacht-Wünschen in die entsprechenden Zimmer auf. Es waren allesamt Zweibettzimmer, und da es keine fixe Schlafordnung gab und Chouji und Ino nicht dabei waren, erwischte Shikamaru sogar ein Zimmer für sich allein. Als er den Lichtschalter betätigte, schauderte er erst mal ob des Anblicks des unförmigen Kastens, der sein Bett darstellte. Er dachte daran, dass Chouji und Ino im Augenblick sicher schon in ihren eigenen Betten lagen.

Wenn es aber eines gab, was man über Shikamaru sagen konnte, dann dass er überall einschlafen konnte, egal wie durchgelegen oder hart der Untergrund war. Kaum dass er sich die Decke über den Kopf gezogen hatte, sank er auch schon ins Land der Träume.

 

Als es klopfte, war Tenten noch wach. „Herein“, sagte sie leise. Die Tür wirkte kaum dicker als Pappe, und so hörte man sie wohl auch so bis in den Flur. Jedenfalls öffnete sie sich und Neji steckte den Kopf herein. Sie sah seine Silhouette gegen das gelbe Licht, das draußen brannte. Lautlos schlich er näher, die Tür ließ er offen. Sakura drehte sich grummelnd in ihrem Bett herum.

„Was willst du?“, wisperte Tenten. Vielleicht lag es auch am Alkohol, aber sie freute sich über seinen Besuch.

„Mich entschuldigen“, sagte er tonlos. „Dass ich dir Sorgen bereite.“

Sie blinzelte verwirrt. „Was meinst du?“

„Das mit dem … dem Schauplatz. Mit den Blutflecken“, druckste er herum. Sie sah am Umriss seiner Nase, dass er absichtlich nicht in ihre Richtung schaute. „Dass ich deinen Namen gesagt habe. Und dass ich deine Bedenken nicht ernst genommen habe.“

„Ach so.“ Sie hatte diesen Zwischenfall schon wieder vergessen. Morgen wäre er ihr sicher wieder eingefallen, aber im Laufe des Abends und mit steigendem Alkoholspiegel war das Thema schließlich immer weiter in Bedeutungslosigkeit versickert. Eigentlich hatte sie sich ja erst am Nachmittag fest vorgenommen, gar keinen Alkohol zu trinken. Jetzt wusste sie wieder, warum sie es doch getan hatte. „Mach dir keinen Kopf. Bist du extra deswegen hergekommen?“ Er nickte. Irgendwie passte es zu Neji. Tenten kicherte leise. „Das ist süß.“

„Ich … Ich hoffe … Geht es dir gut?“ Er schien nicht aussprechen zu können, was er tatsächlich dachte. Auch das war so typisch für ihn.

„Alles bestens“, schwindelte sie. Ein wenig unbehaglich fühlte sie sich doch. Wohl auch eine Nebenwirkung des Alkohols, denn eigentlich müsste sie hier sicher sein. Wenn sie jedoch an den Schatten auf der Feuerleiter dachte … Aber sie konnte Neji unmöglich auf die Nase binden, dass erst er sie wieder daran erinnert hatte, dass es Grund zur Beunruhigung gab. Lächelnd fügte sie hinzu: „Ich würde mich allerdings sicherer fühlen, wenn du heute Nacht bei mir bleiben würdest.“

„Bei …“ Neji stockte. Sie sah sein Mienenspiel nicht, aber sie konnte es sich in etwa vorstellen. „Das geht doch nicht …“

„Wieso nicht?“

Wortlos nickte er in Richtung der schlafenden Sakura.

„Sie hat sicher Verständnis dafür“, meinte Tenten. „Außerdem müssen wir ja nicht gleich …“ Sie müsste plötzlich grinsen. „Du schlimmer, schlimmer Junge.“

„Was?“, fragte er verwirrt.

„Du hast bei meinem Vorschlag sofort an Sex gedacht, oder?“

„Nein!“, rief er aus, so laut, dass Tenten fürchtete, Sakura könnte nun tatsächlich aufwachen, aber der Alkohol schien ihr einen tiefen Schlaf zu bescheren.

„Mir würde es nämlich reichen, wenn du mich einfach in den Arm nimmst. Dann könnte ich mich richtig beschützt fühlen.“

„Du bist betrunken.“

„Du nicht?“

„Es geht trotzdem nicht“, widersprach er heftig. „Außerdem … Es ist ja nicht so, als wären wir zusammen oder etwas in der Art …“

„Aber wir könnten es genauso gut sein“, seufzte sie schläfrig. „Oder was meinst du?“

Diesmal schienen sie das Gleiche zu denken. Dennoch schüttelte Neji resolut den Kopf. „Trotzdem geht es nicht. Gute Nacht.“

So steif zu sein, passte ebenfalls zu ihm. Leider. „Gute Nacht“, murmelte sie, als Neji schon die Tür schloss. „Dann reden wir eben morgen darüber …“

 

„Die lange Nacht geht endlich zu Ende. Der Geist zeigt mir den Buchstaben, den er dem Dorf senden möchte … Hat der Geist das Fingeralphabet jetzt doch vergessen? Willst du dem Dorf gar keine Nachricht schreiben? Na gut. Das Dorf erwacht.“

Langsam öffneten achtundzwanzig Spieler die Augen. Einige seufzten, als hätten sie wirklich geschlafen.

„Und es gibt ein einziges Opfer“, verkündete Sphinx fröhlich.

La Grande Faucheuse


 

~ 19 ~
 

- Der Hintere Bezirk, erster Tag -

 

Sasuke wurde viel zu früh aus einem verkaterten Schlaf gebimmelt, als sein Handy läutete. Verschlafen setzte er sich auf. Kiba am anderen Ende des Zimmers schnarchte noch, als könnte nichts seine Nachtruhe erschüttern.

Da er in Unterwäsche schlief, musste Sasuke erst seine Hosentaschen nach seinem Handy durchsuchen. Stirnrunzelnd betrachtete er das Display. Kakashi Hatake rief ihn an. Ein Arbeitskollege seines Bruders, den er und einige andere aus der Clique zufällig auch privat recht gut kannten. Was konnte er nur wollen, um diese Uhrzeit? Sasuke nahm den Anruf entgegen und meldete sich mit heiserer Stimme. „Ja?“

 

Das Hotel bot selbstredend keine Frühstückspension oder ähnlichen Luxus. Tenten und Sakura waren die Ersten, die irgendwann gegen zehn Uhr aufstanden, den versprochenen Trip zur Polizeistation machten und auf dem Rückweg Frühstück für alle einkauften.

Tenten berichtete dem Polizeiposten alles, was sie gehört und gesehen hatte. Der alte Beamte war nicht unfreundlich, aber er wirkte etwas durch den Wind. Er versprach, sich um alles zu kümmern. Sakura sprach Tenten zuliebe die Sache mit dem Personenschutz an, doch letztlich meinte Tenten selbst, dass das wohl eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme wäre. Immerhin wäre sie immer mit ihren Freunden unterwegs, und die waren eine beachtlich große Gruppe.

Als sie mit Croissants und kannenweise Coffee-To-Go ins La Grande zurückkamen, schliefen die meisten anderen noch. Es dauerte bis nach Mittag, ehe alle wach wurden. Die meisten waren dankbar über das Frühstück, einigen lag der gestrige Abend noch schwer im Magen. Temari weigerte sich sogar aufzustehen, also blieben die Freunde vorerst in ihrem Stockwerk, das sie für sich allein hatten. Die Stimmung war so trübe, wie nach einer durchzechten Nacht zu erwarten gewesen war, dabei hatten sie gar nicht so viel getrunken. Die Betten waren aber auch alles andere als bequem gewesen.

Kiba war einer der Letzten, die mit verquollenen Augen, ein „Morgen“ krächzend, aus ihrem Zimmer kamen. Nachdem er sich seine Ration des verspäteten Frühstücks abgeholt hatte, fragte er: „Hat jemand Sasuke gesehen?“

„Schläft er nicht noch?“, fragte Sakura.

„Jetzt wo du es sagst, es wäre ungewöhnlich, wenn er so lange pennen würde“, stellte Naruto fest.

Kiba runzelte die Stirn. „Sein Bett ist jedenfalls leer. Als ich aufgewacht bin, war er schon fort.“

Alarmiert sahen die anderen einander an. „Hat er irgendwas dagelassen? Oder ist er mit all seinen Sachen fort?“, fragte Shino.

Sein Zimmernachbar zuckte mit den Schultern. „Nichts mehr da. Sein Bett hat er nicht gemacht.“

„Denkt ihr … es ist ihm etwas zugestoßen?“, fragte Hinata vorsichtig.

„Der Typ von gestern, auf der Feuerleiter!“, rief Tenten aus. „Ich hab’s ihm gesagt, oder? Der hat uns erkannt!“

„Langsam, langsam.“ Shikamaru bohrte mit dem Finger in seinem Ohr und gähnte. „Noch ist nichts bewiesen. Kiba, war eure Zimmertür abgeschlossen?“

„Ähm … In der Nacht, meinst du? Glaub schon … Keine Ahnung“, gab Kiba zu. Natürlich war er für so etwas zu betrunken gewesen.

„Sasuke war doch schon immer ein Einzelgänger“, sagte Kankurou. „Sicher, dass er nicht einfach selbst einkaufen gegangen ist?“

„Unten im Erdgeschoss gibt’s eine Überwachungskamera, oder?“, fragte Tenten. „Wir lassen uns die Bänder zeigen, dann sehen wir ja, ob er aus freien Stücken rausgegangen ist oder nicht.“

„Tut nicht gleich so, als wäre das hier irgendein Verbrecherghetto“, wiegelte Sakura ab. „Es ist der Hintere Bezirk, ja, aber das muss doch nicht heißen …“ Die Blicke, denen sie begegnete, sprachen Bände. Sie verstummte.

„Was ist denn los?“ Temari schleppte sich mit dunklen Augenringen auf den Flur.

„Na, auch schon wach?“, fragte Shikamaru.

„Ich bin auch verwundert, dass du vor mir aufgestanden bist“, sagte sie trocken.

„Ich geh jetzt nach unten und frage nach dem Überwachungsband“, sagte Tenten resolut und wollte davonstapfen.

„Da hab ich eine bessere Idee.“ Sakura fischte schwungvoll ihr Handy heraus.

„Oh“, machte Tenten. Von den anderen kam verhaltenes Gelächter. Die meisten hatten offenbar wirklich nicht daran gedacht, Sasuke einfach anzurufen.

Sakura wählte und hob das Handy zu ihrem Ohr. Die Spannung war wie mit den Händen zu greifen. Je länger Sakura nichts sagte, desto unruhiger wurden alle. Tenten mahlte mit den Zähnen, ohne es zu merken. Schon fragte sie sich, ob sie nicht doch hätte Polizeischutz beantragen sollen – nein, sie durfte jetzt nicht so selbstsüchtig sein!

„Hebt nicht ab“, murmelte Sakura schließlich und ließ Tentens schlimmste Befürchtungen wahr werden.

„Scheiße.“ Naruto trat gegen die Wand. „Wo ist er nur einfach hingegangen?“ Tenten biss sich auf die Unterlippe und machte den Mund auf, um eine Vermutung zu äußern.

In dem Moment piepte Sakuras Handy kurz. „Eine SMS. Von Sasuke!“, rief sie aufgeregt, öffnete die Nachricht und starrte darauf. Lösegeldforderung, schoss es Tenten schon durch den Kopf, aber dann stieß Sakura erleichtert die Luft aus. „Er schreibt, er meldet sich später.“

Sie hielt das Display in die Runde, damit jeder die drei einfachen Worte lesen konnte. Melde mich später.

„Also ist er freiwillig … Ohne sich zu verabschieden …?“, stammelte Naruto.

„Passt doch zu ihm, oder?“, entgegnete Kiba.

 

Sphinx‘ Blick glitt durch die erwartungsvolle Runde und blieb an Itachi kleben. „Ich bin untröstlich. Neu dabei und bereits ausgeschieden. Itachi ist gestorben. Er war kein Werwolf und kein Vampir.

 

„Es tut mir leid“, sagte Kakashi. „Vielleicht hätte ich damit warten sollen, es dir mitzuteilen …“

„Nein, es ist gut so“, sagte Sasuke ernst. Sie standen in Kakashis Büro im Polizeihauptquartier der Stadt. Den dampfenden Kaffee, der vor ihm auf dem Schreibtisch stand, hatte Sasuke trotz seines gewaltigen Katers nicht angerührt. „Sie haben ihn gefunden?“

„Das Licht war noch an. Dein Bruder hat oft die Nacht durchgemacht, also wollte ich ihn bitten, sich etwas auszuruhen. Wie ich das einschätze, ist es irgendwann in den Nachtstunden passiert.“

Sasuke biss die Zähne zusammen. So konnte er vermutlich nicht mal Kakashi selbst den Vorwurf machen, zu spät zur Arbeit erschienen zu sein. Selbst der Notarzt hatte nur noch Itachis Tod feststellen können. Und es hatte so lange gedauert, bis Sasuke das Taxi hergebracht hatte, dass ihm nicht mal ein Blick auf seinen Bruder vergönnt gewesen war. Vielleicht war es auch besser, wenn er bis zur Bestattung wartete. Jedoch …

„Und es ist sicher, dass es ein Herzanfall war? Itachi war noch nicht so alt.“

Kakashi trug seine übliche, undifferenzierte Miene zur Schau. „Ich kann verstehen, dass du das nicht glauben willst. Allerdings war er wirklich viel Stress ausgesetzt, und er war auch nicht in bester körperlicher Verfassung …“

„Das ist eine Lüge“, sagte Sasuke eisig. „Er war ein renommierter Kriminalpolizist, oder?“

„Ja, aber …“

„Wer so erfolgreich ist, stirbt nicht an einem bisschen Stress. Wird es eine Obduktion geben?“

Das Stirnband, das Kakashi wohl aus modischen Gründen auch im Büro trug, zuckte. Ein untrügliches Zeichen, dass er die Stirn runzelte. „Vermutlich. Aber du solltest nicht davon ausgehen, dass irgendein Verbrechen vorliegt, Sasuke.“

„Genau das tue ich aber“, sagte Sasuke verbissen. „Er ist jeder Menge gefährlicher Leute auf die Schliche gekommen. Oder deren Freunden. Er hatte Feinde, von denen einigen sein Tod sicher gelegen kommt. Glauben Sie mir.“

Wer könnte es besser wissen als Sasuke selbst? Immerhin hatte er seinem Bruder auch einst den Tod geschworen. Damals, als er herausgefunden hatte, dass der Tod ihrer Eltern kein Zufall gewesen war, sondern dass Itachi schon damals die falschen Leute provoziert hatte. Für Sasuke war Itachi damit selbst schuld daran gewesen. Letztlich hatte er die Stadt deswegen verlassen, mit dem festen Vorsatz, erst wiederzukehren, wenn sein Bruder bekommen hatte, was er verdiente. Vor etwas mehr als einem halben Jahr war es schließlich gewesen, dass Itachi die Täter selbst geschnappt hatte. Die folgenden Enthüllungsstorys der Presse hatten Sasuke wachgerüttelt – das und seine Freunde hier in der Stadt hatten ihn dazu bewogen, zurückzukehren und seinen Bruder mit neuen Augen zu sehen.

Und nun war er tot. Einfach so. Das, was Sasuke früher gewollt hatte, war eingetreten. Auf eine Art, die einfach nur traurig und lächerlich zugleich war!

Kakashi trat hinter den Besucherstuhl und legte Sasuke die Hand auf die Schulter. „Ich kann mir vorstellen, wie es jetzt in dir aussieht. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, kannst du gerne zu mir kommen.“

„Ich möchte das Büro meines Bruders sehen.“

Kakashi schüttelte den Kopf. „Er ist längst nicht mehr …“

„Ich weiß, dass sie ihn schon abtransportiert haben! Ich will das Büro sehen.“

Der Polizist seufzte. „Das geht nicht.“

„Wieso nicht? Es liegt doch angeblich kein Verbrechen vor. Also wird es kaum versiegelt sein“, erwiderte Sasuke herausfordernd.

Kakashi seufzte nur noch einmal. „Na gut. Aber nur für einen Moment.“

 

„Wir entscheiden auch dieses Mal durch Zufall, wer der Bürgermeister wird.“ Sphinx warf die Karte senkrecht in die Luft. Das Los fiel auf Tayuya.

„Das ist doch Beschiss!“, rief Kiba. „Das letzte Mal war’s auch ständig jemand aus eurer Gruppe.“

„Wir stecken hier alle im selben Boot, Blödmann“, fauchte sie zornig. „Also halt den Rand, sonst lynchen wir dich als Erstes.“

„Wie aufs Stichwort.“ Sphinx klatschte in die Hände. „Fangt an.“

Die erste Runde war vermutlich immer tückisch. Noch dazu war niemand getötet worden.

Shikamaru hatte die Namen aller Spieler auf seinen Notizzettel geschrieben. Einen konnte er immerhin schon eindeutig identifizieren. Itachi war der Geist. Der Geist starb in der ersten Nacht. Daran war nichts zu rütteln. Die Hexe konnte nur Werwolfopfer heilen, der Leibwächter nur vor Angriffen schützen. Sonst gab es keinen Charakter, der sein Leben verlängern konnte. Gut, dass es nur einen Toten gab.

„Eine Frage.“ Sakura hob die Hand. „Es gibt doch einen Geist, oder? Laut Charakterkarte sollte der uns jede Nacht einen Buchstaben als Botschaft aus dem Jenseits schicken. Was hat er jetzt eigentlich geschrieben?“

„Es hat sich in der Nacht irgendwie so angehört, als wollte er das nicht“, brummte Chouji.

Sphinx‘ Lächeln wurde sichtbar säuerlich. „So ist es. Ich habe nicht darauf vergessen. Aber der Geist hat es vorgezogen, gar keine Nachricht zu schreiben. Er hat sich geweigert, mir einen Buchstaben zu zeigen.“

Sphinx sah Itachi dabei nicht an, aber für Shikamaru war es nun klar. Er notierte Geist neben seinem Namen. Aber warum hatte er keinen Buchstaben geschrieben? Das Spiel ging über eine unbestimmte Zahl von Runden, aber mehr als zehn würden es bei der Konstellation nicht werden, also war jeder Hinweis kostbar! Und Itachi war gewiss alles andere als dumm …

Was bedeutete, dass die Tatsache, dass es keinen Hinweis gab, schon ein Hinweis an sich war. Nur welcher? Gab es etwa gar keine Wölfe und keine Vampire, und Sphinx log? Das war absurd. Der Grund musste ein anderer sein.

„Wir sind gut unterwegs“, behauptete Temari. „So wie ich das verstanden habe, ist nur der Geist gestorben, und die Wölfe hatten diese Nacht keinen Erfolg. Also sehen wir zu, dass wir gleich mal einen von ihnen lynchen.“

„Und hier muss ich hinzufügen, dass einer – oder besser, eine – von euch an diesem Tag aus dem Dorf verbannt wurde. Ganz wie die Alte Vettel es sich gewünscht hat“, sagte Sphinx. „Ino, du wurdest verbannt. Du kannst weder gelyncht werden, noch jemanden zum Lynchen nominieren. Geh bitte ins Wartezimmer.“

„Ist mir auch recht.“ Ino stand auf und begab sich in den kleinen Raum, in dem laut den Erzählungen der anderen immer jene Spieler hatten warten müssen, die ausgeschieden waren. Sobald die Tür hinter ihr zugefallen war, machten die anderen weiter.

Vor allem die Veteranen in diesem Spiel machten sich eifrig ans Verdächtigen. Sie wussten offenbar schon, dass man in so einem Fall nur raten konnte und das Spiel irgendwie ins Rollen bringen musste. Deidara nominierte Sasori, wie aus Jux und Spaß, aber niemand schloss sich ihm an, bevor Sakon und Tayuya auf Hinata losgingen. Shikamaru notierte dennoch jede Anschuldigung und machte sich bereit, den Ausgang der Abstimmung genau zu dokumentieren, ebenso wer für Tod und wer für Leben stimmte.

„Gut, lynchen wir das Mauerblümchen“, entschied Tayuya in ihrer Funktion als Bürgermeister.

„Nenn sie nicht so, du … du Kerl in einem Frauenkörper!“, rief Naruto, dem offenbar keine bessere Beleidigung einfiel.

„Schnauze. Also, Hände ausstrecken. Auf drei wird abgestimmt. Eins, zwei …“

„Unglücklicherweise“, Sphinx unterbrach sie mit einem lauten Klatschen, „ist es einem von euch nicht vergönnt, an der Abstimmung teilzunehmen.“ Die anderen sahen verwirrt in sein blitzendes Grinsen, ehe sie sich an die Regeln erinnerten, die die Vampire betrafen.

 

Sie sprachen noch über Sasuke, da wurde irgendwo unter ihnen ein Radau hörbar. „Wenn du uns nicht sofort sagst, wo der Typ steckt … Ich schwöre dir, ich garantiere für nichts! Dämliche Tusse!“

Shikamaru seufzte. Das war also die typische Kundschaft des La Grande. Bisher waren sie auf keinen anderen Gast gestoßen, aber das musste ja nichts heißen. Die Leute, die hier abstiegen, waren sicher auch eher nachtaktiv. Zumindest was ihre Geschäfte wahrscheinlich betraf. Interessanterweise war es eine weibliche Stimme, die da das halbe Hotel zusammenschrie.

Man hörte noch jemanden undeutlich sprechen, dann herrschte wieder Ruhe.

„Was meint ihr, was mit Sasuke los ist?“, fragte Naruto. Trotz allem war er besorgt.

„Wir können nur warten, bis er von sich aus mit uns darüber redet“, sagte Sakura. „So war es ja schon immer“, fügte sie bitter hinzu.

Natürlich hielt das die anderen nicht davon ab, zu spekulieren. Neji meinte, es könnte mit Sasukes Familie zusammenhängen. Es war schließlich schon einmal vorgekommen, dass er sich deswegen von seinen Freunden abgekapselt hatte.

Während sie noch alle auf dem Flur herumstanden, wurden plötzlich hastige Schritte im Treppenhaus laut. Ein kraushaariger, gebräunter junger Mann in zerfetzten Klamotten kam herauf und stutzte, als er sie sah. „Was für’n Auflauf ist denn das? Gibt’s hier was gratis?“ Keiner der Freunde antwortete. „Stumm, oder was? Sagt mal, habt ihr hier zufällig so ‘nen Quacksalber gesehen? Bläuliches Haar, Brillenschlange.“

„Wir wissen nicht, wen du meinst“, sagte Neji.

Der Fremde zuckte mit den Schultern. „Ich seh trotzdem nach.“ Er machte Anstalten, zur ersten Tür zu gehen, da trat Kiba ihm in den Weg.

„Was glaubst du, was du da tust? Das sind unsere Zimmer.“

Der andere funkelte ihn an. „Ist mir scheißegal. Mach den Weg frei, sonst setzt es was.“

Shikamaru hob verblüfft eine Augenbraue. War der Typ ein wenig Banane? Er war allein und zettelte einen Streit gegen zwölf an?

„Scheiße nochmal!“, ertönte die weibliche Stimme von vorher. Es klang, als befände sie sich ein Stockwerk unter ihnen. „Kidoumaru! Jiroubou! Bewegt eure Ärsche hier her!“

„Hast du die Klos in dieser Ruine gefunden, oder was?“, griente der Typ vor ihnen laut, zwinkerte den Freunden dann aber zu. „Noch mal Glück gehabt. Ich komm auf euch zurück.“ Er machte kehrt und marschierte die Treppe hinunter.

„Was war jetzt das?“, fragte Neji perplex.

„Frag was Leichteres“, murmelte Temari.

„Nur ein Spinner. Wir sollten ihm keine Beachtung zollen“, meinte Gaara simpel.

Keine drei Sekunden später hörten sie auch den seltsamen Kerl einen erschrockenen Ruf ausstoßen.

„Jetzt reicht’s“, knurrte Kiba. „Ich hab keine Ahnung, warum die Typen sich hier so aufspielen, aber mir brummt der Schädel und die sollen gefälligst mal die Klappe halten!“ Er stapfte trotzig die Treppe runter. Shikamaru folgte ihm, wenn auch mehr aus Interesse, was denn hier eigentlich los war.

Der dritte Stock sah exakt wie der vierte aus, nur dass lediglich zwei Personen auf dem Flur standen: der Zopf-Typ von vorhin und ein rothaariges Mädchen in Punker-Klamotten. Sie standen vor einer offen stehenden Tür und starrten in das Zimmer hinein. Kiba erreichte sie als Erster, folgte ihren Blicken und sog scharf die Luft ein.

„Was ist denn los?“ Tenten kam ebenfalls an der Tür an, hinter ihr Lee, und aus einem unteren Stockwerk schnaufte ein dicker Junge wie eine Dampflok heran, der wohl der dritte im Bunde der Straßengang – Shikamaru konnte sich diese Leute nur als solche vorstellen – war.

Als Nächstes erreichte er selbst die offene Tür und spähte an den anderen vorbei. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Das Zimmer allein war schon düster. Bandplakate mit grausigen Motiven und blutroter Schrift zierten die Wände. Ein schwarzer Teppich bedeckte die schäbigen Dielen. Der Schreibtisch, der Schrank und sogar das Bett waren komplett in Schwarz gehalten. Der Bewohner dieses Zimmers musste es auf Lebenszeit gemietet haben, wenn er es so herrichten durfte, dachte Shikamaru.

Und dessen Lebenszeit schien nunmehr vorbei.

Er lag auf dem ehemals schwarzen, nun blutdurchtränkten Teppich wie auf einem Serviertablett. Sein fast ebenso schwarzer, ausgewaschener Morgenmantel klaffte an seiner Brust auseinander, wo ein grauer Stachel wie ein überdimensionaler Schaschlik-Spieß ihn durchbohrt hatte. Rund um den Teppich und die rote Lache, die sich über dessen Ränder hinweg ausgebreitet hatte, war mit Blut ein Kreis gezogen worden, in den zusätzlich ein Dreieck gemalt war. Shikamaru erkannte das Symbol erst auf den zweiten Blick als solches. Wo hatte er es nur schon einmal gesehen?

Er bemerkte kaum, wie die anderen sich neben ihn drängten, und er wusste auch nicht, wer ihm alles gefolgt war. Er wusste nur eines: In diesem Zimmer, unter demselben Dach, unter dem sie geschlafen hatten, war ein Mord passiert. Seine Nackenhaare richteten sich auf.

Das rothaarige Mädchen riss irgendeinen Witz über den Toten, den er nur halb mitbekam. Dann hörte er plötzlich Kankurou neben sich rufen: „Das … Das ist doch …“ Er trat zwei Schritte in den Raum hinein.

„Kennst du ihn?“, fragte Temari, die auch plötzlich da war.

„Ihr kennt ihn auch“, behauptete ihr Bruder. „Nur nicht ohne Schminke. Das ist der Bandleader von Pain for Jashin.

 

„Verdammt, das Spiel ist doch beschissen!“, maulte Hidan, als Sphinx‘ Finger auf ihn zeigte. „Ihr Arschlöcher. Ich darf ab jetzt die Augen offen halten, oder? Bin schon gespannt, welche Wichser das waren.“

„Da Shikamaru allein derjenige ist, der die Wahrheit herausfinden muss, können die Toten ruhig in der Runde sitzen bleiben und nachts zusehen“, sagte Sphinx. „Sobald ihr irgendetwas verratet, ist das Spiel selbstredend vorbei.“

Die Vampire hatten die Eigenheit, dass sie ihre Opfer zwar bei Nacht wählten, diese allerdings erst Tags darauf starben, sobald die erste Abstimmung angekündigt wurde. Über Hinatas Schuld oder Unschuld würde ohne Hidans Stimme entschieden werden.

 

„Also schön.“ Die rothaarige junge Frau sah ihre beiden männlichen Begleiter an. „Zeit, zu verschwinden, oder was meint ihr?“

„Halt“, sagte Gaara eisig. „Wohin wollt ihr?“

„Fort von hier?“, schlug das Mädchen vor.

So ziemlich jeder hatte sich mittlerweile in diesem Stockwerk versammelt. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Sakura schlug sich die Hand vor den Mund, Tenten und Naruto rissen die Augen auf, Hinata erstarrte zur Salzsäule. Und das waren nur die Reaktionen, die Shikamaru beobachten konnte, denn er selbst war auch bis ins Mark getroffen. Das war doch wie in einem schlechten Film hier! Er hatte noch nie eine echte Leiche gesehen.

„Wir sollten die Polizei rufen“, sagte Shino.

„Das dürft ihr tun. Viel Spaß“, sagte die Rothaarige fröhlich.

„Ich würde an eurer Stelle hier warten, bis sie eure Aussage haben“, schnitt Gaaras Stimme ihnen den Weg ab. „Ihr habt die Leiche als Erstes gesehen.“

„Und? Das geht uns nichts an.“

„Unten gibt es eine Überwachungskamera.“ Shikamaru massierte sich die Schläfen. „Eure Gesichter sind sicher aufgenommen worden. Wenn wir erzählen, dass ihr die Leiche gefunden habt, und ihr seid verschwunden, was glaubt ihr, was die Polizei tut?“

Die drei starrten ihn eindeutig feindselig an.

Eine Tür in dem Stockwerk öffnete sich, und ein verschlafenes Auge blinzelte hinter einer unordentlichen Haarmähne hervor. „Was is’n hier für ein Krach?“

„Der übernachtet auch hier?“, brachte Temari hervor. Shikamaru war nicht ganz so überrascht. Das La Grande war die beste Wahl für jemanden, der auf dem Gig gewesen war und einen Platz zum Schlafen gesucht hatte.

„Ist das verboten?“ nuschelte Deidara, dann erkannte er sie. „Hm. Die Kratzbürste von gestern.“

„Du!“, stieß Naruto hervor und war mit einem schnellen Schritt bei ihm, packte ihn am Kragen seines unschuldsweißen Hemdes. „Du hast Ino was ins Getränk getan!“

„Hä? Was willst du?“, murrte Deidara unwillig.

„Gestern! Die Whiskeys! Ino, unsere Freundin!“

„Ich erinnere mich. Ist ihr etwa schlecht geworden?“ Sein Grinsen war eindeutig dreckig.

„Du, ich sollte dich …“

Sakura war es, die ihn von Deidara fortriss. „Das bringt doch jetzt nichts! Wir haben Wichtigeres zu tun.“ Naruto sah aus, als wollte er widersprechen, dann wandte er sich demonstrativ von dem anderen ab.

„Hab ich was verpasst?“, fragte Deidara verwirrt, ehe sein Blick zur offenen Tür glitt. „Oh … Scheiße.“

 

Die Abstimmung endete damit, dass Hinata überlebte. Shikamaru notierte sich rasch, wohin welcher Daumen zeigte, und er hatte das Gefühl, dass die anderen ihn auch einen Deut länger ausstreckten, als notwendig gewesen wäre.

Dann ging das Nominieren weiter. Kiba beschuldigte Sakura, ohne besonderen Grund. Sasori machte mit, wieder stimmte allerdings die Mehrheit für Leben. Jiroubou beschuldigte Tenten, auch grundlos, wie er sagte, aber niemand ging mit. Deidara versuchte es noch einmal mit Sasori, aber wieder stieg niemand darauf ein. Eine Weile ging das so hin und her, bis Tayuya sagte: „Können wir beim nächsten Mal bitte alle auf Tod stimmen? So wird das nie was.“

„Sie hat nicht unrecht“, gab Kimimaro ihr recht.

„Wenn zu lange keine Entscheidung getroffen wird, rufe ich die nächste Nacht“, verkündete Sphinx lächelnd.

 

Die Mühlen des Gesetzes mahlten in diesem Stadtteil offenbar langsam, denn es dauerte fast eine Stunde, ehe die Polizei anrückte.

Irgendwie mussten sie diese Zeit überbrücken, und die Anspannung, die sie alle befallen hatte, war unerträglich – vor allem, da die drei Fremden sichtlich äußerst gereizt waren. Weil sie etwas tun wollten, nahmen Shino und Kankurou – und schließlich auch Shikamaru, obwohl ihm vor der Leiche graute – trotz der ausdrücklichen Ermahnung der anderen, nicht in das Zimmer zu gehen, den Tatort ein wenig unter die Lupe.

Hinter dem Toten auf dem Schreibtisch stand ein schwarzes Notebook, geöffnet und an das Stromnetz angeschlossen. Es gab keinen Energiesparmodus, Bildschirmschoner und keine Benutzersperre, und die Website, die angezeigt wurde, zog den Blick magisch an, sodass sie das Gerät früher oder später sowieso untersucht hätten.

Erst wirkte es wie eine Fanseite der Band des Toten. Dasselbe Zeichen, das um die Leiche gemalt worden war, zierte ein Banner ganz oben. Blutrot stand darunter: Blut für Jashin. Darunter wiederum war ein gewöhnliches Forum zu sehen, wie es sie im Internet zu Hunderttausenden gab. Shikamaru notierte sich zuerst die Adresse der Website, ein undurchschaubares Wirrwarr aus Buchstaben und Zahlen, zu dem sicherlich keine Suchmaschine der Welt führte. Er hatte von solchen obskuren Webseiten gehört. Man brauchte den genauen Link, oder man fand sie nicht.

Die Themen, um die sich das Forum drehte, waren allesamt unheimlich. Es gab einen eigenen Thread mit dem Titel Vorschläge Opfer, dann noch Jashins Prophezeiungen und ähnliche okkulte Einträge. Es wirkte wie eine Spielwiese für Leute mit einem Faible für Teufelsanbetung.

Interessant war der oberste Thread. Er trug den simplen Titel Opfer und besaß einen einzigen Eintrag, verfasst von einem Benutzer namens Hidan – was einerseits nach Kankurous Wissensstand der Name des toten Bandleaders war, andererseits auch der des Benutzers, der eben an diesem Notebook eingeloggt war. Daneben stand in Klammern der Zusatz Administrator. Mit anderen Worten, Hidan selbst hatte dieses Forum betreut, und was noch wichtiger war, bevor er ermordet worden war, hatte er eine Nachricht darin hinterlassen.

Die Versuchung war zu groß, als dass Shikamaru und die anderen diese Gelegenheit hätten verstreichen lassen können. Außerdem lenkte sie das Ermitteln von der Tatsache ab, dass sie vielleicht eine Weile mit einer Leiche im selben Haus geschlafen hatten. Wie lange Hidan schon tot war, konnten sie nicht sagen; keiner wollte ihn berühren und sie hatten mit so etwas keine Erfahrung.

„Geht weg von da“, wisperte Tenten von der Tür her.

„Leute, bitte, ihr kriegt nur Ärger“, sagte auch Sakura, aber Kankurou wickelte seine Finger in ein Taschentuch und klickte mit der Maus auf den Opfer-Thread. Shikamaru kam kurz in den Sinn, dass er wohl wahnsinnig und seine Vernunft noch beeinträchtigt vom Vortag war – was er hier tat, war sicher ein Fehler, dazu geschmacklos und wahrscheinlich gesetzeswidrig –, aber als die Seite sich öffnete, mussten alle Bedenken der Neugierde weichen. Und es kam selten genug vor, dass sich Shikamaru Nara für etwas interessierte.

„Der verarscht uns doch“, stieß Kankurou aus.

Der einzige Eintrag war kurz nach Mittag verfasst worden. Gestern bei unserem Auftritt verkündete ich noch, dass es der Wille Jashins wäre, ein Opfer unter den Anwesenden zu wählen. Heute hat mich seine Weisheit erneut erleuchtet. Der große Jashin hat mich selbst als sein geliebtes Opfer ausgewählt. Ich werde ihm als Nahrung dienen. Fühlt euch nicht alleingelassen, Jünger Jashins. Ich werde weiterhin aus dem Jenseits zu euch sprechen und Jashins Willen verkünden.

 

Bis die Polizei endlich das La Grande erreichte, harrten die Freunde, die drei Unbekannten und die anderen Bewohner der Etage schließlich im Treppenhaus aus. Der Tatort wurde gesichert, die Spurensicherung machte sich ans Werk. In der Lobby war eine kleine Sitzecke aus alten Sofas, dort nahm ein Beamter die Aussagen der Zeugen auf. Es war derselbe, dem Tenten auch schon ihr gestriges Erlebnis berichtet hatte, ein dürrer, alter Mann namens Toto, der aussah, als hätte er die Pensionierung längst hinter sich.

 

„Eines ist mir nicht ganz klar“, sagte Tenten. „Warum spielt er mit?“ Sie deutete auf den alten Mann namens Toto, der Shikamaru in der Nacht zuvor angesprochen hatte. Er strich sich wiederholt über die Stirn, wirkte aber hochkonzentriert. Ein Irrer, der Shikamarus Logik durcheinanderbringen sollte?

„Ich habe euch doch versprochen, alle freizulassen, die mit mir gespielt und noch nicht gewonnen haben“, sagte Sphinx süffisant. „Er ist einer von vielen. Ein langjähriger Freund von mir, nicht wahr, Toto? Er spielt stellvertretend für alle, die vor euch kamen.“

Toto zuckte zusammen, dann funkelte er Sphinx an. „Die Wölfe werden dich auch eines Tages erwischen, Sphinx. Auch wenn du immer der Moderator bist.“ Seine Hände zitterten.

„Bitte, der Kerl hat doch ‘nen Dachschaden!“, stöhnte Kiba.

Shikamaru hoffte, dass das zumindest in Bezug auf dieses Spiel nicht zutraf.

 

Toto überflog den Bericht – oder was immer die Zettel in seinem Klemmbrett darstellten – und fasste zusammen: „Sie waren also alle am Tatort. Und mit Ausnahme von Ihnen, Ihnen und Ihnen“, er deutete auf die drei Gangkids, die sich als Tayuya, Kidoumaru und Jiroubou vorgestellt hatten, „hatten Sie alle ein Zimmer in diesem Hotel gemietet.“

Die Freunde nickten. Außer ihnen, Deidara und dem Opfer, das tatsächlich Hidan hieß, war noch ein weiterer Gast in der Lobby: Sasori, der Mann, den Gaara und seine Geschwister von Zuhause kannten. Er hatte ein Zimmer ein Stockwerk tiefer belegt. Offenbar war es im Hinteren Bezirk so üblich, Aussagen gleich in einem Aufwasch aufzunehmen.

„Es gibt noch sechs andere Gäste“, sagte Toto mit Blick auf die Rezeptionsdame, die argwöhnisch zu der Gruppe herübersah, die ihre Sofas zu sprengen drohte, und die die Nachricht, in ihrem Etablissement gäbe es eine Leiche, recht gelassen aufzunehmen schien. „Sie alle haben aber spätestens um acht Uhr das Haus verlassen. Weitere drei Gäste haben noch früher wieder ausgecheckt. Die Bänder der Überwachungskamera zeigen, dass das Mordopfer um acht Uhr dreißig wach und am Leben war.“

„Und wie genau äußerte sich das?“, fragte Shikamaru. Er wusste, worauf dieses Gespräch hinauslief, und er traute diesem alten, zittrigen Polizisten, der offenbar nicht einmal bei der Kripo war, nicht ganz zu, seinen Job ordentlich zu erledigen.

Toto bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. „Um halb acht betrat ein Mann das La Grande, der, den Aussagen von Kankurou Sabakuno zufolge, Mitglied in der Band des Opfers war. Er stieg die Treppen hoch. Um halb neun kam er in Begleitung des Opfers zurück, das ihn vor der Tür verabschiedete und dann wieder ins Treppenhaus ging – sicherlich zurück in sein Zimmer. Es trug da bereits den Morgenmantel, in dem es getötet wurde. Frau …“ Er überflog den Bericht, offenbar auf der Suche nach einem Namen, den er allerdings auf die Schnelle nicht fand. „Die Dame an der Rezeption ist auf dem Video zu sehen. Sie war den ganzen Tag seit sieben Uhr hinter dem Schalter. Das ist ein wasserdichtes Alibi.“ Wieder musterte er die versammelten achtzehn Personen. „Sie wissen, was das bedeutet?“

„Dass es Selbstmord war“, sagte Gaara sofort. „Keiner von uns hat Hidan ermordet. Und er hat seinen Tod selbst angekündigt.“

Totos Augen wurden schmal. „Sie haben den Tatort betreten.“

„Wir haben nur gesehen, was nicht zu übersehen war“, versuchte Sakura die Wogen zu glätten.

„In der Tat deutet alles auf einen rituellen Selbstmord hin“, sagte Toto fachmännisch. „Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, liegt ein Mord vor.“

„Und wir sind die Hauptverdächtigen“, brummte Kiba nach dieser wenig geistreichen Schlussfolgerung.

„Sie sind die einzigen Verdächtigen. Sonst war ja niemand im Hotel, als der Mord geschah. Das letzte Lebenszeichen des Opfers wurde um halb neun Uhr morgens dokumentiert. Die … Opferung wurde schließlich um zwölf Uhr eins im Internet angekündigt, aber inwieweit das ein verlässliches Lebenszeichen ist, ist ungewiss. Ich möchte Sie alle bitten, sich zu unserer … meiner Verfügung zu halten.“ Shikamaru entgingen nicht die giftigen Blicke, die Tayuya und Kidoumaru den anderen zuwarfen, die sie gezwungen hatten, hierzubleiben. Nun hatte die Polizei Namen und Anschriften von ihnen, aber er traute ihnen zu, zumindest bei Letzterem gelogen zu haben. Soweit Shikamaru das verstanden hatte, hatten die drei jemanden in diesem Hotel gesucht, der hier schon öfters genächtigt hatte. Die Empfangsdame hatte angegeben, von ihnen bedroht worden zu sein, als sie versichert hätte, dass dieser Mann – offenbar ein Arzt – nicht hier wäre. Daraufhin hatten sie einfach an alle Zimmertüren gepocht. Die mit der Leiche dahinter war nicht verschlossen gewesen, und so hatte Tayuya Hidan entdeckt.

Toto überflog zum wiederholten Mal seine Spickzettel, dann zuckte er mit den Schultern, ging und ließ seine Zeugen und Verdächtigen einfach sitzen. „Ganz toll gemacht, ihr Sherlocks“, zischte Tayuya. „Jetzt haben wir die Bullen an der Backe. Als ob wir nicht schon so genügend Stress hätten.“

„Wer hat denn einfach so das Hotel gestürmt?“, gab Naruto wütend zurück. Die Geschehnisse seit gestern gingen ihm an die Substanz. Offenbar war Shikamaru nicht der Einzige, der sich wünschte, ihre Wiedersehensfeier nicht an diesem Ort geplant zu haben.

„Ach, leckt mich doch“, fauchte Tayuya.

„Gerne“, griente Kiba. „Deine Adresse kenne ich ja jetzt.“

Ihr Fuß traf ihn zielgenau zwischen die Beine. Ächzend ging er in die Knie. Tayuya rauschte davon, ihre Spießgesellen im Schlepptau, als sie plötzlich eine Stimme zurückhielt.

„Du da. Du heißt Kidoumaru, nicht wahr?“

 

„Von mir aus, dann lynchen wir eben ihn.“ Tayuya rollte mit den Augen. „Ich bin auch dafür. Bringen wir es hinter uns.“

„Du hast doch genauso wenig einen Beweis wie alle anderen“, maulte Kidoumaru. „Und ich soll jetzt dafür herhalten? So haben wir nicht gewettet.“

„Ich weiß, dass du ein Werwolf bist“, behauptete Shino. „Warum? Das werde ich nicht sagen. Aber ihr könnt mir glauben.“

 

„Wer will das wissen?“ Betont langsam drehte Kidoumaru sich um. Tayuya blieb in der Tür zur Lobby stehen. „Hä? Warst du vorher auch schon da?“

Nichts an Shino verriet, dass er mehr war als eine Statue. Wie üblich hatte er seinen Jackenkragen selbst hier drinnen hochgeschlagen, eine Kapuze auf dem Kopf und eine Sonnenbrille vor den Augen. „Kanntest du das Opfer?“, fragte er.

„Ich hab diesem Bullen-Spinner schon gesagt, dass ich ihn noch nie im Leben gesehen habe. Was soll das, hast du noch nicht genug Detektiv gespielt?“

„Ich glaube, dass du gelogen hast. Warum? Weil ich dich gestern Abend gesehen habe. Wir waren auf dem Weg ins Twilight, und du bist hinter uns in die gleiche Richtung gegangen. Wohin hättest du sonst gewollt, wenn nicht zu seinem Konzert?“

„Hast du dich deshalb unterwegs so oft umgedreht, Shino?“, fragte Lee.

Tayuya horchte sichtbar auf. Kidoumaru wirkte für einen Moment sprachlos. „Vielleicht bin ich in eines der Pubs in der Nähe gegangen, schon mal daran gedacht? Ich war nicht im Twilight. Und überhaupt, was rede ich mit dir? Gehen wir.“

Nun war er es, der die Führung übernahm, und Tayuya und Jiroubou folgen ihm.

„Er hat gelogen“, stellte Shino fest, nachdem sie gegangen waren.

„Möglich“, sagte Shikamaru. „Aber ich weiß nicht, ob die drei nicht sogar über ihre Namen gelogen haben. Wir sollten da nicht zu viel hineininterpretieren. Es waren viele Leute unterwegs, gestern Abend. Und selbst wenn er Hidan kannte, die drei hätten doch kaum Zeit gehabt, ihn zu töten. Kaum dass sie hier waren, haben sie schon die Leiche gefunden.“

„Und der Todeszeitpunkt muss erst geklärt werden“, fügte Neji hinzu.

„Ist euch … eigentlich klar, was ihr damit andeutet?“, fragte Temari mit gedrückter Stimmung.

„Es war Selbstmord, Temari“, erwiderte Gaara.

„Aber falls nicht“, beharrte sie, „ist einer von uns ein Mörder.“

 

„Du warst also gestern Nacht in der Nähe vom Twilight?“ Tayuya fühlte das Messer in ihrer Tasche. Sie gingen die Gasse entlang zu ihrer zweiten Anlaufstelle – den Arzt zu finden hatte theoretisch oberste Priorität, aber da gab es etwas, das, ohne sich an so banale Dinge wie Vernunft zu halten, noch vorher getan werden musste.

„Und wenn? Spielt das eine Rolle?“ Falls Kidoumaru unwohl zumute war, ließ er es sich nicht anmerken.

„Allerdings.“

Als Jiroubou das Schnappen ihres Messers hörte, blieb er stehen und drehte sich grimmig schweigend um. Da er zuvorderst ging, blockierte er fast den ganzen Weg. Kidoumaru konnte unmöglich an ihm vorbei. Plötzlich begann er zu schwitzen. „Leute“, keuchte er. „Macht keinen Scheiß!“

„Selber“, fauchte Tayuya. „Du beantwortest mir jetzt noch ein paar Fragen. Und ich warne dich: Ob mir die Antworten gefallen oder nicht, ich kann genauso skrupellos sein wie du!“

 

Sphinx zählte die Stimmen für Kidoumarus Hinrichtung, Shikamaru notierte auch gleich seine Henker dazu. „Knapp, aber doch“, stellte Tayuya fest. Dreizehn von sechsundzwanzig Daumen zeigten auf Tod, der der Bürgermeisterin war das Zünglein an der Waage.

„Somit wird Kidoumaru gelyncht.“ Und natürlich musste Sphinx eine Kunstpause machen, ehe er verriet, ob das Opfer ein Werwolf oder Vampir gewesen war.

Entführt


 

~ 20 ~

 

Nachdem sie ein rituelles Opfer entdeckt und auf nicht allzu freundliche Art dazu angehalten worden waren, die Stadt in nächster Zeit nicht zu verlassen und sich zur Verfügung der ermittelnden Kommissare zu halten, war den Freunden nicht mehr danach zumute, ihren Aufenthalt im Hinteren Bezirk zu verlängern, Wiedersehen hin oder her. Mit dem nächsten Bus fuhren sie nachhause. Gaara, Temari und Kankurou hinterließen der Polizei die Adresse eines Hotels im Stadtkern, in das sie übersiedelten, bis die Sache geklärt war. Sie hatten ohnehin vorgehabt, eine Weile in der Stadt zu bleiben. Tenten tröstete sich damit, dass sie die Wiedersehensfeier so jederzeit ordentlich nachholen konnten.

Am späten Nachmittag saß sie noch mit Naruto, Neji, Hinata, Sakura, Shino, Lee, Shikamaru und Kiba im Park in der Nähe von Narutos Wohnung. Shikamaru hatte sich bei Ino nach ihrem Befinden erkundigt. Offenbar ging es ihr wieder so weit gut, dass sie auch vorbeikommen wollte, um ihnen seelischen Beistand zu leisten, wie sie sagte. Von Sasuke hatten sie nichts gehört.

Bis zu Inos Eintreffen war die Stimmung eher gedrückt. Shikamaru hatte einen Laptop mit Internet-Stick mitgebracht und stellte ihn auf eine Parkbank. „Was wird das?“, fragte Naruto.

„Ich hab mir die URL von diesem Forum aufgeschrieben“, erklärte er, sah auf seinen Notizzettel und tippte die Zeichenkolonne ab.

„Du solltest diesem okkulten Blödsinn gar nicht so viel Bedeutung beimessen“, fand Sakura.

„Hidan hat ihm viel Bedeutung beigemessen. Wenn es kein geplanter Selbstmord war, sind wir verdächtig, vergesst das nicht.“

„Aber es war Selbstmord“, brummte Naruto. „Schlimm genug, übrigens.“

„Hier gibt es eigene Threads, wo die Anhänger von Jashin Leute zum Opfern vorschlagen können“, berichtete Shikamaru, nachdem er das Forum durchsucht hatte.

„Krank“, kommentierte Sakura.

„Es sieht so aus, als müsste ein Administrator die Beiträge aber freischalten, damit sie jemand sieht.“ Shikamaru deutete auf den Hinweis neben jedem Posting, wann es gesichtet worden war. „Ich probiere mal was.“

„Du willst dich in dem Forum anmelden?“, ächzte Tenten. „Das ist sicher keine gute Idee.“

„Ich schicke ein paar Datenpakete über eine Leitung durchs Internet“, erklärte Shikamaru nüchtern. „Es ist nicht so, als könnte ich dabei irgendwie verflucht werden oder so.“

„Aber vielleicht kriegst du Ärger, wenn du bei solchen Sachen mitmachst“, flüsterte Hinata.

„Ich denke auch, dass du es sein lassen solltest“, sagte Lee ernst.

„Zu spät.“ Shikamaru überflog die Nachricht auf seinem Bildschirm. „Verstehe. Ich kann mich registrieren, aber ein Administrator muss mich freischalten, damit ich etwas posten kann. Ziemlich streng hier.“ Er klickte die Liste der Mitglieder an. „Und der einzige Administrator ist seit heute tot, wie es scheint. Ich schätze, der Spuk auf der Seite hat jetzt sowieso ein Ende.“

„Hallo, Leute.“ Ino war gekommen, in Begleitung von Chouji. Sie wirkte müde, ihr Gesicht war immer noch blass. Sie trug warme Kleidung, obwohl es sogar ziemlich warm, fast heiß war, so als bäumte sich der verronnene Sommer in einer letzten, verzweifelten Geste auf. Sakura und Tenten umarmte Ino kurz, bei den anderen beließ sie es bei einer kollektiven Handbewegung.

„Wie geht’s dir?“, fragte Sakura.

„Geht schon wieder. Sorry, dass ich euch den Stress gemacht habe. Was wichtiger ist, was war denn jetzt bei euch los? Ich will Einzelheiten hören.“

Sie erzählten Ino und Chouji alles, was im La Grande vorgefallen war. Schließlich stieß sie eine Verwünschung aus. „Da lässt man euch nur mal kurz allein …“, meinte sie sarkastisch.

„Es wird sich alles aufklären“, sagte Naruto zuversichtlich. „Es war eindeutig Selbstmord. Wahrscheinlich müssen wir uns gar nicht mehr mit der Polizei abgeben. Wichtiger ist es, rauszufinden, was mit Sasuke nicht stimmt.“

Die anderen nickten, und im selben Moment klingelte ein Handy.

„Das ist meins“, stellte Sakura fest.

„Ist es Sasuke?“, fragte Naruto hoffnungsvoll.

Sie blickte stirnrunzelnd auf das Display. „Unbekannt.“ Nach kurzem Zögern hob sie ab. „Hallo?“ Ihre Augenbrauen wanderten nach oben. „Tayuya?“, stieß sie aus.

„Dreh es lauter“, zischte Tenten ihr zu. Sakura aktivierte die Freisprechfunktion und hielt das Handy vor sich. Tayuyas Stimme tönte aus dem Lautsprecher.

„Tag auch. Ich dachte, ich meld‘ mich mal kurz bei euch.“

„Wie kommst du an meine Nummer?“, fragte Sakura, nicht ohne Ärger.

Kurzes Lachen. „Dieser Bulle von heute ist echt ein Trottel. Ich hab nur sagen müssen, dass mir etwas zu einem von euch eingefallen ist, ich aber den Namen von demjenigen nicht mehr weiß. Daraufhin hat er wieder in seiner tollen Zettelwirtschaft geblättert und nichts gesagt, als ich ihm über die Schulter gesehen hab. Die erstbeste Nummer hab ich mir gemerkt. Die Bullen im Hinteren Bezirk sind klasse.“

„Was willst du?“, fragte Sakura düster. Die anderen lauschten mit angehaltenem Atem.

„Nicht so ruppig, Schwester, ja? Ist ja nicht so, als hätte ich auch noch eure Adressen rausgesucht. Ihr könnt mir getrost gestohlen bleiben. Ich wollte mich nur kurz bei dem Kerl mit der Sonnenbrille bedanken.“

„Shino?“ Aller Augen richteten sich auf ihn. Keine sichtbare Reaktion kam von seiner Seite.

„Er hat uns einen großen Gefallen getan. Hätte er Kidoumaru nicht verpetzt, wären wir nie draufgekommen.“

„Worauf?“, platzte Sakura heraus.

Tayuya schien in Plauderstimmung. „Eine kleine Streiterei in unserer Gang. Nichts, was euch betrifft. Jedenfalls hat Kidoumaru ziemlich Mist gebaut. Dank eurem Tipp hat er das freiwillig zugegeben“, sagte sie fröhlich. Allein an ihrem Tonfall erkannte Tenten, dass dieses freiwillig eine nette Umschreibung war. „Und er hat ehrliche Reue gezeigt. Glaube ich zumindest, lange hatte er nicht Zeit dazu.“

Tenten bekam eine Gänsehaut. „Was habt ihr denn mit ihm gemacht?“, fragte sie und bemühte sich um eine feste Stimme.

Tayuya schwieg kurz. „Ah, da hört noch jemand mit? Neugierige Freunde hast du da, Schätzchen. Das hat nichts mit euch zu tun. Nur eins noch, wenn dein Freund mit der Sonnenbrille sich zufällig dran erinnert, ob Kidoumaru gestern ein silbernes Amulett oder was in der Art dabeihatte, darf er mich gern zurückrufen. Ich kauf ihm nämlich nicht ab, dass er nicht weiß, wo es hingekommen ist. Schönen Tag noch.“ Es knackte, dann hatte sie aufgelegt.

Bleierne Stille folgte. Tenten fühlte sich plötzlich, als würde sich der Boden unter ihren Füßen drehen.

„Ihr denkt aber nicht … dass sie ihn umgebracht hat, oder?“, stellte Lee die Frage, die ihnen allen auf der Zunge lag. Sie hörte ihn wie durch Watte.

„Das wäre wirklich dämlich“, sagte Shikamaru. „Immerhin sollen sie sich für die Polizei zur Verfügung halten.“

„Es sei denn, sie wissen, dass die Bullen sie nicht finden können“, murmelte jemand, doch Tenten konnte die Stimme nicht zuordnen.

„Tenten? Tenten!“

Sie zuckte zusammen.

„Ist alles in Ordnung? Du wirkst plötzlich so abwesend.“ Neji blickte sie besorgt an.

„Ich … Ja. Nein. Das heißt …“ Es war ihr wieder eingefallen. Sie hatte ihn schon gestern Nacht darauf ansprechen wollen, dann hatte sie es vergessen – nicht einmal auf der Polizeistation hatte sie es erwähnt. Dieser blöde Schlafmangel und dieser verdammte Restalkohol! Nun fühlte sie das Amulett in ihrer Hosentasche so deutlich, als wäre es plötzlich zehnmal so schwer.

 

„Spuck’s endlich aus“, rief Kiba. „War Kidoumaru jetzt ein Werwolf oder ein Vampir oder nicht? Oder willst du es wieder geheim halten? Dann steig ich aus.“

Sphinx lächelte. „Er war kein Vampir.“ Wieder eine Pause. „Aber ein Werwolf. Meinen Glückwunsch.“

Kidoumaru reichte Sphinx verstimmt seine Karte. Die anderen atmeten auf. Naruto schlug Shino auf die Schulter. „Gut gemacht.“

„Ich bitte den Leibwächter, mich kommende Nacht sicherheitshalber zu beschützen“, sagte Shino monoton. „Warum? Weil die Werwölfe Kidoumaru vielleicht rächen wollen.“

Shikamaru sah ihn schief an. Er hatte nicht explizit gesagt, dass er die Seherin war, aber Shino war auch nicht so einfältig. Er notierte ihn sich mit einem Fragezeichen.

 

„Ich habe das Amulett, von dem sie geredet hat“, gab Tenten zu und ihre eigenen Worte klangen polternd wie Felsen in ihren Ohren. Sie fischte das glänzende Stück Silber aus ihrer Tasche. Es war ein verschnörkeltes Muster; mit etwas Fantasie sah es dem Symbol auf der Jashin-Seite gar nicht unähnlich.

„Hast du das von den Typen geklaut?“, fragte Naruto mit großen Augen.

Sie schüttelte energisch den Kopf. „Als wir an diesem … Verbrechensschauplatz waren.“ Ihr Blick suchte Nejis. „Da lag es am Boden rum. Ich hab mir gedacht, ich nehme es als Beweis mit, aber … Ich dachte dann, es ist unwichtig. Nein, das stimmt nicht. Ich hab es einfach vergessen“, sagte sie zerknirscht.

„Es sieht aus wie das Jashin-Zeichen“, sagte Shino. „Und wie das Zeichen, das mit Blut um Hidans Leiche gemalt war.“

Tenten starrte ihn an. „Was hast du gesagt?“ Ihre Stimme klang nun dünn. „Das Zeichen auf dem Boden war auch … so eines?“

„Hast du es nicht gesehen?“

Sie vergrub das Gesicht in den Händen. „Scheiße … Ich wollte nicht so genau hinsehen.“

„Es gibt sicher in jedem Souvenirladen ähnliche Amulette“, sagte Neji. „Das muss nichts bedeuten.“

„Und wenn doch?“, fragte Tenten. „Ich wusste doch, dass etwas faul ist an dem Ding!“

„Okay“, sagte Sakura resolut, nachdem die anderen eine Weile betroffen geschwiegen hatten. „Es gehört anscheinend dieser Straßengang, na und? Sie haben nur um Hinweise gebeten. Wir können es ganz einfach irgendwo im Hinteren Bezirk hinlegen, und die Sache hat sich. Die Wahrheit will ich ihnen ehrlich gesagt nicht erzählen.“

„Oder wir melden das auch noch bei der Polizei“, schlug Neji vor.

Tenten dachte an Toto und schüttelte den Kopf. „Ich werfe es einfach weg. Seid ihr einverstanden?“ Sie fühlte, dass dieses Amulett seinem Besitzer höchstens Unglück brachte. Sie war alles andere als abergläubisch, aber das Ding war ihr nicht geheuer. Nicht nach der vergangenen Nacht und dem heutigen Tag.

Niemand sprach sich dagegen aus.

 

Den Rest des Tages verbrachten die Freunde getrennt. Ino war mit Sakura am Abend zum Shoppen verabredet. Sie meinte, sie würde die Gelegenheit nicht sausen lassen, und es ging ihr auch schon wieder recht gut. Sakura hatte die Idee gehabt, Tenten mitzunehmen, um sie abzulenken. Sie würden eine Drei-Frauen-Einkaufstour unternehmen und sie von ihren Sorgen ablenken – die in Form eines silbernen Amuletts nun in einem x-beliebigen Mülleimer der Stadt vor sich hin gammelten.

Tenten war wirklich froh darüber, mitkommen zu dürfen. Eigentlich waren Sakura und Ino beste Freundinnen, und sie wollte sich nicht dazwischendrängen. Dennoch verstand sie sich seit dem gemeinsamen Urlaub immer besser mit Ino. Tenten fühlte sich in ihrer Clique oft ein wenig allein. Naruto hatte einmal angemerkt, sie wäre männlicher als zum Beispiel Neji, und vielleicht war da etwas dran. Jedenfalls fühlte sie sich zu den anderen Mädchen nicht so zugehörig – und das war schade. Sie hätte gerne eine beste Freundin gehabt. Jemanden, mit dem sie etwas unternehmen oder einfach nur plaudern könnte. Und obwohl sie Ino früher nicht besonders gut hatte leiden können, waren sie in den letzten Wochen zusammengewachsen. Tenten hatte dieser Tage jemanden gebraucht, bei dem sie sich ausweinen konnte, und so absurd ihr das auch früher vorgekommen wäre, Ino war eine gute Zuhörerin. Sie hatte das Gefühl, ihr all ihre Geheimnisse anvertrauen zu können, und Ino ihrerseits hatte ihr Top-Secret-Details aus ihrem stets brisanten Liebesleben verraten.

Sakura wusste von dieser neuen Vertrautheit und es schien sie zu freuen. Tenten war sich dennoch nicht sicher, ob sie das nicht nur vorspielte, um ihr ein schlechtes Gewissen zu ersparen – aber dass Sakura nun sogar selbst vorgeschlagen hatte, dass Tenten heute mitmischen sollte, stimmte sie wirklich froh. Sie hatten auch überlegt, pro forma Temari und Hinata zu fragen, aber Letztere wollte den Abend mit Naruto verbringen und Temari hatte sich nicht sonderlich interessiert gezeigt, als sie ihr Vorhaben beiläufig erwähnt hatten.

Ino war spät dran. Sakura hatte zum wiederholten Mal bei ihr geklingelt, aber nur ein „Ja, gleich!“ durch die Tür gebracht. Ino folgte dem Ruf erst ein paar Minuten später. Als Tenten die Menge an Make-up betrachtete, die sie sich auf die Wangen geklatscht hatte, wunderte sie sich nicht einmal darüber. Ihre Freundin gab sich alle Mühe, die Nachwirkungen von gestern Nacht zu übertünchen.

„Auf geht’s!“, rief die heutige Rädelsführerin betont gut gelaunt.

„Bist du sicher, dass du nicht lieber mit Shikamaru und Chouji mitgegangen wärst?“, fragte Sakura vorsichtig. „Bei Asuma und Kurenai wäre es sicher … angenehmer.“ Tenten wusste, was sie meinte – Shopping mit Ino war so anstrengend wie ein Hürdenlauf.

„Unsinn. Ich brauche dringend neue Schuhe, und da gibt es dieses Top mit den Glitzersteinchen, das muss ich haben!“

Tenten lächelte. Ein Hürdenlauf würde sie definitiv ablenken.

Sie nahmen die Straßenbahn und waren in weniger als zwanzig Minuten in der beliebtesten Einkaufsstraße der Stadt. Alles blinkte hell und gelb und warm wie Goldspritzer in der hereinbrechenden Dämmerung. Es war Samstag und Lange Einkaufsnacht. Die Geschäfte hatten heute bis elf Uhr geöffnet. Das Paradies wartete.

 

„Ihr?“, Kakashi sah verschlafen aus, obwohl es neun Uhr am Abend war. „Kommt herein.“ Naruto und Hinata schlüpften in seine Wohnung. Es war so chaotisch, wie er es Erinnerung hatte. Kakashi tappte barfuß zu der kleinen Einbauküche. „Darf ich euch was anbieten?“

Wenig später saßen sie bei heißer Schokolade um den niedrigen Küchentisch herum. „Also, was kann ich für euch tun?“, fragte Kakashi die beiden.

„Wir machen uns Sorgen wegen Sasuke“, sagte Naruto. „Er ist heute Morgen einfach verschwunden und geht nicht ans Handy. Bei sich zuhause ist er auch nicht. Ehrlich gesagt hatten wir gehofft, Sie würden vielleicht was wissen. Wir haben keine Ahnung, wo wir sonst nachfragen sollten. Vielleicht hat sein Bruder etwas gesagt.“ Itachi Uchiha arbeitete in der gleichen Abteilung wie Kakashi als Ermittler.

„Tja.“ Kakashi rührte mit dem Löffel in seiner Tasse. „Das ist genau das Problem. Sasukes Bruder wurde heute Morgen tot in seinem Büro gefunden.“

„Was?“ Naruto fuhr hoch. Hinata starrte Kakashi aus großen Augen an.

„Es war ein natürlicher Tod.“ Der Kommissar hob beruhigend eine Hand. „Körperliche Leiden, viel Stress, wenig Schlaf … Obduktionsergebnisse gibt es noch nicht, aber es war definitiv kein Verbrechen. Aber ihr könnt euch vorstellen, dass Sasuke das sehr mitgenommen hat. Ich habe ihn heute Morgen angerufen. Wir haben darüber gesprochen.“

„Oh.“ Naruto sah niedergeschlagen auf die Tischplatte. „Das … Ich wusste nicht … Das ist …“ Hinata berührte sanft seine Hand.

„Ich weiß nicht, wo er ist, aber versucht ihn nochmal zu erreichen“, riet Kakashi. „Ich kann mir vorstellen, dass er seine Freunde jetzt mehr denn je braucht.“

 

„Höchste Zeit für die zweite Nacht. Was wird wohl nun passieren? Ich bin schon gespannt – ihr auch?“

 
 

- Der Hintere Bezirk, zweite Nacht -

 

Die Lichter und das Stimmengewirr versetzten Tenten wie in einen Rausch. Ihre Arme waren schwer von all den Einkaufssäcken, dabei trug sie nicht halb so viel wie Ino. Sakura hatte kaum etwas gekauft – hoffentlich war sie nicht doch sauer, dass Ino und Tenten die meiste Zeit miteinander redeten. Oder war Tenten einfach nur paranoid deswegen?

„Sehr geehrte Besucher“, ertönte eine angenehme Frauenstimme aus den Lautsprechern in dem Einkaufszentrum, das die Krone des Shopping-Distrikts bildete und blinkend wie ein Märchenschloss seine beschaufensterten Arme vor ihnen ausbreitete. „Bitte denken Sie daran, dass das Einkaufszentrum um dreiundzwanzig Uhr schließt.“

Fünfzehn Minuten hatten sie also noch. Sie hatten all die kleineren Geschäfte abgeklappert, um sich das größte Einkaufsmonster bis zum Schluss aufzuheben. Nun sah es aus, als bliebe nicht genügend Zeit dafür. „Wein!“, sagte Sakura plötzlich.

„Wein?“, wiederholte Tenten.

„Es gibt da drin eine klasse Vinothek. Gute Qualität und preiswert. Wir müssen unbedingt auf uns drei anstoßen!“

„Und worauf genau?“, fragte Ino.

„Auf unsere Freundschaft. Oder, Tenten?“ Sakura schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Ich finde es toll, dass wir mal zu dritt was unternommen haben. Das sollten wir bald wieder machen. Und darauf stoßen wir an.“

Tenten war erst sprachlos, dann lächelte sie gerührt zurück. Und sie hatte sich schon Sorgen gemacht …

„Es gibt da einen französischen Roten … Mir fällt der Name nicht mehr ein, aber wenn ich die Flasche sehe, erkenne ich ihn wieder. Ich hol schnell eine“, bot Sakura an.

„Wir können auch in einen Pub gehen“, schlug Tenten vor. „Dann musst du nicht hetzen.“

„Von Pubs und dergleichen hab ich momentan die Nase voll“, meinte Ino säuerlich. „Nichts für ungut.“

„Ich brauche nur ein paar Minuten.“ Sakura stellte ihre beiden Einkaufstaschen auf der Rundbank ab, vor der sie standen. „Bin gleich wieder da.“ So schnell, dass Ino auf ihren schwindelerregenden Stöckelschuhen ohnehin nicht hätte mithalten könne, huschte sie in das Einkaufszentrum und stemmte sich gegen den herausschwappenden Besucherstrom. Tenten und Ino setzten sich auf die Bank, die sich um einen einzelnen, kleinen Baum schlang, genossen die warme Abendluft und warteten.

Sakura kam nicht wieder heraus. Selbst als die Lautsprecherstimme verkündete, dass es nun fünf vor elf war und die letzten Geschäfte schließen würden, tauchte Sakura nicht wieder auf. Bei jedem der wenigen Besucher, die jetzt noch ins Freie hasteten, sahen die beiden auf, doch ihre Freundin war nicht darunter. Verwirrt blinzelten sie einander an. War es doch so schwierig, diese ominöse Weinflasche zu finden?

Sie beschlossen, bis nach elf zu warten. Wenn die Vinothek zusperrte, würde Sakura nichts anders übrig bleiben, als zurückzukommen. Tenten wurde trotzdem das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht war sie einfach immer noch misstrauisch gegenüber jeder kleinen Ungewöhnlichkeit, aber das nagende Gefühl war da.

„Sehr geehrte Besucher, das Einkaufszentrum schließt jetzt. Wir danken für Ihren Besuch.“

Ino seufzte. „Okay. Gehen wir sie suchen.“ Sie schnappten sich Sakuras Einkäufe und durchschritten das nunmehr leere, gähnende Maul der Vordertür. Glänzendes Glas und helles Licht erwarteten sie im Inneren des Einkaufszentrums, man hörte einen Springbrunnen plätschern. Alles sah aus, wie ein Einkaufszentrum aussehen sollte, doch da die Leute fehlten, wirkte die Atmosphäre irgendwie beklemmend.

„Zum Infoschalter?“, fragte Tenten unsicher. Sie wusste selbst nicht, warum sie Sakura als Erstes dort suchen würde. Als ob etwas passiert ist …

„Der ist im ersten Stock. Die Vinothek müsste hier unten sein. Mir nach.“

Sie waren noch keine drei Schritte weit gekommen, als Inos Smartphone plötzlich klingelte. Sie sah auf das Display und runzelte die Stirn. „Na die kann sich jetzt was anhören.“ Energisch hob sie ab. „Sakura, wo steckst du?“

Und dann sah Tenten ganz deutlich, trotz all der Schminke, wie Inos Gesicht an Farbe verlor.

„Was ist los?“, zischte sie alarmiert.

Ino schluckte nur und drückte eine Tasche, um die Freisprecheinrichtung zu aktivieren.

Es war nicht Sakuras Stimme, die aus dem Lautsprecher kam. Es war überhaupt keine menschliche Stimme – mehr so, als hätte man eine Computerstimme programmiert, Sätze zu sagen, deren Sinn sie nicht kannte, ohne Emotion, abgehackt und mit falscher Betonung.

„… bleibt. Ich werde es euch sagen. Unterbrecht mich besser nicht, ich werde nicht antworten. Eure Freundin ist bei mir. Wir sind auf dem Weg ins NeoMetropolis. Ich nehme an, ihr kennt es. Ich erwarte euch dort. Was ich von euch verlange, ist einfach. Kommt um Mitternacht, alle. Die ganze Truppe, die im La Grande war. Um Mitternacht und keine Sekunde früher. Und wagt es nicht, die Polizei einzuschalten. Alles Weitere erfahrt ihr vor Ort.“

Es piepte, der Anrufer hatte aufgelegt.

„Scheiße“, stieß Ino hervor.

„K-kann man das zurückverfolgen?“, platzte es aus Tenten heraus. „Du weißt schon, per Handyortung?“

„Er hat gesagt, keine Polizei“, sagte Ino ruhig.

„Aber wir könnten Shikamaru fragen. Er kennt sich ein bisschen mit Computern aus. Er wird sicher …“

„Der Kerl wird kaum so dumm sein!“, sagte Ino gereizt. „Er schaltet das Handy sicher aus … Gott, wir hätten sie nicht allein lassen dürfen!“ Sie vergrub das Gesicht in ihrer Hand.

Wir können nichts dafür, wollte Tenten schon sagen, hielt sich aber zurück. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass das nicht stimmte.

 

„Eine komplizierte Geschichte. Ich würde aber auch auf Selbstmord tippen.“ Asuma zog an seiner Zigarette und blies den Rauch über seinen Balkon.

„Und die Sache mit dem Amulett? Ich weiß nicht, inwiefern der tote Jashinist und das Verbrechen in der Seitengasse zusammenhängen, aber zumindest mit Letzterem scheint es was zu tun zu haben“, sagte Shikamaru.

Er und Chouji hatten beschlossen, Asuma zu besuchen. Seit er mit seiner Frau Kurenai und ihrer kleinen Tochter in das hübsche Häuschen am Stadtrand – in einer betuchteren Gegend als dem verruchten Hinteren Bezirk – gezogen war, waren sie nur einmal auf Besuch gewesen. Dabei dachten sie von ihm von mehr als einem einfachen Freund. Er hatte ihnen oft Ratschläge zu jeder Lebenslage gegeben, ihnen und Ino. Asuma hatte Shikamaru auch das Knobeln, was kriminelle Angelegenheiten anbelangte, schmackhaft gemacht. Er war Privatdetektiv.

„Schwer zu sagen. Es wirkt auf mich eher wie ein Zufall. Diese Bande scheint ihre eigenen Streitigkeiten zu haben, aber ich bezweifle, dass sie in der kurzen Zeit, in der sie in eurem Hotel waren, Gelegenheit hatten, einen Ritualmord zu begehen. Nein, Selbstmord ist trotzdem das Wahrscheinlichere.“

„Das denke ich auch“, sagte Shikamaru.

Asuma drückte seine Zigarette aus und die drei gingen wieder ins Haus. Die Nacht war hereingebrochen, und es würde wohl eine schwüle, unangenehme Nacht werden.

In dem Moment klingelte Shikamarus Handy.

 

Sasuke war noch dabei, seine Gedanken zu sortieren.

Vor sich hatte er die Fotos ausgebreitet. Er hatte sie ausgedruckt, nachdem er sie mit seinem Handy geschossen hatte. So konnte er sich vielleicht besser darauf konzentrieren. Kakashi hatte ihm mehrmals gesagt, dass er sich die Mühe sparen konnte. Vielleicht stimmte das – aber er wollte sie sich nicht sparen. Wenn sein Bruder tatsächlich einfach so von alleine gestorben war, schön, dann verschwendete er eben seine Zeit. Aber wenn er hinter irgendwas gekommen war, wenn er zu viel gewusst hatte … Dann hoffte Sasuke, dass er das gleiche Wissen erlangen konnte, indem er die Bilder von Itachis Notizen und Akten betrachtete. Und wenn es ihm nur darum ging, Itachis Mörder herauszulocken.

Er ließ das Handy klingeln. Es war Naruto – schon wieder er. Er konnte aber auch lästig sein! Das Klingeln hörte nicht auf; als die Mailbox ranging, legte Naruto auf und rief sofort nochmal an. Langsam riss Sasuke der Geduldsfaden. Er wollte das Handy schon ausschalten, als er es sich anders überlegte und abhob. „Lass mich einfach in Frieden, du Idiot“, schnauzte er ihn an.

„Hast du sie noch alle? Warum hebst du nicht einfach ab?“, kam Narutos Stimme verärgert aus dem Lautsprecher. Nein, nicht nur verärgert … da war noch etwas anderes, aber das war Sasuke herzlich egal.

„Weil ich meine Ruhe haben will! Bleibt mir einfach für eine Weile gestohlen, ja?“

„Verdammt, hör auf hier die Drama-Queen raushängen zu lassen und hör mir zu! Sakura ist entführt worden!“

Sasuke erstarrte. „Was hast du gerade gesagt?“

 

„Machen wir weiter. Ihr kennt die Prozedur.“

 
 

(0:00 Uhr)

NeoMetropolis. Der Name war sogar noch lächerlicher als La Grande. Wir haben es wohl in letzter Zeit mit seltsamen Hotels, dachte Shikamaru bitter.

Immerhin war das NeoMetropolis ein wirkliches Hotel, oder hätte laut Widmung eines werden sollen. Bei der ungünstigen Lage war es eigentlich kein Wunder, dass man es nie in Betrieb genommen hatte. Wenn der Rand der Welt einen Rand besaß, dann stand am Rande dieses Randes das zwanzigstöckige Hochhaus mit der unverputzten Fassade, grau wie der traurigste Bauklotz einer Kinderspielzeugsammlung. Ursprünglich wollte die Stadtverwaltung wohl den Hinteren Bezirk etwas beleben oder so. Das Gelände war früher Industriegebiet gewesen, und es hatte auch Außenstellen größerer Firmen gegeben. Die Gegend war schon immer verrufen gewesen, und hier ein seriöses Hotel zu bauen schien den Verantwortlichen wohl eine gute Idee, um Arbeiter – die es sich leisten konnten – und angereiste Geschäftsleute unterzubringen. Außerdem war die Rede gewesen von einem Ferienresort, zehn Kilometer entfernt auf dem Land, der aber nie eröffnet worden war. Jedenfalls waren die Fabriken noch während der Bauphase des Hotels stillgelegt worden, und man hatte das Projekt NeoMetropolis aufgegeben. Nun war es einfach ein einsamer, riesiger Backenzahn aus Stahl und Beton, vor dem sich totes Industriegelände und hinter dem sich menschenleere Felder und Wiesen erstreckten.

Selbstredend hatte der Ruf des Hinteren Bezirks auch das Hotel überrollt. In den Medien und vor allem im Internet wurde gemunkelt, dass das Hotel ein luxuriöser Treffpunkt für Gauner aller Art war. Und natürlich gab es Unmengen an Spukgeschichten. Okkultisten würden hier grausame Ritualopfer darbringen, und so weiter und so fort. Momentan hatten sie es mit einer einfachen Entführung zu tun. Schlimm genug.

Sie waren mit ihren eigenen Autos gekommen, um schnell wieder von hier verschwinden zu können. Die einzige Bahnlinie hierher war vor langer Zeit eingestellt worden. Die Wagen der Clique wurden langsamer, als sie näher an das Hotel herankamen. Die Straße war voller Schlaglöcher, der Haupteingang fest verschlossen und mit Warnschildern und Absperrungen regelrecht verbarrikadiert. Shikamaru kam das Gebäude fast wie eine mittelalterliche Festung vor, und der schmale Streifen Erde, wo sich wohl ein übereifriger Architekt paradiesische Pflanzen und Hecken vorgestellt hatte, war der Burggraben.

Chouji tippte Ino auf die Schulter. Ihr Auto war das Erste in der Reihe. Er deutete auf die Einfahrt zur Tiefgarage des NeoMetropolis. Eigentlich sollten ein Aluminiumtor und ein Gitter aus Stahlstreben sie verschließen, doch beides stand sperrangelweit offen. Mattes, blaugrünes Licht drang von dort unten herauf, als wäre das hier das Tor zu einer anderen Welt. Zumindest zu einem Albtraum.

Inos Handy klingelte, als sie anhielt. Sie hatte es mit der Freisprecheinrichtung des Autos gekoppelt – Shikamaru hatte vorhergesehen, dass man sie anrufen würde. Die Nummer war Sakuras. Ino tippte gegen den Bordcomputer, und die computergenerierte Stimme, von der sie und Tenten erzählt hatten, ertönte.

„Sehr brav. Fahrt in die Garage. Alle. Lasst kein Auto zurück. Wir beobachten euch.“

„Toll“, brummte Tenten. Es war ihr Plan gewesen, die Hälfte ihrer Wagen außerhalb des Hotels zu lassen, für alle Fälle.

Sie beobachten uns“, sagte Shikamaru, als Ino den Anruf beendete. „Das heißt, es sind mehrere Täter.“

„Das beruhigt mich gerade gar nicht“, meinte Tenten.

Neji beugte sich aus dem Fenster und gab Sasuke, Kiba und Temari hinter ihnen ein Zeichen, ihnen zu folgen. Die vier Autos fuhren im Schneckentempo, wie gegen eine zähe Masse, in das grün leuchtende Tor zur Unterwelt.

Die Tiefgarage wirkte unheimlich. Das Licht kam von den streifenförmigen Leuchten im Boden, also musste die Stromversorgung innerhalb des Hotels noch funktionieren. Shikamaru dachte an Tentens Worte – ihn beruhigte diese Tatsache ebenfalls nicht.

Schwieriger zu erkennen waren die Pfeile, die jemand mit Farbe auf den Boden gemalt hatte. Sie lotsten die vier Autos zum hintersten Winkel der Garage, vorbei an manndicken Betonsäulen. Es gab einen Schranken, doch der war oben.

„Seht ihr das?“, fragte Neji.

Shikamaru nickte. „Ich habe es mir fast gedacht. Wir sind nicht die Einzigen hier.“

Vier weitere Fahrzeuge standen dort an die Wand gedrängt, ein teurer Porsche und drei Motorräder, eines davon mit Beiwagen. Die rote Farbe, die ihnen bisher in Form von Pfeilen den Weg gezeigt hatte, befahl ihnen hier in krakeligen Lettern: Aussteigen.

Die Sache gefiel Shikamaru immer weniger.

In der grünblauen Düsternis parkten sie die vier Wagen neben einer Säule und stiegen aus. Wenn man sich die Clique so ansah, war es eine beachtliche Kopfanzahl. Ihre Gegner mussten sehr von sich überzeugt sein.

„So. Und jetzt?“ Naruto klang nervös.

Wie zur Antwort erscholl ein donnerndes Rattern, dann krachte etwas mit der Gewalt eines Kanonenschusses. Die Freunde erstarrten, warteten nur darauf, dass das Licht ausging oder etwas anderes passierte, das in einen Horrorfilm passen würde. Bleischwere Stille war das Einzige, was folgte.

„Sag mir nicht …“, murmelte Shikamaru. „Chouji, komm mit.“

Sie folgten ihm alle, als er die Garage durchquerte. Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich. Die stählernen Lamellen, die im Normalfall die Garage verschlossen, waren wieder an Ort und Stelle.

„Scheiße“, entfuhr es Kankurou.

„Hey, das ist nicht mehr witzig!“, rief Naruto und trat mit dem Fuß gegen das Stahlgitter. „Lasst uns sofort hier raus!“

„Meint ihr, das war … eine Falle?“, kam es piepsig von Hinata. Sie stand so weit im Schatten, dass man sie fast nicht erkennen konnte.

„Klar war es das.“ Ino klang eher wütend. „Aber das wussten wir von Anfang an, oder?“

Shikamaru legte die Fingerspitzen aneinander. Das half ihm beim Nachdenken. Man hatte sie erst hergelotst und dann hier eingesperrt. Irgendwo in der Nähe mussten die Täter in einer Art Schalterzentrale hocken, von wo aus man die Parkebene kontrollieren konnte. „Wir sollten uns mal umsehen. Wer immer dahintersteckt, er hat sicher noch was mit uns vor.“ Und auch das beruhigte ihn nicht gerade.

Als im nächsten Moment tatsächlich das grünliche Licht flackerte und dann ganz ausfiel, saugten etliche von ihnen scharf die Luft ein. „Scheiße“, murmelte Naruto. „Schnell, macht Licht, irgendwer!“

Handytaschenlampen und Displays flammten auf und stachen in die graue Düsternis. Shikamaru wurde sich plötzlich der Tonnen von Beton, die da über ihnen schwebten, bewusst. Als wären sie in einer riesigen Gruft …

Eine Weile standen sie wie erstarrt in ihrem eigenen Fleck Licht. Dann, als der erste Schreck vorbei war, beschlossen sie, sich umzusehen. Es wäre Shikamaru am liebsten gewesen, wenn sie alle beieinander geblieben wären, aber bei einer solch großen Gruppe war das schwer zu realisieren und zudem ineffizient. So suchten sie in kleinen Grüppchen, den Weg mit ihren Smartphones leuchtend, die Garage ab. Sie schien bis auf die wenigen Fahrzeuge leer zu sein. Dann versammelten sie sich vor den beiden Aufzügen. Kiba wollte sie rufen, aber die Dinger steckten irgendwo in den oberen Stockwerken und bewegten sich nicht. Der Strom war tatsächlich ausgefallen.

„Also über die Treppe.“ Temari deutete auf die große Tür, die wohl ins Stiegenhaus führte. „Das heißt aber auch, dass wir nur den Weg gehen können, den diese Kerle für uns vorgesehen haben.“

„Verflucht, ich hab echt was Besseres zu tun“, brummte Sasuke und brachte Naruto damit auf die Palme.

„Fängst du schon wieder an? Sakura wurde entführt! Sakura! Denk doch mal zur Abwechslung auch an deine Freunde!“

Sasuke schien große Lust zu haben, ihn am Kragen zu packen. „Hör mal zu, Idiot. Hast du überhaupt eine Ahnung …“

„Hört sofort auf zu streiten!“, rief Ino, aber es brachte nicht die gewünschte Wirkung, die Sakura immer auf die beiden Streithammel hatte. Naruto hatte nun den ersten Schritt gemacht und Sasuke gepackt, seine Hand war bereits zur Faust geworden.

„Na sieh mal an. Die Penner von heute Morgen.“

Die Freunde zuckten zusammen und fuhren herum. In der Tür zum Treppenhaus lehnte Tayuya. Hinter ihr meinte Shikamaru, noch mindestens einen Schatten zu sehen.

„Was macht ihr denn hier?“, rief Naruto.

„Könnten wir euch auch fragen.“ Ein weißhaariger Kerl, den sie noch nicht kannten, schob sich an Tayuya vorbei.

„Das geht euch einen feuchten Dreck an, wenn wir ehrlich sein sollen“, meinte Ino.

„Und wir sollen es euch verraten?“, gab er zurück.

„Es geht um eine Ehrensache“, sagte Tayuya freimütig. „Oder so was in der Art. Eigentlich ist es mir ja scheißegal, aber wenn wir eine Corridor-Skating-Herausforderung erhalten und kneifen, sind wir bei allen anderen Gangs unten durch. Sagt bloß, ihr seid unsere Gegner.“

Die Freunde sahen sich verwundert an. „Darüber wissen wir nichts“, sagte Neji. „Uns hat man auch quasi … eingeladen. Aber nicht zum Skaten.“ Was immer Corridor-Skating überhaupt war. Aber Shikamaru hatte eine vage Vorstellung.

„Jedenfalls sitzen wir hier fest“, ließ Shino vernehmen. „Warum? Weil das Stahlgitter heruntergefahren wurde.“

„Es muss hier irgendwo einen Raum geben, von wo aus man das Gitter steuern kann“, meinte Sasuke und klang dabei genervt. „Das ist nichts als ein dämliches Spiel. Lasst ihn uns suchen.“

„Ohne Strom bringt uns das gar nichts“, sagte Temari.

„Vielleicht kann man auch den Strom dort wieder einschalten. Irgendetwas müssen wir ja tun.“

„Ihr wisst nicht zufällig was darüber?“, fragte Ino Tayuya scharf. Diese zuckte nur mit den Achseln und verzog das Gesicht.

Man sah vielen an, dass sie die Mitglieder dieser zweifelhaften Gang – bisher hatten sich nur Tayuya und dieser weißhaarige Typ gezeigt – gern links liegen gelassen hätten, aber die Luft zwischen ihnen lud sich förmlich mit Misstrauen auf. Sie waren auch hier – an dem Ort, an den Sakuras Entführer sie bestellt hatten.

 
 

(0:15 Uhr)

Der Steuerungsraum war nicht schwer zu finden. In den Gängen nahe der Garage, die immer noch unter Tage im Dunkeln lagen und in denen sie sich mit ihren Handys den Weg leuchten mussten, gab es eine Tür mit der Aufschrift Staff only. Dahinter lag ein kleiner Raum, in dem wohl ursprünglich ein Pförtner das Kommen und Gehen der Gäste in der Tiefgarage überwachen sollte. Und dieser Raum wiederum lag in einem zertrümmerten Chaos.

Alle Bildschirme waren schwarz und zersplittert, die Stecker, soweit man sie mit freier Hand erreichen konnte, herausgezogen, die zwei Bedienpulte regelrecht zerhackt – womit, war einfach auszumachen. Eine rot bemalte Feuerwehraxt steckte noch zwischen den Knöpfen und Schaltern. Draußen auf dem Gang hatte die Gruppe bereits den kleinen Kasten entdeckt, der einen Feuerlöscher enthielt und zwei simple Nägel, auf denen die Axt einst gehängt sein musste.

Ein kleines Gerät hockte in einem Winkel des Raumes wie eine graue Warze. Vermutlich war es eine Art Notfallgenerator gewesen. Er war genauso zerstört wie alles andere, aber er war noch warm. Von hier waren das Garagentor, die Lampen und die Instrumente wohl kurzfristig mit Strom versorgt worden.

Tenten versuchte, irgendetwas in dem Raum wieder zum Laufen zu bringen, aber vergeblich. Sie meinte sogar zu erkennen, welcher Schalter das Stahlgitter steuerte, aber er war genauso tot wie alles andere auch. Schulterzuckend sah sie in die Runde. „Und jetzt?“

„Wer immer uns hierher gelockt hat, er hat das Tor runtergelassen und den Raum zerstört“, kombinierte Neji. „Wir waren die ganze Zeit über zusammen. Allerdings können wir nicht ausschließen, dass einer von euch dahintersteckt.“ Er wandte sich an Tayuya und ihren Kumpan, der sich als Kimimaro vorgestellt hatte.

Tayuya schnaubte und stemmte die Hände in die Hüfte. „Schwachsinn. Ja, wir haben uns aufgeteilt, um uns hier umzusehen. Aber warum sollten wir so was Beknacktes tun? Wir haben selbst keine Lust, hier drin zu versauern. Die Typen, die uns die Herausforderung geschrieben haben, werden das getan haben. Idioten.“

„Wisst ihr, wer sie sind?“, fragte Tenten.

„Keinen Schimmer. Heute Nachmittag war auf unserem Skater-Platz ein Plakat an die Wand genagelt, da stand’s drauf. Die Feiglinge haben uns nicht mal persönlich herausgefordert. Unterschrieben war der Wisch mit The Wolves.“

Die Freunde sahen einander zweifelnd an. „Jedenfalls sollten wir versuchen herauszufinden, was man von uns will. Und wo Sakura ist“, beschloss Ino. „Seid ihr Typen schon lange hier? Und nur ihr zwei?“

„Boah, könnt ihr die Aushorcherei mal sein lassen? Ist ja echt nervig.“ Tayuya rollte mit den Augen.

„Seit fünfundzwanzig Minuten etwa“, zeigte sich Kimimaro kooperativer. „Und Jiroubou und Sakon sind auch hier.“

Als hätten diese Worte ihn beschworen, tauchte Jiroubous massige Gestalt hinter ihnen in dem finsteren Gang auf. Sein Gesicht wirkte unheimlich im Licht ihrer Handy-Taschenlampen. „Da seid ihr“, brummte er. „Ich hab was gefunden. Im Erdgeschoss im Treppenhaus ist noch so ein Pfeil.“ Tentens Gruppe bedachte er nur mit einem abschätzigen Blick aus seinen kleinen Schweinsäuglein.

 

„Also dann, seid ihr alle bereit?“

 
 

(0:25 Uhr)

Am unteren Rand des ausladenden, kahlen und noch irgendwie neu riechenden Treppenhauses hockte im Schein einer Taschenlampe eine weitere Gestalt. Das musste dieser Sakon sein, den Kimimaro erwähnt hatte. Er sah furchtbar aus, mehr tot als lebendig. Mit halb geschlossenen Augen lehnte er gegen die Wand, sein Atem ging flach und schnell. „Was ist denn mit dem passiert?“, platzte es aus Kiba heraus.

„Das geht dich einen Scheißdreck an“, fauchte Tayuya.

„Wäre es nicht zu gefährlich gewesen, ihn alleine zurückzulassen, hätten wir ihn gar nicht mitgenommen“, erklärte Kimimaro. Er wirkte wie der umgänglichste der Gang. Tenten sah kurz aus, als wollte sie etwas sagen, aber dann schwieg sie doch. Shikamaru warf ihr einen nachdenklichen Blick zu, als sie alle Jiroubou nach oben folgten. Die Stufen waren kalkweiß und hoch. Dann riss der Schein der Lampen einen weiteren roten Pfeil aus der Dunkelheit, der auf die Flügeltür zum Erdgeschoss führte. Wenn sie den Pfeilen immer weiter folgten, worauf würden sie stoßen? Shikamaru hatte irgendwie gar keine Lust, es herauszufinden.

Zwei Sekunden später wünschte er sich, dass es so einfach gewesen wäre. Aus der Düsternis schälte sich plötzlich ein zweiter Pfeil, der weiter die Treppe hochzeigte. Und als Naruto die Flügeltür aufstieß, fanden sie sich in der ausladenden Lobby wieder, von der drei Gänge abzweigten. Nirgendwo war mehr ein Hinweis zu sehen, wohin sie gehen sollten.

„Leuchtet nochmal“, drängte Ino. „Da muss einfach irgendwo ein Pfeil sein!“

„Da ist keiner“, beteuerte Chouji. „Außerdem, wieso sollen wir jetzt in zwei Richtungen gehen? Die wollen uns eindeutig verwirren!“

„Nicht nur das“, sagte Shikamaru. „Sie wollen, dass wir uns aufteilen.“

„Kommt nicht infrage“, sagte Ino  sofort. „Nach deren Pfeife zu tanzen ist das Letzte, was wir wollen.“

„Wir müssen nach ihrer Pfeife tanzen, wenn wir Sakura wiedersehen wollen“, erwiderte Kankurou. Er sah sich stirnrunzelnd um. „Und vielleicht sollten wir nicht mehr allzu viel Zeit verlieren. Wer weiß, was die Typen mit Sakura anstellen.“

Die Worte hingen wie eine unheilvolle Wolke über ihnen, drückend und schwer.

„Okay“, stieß Naruto die Luft aus. „Ist mir egal, wie viele Typen das sind. Ich sage, wir teilen uns auf und suchen nach Sakura, sofort!“

„Es sollte auf keinen Fall jemand alleine gehen …“, begann Shikamaru, doch Sasuke setzte sich schon stumm in Bewegung. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und blickte nicht mehr zurück, sondern steuerte den schmalen Gang im Eingangsbereich an, der nah an der Fensterfront in Sternenlicht getaucht war.

Naruto stöhnte auf. „Dieser … Ich geh mit ihm.“ Er hastete hinter Sasuke her.

Die anderen teilten sich ebenfalls in kleine Gruppen auf. Tayuyas Gang zog es vor, im Kellergeschoss zu bleiben – dort kannten sie sich aus und sie hätten mit Sakura nichts zu tun, wie der Rotschopf betonte.

 

Kakashi zog sich über die letzte Sprosse der Leiter. Er hatte sie eigentlich nur zur Sicherheit mitgenommen, und es war wohl pures Glück, dass in diesem Fenster eine Scheibe fehlte. Vielleicht war sie irgendwann mal zu Bruch gegangen, oder sie war einfach nur beschädigt und dann herausgenommen worden, ohne dass sie jemals jemand gänzlich ausgetauscht hatte.

Naruto hatte ihm von Sakuras Verschwinden erzählt. Er hatte sehr gefasst geklungen, aber vielleicht war das nur eine Fassade vor seiner Besorgnis gewesen. Wenn es um seine Freunde ging, konnte er sehr pflichtbewusst sein. Mit keinem Wort hatte er um Hilfe gebeten, sondern Kakashi nur im Vertrauen erzählt, wohin sie unterwegs waren. Normalerweise hätte Kakashi es respektiert, dass Naruto keine weitere Unterstützung wollte. Aber diese Sache war ein wenig zwiespältig. Er würde kein Aufsehen erregen, aber es gab etwas, das er im NeoMetropolis tun musste.

Kakashi stieg vorsichtig durch das Fenster, und ein dunkler Gang im zweiten Stock des Hotels nahm ihn auf.

 

Asuma hatte das Hotel im Schutz der Dunkelheit umrundet. Er war komplett schwarz gekleidet – da es hier nirgendwo Licht gab, war es unwahrscheinlich, dass man ihn sah. Shikamaru hatten ihn gebeten, sich nicht einzumischen. Dennoch war er hier und versuchte ins NeoMetropolis zu gelangen.

Was sich als schwieriger erwies als gedacht.

Auch das Innere des Hotels lag im Dunkeln. Die Eingangstür war natürlich verschlossen, der Lieferanten- und der Bediensteteneingang ebenso. Asuma wollte auch keinen Lärm machen, und er hätte weder die Türen noch die Fenster einfach so aufbrechen können. Sie sahen nicht nur hochmodern gedämmt und stabil aus, das Glas war fast schon so fest wie Panzerglas. Die Gruppe, die das Hotel in die Höhe gezogen hatte, war sich der zweifelhaften Gegend bewusst gewesen, in der es stehen würde. Im Erdgeschoss kam man so einfach nicht hinein.

Blieben nur die oberen Stockwerke.

Als er wieder dort war, wo er seine Runde begonnen hatte, erstarrte er und versteckte sich hinter den kargen Büschen, die die schmale Erdfläche um das Hotel herum zieren sollten. Jemand war hier gewesen. Ganz eindeutig: Eine dreiteilige, ausfahrbare Aluminiumleiter war so an die Wand gelehnt, dass man damit gerade so ein Fensterloch im zweiten Stock erreichen konnte. Jemand schien eine ähnliche Idee wie er gehabt zu haben.

Vorsichtig, aber flink kletterte Asuma hoch. Ehe er in das Hotel stieg, lauschte er. Niemand war zu hören. Auch auf einen Lichterschein wartete er vergeblich. Also zog er sich seine dunkle Wollmütze noch einmal zurecht und stieg in das Gebäude ein.

 

Der Schlüssel ließ sich mit einem schweren Klicken umdrehen, und dann war der Bediensteteneingang offen. Toto schloss die Tür hinter sich wieder und sperrte ab. Minutenlang harrte er in der Dunkelheit aus. Irgendetwas Großes würde heute Nacht hier stattfinden, das spürte er. Polizeiwachtmeister Toto war schließlich nicht auf den Kopf gefallen. Er hatte die Bande, die heute Morgen als Zeugen ausgesagt hatte, ausfindig gemacht. Man konnte ihnen etliche kleine Straftaten anlasten. Selbstverständlich hatten sie, was Adressen und dergleichen anging, gelogen, aber das hatte er erwartet. Toto war schließlich nicht dumm.

Strolche wie sie ließ man am besten nicht aus den Augen – und sein Instinkt hatte ihn nicht betrogen. Denn als er sie gegen Abend erwischt und auf dem Weg zu einem eingezäunten Skater-Park im Hinteren Bezirk beschattet hatte, schienen sie wegen irgendetwas aufgeregt gewesen zu sein. Und in der Nacht hatten sie sich wieder getroffen und waren dann hierher gefahren. Ausgerechnet in dieses Geisterhotel.

Toto wusste, dass sie hier ein krummes Ding drehen würden. Er kannte den Abschaum aus seinem Bezirk zur Genüge. Man konnte solcher Leute nur schwer habhaft werden. Es kam gar nicht erst zu Beweismittelfälschung oder irgendwelchen Tricks vor Gericht. Sie büxten einfach aus, wenn man sie stellen wollte, und tauchten in den wirbelnden Schatten des Hinteren Bezirks unter. Aber hier würden sie nicht so einfach rauskommen. Er würde ihre Machenschaften überführen, worin auch immer diese bestanden, und er würde sie ganz allein verhaften, wenn es sein muss. Dann würde er knapp vor seiner Pensionierung noch eine Glanzleistung vollbracht haben.

Sein Funkgerät hatte er in seinem Eifer vergessen, und das im Auto brachte ihm hier nichts, aber er hatte zur Not noch sein Handy mit den Nummern seiner Kollegen. Ein klobiges altes Ding mit richtigen Tasten, keines dieser komischen Smartphones. Ja, das würde genügen. Es waren ja nur ein paar jugendliche Rabauken, mit denen er es zu tun hatte.

 

 „Irgendwas Interessantes gefunden?“, fragte Deidara, als sie sich vor der Hotel-Lounge wieder trafen.

„Nichts“, meinte Sasori. „Aber ich habe Autoscheinwerfer gesehen. Scheint, die anderen sind auch hier.“

„Dieses verdammte Hotel hat echt noch nie so viele Gäste gehabt wie heute, hm.“ Deidara trat unwillig gegen die Wand und fuhr sich dann durch sein langes Haar. „Naja, ich schätze, alle, die im La Grande waren trifft wirklich auf ziemlich viele Leute zu.“

Sasori nickte. „Und das bedeutet, wir werden früher oder später wieder auf die vorlaute Bande von heute Morgen treffen.“

 

„Ich danke für eure Zusammenarbeit. Es ging diese Nacht wirklich flott.“ Man hörte deutlich Sphinx‘ Lächeln. „Jetzt erwacht und seht nach, was in der letzten Nacht so alles geschehen ist.“

Misere


 

~ 21 ~

 
 

- Der Hintere Bezirk, zweiter Tag -

 
 

(0:50 Uhr)

Jetzt warte doch endlich mal! Die Kerle können sich hier überall verstecken!“, rief Naruto entnervt, als Sasuke Tür um Tür aufriss. Links von ihnen schien Mondlicht in den schmalen Flur, rechts befanden sich allerlei Räume für den Hotelbetrieb – Putzkammern, in denen sogar noch Besen an den leeren Regalen lehnten, ein Abstellraum mit alten Farbkübeln, Reinigungsmitteln und verstaubten Planen, ein vollkommen leeres, verstaubtes Zimmer, eine Art Waschraum mit allerlei Anschlüssen, die ins Nichts führten, ein Lager mit Regalen, in denen laut Aufschrift Bettbezüge und dergleichen aufbewahrt werden sollten.

„Umso besser, wenn wir sie überraschen“, knurrte Sasuke. „Also schrei hier nicht so rum. Je eher wir Sakura zurückhaben, desto eher können wir wieder verschwinden.“ Er steuerte die letzte Tür an, an der, wie schon auf den anderen in diesem Flur, ein verrostetes Schildchen mit der Aufschrift Private prangte.

„Weil du ja so unfassbar Wichtiges zu tun hast“, spottete Naruto.

„Allerdings“, sagte Sasuke finster. „Und jetzt halt den Rand.“

Naruto atmete tief aus. Plötzlich tat ihm sein eigener Ärger leid. „Ich … hab’s nicht so gemeint. Kakashi hat mir das mit deinem Bruder erzählt. Wenn ich …“

„Diese Tratschtante“, knurrte Sasuke. „Wenn du anfängst mich zu bemitleiden, verprügel ich dich.“

„Boah, jetzt reiß dich mal am Riemen! Du hast jemanden aus deiner Familie verloren, verdammt, also … Ich wollte nur sagen, wenn du drüber reden willst …“

„Will ich nicht. Komm jetzt.“ Sasuke öffnete die Tür. Dahinter saß Sakura.

 

Shikamaru und Chouji nahmen die Restaurantküche im Erdgeschoss unter die Lupe, als der Schrei durch die Stille brach. Shikamaru fuhr so heftig herum, dass er sich das Knie an der Anrichte stieß. Fluchend humpelte er hinter Chouji her, der sofort aus der Küche rannte, das Restaurant durchquerte und über den kurzen Flur die Lobby erreichte.

„Chouji! Shikamaru!“ Aus dem Gang, der dem Treppenhaus gegenüber lag, polterten Schritte. Flackernder Smartphone-Lichtschein ließ die Silhouetten von Kiba, Shino und Hinata erkennen.

In der Mitte der schwarzweiß gemusterten Fliesen der gähnend leeren Lobby trafen sie sich. „Was ist los?“, fragte Kiba. „Habt ihr gerade geschrien?“

Shikamaru rieb sein schmerzendes Knie und schüttelte den Kopf. „Es klang eher nach Naruto.“

„Verdammt!“ Kiba wirbelte herum und rannte zum Eingangsbereich. Naruto und Sasuke waren dem kleinen Flur dort gefolgt. Die anderen liefen hinterher.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Shino im Laufen, als er Shikamarus Hinken bemerkte.

„Geht schon. Mir war nur was im Weg“, presste Shikamaru durch zusammengebissene Zähne.

Sie erreichten den Flur und stürmten hinein, vorbei an aufgerissenen Türen. Nun hörte man gut Narutos gutturales Stöhnen. Shikamaru erwartete das Schlimmste.

Als sie den Raum ganz am Ende des Flurs erreichten, stand Naruto in der Tür und bearbeitete den Türrahmen mit den Fäusten. Im Lichtschein der Smartphones glitzerten Tränen auf seinen Wangen.

Kiba und Hinata riefen beinahe gleichzeitig seinen Namen – und stießen ihn dann zur Seite, als sie einen Blick in den Raum erhaschten.

Es war eine Art winziger Umkleideraum für Angestellte, so viel verrieten die blassblauen Spinde, die ihn ausfüllten. Davor waren schmale, metallene Bänke angebracht. Und auf einer dieser Bänke saß, halb in einen Spind gelehnt wie in einen weichen Sessel, Sakura. Der Schein der Smartphones verlieh ihrem Gesicht eine grausige Blässe, die blutleeren Lippen waren halb geöffnet, und ihre Augen starrten dumpf ins Leere.

 

„Das Opfer heute Nacht ist die gute Sakura!“, verkündete Sphinx. „Diesmal scheinst du nicht so lange überlebt zu haben, meine Liebe.“

 

Wieder und wieder drosch Naruto auf das lackierte Holz des Türrahmens ein. „Verdammt“, presste er hervor. „Verdammt, verdammt, verdammt! Warum waren wir nicht schneller?“

Dabei hätte das wohl keinen Unterschied gemacht. So wie Sakura aussah, war sie nicht erst seit gerade eben tot. Shikamaru erschrak bei diesem Gedanken. Wie kaltblütig konnte er eigentlich sein? Er hatte wohl Glück gehabt, dass er es bisher nicht herausfinden musste.

Kiba stieß ein Ächzen aus, als er ihre tote Freundin sah. Etwas weiter im Umkleideraum stand Sasuke mit undefinierbarer Miene. Er wirkte ruhig, aber seine Finger versuchten vergeblich, mit seinem Feuerzeug eine Zigarette anzuzünden. Irgendwann schnalzte er mit der Zunge und warf den Glimmstängel einfach auf den Boden. Bei Sasuke war das vermutlich als Zeichen äußerster Nervosität zu werten.

„Scheiße nochmal, diese Wichser haben uns gelinkt!“, schrie Kiba seine Wut heraus und trat gegen einen Spind. Eine faustgroße Delle blieb darin zurück. „Wir haben doch getan, was sie wollten, verdammt!“

„Das ist nicht Sakura“, brachte Naruto plötzlich über die Lippen. Er starrte mit brennendem Blick die Wand an. „Seht sie euch an! Das kann unmöglich unsere Sakura sein!“

„Naruto …“, murmelte Hinata und griff zaghaft nach seinem Hemdärmel.

„Chouji, Shino“, sagte Shikamaru tonlos. „Seid so gut und holt die anderen. Die Mädchen müssten uns eigentlich gehört haben, aber die anderen im ersten Stock …“ Haben Narutos Schrei wahrscheinlich nicht mitbekommen. Er brachte es aus irgendeinem Grund nicht über sich, es auszusprechen.

„Wird gemacht“, sagte Chouji. Shino nickte stumm. Die beiden rauschten ab.

Shikamaru sah ihnen stirnrunzelnd nach. Richtig, die Mädchen. Ino, Tenten und Temari hatten den Bereich hinter der Hotelbar unter die Lupe nehmen wollen, im hintersten Bereich der Lobby. Die Bar lag schräg hinter dem Empfangstresen und grenzte an das Restaurant an. Eigentlich hätten sie gleich schnell hier sein müssen wie Chouji und Shikamaru …

Shikamaru fühlte, dass die Luft hier drin so stickig war wie in einer Gruft. Er wäre am liebsten mit Chouji und Shino in den ersten Stock gelaufen, aber er wollte seine Freunde hier nicht alleine lassen. Sasuke hielt immer noch sein Feuerzeug in der Hand und starrte Sakuras Leiche an. Naruto war etwas ruhiger geworden. Hinata hatte ihn mit tränenüberströmtem Gesicht in die Arme geschlossen und nun klammerten sich die beiden aneinander. Aus ihren Augen tropfte purer Schmerz.

Keine halbe Minute verging, als schnelle Schritte erklangen. Die Mädchen waren wohl endlich da.

Doch bei der Tür herein platzten weder Ino noch Tenten oder Temari, sondern eine große, ganz in schwarz gekleidete Gestalt, die man allein an ihrer Frisur erkannte.

„Kakashi?“, fragte Shikamaru ungläubig. „Was …“

„Ich habe Chouji und Shino in der Lobby getroffen“, sagte Kakashi schnell, wie um damit lästige Fragen abzuwimmeln. Sofort wandte er sich Sakura zu und kniete vor ihr. „Du meine Güte“, murmelte er.

„Hä? Was geht hier ab? Was machen Sie hier?“, schnauzte Kiba ihn an.

„Alles zu seiner Zeit.“ Kakashi ging sogar so weit, bei Sakura nach einem Puls zu fühlen, aber es wirkte eher wie Routine. Er wirkte nicht allzu überrascht, aber immerhin hatte er schon mit den anderen gesprochen.

„Natürlich“, murmelte plötzlich Naruto und löste sich wie schlafwandlerisch von Hinata. „Das ist es … Sie waren es … Sie sind schuld!“, spie er Kakashi plötzlich entgegen.

Shikamaru hielt den Atem an. Betont langsam stand Kakashi auf und drehte sich um. „Naruto“, sagte er streng, wie in alten Zeiten. Sein Gesicht war bis zur Nase verhüllt und seine Augen verrieten keine Gefühlsregung, aber seine Stimme sprach Bände. „Fang nicht damit an, hier einfach Leute anzuschuldigen.“

„Natürlich sind Sie schuld!“, rief er. „Ich habe es Ihnen gesagt! Die Entführer wollten keine Polizei!“

„Ich bin nicht polizeilich hier.“

„Und woher sollen die das wissen?“, schrie Naruto und fuchtelte fahrig vor Kakashis Gesicht herum. „Sie haben versprochen, sich nicht einzumischen! Und trotzdem sind Sie hier! Die haben bemerkt, dass Sie uns gefolgt sind, und deswegen haben sie Sakura umgebracht! Wären Sie einfach zuhause geblieben, wäre sie jetzt noch am Leben! Sie …“

„Naruto!“ Kakashis Stimme schnitt wie ein scharfes Messer durch Narutos Worte. „Ich verstehe, dass du ein Ventil für deine Wut brauchst. Aber es liegt nicht an mir. Sakura ist schon lange tot.“

„Das …“ Naruto ballte hilflos die Fäuste. „Das ist nicht wahr …“

„Können Sie …“ Shikamarus Mund war trocken. „Können Sie auch sagen, wie lange es … her ist?“

Kakashi blickte wieder zu ihrer toten Freundin. „Ich bin kein Arzt oder Gerichtsdiener. Aber aus Erfahrung würde ich sagen, mehrere Stunden. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie noch lange gelebt hat, nachdem sie entführt worden ist. Es tut mir leid“, fügte er leise hinzu und klang selbst traurig.

Kiba sank seufzend auf eine der Bänke, als hätte ihn plötzlich alle Kraft verlassen. Naruto schluchzte wieder und sah dabei zu Boden, Hinata weinte stumm, und Sasuke entzündete nun doch mit einem scharfen Schnippen eine Zigarette und rauchte mit mechanischen Bewegungen.

Shikamaru wagte es endlich, Sakura näher zu betrachten. Kakashi hatte recht, man musste sie nicht erst berühren, um zu wissen, dass ihr Körper längst kalt war. Am Hals hatte sie schreckliche Würgemale, als hätte jemand sie mit etwas Dünnem, Scharfem erdrosselt, möglicherweise einer Plastikschnur. Der Verdacht lag nahe, da ihre Hände und Füße mit ähnlichen Schnüren gefesselt waren. Der Mörder hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu befreien, sondern einfach so auf die Bank gesetzt und ihren Oberkörper in den leeren Spind gedrückt … Plötzlich fühlte sich Shikamaru, als müsste er sich übergeben.

Da ertönte draußen in der Lobby ein Poltern und eine laute Stimme. Hinata, Kiba und Shikamaru zuckten zusammen, Kakashi wandte den Kopf und griff an seinen Gürtel, die anderen zollten dem Geräusch gar keine Achtung.

„Ruhe jetzt! Noch eine falsche Bewegung, und es setzt was!“, keifte eine Stimme. Hatte Shikamaru sie schon einmal gehört? Zu seinen Freunden gehörte sie nicht.

In der kleinen Umkleidekammer verhielten sich alle mucksmäuschenstill. Vermutlich sah man den Schein ihrer Smartphones bis in die Lobby, aber keiner machte sich die Mühe, seines auszuschalten.

„Du da, schneller!“ Die Stimme klang nun näher.

„Scheiße nochmal, er ist halbtot, du Arschloch!“ Das war nun eindeutig Tayuyas Stimme.

„Ruhe! Bleib wo du bist, sonst schieße ich!“

„Wartet hier“, murmelte Kakashi leise, zog eine kleine, schwarze Pistole aus seinem Gürtel und schlich auf Zehenspitzen zur Tür.

Da fuhr plötzlich Naruto auf dem Absatz herum und stürmte als Erstes los.

„Naruto!“, zischte Kakashi ihm halblaut hinterher, ehe auch er loslief. Shikamaru warf einen kurzen Blick in die Runde, dann folgte er ihnen.

 

Die Straßengang war aus dem Keller gekommen und stand nun mitten in der Lobby. Sie wurden von hinten von einer starken Taschenlampe beleuchtet, aber Naruto dachte nicht weiter darüber nach. Kochende Wut brandete in ihm hoch, als er sie sah.

„Ihr“, knurrte er, die Fäuste geballt. Seine Beine holten noch einmal weiter aus. „Ihr! Ihr habt Sakura umgebracht!“ Es konnte sonst niemand gewesen sein. Die Gang war vor ihnen in diesem Hotel gewesen. Sie hatten Sakura getötet und spielten jetzt die Ahnungslosen!

„Verflucht, was ist das hier eigentlich für ein Irrenhaus?“, stieß Tayuya hervor.

„Du da, bleib stehen!“, ertönte eine Stimme hinter den Straßenkids. Naruto hörte nicht. „Stehen bleiben, sag ich!“ Naruto trat auf den dicken Jiroubou zu, der ihm am nächsten war, holte mit der Faust aus – ein Knall, etwas flog so knapp an seinem linken Ohr vorbei, dass er den scharfen Luftzug spürte.

Ein Schuss! Das war ein Schuss! Vor Schreck erstarrte er zur Salzsäule.

„Naruto!“, rief Kakashi hinter ihm.

„Zurück! Nach links, an die Wand, los!“, rief die aufgeregte Stimme. Jemand, der eine Taschenlampe trug … Sein Gesicht war im Dunkeln, aber Naruto meinte, ein metallisches Funkeln in seiner Faust zu erkennen, das nur eine Pistole sein konnte. Jetzt erst sah Naruto, dass die drei Straßengang-Mitglieder die Hände im Nacken verschränkt hatten.

„Runter mit der Waffe!“, rief die Stimme wieder.

Erst war Naruto verwirrt, dann sah er Kakashi, der langsam seine kleine, schwarze Pistole sinken ließ. „Und Sie?“, fragte er ruhig. „Sind Sie zufällig berechtigt, eine Pistole zu tragen?“

„Allerdings! Alle da an die Wand, und keine Mätzchen!“

„Mätzchen“, schnaubte Kakashi leise. „Was für ein altmodisches Wort. Komm, Naruto. Mach keine Dummheiten.“

Naruto folgte ihm zur Wand. Auch Shikamaru, Kiba und Hinata, die kreidebleich war, gesellten sich zu ihnen. Der Mann herrschte die drei Straßenkids an, sich auch dorthin zu stellen – Moment, drei? Wo war Kimimaro?

„Wären Sie wohl so freundlich und erklären sich uns?“, fragte Kakashi, die Hände brav erhoben.

„Und warum sollte er das tun?“, fragte Tayuya schnippisch.

„Weil er uns längst erschossen hätte, wäre er der Mörder“, sagte Kakashi so laut, dass auch der andere ihn hörte.

„Mörder?“, stieß er aus. „Was erlaubst du dir … Ich hab hier einen Schrei gehört, deshalb …“

„… drückst du uns mal schnell deine Knarre an die Schläfe?“, giftete Tayuya. „Vielen Dank auch, du Psycho!“

„Was ist denn hier los?“

Der Mann wirbelte herum. Tayuya machte Anstalten, die Gunst der Sekunde zu nutzen, aber Shikamaru streckte rasch den Arm aus und versperrte ihr den Weg. Sie funkelte ihn finster an.

Aus der Flügeltür zum Treppenhaus kamen die anderen, Chouji zuvorderst. Ihm folgten Shino, Gaara, Neji, Lee und Temari. Naruto blinzelte. Irgendetwas störte ihn an diesem Anblick … Aber er kam nicht dahinter, was. Angesicht in Angesicht mit einer Pistole zu sein überschwemmte seine Nerven mit Angst, obwohl gerade eben so etwas Schreckliches passiert war. Vielleicht war es auch ganz gut so, dann konnte er es aufschieben, sich der Trauer zu stellen …

„Ihr da! Sofort zu den anderen!“, rief der Mann und wurde allmählich heiser „Wer hat geschrien?“

„I-ich“, murmelte Naruto.

Taschenlampe und Waffe ruckten wieder herum, ehe die anderen noch wirklich die Lobby betreten hatten. „Was? Aber bist du nicht der Angreifer?“

„So eine Schnapsidee.“ Sasukes Stimme von der anderen Richtung brachte den Mann endgültig aus dem Konzept. Er keuchte auf und versuchte irgendwie, alle drei Gruppen gleichzeitig im Auge zu behalten. Sasuke blieb cool und zog an seiner Zigarette, aber in seiner Stimme lag eine eisige Härte. „Eben habe ich eine tote Freundin gefunden. Und jetzt bedroht ein Kerl mit einer Waffe meine anderen Freunde. Zeigst du dich uns also endlich?“

„Was? Nein, ihr … Wo ist eine … Tote?“ Der Fremde klang plötzlich ganz kleinlaut.

Kakashi wagte es, langsam seine Hände zu senken. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns zu sagen, wer Sie sind? Ich habe das Gefühl, wir kommen so nicht weiter. Mein Name ist Kakashi Hatake. Kriminalpolizei.“

„Krimi…nalpolizei?“ Der andere ließ kurz die Waffe sinken, dann riss er sie wieder hoch. „Ich will Ihren Ausweis sehen!“

„Den habe ich nicht dabei.“

„Das kann jeder sagen!“

„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

„Darfst du nicht! Hände wieder nach oben! Du da, mit der Zigarette, zu den anderen! Und keine Mätzchen!“

Sasuke maß ihn mit einem Blick, der ein Kaminfeuer hätte einfrieren lassen können, gehorchte aber. Der Fremde fuchtelte noch einmal mit der Pistole herum, dann ging er eilends in den Flur, in dem sie Sakura gefunden hatten. Naruto passte es nicht, dass er ihre Leiche sehen würde, aber als er ihm folgen wollte, hielt ihn Shikamaru zurück wie schon zuvor Tayuya. Gegen das Mondlicht konnte Naruto endlich mehr von dem Bewaffneten erkennen.

Täusche er sich, oder trug er eine Uniform? Etwa eine Polizeiuniform? Und dazu hatte er eine Sturmmaske aufgesetzt – spielte er nun den Bullen oder den Einbrecher? Der Kerl war seltsam.

„Leute, ist alles in Ordnung?“ Neji und die anderen liefen zu ihnen.

„Du meinst, außer dass Sakura tot ist?“, fragte Kiba bitter. Die anderen starrten ihn an, aber Chouji und Shino mussten es ihnen schon erzählt haben.

„Es ist doch ein Scherz, oder? Bitte, es muss ein Scherz sein.“ Lee wirkte extrem gefasst, aber seine Augen schwammen in Tränen. Die anderen wichen seinem hoffnungsvollen Blick aus.

„Wie jetzt, die Schlampe hat den Löffel abgegeben?“, fragte Tayuya ätzend.

Ihr rotes Haar flog in alle Richtungen, als Narutos Faust sie gegen die Wange traf. Tayuya wurde ächzend gegen Jiroubou geschleudert, dessen massiger Körper sie weich auffing.

„Du verdammter Arsch!“, fluchte sie.

„Pass gefälligst auf, wie du über sie redest“, sagte Naruto gefährlich leise. Für einen Moment war seine Wut unerträglich heiß gewesen. Es können nur diese Typen gewesen sein, niemand sonst!

Tayuya machte sich fuchtig von Jiroubou los, hielt sich die Backe und starrte Naruto an, als könnte sie ihn mit Blicken töten. In dem Moment kam der Polizist zurück. „Wer … wer von euch war das?“, rief er.

„Das wüssten wir allerdings auch gern.“ Sasuke warf seine Zigarette zu Boden. Glimmende Funken erstarben unter seiner Schuhsohle. „Derjenige, der mit seiner Waffe auf andere zeigt, scheint mir am verdächtigsten.“

Der Mann zögerte kurz, dann sicherte er endlich seine Pistole und steckte sie in seinen Gürtel. Er zog die Sturmhaube vom Kopf. Es war zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen, aber Naruto hatte plötzlich einen Verdacht, wer es sein könnte. Der Mann bestätigte ihn. „Wir haben uns heute schon einmal gesehen. Ich bin Mashiro Toto. Ich habe diese Kerle da verfolgt, als sie hierher gefahren sind.“ Er deutete auf Tayuya und ihre Gang. „Ich bin übrigens Polizist im Hinteren Bezirk, vereinfacht gesagt“, fügte er für Kakashi hinzu.

Dieser nickte. „Dann scheinen wir Kollegen zu sein. Diese jungen Leute hier waren nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Schicken wir sie nachhause und rufen wir stattdessen die Spurensicherung.“

„Von wegen.“ Naruto trat mit zusammengebissenen Zähnen vor. „Wir waren eben nicht alle zur falschen Zeit am falschen Ort! Die da waren vor uns hier, sie haben Sakura auf dem Gewissen!“

„Wir waren’s aber nicht, du Vollpfosten!“, fauchte Tayuya.

„Das stimmt. Wir waren im Kellergeschoss, seit wir hergekommen sind“, bestätigte Jiroubou.

„Uns hat jemand herausgefordert“, fügte Sakon nuschelnd hinzu, der Schwierigkeiten hatte, sich auf den Beinen zu halten. Er wirkte nicht, als wäre er ganz klar im Kopf.

„Lüge!“, rief Naruto.

„Naruto, es reicht“, sagte Kakashi scharf.

„Da fällt mir ein, wo ist denn der Vierte, der bei euch war?“, fragte Kiba.

„Sucht ihn doch! Vermutlich seilt er gerade irgendwo einen ab“, erwiderte Tayuya.

„Verdächtig genug“, meinte Sasuke.

„Und wo sind eure Freunde?“, fragte Jiroubou. „Ihr wart auch mehr, als wir uns im Keller getroffen haben.“

„Richtig.“ Tayuya stemmte die Hände in die Hüften. „Waren da nicht noch eine oder zwei Tussen?“

 

Shikamaru lief es heißkalt den Rücken runter. Naruto und Kiba wechselten alarmierte Blicke, er und Chouji ebenfalls. Es war in der Tat merkwürdig … Sie müssten doch in diesem Stockwerk sein, gar nicht so weit entfernt. Es war unmöglich, dass sie den Radau nicht gehört hatten. Oder waren sie so klug gewesen, sich zu verstecken? Und überhaupt – warum war Temari mit Chouji und Shino aus dem oberen Stockwerk gekommen? Sie war doch mit Ino und Tenten unterwegs gewesen! Und wo war Kankurou?

„Toto, lassen Sie uns bitte nachsehen gehen, wo sie stecken“, sagte Shino ruhig. „Wenn wir alle wieder versammelt sind, können wir weiterdiskutieren. Warum? Weil wir uns große Sorgen machen.“

„Ja, das … ist okay, denke ich.“ Toto wirkte hilflos. Unter den giftigen Blicken der Straßengang machten sich die Freunde im Laufschritt auf den Weg zur Hotelbar.

 

 „Also, übliche Frage. Wer wird gelyncht?“, eröffnete Tayuya die Diskussion.

„Nur die Ruhe“, sagte Sphinx lächelnd. „Wir dürfen eins nicht vergessen – den Geist. Dieses Mal hat er uns tatsächlich eine Nachricht aus dem Jenseits zukommen lassen. Ein K.

Shikamaru notierte es sich.

„Ich wiederhole mich, aber solltet ihr weiterhin versuchen, es unserem Detektiv leicht zu machen, blase ich das Spiel ab und ihr dürft hier versauern“, erklärte Sphinx freundlich, aber mit gehässigem Unterton.

Sollte diese Aussage Shikamaru in die Irre führen? Er notierte sie sich sicherheitshalber auch, wortwörtlich.

„Übrigens hat die Alte Vettel unsere lieben Asuma verbannt. Du darfst leider an diesem Tag nicht dabei sein – aber sieh es positiv, du kannst auch nicht gelyncht werden.“ Asuma mit seinem unglücklichen Gesichtsausdruck wirkte, als wollte er etwas dazu sagen, schwieg dann aber. Auch das notierte sich Shikamaru, nur um sicherzugehen. Er konnte sich Dinge wie diese für gewöhnlich gut merken, aber sie vor Augen auf Papier zu haben, ließ ihn vielleicht ein paar nützliche Querverbindungen herstellen.

„Sonst noch was?“, fragte Tayuya genervt, als Asuma ins Wartezimmer gegangen war. Sphinx bedeutete ihr mit einer Geste, weiterzumachen. „Also. Wen?“

„Tayuya“, sagte Kiba.

„Kiba“, gab diese zurück.

„Immer mit der Ruhe“, sagte Kakashi. „Gehen wir das wie erwachsene Menschen an.“

„Wozu? Ist doch egal, was wir tun, Hauptsache, der da“, Sakon deutete auf Shikamaru, „haut uns raus.“

„Ich wollte eigentlich Asuma anschuldigen“, merkte Kurenai an und lächelte leicht, „aber das ist jetzt wohl hinfällig.“

„Hat das auch einen Grund?“, fragte Sasuke.

„Keinen bestimmten“, gab sie zu. Vielleicht, weil sie ihn am besten kannte.

„Ich habe Hinata im Verdacht“, brummte Jiroubou.

Sie zuckte zusammen, als er sie ansprach. „M-mich?“

„Ich habe nachts etwas rascheln gehört. Es kam ungefähr aus ihrer Richtung.“

„Das ist doch der dämlichste aller Gründe“, verteidigte sie Naruto.

„Ich … es war nur unangenehm, so lange so zu sitzen, ich …“ Hinata sah zu Boden, als müsste sie sich für irgendetwas schämen.

„Ich bin für Ino“, sagte Tenten.

„Was? Warum ich?“, entrüstete sich diese.

„Weil … Einfach so.“

„Hat irgendwer auch mal den Mumm, bei einer Nominierung mitzugehen?“, fragte Tayuya genervt. „So kommen wir zu nichts.“ Auch Sphinx tippte schon mit seinem Finger gegen seinen Oberarm.

„Dann bin ich für Tenten“, sagte Ino.

„Ich bin für …“, begann Shino, aber Tayuya fiel ihm grinsend ins Wort.

„Ich bin auch für die olle Kuh mit diesen kranken Haarteilen. Abstimmung – jetzt.“

Shikamaru notierte sich all die Beschuldigungen und Aussagen, sofern er schnell genug schreiben konnte. Shino klappte beleidigt den Mund zu.

„Bevor wir nun also abstimmen, lasst uns noch einmal das Dorf betrachten“, sagte Sphinx und entblößte seine Zähne.

 

„Ino! Tenten!“

Nachdem sie ohnehin schon so viel Lärm gemacht hatten, spielte es jetzt keine Rolle mehr. An der Hotelbar, die aus elegant geschwungenem Teak-Holz bestand, waren ihre fehlenden Freunde nicht zu sehen. Einige gepolsterte Sessel standen um kleine Rundtische herum. Der Boden war ein wenig erhöht, ansonsten war die Bar von der übrigen Lobby räumlich nicht getrennt – sie mussten sie gehört haben. Wenn sie wirklich da waren.

Hinter der Bar gab es noch einen kleinen Laden. Hier sollten wohl Touristen und Tagesgäste schmökern und ordentlich Bares dalassen. Der Laden war von einer Plexiglaswand umschlossen, die jedoch einen Spalt offenstand und ganz so aussah, als könnte man sie auch ohne Schlüssel von Hand bewegen. Vielleicht war dort jemand drin gewesen … Wenn Ino und die anderen Sakura in der Bar nicht gefunden hatten, waren sie wohl als Nächstes in diesen Laden gegangen.

Das Geschäft war sogar relativ groß. Es hatte etwa die Maße des Eislaufplatzes in der Innenstadt, auf dem Shikamaru seinen Freunden mal beim Schlittschuhlaufen zugesehen hatte. Regale aus ehemals blitzweißem, nunmehr staubigem Holz bildeten ein wahres Labyrinth und ließen die Verkaufsfläche sicherlich doppelt so groß erscheinen. Sie waren allesamt leer, bis auf Spinnweben und Krabbelgetier, das irgendwie seinen Weg hier rein gefunden hatte. Einige standen schief, aber man konnte über alle drübersehen, wenn man sich auf Zehenspitzen stellte. Genau das tat Kiba, leuchtete mit seinem Handy wie mit einem Suchscheinwerfer und ließ sich dann wieder auf die Sohlen sinken. „Hab keinen gesehen“, seufzte er.

„Tenten! Ino!“, rief Neji erneut.

„Kankurou!“, stimmte Temari ein.

„Hier …“, ertönte plötzlich ganz leise eine hohe Stimme aus dem hintersten Winkel des Ladens. Sofort sprinteten die Freunde los. Lee schob schließlich einfach die Stellagen, die ihnen im Weg waren, zur Seite. Dann hatten sie sie erreicht.

„Ino! Alles in Ordnung?“, rief Chouji.

„Chouji? Bist du das?“

Die vielen Lichtquellen rissen Ino aus der Finsternis. Kein Wunder, dass Kiba sie nicht gesehen hatte, denn sie lag auf dem Boden – und nicht nur sie. Die Freunde blieben wie vom Donner gerührt stehen. Vor ihnen breitete sich ein … Schlachtfeld aus. Ein groteskes Mosaik aus Blut … und den übel zugerichteten Körpern ihrer Freunde.

 

„Und die Dörfler bemerken, dass sie noch nicht alle Toten gefunden haben …“

 

„Tenten!“ Neji stieß Naruto zur Seite. Fast gleichzeitig wurde er von Temari angerempelt, die zu ihrem Bruder lief.

Naruto brauchte eine Weile, bis er all das verarbeiten konnte, was sich seinem Blick bot. Er fühlte sich wie betäubt. Erst Sakura, jetzt Tenten? Und Kankurou? Was wurde das hier? Plötzlich fühlte es sich an, als würde sich der Boden unter ihm drehen, Wellen schlagen wie Wasser, und er würde in den Fluten versinken …

„Das kann doch nicht … Unmöglich …“ Neji sank vor Tentens Leiche in die Knie. Sie sah fürchterlich aus. Ihre Kehle war glänzend rot und nass, immer noch drängte Blut dort ins Freie. Etwas schien ihren Hals durchbohrt zu haben, ungefähr dort, wo der Kehlkopf saß … Ihre Augen waren blutunterlaufen und dunkel umrandet, starrten ins Leere … Von ihren Lippen bis zum Kinn war ihre Haut rot verklebt … Naruto wurde das alles zu viel. Er beugte sich vor und übergab sich. Dabei stützte er sich gegen eine der Holzstellagen, die daraufhin fast umkippte.

„Ich … glaub’s nicht …“ Lee hatte den Unterarm vor die Augen gepresst, um die Tränen zurückzudrängen. „Tenten … Wieso … Wieso … so?

Kiba schrie verzweifelt etwas Zusammenhangloses, als müsste er sich bei irgendeiner Gottheit Gehör verschaffen, die so grausam war, ihnen das anzutun. Temari rief nur einen Schritt weiter wiederholt Kankurous Namen und hatte sich über die zweite leblose Gestalt gebeugt. Gaara stand daneben.

„Es ist so schrecklich …“ Naruto spürte, wie sich Hinata gegen seine Brust warf. Ohne nachzudenken, schloss er die Arme um sie. Das Mädchen zitterte am ganzen Leib. „Diese Wahnsinnigen … Auch noch Tenten … und Kankurou …“

„Das ist doch … Das habe ich doch heute schon einmal gesehen!“ Toto hatte sich nach vorn gedrängt.

„Dasselbe Muster wie bei diesem Hidan“, sagte plötzlich Shino.

Was? Durch einen Tränenschleier blinzelte Naruto noch einmal zu seiner Freundin. Er konnte nicht sagen, ob Sakuras oder Tentens Anblick schlimmer war. Beide waren auf ihre eigene Weise zu grausam, als dass das hier irgendetwas anderes als ein Albtraum sein konnte. Aber Tenten war nicht einfach nur ermordet worden. Sie war hingerichtet worden.

Etwas wie ein Speer steckte in ihrem Leib, knapp unterhalb des Brustbeins … Nein, es war in Wahrheit einer der Winkel aus Eisen, die die Holzregale hielten. Narutos Blick glitt auf die Stellage, an der er sich abgestützt hatte. Eines der Bretter fehlte. Der Winkel war herausgerissen worden … die Mordwaffe stammte von hier!

Shino war neben Tenten in die Hocke gegangen. „Jemand hat ein gewöhnliches Taschenmesser an den Winkel gebunden, damit er eine Spitze bekommt. Darum hat der Mörder auch nicht gegen den Brustkorb gestochen, den hätte die Klinge nicht durchdrungen.“

„Ist doch egal“, stöhnte Naruto und kam taumelnd näher. „Sie ist tot …“, hauchte er. Der Mord erinnerte tatsächlich an die bizarre Szene im La Grande. Auch dieser Hidan war aufgespießt worden, und um seine Leiche hatte jemand einen Kreis und ein Dreieck aus Blut gemalt. Auch das war hier zu sehen, zweifellos mit Tentens Blut, auch wenn die Linien so dünn waren, dass man sie kaum ausmachen konnte.

„Ein Opfer für Jashin“, sagte Shino.

„Hör schon auf!“, fuhr ihn Kiba an. „Wie kannst du nur so ruhig bleiben?“

„Ich bin nicht ruhig“, betonte Shino. Naruto sah, dass er die Zähne zusammengebissen hatte. „Ich versuche nur einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber ich trauere auch.“

Neji schloss Tenten indessen die Augen. Tränen tropften aus den seinen. „Tenten … Es tut mir leid, dass wir nie … Dass ich dir nie …“ Er verstummte.

„Und was ist mit Kankurou?“, schreckte sie plötzlich Temaris Stimme auf. Sie und Gaara knieten schon die ganze Zeit vor ihrem Bruder. Naruto schleppte sich zu dem Lichtschein, den ihre Handys warfen. Fast hatte er Angst, Kankurou anzusehen.

Zu recht. Sein Anblick war auf seine Weise noch grässlicher. Kankurou lag neben einem niedrigen Verkaufstischchen – oder eher einer Verkaufskommode. Er schien mit dem Kopf dagegen gestoßen zu sein, was erklärte, warum sein Kinn gegen seine Brust gesunken war. Der Stöckel eines Frauenschuhs steckte in seinem rechten Auge. Auch Kankurou regte sich nicht mehr.

„Das … das kann doch alles nicht wahr sein … Das kann doch nicht wirklich passieren …“ Wieder schwindelte Naruto. Sie waren kaum anderthalb Stunden hier, und schon gab es drei Tote in diesem Hotel. Und sie alle waren Narutos Freunde gewesen.

Der Kreis schließt sich


 

~ 22 ~

 

„So, meine Freunde, sehen wir uns mal an, welche Leichen das Dorf plötzlich noch findet.“ Sphinx schien bester Laune zu sein. „Die Reihenfolge, in der ich sie erwähne, hat übrigens keine Bedeutung. Zuerst mal: Kankurou. Es tut mir leid, aber du bist tot. Und weiters, hier drüben.“ Er ließ seine Hand kreisen und deutete dann, eine Scherenbewegung imitierend, mit zwei Fingern auf Tenten. „Schnipp-schnipp. Heute werden ja wirklich eine Menge Lebensfäden durchgeschnitten.“

„Wa– Heißt das … Ich bin … wir sind …“, machte Tenten, die sich eben noch im Kreuzfeuer des Verdachts befunden hatte.

Ihr seid beide tot, ja“, sagte Sphinx grinsend.

„Das Werk der Vampire, mal wieder“, murmelte Ino.

„Ja“, sagte Deidara gedehnt, „nur dass diesmal gleich zwei gestorben sind, hm.“

„Ist das nicht ein toller Weg, seine Unschuld zu beweisen?“, fragte Sphinx. „Ihr werdet doch sicher wissen wollen, ob ein Vampir oder Werwolf unter den neuen Toten war, richtig? Ich sage es euch.“

 
 

(1:20 Uhr)

Ino war offenbar nicht ganz bei sich. Sie blinzelte in die Runde, musterte ihre Freunde, als fragte sie sich, was sie hier alle wollten. Shikamaru war erleichtert, dass wenigstens sie am Leben war. Sie blutete aus einer Wunde an der Stirn. Anscheinend war sie mit einem Schlag auf den Kopf davongekommen. Außerdem war ihr rechtes Auge angeschwollen. Als sie an sich hinabsah, schrie sie auf. „Blut! Da ist Blut!“ Ihr violettes Top war mit Blutflecken verziert. Ino versuchte aufzustehen und sah dabei Tenten und Kankurou. Sie stieß ein ersticktes Keuchen aus, plumpste wieder zu Boden und versuchte von den Leichen wegzukriechen. „Was … was ist …“

„Ino!“, ächzte Kiba. „Dein … dein Schuh … Sag bloß …“

Shikamarus Blick wanderte zu Inos linkem Fuß. Richtig … sie hatte Stöckelschuhe getragen, selbst heute. Sie und Tenten hatten sich nach ihrer Einkaufstour gar nicht erst umgezogen. Der Absatz ihres verbliebenen Schuhs war vielleicht sieben bis acht Zentimeter hoch … der andere steckte in Kankurous Auge.

Temari stieß einen wütenden Schrei aus. „Du! Was hast du mit ihm angestellt?“ Sie riss die verdutzte Ino in die Höhe und stieß sie grob gegen ein Regal, das polternd umfiel, mitsamt Ino. „Du hast ihn umgebracht!“ Sofort wollte Temari Ino wieder packen, aber Kakashi ging dazwischen.

„Ruhig. Wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren.“

„Gehen Sie aus dem Weg!“, fauchte Temari mit Schmerz in der Stimme. „Sie hat meinen Bruder auf dem Gewissen! Ich bring sie um!

Sie machte Anstalten, sich an Kakashi vorbeizuwinden, als ausgerechnet Gaara ihr eine Hand auf die Schulter legte. „Temari“, sagte er nur mit tonloser Stimme.

Sie starrte ihn mit flackerndem Blick an und biss die Zähne zusammen. Kakashi seufzte tief.

„Halleluja. Eure Freunde haben echt schon bessere Tage gesehen.“

Die Straßengang war ihnen gefolgt. Der unpassende Kommentar kam natürlich von Tayuya.

„Halt dich da raus!“, schrie Temari sie an. „Haut ab! Verzieht euch!“

„Da ist aber jemand gereizt.“

Temari stieß ein Knurren aus, als sich Naruto zwischen sie und Tayuya schob. „Hast du etwa immer noch nicht genug?“, fragte er die Rothaarige drohend leise.

Tayuya musterte ihn einen Moment lang, dann rümpfte sie schnaubend die Nase. Ihre Wange begann bereits anzuschwellen.

Kakashi half Ino auf die Beine, die ihren zweiten Stöckelschuh ausgezogen hatte. Sie schien Schwierigkeiten zu haben, aufrecht zu stehen. „Kakashi? Was … machen Sie hier?“

„Ino, kannst du uns sagen, was geschehen ist?“, fragte Kakashi sanft.

„Ich … weiß nicht. Es ging alles so schnell … Ich erinnere mich nicht“, murmelte sie betreten.

„Du erinnerst dich nicht? Das ist die dümmste Ausrede, die ich je gehört habe!“, schnappte Temari. „Irgendjemand hat Kankurou und Tenten getötet und du bist die Einzige, die bei ihnen war – und dein verdammter Schuh ist …“

„Temari, bitte“, sagte Shikamaru leise. Sie funkelte ihn böse an. „Lass uns ruhig bleiben“, fügte er kleinlaut hinzu, obwohl er sich so zerschmettert fühlte, dass er am liebsten auch tot wäre.

„Hier. Seht mal.“ Shino und Sasuke hatten die Nervenstärke bewiesen, sich die Leichen genauer anzusehen. Shino deutete auf Kankurous halb geöffnete Faust. Ein paar lange, blonde Haarsträhnen glänzten darin.

„Habt ihr miteinander gekämpft?“, fragte Sasuke, eine neue Zigarette im Mund.

„Ich … Wir …“ Inos Blick schweifte in die Ferne. „Wir haben gekämpft … Ja, wir haben gekämpft … Oh, ich weiß es nicht mehr!“ Stöhnend presste sie die Finger gegen ihren Kopf und zuckte dann zusammen. „Es … brennt …“, murmelte sie.

„Du bist verletzt.“ Hinata war offenbar die Einzige, die sich wirklich um die Hauptverdächtige zu sorgen schien. Mit spitzen Fingern tastete sie – ausgerechnet das schüchterne, zierliche Mädchen – über die Wunde an Inos Stirn. Etwa auf Höhe des Haaransatzes hatte sie ein hässliches Cut, das nicht allzu tief schien, aber stark geblutet hatte. „Ino … hast du einen Schlag auf den Kopf bekommen? Kann das sein?“

Ino sah sie nur verständnislos an, dann schien sie zu überlegen.

„Das würde zumindest erklären, warum sie so neben der Spur ist“, sagte Sasuke.

„Hier.“ Chouji konnte schon länger mehr nicht die Hände stillhalten. Shikamaru verstand ihn gut. Wenn sie etwas taten, mussten sie sich ihrer Trauer noch nicht stellen. Sein bester Freund deutete auf ein Regalbrett, das auf dem Boden lag. Es musste zu derselben Stellage gehört haben, aus der jemand den Eisenwinkel gerissen hatte. Eine Kante davon war mit Blut benetzt. „Was war hier nur los?“, murmelte Chouji.

„Es wäre gut, wenn sie sich schnell erinnern würde“, merkte Toto an. „Wir haben hier drei Morde aufzuklären.“

„Ach, das wäre uns ohne Sie gar nicht aufgefallen“, sagte Kiba bissig.

„Hier ist noch was.“ Sasuke beleuchtete etwas, das neben dem Verkaufstisch lag, an dem Kankurou gelehnt hatte.

Shikamaru hob das Ding auf. Es war ein kleines Notebook, halb aufgeklappt. Das Gehäuse war etwas demoliert; es musste zu Boden gefallen sein, funktionierte aber noch. Der Bildschirm leuchtete in mattem Licht und zeigte sogar ein Bild.

„Das Ding funktioniert hier? Ohne Strom?“, fragte Kiba.

„Das ist eines von diesen Ultrabooks, die gerade in Mode sind“, sagte Shikamaru. „Je nachdem, was man alles damit macht, haben die über zehn Stunden Akku.“

„Ist der … mit dem Internet verbunden?“, fragte Chouji erstaunt, als er auf den Bildschirm blickte und ein Browser-Fenster sah.

„Nein. Das ist nur ein Bild von einer Website“, sagte Shikamaru. „Er ist offline.“

Aber der Screenshot war interessant genug. Er zeigte eine Website, die die Freunde bereits kannten – das Forum der Jashin-Anhänger. Und seit dem letzten Eintrag, den sie gesehen hatte, gab es einen neuen.

Jashin hat erneut zu mir gesprochen“, las Chouji vor. „Sein Blutdurst wurde geweckt. Während der Geisterstunde sollen ihm zwei Opfer dargebracht werden.

Die Zeitangabe schrieb dem Post ein Alter von etwa zwei Stunden zu. Verfasst worden war er wieder von Hidan – der eigentlich tot sein sollte.

„Das wird immer verrückter“, murmelte Shino.

„Ach, wen kümmert’s? Da will uns jemand verarschen, so sieht’s aus!“, rief Kiba.

„Aber wie kann er den Post schreiben, wenn er tot ist?“, stellte Hinata die offensichtlichste aller Fragen. „Er ist doch tot, oder?“

„Hidan schon. Derjenige, der seinen Account auf der Website gehackt hat, offensichtlich nicht“, meinte Shikamaru. „Er will uns nur einen Schrecken einjagen.“

„Ach ja, einen Schrecken“, höhnte Temari. „So würde ich das auch nennen. Hier hat jemand zwei Menschen getötet! Und kurz zuvor hat jemand genau das angekündigt!“

„Ich … ich wusste, dass das Ritualmorde sind!“, stieß Toto aus.

„Von wegen! Gestern waren Sie noch der Meinung, es wäre Selbstmord gewesen!“, rief Kiba.

„Bitte“, sagte Temari, die sich plötzlich beruhigt zu haben schien. „Können wir das woanders besprechen?“

„Eine gute Idee“, mischte sich Kakashi ein. „Wir sollten den Schauplatz unberührt lassen. Kommt.“

 
 

(1:30 Uhr)

An der Hotelbar ließen sie sich in die plüschigen Sessel sinken – zumindest jene, die sitzen wollten. Temari, Naruto und Kiba tigerten unruhig auf und ab, die Straßengang stand etwas abseits und schien zu überlegen, wie sie Totos wachsamem Blick entkommen konnte. Gaara stand ebenfalls und blickte in Richtung des Ladens zurück. Lee war zusammengesunken wie ein Häufchen Elend und weinte stumm vor sich hin. Neben ihm saß Neji wie eine Schaufensterpuppe, aber sein Gesicht war trocken. Sasuke rauchte eine neue Zigarette.

Shikamaru hatte, trotz Kakashis Warnung, das Notebook aus dem Laden mitgebracht. Es war seltsam, dass sie das Gerät dort gefunden hatten. Keiner von ihnen hatte es dabeigehabt, also musste der Täter es dorthin gestellt haben. „Eigentlich lässt die Sache nur einen Schluss zu“, sagte Shikamaru. „Der Täter will uns weismachen, dass es Ritualmorde waren und Jashin dahintersteckt.“ Er, Kakashi, Sasuke, Chouji, Shino, Gaara und dann auch Naruto versuchten etwas über die Tat herauszufinden. Es lenkte auch angenehm von der Tatsache ab, dass eben das schrecklichste Unglück in der langjährigen Geschichte ihrer Freundschaft geschehen war.

„Also hat jemand den Laptop hierhergestellt und zwei Morde angekündigt, und als Ino, Tenten und Kankurou die Nachricht gelesen haben, hat er Tenten und Kankurou umgebracht?“, fragte Chouji unsicher.

„Die Sache stinkt doch zum Himmel“, sagte Naruto düster.

„Das sehe ich genauso.“ Shikamaru suchte mit seinem Smartphone prüfend nach etwaigen WLAN-Verbindungen. Auch das mobile Standard-Netz fand keine. „Na bitte. Seht mal nach, ob ihr hier mit euren Handys ins Internet kommt.“

Fast synchron begannen die anderen auf ihren Smartphones zu tippen. „Ich hab nicht nur kein Internet, ich hab auch keinen Empfang oder sonstwas“, murmelte Kiba.

„Keinen Empfang?“ Hinata hatte Shikamarus Bitte nicht erfüllt, klammerte sich aber jetzt noch mehr an Naruto als zuvor. „Heißt das, wir können … nicht mal die Polizei rufen?“

„Keine Sorge. Kollege Hatake und ich beschützen euch“, sagte Toto. Shikamaru fand die Aussage unangemessen, und den Blicken der anderen nach zu urteilen, nicht nur er.

„Ist das nicht komisch?“, fragte Shino. „Wir sind ja nicht unter Tage. Das ist das Erdgeschoss eines modernen Hotels. Wir müssten eigentlich Empfang haben.“

„Vielleicht stört irgendetwas die Verbindung“, versuchte Lee zu philosophieren. Er machte den Eindruck, als hörte er sich selbst nicht wirklich zu. Seit sie Sakura gefunden hatten, war er blass und wortkarg.

„Lassen wir das fürs Erste außer Acht“, sagte Shikamaru. „Das Notebook hat hier nicht mal Strom. Der Akku ist halb leer, aber er muss ja nicht voll aufgeladen gewesen sein. In jedem Fall hatte der Täter auch keine Möglichkeit, von hier aus auf das Internet zuzugreifen.“

„Was ist mit einem Internet-Stick?“, warf Neji ein.

„Unwahrscheinlich. Ich sage euch, warum. Hätte der Täter hier im Hotel das Posting geschrieben, hätte er nur die Website offen lassen müssen. Er hat aber einen Screenshot davon gemacht und uns nur das Bild gezeigt. Das heißt, er wollte oder konnte hier nicht auf die Seite zugreifen.“ Die anderen schwiegen, also fuhr Shikamaru fort: „Ich sage euch, was ich glaube. Der Täter hat irgendwann, bevor wir alle hergekommen sind, diese Nachricht geschrieben. Vielleicht sogar schon tagsüber. Dann hat er die Website fotografiert, das Bild auf dem Notebook gespeichert und hierher mitgenommen. Und als er das Notebook in den Laden gestellt hat, hat er geschätzt, wann es ungefähr gefunden wird, und dann in einem Bildbearbeitungsprogramm die Uhrzeit des Posts geändert. So etwas ist einfach, vor allem wenn auf dem Bild alle möglichen Zeiten und Zahlen zu finden sind.“

„Und wozu das alles?“, fragte Naruto verwirrt.

„Um uns Angst zu machen. Wir sollen glauben, sie wären Jashin geopfert worden.“

„Mir persönlich ist es egal, warum sie tot sind“, murmelte Naruto. „Wenn ich den Kerl finde, der das getan hat …“ Er warf einen Blick auf Ino, die immer noch ins Leere starrte. Die Wunde auf ihrer Stirn war verkrustet.

Sie bemerkte sein Starren. „Ich … ich versuche ja, mich zu erinnern. Es ist alles so verschwommen …“

„Entschuldigt mich kurz.“ Kakashi trat etwas in die Dunkelheit und versuchte offenbar, mit seinem Handy jemanden zu erreichen. Shikamaru fasste einstweilen in Gedanken zusammen, was sie wussten. Jemand wollte ihnen weismachen, Jashin hätte etwas mit der Tat zu tun. Jemand, der wusste, dass ihnen das Jashin-Forum ein Begriff war. Sie waren alle zusammen im La Grande gewesen. Das wäre ein zu großer Zufall.

„Ich habe da einen Verdacht. Es muss nicht stimmen, aber es ist immerhin möglich.“ Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an. „Es betrifft die Zugangsdaten zu diesem Forum. Hidan hat seit seinem Tod eine, vielleicht zwei Nachrichten geschrieben. Das kann nur heißen, jemand anders gibt sich als Hidan aus und benutzt seinen Account, um so zu tun, als wäre er unsterblich. Oder ein Geist oder Dämon oder sonstwas. Entweder hat Hidan also Selbstmord begangen und jemandem sein Passwort verraten, um genau diesen Anschein zu erwecken – oder er wurde wirklich ermordet und der Mörder hat sich den Account einfach zu Eigen gemacht.“

„Ist es denn so einfach, einen Forenaccount zu hacken?“, fragte Naruto.

„Kommt drauf an. In Hidans Fall war es einfach genug. Erinnert ihr euch? Als wir in seinem Hotelzimmer waren, waren der Computer an und die Seite geöffnet. Wir konnten ganz einfach darauf zugreifen, ohne ein Kennwort eingeben zu müssen. Das könnte zwar auch der Mörder so inszeniert haben, aber was ist, wenn wir Folgendes annehmen: Hidan hat seinen Computer nicht mit einem Passwort geschützt. Vielleicht hat er auch das Passwort im Forum durch den Browser speichern lassen? Sprich, jeder, der an seinen Computer konnte, konnte sich dort unter seinem Namen anmelden. Und wenn für seinen Mailaccount dasselbe gilt, konnte der Täter sich ganz einfach ein neues Passwort zuschicken lassen und war fortan alleiniger Besitzer des Accounts. So konnte er auch diese letzte Ankündigung von jedem beliebigen Gerät aus schreiben.“

Die anderen schwiegen nachdenklich. Für Shikamaru klang die Sache nachvollziehbar. Aber es gab noch andere Dinge, die der Klärung bedurften.

Da war zum Beispiel der Schauplatz der Tat. Ino war bewusstlos gewesen, mit einem Cut in der Stirn, neben ihr ein blutbeflecktes Holzbrett. Ihr Top war mit – wahrscheinlich fremdem – Blut vollgesogen, ihr Schuhabsatz war durch Kankurous Auge in sein Gehirn gedrungen. Kankurou wiederum hatte Strähnen von Inos Haar in der Hand gehalten. Und Tenten war auf den Boden gespießt und wahrscheinlich durch ein Loch im Kehlkopf getötet worden. Einer ihrer Haarknoten war gelockert gewesen, erinnerte Shikamaru sich. Wie passte das alles zusammen? Es musste ein Kampf stattgefunden haben, nur …

„Temari“, sagte er. „Eigentlich wolltest du ja mit Ino und Tenten dieses Stockwerk untersuchen. Kankurou und Gaara wollten sich mit Neji und Lee einen Flügel im ersten Stock vornehmen. Wie kommt es, dass du von oben gekommen bist, während Kankurou hier war?“

Temari senkte mit gerunzelter Stirn den Kopf. „Das war so … Ich habe mit Ino und Tenten den Laden erkundet. Das Notebook hatten wir übrigens noch nicht bemerkt. Und dann ist auf einmal … Kankurou gekommen.“

Ino nickte langsam. „Ja, daran erinnere ich mich …“

„Und ihr habt sozusagen die Gruppe getauscht?“, fragte Chouji.

„Genau. Er hat gesagt, dass …“ Temaris Blick wanderte unsicher zu Gaara.

„Er hat behauptet, ich hätte einen Anfall und er wisse nicht, was er tun soll“, sagte ihr Bruder.

Die anderen wechselten Blicke. Sie wussten alle, dass Gaara irgendein traumatisches Erlebnis in seiner Kindheit gehabt hatte. Als er jünger gewesen war, hatte er regelmäßig Anfälle gehabt. Erst als er Naruto und dann die anderen als Freunde gewonnen hatte, war es besser geworden. Dass er in so einer unheimlichen Umgebung rückfällig werden könnte, wunderte niemanden.

„Kankurou hat gemeint, er würde bei Tenten und Ino bleiben“, sagte Temari und klang plötzlich zerknirscht, als verheimliche sie etwas. Shikamaru kannte sie doch relativ gut; ihm konnte sie nichts vormachen.

„Aber Gaara hatte keinen Anfall, stimmt’s?“, hakte er nach.

„Mir hat er erzählt, er müsste ganz dringend was mit Temari bereden, weil er einen Verdacht hätte, dass jemand von euch der Drahtzieher hinter dem Ganzen sein könnte“, sagte Gaara. „Ich sollte einstweilen Neji und Lee im Auge behalten und dafür sorgen, dass sie keinen Verdacht schöpfen. Ich dachte mir, er würde schon einen konkreten Grund haben.“

„Und den hatte er …“, sagte Ino plötzlich mit zittriger Stimme. „Ich glaube … Ich … Oh mein Gott …“ Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Ich war es! Ich habe Kankurou umgebracht!“

 

Die Totenstille, die folgte, war wie eine Explosion. Selbst Temari, die Ino schon beschuldigt hatte, starrte sie nur sprachlos an. Naruto verstand die Welt nicht mehr. Irgendwie war das zu viel Information auf einmal für ihn. Jashin? Ritualmorde? Und jetzt wollte Ino die Verantwortliche sein, nachdem sie festgestellt hatten, dass Kankurou sich seltsam verhalten hatte?

Kakashi kam zurück und schüttelte den Kopf. „Ich bekomme auch keine Verbindung. Als wäre das Hotel ein riesiges Funkloch.“ Er bemerkte das angespannte Schweigen. „Was ist los?“

„Ino hat gerade zugegeben, dass sie Kankurou ermordet hat“, sagte Gaara. Er klang ruhig wie immer. „Die Frage ist jetzt, wieso.“

„Ich … Da war … Wir haben gekämpft … Wir haben das Notebook gesehen und die Nachricht gelesen … und dann ist er … Er hat …“ Inos Augen weiteren sich. Offenbar erinnerte sie sich endlich an die Einzelheiten. Sie sprang auf. „Kankurou! Er hat sich auf einmal auf Tenten gestürzt … Sie haben gerangelt … Ich weiß nicht mehr genau, wie es geschehen ist … Ich weiß noch, dass ich die beiden auseinanderreißen wollte, aber er hat mir einen Schlag auf den Kopf verpasst. Dann war ich kurz weg, und als ich die Augen wieder aufgemacht habe …“ Sie stockte kurz und als sie weiterredete, war ihre Stimme nur mehr ein Flüstern. „Er stand über Tenten gebeugt, sie hatte dieses Metallding in der Brust … da bin ich ausgerastet.“

„Und du hast deinen Schuh genommen und ihm den Absatz ins Auge gerammt“, beendete Sasuke die Erzählung. „Dann hast du erneut das Bewusstsein verloren. War es so?“

Ino rieb unbehaglich die Zehen aneinander. Sie lief nun in dünnen Strümpfen.

„Das würde erklären, warum das Notebook am Boden lag“, sagte Chouji. „Der Kampf war wohl ziemlich heftig.“

„Und es erklärt, wie das viele Blut auf Inos Kleidung kam, obwohl sie selbst nur eine einzige Wunde hatte. Nicht zu vergessen ihre Haare. Kankurou muss sie ihr ausgerissen haben, als sie gekämpft haben. Deshalb hatte er sie in der Hand“, fügte Sasuke hinzu.

„Mein Gott …“ Ino vergrub das Gesicht in Händen. Sie war wieder in den Couchsessel gesackt. „Was hab ich getan …“

Temari schien am Boden zerstört. „Nein …“, murmelte sie. „Kankurou soll sie angegriffen haben? Kankurou? Das würde er niemals tun! Das ist eine bodenlose Lüge, die du da erzählst!“ Sie sprang auf und wollte wieder handgreiflich werden. Naruto fing ihre Faust ab, als sie zuschlagen wollte.

„Lass es gut sein, Temari. Tut mir leid“, sagte er leise.

„Kankurou hat eindeutig versucht, allein mit den beiden Mädchen zu sein. Er hat sich wohl bei ihnen gute Chancen ausgerechnet. Darum die Lügengeschichte mit Gaara“, sagte Sasuke.

„Nein …“ Temari sank in ihren Sessel zurück, während die anderen betroffen schwiegen. „Ich kann es nicht glauben …“

 

Kankurou war ein Vampir!“, verkündete Sphinx und überschlug die Beine. „Ich lasse euch mal weiterrätseln und einen neuen Verdächtigen nominieren. Noch zwanzig Spieler sind im Spiel.“

„Hä? Die Vampire haben einen Vampir getötet? Geht das überhaupt?“, fragte Naruto.

„Es ist prinzipiell zulässig. Vorausgesetzt, ihre Abstimmung in der Nacht war mehrheitlich.“

„Aber es wäre dumm. Sinnlos“, nahm Sasuke Shikamaru die Worte aus dem Mund. „Erstens verlieren sie einen Mitstreiter, zweitens können wir jetzt überlegen, mit wem Kankurou oft Stimmengleichheit hatte.“

„Drittens wäre eine solche Finte zu einer so frühen Zeit im Spiel, wo noch so viel unbekannt ist, unnötig“, fügte Shino hinzu. „Und viertens können die Vampire nur eine Person pro Nacht auswählen, die dann am Tag stirbt.“

„Tenten war kein Vampir, oder? Und auch kein Werwolf?“, vergewisserte sich Neji.

„Richtig. Unter den letzten Opfern war nur Kankurou ein Bösewicht. Auch Sakura war unschuldig, falls ich das nicht schon gesagt habe“, erklärte Sphinx. Shikamaru notierte sich diese Aussage.

„Das lässt dann nur einen Schluss zu“, meinte Sasuke, nachdem sie kurz alle überlegt hatten. Er deutete auf eine Zeile auf der Regelkarte. „Diese Alternative mit dem Jäger. Wir spielen nicht mit einem normalen Jäger, sondern mit dem Vampirjäger, der hier erwähnt wird, oder? Wolltest du uns diese Regeländerung vorenthalten, Sphinx?“

Sphinx grinste. „Solange ihr nicht danach gefragt hättet. Du hast recht, für dieses Spiel habe ich den Jäger zum Vampirjäger gemacht.“

„Und was kann der?“ Naruto besah sich stirnrunzelnd seine Karte.

„Der gewöhnliche Jäger darf einen Mitspieler töten, sobald er selbst stirbt. Der Vampirjäger darf sich sein Opfer nicht aussuchen; wenn er stirbt, erschießt er automatisch den ersten Vampir, der rechts von ihm sitzt“, erklärte Neji.

Automatisch wandten alle ihren Blick auf Tenten und Kankurou, die seit ihrem Tod im Spiel schweigen mussten – genauer gesagt, auf die Stühle zwischen ihnen. Rechts von Tenten saßen Kakashi, Asuma und der alte Toto, dann Kankurou.

„Also weil tagsüber ein Vampir gestorben ist …“, überlegte Naruto.

„… muss Tenten der Vampirjäger gewesen sein“, erwiderte Sasuke. „Und Kakashi, Asuma und Toto sind keine Vampire.“

„Es könnte aber ein Werwolf unter ihnen sein“, fügte Ino hinzu.

„Schön, schön“, sagte Tayuya und gähnte demonstrativ. „Können wir dann weitermachen? Wir haben immer noch jemanden zu lynchen. Wen verdächtigen wir als Nächsten?“
 

(1:45 Uhr)

„Was hast du gesagt?“, fragte Naruto irritiert.

„Ich sagte, dass ihr wirklich feine Freunde habt, die sich da gegenseitig umbringen“, wiederholte Tayuya. „Braucht ihr uns in diesem beschissenen Spiel noch? Wir würden gern ‘nen Abgang machen. Die Sache stinkt zum Himmel.“

„Nicht so hastig“, sagte Sasuke. „Wir sind hier noch nicht fertig.“

„Genau! Was ist mit Sakura? Wir haben nicht vergessen, dass ihr vor uns hier wart!“, rief Kiba.

Jiroubou schnaubte. Tayuya fasste das Schnauben in Worte: „Das schon wieder? Scheiße nochmal, wir waren’s nicht!“

„Was ist mit Kimimaro? Wo ist er die ganze Zeit gewesen?“, fragte Chouji.

„Wart ihr die ganze Zeit über zusammen?“, fragte Shino sachlich. „Seit dem Abend, meine ich. Warum? Es könnte sein, dass einer von euch schon vorher hierher gefahren ist.“

„Das gilt für euch genauso“, schnappte Tayuya.

„Sagt es einfach“, bat Shikamaru müde.

Sie verzog die Lippen. „Nein, wir waren nicht ständig zusammen. Glaubt ihr, wir kleben wie die Kletten aufeinander? Wir haben diese beschissene Herausforderung von den Wolves erhalten, dann haben wir jeder unsere eigenen Dinge erledigt, und kurz vor Mitternacht haben wir uns wieder getroffen und sind hergefahren.“

Shino nickte. „Das dachte ich mir. Und ihr wart auch nicht immer beieinander, seit ihr hier seid.“

Sie sah ihn mit blitzenden Augen an. „Vielleicht? Woher willst du das wissen?“

„Als wir in der Garage angekommen sind, seid nur du und Jiroubou uns begegnet“, erinnerte sich Shikamaru. „Und ihr habt gesagt, dass ihr euch alle ein wenig umgesehen habt. Getrennt?“

„Im Gegensatz zu euch sind wir keine solchen Pussys, die sich nicht allein in einem finsteren Hotel herumzustöbern trauen.“

Shino nickte. „Ich werde euch etwas zeigen, das ich gefunden habe. Warum ich bisher geschwiegen habe? Ich hielt es für möglich, dass es ein Zufall ist oder dass ich jemanden ungerechtfertigt verdächtige. Aber nun hat sich die Sache geändert. Warum? Weil drei unserer Freunde tot sind.“

„Und wenn euer Kankurou diese Sakura umgebracht hat?“, schlug Jiroubou vor.

„Immerhin fehlt diesem Jashin ja jetzt ein Opfer. Oder vielleicht doch nicht?“, ergänzte Tayuya.

„Wie lästig.“ Shikamaru seufzte. „Gaara, Temari. Kankurou war sicherlich den ganzen Nachmittag über bei euch, oder?“ Es war seltsam, über ihn zu reden und ihn dabei als Täter zu betrachten. Noch in der vorigen Nacht waren sie auf seinem Konzert gewesen, nun sollte er ein Mörder sein …

Die beiden nickten.

„Die Blonde wollte ihren Bruder doch schon vorhin decken“, warf Tayuya ein.

„Es ist umgekehrt“, sagte Shikamaru. „Es hätte keinen Sinn mehr, ihn jetzt zu decken, nachdem er … entlarvt ist.“

„Und tot, wolltest du sagen“, murmelte Sakon, der wohl einen klaren Moment in seinem angeschlagenen Kopf hatte.

„Hier.“ Shino zog etwas aus seiner Tasche und legte es auf das Tischchen vor ihm. Im Licht seines Smartphones traten sogar die Straßenkids näher. Etwas wie zwei lange, glänzende Fäden lag da.

„Schon wieder Haare?“, fragte Temari.

„Die habe ich in der Schaltzentrale für die Garage gefunden. Dort, wo alles zerstört wurde, damit wir hier nicht mehr rauskommen. Wem sie gehören? Betrachtet einmal die Farbe.“

„Silbrig? Weiß? Oder sieht es nur so aus?“, fragte Chouji.

„Sie sind tatsächlich silberweiß. Ich habe es genau überprüft. Und wir haben hier drei Personen, die in etwa diese Haarfarbe haben. Und nur einen, zu dem auch die Länge passt.“

„Kimimaro“, murmelte Naruto. „Kakashis und Totos Haare wären zu kurz.“

„Also hat Kimimaro die Zentrale zerdeppert und uns hier eingesperrt?“, fragte Tayuya und wirkte schockiert. „Macht euch nicht lächerlich. Wozu sollte er das tun?“

„Ganz einfach. Die Wolves, die euch hergelockt haben, sind dieselben Leute, die Sakura entführt haben. Sie wollten sich von Anfang an für etwas rächen. Darum haben sie uns hier eingesperrt.“ Shikamaru warf Sasuke und Shino, die mit ihm so etwas wie die Rädelsführer ihrer Ermittlungen bildeten, einen bezeichnenden Blick zu. Beide nickten. Sie waren also schon zu demselben Schluss gekommen.

„Du … du meinst … Sie wollen uns auch umbringen?“, fragte Naruto heiser.

„Ich weiß nicht, ob auch Kankurou zu ihnen gehört hat“, sagte Shikamaru leise, „aber hier sind mir bereits zu viele von unseren Freunden gestorben, als dass ich mich noch traue, etwas anderes anzunehmen.“

„Und ich habe auch schon eine Idee für den Grund der Rache“, sagte Shino. „Nämlich mich.“ Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an. Shino, der selbst in der Düsternis des Hotels seine obligatorische Sonnenbrille nicht abgelegt hatte, rückte selbige zurecht. „Beziehungsweise, unsere Gruppe. Und eine Kurzschlussreaktion von Tayuya.“

„Was heißt hier …“

„Lass ihn ausreden“, sagte Jiroubou, und ausnahmsweise schien sie auf ihn zu hören.

„Kidoumaru. Wir haben ihn enttarnt, wenn ihr euch erinnert. Ich war es, der ihn letzte Nacht gesehen und verdächtigt hat, in der Nähe des Twilights gewesen zu sein. Das hat Tayuya offenbar Anlasse für eine Tat gegeben, wie sie selbst am Telefon gesagt hat. Welche? Ich weiß es nicht, aber Kidoumaru ist nicht unter uns.“

Tayuya presste die Lippen zusammen. Toto beäugte sie äußerst misstrauisch.

„Ich weiß schon, was du damit sagen willst“, sagte Shikamaru. „Kidoumaru war nicht allein. Kimimaro und möglicherweise Kankurou steckten mit ihm unter einer Decke. Vielleicht haben sie auch mit dem Mord an Hidan zu tun. Jedenfalls haben wir dafür gesorgt, dass sie einen der ihren verloren haben. Unsere Gruppe hat ihn angeprangert, Tayuya hat uns geglaubt und ihn … Wie auch immer. Und die Überbleibsel von seinem Team, oder was auch immer sie sind, wollen sich jetzt an allen rächen, die damit zu tun hatten.“

„Eine ganz schön gewaltige Aufgabe, die da vor ihnen liegt.“ Sasuke war bereits bei der nächsten Kippe.

„Das werden wir auf keinen Fall zulassen.“ Toto sah Kakashi drängend an. „Ich wusste gleich, dass man diesen Straßenkindern nicht trauen kann. Wir werden diese unbescholtenen Leute vor ihnen schützen.“

„Unbescholten!“, rief Tayuya aus. „Ist euer Freund hier durchgedreht, oder wir?“

„Ruhe!“ Toto hielt plötzlich wieder die Pistole in der Hand. Sein faltiger Schädel schwitzte. „Ihr kommt alle mit aufs Revier. Und jetzt raus mit der Sprache, wo ist dieser andere?“

„Meinst du mich?“

Toto zuckte zusammen. Auch die anderen fuhren herum. Unterhalb der Hotelbar, im Dunkel der Lobby, zeichneten sich schwach die Umrisse einer Person ab.

„Keine Bewegung!“, rief Toto schrill.

„Was tust du hier mit meinen Kumpeln?“, fragte Kimimaro ruhig. „Tayuya, Sakon, Jiroubou. Wir wollten doch im Keller aufeinander warten. Ist was passiert?“

„Kann man wohl sagen“, fauchte Tayuya zornig, und fast gleichzeitig rief Toto: „Die Fragen stelle ich!“

„Beruhigen Sie sich“, sagte Kakashi und trat auf den alten Polizisten zu, dessen Hand merklich zitterte.

„Gibt es einen Grund, warum du eine Waffe auf mich richtest?“, fragte Kimimaro.

„Kimimaro, sag …“, begann Tayuya zuckersüß, „hast du zufällig irgendwas mit dem verschlossenen Garagentor zu tun?“

Ein Zögern, kaum wahrnehmbar, aber Shikamaru entging es nicht. „Wie kommst du darauf?“

„Unsere private Spurensicherung hat Haare dort gefunden, die aussehen wie deine“, sagte Kiba triumphierend.

 

„Muss das sein?“, fragte Kimimaro seufzend.

„Und ob.“ Tayuya grinste Kiba und Shino an. „Stimmen wir ab.“

 

„Vielleicht war ich in dem Raum, na und? Was beweist das?“, fragte er.

„Komm her“, sagte Toto, als wollte er einen Hund bei Fuß rufen. „Wir werden das alles auf dem Revier klären. Hier wird eine richtige Spurensicherung nach dem Rechten sehen und die Wahrheit kommt ans Licht.“

Kimimaro seufzte, machte einen Schritt – und wirbelte dann plötzlich herum und wollte hinter eine der Säulen in der Lobby springen.

Der Schuss hallte von den kahlen Wänden wider wie ein Donnerschlag. Die Freunde wurden Zeuge, wie die Silhouette mitten im Sprung an Spannung verlor und fast aberwitzig langsam zu Boden segelte. Ein dumpfes Geräusch ertönte, zu sehen war die Landung nicht mehr.

Fluchend und schreiend sprangen sie auf. Kakashi lief als Erstes los, nicht ohne Toto, dessen Pistolenlauf noch qualmte, einen bösen Blick zuzuwerfen.

 

„Das ist dann also das Ende von Kimimaro, dem Werwolf. Ja, ihr habt richtig gehört, er war ein Werwolf.“ Ein Aufatmen ging durch die Runde.

„Gut gemacht.“ Kiba knuffte Shino in die Seite.

„Es ist noch nicht vorbei“, sagte dieser.

„Aber immerhin, es läuft diesmal ziemlich gut für uns“, sagte Ino. „Zwei Werwölfe und ein Vampir sind schon außer Gefecht gesetzt.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, zweite Nacht -

 
 

(0:00 Uhr)

Kimimaro sah die drei Autos über die Überwachungskameras in die Tiefgarage fahren. Die Pfeile lotsten sie wie geplant weg vom Eingang. Er stand in der kleinen Schalterzentrale, von wo aus eigentlich der Pförtner den unterirdischen Zugang zum Hotel kontrollieren sollte. Als ihre Bande hier angekommen war, hatte er vorgeschlagen, sich getrennt ein wenig umzusehen. Tayuya hatte offenbar keine Ahnung, dass Kidoumaru noch einen Mitstreiter innerhalb der Bande gehabt hatte.

Nun waren also alle in dem Hotel versammelt. Ironisch, dass sie versuchten ein Mädchen zu retten, das bereits tot war. Kimimaro drückte den Schalter, der das Gittertor herunterfahren ließ, und demolierte ihn anschließend. Zur Sicherheit schaltete er die anderen elektronischen Geräte ab und zerhackte sie mit dem Feuerwehrbeil, das sich im Gang befunden hatte. Mit dem Notstromgenerator verfuhr er genauso. Dann beeilte er sich, zu den anderen zu gelangen. Der Racheakt für Kidoumaru konnte beginnen.

 
 

- Der Hintere Bezirk, zweiter Tag -

 
 

(1:55 Uhr)

Kimimaro hatte unglaubliches Pech gehabt. Naruto glaubte das, weil Toto einfach nicht aussah wie ein allzu geübter Schütze – obwohl man als Polizist im Hinteren Bezirk sicher öfters ins Kreuzfeuer geriet. Die Kugel hatte sein Herz erwischt. Als sie sich um ihn scharten, regte er sich nicht mehr.

„Das war überaus dumm und voreilig“, schalt Kakashi Toto.

„Aber ich … ich dachte, er wollte fliehen …“

„Wohin hätte er denn fliehen sollen? Das Garagentor ist zu und die Eingangstür verriegelt.“

„Nun, durch den …“ Toto verstummte, als fiele ihm etwas ein, das er zwischenzeitlich vergessen hatte.

„Wie sind Sie beide hier eigentlich hereingekommen?“, fragte Sasuke, dem Kimimaros Tod am wenigsten nahezugehen schien.

„Ich bin über eine Leiter geklettert. In einem oberen Stockwerk fehlt ein Fenster. Und Sie?“, fragte Kakashi seinen Kollegen.

„Durch den Bediensteteneingang“, druckste dieser unbehaglich herum. „Im hinteren Bereich des Kellers. Aber … ich habe die Tür wieder abgeschlossen.“

„Kann ich diesen Schlüssel mal sehen?“

Toto fingerte ein schweres, schwarzes Ding aus der Tasche. Kakashi riss es ihm mit einer flinken Bewegung aus der Hand. „Und jetzt noch Ihre Waffe, bitte.“

„Ich gebe doch nicht das Einzige aus der Hand, was mich vor diesen wahnsinnigen Jugendstraftätern schützt!“, meinte er empört.

„Sie haben gerade einen unbewaffneten jungen Mann erschossen. Das würde ich als wahnsinnig bezeichnen“, sagte Kakashi hart. „Geben Sie die Pistole her.“

„Niemals!“ Toto wich einen Schritt zurück und umklammerte die Waffe wie sein eigenes Kind. „Nicht, solange ich Ihren Dienstausweis nicht gesehen habe!“

Kakashi seufzte und wandte sich dann den andern zu, die um Kimimaro herum standen. Unter seinem Körper hatte sich eine Blutlache gebildet. Jiroubou war es, der nach einem Puls getastet und festgestellt hatte, dass das Einschussloch in seiner Brust nur tödlich gewesen sein konnte.

„Es tut mir leid“, sagte Kakashi zu Kimimaros Bandenkollegen.

„Ach, halb so wild“, meinte Tayuya. Ihre Zunge klang schwer und strafte ihre Worte Lügen. „Wenn er wirklich genauso ein Bastard war wie Kidoumaru, geschieht ihm das nur recht.“

„Wie kannst du das sagen, wenn gerade dein Freund gestorben ist?“, rief Naruto.

Sie sah ihn wütend an. „Wie gesagt. Wir sind nicht solche Pussys wie ihr.“

„Aber er hatte eindeutig etwas zu verbergen!“, rief Toto. „Sonst wäre er nicht weggerannt! Er war sicher …“ Ein funkelnder Blick von Kakashi brachte ihn zum Verstummen.

„Vier Tote in zwei Stunden“, murmelte Kakashi. „Ich hoffe, es gibt nicht noch ein Unglück.“

Shikamaru trat auf Tayuya, Sakon und Jiroubou zu. „Ich würde euch gern ein paar Fragen stellen.“

„Und wenn wir keinen Bock haben, sie zu beantworten?“

Er seufzte. „Hör schon auf, dich immer querzustellen. Ich will wissen, was genau diese Sache ist, die du gegen Kidoumaru hattest. Du hast ihn ja eben erwähnt, und offenbar hängt das Ganze auch mit uns zusammen.“

Tayuya schnaubte nur, aber Jiroubou begann zu erklären: „Eine kleine, interne Angelegenheit, könnte man sagen. Kidoumaru und Sakon hatten Streit miteinander. Wegen eines Mädchens.“

„Und deswegen habt ihr ihn umgebracht?“, fragte Naruto fassungslos.

„Kommt eben drauf an, wie intim so etwas auf der Straße wird.“

„Wie viele Spritzen sie sich teilen, meinst du?“, fragte Temari spitz.

„Nein“, erwiderte Tayuya bittersüß. „Wie viele Körperflüssigkeiten sie austauschen. Willst du’s genauer wissen?“

Temari rümpfte die Nase. „Ich verzichte.“

„Also hatten die beiden Streit um ein Straßenmädchen?“, brachte sie Shikamaru wieder auf Kurs. „Und ihr habt euch auf Sakons Seite geschlagen und Kidoumaru umgebracht?“

„Sieh ihn dir doch an!“ Tayuya deutete auf Sakon, der sich an die Säule gelehnt hatte. Er atmete schwer, Schweiß perlte von seiner knochenweißen Stirn. „Sakon ist zwar meistens der, der die Stänkereien anfängt, aber dieses Mal hat Kidoumaru angefangen. Sakon wusste gar nicht, dass diese dämliche Göre was mit Kidoumaru hatte.“

„Und das schon seit Monaten“, ergänzte Jiroubou. „Kidoumaru hat uns nie etwas gesagt.“

„Klar, weil’s ihm peinlich war. Sakon hat sie mit reinem Gewissen abgefüllt.“

„In der Nacht, bevor wir euch getroffen haben, hat Kidoumaru ihn dann in meinem Namen zu einem Gespräch bestellt. Dort hat er ihn zusammengeschlagen“, sagte Jiroubou.

„Maskiert, natürlich. Der Feigling“, murmelte Tayuya. „Und er war nicht allein. Sag’s ihnen.“ Sie knuffte Sakon gegen die Schulter, der zusammenzuckte.

„Es … es waren mindestens drei“, sagte er mit verwaschener Stimme.

„Die hätten ihn fast umgebracht!“, zischte Tayuya. „Ich würd ihm ja oft auch gern eine reinhauen, aber so eine feige Aktion gehört bestraft, denkt ihr nicht? Blöderweise ist Sakon erst nachher damit rausgerückt, wie viele es waren. Das hatten wir Kidoumaru nämlich nicht gefragt.“

„Ein Eifersuchtsdrama auf der Straße also. Ihr könntet glatt einen Kinofilm draus machen“, schnaubte Kiba.

„Ich wusste, mit euch Straßenbanden hat man nur Ärger!“, sagte Toto.

„Könnten wir dann vielleicht …“ Alle wandten sich zu Hinata um, die verlegen den Boden anstarrte, dann Neji, der seit Tentens Tod kaum ein Wort gesagt hatte, dann Naruto. „Könnten wir jetzt vielleicht zurückfahren? Ich will hier nicht mehr länger sein.“

„Unsere Autos sind in der Tiefgarage eingesperrt“, sagte Gaara. „Wenn, dann müssten wir zu Fuß gehen.“

„Zu Fuß durch den Hinteren Bezirk?“, meinte Chouji unsicher.

„Macht euch nicht ins Hemd. So schlimm ist er auch wieder nicht“, spottete Tayuya. „Oder vielleicht doch, für solche Idioten wie euch.“

„Wir haben zwei Pistolen“, erinnerte sie Kakashi. „Und die Umgebung hier ist verlassen.“

„Glauben Sie! Hier lungern sicher noch mehr von diesen Typen herum, die einfach mal so Leute umbringen“, sagte Kiba.

„Willst du der Nächste sein?“, fragte Tayuya.

„Hört auf.“ Kakashi ging dazwischen. „Toto, Sie haben von einem Bediensteteneingang gesprochen? Können wir dort hinaus?“

Toto nickte. „Folgt mir.“ Er tat zwei Schritte, dann drehte er sich wieder um und fuchtelte schon wieder mit seiner Pistole in Richtung der Straßengang. „Nein. Ihr geht vor!“

„Wenn du uns sagst, wohin“, sagte Jiroubou.

 

„Ich habe eine Idee“, sagte Neji. „Ich werde mich jetzt outen. Und ich hoffe, dass der Leibwächter und die Hexe mich kommende Nacht beschützen. Ich bin der Paranormale Ermittler.“

Shikamaru las noch einmal die Beschreibung dieser Figur durch. Der Paranormale Ermittler konnte einmal pro Spiel in der Nacht drei nebeneinandersitzende Personen durchleuchten und prüfen, ob ein Werwolf darunter war. Er würde nicht herausfinden, welcher von ihnen oder wie viele Wölfe es wären, aber Nejis Offenbarung war nun tatsächlich ein mächtiger Zug.

„Ich werde nächste Nacht Kakashi, Asuma und Toto überprüfen“, verkündete er. „Wir wissen dank des Vampirjägers, dass kein Vampir unter ihnen ist. Sonst hätte Tentens Kugel nicht erst Kankurou getroffen, der neben ihnen sitzt. Wenn wir Glück haben, ist auch kein Werwolf unter ihnen, und wir haben drei Leute, denen wir vertrauen können.“

Shikamaru nickte anerkennend. Vertrauen zu schaffen war wohl das Wichtigste in diesem Spiel.

„Ich möchte die Seherin bitten, mich ihrerseits heute Nacht zu überprüfen, damit sie euch morgen bestätigen kann, dass ich weder Vampir noch Werwolf bin und somit die Wahrheit sage“, fuhr Neji fort.

„Dann müsste aber auch jemand die Seherin schützen“, meinte Sasuke.

„Der Priester“, sagte Neji. „Sofern er seine Fähigkeit noch nicht benutzt hat.“

Der Priester konnte einmal pro Spiel einen Spieler segnen. Dieser konnte dann nicht mehr als Opfer gewählt werden, weder von Werwölfen noch von Vampiren. Eine sehr mächtige Fähigkeit.

„Machen wir’s so“, sagte Kiba. „Guter Plan.“

Shikamaru grübelte indessen über die Botschaft des Geists nach. Ein K. Er brauchte nicht lange, um dahinterzukommen. Anfangsbuchstaben von Spielernamen waren nicht erlaubt, also war das Erste, was ihm dazu einfiel, Kult. Itachi – er war als Einziger in der ersten Nacht gestorben, niemand sonst konnte der Geist sein – wollte Shikamaru auf den Kult aufmerksam machen. Nur wieso?

In der ersten Nacht hatte der Geist gar keinen Buchstaben geschrieben, aber er hatte alles, was nachts geschah, mitverfolgt. Vielleicht wollte er Shikamaru damit zeigen, dass die Nachricht, die er in der zweiten Nacht geschrieben hatte, zu seinen Beobachtungen in der ersten Nacht gehörte? Dass er also Informationen so lange zurückgehalten hatte, bis die anderen sie verstehen konnten?

Es war nur eine Vermutung, aber sie wurde drängender, je mehr er sie sich durch den Kopf gehen ließ. Es gab etliche Figuren mit Kräften, die mit Verzögerung wirkten, zum Beispiel den Betrunkenen, den Alten Mann oder den Harten Burschen. Nur Letzterer könnte in der zweiten Nacht seine Wirkung entfalten. Das würde bedeuten, das Opfer in der zweiten Nacht war eigentlich in der ersten bestimmt worden? Sakura war also der Harte Bursche? Dann wäre das Opfer der zweiten Nacht verhindert worden … Aber was hatte der Kult damit zu tun?

Nein, es musste eine andere Lösung geben. Diejenigen, deren Kräfte ebenfalls verspätet wirkten und die viel gegenwärtiger und in ihren Auswirkungen viel mehr zu spüren waren als der Harte Bursche, waren die Vampire. Wenn die Vampire in der ersten Nacht jemanden gewählt hatten und dieser am folgenden Tag starb, und Itachi in der Nacht darauf auf den Kult deutete … Die Zahnräder hinter Shikamarus Stirn rasteten ein. Er verstand. Itachi hatte ihm keine direkte Lösung bieten können, wohl aber ein Sprungbrett für künftige Überlegungen. Die Sache verhielt sich wie folgt:

In der ersten Nacht wählten die Vampire Hidan. Das war eine Tatsache. Itachi bemerkte das und hielt sich mit seiner Nachricht zurück, bis Hidan tatsächlich gestorben war. In der zweiten Nacht teilte Itachi ihm Kult mit. Es war so naheliegend, dass es schon wieder lachhaft war: Die Rolle des Kultführers hatte sich geändert. Der alte Kultführer war tot, und es gab einen neuen. Und das konnte für Itachi wie für Shikamaru nur insofern relevant sein, wenn der neue Kultführer einer der beiden bösen Gruppen angehörte, also entweder Vampir oder Werwolf war. Das würde das Spiel für den neuen Anführer erheblich erleichtern: Er würde nicht mehr nur gewinnen, wenn seine Gruppe alle anderen Dorfbewohner auslöschte, sondern auch, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt alle Spieler in seinem Kult waren. Und das wiederum bedeutete, dass Shikamaru die Lynchergebnisse nicht ganz so ernst nehmen durfte, weil einer der Bösen es sich leisten konnte, herumzuspielen, und er außerdem die Leute aus seinem Kult vielleicht nicht so gern tot sehen würde … Itachi hatte ihn also gewarnt. Nun lag es an ihm, etwas daraus zu machen.

 
 

(2:10 Uhr)

Toto brachte sie über die Treppe ins Kellergeschoss und dann in einen Bereich, der vor Private-Schildern nur so strotzte. Hier waren sie alle noch nicht gewesen; eine der Türen war nämlich versperrt gewesen. Totos Bedienstetenschlüssel – woher auch immer der Polizist ihn hatte – schloss sie auf.

Dieser Teil des Hotels glich einem verlassenen Gefängnis. Die Wände waren grau, der Boden aus trostlosem Linoleum. Dann erreichten sie schließlich einen kleinen, eckigen Raum mit einem winzigen Oberlicht. Daneben war eine massive Tür in die Wand eingelassen; wahrscheinlich führten dahinter ein paar Stufen auf die Höhe der Straße.

Toto deutete auf die Tür, winkte die anderen mit seiner Pistole zur Seite und bedeutete Kakashi, ihm den Schlüssel zurückzugeben. Dieser zögerte, reichte ihn ihm aber schließlich. Als Toto ihn in das Schlüsselloch stecken wollte, stutzte er. „Was …“ Er versuchte es nochmal, aber irgendetwas schien nicht zu klappen.

„Brauchen Sie Hilfe?“, fragte Temari sarkastisch.

„Ich … Das gibt’s doch nicht …“ Toto stand plötzlich Schweiß auf der Stirn. Er sah sich hilflos im Raum um, als glaubte er, die falsche Tür erwischt zu haben, obwohl es nur diese eine gab. „Er passt nicht. Seht!“ Wieder versuchte er den Schlüssel in die Tür zu stecken, aber er stieß gegen einen Widerstand.

„Komm schon, verarsch uns nicht“, stöhnte Kiba.

„Ich … Tu ich ja gar nicht! Er passt nicht!“, rief Toto.

Kakashi ging neben der Tür und die Hocke und strich mit dem Fingernagel über das Schloss. „Ich würde mal auf Superkleber tippen.“

„Hä?“

„Jemand hat sich den Spaß erlaubt, das Schlüsselloch zuzukleben. Gibt es noch einen weiteren Zugang?“

Toto erbleichte. „Nicht, dass ich wüsste …“

„Sie sind doch über eine Leiter geklettert, oder?“, fragte Hinata zaghaft.

„Allerdings“, meinte Kakashi. „Aber wenn ich mir das Schloss hier so ansehe, halte ich es für zweifelhaft, dass meine Leiter immer noch dort steht.“

„Die Garage ist verriegelt und der Vordereingang sowieso“, sagte Sasuke und führte sein Feuerzeug zu der Zigarette, die er zwischen den Zähnen hielt. „Das heißt, wenn die Leiter auch fort ist und wir das Zeug hier nicht wegbekommen, sitzen wir in diesem Hotel fest.“

Naruto lief ein eisiger Schauer über den Rücken.

Apathie


 

~ 23 ~

 
 

(2:15 Uhr)

Das wart ihr!“, rief Toto und seine Pistole blitzte schon wieder gefährlich auf. Die Freunde wichen zurück zu den Wänden.

„Nur die Ruhe“, sagte Kakashi.

„Nein! Sie sind mir genauso suspekt wie alle anderen hier! Wer kann denn noch das Schlüsselloch verklebt haben?“

„Wer sagt, dass Sie es nicht selbst waren?“, fragte Sasuke plötzlich, und Toto wurde schlagartig still. Dann bekam er einen roten Kopf.

„Ich?“, krächzte er. „Warum sollte ich das tun?“

„Er hat recht“, sagte Shino. „Es würde keinen Sinn machen. Warum? Weil er ohnehin der Einzige mit einem Schlüssel ist.“

„Ich meine ja nur.“ Sasuke zuckte mit den Schultern. „Ständig beschuldigt er uns. Wer sagt uns, dass er nicht auch schon vor uns hier war und mit dem Täter unter einer Decke steckt? Die Entführer haben selbst zugegeben, dass sie mehrere Leute sind. Und denkt mal dran, wie locker seine Waffe sitzt.“

„Hier wird niemand mehr beschuldigt, Sasuke“, sagte Kakashi streng. „Gehen wir die Fakten durch. Wer kam wann und wie hierher? Toto, welchen Weg haben Sie genommen, als sie zu uns gegangen sind?“

Gemeinsam eruierten sie, was sie alle getan hatten, seit sie das Hotel betreten hatten. Die Straßengang war als Erstes hergelangt und hatte getrennt den vorderen Kellerteil durchsucht. Dann war Narutos Clique gekommen. Etwa zu der Zeit musste Kimimaro die Schaltzentrale für das Garagentor zerstört haben. Ein paar Minuten später waren Naruto und die anderen erst auf die Straßengang gestoßen.

Naruto und Sasuke hatten im Erdgeschoss den vorderen Teil der Lobby untersucht, Shikamaru und Chouji das Restaurant und die Küche. Temari, Ino und Tenten hatten sich nach hinten begeben, zur Hotelbar und zu dem Laden. Hinata, Kiba und Shino hatten einen weiteren Flur im Erdgeschoss übernommen, Kankurou, Gaara, Neji und Lee den ersten Stock. Während sie gesucht hatten, hatte Kankurou sich von seiner Gruppe getrennt und Temari von Gaaras angeblichem Anfall erzählt. Daraufhin war sie nach oben gegangen und er bei Ino und Tenten geblieben.

Kakashi war indessen durch ein Fenster im zweiten Stock eingestiegen. Toto war durch den Bediensteteneingang gekommen, zu dem es auf seiner Polizeistelle einen Schlüssel gab. Er hatte die Tür hinterher wieder abgeschlossen. Die Straßengang war im Keller geblieben und Kimimaro hatte sich abermals von der Gruppe getrennt, angeblich, wie die anderen schließlich zugaben, um eine Toilette zu suchen. Er war entweder in der Garage oder im Treppenhaus geblieben, von wo aus er in jeden beliebigen Stock hätte gehen können, und ab dem zweiten Stock aufwärts war es unwahrscheinlich, dass ihn jemand gesehen hätte.

Naruto und Sasuke hatten Sakuras Leiche schließlich in der Umkleidekammer im vorderen Teil der Lobby entdeckt. Auf Narutos Schrei hin waren Shikamaru, Chouji, Kiba, Shino und Hinata dorthin geeilt. Kakashi war eher zufällig in die Lobby hinuntergeschlichen und hatte dort Chouji und Shino getroffen, die die anderen holen sollten. Indessen war Toto auf Tayuya, Jiroubou und Sakon gestoßen und hatte sie schnurstracks in die Lobby hinauf gescheucht, weil auch er Naruto gehört hatte. Dort waren die beiden Gruppen zusammengetroffen, und auch Temari, Gaara, Neji und Lee waren aus dem ersten Stock gekommen. Auf der Suche nach den Mädchen hatten sie dann Tentens und Kankurous Leiche und die bewusstlose Ino in dem Laden gefunden. Zu dem Zeitpunkt fehlte nur noch Kimimaro, der von Toto erschossen wurde, kaum dass er sich gezeigt hatte.

„So wie ich das sehe, hatte also dennoch nur Kimimaro Gelegenheit, die Tür zu blockieren“, sagte Shino. „Warum? Weil er der Einzige ist, dessen Aufenthaltsort nicht geklärt werden kann.“

„So einfach ist es leider nicht“, murmelte Toto zerknirscht. „Kommt mal mit.“ Er führte sie ein Stück den Gang zurück, öffnete eine – unverschlossene – Tür und dahinter offenbarten sich ein toter Lastenaufzug und ein winziges Treppenhaus. „Der Lieferantenaufgang. Aufzug und Treppe führen in den jeweils hinteren Bereich der einzelnen Stockwerke.“

„Habt ihr dieses Treppenhaus oben gesehen?“, fragte Shikamaru.

Gaara schüttelte den Kopf. „Nein. Wir haben nacheinander die Gästezimmer durchsucht. Wir sind nicht bis ganz nach hinten gekommen, als uns die anderen geholt haben. Wir waren gerade erst mit einen Seitenflügel fertig.“

„Was Toto also sagen will, ist, dass jeder, der in der Zwischenzeit ohne Aufsicht war, die Lieferantentreppe benutzt haben könnte, um das Schloss hier zu verstopfen“, fasste Shikamaru zusammen.

„Das ist doch lächerlich!“, rief Kiba. „Wer von uns sollte denn einfach mal so irgendein x-beliebiges Schoss verkleben?“

„Vielleicht jemand, der mit Kimimaro zusammengearbeitet hat. Der hat ja auch versucht, uns hier einzusperren. Wenn derjenige über das Hotel Bescheid weiß, ist er vielleicht auf Nummer sicher gegangen. Oder er hat Toto sogar gesehen, wie er bei der Hintertür reinkam.“ Shikamaru wandte sich an Tayuya und Sakon. „Bei dieser Sache mit Sakon … Ihr habt gesagt, es waren mindestens drei. Könnt ihr euch vorstellen, dass außer Kidoumaru noch Kimimaro dabei war?“

„Ein Alibi hatten jedenfalls nur Jiroubu und ich“, sagte Tayuya. „Wenn das so ist, dann hat Kimimaro die Kugel umso mehr verdient!“

„Und wenn wir einfach ein Fenster öffnen?“, fragte Lee plötzlich.

„Die Fenster sind alle doppelt und dreifach gesichert. Du bräuchtest einen speziellen Schlüssel dafür“, sagte Kakashi.

„Dann schlagen wir sie einfach ein!“

Sasuke schnaubte. „Viel Spaß dabei. Diese Scheiben halten so einiges aus. Ich hab sie mir mal angesehen. Da musst du schon mit einer Panzerfaust dagegenschießen.“

„Jetzt übertreibst du“, meinte Naruto.

„Die Fenster sind tatsächlich sehr stabil“, sagte Kakashi. „Ich habe mich auch ein wenig über das Hotel informiert. Offenbar war es den Erbauern wichtig, es einbruchssicher zu machen. Ich bezweifle, dass wir sie mit unseren Kalibern zerschießen können.“

„Kein Wunder, wenn man bedenkt, wo wir hier sind“, murmelte Temari.

„Aber oben ist doch ein Fenster kaputt?“, meinte Naruto.

„Es ist nicht kaputt. Die Scheibe fehlt ganz einfach.“

„Dann basteln wir eben ein Seil aus Bettlaken und klettern daran nach draußen!“

„Wir sollten vorher lieber nachsehen, ob die Leiter noch steht!“, fiel Chouji ein.

„Genau. So oder so, wir verschwinden von hier und überlassen den Rest der Spurensicherung, würde ich sagen.“

„Als ob ich euch so einfach davonkommen lassen würde!“, rief Toto. Die Freunde hatten sich schon fast an den Anblick der Pistole in seiner Hand gewöhnt, schien es Shikamaru. Und das war nicht gut. Er drohte viel damit herum, ja, aber Kimimaro hatte er auch schon erschossen. Obwohl er offenbar schuldig gewesen war – sollte so jemand wirklich Polizist sein? „Ihr da! Ihr geht schön da rüber an die Wand! Alle, die im ersten Stock waren, los, los! Man kann euch nicht trauen!“

Die vier vom ersten Stock waren die Einzigen, die das Schloss außer Kimimaro hätten sabotieren können, also Gaara, Temari, Lee und Neji. Er winkte sie heftig mit seinem Schießeisen zur Seite.

„Jetzt ist es aber wirklich genug“, ging Kakashi wieder einmal dazwischen. „Mit diesen Verdächtigungen erreichen wir nichts.“

„Pah! Ich weiß genau, wie das läuft. Kaum lässt man Leute wie euch aus den Augen, seid ihr verschwunden!“

„Jetzt aber mal halblang!“ Temaris Miene war zornumwölkt. „Sind wir auf einmal Schwerverbrecher oder was?“

„Ruhe! Ihr zieht jetzt eure Jacken aus und leert eure Taschen und werft alles hierher auf den Boden! Und dann machen wir eine Leibesvisitation! Jemand von euch hat Klebstoff dabei, da bin ich mir sicher!“

„Klebstoff.“ Sie verzog das Gesicht zu einem versuchten Schmunzeln. „Jetzt wird es langsam lächerlich.“

„Ruhe! Ausziehen!“

„Wenn Sie glauben, ich lasse mich von Ihnen begrapschen, haben Sie sich geschnitten!“, gab sie zurück und verschränkte die Arme. Dabei war Temari eine der wenigen, die in dieser lauen Nacht überhaupt eine dünne Herbstjacke trug.

Toto packte seine Pistole beidhändig. „Runter mit der Jacke.“

„Nein!“

Es klickte, und plötzlich richtete Kakashi seine Pistole auf den Polizisten. „Es tut mir leid, aber ich bin mit Ihren Methoden nicht einverstanden. All diese Menschen hier haben in der letzten Stunde jemanden verloren, der ihnen wichtig war. Es ist natürlich, dass wir alle etwas gereizt sind. Sie machen es nur schlimmer. Sollten Sie schießen, schieße ich auch.“

Die Drohung hing wie kalter Rauch in der Luft. Toto biss sich auf die Lippe. Shikamaru sah plötzlich hinter ihm einen Schatten, aber noch ehe er eine Warnung ausstoßen konnte, quoll pure Schwärze die Treppe herunter und hüllte Toto ein.

Der Polizist schrie, die anderen duckten sich für den Fall, dass sich ein Schuss löste. Die Taschenlampe polterte zu Boden und ging mit einem Klirren aus. Dann ertönte ein Ächzen. Eine schwarze Gestalt hockte auf Toto und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Die Pistole hatte sie ihm entrungen.

Kakashi nahm ihn sofort ins Visier. „Runter von ihm! Und weg mit der Waffe!“

„Nur die Ruhe, alter Freund“, kam eine bekannte Stimme unter der schwarzen Mütze hervor. Der Mann drehte das Gesicht, sodass ihre Smartphone-Lichter ihn erfassen konnten.

„Sie?“, rief Chouji, während Shikamaru einfach nur perplex war. Niemand Geringerer als Asuma hatte Toto entwaffnet.

Kakashi ließ die Pistole sinken, als er ihn erkannte, und Asuma richtete sich auf. Toto wimmerte und beschwerte sich, aber seine Waffe war er los. „Ich weiß nicht genau, was hier los ist, aber der Mann kam mir nicht geheuer vor. Ich behalte die Pistole, wenn es euch recht ist.“ Niemand hatte etwas einzuwenden, selbst die Straßengang nicht.

„Was machen Sie hier?“, platzte Chouji heraus.

„Dasselbe wie Kakashi, nehme ich an.“ Die beiden hatten schon öfters zusammengearbeitet, hatte Shikamaru gehört. „Ich dachte, ich greife euch unter die Arme. Ich zähle nicht als Polizei, also hatte ich vor, mich als Einbrecher zu tarnen. Habt ihr eure Freundin schon gefunden?“

Als er Sakura erwähnte, schwiegen die anderen betreten. Asumas Blick verdüsterte sich, als er die traurige Wahrheit erahnte.

Sie tauschten nochmal Informationen aus. Asuma war über eine Leiter in den zweiten Stock geklettert – die Leiter war nicht seine eigene, also musste er Kakashis verwendet haben. Im Gegensatz zu dem Polizisten war er jedoch im zweiten Stock geblieben und hatte sich dort umgesehen.

„Dabei habe ich die beiden hier getroffen. Ihr könnt jetzt runterkommen!“, rief er die Treppe hoch.

Verblüfft starrten die Freunde nach oben. Der Lichtschein von zwei Taschenlampen flackerte, und zwei Männer trabten herab, die Gesichter eine Mischung aus Missmut und Neugier. Sasori und Deidara. „Ihr“, sagte Naruto düster.

„Dann wären ja jetzt wirklich alle versammelt, die im La Grande waren“, stellte Shikamaru fest.

„Ihr kennt sie also?“, fragte Asuma. „Sie haben im zweiten Stock herumgelungert, in der VIP-Lounge. Sie sagen, jemand hätte sie erpresst, herzukommen, und nun wüssten sie nicht, was sie tun sollten.“

„Erpresst ist ein so erniedrigendes Wort, hm“, meinte Deidara. „Sagen wir, es wurde uns empfohlen, mal im NeoMetropolis einzuchecken.“

„Der Porsche in der Garage“, erinnerte sich Shino. „Das wart also ihr.“

„War die Garage da noch leer?“, fragte Kakashi, und die beiden nickten. Sie waren also die Ersten gewesen.

„Dann haben wir um zwei Verdächtige mehr“, stellte Sasuke kühl fest.

„Verdächtige für was? Diese komischen Pfeilmarkierungen waren schon da, hm“, sagte Deidara. „Wir sind den Pfeilen nach oben gefolgt. Im zweiten Stock gibt es keine mehr davon, also haben wir dort haltgemacht. Ist das verboten? Warum seid ihr überhaupt hier?“

„In diesem Hotel sind in Summe vier Menschen gestorben“, sagte Kakashi düster. „Sie können sich ausrechnen, was verdächtig in diesem Fall bedeutet.“

 

Asuma hob die Hand. „Ja, bitte?“, fragte Sphinx.

„Da ich wieder ins Dorf zurückkehren darf, eine Frage. Ist es nicht an der Zeit, uns zu sagen, welche Karten überhaupt mitspielen? Ich denke, es ist quasi unmöglich, alles richtig zu erraten, wenn man nicht weiß, wie viele Dorfbewohner mit und wie viele ohne Spezialfähigkeiten es gibt.“

„Das wollte ich Sie auch schon bitten“, sagte Kurenai nickend.

„Hm.“ Der Spielleiter verschränkte die Arme. „Schön. Weil ihr alle so eifrig bei der Sache seid, gebe ich euch den Zwischenstand. Also, es sind insgesamt folgende Karten im Spiel: der Kultführer, die Zaubermeisterin, die Seherin, der Strolch, der Paranormale Ermittler, der Alte Mann, der Leibwächter, die Hexe, der Vampirjäger, der Trunkenbold, der Verfluchte, die Doppelgängerin, der Geist, der Harte Bursche, die Unruhestifterin, die Märtyrerin, der Priester, der Prinz und die Alte Vettel. Dann gibt es noch eine unbestimmte Anzahl von Vampiren und eine unbestimmte Anzahl von Werwölfen, wobei einer der Werwölfe das Wolfsjunge ist. Alle übrigen Spieler sind Freimaurer; gewöhnliche Dorfbewohner gibt es diesmal keine. Und natürlich haben wir wieder ein Liebespaar. Jetzt, nach dem zweiten Tag, sind noch zwanzig Spieler am Leben. War das ausführlich genug?“

Shikamaru kam kaum zum Mitschreiben, aber was er nicht gleich niederkritzeln konnte, merkte er sich zum Glück lange genug. Die anderen nickten.

„Schön“, meinte Sphinx. „Dann bricht jetzt wieder die Nacht herein.
 

- Der Hintere Bezirk, dritte Nacht -
 

(2:25 Uhr)

Nachdem Toto gezwungenermaßen seine Schießwut verloren hatte, machten sich die Freunde auf in den zweiten Stock, um das fehlende Fenster zu suchen. Vielleicht hatten sie ja doch Glück und die Leiter stand noch dort. Es war die letzte Möglichkeit, das Hotel zu verlassen.

Während sie die enge Treppe des Personalaufgangs erklommen, waren die Freunde bedrückt. Jetzt, als es keine unmittelbare Gefahr mehr gab, schlug die Müdigkeit zu, die aber immerhin die Trauer um ihre verlorenen Freunde dämpfte. Es war eine schleichende Prozession, die sich da durch das Stiegenhaus wand.

Der zweite Stock sah aus wie der erste, wenn man Temari glauben durfte. Es gab zwei Flügel, in denen Gästezimmer untergebracht waren, und im hinteren Bereich, in den die Treppe durch eine doppelte Flügeltür mündete, einige weitere, exklusivere Zimmer sowie die VIP-Lounge. Dort lagen aufgerissene Chipstüten herum, und geöffnete Bierflaschen standen auf dem Tisch. Daneben stapelten sich einige Plastikbecher. „Habt ihr das alles mitgebracht?“, fragte Kakashi Deidara und Sasori.

„Haben wir in einem Lagerraum gefunden“, meinte Deidara achselzuckend „Das Haltbarkeitsdatum war noch okay.“

Naruto kam das ein wenig merkwürdig vor, aber er wollte nicht mehr darüber nachdenken. Sein Kopf  fühlte sich mehr und mehr wie mit Watte gefüllt an.

Kakashi brachte sie in den rechten Flügel. Dort im Gang war es kalt. Das Fenster ganz am Ende fehlte, als hätte jemand vergessen es einzubauen. Asuma warf einen Blick hinaus. „Sieht schlecht aus“, murmelte er. Naruto beugte sich ebenfalls etwas vor. Die Leiter lag unten am Boden. Es war fraglich, ob ein Windstoß sie umgerissen hatte, viel eher glaubte er an Sabotage, wie sie sie schon zweimal erlebt hatten.

„Also sitzen wir hier wirklich fest?“, fragte Hinata ängstlich. Naruto hätte gern etwas Aufmunterndes erwidert, brachte aber kein Wort über die Lippen.

„Das muss jemand von euch gewesen sein!“, sagte Toto und deutete auf Deidara, Sasori und Asuma.

„Fangen Sie schon wieder an?“, knurrte Naruto. Er hatte die Nase voll von dem Kerl.

„Wir sollten die Nerven behalten“, sagte Shino. „Jemand hatte die Idee, ein Seil aus Betttüchern zu machen, richtig? Wir könnten uns aus dem Fenster abseilen.“

„Negativ“, sagte Deidara. „Wir haben uns umgesehen. In keinem der Zimmer ist noch irgendwas Brauchbares. Die haben nur die Matratzen drinnen gelassen. Die Vorhänge sind auch weg.“

„Nur in der Lounge gibt es noch welche“, sagte Sasori. „Allerdings sind die so dünn, dass sie bei der geringsten Belastung reißen würden.“

„Na toll. Und wenn wir unsere Klamotten zusammenbinden?“ Naruto betrachtete seine Freunde. Da die Nacht unnatürlich warm für diese Jahreszeit war, hatten die meisten nur ein Shirt an. Einzig Kakashi, Temari und Gaara trugen leichte Windjacken. Hinata besaß eine warme Daunenjacke und Shino trug wie immer ziemlich schwere Kleidung. Ob das reichen würde? Die Toten wollte er auf keinen Fall anrühren.

„Vergiss es“, sagte Temari. „Wir sind hier im zweiten Stock, und knapp neben der Mauer geht es runter bis in die Etage mit der Garage. Der Hang, der auf normale Höhe führt, ist einen Meter von der Hauswand entfernt. Das heißt, wir müssten uns fast vier Stockwerke weit abseilen.“ Sie maß Toto mit einem finsteren Blick. „Und der Nächste, der mir sagt, ich soll mich ausziehen, den köpfe ich sowieso.“

„Ach was?“, meinte Tayuya zuckersüß. „Es geht hier um unsere Freiheit. Hast du was zu verbergen, Schwester?“

„Wenn du mich so fragst, ja. Im Gegensatz zu dir, wie man sieht“, giftete Temari zurück.

„Das reicht jetzt“, sagte Kakashi forsch. „Es muss noch eine Möglichkeit geben, bei der wir uns nicht den Hals brechen. Richten wir uns in der Lounge ein und überlegen, was wir tun können.“

 

Übrigens, vergessen wir nicht, dass nun die dritte Nacht ist. Der Trunkenbold erwacht, wird nüchtern und erinnert sich daran, wer er eigentlich ist. Ich zeige dir die Karte mit deiner wahren Persönlichkeit, die du jetzt annimmst. Wenn du die Regelkarte studieren willst, tu das nicht zu auffällig, ja? Dann zeige mir, was du tun willst.

Der Trunkenbold also. Shikamaru grübelte mit geschlossenen Augen. Einer von ihnen war scheinbar ein normaler Dorfbewohner gewesen, aber nun war er ausgenüchtert und hatte quasi seine wahre Bestimmung erfahren. Und es war jemand, der sofort im Raum umherzeigen musste, damit Sphinx erfuhr, wen er auswählen wollte. Der Spielleiter hatte in der ersten Nacht alle Figuren gerufen, die einmalig aufwachten, aber das war sicher nur eine Finte gewesen. Bei einem von ihnen hatte niemand die Augen geöffnet, und Sphinx hatte nur so getan, als würde er die Entscheidung dieser Figur zur Kenntnis nehmen.

Wenn der Betrunkene aber in Wahrheit zum Beispiel die Seherin war, würde Sphinx sie ganz normal aufrufen, wie jede Nacht. Dass der Betrunkene ihm jetzt zeigen sollte, was er tun wollte, konnte nur bedeuten, dass Sphinx das anders nicht rausfinden konnte, also dass es eine Figur war, die genau einmal im Spiel – und üblicherweise am Anfang – aufwachte. Im Geiste ging Shikamaru diese Figuren durch. Es gab genau zwei davon.

 
 

(2:45 Uhr)

Die VIP-Lounge im zweiten Stock war groß und gemütlich. Sie konnte die zwanzig Menschen dennoch nur knapp beherbergen – es gab zwar weiche Stoffsesseln und eine breite Couch, die sich um ein hübsches Glastischchen wand, aber es waren zu wenige Sitzplätze für alle. Die Lounge befand sich hinter einer milchigen Glaswand, etwas abgeschirmt vom Rest des Hotels, und es gab auch hier eine schmucke Bar aus dunklem Teakholz und dahinter leere Spirituosen-Regale. Der Boden war mit dunklen Teppichen ausgelegt, Mini-Kronleuchter hingen von der ebenfalls dunkel getäfelten Decke herab. Vor die Fenster konnte man die leichten, dünnen Vorhänge ziehen, von denen Sasori erzählt hatte und deren Rotton bereits am Verblassen war. Alles in allem hätte man hier sicherlich ein hübsches Ambiente.

Allerdings gab es auch hier kein Licht. Kakashi musste sie extra bitten, damit Sasori und Deidara ihre Taschenlampen zur Verfügung stellten und sie so auf niedrigen, wohl für Blumen gedachten Beistelltischen drapierten, dass die Sitzgelegenheiten wenigstens ein wenig Licht erfuhren und die Freunde die Akkus ihrer Smartphones schonen konnten. Naruto wollte sich gar nicht vorstellen, was passierte, wenn diese zuneige gingen und sie hier in völliger Finsternis hockten. Speziell in den Fluren würde das Mondlicht nicht reichen. Toto besaß ebenfalls eine starke Taschenlampe, doch die war bei seinem Gerangel mit Asuma kaputtgegangen.

Auf eigene Faust durchsuchten sie noch einmal die Lounge. Die Bar war fast leergeräumt, nur in einem kleinen Schrank standen Flaschen und Schachteln mit Resten von Putzmitteln und Geschirrtüchern. Im hinteren Bereich der Lounge gab es Toiletten. Da die Bierflaschen nicht für alle reichten und sie bei dem Anblick merkten, wie durstig sie waren, rangen sich die Freunde durch, mit den Bechern das stehende Wasser aus den Spülkästen zu schöpfen. Es war recht sauber, wenn auch brackig.

Kakashi versuchte wiederholt zu telefonieren, Temari, Ino und Kiba probierten ebenfalls alles Menschenmögliche mit ihren Smartphones aus, jedoch hatte immer noch keiner von ihnen ein Netz oder einen Zugang zum Internet. Einige Eifrige unter ihnen diskutierten bereits, was sie nun tun konnten. Naruto beteiligte sich nicht daran. Er saß neben Sasuke, der offensichtlich vor sich hingrübelte. „Was überlegst du?“, fragte er, um irgendetwas zu sagen und sich abzulenken.

„Ob wir an alles gedacht haben.“

„Hä?“

Sasuke sah ihn nicht an und sprach mit gesenkter Stimme. Sonst schien ihnen niemand zuzuhören. „Jemand hat Sakura entführt, uns alle hergelockt und sie umgebracht. Ich glaube nicht mehr, dass wir irgendein Abkommen gebrochen haben oder dass es Kakashis oder Totos Schuld ist. Der Mörder wollte Sakura so oder so töten. Aus Rache für Kidoumaru.“

„Aber weswegen sollte er ausgerechnet Sakura umbringen? Sie hatte doch damit nichts zu tun!“

Sasuke lächelte leise, aber es wirkte nicht fröhlich. „Du weißt wenig über Rache. Sie kann schon mal verschlungene Wege gehen. Ich vermute, weil wir alle im La Grande waren, hat der Mörder einen Groll gegen uns alle. Er will uns alle töten. Und das bedeutet, es ist sicherlich mehr als einer.“

„Das lässt sich ja wohl nicht mehr leugnen“, murmelte Naruto.

„Sakon wurde von drei Leuten zusammengeschlagen. Einer davon war Kidoumaru. Der wurde aus dem Verkehr gezogen. Die anderen haben geplant, uns alle hier einzusperren. Kimimaro hat das Garagentor geschlossen und den Kontrollraum demoliert. Ich wette, die Polizei würde seine Fingerabdrücke auf der Feuerwehraxt finden. Ich kann dir sogar noch einen Beweis nennen. Wie hätte der Täter sonst von Kidoumarus Schicksal erfahren sollen, wenn er nicht direkt an der Quelle säße?“

„Hm. Aber … Ach so, du warst ja nicht dabei. Tayuya hat Sakura angerufen und sich bedankt. Es war ziemlich offensichtlich, dass sie etwas Schlimmes mit Kidoumaru angestellt haben.“

„Verstehe.“ Sasuke musterte finster die Rothaarige, die eben lautstark mit Jiroubou stritt. „Also wussten noch mehr Leute davon.“

„Kimimaro ist ja jetzt tot“, nahm Naruto den Faden wieder auf.

„Ja. Somit haben sie vielleicht noch einen Mitstreiter. Es kann sein, dass er gar nicht hier ist. Es kann aber auch sein, dass er sich noch irgendwo im Hotel versteckt – oder dass er einer von uns ist.“

Naruto bekam eine Gänsehaut. „Aber wieso sollte einer von uns … Wenn, dann ist es noch einer von dieser Gang!“

„Denk an Kankurou“, erinnerte ihn Sasuke. „Keine Ahnung, was in seinem Kopf vorgegangen ist, aber er hat uns ganz schön an der Nase rumgeführt.“

Naruto schwieg.

„Da ist noch etwas, das mich stört“, erwiderte Sasuke. Täuschte sich Naruto, oder sprach er nun noch leiser als ohnehin schon? „Die Art, wie er Tenten hingerichtet hat. Es kann mir keiner erzählen, dass das nicht mit irgendeinem okkulten Unsinn zu tun hat. Noch dazu diese Botschaft von Hidan, dass Jashin zwei Opfer gewählt hätte. Es hat schon bei Hidan selbst angefangen.“

„Meinst du, man will die Morde diesem Jashin in die Schuhe schieben?“

„Schön wär’s. Ich vermute, es ist andersherum. Jemand mordet extra für Jashin. Irgendein fanatischer Spinner. Und ich glaube, auch Kankurou war nicht allein. Allein macht so etwas niemand.“

„Du … du meinst also, es gibt irgendeine … Sekte, die Jashin Opfer bringt?“

„Ich habe die Aufzeichnungen von meinem Bruder durchgesehen. Kurz vor seinem Tod hatte er es mit etlichen rituellen Morden zu tun, bei denen die Opfer ähnlich zugerichtet wurden wie Hidan und Tenten. Ein Serienmord im Dienste eines Dämons, so hat Itachi es bezeichnet. Er starb, bevor er mehr herausfinden konnte.“

„Das mit deinem Bruder … tut mir übrigens leid“, murmelte Naruto betreten.

„Spar dir das.“ Sasuke sog kräftig an seiner Zigarette. Wenn er so weitermachte, hatte er seine Packung bald aufgeraucht. Wie als Antwort auf diesen Gedankengang, hustete er plötzlich. Naruto bemerkte Schweißperlen in seinem Gesicht und runzelte die Stirn. „Itachi war diesen Kerlen jedenfalls auf der Spur, und er glaubte auch, dass es mehrere sind.“

„Dann würde ich sagen, dieser Hidan und seine Band sind verdächtig!“

„Nicht unbedingt. Jashin ist nicht einfach nur deren Kunstfigur. Er ist ein echter, mythologischer Dämon – sofern so was echt sein kann. In unseren Breitengraden wurde er schon von etlichen Sekten verehrt. Und eine davon begeht nun in seinem Auftrag Morde an unseren Freunden.“

Naruto blies die Backen auf und ließ sich in seinen Sessel sinken. Da war alles dubioser, als er geahnt hatte …

In dem Moment kam Ino zurück, die sich wieder einigermaßen gefangen hatte. Sie war in jede Ecke der Lounge gegangen, mit ihrem Smartphone in der Hand. „Keine Chance. Nirgendwo Empfang.“

„Das ist echt seltsam.“ Shikamaru kratzte sich am Kinn. „Die Sendemasten reichen ja auch bis außerhalb der Stadt. Wieso sollte gerade hier ein Funkloch sein?“ Er hatte das Notebook aus dem Laden mitgenommen und werkte damit herum. „WLAN gibt es hier auch nirgendwo welches. Das wundert mich zwar weniger, aber das mit dem Handynetz ist schon merkwürdig.“

Sie versuchten es im Endeffekt alle noch einmal, aber keiner von ihnen kam irgendwo durch. „Hast du eine Erklärung dafür?“, fragte Asuma Shikamaru.

Dieser seufzte und verschränkte die Arme im Nacken. „Ich habe eine Theorie, aber sie muss nicht stimmen. Es gibt da so Geräte, Störsender quasi. Richtig eingesetzt, können die unseren Empfang blockieren. Vielleicht hat auch jemand einen WiFi-Jammer aufgestellt.“

„Und wo könnten diese Geräte sein?“

„Tja, gute Frage. Ich habe keinen Tau, wie weit so etwas reicht. Aber wenn die Täter auf Nummer sicher gehen wollten, dann haben sie sie sicher irgendwo im Hotel versteckt. Wenn wir sie ausschalten, können wir womöglich wieder Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen und Hilfe anfordern.“

„Das heißt, wir dürfen hier, in einem nachtfinsteren Hotel, eine Schnitzeljagd veranstalten?“, fragte Kiba wenig begeistert.

„Es ist nur eine Theorie“, wiederholte Shikamaru. „Es kann auch sein, dass wir hier wirklich zufällig in einem Funkloch oder so ähnlich sind.“

„Da glaube ich lieber an so einen Jammer“, sagte Temari trocken. „Die Frage ist, wie suchen wir danach? Sollen wir uns lieber aufteilen? Sonst dauert es ja ewig.“

„Aufteilen halte ich für eine schlechte Idee, solange wir nicht wissen, ob sich noch jemand in diesem Hotel versteckt“, sagte Kakashi.

 

Es gilt dasselbe wie in den Runden zuvor: Die Doppelgängerin weiß selbst, wenn derjenige, den sie kopiert hat, gestorben ist. Falls das der Fall ist, öffnet sie nun die Augen und ich zeige ihr die Karte, die diese Person hatte. Dann nimmt sie deren Identität an. Kommen wir zu den Schutz-Charakteren.

 

„Vielleicht geht es in Ordnung, wenn wir uns in zwei Gruppen aufteilen“, sagte Asuma. „Wir haben zwei Pistolen, aber wir sind so viele, dass wir nicht auf alle gleichzeitig aufpassen können. Die Mehrheit sollte hier in der Lounge bleiben. Sie hat nur einen Eingang, sollte also relativ sicher sein, und sie kann mehrere Leute aufnehmen.“

„Gute Idee“, sagte Kakashi. „Währenddessen durchkämmt eine zweite Gruppe das Hotel und sucht den Störsender. Das werden wir beide machen.“ Er nickte Asuma zu. „Da wir nur zwei Waffen haben, sollten wir kein Risiko eingehen. Wir lassen eine hier bei euch.“

„Dann wird es Zeit, dass ich meine Pistole wiederbekomme.“ Toto schmollte.

Kakashi überlegte nicht lange. „Tut mir leid, aber ich möchte Sie heute nicht mehr mit einer Waffe in der Hand sehen.“ Sein Blick glitt kurz über Sasuke und Naruto, dann sagte er: „Shikamaru. Ich gebe sie dir.“

„Muss das sein?“ Shikamaru nahm die Pistole mit spitzen Fingern entgegen. „Ich bin nicht gerade erpicht drauf, zu schießen.“

„So weit kommt es hoffentlich nicht.“ Kakashi deutete auf die Milchglastür. „Behaltet einfach die Tür im Auge. Wenn ihr dahinter Licht seht, seid wachsam. Wenn wir es sind, klopfen wir dreimal gegen das Glas.“

„Wir beeilen uns“, fügte Asuma hinzu. „Shikamaru, wie sieht so ein Störgerät aus?“

„Keine Ahnung. Ich hab nur mal davon gehört. Irgendwas typisch Technisches vermutlich.“ Er zuckte die Achseln. „In diesem kahlen Hotel wird’s vielleicht eh auffallen.“

„Wohin geht ihr?“, fragte plötzlich Neji, als Asuma und Kakashi sich aufrichteten. Seit sie in der Lounge angekommen waren, hatte er mit düsterer Miene und düsterem Ton mit Lee gesprochen. Es hatte nicht so ausgesehen, als ob man auf die beiden in dieser Nacht noch zählen könnte. Neji schien vor allem Tentens Tod so nahezugehen, dass er in stiller Trauer fast sämtliche Lebenszeichen seinerseits unterdrückte und wie eine wandelnde Leiche wirkte. Lees Augen waren gerötet. Schon seit sie Sakura gefunden hatten, hatte er immer wieder geweint und sich Vorwürfe gemacht. Jetzt schienen sie sich beide etwas gefangen zu haben.

Kakashi erklärte Neji noch einmal, was sie vorhatten.

„Ich komme mit“, beschloss dieser. „Ich werde etwas zu unserem Überleben beitragen. Sonst werde ich wahnsinnig.“ Er sprach wieder distanziert und berechnend, so sachlich, als ginge es ihn nichts an, aber allein so ein Geständnis bedeutete von ihm eine Menge.

Seine Entschlossenheit ließ Kakashi und Asuma zögern. „Wir beide sind im Schleichen vermutlich besser geübt …“, begann Asuma.

„Ich betreibe Kampfsport. Da lernt man Ruhe und Selbstbeherrschung. Und ich kann zuschlagen, wenn es sein muss.“

Nach einigem Hin und Her erweichte sie seine Beharrlichkeit. Kakashi reichte ihm seine dunkle Jacke, damit sein helles Hemd nicht so sehr auffiel. Ehe sie gingen, wandte sich Neji noch einmal an Lee. „Kommst du klar?“

„Ja.“ Lees Augen funkelten wieder. „Du hilfst suchen, und ich passe hier auf alle auf. Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemandem hier etwas passiert, das schwöre ich!“ Er wollte nun also in die Beschützerrolle schlüpfen. Das konnte nur heißen, dass es mit ihm wieder bergauf ging.

Gebückt und erst mal ohne Licht schlichen Kakashi, Asuma und Neji aus der Lounge. Sie würden noch einmal das erste, dann dieses hier und danach die darüberliegenden Stockwerke durchsuchen. Niemand wusste, wie lange das dauern konnte, aber sie hatten vereinbart, sich in spätestens zwei Stunden zu melden. „Und wenn wir Glück haben, telefonisch“, hatte Asuma gesagt.

Danach gab es nicht viel für die Leute in der Lounge zu tun. Sakon, Jiroubou und Tayuya hatten sich in einer Ecke nahe der Bar zusammengerottet. Sasori und Deidara hatten ein paar Chipspackungen geöffnet, die auf den Tischen lagen, aber niemand sonst rührte sie an. „Wir können euch zeigen, wo wir sie herhaben“, sagte Deidara mampfend. „Vielleicht finden wir da noch mehr.“

„Wir sollten nicht unnötig herumstreunen“, sagte Shino, und niemand hatte etwas anzufügen.

Toto ging unruhig in der Lounge auf und ab; ihn schien irgendetwas zu beschäftigen. Wahrscheinlich seine Pistole, die Shikamaru schließlich an Chouji weitergereicht hatte. Dieser beobachtete die Tür, während Shikamaru versuchte, etwas über das Notebook in Erfahrung zu bringen. Dabei behielt er streng Akkustand und Uhr im Auge. Es war kurz vor halb vier, und das Notebook hatte laut Anzeige noch für etwa eine Stunde Strom. Er musste sich also beeilen.

„Shikamaru“, sagte Chouji irgendwann, während er sich durch die Ordnerstrukturen wühlte.

„Hm?“

Sein Freund deutete wortlos auf Temari, die sich in der anderen Ecke des Raumes auf den Teppichboden gekauert, die Füße angezogen und das Gesicht in den Händen vergraben hatte. Shikamaru hätte ihr gerne Trost gespendet. Nicht nur, dass ihr Bruder tot war, es sah auch ganz so aus, als hätte er jemanden aus ihrer Clique ermordet. Shikamaru hatte leider keine Ahnung, was er zu ihr sagen sollte. Hilfesuchend sah er sich im Raum und entdeckte Gaara, der mit verschränkten Armen an der Wand stand und Shikamarus Blicke verfolgt hatte. Er nickte zum Zeichen, dass er verstand, und ging langsam zu Temari, um mit ihr zu reden. Vielleicht mussten die Geschwister ohnehin erst mal unter sich sein.

Die Straßengang machte sich irgendwann daran, die Bar zu durchsuchen. Als sie nichts fanden, reichte Deidara ihnen grinsend eine Packung Chips, die sie ihm schließlich unfreundlich aus der Hand und aufrissen.

Sasuke saß schweigend in einem Sessel, rauchte, als wollte er unbedingt noch heute an Lungenkrebs sterben, und schien etwas auf seinem Handy zu betrachten. Er sah nur auf, wenn jemand an ihm vorüberging, als täte er etwas Verbotenes. Kiba versuchte Ino aufzuheitern, bekam aber nur einsilbige Antworten auf seine halbherzigen Witze. Auch Chouji versuchte sie in ein Gespräch zu verwickeln, da sie nach wie vor furchtbar aussah. Lee beäugte die Glastür mit eiserner Gewissenhaftigkeit. Hinata zog Naruto irgendwann in Richtung der Toiletten, die von der Lounge aus erreichbar waren. Shikamaru konnte nicht hören, was sie zu ihm sagte, aber vermutlich sollte er vor ihrer Kabinentür warten. Als sie die Lounge betreten hatten, hatten sie auch die Toiletten nach versteckten Feinden abgesucht, aber wenn sie sich so sicherer fühlte … Shikamaru wandte sich wieder seinen Daten zu.

„Schon etwas gefunden?“, fragte Shino, der neben ihm saß.

„Nichts“, seufzte Shikamaru. „Das Notebook scheint brandneu zu sein. Keine Programme außer die üblichen sind drauf, nichts ist personalisiert, und der einzige Benutzer ist der Administrator.“

„Dachte ich mir“, meinte Shino. „Warum? Weil es zu schön gewesen wäre.“

„Du sagt es“, meinte er mit einem neuerlichen Seufzen.

 

Naruto war mit Hinata von der Toilette zurückgekommen und hatte sich erschöpft wieder in seinen Sessel gesetzt. Hinata saß nun neben ihm und hielt seine Hand fest. Mit einem Mal spürte er die Müdigkeit wie einen Hammer auf sich herabfahren. Es dauerte nicht lange, da wurden seine Gedanken träge und er döste ein. Er erwachte, als Sasuke ihm sachte gegen das Schienbein trat.

„W-was?“, murmelte er verschlafen und sah sich nach einer Bedrohung um.

„Der rothaarige Kerl, der aussieht, als wäre er high. Sag mir noch mal, wie er heißt.“

„Ähm … Sasori, glaube ich. Wieso?“, fragte Naruto verwirrt. Was sollte das plötzlich?

„Was weißt du über ihn?“

„Hm …“ Naruto runzelte die Stirn, als er angestrengt nachdachte. „Warst du nicht … Ach so, du warst gerade an der Bar, als Temari es uns erzählt hat.“

„Was für eine Bar?“

„Wir haben ihn im Twilight schon getroffen.“

„Tatsächlich?“ Sasukes Miene hellte sich interessiert auf.

„Ja, äh … Also laut Temari haben sie früher mal in seiner Nähe gewohnt. Er hat da einen Spielzeugladen gehabt. Und sie haben getuschelt, dass er krumme Geschäfte dreht.“

„Hm.“ Sasuke schien nachdenklich. „Also kannten Gaara und seine Geschwister ihn. Von euch kannte ihn niemand, oder?“

„Nein, wieso?“

„Egal“, winkte Sasuke ab. „Vergiss es einfach.“

„Na dann.“ Naruto war zu schläfrig, um noch lange darüber nachzudenken. Es dauerte nicht lange, dann dämmerte er wieder weg.

 
 

(3:40 Uhr)

Shikamarus Augen brannten vor Müdigkeit, als sich an der Bar der Lounge ein kleiner Tumult erhob. Jemand stöhnte laut. Als Shikamaru aufsah, bemerkte er, dass Sakon auf dem Boden zusammengesunken war, die Stirn schweißglänzend und kreideweiß im Licht der Taschenlampen. „Ist mir egal!“, sagte Tayuya eben zu Shino, der mit ein paar anderen zu ihnen gegangen war. „Wenn da tatsächlich welche sind, holen wir sie uns!“

„Du kannst ja gar nicht wissen, ob die Kammer nicht auch komplett ausgeräumt ist!“, sagte Kiba. „Sei doch mal vernünftig! Deine anderen Freunde hast du ja auch einfach abserviert.“

Tayuya sah ihn mit blitzenden Augen an. „Also schön, wenn du verantworten willst, dass er stirbt, bitte!“

„Niemand stirbt hier“, sagte Sasuke, der von seinem Sessel aufgestanden war. Naruto war ebenfalls wieder wach und taumelte ein wenig unbeholfen hinter ihm her. „Schmerzen bringen einen nicht um.“

„Lass ihn doch einfach schreien, hm“, schlug Deidara vor. „Ist doch sicherer, als rauszugehen.“

„Hast du Angst, rauszugehen?“, fragte Tayuya spitz.

„Was ist denn hier los?“, mischte sich auch Temari ein. Shikamaru trat nun ebenfalls näher.

„Unser Freund ist schon viel zu lange hier. Eigentlich gehört er ins Bett“, erklärte Jiroubou.

„Er hat ein Loch im Bauch!“, behauptete Tayuya. „Dieser Quacksalber hat ihn ein wenig zusammengeflickt, aber wir sind einfach schon zu lange auf den Beinen! Die Schmerzmittel haben nachgelassen, und ich halte das Gestöhne nicht aus!“

„Wir haben, als wir angekommen sind, auch den dritten Stock ein wenig durchsucht“, berichtete Sasori. „Es gibt dort eine Erste-Hilfe-Kammer.“

„Also ein Geschoss über uns“, sagte Shikamaru. „Sind da noch Medikamente drin?“

„Wir haben nicht nachgesehen.“

„Was bringt ihr ihn auch mit!“, sagte Naruto. „Es wäre besser für ihn gewesen, zuhause zu bleiben!“

Tayuya starrte ihn böse an. „Unser Zuhause kann leider jederzeit von einer anderen Gang gestürmt werden. Dann wäre erstens unser Ruf hinüber und zweitens auch Sakon.“

„Nur die Ruhe“, sagte plötzlich Toto. „Wir regeln das schon. Bis in den dritten Stock ist es nicht weit. Wir holen ihm seine Schmerzmittel, und alles ist gut.“

„Sie wollen doch nur ihre Pistole zurück“, sagte Kiba misstrauisch.

„Nein, ich meine es so, wie ich sage.“ Er sah betreten zu Boden und knetete die Hände. „Als Polizist bin ich ein Versager. Das war schon immer so. Ich muss wenigstens das schaffen. Sonst werd‘ ich mir ewig Vorwürfe machen, selbst wenn ich in Rente bin.“

„Mir sind deine Komplexe sowas von schnuppe. Ich gehe jetzt jedenfalls in den dritten Stock“, verkündete Tayuya und sah Shikamaru an. „Die Knarre wirst du mir ja wohl nicht geben, oder?“

„Bedaure.“

Sie schnaubte. „Auch gut. Jiroubou, du bleibst bei Sakon. Ich traue diesen Typen nicht.“ Der Dicke nickte. „Du da. Hackfresse.“ Sie deutete auf Sasori. „Du gehst mit und zeigst mir den Weg.“

„Sasori“, sagte er mit einem leicht genervten Lächeln.

„Wie auch immer.“

„Es wäre gut, wenn ihr trotzdem die Pistole mitnehmen würdet“, sagte Shino. „Warum? Man kann nie wissen. Wir können uns hier verbarrikadieren, aber dort draußen in den Fluren seid ihr sonst ungeschützt.“

Shikamaru kam es plötzlich so vor, als trüge er nun die Verantwortung. Die Sache gefiel ihm immer weniger. Sowohl Toto als auch Tayuya und Sasori sahen ihn erwartungsvoll an. Er musste sie aufhalten. Die Sache war einfach viel zu riskant … Auf der anderen Seite war nicht gesagt, dass dort draußen jemand lauerte … Nein, es war andersrum. Es war nicht gesagt, dass dort niemand lauerte.

Tayuyas Augen blitzten. „Versuch gar nicht erst, mich aufzuhalten. Von so ‘nem Muttersöhnchen wie dir lasse ich mir nämlich gar nichts sagen.“

Er konnte sie wohl höchstens mit Gewalt davon abhalten. Und dann hätte er zumindest den massigen Jiroubou gegen sich … Und was, wenn Tayuya dort im Finsteren ihr eigenes Ding drehen wollte? Der Gedanke kam ihm ganz plötzlich. Sie und Sasori waren alles andere als vertrauenswürdig; was, wenn sie Asuma und die anderen irgendwie anfielen?

„Will … sonst noch jemand mitgehen?“, fragte er. Dem man trauen kann?, fügte er in Gedanken hinzu.

„Wenn du willst, gehe ich mit“, sagte Shino. „Dann kannst du dich weiter um das Notebook kümmern.“

Shikamaru glaubte nicht, dass er etwas aus der Kiste rausbekommen würde, aber er hatte keine Lust, mit der Waffe in der Hand durch dunkle Gänge zu spazieren. „Einverstanden.“ Chouji reichte Shino Totos Pistole.

„Dann gehen wir auch mit“, sagte plötzlich Temari. Sie funkelte ihren Bekannten an. „Wir trauen ihm nämlich nicht.“ Shikamaru rollte mit den Augen, und sie bemerkte es. „Was denn? Sasori ist eine zweifelhafte Person, findest du nicht? Wenn keiner auf ihn aufpasst, schnappt er sich noch die Waffe.“

„Du verkennst mich“, sagte Sasori. Sein Lächeln nahm eine bittere Note an.

„Und für Tayuya gilt dasselbe. Und für Toto auch. Nichts für ungut. Shino wird Unterstützung brauchen. Gaara und ich kommen mit.“ Und damit war das entschieden.

Aus den Schatten


 

~ 24 ~

 
 

(3:55 Uhr)

Zu sechst huschten sie in den finsteren Gang hinaus. Die anderen schlossen sofort wieder die Tür. Sasori lief als Erster geduckt zum hinteren Treppenhaus, jenem, das vom Personal genutzt wurde. Shino lief als Zweites mit entsicherter Pistole. Die Anspannung war in jedem ihrer Atemzüge zu hören. Jeden Moment konnte etwas Dunkles aus den Schatten hervorbrechen. Sasori trug seine Taschenlampe, aber die schien die Schwärze in den Ecken und Winkeln des Hotels nur noch zu verdichten. Der Teppich unter ihren Füßen dämpfte ihre Schritte, man hörte kaum mehr als dumpfes Trampeln und schnelle Atemzüge.

Die Treppen in den dritten Stock wären normalerweise eine Tortur gewesen, aber das Adrenalin vollführte wahre Wunder. Außerdem konnte man sie nur von vorne oder von hinten angreifen. Sie erreichten den oberen Treppenabsatz und öffneten die Tür. Sasoris Lampe riss zackige Schatten aus der Finsternis, die sich jedoch als mit Papier verpackte Bretterstapel und leere Gestelle der Putzkräfte entpuppten. Für einen Moment dachten mehrere von ihnen trotzdem an einen Angreifer und schnappten nach Luft. Ihre Schritte verlangsamten sich kurz, dann ging es weiter, den Personalflur entlang auf die Tür zu, die auf dieser Etage in den eigentlichen Hotelbereich führte.

Ein heiserer Schrei zerriss die gepresste Stille. Ein dumpfer Schlag. Sasori wirbelte mit der Lampe, Shino mit der Pistole herum.

„Gaara!“

Temari wehrte mit einer Hand das grelle Licht ab, mit der anderen schüttelte sie ihren Bruder. Er war gegen die Wand gesunken, presste die Hände gegen die Schläfen und stieß ein tiefes, gutturales Stöhnen aus. Er schüttelte wie von Sinnen den Kopf, als wollte er seine Gedanken loswerden.

„Was ist denn los?“, zischte Tayuya.

„Ein Anfall!“, keuchte Temari. „Diesmal ein echter! Gaara, reiß dich zusammen! Ich bin da, verstehst du? Dir kann nichts passieren, hörst du? Gaara!“ Sie ging sogar so weit, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Nichts änderte sich. Gaara rutschte nur noch weiter an der Wand hinab und ließ ein Geräusch hören, das sehr gut auch ein Knurren hätte sein können.

„Bring ihn gefälligst zum Schweigen“, sagte Sasori. „So hört man uns noch drei Stockwerke weit.“

„Was soll ich denn tun?“, fauchte Temari zurück. „Verdammt, das war sicher der Schreck von diesen blöden Gestellen vorhin!“

„Habt ihr irgendwelche Medikamente für diesen Fall?“, fragte Shino.

Temari packte Gaaras Kopf und presste ihn an ihre Brust, als er versuchte, sein Gesicht gegen die Wand zu schlagen. „Klar“, sagte sie. „Daheim. Wir haben sie ewig nicht mehr gebraucht, aber in so einer gottverdammten Lage drehen wir noch alle durch!“ Sie musste ihren Bruder loslassen, als er begann, wild um sich zu schlagen.

„Tragen können wir ihn nicht“, meinte Shino. „Vielleicht gibt es auch Beruhigungsmittel in der Erste-Hilfe-Kammer. Wir sollten weitergehen.“

„Wir lassen ihn sicher nicht einfach so hier!“, rief Temari aus. „Hier ist er ein gefundenes Fressen für unsere Feinde!“

„Und er macht einen Höllenlärm“, ergänzte Sasori. „Ihr hättet bei den anderen bleiben sollen.“

„Muss man sich denn um jeden Einzelnen von euch kümmern? Was für Waschlappen!“, fauchte Tayuya und machte auf dem Absatz kehrt, um schon mal vorzugehen.

Shino zögerte eine Sekunde. „Temari, Sasori, Toto, ihr geht zum Erste-Hilfe-Raum. Sasori zeigt den Weg, Temari sucht etwas für Gaara. Toto macht den Begleitschutz. Ich passe auf Gaara auf. Wenn sein Geschrei jemanden anlockt, schieße ich.“

„Es gefällt mir nicht, dass wir uns noch weiter aufteilen“, sagte Toto unbehaglich.

„Es geht nicht anders. Warum? Weil es noch viel fataler wäre, Tayuya allein gehen zu lassen. Los jetzt.“ Shino nickte den anderen zu.

„Ich bleibe auch hier“, legte Toto fest. „Ich werde den kranken Jungen beschützen. Das ist meine Pflicht.“

„Das muss nicht sein“, erwiderte Shino. „Wir können uns zwischen diesen Gestellen verstecken, wenn es notwendig ist.“

„Ich bleibe trotzdem. Vielleicht brauchst du jemanden, der dir hilft, den Jungen zu verteidigen.“

„Ich würde auch sagen, dass wir uns drei zu drei aufteilen sollten. So haben wir trotz allem höhere Überlebenschancen“, sagte Sasori.

Shino zuckte die Achseln. „Also schön. Toto und ich bleiben bei Gaara. Ihr anderen geht die Medikamente holen.“

Temari stand langsam auf und warf Gaara noch einen Blick zu. „Passt gut auf ihn auf. Sonst könnt ihr mich erleben!“

Shino nickte.

 

Sie brauchten keine Minute, um die Erste-Hilfe-Kammer zu finden. Sie befand sich in einem kurzen Seitengang zwischen den Hotelzimmern. Die Tür war ganz aus hellem Holz, auf das ein rotes Kreuz gemalt war. Sie war verschlossen, aber der Schlüssel steckte außen. „Gut“, flüstere Sasori. „Beeilt euch und schnappt euch, was ihr braucht. Ich stehe solange hier Schmiere, damit euch niemand in den Rücken fällt. Klopft innen gegen die Tür, wenn ihr fertig seid. Ich sage euch dann, ob die Luft rein ist.“

Die beiden Mädchen nickten und huschten in die Kammer. Innen war es stockdunkel, nur der Schein von Sasoris Lampe drang durch den Türspalt. Temari holte ihr Smartphone heraus; Tayuya ihr älteres Modell ebenfalls. Zwei Lichtkleckse glitten über leere Regale. Auf einem standen tatsächlich noch Arzneiflaschen, aber sie waren leer.

„Verdammt“, zischte Tayuya. „Die werden uns doch wohl was dagelassen haben!“

„Warum sollten sie?“, fragte Temari. „Wer lässt so was in einem Hotel zurück, das nie eröffnet wurde?“

Tayuya begann, die Schubladen unter der Theke herauszureißen. „Ha!“, rief sie dann, als sie eine Obsttrage voll mit verschiedenen Fläschchen fand. „Da. Hilf mir!“

„Weil du selbst nicht lesen kannst?“, spöttelte Temari.

Tayuyas zornsprühender Blick traf sie, aber sie verbiss sich eine Antwort. „Dämliches Flittchen“, sagte sie nur.

Temari öffnete einstweilen die anderen Kästen. Hie und da lagen noch angebrochene Medikamentenschachteln herum, die wohl schon während den Bauarbeiten verwendet und dann liegen gelassen worden waren. Unverpackte Kapseln und Tabletten lagen ebenfalls im Staub. Sie wischte sie weg und warf alles, was ihr für die Barrikade in der Lounge nützlich erschien, auf einen Haufen. Es waren keine Beruhigungsmittel darunter, zumindest keine, die sie kannte. „Und fast alles abgelaufen“, murmelte sie.

„Ist doch scheißegal, Hauptsache irgendwas“, zischte Tayuya.

„Da hast du recht. Ihr seid sicher an allerlei Dreck gewöhnt, den ihr euch in die Adern jagt“, sagte Temari.

Wieder funkelte Tayuya sie an. „Was ist dein Problem, hä?“

„Nichts“, meinte sie schnippisch. „Mein Bruder hat einen psychotischen Anfall, weil wir wegen euren dämlichen Einfällen in einem verdammten Hotel mit ein paar Leichen eingeschlossen sind und eine Schnitzeljagd hierher machen mussten! Ansonsten ist alles in Ordnung!“

„Was kann ich denn dafür, dass ihr Kleinkinder euch im Hinteren Bezirk nicht zurechtfindet? Zwei Wochen auf der Straße, und das Prinzesschen würde mit ihrer hohen Nase im Dreck liegen und dein Bruder würde nicht beim Anblick seines eigenen Schattens zu heulen beginnen!“

„Ihr Straßenkids seid ja so hart, wie?“, höhnte Temari. „Bringt eure Kumpel ohne mit der Wimper zu zucken um und jammert dann, weil man sich an euch rächen will! Ihr seid das Letzte!“

Eine leere Pillendose flog in Temaris Richtung und prallte dumpf gegen den Kasten.

„Und jetzt hast du unsere Feinde auch noch auf uns aufmerksam gemacht. Bravo“, giftete sie.

„Sagt diejenige, deren eigener Bruder seine Freunde aufspießt! Die einzigen Feinde, die wir hier haben, seid doch ihr Psychopathen! Was ist das für ein psychotisches Erlebnis, das dein anderer Bruder gerade durchlebt, hä? Geht ihm gerade einer ab, weil er sich an seine vergangenen Mordopfer erinnert, oder was?“

Mit zwei Schritten war Temari bei ihr, packte sie am Kragen und stieß sie gegen die Regale, dass die Gläser darauf klirrten. „Noch ein Wort gegen Gaara oder Kankurou“, knurrte sie gefährlich leise, „und ich dreh dir den Hals um!“

„Nur zu“, meinte Tayuya und ächzte, als Temari sie fester gegen die Regale drückte. „Die Prinzessin bekommt langsam ja doch Mumm.“

Temari starrte sie noch einen Moment voller Abscheu an, dann seufzte sie und ließ Tayuya los. „Ich verstehe schon.“

Was verstehst du?“

„Es macht dir einen Riesenspaß zu streiten, oder? Aber nicht mit mir. Du bist die Mühe nicht wert.“

„Leck mich doch!“, gab Tayuya zurück.

In der Folge suchten sie beide schweigend weiter nach Medikamenten. Temari sah immer wieder zurück zur Tür. Sie hatten nun zwar einigen Radau gemacht, aber noch sickerte das Licht von Sasoris Lampe unter der Tür durch. Der gelbe Schein war beruhigend, während sie in dieser ausgestorbenen Spinnwebenhöhle mit bleichen Handy-Lichtern Schränke durchkämmten.

 
 

(4:05 Uhr)

Gaara beruhigte sich einfach nicht, egal was sie taten. Toto hatte schon versucht, ihm gut zuzureden, aber der Junge hörte einfach nicht. Er raunzte und stöhnte und schien mit offenen Augen einen Albtraum zu haben. Shino wog das kühle Eisen von Totos Pistole in Händen. „Hoffentlich beeilen sich die anderen“, murmelte er. „Und hoffentlich laufen sie niemandem in die Hände.“

Shino hatte nur sein eigenes Smartphone, um Licht zu machen. Entsprechend wenig sah er. Sie hatten zwar versucht, Gaara zwischen die Bretterstapel und die Eisenwagen zu zerren, aber kaum dass man ihn berührte, schlug der Rotschopf um sich, biss und kratzte. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen.

„Shino!“

Es kam so unerwartet, dass er es nicht einmal aus den Augenwinkeln sah. Toto prallte plötzlich gegen ihn, gleichzeitig ertönte ein Geräusch wie von einem knallenden Sektkorken. Er prallte hart mit dem Hinterkopf gegen eine Metallstange, biss sich auf die Zunge und schmeckte Blut. Mit fahrigen Bewegungen wollte er sich losreißen und Toto von sich stoßen, als sich dieser neben ihm gegen das Gestell duckte. Das Geräusch von vorhin ertönte ein zweites Mal, und dieses Mal konnte Shino erahnen, worum es sich handelte. Eine Pistole mit Schalldämpfer.

„Wo?“, zischte Shino. Er hatte sein Smartphone verloren, das irgendwo mitten auf dem Gang mit dem Display nach unten gelandet war. Man konnte nur noch eine dünne Lichtlinie sehen.

„Beim Treppenhaus!“, keuchte Toto. Shino roch seinen warmen Atem neben seinem Gesicht. „Ich hab gesehen, wie die Tür aufgegangen ist!“

Shino biss die Zähne zusammen. Sie waren hier hoffentlich unsichtbar, aber Gaara lag immer noch außerhalb der Deckung. Er bückte sich, packte den Jungen einfach am Knöchel und zerrte mit aller Kraft. Toto erkannte, was er vorhatte, und half ihm. Ungeachtet von Gaaras Knurren zogen sie ihn grob in die Nische zwischen den Eisengestellen.

Dann erklangen Schritte. Hier gab es keinen Teppich; jemand kam in völliger Finsternis nähergeschlichen. Shinos Smartphone lag immer noch außer Reichweite. Er schluckte. Er versuchte, die Pistole ruhig zu halten. Wo war der Angreifer? Wann würde er schießen? Er musste ahnen, wo sie sich versteckten … Es kam darauf an, wer zuerst schoss. Und traf. Shino spähte über die Ränder seiner Sonnenbrille ins Dunkel. Wenn sich seine Augen nur schneller daran gewöhnen könnten ...

„Junge“, flüsterte Toto. „Die Pistole! Gib sie mir zurück, schnell!“

Shino stieß ihm den Ellbogen in die Rippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Zu spät. Die Schritte waren stehen geblieben. Direkt vor ihnen glaubte Shino eine Gestalt zu spüren. Jetzt oder nie, eine zweite Chance hatte er nicht. Er drückte ab.

Der Knall hallte wie ein Peitschenschlag durch das dunkle Hotel. Shinos Ohren klingelten, es stank plötzlich nach Schießpulver. Er lauschte vergeblich, ob er einen fallenden Körper hörte, dann duckte er sich rasch und versuchte neu zu zielen.

Es kam aber auch kein gegnerischer Schuss, stattdessen entfernten sich rasche Schritte. Der Unbekannte lief davon, in Richtung Hotelbereich.

„Wer war das?“, flüsterte Toto. Shino drehte sich aus der Deckung und zielte in die Schwärze, gab aber keinen Schuss mehr ab. Vielleicht war es besser, Munition zu sparen, als im Dunkeln herumzuballern. Er hob rasch sein Smartphone auf, aber der Angreifer war im Lichtkreis nicht mehr zu sehen. Seine Schritte hatten den Teppichboden im Hotelbereich erreicht und waren längst verklungen.

„Und was jetzt?“, fragte Toto.

„Wir schnappen ihn uns. Seine Stärke ist die Finsternis. Wenn wir ihn stellen, kann er uns nichts mehr anhaben.“ Er warf einen Blick auf Gaara. Sein Zustand war unverändert, trotz des Schusswechsels. „Wir teilen uns auf. Sie nehmen die Bedienstetentreppe, ich laufe nach vorn zur Haupttreppe. Warum? Weil er dann nicht mehr in dieses Stockwerk kann. Vermutlich versteckt er sich weiter oben, weit weg von der Lounge. Wir laufen nur bis zu den Treppenhäusern und spähen nach oben. Wenn wir schnell sind, kriegen wir ihn. Und Gaara ist auch sicher, wenn wir beide Richtungen abdecken.“

Shino musterte Toto. Der alte Polizist schwitzte. „In Ordnung“, meinte er. „Machen wir es so.“

„Ich muss Ihnen übrigens danken“, fühlte sich Shino verpflichtet hinzuzufügen. „Warum? Weil Sie mir das Leben gerettet haben. Der erste Schuss hat mir gegolten.“

Toto lächelte schwach. „Ich bin immer noch Polizist. Und ich habe, nebenbei bemerkt, Schießausbildung.“

Das stimmte. Shino hatte den Fremden nicht erwischt. Er hatte ihn zwar auch nicht gesehen, aber Toto hatte sogar den davonspringenden Kimimaro getroffen.

„Vielleicht …“ Toto räusperte sich unbehaglich und streckte fast schüchtern die Hand aus. „Vielleicht sollte ich wieder die Pistole tragen …“

Shino musterte die Hand, dann die Waffe. „Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ein echter Polizist sie hat.“
 

Etwas, das wie ein Schuss klang, ließ die beiden Mädchen zusammenfahren. „Was war das?“, hauchte Temari.

„Was wohl. Eine verdammte Knarre, das war das! Hoffentlich hat’s den Richtigen erwischt.“

„Aber das klang ziemlich nahe …“ Temari schlich vorsichtig zur Tür. Der Lichtschein darunter veränderte sich kurz, aber sie zögerte, zu klopfen. Und wenn nun Sasori erschossen worden war und der Mörder direkt hinter der Tür stand?

„Mach dir nicht ins Hemd. Wahrscheinlich hat dieser Toto mal wieder die Hand nicht stillhalten können.“ Tayuya zerrte noch eine Kiste mit abgelaufenen Medikamenten aus den Tiefen eine Schranks, die achtlos zurückgelassen worden war, und begann auszusortieren. Temari verzichtete darauf, Tayuya dahingehend zu berichtigen, dass der alte Polizist seine Waffe gar nicht mehr haben dürfte. „Nimm einfach die ganze mit“, riet sie. „Wir sind schon länger als zehn Minuten hier. Höchste Zeit, dass wir uns auf den Rückweg machen.“

Das rothaarige Mädchen sah sie noch einen Moment trotzig an. Dann begann sie seelenruhig weiterzusuchen. Temari riss bald der Geduldsfaden mit ihr. „Hetzen bringt nichts“, erklärte Tayuya. „Man bricht sich in der Dunkelheit höchstens den Hals. Genieße einfach das Adrenalin. Beste Droge, die es gibt. Und ein bisschen Abhärten täte dir auch ganz gut.“

Temari verkniff sich jede Antwort und starrte sie nur böse an. Plötzlich fielen weitere Schüsse, und jedes Mal zuckte sie zusammen. Da draußen war sicherlich die Hölle los, und wer konnte schon in die Schießereien verwickelt sein außer …

Als sie schließlich mit einem entnervten Stöhnen an den kleinen Haufen nützlicher Dinge trat, alles in ein Dreieckstuch wickelte und mit dem, was nicht Platz hatte, ihre Taschen füllte, gab Tayuya ihren kindischen Trotz auf und hob die Kiste doch hoch. Temari stellte sich seitlich neben die Tür, hielt den Atem an und gab Sasori dann das vereinbarte Klopfzeichen. Die Tür öffnete sich daraufhin einen Spalt. „Alles in Ordnung“, sagte er leise, und sie traten auf den Gang hinaus.

„Was war das für ein Lärm?“, fragte Temari. „Hat jemand geschossen?“

„Offenbar“, sagte er leichthin. „Es ist auch jemand hier vorbeigerannt.“

Was?

„Es ging so schnell, dass ich nicht rechtzeitig hinterher leuchten konnte. Irgendjemand ist den Flur da vorn entlanggelaufen. Und euer Freund mit der Sonnenbrille ist hinterher, glaube ich.“

„Ich hör wohl nicht recht! Und du hast es nicht für nötig gehalten, uns etwas zu sagen?“, fragte Temari spitz.

„Hätte ich das tun sollen? Was hättest du getan, wärst du ihnen auch nachgelaufen?“

„Vielleicht? Shino braucht möglicherweise Hilfe.“

„Er sollte eine Pistole haben“, meinte Sasori achselzuckend. „Ich hielt es für wichtiger, hier die Stellung zu halten. Außerdem habt ihr ein paar Minuten später ohnehin geklopft.“

„Die blöde Fotze wäre sowieso vor Angst zerflossen, wenn du plötzlich weggewesen wärst“, sagte Tayuya eisig kalt. Offenbar war sie immer noch wütend.

„Irgendwann reiß ich dich in Stücke“, erwiderte Temari, so sachlich und freundlich es ging. „Lass uns gehen, Sasori.“

Noch viel vorsichtiger als beim ersten Mal schlichen sie durch den kurzen Flur. Als sie den Hauptgang erreichten, behielten sie die Richtung, in der offenbar Shino und der andere verschwunden waren, genau im Blick und bewegten sich fast rückwärts in Richtung Bedienstetentreppe. Kurz vor der Tür, die ins Treppenhaus führte, saß Gaara, an die Wand gelehnt. Er schien ein wenig ruhiger zu sein, raunte aber immer noch gequältes, zusammenhangloses Zeug vor sich hin. Und er war allein.

„Verdammt nochmal, sie haben ihn einfach hier zurückgelassen?“, rief Temari. „Ich hätte nicht gedacht, dass Shino so verantwortungslos ist!“

„Gib ihm einfach sein Beruhigungszeug, ja? Du kannst die beiden ja später verprügeln“, schlug Sasori vor.

„Tja, leider hab ich keine passenden Medikamente für ihn gefunden. Nur allgemeines Zeug, dass wir vielleicht noch brauchen können“, brummte Temari und trat vorsichtig auf ihren Bruder zu. „Gaara? Wieder alles okay?“

Er sah sie aus dunkel umrandeten Augen an, aber dieser Anblick war nichts Neues. „Temari?“, fragte er.

„Ja, ich bin’s. Alles ist gut. Wir gehen zurück zu den anderen, ja?“

Gaara sah sie nachdenklich an, als sähe er sie zum ersten Mal. „Ist gut.“ Mit wackeligen Knien stand er auf. Temari lächelte gezwungen.

„Erst regst du dich auf, dass sie ihn allein lassen, und jetzt willst du ohne Toto und Shino gehen?“, fragte Sasori.

„Mein Gott, wir bringen erst mal Gaara und die Medikamente in die Lounge und dann stellen wir einen Suchtrupp zusammen! Kommt jetzt!“ Sie warf entnervt die Hände in die Höhe.

 
 

(4:15 Uhr)

Sechs waren losgezogen, um Schmerzmittel für Sakon zu holen. Als es an der Tür klopfte und sie nur zu viert in die Lounge zurückkehrten, wusste Shikamaru sofort, dass etwas passiert war.

Bei ihnen war alles ruhig verlaufen. Nach und nach waren die Verbarrikadierten schläfrig geworden. Auch Ino und Chouji, die immer wieder zu telefonieren versucht hatten, hatten irgendwann mutlos ihre Handys sinken lassen. Nur Sakons wiederholte Schreie hatten sie alle wachgehalten. Shikamaru hatte nichts aus seinen Laptoprecherchen herausbekommen außer Augenschmerzen, und schließlich war der Akku so knapp geworden, dass er das Gerät vorläufig in den Schlafmodus versetzt hatte. Nun, als Temari, Gaara, Sasori und Tayuya zurückkehrten, kam wieder Leben in die Versammelten.

Gaara hatte offenbar einen jener Anfälle gehabt, die Temari schon einmal erwähnt hatte. Jetzt saß er schweigend in einer Ecke, fast wie zuvor, aber er wandte niemandem sein Gesicht zu. Der Anfall war auf dem Weg hierher abgeklungen. Vermutlich schämte er sich; genau war das bei ihm nie zu sagen.

Temari und Tayuya hatten die Erste-Hilfe-Kammer durchsucht, Sasori hatte davor Wache gehalten. Ein Schuss war gefallen, danach hatte er Shino jemanden verfolgen sehen. Als sie zurückkamen, war auch Toto verschwunden gewesen. Sasori hatte dort, wo Gaara gehockt war, mehrere Einschusslöcher in den Wänden entdeckt. Shino und der Angreifer hatten sich also ein kurzes Feuergefecht geliefert.

„Bist du sicher, dass die erste Person, die du gesehen hast, nicht Toto war?“, fragte Shikamaru Sasori.

Der zuckte die Schultern, mit einem Gesichtsausdruck, als ginge ihn das alles in Wahrheit nichts an. „Kann sein, dass er es war. Er war viel zu schnell wieder fort, als dass ich ihn richtig hätte anleuchten können.“

Aus Gaara war nichts herauszubekommen; er verweigerte jede Antwort. Shikamaru war sich sicher, dass er reden würde, hätte er etwas Produktives beizutragen. Tayuya verabreichte Sakon einige Tabletten, wobei er nicht wusste, ob die Mittel in dieser Kombination überhaupt gesund waren. Jedenfalls beruhigte sich Sakon bald darauf und schlief ein. Jiroubou beanspruchte eine Couch für ihn und legte ihn darauf.

„Vielleicht haben sich Shino und Toto aufgeteilt. Einer pro Treppenhaus“, überlegte Shikamaru. „Die Frage ist nur, ob das was gebracht hat. Wenn der Unbekannte weiß, dass er nicht aus dem Hotel kann, ist er womöglich nicht ins Erdgeschoss gelaufen.“

Es wurde abgestimmt und beschlossen, dass man Toto und Shino suchen sollte. Zwar hatte niemand von ihnen mehr eine Waffe, aber die meisten waren für ihren Geschmack schon viel zu lange untätig gewesen. Asuma, Kakashi und Neji waren auch noch ausständig. Und hier lief womöglich ein Bewaffneter herum, von dem sie nichts ahnten.

Es war höchste Vorsicht geboten. Die Lounge schien ein sicherer Hafen zu sein, aber wer auch immer sie verließ, geriet in Gefahr. Vielleicht wurde ihr Sinn für diese Gefahr mit jedem ihrer toten Freunde weiter getrübt, andernfalls hätten sie sich sicher hier verbarrikadiert und die Umherirrenden gelassen, wo sie waren. Shikamaru, Chouji und Naruto erklärten sich bereit, einen schnellen Stoßtrupp zu mimen, das nächstgelegene Treppenhaus zu erklimmen und die Vermissten zu suchen. Wenn Shino oder Toto oder der Unbekannte sich in einem der Hotelzimmer versteckten, würden sie sie sowieso ewig nicht finden. Shikamaru sagte sich, dass der Plan eigentlich Wahnsinn war, aber da er selbst Shino und Toto rausgeschickt hatte, war er ihnen das schuldig.

 

„Und wieder geht eine aufregende Nacht dem Ende zu. Nun, was hat sich getan?“

 
 

- Der Hintere Bezirk, dritter Tag -

 
 

(4:25 Uhr)

Sie nahmen die Bediensteten-Treppe, um in den dritten Stock zu kommen. Hier hatte sich das Feuergefecht abgespielt. In der Hoffnung, auf Neji, Asuma oder Kakashi zu treffen, stiegen sie noch eine Etage höher. Und wurden prompt mit einem grässlichen Anblick belohnt. Zwei Gestalten lagen reglos auf dem oberen Absatz, drei weitere beugten sich über sie.

 

„Und wieder war die Nacht eine blutige. Es gibt zwei Leichen.“

 

„Asuma“, murmelte Shikamaru entgeistert. „Was hat das zu bedeuten?“

Sein älterer Freund drehte sich zu den Neuankömmlingen um und hob abwehrend die Hände. „Es ist nicht so, wie es aussieht.“ Neben ihm standen Neji und Shino, der nickte. Zu ihren Füßen lagen Kakashi und Toto, die beiden Polizisten, in einer gemeinsamen Blutlache.

 

„Kakashi und Toto sind gestorben. Sie waren beide weder Werwölfe noch Vampire.“

 

Shikamaru wusste, dass er Asuma vertrauen konnte. Nein – er wollte ihm einfach vertrauen. Er hatte keine Lust, ihn zu verdächtigen, und auch Neji nicht. Genau genommen wollte er gar niemanden mehr verdächtigen, nicht mehr denken! Wieder waren zwei aus ihrer Gruppe gestorben. Er konnte einfach nicht mehr. Shikamaru fühlte sich so ausgelaugt wie noch nie zuvor in seinem Leben. Es war, als tötete der Unbekannte, der sich offensichtlich hier im Hotel versteckte, auch ihn langsam von innen.

Shinos Aussage bestätigte den Verdacht, den Shikamaru zuerst gehabt hatte. Nachdem ein schattenhafter Unbekannter sie mit einer Pistole angegriffen hatte, hatten er und Toto Gaara allein gelassen und jeder ein anderes Treppenhaus genommen. Asuma, Neji und Kakashi waren auf dem Rückweg gewesen und hatten im vierten Stock den Schuss gehört. Sie hatten angenommen, einer ihrer Freunde hätte mit Totos Pistole auf einen flüchtigen Unbekannten geschossen und danach dieselbe Idee geboren wie Shino und Toto und sich ebenfalls aufgeteilt. Asuma und Neji wollten im Hotel-Treppenhaus Wache halten, Kakashi in dem für die Bediensteten. So gesehen war es ein idiotensicherer Plan: Sie drei und Shino und Toto würden den Angreifer in die Zange nehmen. Einen fliehenden Feind zu überwältigen war zwar immer noch verrückt, wenn dieser möglicherweise bewaffnet war, aber Asuma und Neji hatten es sich zugetraut, ihn zu überraschen, und Kakashi war immer noch Polizist und trug seinerseits eine Pistole.

Nur schien es nicht funktioniert zu haben. Shino, Neji und Asuma hatten sich im Haupttreppenhaus getroffen. Dann hatten sie erneut Schüsse gehört.

Laut Shino hatte der Angreifer eine schallgedämpfte Pistole gehabt; offenbar war nur einer der Schüsse, von denen Temari, Tayuya und Sasori berichtet hatten, im dritten Stock abgegeben worden. Die anderen stammten von hier, wo mehrere Kugeln Toto und Kakashi erwischt hatten. Auch sie mussten einander in diesem Treppenhaus begegnet sein – und dem Mörder.

„Die Schusswunden sind fast alle am Rücken oder Hinterkopf“, sagte Neji. Er war wieder beherrscht genug, um die Sache nüchtern zu betrachten. Shikamaru hatte den Eindruck, Neji war froh darüber, dass es tatsächlich noch einen Mörder in diesem Hotel gab, jemanden, den er jagen konnte, wie zur Gefälligkeit seiner toten Freunde. „Der Täter hat sie sicher von hinten überrascht.“

„Hm“, machte Shikamaru.

„Durchsucht Totos Taschen“, brummte Shino in seinen Mantelkragen. „Warum? Weil Toto eigentlich eine Pistole haben müsste.“

„Wieso das?“, fragte Asuma. Eine Zigarettenspitze glühte vor seinen Lippen im Dunkel. „Ich dachte, Kakashi wollte das nicht.“

„Shikamaru hat mir die Pistole gegeben“, erklärte Shino. „Nachdem Toto mich vor dem Angreifer beschützt hat, habe ich sie ihm zurückgegeben. Im Umgang damit ist er trotz allem versierter als ich. Es scheint aber nichts genützt zu haben.“

Neji klopfte mit spitzen Fingern Totos Kleidung ab. „Nichts.“ Er tat dasselbe bei Kakashi. „Kakashis Pistole ist auch weg. Der Täter muss beide an sich gebracht haben.“

„Dann haben wir ein Riesenproblem“, sagte Asuma düster.

 

Sie kehrten in die Lounge zurück und brachten bedrückte Stimmung mit. Shikamaru erzählte den anderen ausführlich, was geschehen war. Asuma berichtete schließlich, wie es ihnen auf der Suche nach dem Störsender ergangen war. Kakashi und er hatten das Hotel bis in den zehnten Stock so gründlich durchsucht, wie es ging. Überall waren sie nur auf leere Hotelzimmer, ein paar besondere Bereiche wie eine Spiele- oder eine Massagehalle und die üblichen Räume der Angestellten gestoßen. Wenn es einen Störsender gab, musste er irgendwo zwischen dem elften und neunzehnten Stock versteckt sein – oder sie würden ihn niemals finden. Fürs Erste jedoch schien diese Idee ohnehin in den Hintergrund geraten zu sein, denn Trauer überschattete sie wieder.

Shikamaru überlegte, ob es jedes Mal, wenn sie einen ihrer Freunde verloren, weniger schmerzhaft war, ganz einfach weil man sich daran gewöhnte. Er beschloss, dass das nicht sein durfte, um jeden von ihnen war es so schade, dass man gefälligst in Tränen auszubrechen hatte! Auch um Toto tat es ihm leid. Laut Shino war er in seinen letzten Minuten ein Held gewesen. In Shikamarus Augen hatte sich der nervöse Polizist damit rehabilitiert.

„Wir sollten es vermeiden, weiter nach dem Sender zu suchen“, sagte Asuma dann. „Kakashi, Neji und ich haben für ein paar Stockwerke ewig gebaucht. Jetzt versteckt sich dort oben irgendwo ein Mörder, der mindestens zwei, wahrscheinlich drei Waffen besitzt. Und wir haben gar keine mehr.“

Er erntete nur schweigende Zustimmung. Sakon schlief, Gaara ging es wieder einigermaßen gut, auch Ino war wieder richtig auf den Beinen, wenngleich die wiederholten Morde sie etwas apathisch hatten werden lassen. Es gab keinen Grund, die Lounge so bald wieder zu verlassen. Es gab eine Toilette hier, in deren Spülkästen immerhin noch Wasser stand. Die Snacks, die Deidara und Sasori gefunden hatten, waren aufgebraucht, aber Hunger war momentan noch kein Problem. Vielleicht kam ganz von selbst Hilfe. Die Frage war nur, wer sie hier suchen sollte …

„Nein“, sagte Sasuke plötzlich. Aller Augen wandten sich zu ihm um. Er musterte Asuma eine Weile mit finsterem Blick, dann Shikamaru, als müsste er ihnen etwas klarmachen. „Ihr geht davon aus, dass unser Feind sich irgendwo versteckt. Aber das muss nicht sein. Es kann genauso gut einer von uns der Täter sein.“

„Und wer?“, fragte Naruto überrascht.

„Denk nach. Es wäre nicht der Erste aus unserer Mitte, der ein falsches Spiel spielt.“

„Aber es hatten doch alle Leute Alibis – oder nicht?“, fragte Kiba.

Shikamaru zwang sich, wieder nachzudenken. Wenn Sasuke recht hatte … dann durfte er auf keinen Fall das Denken vernachlässigen. Wenn ein Mörder in ihrer Mitte war, mit zwei bis drei Waffen … Aber wollte er wirklich schon wieder seine eigenen Freunde verdächtigen?

„Einer von uns war es“, sagte Sasuke überzeugt.

 

„Dann beginnt mit der Nominierung.“

Zwietracht


 

~ 25 ~

 

„Na ganz toll“, knurrte Kiba. „Neji, du hättest die Klappe halten sollen.“

Neji verzog das Gesicht. Eigentlich hatte er ja die drei nebeneinander Sitzenden, die wegen dem Vampirjäger keine Vampire sein konnten, auf Herz und Nieren und etwaige Wolfshaare prüfen wollen. Nun waren zwei von dreien gestorben. Das hatten die Werwölfe wirklich klug gemacht. „Immerhin kann ich sagen, dass Asuma kein Werwolf ist“, berichtete er zerknirscht.

„Und ich bestätige, dass Neji auch weder Wolf noch Vampir ist“, sagte Shino. Somit war immerhin Asumas und Nejis Unschuld geklärt. Vielleicht war es trotzdem keine gute Idee, wenn die Dorfbewohner tagsüber Pläne schmiedeten und sich absprachen.

„Ich gehe mal davon aus, dass wir gestern das Wolfsjunge gelyncht haben. Sprich, Kimimaro. Diese zwei Opfer kommen den Wölfen zu gelegen, als dass man es anders erklären könnte“, sagte Sasuke. Die anderen stimmten ihm zu. Nach dem Tod des Wolfsjungen gab Sphinx den Werwölfen in der Nacht das Zeichen, dass sie zwei Dorfbewohner töten konnten. Genau das musste passiert sein.

Der Geist hat ein V geschrieben. Sakon wird für heute aus dem Dorf verbannt. Und übrigens sollte ich euch darüber informieren, dass die Unruhestifterin ihre Fähigkeit eingesetzt hat“, sage Sphinx. „Das bedeutet, ihr dürft an diesem Tag zwei Leute hinrichten. Viel Spaß.“

 
 

(4:40 Uhr)

Wir waren die ganze Zeit hier“, sagte Sasuke. „Insgesamt elf Personen. Dagegen waren neun von uns unterwegs, und die haben sich in kleinere Gruppen aufgeteilt. Es wäre für einige von ihnen ein Leichtes gewesen, Kakashi und Toto zu ermorden. Alles, was sie tun müssten, wäre eine falsche Aussage abzuliefern. Wer sagt, dass Asuma, Neji oder Shino tatsächlich unschuldig sind? Sie waren als Erstes bei der Leiche.“

Asuma sah ihn nachdenklich an. „Ich verstehe, dass du uns misstraust, aber du irrst dich. Wir haben die Leichen gleichzeitig entdeckt.“

„Wir können gegenseitig bezeugen, dass wir unschuldig sind“, sagte Shino.

„Aber wenn ihr drei zusammenarbeitet?“, hakte Sasuke nach.

 

„Dann würden unsere ganzen Mutmaßungen auf wackeligen Beinen stehen“, meinte Ino. „Selbst wenn Neji kein Wolf oder Vampir ist, er könnte die Zaubermeisterin oder der Strolch sein und ganz eigene Ziele verfolgen.“

„Eben“, sagte Sasuke. „Im letzten Spiel waren die Aussagen der Seherin auch nicht ganz zuverlässig.“

„Ihr meint also, Asumas Unschuld ist immer noch nicht ganz bewiesen?“, fragte Chouji.

„Ich sage nur, es wäre gut, wenn wir uns sicher sein könnten“, stellte Sasuke fest. „Am besten todsicher.“

„Was sollen wir denn noch machen? Asuma lynchen, damit Sphinx uns sagt, dass er unschuldig war? Das ist doch hirnrissig“, sagte Naruto.

Asuma seufzte. „Ist hier drin Rauchverbot?“, fragte er.

„Eigentlich schon, ja“, bemerkte Sphinx.

„Hm“, brummte er. „Naja, was soll’s. Ich werde Nejis Beispiel folgen und mich outen.“

„Was heißt das?“, fragte Chouji.

„Ich beweise euch, dass ich kein Werwolf bin. Und auch kein Vampir.“

Tayuya lachte trocken auf. „Das wird kaum möglich sein.“

„Doch. Ich bin der Prinz. Ich bitte euch, mich zum Lynchen zu nominieren. Gemäß den Regeln sterbe ich dabei nicht, richtig? Somit ist bewiesen, dass ich unschuldig bin, und wir haben eine Person weniger, die wir lynchen müssen. Wenn wir gleich zwei Leute lynchen, ohne dass die Seherin uns einen konkreten Verdacht liefern kann, spielen wir den Werwölfen nur in die Hände.“

„Da ist etwas dran“, sagte Neji.

„Also schön, dann nominiere ich Asuma!“, sagte Naruto. „Wer geht mit?“

Chouji und Neji hoben schließlich gleichzeitig die Hand. Tayuya eröffnete die Abstimmung, und die meisten der Daumen zeigten auf Tod.

Asuma soll also getötet werden. Was für ein Pech aber auch – es funktioniert nicht. Überraschenderweise ist Asuma der Prinz, wie ich hiermit bestätige.“ Sphinx seufzte. „Ihr versteht es, dem Spiel die Spannung zu rauben.“

 

„Asuma würde nie einen Mord begehen“, sagte Chouji überzeugt. „Er ist Detektiv, schon vergessen? Er klärt Verbrechen auf! Und er hat sich immer gut mit Kakashi verstanden!“

„Außerdem ist er ein gestandener Mann mit einer Traumfrau und einem Traumjob. Ich kann mir keinen Grund einfallen lassen, weswegen er überhaupt ein Verbrechen begehen sollte“, sagte Shikamaru.

„Ich glaube auch nicht, dass er etwas damit zu tun hat. Er ist hergekommen, um uns zu helfen“, sagte Lee mit Inbrunst.

„Und wenn er hergekommen ist, um uns zu töten?“, fragte Temari. „Hypothetisch gesehen wäre das auch möglich.“

„Der Täter hätte eine Waffe gebraucht“, überlegte Sasuke. „Mit Kakashis und Totos Pistolen hätte er somit insgesamt drei.“

„Ihr könnt mich gern durchsuchen“, bot Asuma an.

„Sie würden sie wohl kaum behalten haben“, spottete Sasuke.

„Vielleicht hätte ich mit drei Pistolen im Gepäck auch längst begonnen, euch niederzuschießen“, sagte Asuma und zog kräftig an seiner Zigarette. „Ich kann nur wiederholen, dass wir nichts mit den Morden zu tun haben.“

„Offenbar legen hier einige die Hand für Asuma ins Feuer“, sagte Sasuke. „Ich glaube ihm eigentlich auch. Mit Shino sieht es anders aus.“

 

„Ich schließe mich an“, sagte Gaara.

„Hä? Habt ihr sie noch alle?“, rief Naruto. „Shino ist die Seherin! Er hat uns schon einige gute Tipps gegeben!“

„Eben. Wir waren zu Beginn siebenundzwanzig Spieler. Trotzdem hat er Kidoumaru und Kimimaro erstaunlich schnell als Feinde identifiziert, meinst du nicht?“, fragte Sasuke.

„Das war Zufall“, sagte Shino.

„Wartet mal kurz“, sagte plötzlich Ino. „Was ist mit dem Opfer der Vampire? Müsste nicht jemand gestorben sein, ehe wir für Asuma abgestimmt haben?“

Sphinx grinste nur und schwieg.

„Das Vampiropfer wurde beschützt. Oder es gibt keine Vampire mehr“, sagte Neji. „Letzteres halte ich für unwahrscheinlich.“

„Wen würden die Vampire wohl auswählen? Und wen würden die Schutzcharaktere auswählen? In dieser Nacht eindeutig Neji und Shino“, sagte Ino.

„Also stehen die Chancen fünfzig zu fünfzig, dass Shino angegriffen und beschützt wurde. Geschätzt. Also ist er eine Bedrohung für die Vampire“, erwiderte Neji.

„Worauf warten wir?“, fragte Sasuke ungehalten. „Es gib zwei Nominierungen für ihn. Stimmen wir schon ab.“

 

„Wie kommst du darauf, dass ich der Täter sein könnte?“, fragte Shino.

„Sasori“, sagte Sasuke, „du hast gesagt, erst hättest du einen Fremden den Gang entlang rennen sehen, dann Shino.“

„Ich glaube, dass es ein Fremder war. Ich habe ihn, wie gesagt, nicht genau gesehen“, erklärte Sasori lächelnd.

„In was für einem zeitlichen Abstand war das?“

Der Rotschopf überlegte. „Ich bin nicht sicher. Einige Sekunden? Sie kamen nicht gleich hintereinander.“

„Shino, hast du diesen Angreifer später noch einmal gesehen?“

Shino schüttelte den Kopf. „Das Licht meines Smartphones hat nicht weit genug gereicht. Ich bin nur in die Richtung gerannt, in der ich ihn vermutet habe. In den nächsthöheren Stock bin ich auf gut Glück gelaufen. Dort habe ich dann Asuma und Neji getroffen.“

„Das heißt aber auch, dass du nicht gesehen hast, ob der Angreifer in den vierten Stock gelaufen ist, wo wir dann die Leichen gefunden haben.“

„Worauf willst du hinaus?“

„Ganz einfach. Du hättest im Treppenhaus einfach deiner Wege gehen können. Nehmen wir an, der Angreifer ist nach unten geflohen. Du hättest trotzdem in den vierten Stock gehen können, weil du mit Toto abgemacht hast, dass ihr den Angreifer dort in die Zange nehmt. Noch bevor du auf Asuma gestoßen bist, hast du den Flur durchquert, Kakashi und Toto umgebracht und bist dann zurück ins Treppenhaus, um vor Asuma und Neji den Ahnungslosen zu spielen. Und nun spielst du uns wieder den großen Ermittler vor.“

„Eine mögliche Theorie wäre das allerdings“, räumte Neji ein. „Aber ich will es nicht glauben. Shino war auch nicht so sehr außer Atem, als wäre er zweimal quer durch das Hotel gelaufen. Und hätte noch dazu jemanden ermordet“, fügte er hinzu.

„Hör schon auf, Sasuke“, sage Naruto. „Wir haben doch wohl was Besseres zu tun, als uns gegenseitig zu verdächtigen. Lasst uns lieber überlegen, wie wir hier rauskommen.“

„Nein. Ich habe keine Lust, mit einem Verräter zusammenzuarbeiten“, sagte Sasuke stur.

 

Die Daumen wurden gezählt. Nur einige wenige deuteten auf Tod, die anderen wollten Shino am Leben lassen. „Ich danke euch“, sagte dieser. „Es ist eine dumme Idee, mich lynchen zu wollen, Sasuke. Du machst dich nur selbst damit verdächtig.“

 

„Du übersiehst da was“, mischte sich Shikamaru ein. „Shino hätte eine Pistole gebraucht, um Toto und Kakashi zu ermorden.“

„Die kann er irgendwo im vierten Stock deponiert haben. Oder habt ihr nachgesehen?“, fragte Sasuke.

„Wir könnten in der Tat nachsehen gehen“, meinte Asuma, „aber das halte ich doch für zu gefährlich. Und zu unwahrscheinlich.“

„Shino als Täter? Lächerlich“, meinte Kiba und klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Der Kerl ist ein wenig merkwürdig, aber sonst total in Ordnung.“

„Das mit dem merkwürdig habe ich jetzt überhört“, brummte Shino verstimmt.

„Da spricht noch was gegen deine Theorie, Sasuke“, fügte Shikamaru hinzu. „Als wir die Leichen gefunden haben, lagen beide auf dem Bauch. Ich bin kein Experte in solchen Sachen, aber die Schusswunden sahen auch so aus, als hätten sie die Kugeln von hinten erwischt.“

„Und?“

„Das stimmt. Ich weiß, worauf du hinauswillst“, sagte Neji. „Toto war von unten die Treppe heraufgekommen. Wenn er dort auf dem Treppenabsatz Kakashi getroffen hat, hat er ihm wahrscheinlich erzählt, dass er jemanden verfolgt. Da Kakashi von oben kam, wollten sie sich vermutlich beide auf den Weg machen, um den vierten Stock zu erkunden. Dann hätten sie der Treppe den Rücken zugewandt und wären zur Tür gegangen. Shino hat aber die Haupttreppe genommen, denn laut Sasori ist er in diese Richtung gelaufen. Er hätte den vierten Stock durchqueren müssen, um zu ihnen gelangen. Und dann wäre er wohlgemerkt vor ihnen aufgetaucht und hätte sie nicht von hinten angreifen können. Von daher kann er es nicht gewesen sein.“

„Ein fadenscheiniges Argument“, meinte Sasuke.

„Besser als deines“, sagte Tayuya.

„Wo sie recht hat“, grinste Deidara. „Aber sagt mal, denkt ihr dann auch, was ich gerade denke?“

Die anderen sahen ihn fragend an. Bei Shikamaru war der Groschen längst gefallen. „Oh“, meinte er düster.

 

„Aber nicht nur mich, oder? Ihr habt doch nicht vergessen, wer sich sofort meiner – zugegebenermaßen hirnrissigen – Nominierung angeschlossen hat?“ Sasuke verzog den Mund zu einem fiesen Lächeln. „Ich nominiere Gaara.“

„Sag mal, hast du überhaupt einen Plan oder nominierst du einfach drauflos?“, brach es aus Kiba hervor.

„Das war mein Plan. Jemanden zu entlarven, der die Seherin töten will.“

„Nicht übel, hm“, lobte Deidara.

 

„Gaara kann es nicht gewesen sein“, sagte Temari überzeugt. „Er hatte einen Anfall!“

„Vielleicht hat er ihn geschauspielert“, sinnierte Sasori.

„Er hat heute angeblich schon mal einen Anfall gehabt, und das war auch gelogen“, sagte Ino düster.

„Das … das ist doch nicht euer Ernst!“, rief Temari. Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn.

„Ich hab dir doch gesagt, deine Brüder haben beide Dreck am Stecken“, meinte Tayuya süffisant.

Gaara schien gar nicht zu bemerken, dass sein Name gefallen war. Er starrte stumm eine Wand der Lounge an, von den anderen abgewandt. Sasuke stand auf und ging zu ihm.

„He, warte! Nichts überstürzen!“, rief Lee ihm hinterher. Auch Asuma sagte warnend seinen Namen, aber Sasuke ließ sich nicht beirren.

Er ging vor Gaara in die Hocke und wartete, bis dieser ihn ansah. „Du warst es“, sagte Sasuke dann. „Stimmt’s? Hör auf zu schauspielern.“ Der Junge starrte ihn mit ausdruckslosen Augen an.

„Es ist tatsächlich möglich“, sagte Shino langsam. „Warum? Weil es eine Tatsache ist, dass wir ihn allein gelassen haben.“

„Und das war unverantwortlich!“, rief Temari.

„Stimmt“, sagte Sasuke kalt. „Weil es jetzt zwei neue Tote gibt. Und nur er kann es gewesen sein.“

 

Shino nominierte Gaara ebenfalls, dann fand die Abstimmung statt.

 

„Es ist eigentlich ganz einfach“, sagte Sasuke. „Gaara hat eine Pistole hier hereingeschmuggelt. Er ist einer der wenigen von uns, die trotz dieser schwülen Hitze eine Jacke anhaben. Als wir alle schön getrennt sind, täuscht er einen Anfall vor, um unsere Gruppen noch weiter auszudünnen. Mit Erfolg. Dann greift ein Unbekannter an. Ein praktischer Zufall – oder vielleicht war das sogar abgemacht. Toto und Shino beschließen, die Verfolgung aufzunehmen, und lassen Gaara allein. Der schleicht Toto hinterher in den vierten Stock, sieht, dass der mittlerweile Kakashi getroffen hat, und erschießt beide hinterrücks. Anschließend nimmt er deren Waffen an sich.“

Sasuke packte den schweigenden Gaara am Kragen, zog ihn hoch und rammte ihm ohne Vorwarnung die Faust in die Magengrube.

„Hör sofort auf!“, rief Temari und stürzte heran.

Sasuke schlug ein zweites Mal zu und stieß Gaara dann gegen die Wand.

Naruto stellte sich zwischen sie. „Aufhören! Bis du verrückt geworden?“

Sasuke rieb sich nachdenklich die Hand. „Ich glaube, ich habe sie gespürt.“

„Was gespürt?“, fragte Naruto verwirrt.

„Eine Waffe. Etwas Hartes unter seiner Jacke.“

Shikamaru schluckte. „Gaara – würde es dir etwas ausmachen, die Jacke auszuziehen?“

Gaara sah kurz zu seiner Schwester und zog dann, offenbar seelenruhig, seinen Reißverschluss auf. Seine Hand glitt unter die Jacke – Sasuke packte blitzschnell zu und bekam sein Handgelenk zu fassen. „Ich wusste es“, knurrte er.

Gaaras Blick veränderte sich nicht einmal, als sie stumm miteinander zu rangeln begannen. „Hey, was …“, begann Naruto, als ein Schuss durch den Raum hallte. So scharf neben Shikamaru, dass er den Luftzug fühlte, sauste etwas vorbei. Er war plötzlich wie erstarrt.

Sasuke riss an der Waffe und bekam sie zu fassen, Gaara stolperte halb. Unter seiner Jacke kam die schwarze Pistole von Kakashi zum Vorschein. Der Schuss, der sich gelöst hatte, hatte zum Glück niemanden verletzt. Aber allein die Tatsache, dass er sich gelöst hatte, bedeutete, dass einer der beiden die Waffe entsichert hatte … um den anderen zu töten …

„Gaara“, hauchte Temari, als ihr Bruder grimmig erneut unter seine Jacke fasste.

„Er hat noch eine!“, rief Kiba.

Der Griff der Pistole traf Gaara mit voller Wucht ins Gesicht und ließ seinen Hinterkopf gegen die Wand knallen. Dann packte Sasuke seine Arme und riss sie herum. „Naruto“, ächzte er. „Nimm sie ihm ab.“

Naruto kam mit hektischen Schritten näher. Seine Finger zitterten. Er machte keine Anstalten, zuzugreifen.

„Mach schon“, presste Sasuke hervor, als sich Gaara nach Kräften wehrte. Naruto fasste in die Jackeninnentasche und förderte eine zweite Waffe hervor. Eindeutig Totos eiserner Colt.

Die Versammelten gaben keinen Mucks von sich. Auch Shikamaru hatte es die Sprache verschlagen. Sasuke riss Gaara herum und stieß ihn erneut gegen die Wand. „Wie kommen die Knarren in deine Taschen, wenn du doch so unschuldig bist?“

Gaara würdigte ihn keiner Antwort. Blut lief ihm aus der Nase und von seinen aufgeplatzten Lippen.

„Ich übernehme, Sasuke“, sagte Asuma und trat auf die beiden zu. Naruto trat sofort einige Schritte zurück, die Pistole so weit vom Körper weg wie möglich.

„Das mach ich schon selbst“, sagte Sasuke und drückte Gaara den Pistolenlauf gegen die Stirn.

„Nein!“, kreischte Temari.

„Sasuke!“, keuchte Chouji erschrocken auf.

„Er wollte uns töten!“, rief Sasuke.

„Das würde er niemals tun! Lass ihn los, Sasuke!“ Auch Narutos Stimme mischte sich unter das Geschrei.

„Sasuke, mach keine Dummheiten“, warnte Asuma. Er kam nicht näher, ganz so als wäre Gaara nun eine Geisel. „Wir stehen alle unter Spannung. Lasst uns die Sache ruhig überdenken. Gaara kann uns vielleicht sogar hier raushelfen.“

Sasuke starrte Gaara hasserfüllt an. Jener starrte ausdruckslos zurück. Shikamaru fragte sich, was plötzlich in Sasuke gefahren war. Dann beugte sich Sasuke vor und flüsterte dem Rotschopf etwas ins Ohr, das wohl niemand außer den beiden hören konnte. Dann trat er einen Schritt zurück, den Arm mit der Pistole immer noch ausgestreckt.

Und drückte ab.

 

In das Echo des Schusses mischten sich Temaris und Narutos Schrei, Hinatas hohes Kreischen und dann ein halbes Dutzend anderer, entsetzter Stimmen.

Aus Gaaras Stirn sprühte plötzlich Blut. Den Mund hab geöffnet, sank er an der Wand zu Boden. Hinter ihm zierte ein breitgespritzter Blutfleck die Holzvertäfelung.

„Hast du sie noch alle?“ Narutos Knöchel trafen Sasukes Wange und warfen ihn regelrecht um.

„Gaara! Gaara!“ Temari war zu ihrem Bruder gestürzt und schüttelte ihn, als würde das irgendwas nützen. „Er hat ihn umgebracht!“, stieß sie mit heulender, misstönender Stimme hervor.

„Scheiße, du bist ja wahnsinnig!“ Kiba hatte die Fäuste geballt. „Mein Gott!“

Asuma rang um Worte. Die Zigarette lag plötzlich zu seinen Füßen.

„Er hatte es verdient!“, schrie Sasuke und rappelte sich auf. „Er war ein Mörder! Er hat uns hier reingelockt!“

„Das ist nicht wahr!“, rief Temari. „Das … kann einfach nicht sein!“

„Es kann nicht anders sein“, entgegnete Sasuke. „Was machen sonst die Pistolen in seiner Jacke?“

„Du kapierst es einfach nicht, oder?“, knurrte Naruto. Auch er hatte die Fäuste geballt. Eine Ader pochte auf seiner Stirn, und er hatte die Zähne zusammengebissen, dass es schmerzte. „Du hast gerade Gaara umgebracht! Du bist keinen Deut besser als irgendeiner von diesen Mördern!“

Sasuke sprang auf die Füße und schnell wie ein Raubtier zuckte seine Hand vor. Getroffen von dem Kinnhaken, taumelte Naruto. „Wach auf, verdammt!“, knurrte Sasuke. „Ich tu hier, was ich muss, damit wir überleben! Er hat uns doch nur noch nicht umgebracht, weil wir zu viele Leute auf einem Haufen waren! Ihm wäre sicher wieder etwas eingefallen, sei es ein Anfall oder sonstwas!“

„Deswegen brauchst du ihn nicht gleich …“ Mit einem wortlosen Wutschrei warf sich Naruto gegen ihn, rammte ihn mit der Schulter und bekam im nächsten Moment den Pistolenknauf gegen die Rippen gedonnert. Dass Hinata zaghaft seinen Namen rief, merkte er nur am Rande.

Seine Faust traf Sasukes Gesicht und er fühlte dessen Zähne schmerzhaft in seiner Haut. „Du dämlicher Idiot!“, nuschelte Sasuke schließlich. „Er gehört zu den Leuten, die Sakura auf dem Gewissen haben! Wolltest du sie nicht rächen? Ist sie dir plötzlich egal? Oder hast du vergessen, dass sie tot ist?“

Sakuras Namen durchfuhr Naruto wie ein Stromschlag. Mit einem Mal fühlte er sich so kraftlos, dass Sasukes nächster Stoß ihn von den Füßen riss.

„Es ist doch gar nicht gesagt, dass Gaara was damit zu tun hatte!“, rief Kiba. Er schien sich als Nächstes auf Sasuke stürzen zu wollen.

Der zog die Nase hoch und wischte sich mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht. „Nein? Macht dieses Hotel vielleicht nur jeden x-beliebigen Menschen zum Spontanmörder?“

„Bei dir scheint es ja zu funktionieren!“, knurrte Naruto und sprang fuchsteufelswild wieder auf die Beine. Sakura war nicht da, um sie aufzuhalten. Sie hätte es vielleicht gekonnt.

„Schluss jetzt!“ Ino trennte die beiden mit schriller Stimme, als sie für ihre Freundin in die Bresche sprang. „Ihr beruhigt euch jetzt! Alle beide! Und du hältst auch den Mund!“, fuhr sie Kiba an, der eben wieder etwas sagen wollte.

Sasuke schnaubte und drehte sich weg.

„Ich habe sie nicht vergessen“, sagte Naruto. Etwas in seiner Stimme schien ihm die Aufmerksamkeit aller zu verleihen, selbst Sasuke blickte ihn wieder an. Naruto sah das alles durch einen Tränenschleier. In seinem Hals war plötzlich etwas Bitteres. Die Wut war ihm lieber gewesen. „Ich hab keinen von ihnen vergessen. Sakura. Und Tenten, und Kankurou. Und jetzt Kakashi. Sie sind einfach gestorben, umgebracht worden, und ich weiß nicht einmal, wieso. Und jetzt bringst du auch noch Gaara um, obwohl ihr beide meine Freunde seid.“ Er musste schlucken. Sein Atem war zittrig, schniefend. Ihn schwindelte. „Das ist einfach zu viel. Ich verstehe das nicht!“

Sasuke sah ihn mit Augen wie schwarzer Onyx an, ebenso dunkel und ebenso hart. „Du hast recht“, murmelte er schließlich. „Du verstehst es nicht.“ Damit ging er von der Leiche fort und setzte sich in den Sessel, der am weitesten von ihnen entfernt stand, wo er brütend über die Pistole strich.

Naruto sank in sich zusammen. Hinata war an seiner Seite und hielt ihn im Arm, aber es fühlte sich an, als könnte ihn niemand aus dem Loch holen, in das er gefallen war.

 

„Verdammt, ich verstehe Naruto gut“, brachte Shikamaru leise hervor, als Ino zu ihm, Chouji und Asuma zurückkam. „Meine Augen brennen … Und ich habe auch keinen Plan, was hier eigentlich passiert …“

Asuma legte ihm die Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid“, sagte er kopfschüttelnd. „Eigentlich sollte ich als der Erwachsene die Kontrolle behalten. Und trotzdem konnte ich nichts tun.“

„Das ist es ja gerade“, meinte Chouji mutlos. „Wir können einfach nichts tun. Seit wir hergekommen sind, können wir nichts tun. Und unsere Freunde sterben … oder hören auf, unsere Freunde zu sein.“

Das stimmte nicht ganz. Sie konnten etwas tun. Zumindest redete Shikamaru sich das ein. Langsam ging er auf Temari zu, blieb aber hinter ihr stehen und rang nach Worten. Er wollte sie trösten, aber ihm fiel einfach nicht ein, wie.

„Seltsam, nicht?“, fragte Temari leise, ohne dass er sich bemerkbar machen musste. Sie sah niemanden an, nicht einmal Gaara, sondern blickte auf die finstere Decke des Raumes. Shikamaru meinte, ein bitteres Lächeln auf ihren Zügen zu sehen. „Heute Morgen bin ich aufgewacht und war ein wenig verkatert. Ich hab mir gedacht, dass wir es wohl ein wenig übertrieben haben. Aber es war ja immerhin der Auftritt meines Bruders, und wir haben uns seit langem mal wieder alle gemeinsam amüsiert. Und jetzt … Jetzt waren plötzlich meine beiden Brüder Mörder? Und sie sind tot? Verdammt, verarsch mich nicht!“ Sie schlug gegen die Wand.

Shikamaru wandte den Blick ab. „Wenn ich … irgendwas tun kann … sag’s mir bitte.“

„Du kannst was tun“, murmelte sie. „Tu was für deine Freunde. Schlagt irgendwie die Zeit tot, oder schlagt euch gegenseitig tot. Ich bin fertig mit euch.“ Als sie sich herumdrehte, war ihr Blick so leer wie ein Stundenglas, in dem der Sand durchgelaufen war. „Ich gehe“, legte sie fest.

„Was soll das heißen, du gehst?“, fragte Kiba mit großen Augen. Shikamaru erwiderte nur ihren Blick. Das war er ihr schuldig.

„Ich verschwinde. Ich sitze hier nicht rum mit dem Psychopathen, der meinen Bruder auf dem Gewissen hat!“ Sie deutete voller Hass auf Sasuke, den das wiederum gar nicht zu berühren schien. „Ich gebe euch nur den Rat, ihm die Knarre wegzunehmen. Er ist genauso schlimm wie dieser Toto! Falls ihr mich sucht …“ Sie sah Shikamaru kurz an, führte den Satz dann aber nicht zu Ende.

„Ich gehe mit dir“, sagte Naruto plötzlich. Sie wandte sich überrascht um. In seinem Blick lag nach wie vor Bitterkeit. „Ich … halte es hier einfach nicht mehr aus. Vielleicht sehe ich nie wieder einen meiner Freunde sterben, wenn ich einfach nur die Augen zukneife.“ Hinata packte seinen Arm und machte damit klar, was sie tun würde.

„Das ist äußerst unklug“, sagte Asuma. „Wir sollten um jeden Preis zusammenbleiben, egal, was passiert.“

Temari bedachte ihn mit einem abfälligen Blick. „Ist schon gut. Bemühen Sie sich nicht.“ Sie ging an ihm vorbei und fügte dann noch hinzu: „Sie sind ein lausiger Detektiv.“

„Ich hoffe, du bist glücklich“, sagte Naruto noch zu Sasuke. „Ich verstehe jetzt nämlich gut, wie du dich fühlst. Du hast einen Bruder verloren, und ich gute Freunde. Einer davon war ein sehr guter Freund.“ Shikamaru wusste nicht, ob er nun Gaara meinte oder Sasuke selbst. Letzterer reagierte immer noch nicht.

„Ich komme auch mit“, sagte plötzlich Neji. Shikamaru wusste nicht, ob er sich freuen sollte, dass sich so viele der neuen Fraktion anschlossen. Immerhin hatte Naruto noch Totos Pistole. „Ich will … nicht mehr nur herumsitzen. Ich möchte wissen, warum … unsere Freunde sterben mussten“, fügte Neji hinzu. Es klang, als hätte er etwas anderes sagen wollen. Tentens Namen vielleicht? Oder er wollte einfach nur Hinata begleiten.

„Tu, was du willst“, meinte Temari achselzuckend. Sie waren schon halb bei der Tür draußen. „Und ihr anderen wagt bloß nicht, uns zu folgen oder uns zu suchen“, zischte sie jenen zu, die in der Lounge verblieben.

Als sie gingen, hatte das Zufallen der Tür etwas Endgültiges an sich. Plötzlich war es abartig ruhig in der Lounge, und Shikamaru hatte das ungute Gefühl, dass er sie zum letzten Mal gesehen hatte.

Er half Ino und Kiba, einen der Vorhänge abzureißen und Gaaras Leichnam damit zuzudecken. Das war das Mindeste, was sie für ihn tun konnten. Ihn von der Stelle bewegen wollte niemand. Dann sank Shikamaru wieder in einen Couchsessel und hing seinen Gedanken nach.

 

„Gaara war ein Werwolf. Und schon sind wir bei der nächsten Nacht. Ihr schlaft alle ein …“

 
 

- Der Hintere Bezirk, vierte Nacht -

 
 

(5:15 Uhr)

Irgendwie verschlug es sie bis in den fünften Stock, ohne dass sie angegriffen wurden. Dabei war Temari, anders als die anderen, nicht gerade darauf bedacht, leise zu sein – fast war es, als suchte sie sogar die Konfrontation mit dem Unbekannten, den Shino verfolgt hatte. Nichts geschah. Das Hotel lag vor ihnen in der Düsternis wie verlassen. Ein riesiges, totes Tier, durch dessen Eingeweide sie spazierten.

Im fünften Obergeschoss hielten sie schließlich wahllos vor einem der Hotelzimmer in der Nähe der Personaltreppe an. Die Türen glichen sich wie ein Ei dem anderen, nur die messingfarbenen Schilder verkündeten verschiedene Nummern. „Hier ist es so gut wie überall sonst“, meinte Temari. Sie drückte eine der Klinken hinunter. Naruto, Hinata und Neji traten hinter ihr ein. Automatisch tastete Naruto nach dem Lichtschalter, aber selbstverständlich waren die Lampen tot. Mit seinem Smartphone, dessen Akku gefährlich zur Neige ging, beleuchtete er den Kartensteckplatz neben der Tür. Statt Zimmerschlüsseln hätte es in diesem Hotel Magnetkarten geben sollen, zumindest in den Gästezimmern, aber die Türen waren dennoch alle unverschlossen. Naruto vermutete, dass man auch mit jeder anderen Karte den Strom hätte einschalten können, wenn das Hotel nicht von der Stromversorgung getrennt worden wäre. Erneut fiel ihm auf, wie sehr die ewige Finsternis und das bleiche Display-Licht an seinen Nerven rüttelten. Neben dem Türrahmen entdeckte er dann eine altmodisch wirkende Sicherheitskette, die nicht wirklich zu den modernen Kartenlesegeräten passte, aber sicher ungleich wirksamer war.

„Gut“, seufzte Temari, die das Zimmer einmal rasch ausgeleuchtet hatte. „Betten mit Matratzen. Viel bequemer, als ständig in der Lounge herumzuhängen.“

Naruto musste ihr zustimmen. Das große Doppelbett, das den gefühlt größten Teil des Zimmers einnahm, war nicht bezogen, aber die Matratzen darauf waren neu und luden zum Hinlegen ein. Er drückte probeweise dagegen. Sie waren verführerisch weich.

Temari inspizierte einstweilen die dritte Tür, die es neben der Eingangstür und der Badezimmertür noch gab. Sie entpuppte sich als Verbindungstür ins Nebenzimmer. Naruto war schon in Hotels untergekommen, die je zwei Zimmer miteinander verbunden hatten. Die Verbindung hier bestand aus zwei Türen, die unmittelbar aufeinander folgten; eine gehörte zu diesem Zimmer und die zweite zu dem benachbarten. Dazwischen war kaum genug Platz, dass eine Person dort stehen konnte. Die Tür ihres Zimmers besaß ein Drehschloss aus Metall, wie es sie auch in manchen Toiletten gab. Die andere Tür war abgeschlossen, aber sicher genauso aufgebaut.

„Okay“, meinte Temari und klang unendlich müde. „Danke, dass ihr mitgekommen seid. Ich weiß das zu schätzen. Ich wäre jetzt trotzdem lieber allein. Ich muss über einiges nachdenken, wenn ihr versteht.“

Naruto wollte das eigentlich nicht zulassen, aber er brachte keine Widerworte heraus. Neji nickte schließlich. „Wir verstehen das.“

„Gut. Ich nehme das angrenzende Zimmer. Falls irgendetwas passiert, können wir die Verbindungstüren nehmen.“ Temari deutete auf die Sicherheitskette bei der Eingangstür. „Legt die am besten vor. Auch wenn wir keine Schlüssel oder Schlüsselkarten oder was auch immer haben, niemand kriegt die Tür mehr als einen Spalt auf, wenn die Ketten davor sind. Ich mach es drüben genauso.“

„Pass aber auf. Es kann immer noch sein, dass jemand durch den Spalt schießt“, warnte sie Neji. Naruto hatte ihm seine Waffe gegeben. Er hatte das Magazin überprüft; es war nur noch eine von sieben Kugeln darin. Aber nachdem er aus nächster Nähe erlebt hatte, was die Dinger anrichteten – Grauenhaftes, das schrecklicher war als in jedem Film –, hatte er sie keine Minute länger tragen wollen. Und er vertraute Neji.

„Gib uns ein Zeichen, wenn du drüben bist“, bat Naruto.

„Mach ich.“

„Und durchsuch das Bad und die Schränke. Und schau unter dem Bett nach. Man kann nie vorsichtig genug sein“, mahnte Neji. Temari hob nur die Hand zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. Dann trat sie in den Gang zurück und ging nach rechts. Neji schloss die Tür hinter ihr und legte die Sicherheitskette vor, prüfte dann, ob sie bei einem heftigen Ruck tatsächlich hielt, und nickte schließlich zufrieden.

Naruto kam es wie eine Ewigkeit vor, bis sie ein Klicken von den Verbindungstüren hörten und die gegenüberliegende Tür aufging. Temari nickte ihnen stumm zu, die anderen drei nickten zurück. „Wenn du etwas brauchst … lass es uns wissen“, sagte Hinata leise.

Temari nickte. „Danke, Hinata. Also, wir sehen uns. Schlaft am besten ein wenig.“

„Gute Nacht“, murmelte Naruto noch, weil ihm sonst nichts einfiel. Dann schlossen sie beide Türen, und zweimal klickte es, als jeder von ihnen sie von innen absperrte.

Sie durchsuchten, wie angekündigt, sämtliche Schränke, Schubladen und das Badezimmer, nicht nur auf der Suche nach einem Attentäter, sondern auch nach etwas Essbarem. Selbst in der Minibar war nichts. Der Durst meldete sich wieder mit voller Härte. Naruto hätte es noch gestern nicht für möglich gehalten, dass er mal Wasser aus dem Spülkasten einer Toilette schöpfen würde, aber nun tat er genau das schon zum zweiten Male. Das Wasser war zwar sauber, aber furchtbar abgestanden. Dennoch floss es wie kostbarer Wein seine ausgedörrte Kehle hinunter.

Nachdem sie alle ihren Durst einigermaßen gestillt hatten, ließ sich Naruto auf das Doppelbett fallen und legte sich seufzend hin. Seine Augenlider waren wie mit Blei gefüllt. Ein wenig Mondlicht sickerte beim Fenster herein, als er sein Smartphone abschaltete und Neji es ihm, nachdem er erneut und genauso vergeblich wie bisher versucht hatte, einen Anruf durchzubringen, gleichtat. Nach einer Weile konnte er immerhin die Schemen der anderen erkennen.

Neji setzte sich in den stoffbespannten Couchsessel, der ebenfalls zum Mobiliar gehörte. Hinata kroch schließlich zu Naruto und schmiegte sich an ihn. Er legte den Arm um sie und zog sie noch enger zu sich, atmete den Duft ihres langen Haares ein. „Tut mir leid“, flüsterte sie. „Wegen … allem.“

„Mir auch“, flüsterte Naruto zurück. Sie wussten alle nicht, was sie sagen sollten. Neji schwieg. Naruto wünschte sich nur, dass diese albtraumhafte Nacht enden würde. Und doch war da die Gewissheit, dass trotzdem nichts mehr so sein würde wie zuvor. Ihr Leben war zu Ende gewesen, noch ehe sie dieses Geisterhotel betreten hatten.

 
 

(5:45 Uhr)

Deidara und Sasori fingen irgendwann damit an, dass sie Essen suchen gehen wollten. Sich hier zu verbarrikadieren brächte gar nichts, und die anderen vier wären viel eher in der Lage, den Störsender oder einen Weg aus dem Hotel zu finden. Immer hartnäckiger wurden sie. Sasori wäre es leid, nur abzuwarten, und Deidara besaß den Nerv, offen zu sagen, dass er sich langweilte.

„Wir warten bis Sonnenaufgang“, legte Asuma fest. „Wenn man wieder die Hand vor Augen sehen kann, ist es weniger gefährlich. Bis dahin halten wir noch ohne Probleme durch. Hunger ist nicht unser ärgster Feind, vergesst das nicht.“

Nach den jüngsten Ereignissen wollte niemand mehr unbewaffnet sein. Sie hatten einen Couchsessel zerlegt und die metallenen Beine der Barhocker herausgedreht. So hatten sie sich mit Holzknüppeln und Eisenstangen bewehrt. Dennoch war ein Angriff aus den Schatten eine nicht zu verachtende Bedrohung.

„Es ist noch nicht mal sechs Uhr“, stöhnte Deidara. „Bis die Sonne aufgeht, dauert es um diese Jahreszeit noch ewig, hm.“

„Versucht ein wenig zu schlafen. Es reicht, wenn einer von uns die Tür im Auge behält“, schlug Shikamaru vor.

„Du meinst, solange nicht ein Mörder unter uns ist, hm. Ich für meinen Teil werde keine Sekunde die Augen schließen.“

Asuma und Shikamaru hatten lange mit Sasuke gesprochen. Sie hatten den Grund für seine Raserei vorhin herausfinden wollen, aber sie konnten nur mutmaßen, dass er wie alle anderen äußerst angespannt und müde war. Und er wirkte nicht ganz gesund: Wiederholt hörte man ihn husten und sah ihn sich Schweiß von der Stirn wischen. Seine Augen waren bei näherer Betrachtung glasig, und in dem Halbdunkel war kaum zu sagen, wie lange schon.

Sasuke war außerdem noch nie zimperlich gewesen. Mit großer Mühe und um den Frieden innerhalb der Lounge willen, hatten sie ihn dazu überreden können, die Waffe Asuma zu geben. Keiner der Anwesenden schien Sasuke noch in irgendeiner Form zu vertrauen.

Noch eine viertel Stunde verging, ehe Sasori schließlich aufstand. „Ich vertrete mir nur ein wenig die Beine“, behauptete er, ging aber auf die Loungetür zu.

„Bleib hier“, warnte Asuma. „Wir können für nichts garantieren, was jenseits der Tür passiert.“

„Schon in Ordnung, ich bleibe ja hier.“ Sasori blieb vor der Tür stehen und versuchte offenbar, durch das Milchglas zu erspähen, was draußen vor sich ging. Selbstverständlich gelang es ihm nicht. Die Geste wirkte eher trotzig. Er zuckte mit den Schultern und wollte wieder zu seinem Platz zurückgehen, als er plötzlich innehielt und sich bückte. „Interessant. Das war vorhin aber noch nicht hier.“

„Was denn?“ Shikamaru reckte den Hals, um zu sehen, was der junge Mann vom Boden aufhob. Etwas an seinem Tonfall gefiel ihm nicht.

„Das da. Lag halb unter dem Türspalt hindurchgeschoben.“ Sasori wedelte mit einem zusammengefalteten Blatt Papier. Sofort kamen alle näher. Selbst Tayuya und Jiroubou ließen ihren schlafenden Eidgenossen allein, zum ersten Mal, seit sie ihm die Beruhigungsmittel verabreicht hatten, und versuchten neugierig zu erkennen, was auf dem Zettel stand.

Asuma nahm den Zettel an sich, entfaltete ihn und studierte ihn schweigend. „Verdammt“, stieß er plötzlich aus.

„Was steht da? Lass uns nicht so lange warten“, sagte Sasori ungehalten, aber Asuma ließ nur das Papierstück zu Boden segeln, zückte die Pistole und riss die Tür auf.

„Ihr bleibt hier. Keiner verlässt die Lounge.“ Damit lief er in die Dunkelheit davon.

Lee war es, der sich den Zettel als Erstes schnappte. Seine Augen wurden groß, als er laut vorlas. „Jashin hat immer noch Hunger. Zum Glück verlassen bereitwillige Schafe stets den sicheren Stall. Es wird ihm eine Freude sein, das Blut eines weiteren Opfers zu ernten.“

Verdammt! Shikamaru riss ihm das Papier aus der Hand und las die Nachricht selbst noch einmal durch. Seine Gedanken rasten. Der Feind hatte bemerkt, dass sie sich getrennt hatten. Und er kündigte eine weitere Schandtat an … Shikamaru sah unbehaglich auf die Flügeltür, die noch leicht auf und zu wippte.

Asuma fühlte sich verantwortlich, weil er Temari und die anderen hatte gehen lassen. Aber wie wollte er sie hier in diesem riesigen Hotel finden?

Wie auch immer, Asuma hatte die Waffe. Er hatte ihnen eingeschärft, in der Lounge zu bleiben, und genau das würden sie tun. Resolut wollte Shikamaru den Brief zusammenfalten und zu seinem Sessel zurückkehren, als er bemerkte, dass sie den Brief nicht ganz entfaltet hatten. An der Rückseite war das Papier noch einmal zusammengeklappt, und als er die beiden Enden verdutzt auseinanderzog, fiel sein Blick auf die winzigen Buchstaben auf der Rückseite. Es war noch einmal dieselbe Handschrift, und es schien sich um eine Ergänzung zu handeln – und aufgrund der Art, wie Shikamaru darauf gestoßen war, hatte er das Gefühl, Jashin hätte irgendwie tatsächlich gerade eben einen Gedanken gehabt, den er ihnen mitteilen wollte.

Und dieses Opfer soll ein bärtiger Mann sein, der eben frevelhaft versucht, eine Waffe auf Jashins Anhänger zu richten.

Shikamaru überlief es eiskalt.

Verschlossener Raum


 

~ 26 ~

 
 

(5:50 Uhr)

Asuma! Warten Sie!“ Shikamaru wusste nicht, wie laut er rufen durfte. Allerdings war ihr Getrampel in dem nachtstillen Hotel wohl sowieso bis überallhin zu hören. Dazu kam das bohrende Gefühl, dass sie einen Fehler begingen – nein, dass sie ihn wieder und wieder begingen. Sie drehten sich im Kreis, und der Kreis wurde langsam zu einer Spirale, an deren Ende ihre totale Vernichtung stand.

„Aufteilen?“, fragte Ino atemlos, als sie das Haupttreppenhaus erreichten, ohne dass sie noch eine Spur von Asuma hätten ausmachen können.

„Nicht schon wieder“, stöhnte Chouji.

Shikamarus gedankliche Zahnräder ratterten. Ja, was sollten sie tun? Asuma einfach aufgeben? Es war kompletter Blödsinn, dass Jashin selbst gesehen hatte, wie Asuma mit der Pistole in der Hand losgelaufen war, und danach einen Zusatz zu der Nachricht verfasst hatte, die Shikamaru in der Hand gehalten hatte. Aber so wie es aussah, hatte, wer auch immer den Brief geschrieben hatte, vorausgesehen, dass Asuma daraufhin aus der Lounge stürmen würde. Und er plante, ihn zu töten. Und Asuma glaubte wiederum, dass Temari und den anderen Gefahr drohte … Jashins Anhänger mussten sich imstande fühlen, seiner Pistole zu trotzen, und das bedeutete nichts Gutes. Sie waren sich ihrer Sache sicher und fest entschlossen, Asuma umzubringen. Er lief direkt in eine Falle.

Nein, es kam nicht infrage, ihn im Stich zu lassen, da waren sich die Freunde einig. Aber wie konnten sie ihm helfen? Sollten sie gemeinsam in eine Richtung laufen? Sie hatten zwei Treppen und zwanzig Stockwerke, um Asuma zu verfehlen. Shikamaru war mit Ino, Chouji, Sasuke, Shino, Kiba und Lee unterwegs. Deidara und Sasori war es egal, was mit Asuma geschah, und der Straßengang sowieso. Wem konnte er trauen? Und zu wievielt durften sie sein, ohne dass sie Gefahr liefen, selbst angegriffen zu werden? Viele einzelne Sucher würden Asuma schneller finden, waren aber auch ein gefundenes Fressen für den Unbekannten, der sich im Hotel versteckte … Was war die richtige Balance?

„Chouji, Ino, Sasuke, Shino. Ihr lauft hier nach oben. Chouji und Ino bis ganz in den obersten Stock. Arbeitet euch von dort nach unten vor. Ruft immer nur Asumas Namen in die jeweilige Etage und entfernt euch nicht zu weit von der Treppe! Bei Gefahr lauft ihr sofort davon. Sasuke und Shino tun dasselbe vom dritten Stock aufwärts. Wenn ihr euch in der Mitte trefft, geht ihr geschlossen wieder zur Lounge zurück. Ihr anderen kommt mit mir“, beschloss Shikamaru. Seine Freunde stellten ihn erst gar nicht infrage.

Wo würde Asuma Naruto und die anderen drei suchen? In bekanntem Gefilde, in den unteren Stockwerken? Oder oben, wo die Auswahl größer und die Chance, einem Mörder in die Arme zu laufen, eventuell geringer war? Eine Wahl war so gut und so schlecht wie die andere. Gemeinsam mit Kiba und Lee rief er in jedem Stockwerk nach Asuma, bis sie in der Lobby ankamen. Dort versagten ihre Stimmen, als sie sich daran erinnerten, was für ein Blutbad hier bereits stattgefunden hatte.

Die Lobby war wie ausgestorben und finster wie der Tod selbst. Die Luft schien hier reiner zu sein als in den engen Räumen weiter oben – aber dennoch war sie von einem schweren, metallischen Geruch geschwängert. Der Marmorboden lag blitzblank vor ihnen, allerdings sah man in der Düsternis gut den dunklen Fleck, den Kimimaros lebloser Körper bildete.

Es ist Wahnsinn, ging es Shikamaru durch den Kopf. Hier in diesem Hotel läuft ein Mörder frei herum. Aber immerhin, die einzigen Schusswaffen waren wieder in ihrem Besitz. Narutos Gruppe besaß eine, Asuma die zweite. Aber der Unbekannte hat auch noch eine. Er hat auf Shino und Toto geschossen.

Shikamaru merkte gar nicht, wie er den Atem anhielt, als er und die anderen beiden die Lobby durchleuchteten. Niemand von ihnen brachte es über sich, in diese gähnende, schwarze Leere, die ihre Smartphones gar nicht ganz durchdringen konnten, zu rufen. Shikamaru hatte Chouji und Ino in ein Team gesteckt, weil er ihnen am meisten vertraute – so weit war er nun also schon, dass er Vertrauens-Ranglisten unter seinen Freunden erstellte –, und doch wünschte er sich seine beiden besten Freunde nun herbei.

 
 

(5:55 Uhr)

Asuma war mit einer Frau verheiratet, die einen ganz anderen Charakter hatte als Temari – worüber er auch froh war. Dennoch hatte er mit genügend Frauen zu tun gehabt, die der Blondine ähnlich gewesen waren – die, wenn sie verletzt waren, niemanden an sich heranließen. Temari misstraute ihm, hasste ihn. Er besaß genügend Menschenkenntnis, um das aus dem letzten Blick zu schließen, den sie ihm zugeworfen hatte.

Und darum glaubte er auch zu wissen, wo er sie finden konnte. Ungefähr. Wenn er sich nicht täuschte … Schon bereute er es, losgelaufen zu sein. Aber er hatte Kakashis Pistole. Wenn er schnell war …

Er gelangte rasch in den fünften Stock. Hier wären Temari und die anderen weit genug entfernt, um nicht von den Personen, denen sie misstrauten, belästigt zu werden. Außerdem war es nur rudimentär erkundetes Gebiet, und ein Mörder würde sie eher in der Lobby suchen oder in einem Bereich, in dem sie schon einmal gewesen waren. Es war zudem ein Stockwerk ohne Leichen – und Asuma würde dafür sorgen, dass das so blieb. Zu rufen würde nichts bringen. Temari würde nicht antworten, und wenn auch Neji und Naruto schwiegen … Also riss er auf gut Glück Türen auf. Hoffentlich waren sie so klug gewesen, sich einzuschließen. Hoffentlich schossen sie nicht auf ihn, sobald er sie gefunden hatte … Solcherlei Gedanken gingen ihm durch den Kopf, immer wieder durchsetzt mit Bildern von Kurenai, seiner kleinen Tochter und dem nagenden Gefühl, eine Riesendummheit zu machen.

Dann, plötzlich, ein Ruck an der Tür, die er aufreißen wollte. Eine Sicherheitskette hielt sie zurück. „Temari!“, rief er. „Naruto! Neji! Hinata!“ Niemand antwortete. Aber sie mussten sich in den Raum befinden! Er pochte hart gegen die Tür. „Geht es euch gut? Hier ist Asuma! Ein einfaches Ja genügt!“

Er bemerkte die Schritte erst, als er aufhörte, gegen das Holz zu schlagen, und kam nicht mehr dazu, sich herumzudrehen. Etwas traf seinen Hinterkopf. Seine Stirn krachte gegen die Tür und ließ sie wieder ins Schloss schnappen. Es war das Letzte, was er spürte.

 
 

(6:00 Uhr)

Kurenai war früh aufgewacht und hatte das Bett neben sich leer vorgefunden. Asuma war also in der Nacht nicht zurückgekommen … Sie kam nicht umhin, sich Sorgen zu machen. Er hatte sie noch einmal geweckt, als sie bereits geschlafen hatte. Offenbar ein Problem, bei dem er Shikamaru und seinen Freunden helfen wollte. Genaueres hatte er nicht gesagt, aber es musste etwas Wichtiges sein, wenn er mitten in der Nacht loszog. Sie hatte halbherzig versucht, ihn davon abzubringen, aber natürlich war er fest entschlossen gewesen. Das hatte sie erwartet. Seine Verlässlichkeit war einer der Gründe, weshalb sie ihn liebte. Auch wenn sie sich wünschte, er wäre nicht ganz so selbstlos, um seiner selbst willen.

Es hatte zu nieseln begonnen, als sie in die Arbeit fuhr. Ihre Tochter war glücklicherweise dieser Tage bei ihren Großeltern, weil Kurenais Dienstplan zu ungünstig und Asumas Arbeitszeiten zu unsicher waren. Kurenai fuhr nur langsam, die Scheibenwischer fegten träge Regenspritzer weg, die Lichter der erwachenden Stadt schimmerten verschwommen durch die Fensterscheiben. Sie hatte zwar versucht, Asuma auf seinem Handy zu erreichen, war aber nicht durchgekommen. Ob er es ausgeschaltet hatte?

Auf der Hauptstraße klingelte ihr Handy dann plötzlich. In alter Routine warf sie während dem Fahren einen Blick aufs Display. Asuma. Er rief sie also endlich zurück.

„Liebling!“, meldete sie sich erfreut.

„Hallo?“, drang eine Flüsterstimme an ihr Ohr, die ihr sofort eine Gänsehaut bescherte. Für einen Moment vergaß sie, aufs Gas zu treten, und jemand hupte hinter ihr.

„Wer … ist da?“, fragte sie mit wachsender Beunruhigung, während sie gedankenverloren den Wagen weiterrollen ließ.

„Und wer sind Sie? Asumas Frau?“

„Ich … Wer spricht da?“, fragte Kurenai mit Nachdruck. Irgendetwas stimmte hier nicht, ganz und gar nicht!

„Ich werte das als Ja“, murmelte die Flüsterstimme, kaum zu verstehen über den Motorenlärm und das stärker werdende Geprassel des Regens. „Kommen Sie heute Mittag in den Hinteren Bezirk, zum NeoMetropolis-Hotel. Allein. Dann sehen Sie Asuma wieder. Keine Polizei. Erzählen Sie niemandem etwas davon.“

„Was soll das heißen?“, fragte sie erregt. „Hallo? Was ist mit Asuma? Wer sind Sie? Was haben Sie mit ihm gemacht?“

Ein kaum hörbares Seufzen am anderen Ende der Leitung. „Was wohl? Wenn Sie mir nicht gehorchen, ist er tot. Er wird einen langsamen, qualvollen Tod erleiden, wenn Sie nicht genau tun, was ich sage. Um Punkt zwölf Uhr vor dem NeoMetropolis. Ich beobachte Sie. Und sparen Sie sich die Mühe, mich anrufen zu wollen. Ich habe hier einen Störsender, den ich sofort wieder einschalte. Sagen Sie mir also gleich, ob Sie verstanden haben oder ob Sie Ihren Mann erst schreien hören wollen, weil ich ihm einen Finger abschneide.“

Kurenai war wie erstarrt. Sie wollte etwas sagen, sofort bestätigen, dass sie verstanden hatte, aber ihre Kehle war plötzlich trocken wie Pergament, und kein Laut kam über ihre Lippen.

Dann hörte sie wieder das Hupen. Es war anders als vorhin, irgendwie drängender … und es kam von der Seite. Alles drehte sich um sie herum, aber war da nicht das rote Licht einer Ampel über ihr?

Dann donnerte etwas Riesiges, Metallenes mit voller Wucht gegen ihren Wagen, zerriss kreischend ihren Hörnerv und fegte ihr Bewusstsein mit einem brutalen Ruck davon.

 

„Zeit, sich aus den Federn zu schwingen. Ich verkünde euch die neuen Opfer. Zum einen hätten wir da Kurenai. Sie war weder Werwolf noch Vampir. Doch sie war nicht die Einzige, die heute Nacht ihr Leben lassen musste …“

 
 

- Der Hintere Bezirk, vierter Tag -

 
 

(5:55 Uhr)

Naruto wurde durch irgendetwas hochgeschreckt, und er konnte im ersten Moment nicht sagen, was es war. Nur, dass sein Blut durch seinen Körper rauschte und in seinen Ohren pochte. Pures Adrenalin durchströmte ihn. War es vielleicht ein Albtraum gewesen? Irgendetwas hallte in seinen Ohren nach …

„Was war das?“, wisperte Hinata im Dunkel neben ihm. Sie hatte es auch gehört.

Naruto brauchte eine Weile, um sich zu vergegenwärtigen, wo sie waren. Sie hatten sich von der übrigen Gruppe abgesondert und Stellung in diesem Hotelzimmer bezogen. Neji musste noch bei ihnen sein, und durch zwei Verbindungstüren von ihnen getrennt schlief wahrscheinlich Temari.

Er schwang die Beine aus dem Bett. Die Matratze knarrte. Als er aufstand, packte ihn heftiger Schwindel und er musste sich an der Wand abstützen.

„Es ist von draußen gekommen, irgendjemand hat etwas gerufen … glaube ich“, murmelte Hinata beklommen und sah sich um. Auch sie musste geschlafen haben. Mondlicht ergoss sich in dem Raum, fast wirkte er verlassen und friedlich, wobei auch sicher die Totenstille mitspielte. „Neji!“, rief sie plötzlich mit erstickter Stimme. „Neji ist fort.“

Naruto knurrte einen Fluch. Sein Blick glitt zur Tür. Die Sicherheitskette war immer noch vorgelegt, also konnte niemand herein oder hinaus gegangen sein. Oder?

„Ich werde nachsehen, was das war“, sagte er und seine Stimme wirkte kalt und hohl. „Du wartest hier.“

„Nein!“ Sie umklammerte seine Hand. „Ich lasse dich nicht allein rausgehen!“

„Ich werfe nur einen Blick in den Flur“, sagte er und versuchte beruhigend zu lächeln. Es musste wie eine Fratze aussehen.

„Dann mach ich das auch“, sagte sie und hielt seine Finger fester.

Schließlich zuckte er mit den Schultern. Es war ihm sogar irgendwie lieber, nicht allein hinaussehen zu müssen. Er enthakte die Kette und ließ seine Hand eine Weile auf dem Türgriff verharren. Etwas ließ ihn zögern. Hier drin waren sie sicher – er hatte das Gefühl, dass er, wenn er die Tür öffnete, einen kalten Lufthauch von draußen hereinlassen würde, der ihn töten oder ihm zumindest schaden konnte … Er schüttelte seine Furcht ab und drückte entschlossen die Tür auf.

Finsternis.

Umständlich fingerte er sein Smartphone aus der Tasche und schaltete das Display ein. Ein leises Piepen verkündete, dass der Akkustand bedrohlich geschrumpft war. Momentan gab er sich mit dem matten Schein im Energiesparmodus zufrieden und leuchtete durch den Spalt in der Tür. Das Licht ließ Schatten tanzen, wo keine sein sollten … hoffentlich war es ein Produkt seiner überreizten Fantasie. Nichts war auf dieser Seite des Flurs zu sehen. Naruto gestattete sich ein kleines Aufatmen und wollte auch noch die andere Seite unter die Lupe nehmen.

Er drückte die Tür weiter auf und leuchtete nach rechts. Etwas Dunkles lag auf dem Boden; er sah es erst als Schatten, und als das Licht Einzelheiten offenbarte, stieß er ein ersticktes Keuchen aus.

 

„Außerdem hat es Asuma erwischt. Der Prinz ist nicht mehr“, verkündete Sphinx.

 

„Asuma! Wieso? Was tut er hier?“, rief Naruto aufgelöst. Er lief zu dem Körper hin, versuchte den Puls zu fühlen oder ihm irgendein Lebenszeichen zu entlocken. Vergeblich. Hinata trat mit zittrigen Beinen neben ihn.

Unter Asumas Kopf hatte sich eine Blutlache gebildet. Sein Haar glänzte rot, und war sein Schädel nicht sogar deformiert? Irgendetwas Hartes musste ihn am Hinterkopf getroffen haben – und das keine zwei Meter von ihren Zimmer entfernt! „Verdammt!“ Naruto versuchte sich an seinen Erste-Hilfe-Kurs zu erinnern. Mit zittrigen Fingern drehte er Asuma auf den Rücken und versuchte Mund-zu-Mund-Beatmung. Hinata stand nur daneben und wagte nicht, sich zu rühren.

„Naruto? Bist du das?“

Naruto sah auf. Vor sich gewahrte er einen Schatten. „Sasuke?“

Sein Freund ließ sich in die Hocke sinken. „Scheiße.“

„Hilf mir lieber!“ Naruto machte mit den Wiederbelebungsversuchen weiter, presste die Hände gegen Asumas Brust.

„Das hat keinen Sinn“, behauptete Sasuke kalt und stand auf. „Suchen wir lieber den Mörder. Der muss hier noch irgendwo sein – ihr solltet nicht unbewaffnet im Flur herumstehen.“

„Den …“ Naruto hielt inne. Sein Blick fiel auf die Eisenstange, die Sasuke in der Hand hielt. An einem Ende glänzte es dunkel … „Warte mal, was machst du überhaupt hier?“

„Erklär ich dir später. Habt ihr irgendjemanden gesehen?“

„Nein! Verdammt, hör auf hier so wichtig zu tun und hilf mir!“

„Geht zurück in euer Zimmer“, sagte Sasuke. „Es ist zu gefährlich hier. Ich schicke die anderen her.“

„Aber er …“ Naruto ließ die Eisenstange nicht aus den Augen. Das konnte doch nur frisches Blut sein, das daran klebte …

Sasuke legte ihm die Hand auf die Schulter. „Tu ein einziges Mal, was ich dir sage. Und seid still.“ Damit schlich er weiter den Gang entlang, ohne Licht.

„Naruto“, flüsterte Hinata und berührte ihn zaghaft. „Ich … glaube auch, dass es sinnlos ist …“

Naruto sah bitter zu Asuma hinunter. Nein, sie konnten sich doch nicht sicher sein, dass er tot war, oder?

Mit einem Mal ging das Licht aus, sein Smartphone-Display erstarb. Er hörte Hinata und sich selbst aufkeuchen und schnellte in die Höhe, presste sich gegen die Wand. Seltsam, dachte er. Am Flur hat sich nichts geändert, nur das Licht ist weg. Und plötzlich fühle ich mich verwundbar.

„Lass uns zurückgehen, Naruto“, hauchte Hinata in sein Ohr. „Bitte.“

„Ja“, murmelte er mit belegter Stimme. Er hätte sie nach ihrem eigenen Handy fragen können. Stattdessen tastete er mit der Hand nach der Tür, schob sich an ihr entlang und schlüpfte mit Hinata wieder durch den Spalt in das Zimmer, in die letzte Bastion, die für sie sicher war, in der sie immerhin schlafen konnten. Blind fanden seine Finger die Sicherheitskette und hakten sie ein. Erst jetzt gestattete er es sich, aufzuatmen.

Asuma ist tot. So viele andere auch. Und ich verstecke mich wie ein Feigling. Aber seine Beine wollten nicht mehr. Seine Nerven waren am Ende.

Hinatas Berührung verschwand kurz, dann sah er neben dem Bett ein bläuliches Licht glühen. Sie hatte ihr Smartphone eingeschaltet. Das Licht war noch kälter als das seines eigenen, aber immerhin war es kräftig.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Naruto, nachdem sie sich eine Weile angesehen hatten. Irgendwie beruhigte es ihn trotz allem, sie einfach nur zu sehen, unversehrt. Wenn er nur sie ansah, konnte er sich vielleicht glauben machen, alles wäre wie immer.

„Neji ist weg“, sagte Hinata unbehaglich und leuchtete im Zimmer umher. Der Sessel, in dem ihr Cousin geschlafen hatte, war leer.

„Vielleicht ist er zu Temari rübergegangen?“, überlegte Naruto.

„Aber warum? Warum hat er nichts gesagt?“ Sie fröstelte. „Irgendetwas stimmt hier nicht, Naruto …“

„Keine Sorge“, sagte er schnell, als er unstete Panik in ihrer Stimme hörte. „Die Kette war vorgelegt, schon vergessen? Er kann das Zimmer also gar nicht verlassen haben. Sonst wäre die Kette weggewesen, weißt du? Er muss bei Temari sein. Oder auf der Toilette“, fügte er nach kurzem Zögern hinzu.

Letztere untersuchten sie zuerst, doch das Badezimmer war leer und kalt und abweisend. Naruto überlegte, ob er einfach rufen sollte. Ein Mörder war in unmittelbarer Nähe, aber mit der Kette vor der Tür konnte er sie höchstens einen Spalt öffnen … Vielleicht reichte das schon, wenn er eine Pistole hatte. Er entschied sich, weiterhin still zu sein. Die beiden Hotelzimmer waren ihre Festung, niemand außer Sasuke wusste, dass sie hier drin waren, und sie konnten jeden Winkel untersuchen.

Vorausgesetzt, Temari ließ sie in ihr Zimmer. Naruto erinnerte sich, dass man beide Verbindungstüren aufschließen musste, und das ging nur, wenn es je einer pro Zimmer tat.

Sie traten an die Verbindung heran und Naruto drückte die Klinke der ersten Tür hinunter. Abgeschlossen. Verdutzt blickte er Hinata an. Nur jemand in ihrem Zimmer konnte sie abschließen. Bedeutete das, Neji war doch nicht bei Temari? Aber wo sollte er sonst sein?

Er beschloss, diese Frage später zu klären, und schloss die Tür auf. Wenn nun die zweite Verbindungstür auch versperrt war, kamen sie nicht weiter. Gottlob ließ sie sich ohne Probleme öffnen.

„Temari?“, flüsterte er und klopfte leise, leuchtete aber bereits mit Hinatas Handy in den Raum. Es kam keine Antwort.

Immer beklommener fühlte er sich, als er, dicht gefolgt von Hinata, in ein leeres Zimmer trat. Sie presste sich gegen seinen Rücken, und hätte er nicht ihre Körperwärme gefühlt, wäre er sicher durchgedreht. Es war, als versuchte tintige Schwärze ihn zu verschlingen. Ein Gefühl wallte in ihm auf, als könnte in den Schatten alles Mögliche lauern, immer gerade außerhalb des Lichtscheins, und würde seine Kreise enger und enger ziehen, und am Ende würde Hinata plötzlich umfallen und tot sein … Eine aufwallende Panikattacke schnürte seine Kehle zu. Gewaltsam versuchte er den Kreis seiner Gedanken zu unterbrechen und leuchtete hektisch in alle Richtungen.

Nichts bewegte sich außer den Schatten, nichts außer den Schatten floh vor dem Licht. „Temari?“, fragte er erneut, etwas lauter.

Hinata ging an ihm vorbei und betastete zögerlich das Bett. „Es ist nicht mehr wirklich warm“, flüsterte sie. „Aber jemand ist darauf gelegen. Ob sie im Bad ist?“

Gemeinsam mit Neji?, dachte Naruto zweifelnd. „Warte mal – komm.“ Er nahm sie an der Hand – sie mussten beide ständig in dem Lichtkreis sein, unbedingt – und ging mit ihr zu der Tür, die auf den Flur führte. Das Licht riss die groben Glieder der vorgelegten Kette aus der Finsternis, die matt glänzten. „Genau wie bei uns. Also ist immerhin niemand hier eingedrungen. Denke ich.“

„Und wo sind dann Temari und Neji? Das ist doch merkwürdig!“, flüsterte Hinata.

Naruto schluckte und bewegte sich auf das Badezimmer zu. Als er die Hand nach der Türklinke ausstreckte, war es, als greife er durch zähes Gelee. Es dauerte ewig, bis er schließlich das kalte Messing zu fassen bekam. Seine Hand war schweißnass.

Schnell oder langsam? Mit einem Ruck riss er die Tür auf und leuchtete ins Innere des Badezimmers. Einen Moment war er wie erstarrt, obwohl der Anblick für ihn längst nichts Neues mehr bedeutete. Dann stieß er einen Schrei aus, und es war ihm egal, ob man ihn hörte. Hinata sackte hinter ihm in die Knie und erbrach sich auf dem Boden.

 

„Und das Dorf hat noch ein Opfer zu beklagen: Neji, der weder Werwolf noch Vampir war.“

 

Neji schwamm regelrecht in seinem eigenen Blut. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Fliesenboden, und nun, da die Tür geöffnet war, breitete sich die Lache ungehindert in das Zimmer aus, wo vorher vielleicht nur ein feiner, kaum merkbarer Film gewesen war. Ekliges Rot umspülte träge Narutos Sneakers. Was genau die Todesursache war, konnte und wollte Naruto nicht ausmachen, aber er war sich sicher, dass Neji nicht mehr am Leben war. Wahrscheinlich hatte ihm jemand eine Schlagader aufgeschnitten oder etwas ähnlich Schreckliches. Vorne auf den Fliesen glaubte Naruto die Pistole liegen zu sehen, die Neji verwahrt hatte.

„Wie … wie geht das?“, flüsterte Hinata.

„Das war Temari, eindeutig!“ Naruto ballte die Fäuste. „Sie ist nirgendwo zu sehen, und Neji liegt tot in ihrem Badezimmer!“

„Aber … wie kann es sein, dass sie nicht hier ist?“, fragte Hinata und sah sich beklommen um. „Es sind ja beide Türen mit der Kette verschlossen …“

Naruto zuckte zusammen. Der Gedankengang war unheimlich – aber gleichzeitig ließ er auch nur einen Schluss zu. „Dann muss sie noch in einem der Zimmer sein!“

Wut und Schmerz verliehen ihm Entschlossenheit. Es war nicht nur Neji. Die Gefühle über den Tod all seiner Freunde hatten sich in ihm aufgestaut. Rücksichtslos riss er die Schränke und Kommoden auf, warf die Matratzen vom Bett, sah unter dem Bett nach, warf sogar noch einmal einen raschen Blick ins Badezimmer. Begleitet von Hinatas zittrigem Handylicht, wiederholte er seine Suche in ihrem eigenen Hotelzimmer. Nirgendwo war eine Spur von Temari zu finden.

„Das kann doch nicht sein!“, fluchte er. Sie waren allein mit einem Toten in einem doppelten, abgeschlossenen Raum. War hier irgendwo eine versteckte Tür oder so etwas? Nein, das war eine verrückte Idee. Temari hätte sie wohl kaum gefunden, wenn er selbst sie nicht fand – und außerdem, warum sollte jemand so etwas in einem Hotel einbauen?

Erschöpfter denn je ließ sich Naruto auf den nunmehr nackten Lattenrost seines Bettes sinken und vergrub das Gesicht in den Händen. Hinata nahm neben ihm Platz. Dann, irgendwann, klopfte es an die Tür. „Naruto? Hinata?“, erklang gedämpft Shikamarus Stimme.

Etwas in ihm sträubte sich, zu öffnen, aber zu schweigen wäre kindisch gewesen. So stand er auf, löste die Sicherheitskette und machte die Tür auf.

Shikamaru war in Begleitung von Sasuke, Kiba und Lee – und Temari gekommen.

„Du!“, rief Naruto und machte Anstalten, sie anzuspringen.

Temari sog erschrocken die Luft ein und prallte zurück, gegen die Tür. Kiba riss Naruto von ihr fort. „Hey, was soll das?“

„Warum ist sie bei euch?“, keuchte Naruto. „Was hat das zu bedeuten?“

„Was meinst du? Sie ist uns in den Gängen begegnet“, sagte Shikamaru. Er klang müde, mühsam beherrscht, seine Augen waren gerötet. Hatte er wegen Asuma geweint? „Wo ist Neji?“

„Das ist es ja!“, fauchte Naruto. „Sie muss ihn umgebracht haben!“

„Umge…“, murmelte Shikamaru und starrte Naruto, dann Temari an. Dann stieß er einen Laut aus, der halb Jammern, halb Weinen, halb Stöhnen war. „Na, zeig es uns schon.“

 

„Der Geist hat den Buchstaben M geschrieben. Und übrigens muss heute niemand das Dorf verlassen, ist das nicht schön?“

 
 

(6:20 Uhr)

„Was meinst du, wo sie so lange sind?“, fragte Chouji Ino beklommen. Eben waren sie wieder in der Lounge bei den anderen eingetroffen. Sie hätten auf ihrem Weg stockabwärts eigentlich auf Sasuke und Shino stoßen müssen, aber seltsamerweise waren beide aus dem Treppenhaus verschwunden gewesen. Da auch Asuma nicht auf ihre Rufe geantwortet hatte, waren sie wieder zu den anderen zurückgekehrt. Jetzt war Chouji fix und fertig. Die kurze Nacht, der viel zu lange Tag und all die Anspannung forderten langsam ihren Tribut.

Deidara und Sasori lungerten immer noch in den Sesseln herum und langweilten sich sichtlich. Sakon schlief, Tayuya tigerte übellaunig durch den Raum und stänkerte jeden an, der das Pech hatte, ihren Weg zu kreuzen, und Jiroubou war eingedöst. Jemand hatte Gaaras Leiche fortgeschafft, vermutlich zu den Toiletten. Chouji war das sogar ganz recht so.

„Weiß nicht“, antwortete Ino mit einiger Verspätung. „Vielleicht haben sie ihn gefunden? Vielleicht brauchte er dringend Hilfe …“, fügte sie leise hinzu.

Chouji, der sich in seinen Sessel hatte fallen lassen, stand wieder auf. „Dann sollten wir noch mal suchen gehen.“

„Aber wir wissen doch gar nicht, wo sie sind! Sie hätten sich doch gemeldet, wenn sie uns gehört hätten, oder?“

„Vielleicht sind sie unten in der Lobby“, überlegte er. „Gib mir nur zwei Minuten. Dann kann ich wieder.“ Er atmete immer noch ein wenig schwer. Nein, er war nicht zu dick für solche Sachen – er war dieses ständige Auf- und Abgerenne nur nicht gewohnt! Chouji griff keuchend nach seinem Plastikbecher mit Wasser, den er auf das kleine Beistelltischchen neben sich gestellt hatte, ehe sie Asuma suchen gegangen waren, und nahm einen kräftigen Schluck.

 

„Jemand hat ihm die Kehle aufgeschlitzt“, stellte Sasuke fest. Naruto wusste nicht, wie er es über sich brachte, ihren toten Freund so genau zu untersuchen. „Die Waffe haben sie ihm anscheinend gelassen.“ Er hob die Pistole auf.

„Gib sie mir“, verlangte Shikamaru. Als Sasuke keine Anstalten machte, der Aufforderung nachzukommen, hob er seine Stimme und rief zittrig: „Verdammt, gib sie mir schon!“ Schließlich händigte Sasuke ihm die Waffe aus. Shikamaru wirkte genauso erledigt, wie Naruto sich fühlte.

„Das ist meine Schuld“, sagte Temari zerknirscht. „Ich hätte ihn nicht um Hilfe bitten sollen.“

„Also gibst du zu, dass du es warst?“, fuhr Naruto sie an.

„Ich gebe zu, dass ich ihn alleine gelassen habe!“, fauchte sie. „Hätte ich gewusst, was ihr mit ihm anstellt …“

„Wir?“, keuchte Naruto entsetzt. „Wen meinst du mit wir?“

„Als ob du das nicht wüsstest!“

„Haltet die Klappe, bitte“, stöhnte Shikamaru. „Mein Kopf zerspringt gleich. Sagt mir, was passiert ist. Eins nach dem anderen.“

Obwohl er nicht wirkte, als würde er wirklich zuhören, erzählten sie Shikamaru, was sie seit ihrer Trennung getan hatten. „Ich wusste, es war ein Fehler, dass wir uns aufteilen“, sagte Lee dramatisch.

„Und das sagst du jetzt, ja?“, rief Kiba gereizt.

„Ruhe.“ Shikamaru massierte seine Nasenwurzel. Sie waren alle ziemlich kaputt. In Wahrheit konnte wohl keiner von ihnen noch vernünftige Entscheidungen treffen. „Temari, deine Version der Geschichte?“

„Was heißt hier meine Version?“ Sie verschränkte trotzig die Arme. „Ich habe an Nejis, Narutos und Hinatas Tür geklopft … das heißt, beim Durchgang …“

„Wann war das?“

„Keine Ahnung! Wie spät ist es jetzt? Vor einer halben Stunde? Lang ist es nicht her!“

„Okay. Weiter.“

„Ich wollte hinaus. Ich hab jemanden gesucht, der die Tür hinter mir zusperrt.“

„Wieso wolltest du raus? Seid ihr nicht erst in die Hotelzimmer gegangen, um vor uns Ruhe zu haben?“

„Verdammt, hör schon auf mit dem Verhör!“, brauste sie auf. „Meine Brüder sind tot! Ich hab mich entschieden, auf eigene Faust den Unbekannten zu suchen, den Sasori und Shino gesehen haben! Ich wollte ihn zur Rede stellen, verstehst du? Damit er mir endlich sagt, was hier gespielt wird!“

„Er hätte dich doch nur getötet“, murmelte Kiba.

„Und wennschon!“, schnappte sie bitter. „Welchen Unterschied hätte das gemacht?“

„Die Türen lassen sich nur von innen verschließen, und zwar indem man die Sicherheitsketten vorlegt“, sagte Shikamaru. „Du hast also Neji gebeten, nach dir abzuschließen? Warum?“

„Weil ich keine Lust hatte, ein Messer in den Rücken zu kriegen, sobald ich wieder ins Zimmer zurückkomme“, sagte sie schnippisch. „Wenn mich jemand gesehen hätte, wie ich aus dem Zimmer komme, wo, glaubst du, hätte er dann auf mich gewartet?“

„Okay, guter Punkt. Und Neji?“

„Er ist in mein Zimmer herübergekommen, ich hab ihm die Lage erklärt, und er hat schließlich eingewilligt. Ich bin auf den Flur geschlüpft, und er hat hinter mir die Kette vorgelegt. Das ist alles, was ich weiß.“

„Und dann haben Naruto und Hinata ihn tot in deinem Badezimmer gefunden. Ihr habt gesagt, dass die Ketten tatsächlich vor beiden Türen waren?“, fragte Sasuke Naruto.

„Ja“, sagte dieser missmutig.

„Und vorher habt ihr die Zimmer ordentlich durchsucht, um sicherzugehen, dass sich niemand hier versteckt?“

„Ja!“

„Aber das heißt doch …“ Lees große Augen wurden noch größer. „Die Einzigen, die Neji hätten ermorden können …“

„… sind Hinata und Naruto“, stellte Kiba düster fest.

 

„Ich nominiere Hinata“, sagte Lee.

„Ich bin für Naruto“, sagte Kiba.

„Hä?“, machte Naruto. „Spinnt ihr?“

 

„Das hat nicht mit Spinnen zu tun“, sagte Sasuke ruhig. „Es ist eine logische Schlussfolgerung. Tut mir leid.“

„Man nennt das hier in der Krimi-Sprache einen Verschlossenen Raum“, sagte Shikamaru. „Es ist für niemanden möglich, herein- oder hinauszukommen, solange innen die Ketten sind.“

„Vielleicht … hat jemand von außen die Kette vorgelegt …“, meinte Naruto hilflos.

„Unmöglich. Diese Dinger sind dafür konzipiert, dass das eben nicht funktioniert“, sagte Shikamaru. „Und wenn wir bedenken, dass Neji nicht auf seinen Mörder geschossen hat, kann das nur bedeuten, dass er ihn gekannt hat und überrascht wurde.“

„Aber …“ Naruto wurde gleichzeitig heiß und kalt, als er Hinata ansah, die seinen Blick mit großen Augen erwiderte. Er wusste, dass er selbst unschuldig war – bedeutete das, Hinata hatte ihren Cousin auf dem Gewissen?

„Naruto“, flüsterte sie. „Du glaubst doch wohl nicht …“

„Nein!“, sagte er zu schnell und zu laut. „Das kann nicht sein! In eurer Logik muss irgendwo ein Fehler sein, echt jetzt!“ Es war furchtbar, Hinata zu verdächtigen. Er wusste, dass er das nicht tun durfte. Er wusste, dass es Verrat wäre. Und dennoch … Gab es keine andere Lösung?

 

„Ich … ähm …“ Naruto druckste unsicher herum. Shikamaru wusste, was ihn bewegte. Er und Hinata hatten je eine Nominierung erhalten. Wenn er nun ebenfalls Hinata nominierte, würde über sie abgestimmt werden, und er kam womöglich davon.

 

Und wenn Hinata unschuldig war? Er kannte sie doch, er liebte sie! Sie würde unmöglich einen Mord begehen, selbst wenn sie einen guten Grund hatte, und dann noch an Neji … Sie sah ihn aus hellen, weinerlichen Augen an. Und wenn sie ihn seinerseits nun plötzlich verdächtigte? Der Gedanke brach ihm das Herz.

„Na? Was ist jetzt?“, knurrte Kiba und Naruto merkte, dass Shikamaru eine Frage an sie gerichtet hatte. „Habt ihr jetzt was aus dem anderen Raum gehört, oder wart ihr zu beschäftigt miteinander?“

„Hör auf, Kiba“, sagte Lee. „Das ist eine ernste Sache. Nur sie beide waren in dem Zimmer, und die Türen waren von innen verschlossen. Und sie haben beide geschlafen, haben sie vorher gesagt.“ Seine Augen schwammen in Tränen. „Und trotzdem lieben sie sich noch!“

„Man kann auch einen Mörder lieben“, meinte Sasuke kühl.

„Vielleicht hatten sie ja einen guten Grund“, murmelte Temari. „Wir misstrauen einander doch alle, oder? Vielleicht hat Neji irgendetwas getan, was sie geängstigt hat …“

„Neji würde niemals jemandem etwas zuleide tun!“, sagte Lee überzeugt.

„Neji hatte die Waffe. Er hätte ganz leicht jemanden bedrohen oder erschießen können, hat es aber nicht getan. Das allein beweist seine Unschuld“, bestätigte Shikamaru.

Sie sprachen noch weiter, aber Naruto hörte nicht hin. Er sah nur Hinata an, und ihr Blick war seinerseits auf ihn geheftet. Es kam ihm plötzlich so vor, als wären sie beide von einer Meute hungriger Wölfe umgeben. Oder eher von Aasgeiern, die darauf warteten, dass sie sich an die Kehle gingen, um sich dann selbst auf die Beute zu stürzen.

„Ich …“ Sein Mund war staubtrocken. Dafür schwitzte er so sehr, dass ihm seine Klamotten klamm am Leib hafteten. „Ich …“

„Naruto …“, flüsterte sie.

„Ich kann … Es gibt nur …“ Er ballte die Fäuste in hilfloser Wut.

„Verdächtigst du mich, Naruto?“, fragte sie leise.

Ein geschlossener Raum. Niemand konnte durch die Fenster. Niemand konnte durch die Türen. Nur Hinata und er kamen als Täter infrage. Er war es nicht. Er hatte geschlafen und nichts gehört. Und dennoch … Nüchtern betrachtet … Ein Mord hinter verschlossenen Türen … Neji kannte den Täter … Vielleicht sogar sehr gut … Verdächtigst du mich, Naruto?

„Es gibt …“ Er biss die Zähne zusammen. „Es gibt darauf ... nur eine … Antwort.“

Näherrückende Wände


 

~ 27 ~
 

(6:30 Uhr)

Es gibt darauf nur eine Antwort“, wiederholte Naruto. Die anderen lauschten ihm aufmerksam. Er streckte die Hand nach Hinata aus. Sie wich zurück, aber er packte zu. Der ganze Raum hielt den Atem an. Naruto riss sie regelrecht an sich heran und schloss sie fest in die Arme. „Es gibt nur eine verdammte Antwort!“, schrie er und kniff die Augen zusammen, in denen sich Tränen sammelten. „Hinata ist unschuldig! Ich weiß nicht, wie die Sache mit Neji abgelaufen ist, aber ich weiß, dass sie es nicht gewesen ist!“

„Naruto …“ Sie ließ ein heiseres Schluchzen hören, während sie ihr Gesicht in seiner Schulter vergrub.

„Ihr habt einen Fehler gemacht! Eure ach so logische Schlussfolgerung hat irgendeinen Fehler!“, rief Naruto mit tränenerstickter Stimme. „Ich lasse keinen von euch Hinata verdächtigen!“

„Dann bleibt nur einer übrig“, murmelte Kiba. „Du, Naruto.“

„Nein!“ Plötzlich löste sich Hinata von ihm und baute sich mit ausgebreiteten Armen vor ihm auf. „Naruto war es nicht! Glaubt uns doch, wir sind unschuldig!“

 

Weder Naruto noch Hinata nominierten den jeweils anderen, um sich selbst zu retten. Das überraschte Shikamaru. Interessiert machte er sich eine entsprechende Notiz.

 

„Ich würde euch ja gern glauben“, murmelte Shikamaru, dessen Vertrauen in seine Freunde heute schon mehr als einmal gründlich erschüttert worden war, „aber die Beweislast ist ziemlich erdrückend …“

„Welche Beweislast?“, fuhr Naruto auf. „Was für Beweise gibt es, außer dass die Türen verschlossen waren?“

„Das reicht ja wohl“, murmelte Temari.

„Nein“, sagte eine leise Stimme hinter ihnen plötzlich. Naruto und Hinata fuhren herum. Die Lichtkegel der Taschenlampen schnellten zu der schattenhaften Gestalt, die urplötzlich dort aufgetaucht war.

„Du“, sagte Sasuke düster.

„Allein die Tatsache, dass die Ketten vorgelegt waren, beweist, dass Naruto und Hinata unschuldig sind.“ Shino war hinter ihnen aufgetaucht – sie hatten in all der Aufregung vergessen, die Türen wieder zu verschließen. Er sah übel aus: An der Stirn hatte er eine Platzwunde, und getrocknetes Blut klebte auf seiner Wange. Sein Overall war an der linken Schulter ebenfalls mit Blut vollgesogen und dunkel.

„Was ist denn mit dir passiert?“, sagte Naruto entsetzt.

„Wo kommst du so plötzlich her?“, fragte Temari mit schmalen Augen. „Shikamaru, was auch immer der Kerl sagt, glaub ihm nicht!“

„Shino hat bis jetzt eine gute Kombinationsgabe bewiesen“, erwiderte Shikamaru.

„Ich habe eure Anklagepunkte halb mitgehört, hab konnte ich sie mir selbst zusammenreimen. Ich kann euch ein Szenario nennen, in dem weder Naruto noch Hinata die Mörder von Neji sind“, murmelte Shino in seinen Kragen. Er stand reglos wie eine Salzsäule da.

„Und zwar?“, fragte Shikamaru.

„Da bin ich ja mal gespannt.“ Temari verschränkte die Arme. „Wetten, er will es mir anhängen?“

„Genau“, sagte Shino ohne Umschweife. „Warum? Weil du ebenfalls Gelegenheit hattest, Neji zu töten.“

 

„Ich beschuldige Temari“, sagte Shino.

 

„Weniger als die beiden“, beharrte sie. „Neji hat hinter mir die Tür mit der Kette verschlossen! Wie hätte ich ihn töten sollen? Die Türen waren zu, und er ist im Bad gelegen! Und außerdem, was ist mit dir? Wir haben noch ein Opfer zu beklagen! Du warst doch offensichtlich allein unterwegs – wer sagt uns, dass du nicht Asuma umgebracht hast? Tauchst hier einfach mit blutiger Kleidung auf und … und …“

 

„Ach komm, muss das sein? Dann beschuldige ich Shino!“, feuerte Temari sofort zurück.

„Das beweist förmlich, dass du ein Werwolf bist“, sagte Shino.

„Gar nichts beweist das! Hey, Leute, kommt euch das nicht merkwürdig vor?“, fragte Temari hilfesuchend in die Runde. „Er beschuldigt jede Runde jemanden, alle glauben ihm, und er hat immer recht. Er hat einfach zu viel Macht, und die nutzt er jetzt aufs Geratewohl aus!“

Shikamaru kritzelte sich eifrig Notizen. Seine Gedanken waren noch bei Neji. Als bei der Aufzählung der Opfer sein Name gefallen war, hatte dieser ziemlich verdutzt dreingeschaut. Offenbar hatte er damit nicht gerechnet. Shikamaru hatte ebenfalls erwartet, dass er als Paranormaler Ermittler von jemandem beschützt wurde. Sofern ihn nicht die Hexe auf dem Gewissen hatte – was keinen Sinn ergäbe –, war er durch die Werwölfe gestorben. Der Priester, der jemanden dauerhaft vor den Wölfen schützen konnte, musste seine Fähigkeit längst ausgespielt haben, als sich die Guten offenbart hatten. Daraus folgte, dass der Priester nicht Neji geschützt hatte.

„Ich beschuldige auch Shino“, sagte Tayuya plötzlich. Alle starrten sie fassungslos an. „Nicht, weil ich ein Werwolf bin oder ein Vampir. Ich kann ihn nicht leiden, deswegen.“

„Du sollst so spielen, dass wir gewinnen!“, fuhr Kiba sie an.

„Ach, halt die Fresse. Mir kommt’s eben auch spanisch vor, dass der Kerl so viele Werwölfe ausfindig macht.“

„Warum das so ist? Weil ich Glück hatte. Und ich habe nicht jedes Mal einen gefunden“, sagte Shino finster.

„Hä? Was habt ihr alle plötzlich gegen Shino? Stimmen wir hier wirklich über Shino ab?“, rief Naruto.

„Auf geht’s“, bestimmte Tayuya und streckte ihre Faust vor.

„Augenblick“, unterbrach sie Sphinx.

„Ach ja“, murmelte Naruto. „Das Opfer der Vampire.“

„Richtig. Und dieses Mal hat es … Chouji erwischt! Er war weder Vampir noch Werwolf.

 

Ino stieß einen spitzen Schrei aus, der die anderen aufschreckte. Chouji hatte plötzlich ein ächzendes Geräusch ausgestoßen, die Hände an die Kehle geschlagen und war in die Knie gegangen. Aus seinem Rachen sickerte Schaum.

„Scheiße!“, zischte Tayuya und stürzte herbei. Auch die anderen liefen näher.

„Chouji! Hey, Chouji!“ Ino beugte sich über ihn und schüttelte ihn an den Schultern. Seine Augen quollen aus dem Höhlen. Er bewegte den Mund, um etwas zu sagen, aber man konnte ihn nicht verstehen.

„Was soll ich tun? Wie können wir ihm helfen?“, rief Ino, aber niemand antwortete ihr.

Chouji packte sie am Arm, stieß ein weiteres, noch grässlicheres, stöhnendes Geräusch aus. Sein Gesicht war käseweiß, und das lag nicht an Sasoris Taschenlampe. Dann verdrehte er die Augen und kippte zur Seite.

Ino rief weiterhin seinen Namen und rüttelte ihn, doch seine Glieder entspannten sich plötzlich, als wäre alle Kraft aus seinem Körper gewichen. Mit zittrigen Händen hob sie den Plastikbecher auf, den er über den Boden verschüttet hatte. „Was … Was war da drin?“, fuhr sie die anderen an.

 

„Schön, aber das ändert nichts an unserer Abstimmung“, drängte Tayuya ungeduldig. „Los. Je schneller wir sind, desto schneller kann der Typ mit dem Zopf unsere Todesfälle lösen.“

 

„Warum ich blute? Das kann ich euch sagen“, murmelte Shino. Es ließ sich nicht erkennen, wen von ihnen er über die Ränder seiner Brille ansah, dazu warf seine Kapuze zu lange Schatten.

Sasuke beugte sich vorsichtig zu Shikamaru und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. „Shikamaru. Eins darfst du nicht vergessen.“

„Und das wäre?“, flüsterte Shikamaru zurück, während er Shino genau im Auge behielt.

 

Naruto streckte halbherzig ebenfalls seine Hand aus. Nein, er musste entschlossener sein! Es war erwiesen, dass Shino die Seherin war. Wer auch immer gegen ihn stimmte, war entweder ein Vampir oder ein Werwolf. Die wollten sich wahrscheinlich nicht zu erkennen geben, also würden sie vielleicht für sein Leben stimmen – oder würden sie das Risiko eingehen, um Shino loszuwerden?

Er musterte seine Mitspieler. Chouji fiel nun leider aus, aber Hinata, Sasuke, Lee, Kiba und Ino hatten Shino schon vorher vertraut. Er und Shino selbst würden natürlich auch für sein Überleben stimmen, machte also sieben positive Stimmen. Temari würde für Tod sein, um sich selbst zu retten. Tayuya auch, und die hatte im Zweifelsfall zwei Stimmen. Dann gab es noch Sakon, Jiroubou, Deidara und Sasori. Selbst wenn sie alle für Shinos Tod stimmen, waren das nur sechs. Da konnte selbst Tayuya nichts daran rütteln.

„Gut – eins, zwei, drei!“, zählte die Bürgermeisterin.

 

„Dein Intellekt ist gefragt. Du musst diese Verdächtigungen aufdröseln“, wisperte Sasuke Shikamaru kaum hörbar zu.

Verwirrt runzelte dieser die Stirn. „Das musst du mir nicht erst sa–“

So schnell, dass er es nicht mitbekam, hatte Sasukes Hand den Griff der Pistole gepackt, der aus Shikamarus Hosenbund ragte, und riss die Waffe grob heraus.

Hinata stieß einen Schrei aus, Lee einen überraschten Ruf, Naruto hob instinktiv die Arme, das Licht von Kibas und Temaris Lampen fuhr wie wild herum. Der bleich schimmernde Lauf der Waffe war auf Shino gerichtet.

„Sasuke, was tust du da?“, keuchte Naruto mit schriller Stimme.

„Sasuke!“, sagte Shikamaru. Er wollte Schärfe in seine Stimme packen, klang aber nur fassungslos. Diese Waffe hatte Kimimaro das Leben gekostet und wahrscheinlich auch Kakashi und Toto!

„Das ist für meinen Bruder“, sagte Sasuke tonlos. Sein Finger krümmte sich um den Abzug.

„Nein!“, schrien Naruto, Kiba und Lee wie aus einem Munde. Hinata duckte sich und kniff die Augen zusammen. Shikamaru war unfähig, sich zu bewegen.

Ein ohrenbetäubender Knall erfüllte das Hotelzimmer.

 

Naruto zählte die Daumen, die auf Leben zeigten; dann die, die auf Tod zeigten. Seine Augen wurden immer größer. Die Abstimmung war so ausgefallen, wie er erwartet hatte – mit einer Ausnahme. Sasukes Finger zeigte nach unten, ein höhnisches Lächeln zierte sein Gesicht. „Sasuke!“, rief er zornig. „Was für ein Spiel spielst du hier eigentlich?“

 

Es ging alles so schnell, dass Naruto meinte, sein Gehirn könnte die Informationsflut nicht verarbeiten. Seine Ohren klingelten noch, und in dem Raum tanzten die Schatten, als irgendjemand versuchte zu beleuchten, was gerade geschehen war. Ein Handy lag am Boden, mit dem Display nach unten, wo es ein helles Viereck malte. Dann riss das Licht etwas Hellrotes aus den Schatten, das umso grässlicher wirkte, als es nur kurz zu sehen war. Das Klingeln in Narutos Ohren ließ nach, dafür hörte er nun ein schweres Schnaufen und etwas, das wie das Tropfen von Wasser klang …

„Lee!“, stieß Kiba aus und Naruto verstand im ersten Moment nicht. Erst dann erkannte er, was sich noch in dem Zimmer verändert hatte.

 

„Ich kann nicht zulassen, dass Shino gelyncht wird!“, verkündete Lee mit entschlossener Stimme. „Sphinx kann euch bestätigen, dass ich die Märtyrerin bin! Ich kann mich opfern, um statt jemand anderem gelyncht zu werden! Die Zeit ist jetzt gekommen!“

Ein erleichtertes Murmeln ging durch die Reihen von Shinos Befürwortern. Sasuke schien nicht gerade zufrieden mit dieser Entwicklung.

 

Shino lag am Boden, zur Seite gestoßen in dem Moment, als Sasuke abgedrückt hatte. Lee hatte die Kugel mit seinem Körper abgefangen, die ihm gegolten hatte. Naruto stürzte zu ihm, als er wankte und zu stürzen drohte, und er fiel ihm geradezu in die Arme. „Na…ruto …“, seufzte der Junge mit den buschigen Augenbrauen. „Lass nicht zu, dass sie … Shino … oder einen der anderen …“ Seine Augen waren glasig. Das Feuer, das sonst darin brannte, war zu einem schwachen Glimmen verkommen.

Naruto brachte kein Wort heraus. Auch Kiba stürzte nun heran und leuchtete Lees Körper ab. In seiner Brust klaffte ein Blut sprudelndes Loch. Auch Narutos Hände und Ärmel waren bereits rotverschmiert. Lees Atem ging rasselnder, flacher. „Versprecht mir … dass …“, brachte er hervor. Naruto strengte seine Ohren an, um ihn zu verstehen. „… die anderen … hier raus …“

Naruto drückte seine Hand fest. „Ich versprech’s dir“, murmelte er.

Lee lächelte. Seine Augen fielen ihm zu. Seine Lippen formten noch Worte, aber man hörte nur mehr ein schwaches Hauchen. Dann kippte sein Kopf schlaff zur Seite. Naruto kniff die Augen zusammen.

 

Ich bestätige es. Somit ist das Opfer an diesem Tag: Lee! Lasset also wieder die Nacht über unser Dorf hereinbrechen!

 

Ein wiederholtes Klicken drang plötzlich an Narutos Ohr. Verwirrt sah er auf. Neben ihm stand Sasuke, als wäre nichts geschehen, die Pistole wieder auf Shino gerichtet und stur den Abzug betätigend. Die Munition war ihm ausgegangen. Sasuke schnalzte verärgert mit der Zunge und ließ die Waffe sinken.

„Du!“, zischte Naruto, ließ von Lee ab und pfefferte Sasuke seine Faust ins Gesicht, sodass er von den Füßen gerissen wurde. Die leergeschossene Pistole flog aus seiner Hand. „Hast du den Verstand verloren oder was?“, brüllte Naruto. Sasuke war immer auf ihrer Seite gewesen! Und jetzt plötzlich … Nein, gar nicht plötzlich, erinnerte er sich. Da war noch etwas gewesen. Schließlich waren sie ja erst seinetwegen hier in diesem Zimmer gelandet.

Sasuke rappelte sich auf und wischte schweigend seine blutende Lippe ab. Kiba baute sich neben ihm auf. „Du hältst ihn fest“, knurrte er Naruto zu. „Ich geb ihm jetzt auch ordentlich Zunder!“

„Ich hab’s euch doch gesagt, dass er nicht richtig tickt“, sagte Temari mit stockender Stimme.

Shikamaru sah aus, als wollte er wieder einmal einschreiten, aber er schloss den Mund wieder. Es fehlte ihm offensichtlich an Kraft, hier noch für Harmonie zu sorgen. Stumm schüttelte er den Kopf.

„Was ist mit dir los?“, fuhr Naruto Sasuke an. „Sakura ist tot! Neji ist in diesem Raum gestorben! Asuma liegt draußen am Gang! Und du musst hier noch Lee erschießen?“

„Es gibt noch andere Tote außer denen hier im Hotel“, sagte Sasuke, seine Augen glasig, die Stirn schweißüberströmt. Er wirkte irgendwie fiebrig.

„Du … Du bist …“ Naruto fühlte sich so hilflos, dass er weinen wollte. „Ich verstehe dich einfach nicht, verdammt!“

„Du musst es nicht verstehen“, meinte Sasuke überheblich. Seine Tonlage sagte noch mehr. Unsere Freundschaft kann nun enden.

Er schnellte auf Naruto zu, und eher dieser reagieren konnte, stieß er ihn gegen Kiba, der überrascht ächzte. Shikamaru rührte sich noch immer nicht von der Stelle, und so stand nichts zwischen Sasuke und den offen stehenden Verbindungstüren. Er lief hindurch, dann hörte man die Tür des benachbarten Hotelzimmers. Sasuke war in den dunklen Tiefen des NeoMetropolis verschwunden. Er ließ ein klaffendes Loch in den Reihen ihrer Freunde zurück, und Unverständnis und brodelnden Zorn in Narutos Brust.

 
 

- Der Hintere Bezirk, fünfte Nacht -

 
 

(6:45 Uhr)

Sie durchsuchten Asuma noch nach seiner Pistole, fanden sie aber natürlich nicht. Sein Mörder musste sie mitgenommen haben. Wie betäubt trotteten sie in stillem Einvernehmen zurück zur Lounge. Shino machte den Versuch, das Thema auf seine Theorie zu Nejis Tod zu lenken, aber Naruto sagte unwirsch, dass er genug von diesen Verdächtigungen hätte. „Von mir aus könnt ihr glauben, dass ich es war“, knurrte er. „Solange ihr Hinata in Ruhe lasst.“ Niemand schnitt das Thema wieder an, obwohl es, zumindest für Shikamaru, noch nicht gegessen war.

In der Lounge wartete die nächste unschöne Überraschung. Chouji war tot. Es hatte Shikamarus besten Freund erwischt, und obwohl er eigentlich nach all den Geschehnissen abgehärtet sein sollte, brannten nun schon wieder Tränen in seinen Augen. Dieses Hotel war verflucht. Sie würden hier niemals lebend rauskommen, dessen war er sich nun sicher.

Ino schien wieder in einem tranceartigen Zustand, als sie schilderte, wie Chouji plötzlich umgekippt war. Ihr Haar war zerrauft und ihre Wange zerkratzt. Als Shikamaru sie darauf ansprach, sagte sie nur: „Tayuya.“

Die Straßenbande war aus der Lounge verschwunden. Anscheinend hatte es einen Riesenkrach gegeben und die bröckelnden Reste des kaum vorhandenen Vertrauens zwischen den verschiedenen Gruppen hatten sich in Rauch aufgelöst. Ihre Blockade in der Lounge, die so effektiv begonnen hatte, war somit endgültig aufgebrochen. Nur Sasori und Deidara saßen noch in den weichen Sesseln und schwiegen. Wann waren sie nur so wenige geworden?

Shikamaru konnte den Blick nicht von Chouji wenden, dem sie ein Geschirrtuch übers Gesicht gelegt hatten. So war es an Shino, die Leiche zu untersuchen. Er lupfte das Tuch kurz – Shikamaru kniff die Augen zusammen –, dann schnupperte er an dem Wasserbecher, aus dem Chouji kurz vor seinem Tod getrunken hatte. „Es riecht merkwürdig. Vielleicht eine Art Gift“, erklärte er knapp.

„Haben wir auch überlegt, hm“, meinte Deidara.

„Sag doch verdammt nochmal gleich, dass du es warst“, presste Ino plötzlich hervor.

Deidara sah sie nur fragend an.

Du warst es! Gib’s doch zu!“, schrie sie. „Wir waren auf der Suche nach Asuma! Ihr wart die ganze Zeit in der Lounge, ihr hättet ihm das Zeug ohne Schwierigkeiten in den Becher schütten können, es gibt gar keine andere Möglichkeit!“

„Du bist etwas vorschnell“, sagte Shino. Er sah immer noch fürchterlich aus, aber er hatte seine übliche Coolness zurück. „Warum? Weil auch Sasori, Tayuya, Jiroubou und Sakon in dem Raum waren.“

„Einen Dreck bin ich vorschnell!“ Ino baute sich mit blitzenden Augen vor Deidara auf. „Der Kerl hat mir letzte Nacht doch auch was in den Drink getan! Glotz nicht so blöd, oder hast du geglaubt, ich hätte das vergessen?“

„Autsch“, kommentierte Sasori. „Du hast eben einfach keinen Stil, Deidara.“

„Klappe!“, knurrte dieser. „Wer soll dir das glauben, hä? Kannst du das irgendwie beweisen, hm?“

„Bitte!“, sagte Shikamaru, ebenso verzweifelt wie halbherzig. „Geht ihr euch nicht auch noch an die Gurgel! Wie viele sollen noch sterben?“

„Jeder einzelne“, meinte Kiba düster.

„Sie haben recht“, sagte Deidara. „Wir sollten lieber zusammenhalten, anstatt alte Geschichten aufzuwärmen.“

„Also gibst du es zu, dass du es warst?“

„Wie sollen wir zusammenhalten, wenn Chouji jetzt auch noch tot ist?“, rief Kiba. „Wie lange soll das noch so weitergehen? Irgendeiner spielt hier faul! Nein, mehr als einer! Zum Teufel mit diesem Unbekannten, der sich angeblich hier im Hotel versteckt, da ist jemand unter uns, der das alles tut!“

Shikamarus Gehirn war wie ausgeknipst. Er wollte nicht mehr. Er hatte endgültig genug von alledem. Er wollte schlafen, nichts weiter! Sie waren sicher schon seit zwanzig Stunden wach und hatten in der Nacht davor auch nicht allzu viel geschlafen!

„Shikamaru“, sagte Shino ernst. „Kiba hat recht. Wir müssen herausfinden, wer von uns noch falsch spielt. Wir haben es schon bei Kankurou, Kimimaro und Gaara festgestellt. Das hat einfach noch nicht gereicht.“

„Wie lange sollen wir uns denn noch gegenseitig verdächtigen?“, rief Naruto heiser. „Ich kann nicht mehr! Ich will nicht mehr!“ Diesmal schien es Hinata zu sein, die ihn zu trösten versuchte, indem sie ihm beruhigend den Rücken streichelte. Entgegen Narutos Worten klebten die beiden regelrecht aneinander, als könnten sie sonst eben niemandem mehr trauen.

„Ich will nochmal zu dem Doppelzimmer zurück“, sagte Shino ungerührt. „Warum? Weil ich glaube, mit ein wenig Ermittlungsarbeit Temaris Schuld beweisen zu können.“

„Fängst du schon wieder damit an?“, schnappte sie.

Shikamaru hob nur schwach die Hand, um seine Zustimmung zu zeigen. Es war sowieso hoffnungslos. Sein Plan, dass alle Überlebenden sich an einem Ort versammelten, war längst in die Brüche gegangen. Vielleicht waren sie sogar sicherer, wenn sich jeder von ihnen in einem eigenen Teil des Hotels einschloss. Andererseits hatten nicht einmal die vorgelegten Ketten Neji beschützt. Vielleicht war der Feind ja wirklich Jashin, irgendein Fleisch gewordener Dämon oder so etwas in der Art, vor dem es einfach kein Entrinnen gab. Vielleicht saßen sie schon alle unwissend in ihrem Grab und warteten darauf, mit Erde zugeschüttet zu werden.

Aus den Augenwinkeln sah er, wie Shino die Lounge verlassen wollte. Allein. Vielleicht vertraute er auch schon niemandem mehr. „Warte, Shino“, hielt ihn Kiba zurück. „Kannst du uns verraten, warum du und Sasuke eigentlich allein wieder aufgetaucht seid? Und warum du so abgerissen aussiehst?“

„Ich dachte, das bedarf gar keiner Erklärung mehr“, murmelte Shino und drehte sich um. Die Wunde auf seiner Stirn sah im schwachen Licht aus wie ein großer Tintenklecks. „Sasuke hat mich mit seinem Eisenrohr angegriffen, als wir zu zweit unterwegs waren, um Asuma zu suchen. Warum? Das weiß ich nicht. Aber er hat etwas von seinem Bruder gesagt.“

 

Nachdem Shino fort war, überlegte Deidara laut: „Jetzt, wo er es sagt – wo sind die anderen? Wart ihr nicht mehr, als ihr gegangen seid?“

Niemand antwortete ihm.

„Sag mal“, sagte Kiba leise und setzte sich neben Naruto, „weißt du, was plötzlich in Sasuke gefahren ist?“

„Nein“, murmelte er finster.

Kiba schwieg eine Weile und starrte ins Leere. „Naja, ich dachte nur, weil du ja sein bester Freund bist, vielleicht …“

„Keine Ahnung, verdammt“, knurrte Naruto und ballte die Fäuste. „Ich wüsste auch zu gern, was mit ihm los ist, echt jetzt!“

„Er war doch nicht von Anfang an so …“, meinte Hinata leise. „Als wir Sakura gefunden haben, da war er auch ziemlich betroffen, glaube ich. Es muss etwas passiert sein, dass er … so geworden ist.“

„Ich kann dir auch sagen, was“, brummte Kiba. „Plötzlich bringen wir uns alle gegenseitig um. War ja nur eine Frage der Zeit, bis einer völlig den Verstand verliert. Sasuke hat eben schon viel durchgemacht, genauso wie Gaara. Vielleicht sollten wir uns nicht wundern …“

„Sasuke ist nicht so schwach, dass er wegen so was den Verstand verlieren würde“, mischte sich Ino ein, die zugehört hatte.

„Ich sag ja nicht, dass man schwach sein muss, um …“

„Ich glaube auch, dass etwas anderes dahintersteckt“, murmelte Naruto und kniff die Augen zusammen. Da war etwas in seinem Gedächtnis … Als sie sich in der Lounge verschanzt hatten, da war Sasuke mit seinem Smartphone beschäftigt gewesen. Dann hatte er Naruto etwas gefragt, und bald darauf hatte er Gaara erschossen … Was war das nur gewesen … Er kam nicht drauf. Zu viel war seitdem geschehen.

„Seht mal.“ Deidara zog etwas hinter der Theke hervor. Ein leeres Fläschchen, das wie ein Arzneibehälter wirkte. Es schien leer bis auf einen Zettel, der darin steckte. Deidara schraubte die Verschlusskappe herunter und schnupperte daran. „Ich hab das Tatwerkzeug von vorhin gefunden. Riecht genau wie Choujis Wasser. Und seht mal hier.“ Er deutete auf das Jashin-Symbol, das jemand mit schwarzem Filzstift auf das Glas gemalt hatte. Deidara wollte Shikamaru das Fläschchen reichen. Da er keine Anstalten machte, es entgegenzunehmen, gab er es stattdessen Kiba, der die Hand danach ausstreckte. Sasori und er beugten sich über seine Schulter, als er den Zettel entfaltete und vorlas.

Gesagt, getan. Jashins Sense kann viele Formen annehmen. Da will uns jemand verarschen!“ Zornig schleuderte er das Fläschchen von sich, das Deidara hektisch auffing.

„Also bekennt sich dieser Jashin-Zirkel zu dem Mord an Chouji, hm“, stellte er fest.

„Das heißt, wenn wir seine Leiche aus den Augen lassen, steckt sicher bald irgendwas Spitzes in seiner Brust“, murmelte Naruto düster. „Jetzt haben sie also Tenten und Chouji auf dem Gewissen.“

„Nicht zu vergessen Hidan“, ergänzte Deidara.

„Wen interessiert der schon?“, fauchte Ino.

In dem Moment gab es einen dumpfen Knall, irgendwo über ihnen. Alle schraken zusammen und rissen die Köpfe in den Nacken. „Was … was war das?“, fragte Hinata.

Niemand antwortete. Sie kannte die Wahrheit vermutlich selbst. Sie alle hatten in dieser Nacht bereits genügend Pistolenschüsse gehört, um den Laut wiederzuerkennen.

 

„Shino!“, rief Naruto und sprang auf. „Der galt ihm!“

„Warte, Naruto!“, rief Kiba, machte aber keine Anstalten, ihn aufzuhalten, sondern lief einfach mit.

„Wir sollten hier bleiben!“, rief Ino ihnen nach. „Hier sind wir sicher.“

„Nein. Lass sie“, sagte Shikamaru tonlos.

„Shikamaru!“

„Es tut doch hier sowieso jeder, was er will“, murmelte er mutlos.

„Jetzt reiß dich doch endlich mal zusammen!“ Ino drehte sich um und stapfte den beiden hinterher.

„Sicher sind wir hier übrigens auch nicht!“, murmelte Temari, ehe auch sie aus der Lounge lief. Shikamaru registrierte all das wie durch Watte.

„Tja“, meinte Deidara gedehnt und blickte Sasori an. „Sollen wir hier warten oder ihnen nachlaufen?“

„Laufen wir ihnen nach. Wir waren lang genug hier drin, und ich hasse es, nur rumzusitzen und zu warten.“

So fand sich Shikamaru allein in der Lounge wieder – allein mit der Leiche seines besten Freundes. Mit einer Mischung aus Seufzer und Schluchzer sank er so tief in seinen Sessel, dass er mit dem Rücken auf der Sitzfläche lag, und presste die Fäuste gegen die Augen. Es war alles umsonst. Was er auch tat, seine Freunde starben wie die Fliegen, und es würde ihn nicht mal überraschen, wenn Shino nun das Zeitliche gesegnet hatte. Was war es gewesen, das sie so verflucht hatte? Dieses seltsame Amulett, das Tenten gefunden hatte? Es hatte sicher etwas damit zu tun, und es war ein unheimliches Ding gewesen …

Ohne es zu wollen, ertappte er sich dabei, über das Amulett nachzudenken, über die anschließenden Ereignisse … und dann wieder über die Morde. Er konnte der grauenhaften Wirklichkeit einfach nicht entkommen. Schließlich stemmte er sich wankend in die Höhe und folgte seinen Freunden. Wenn sein Gehirn krampfhaft nach etwas zum Denken suchte, dann sollte es wenigstens etwas Nützliches tun.

 

„Welch kurze, nichtsdestotrotz blutige Nacht! Das Dorf erwacht wieder und beweint nun zwei neue Opfer!“

 
 

- Der Hintere Bezirk, fünfter Tag -

 
 

(7:05 Uhr)

Außer dem einen Schuss drang von nirgendwo ein Geräusch an ihre Ohren. Als wäre der Knall nur Einbildung gewesen – oder eine Botschaft aus einer anderen Welt, wie eine abstruse Art Schrei, den der blutdürstende Jashin ausgestoßen hatte …

Die einzelnen Stockwerke lagen völlig ruhig da, nirgendwo regte sich etwas. Kein Mörder, der auf der Flucht war. Kein Opfer, das sich gerade noch retten konnte. Es musste nun nach sieben Uhr morgens sein. Durch die Fenster sickerte graues Dämmerlicht und kündigte den Beginn eines trostlosen Herbsttages an. Waren sie tatsächlich schon so lange hier … oder war das Hotel ein Ort, an dem die Zeit einfach anders verging? Ein Ort, wo die üblichen Maßstäbe von Raum und Zeit nicht galten, eine Welt, die von etwas Finsterem, Bösartigem verschlungen worden war, genau wie sie selbst, ohne dass sie es bemerkt hatten …?

Hinata war es, die sich erinnerte, dass Shino den letzten Tatort hatte aufsuchen wollen. Im entsprechenden Flur im fünften Stock lag immer noch Asumas Leiche, wie ein Mahnmal – oder ein Versprechen oder eine Einladung an alle Lebenden. Die Tür zu dem Zimmer, in dem Temari geschlafen hatte, war immer noch mit der Kette versperrt, aber die zum Nebenzimmer stand sogar sperrangelweit offen. Naruto glaubte sich zu erinnern, dass sie sie geschlossen hatten … Aber worauf konnte er sich schon noch verlassen? Er wusste ja nicht einmal mehr, was Sasuke vor wenigen Stunden mit ihm gesprochen hatte.

„Wartet mal“, flüsterte Ino. „Was, wenn sich der Mörder dort drin versteckt? Er hat schließlich eine Waffe.“

„Dann soll er ruhig schießen, bis er keine Kugeln mehr hat“, knurrte Naruto. „Wir sind zu fünft, wir können ihn sicher überwältigen! Selbst wenn er mich erschießt, ich will den Kerl endlich in die Finger kriegen!“

Das nächste Auffällige war eine weitere Tür: die zum Badezimmer gleich neben dem Eingang. Auch sie stand offen. Naruto ahnte schon, was sie finden würden. Dennoch leuchtete er forsch in den Raum mit den kalten Fliesen.

Der Anblick war nichts Neues. Nur ein Zimmer weiter war Nejis Blut ebenfalls durch die Fugen der Fliesen gelaufen. Hier allerdings hatte sich das Blut zweier Opfer vermischt.

 

„Diesmal sind Shino und Tayuya gestorben.“

 

Shino lag seitlich auf dem Boden, halb auf seinem Smartphone, das sich ausgeschaltet hatte. Seine Jacke war nass vor Blut und klebte ihm unförmig am Leib. In seinem Bauch klaffte eine hässliche Wunde, aber er schien nicht daran gestorben zu sein. Etliche Schnittwunden hatten seine Jacke und Hose zerfetzt, und sein rechtes Hosenbein war ebenfalls rot verfärbt und triefend nass. Aus einem Schnitt im Oberschenkel quoll immer noch langsam Blut.

„Diese … diese Schlampe hat seine Schlagader erwischt“, murmelte Temari.

Tayuya lag Shino direkt gegenüber, ein blutiges Schnappmesser unweit von ihr. Naruto brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass das Rote rings um ihren Rücken nicht nur ihr Haar war. In ihrer Brust, ganz in der Nähe des Herzens, glotzte ein Loch.

„Vielleicht lebt er noch“, sagte Kiba plötzlich und fühlte Shinos Puls. „Helft mir, ihn wiederzubeleben, schnell!“

„Was hat das für einen Sinn?“, fragte Temari leise. „Selbst wenn er noch lebt, verbluten wird er so oder so.“

Kiba funkelte sie an. „Du hilfst mir jetzt gefälligst!“

Plötzlich zuckte Naruto zusammen. „Aber wenn Tayuya ihn … mit dem Messer … wer hat dann geschossen?“ Er fuhr herum zu den anderen, die zu streiten begonnen hatten. Sie hatten alle keine geladene Schusswaffe mehr gehabt. „Seid still, sofort“, zischte er, und sie verstummten. „Hier muss irgendwo noch jemand sein!“

 

„Es war ein nettes Spiel, nicht wahr, Tayuya? Tut mir leid, dass du ausscheiden musstest. Dafür können die anderen nun sicher sein, dass du weder Wolf noch Vampir warst.“ Sphinx grinste schief und wandte sich an Shino. „Shino, mein Lieber. Du hast tapfer gekämpft. Deine Freunde freuen sich sicher schon darauf zu hören, dass auch du weder Wolf noch Vampir warst.“

 

„Naruto“, hauchte Hinata plötzlich. Sie deutete auf etwas, das unter Shino sichtbar geworden war, als Kiba ihn auf den Rücken gedreht hatte. „Ist das nicht … Kakashis …“

Auch Kiba stutzte auf einmal, während er verzweifelt versuchte, Shino aus seinem nassen Overall zu bekommen, um mit den Wiederbelebungsmaßnahmen zu beginnen. Verdutzt tastete er über Shinos Brust. „Aber … was …“

 

Sphinx Grinsen wurde diabolisch. „Und ich würde mich auch freuen, wenn ich ihnen genau das sagen könnte. Aber ich muss schließlich bei der Wahrheit bleiben. Shino war ein Werwolf. Viel Spaß damit.“

Shino seufzte in seine Kapuze, während die meisten seiner Mitspieler erstarrten.

Ausrottung


 

~ 28 ~
 

(7:15 Uhr)

Was … bedeutet das?“, fragte Kiba verdattert.

„Dass sich hier doch niemand mehr versteckt“, sagte eine Stimme aus dem Zimmer.

„Shikamaru!“, rief Naruto.

Er betrat das Bad mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. Offenbar hatte er sich von seiner Apathie erholt. „Kiba, zeig her, was du da hast.“

Der Angesprochene öffnete Shinos Jacke und zog zwei Geräte aus den eingenähten Innentaschen. Schon zuvor, als der Stoff nass vom Blut gewesen war, hatte die Jacke ziemlich ungestalt gewirkt; normalerweise pluderte sie so sehr, dass nicht auffiel, wenn etwas darunter versteckt war.

„Das ist Asumas Handy!“, rief Ino und riss Kiba den kleineren der Gegenstände aus der Hand. „Wie kommt das hier her?“

„Da will jemand Shino was anhängen“, murmelte Naruto und hob mit spitzen Fingern die schwarze Pistole in die Höhe, auf der er gelegen war. „Das ist die von Kakashi, oder? Die müsste eigentlich im Besitz des Unbekannten sein, der Asuma umgebracht hat.“

Shikamaru ließ sie sich reichen und prüfte das Magazin. Es waren noch drei Patronen geladen. „Nein“, sagte er und betrachtete das zweite, klobige Plastikding, das Kiba aus Shinos Jacke gezogen hatte. „Ich bin eher gewillt zu glauben, dass es gar keinen Unbekannten hier gibt. Nur uns.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, fünfte Nacht -

 
 

(6:55 Uhr)

Jiroubou und Tayuya hatten sich ein sicheres Versteck im siebten Stock gesucht. Alles war still hier … Es war kaum vorstellbar, dass in diesem Hotel schon so viele Morde geschehen waren. Auf der Straße verhieß es nichts Gutes, wenn es irgendwo ruhig war. In den stillen Schatten einer Gasse konnte immer jemand lauern, vor allem im Hinteren Bezirk. Deswegen machte sich Tayuya auch auf, ohne Lampe und mit ihrem Messer bewaffnet, die Umgebung abzusuchen. Immerhin hatten sich die anderen aufgeteilt, um diesen Privatdetektiv zu suchen – sicherlich streunten sie noch irgendwo in den Gängen herum, unter ihnen diese Wolves. Und festzustellen, wo sie waren und wohin sie nicht mehr gehen würden, war sicher keine schlechte Idee.

Sie fand die Leiche des Detektivs im fünften Stock. Also hatten sie ihn auch schon erwischt. Auf leisen Sohlen schlich Tayuya näher und beugte sich über ihn. Er lag auf dem Flur; woran er gestorben war, konnte sie nicht erkennen. Mittlerweile begann es zu dämmern, aber das schwache graue Licht drang nur durch die Fenster am Ende des Ganges, und selbst als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie nicht mehr als Schemen.

Dafür sah sie den Lichterschein umso deutlicher, der vom anderen Ende des Flurs heranwackelte. Sofort huschte sie in das nächste Zimmer; der Teppich schluckte die Geräusche ihrer Schritte. Durch den Türspalt lugte sie hinaus und hielt den Atem an. Das leuchtende Smartphone hielt direkt vor der Tür. Vorsichtig wich sie zurück. Das Badezimmer lag zu ihrer Linken … sie streckte die Hand nach der Tür aus …

Da wurde die Tür zum Zimmer aufgerissen, ausgerechnet diese Tür, obwohl sie sich sicher war, kein verräterisches Geräusch gemacht zu haben. Geblendet hob sie die Hand vor die Augen und blinzelte, um dennoch die Gestalt erkennen zu können. Instinktiv riss sie die Badezimmertür auf, schlüpfte in den gefliesten Raum und wollte die Tür zuwerfen und absperren, doch ein Schuh schob sich in den Spalt, und als der andere damit beschäftigt war, die Tür wieder aufzumachen, erkannte sie ihn.

„Shino“, murmelte sie. „Du bist das.“ Sie ließ die Tür los, es hatte ohnehin keinen Zweck. Dafür hob sie ihr Messer gut sichtbar vor die Brust.

„Tayuya. Ich dachte, ich hätte den Unbekannten gefunden.“

Hätte er sie nicht längst erkennen sollen, gebadet in den Lichtschein der Taschenlampenapp? Irgendetwas war hier faul. „Hör mal“, sagte sie angriffslustig, „du hast rausgefunden, dass Kidoumaru und Kimimaro ein doppeltes Spiel mit uns gespielt haben. Das war nicht übel. Aber ich hab’s aufgegeben, irgendeinem von euch vertrauen zu wollen!“

„Ich will dir etwas zeigen“, sagte er. „Warum? Weil du es dir dann anders überlegen wirst.“ Er griff in seine Manteltasche, doch noch bevor er die Bewegung zu Ende führen konnte, stürzte sie sich auf ihn. Das Messer blitzte auf, das Smartphone fiel zu Boden. Ihre Klinge bohrte sich durch den Stoff seiner Jacke und schabte an etwas Hartem vorbei. Shino stieß sie aus dem Weg, versuchte seine Hand freizubekommen, aber Tayuya warf sich herum und stieß erneut zu. Diesmal war es etwas Weiches, das sie traf.

Shino stieß ein Keuchen aus. Warmes Blut lief über Tayuyas Handgelenk, als sie grimmig den Messergriff fester packte und ihn herumdrehte. Diesmal ging er stöhnend in die Knie. Sie riss die Klinge aus seinem Bauch, stieß noch ein paarmal blindlings zu und deutete dann mit dem Messer auf ihn, schwer atmend. „Tja, Pech gehabt. Auf so einen blöden Trick würde niemand auf der Straße reinfallen, du Penner!“

„Du bist gut im Messerkampf“, brachte er schwer atmend heraus. Wäre er ein ganz normaler Anstandsbürger, würde er bereits in Schreikrämpfe ausbrechen und um Gnade flehen. Allein die Tatsache, dass er noch relativ nüchtern reden konnte, zeigte, wie abgebrüht er war. „Das lernt man wohl auch auf der Straße.“

„Allerdings.“

Shino stieß noch ein Keuchen aus und sackte zur Seite, genau auf sein Smartphone. Plötzlich sank völlige Dunkelheit auf sie herab – und dann fraß sich ein sengender Schmerz in Tayuyas Brust. Den Knall, der ihr schier das Trommelfell sprengte, hörte sie seltsamerweise erst später. Etwas Heißes kroch ihre Kehle hoch.

„Mit Schusswaffen scheint ihr trotz allem weniger am Hut zu haben“, stellte Shino irgendwo vor ihr fest. Das hatte er also unter der Jacke hervorgezogen, gleich nachdem er vorgegeben hatte, zu fallen …

Tayuyas Finger verloren zuerst ihre Kraft. Ihr Messer polterte auf den Fliesenboden. Dann gaben ihre Knie nach. Bevor ihre Sinne schwanden, stellte sie mit grimmiger Zufriedenheit fest, dass auch Shinos Stimme bei seinen letzten Worten schwächer geworden war.

 

„Wie? Was? Ich hab mich wohl verhört!“, platzte Kiba raus. „Sphinx, verarsch uns nicht!“

„Habe ich das jemals getan?“, fragte dieser lässig.

„Das kann doch nicht sein!“ Naruto starrte Shino an, als wäre eben sein Weltbild eingestürzt.

Shino schob sich seine Sonnenbrille zurecht. „Ich habe nicht gegen die Spielregeln verstoßen. Ich habe nur versucht zu gewinnen.“

„Das ist richtig, und ich bitte dich, von nun an zu schweigen“, sagte Sphinx. „Geister haben nicht das Recht, mit den Lebenden zu kommunizieren – außer einem, und der hat euch heute ein U hinterlassen.

„Jetzt warte doch mal!“, knurrte Naruto. „Das … das ist ja wohl … Wir haben darauf vertraut, dass Shino die Seherin ist!“

Shikamaru musste ihm recht geben. Dass Shino ein Werwolf gewesen sein sollte, warf alles durcheinander. Er tippte sich mit seinem Stift gegen die Stirn. Shino war ein Werwolf … Und er hatte eiskalt einen seiner Komplizen nach dem anderen ans Messer geliefert und sich somit selbst als Seherin etabliert. Für ihn war es einfach gewesen, immerhin wusste er, wer die andern Wölfe waren. Eine perfide Taktik, und sie waren ihm alle auf den Leim gegangen!

Oder doch nicht alle. Shikamaru begegnete Tayuyas selbstzufriedenem Grinsen. Es hatte schließlich Stimmen gegeben, die Shino dann doch misstraut hatten. Sie war eine davon gewesen. Tagsüber hatten sie ihm nichts tun können; selbst als es so weit gewesen war, hatte sich Lee für ihn geopfert. Die Werwölfe und Vampire konnten ihn auch nicht töten – Shikamaru war sich ziemlich sicher, dass der Priester ihm dauerhaften Schutz vor Angriffen gewährt hatte. Der Grund für diese Annahme war die Untätigkeit der Vampire in der dritten Nacht, nachdem sich die Spieler allgemein sicher gewesen waren, dass Shino die Seherin war. Sie hatten gewiss versucht, ihn zu töten, aber nichts war geschehen. Streng genommen konnten in dieser Nacht Vampire und Werwölfe auch dieselben Opfer gewählt haben, aber falls dem nicht so war … dann lag es am Priester und somit gab es kaum eine Möglichkeit, Shino nachts zu töten.

Eine Figur hätte es aber ohne Probleme gekonnt: die Hexe. Und die Hexe wusste außerdem, wer das Werwolfopfer in jeder Nacht war. Wenn nun die Hexe, bar eines Heiltranks, sich selbst als Opfer erkannte, war sie vielleicht auf einen Racheakt aus gewesen – und hatte denjenigen umgebracht, den sie verdächtigte und der andernfalls kaum sterben konnte. In dem Fall war Tayuya die Hexe gewesen.

Aber wer war dann die echte Seherin? Shikamaru überflog seine Notizen. Am ehesten kam noch Sasuke infrage – aber warum hatte er sich nicht schon längst zu erkennen gegeben? Oder war die Seherin bereits tot? Shikamaru hatte für alle ausgeschiedenen Spieler schon Vermutungen angestellt, welche Rolle sie gehabt hatten, und die passten eigentlich ziemlich schlüssig zusammen. Dass jetzt plötzlich auch noch die Seherin unter ihnen sein sollte, versetzte seinen Überlegungen einen harten Schlag.

„Was müssen wir sonst noch wissen?“, fragte Sasuke, der die Überraschung mit Fassung zu tragen schien.

Sphinx lehnte sich in seinem Drehsessel zurück. „Nicht viel … Niemand wurde verbannt. Das ist alles, was ich sonst noch zu sagen habe.“

„Langsam glaube ich, dass die alte Vettel auch schon nicht mehr lebt, hm“, meinte Deidara.

 
 

- Der Hintere Bezirk, fünfter Tag -

 
 

(7:15 Uhr)

„Wo sind eigentlich Deidara und Sasori?“, fragte Temari. „Sind die in der Lounge geblieben?“

Shikamaru schüttelte den Kopf, während er versuchte herauszufinden, was Kiba da noch bei Shinos Leiche gefunden hatte. „Sie sind vor mir gegangen – ich dachte eigentlich, sie wären auch hier.“ Er schaffte es, das Gehäuse zu öffnen. Darunter kamen Kabel und allerlei elektronischer Wirrwarr zum Vorschein.

„Ist das etwa …?“, murmelte Hinata, die ihn beobachtete.

Shikamaru fand einen kleinen Schieber auf der Außenseite, der auf On gestellt war. Was immer dieses Ding tat, es war eingeschaltet. Shikamaru schob ihn auf die andere Seite. „Hat jemand von euch noch ein funktionierendes Handy?“

Naruto zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen und fischte sein Smartphone heraus. Dann seufzte er. „Kein Akku mehr.“

„Warte.“ Kiba nahm seines zur Hand und runzelte die Stirn. „Ich hab wieder … Ich hab wieder ein Netz!“, rief er heiser aus. Hastig wählte er eine Nummer. Das Klingeln, das folgte, ließ eine wohlige Gänsehaut über Shikamarus Arme laufen. Hinata holte ihrerseits ihr Handy hervor, das Kiba angerufen hatte, und hob ab.

„Es funktioniert!“, schrie Kiba und vollführte einen Luftsprung. „Scheiße, es funktioniert wieder! Wir sind gerettet!“

„Schnell, ruf einen Krankenwagen!“, rief Naruto. „Und die Polizei! Und … was weiß ich, ruf irgendjemanden an!“

Mit zittrigen Fingern tippte Kiba die Notrufnummer. Shikamaru vergaß vor Anspannung zu atmen. Hatten sie es geschafft? Konnten sie endlich die Außenwelt kontaktieren?

„Ja? Hallo?“, sagte Kiba, als sich jemand meldete. Shikamarus Herz klopfte wie verrückt.

 

„Dann müssen wir wohl wieder jemanden lynchen“, stellte Ino fest. „Wer wird der neue Bürgermeister?“

„Ach ja, Tayuya ist ja tot …“, murmelte Naruto.

„Ich darf die Karte weitergeben, stimmt’s?“, fragte Tayuya und hielt die bemalte Bürgermeisterkarte in die Höhe. Sphinx nickte. „Schön … wen nehm ich? Ach, was weiß ich. Streitet euch drum.“ Sie warf die Karte in die Höhe. Aller Augen folgten ihr, als sie langsam zu Boden segelte, dann sahen alle auf Sasori, der ihrem Landeplatz am nächsten saß.

„Dann bin ich es wohl“, stellte er fest. „Wer soll nominiert werden?“

 

Totenstille herrschte, während Kiba mit der Polizei telefonierte. Er erzählte mit aufgeregter Stimme, wo sie waren, dass sie bedroht wurden, dass mehrere ihrer Freunde ermordet worden waren und dass sie hier festsaßen. Als er endlich auflegte, ging sein Atem unregelmäßig. „Sie schicken jemanden“, hauchte er. „Sie sind in ein paar Minuten da, haben sie gesagt.“

Kollektives Aufatmen. „Da war der Störsender also die ganze Zeit versteckt“, sagte Shikamaru und bedachte Shinos offene Jacke mit einem unbehaglichen Blick. „Kein Wunder, dass er so gut funktioniert hat. Wir hätten ihn nie gefunden.“

„Ich fass es nicht.“ Naruto sank auf die Klobrille. Niemandem schien es mittlerweile noch viel auszumachen, zwischen zwei Leichen zu sprechen. „Shino, ein Verräter? Das kann nicht sein. Er hat uns doch die ganze Zeit über geholfen!“

„Er hat uns ausgetrickst“, murmelte Shikamaru. „Er wusste, wo und wonach er suchen musste.“

„Du meinst …“, begann Kiba.

Er nickte. „Er hat seine eigenen Kameraden ausgeliefert. Einen nach dem anderen. So hat er sich unser Vertrauen als kluger Denker erschlichen und wir haben ihn immer ungestört gewähren lassen. Sie haben einen nach dem anderen von uns umgebracht; dann hat Shino die Tat einem seiner Kumpane zugeschanzt, und er war für den nächsten Mord aus dem Schneider. So in etwa muss es gewesen ein.“

Plötzlich stutzte er. Ihm war etwas eingefallen. Seine eigenen Kameraden … nach jedem Mord … Er hob den Kopf, hatte Angst vor dem, was er erblicken würde, wenn er in ihre Augen sah, doch sie waren ausdruckslos. „Ist es nicht so – Temari?“

 

„Wir haben hier noch jemanden, den Shino beschuldigt hat, hm“, sagte Deidara. „Er war sich da wohl auch ziemlich sicher. Aber wenn er nicht die Seherin ist …“

„… dann hat er natürlich gewusst, dass sie ein Werwolf ist“, ergänzte Sasori. „Und ich wette, sie hat in der letzten Runde kalte Füße bekommen, weil er nach und nach die anderen Werwölfe nominiert hat.“

„Verstehe. Und darum hat sie letztens auch dafür gestimmt, Shino zu töten“, murmelte Ino.

Temari hob abwehrend die Hände. „Jetzt interpretiert ihr zu viel in die Sache hinein. Ich hab ihm auch misstraut, darum wollte ich ihn lynchen. Und ich hatte ja wohl recht, oder? Und Shino hätte sicher irgendwann angefangen, gewöhnliche Dorfbewohner zu beschuldigen!“

„Das schon“, sagte Sasuke. „Aber noch nicht jetzt. Diese Nummer könnte er erst ganz am Ende abziehen. Wenn er einen gewöhnlichen Dorfbewohner lynchen lässt, zerschlägt das unser Vertrauen in ihn.“

 

„Erinnert ihr euch an den Mord an Neji?“, fragte Shikamaru düster. „Wir haben ihn noch nicht geklärt.“

„Das wird ja wohl die Polizei übernehmen“, sagte Temari und sah niemand anderen außer ihn an.

„Vielleicht. Und sie werden wohl zu demselben Schluss kommen wie wir. Oder sie machen auch den Fehler, zuallererst Naruto und Hinata zu beschuldigen. Also räumen wir das Missverständnis aus dem Weg.“

„Du warst doch gar nicht dabei!“, sagte Temari und verschränkte die Arme. „Willst du mir etwa in den Rücken fallen? Mir?“

„Ich verstehe keinen Spaß mehr in dieser Sache“, erklärte Shikamaru finster. „Shino war auch nicht dabei, und er war trotz allem ein heller Kopf. Er hat davon gesprochen, dass er ein Szenario erklären könnte, wie Temari Neji umgebracht haben könnte. Mir ist jetzt auch eines eingefallen.“ Er zog demonstrativ die Badezimmertür hinter sich zu, wobei er bewusst die Hand mit der Pistole in Szene setzte. Aller Lampen waren nun auf Temari gerichtet. „Keine Sorge. Ich werde nicht erlauben, dass noch irgendwer jemanden umbringt. Es reicht, wenn du unsere Fragen beantwortest. Wenn ich einen Fehler gemacht habe und du unschuldig bist, kannst du es immer noch vor der Polizei beweisen.“

„Da bin ich ja mal gespannt“, sagte Temari zähneknirschend. „Ich habe schon erzählt, wie es war. Ich habe Neji gebeten, mich rauszulassen und die Tür hinter mit zu verriegeln. Das hat er getan. Er ist erst danach gestorben. Naruto und Hinata waren die Einzigen, die ihn ermorden konnten. Ich bin, wie ihr euch erinnert, draußen in den Gängen zu euch gestoßen, bevor wir die beiden und Nejis Leiche gefunden haben. Wie soll das funktionieren? Hätte ich Neji ermordet, hätten die Türen nicht mit den Ketten versperrt gewesen sein können!“

Shikamaru nickte. „Ich hab es ja schon mal erwähnt, aber das, was du uns da beschreibst, ist ein klassischer Verschlossener Raum. So was gibt es mitunter in Detektivgeschichten. Ein unmöglicher Mord, den niemand begangen haben könnte.“

„Nicht niemand“, schnaubte sie gereizt. „Naruto und Hinata hätten es tun können!“

„Oder du wolltest, dass es so aussieht“, entgegnete Shikamaru. „Wenn niemand den Mord hätte begehen können, hättest du auch nichts davon gehabt. Anderen den Mord in die Schuhe zu schieben, würde dir mehr bringen. Naruto, Hinata.“ Er nickte ihnen zu und deutete auf den Raum hinter ihnen. „Ihr wart in diesem Zimmer, oder?“

„Wir haben auf dem Bett geschlafen“, sagte Naruto. „Wir haben’s schon mal gesagt, wir sind unschuldig! Beide!“

„Ihr habt den Durchgang zwischen den beiden Räumen benutzt, um in Temaris Zimmer zu kommen, richtig?“

„Ja.“

„Der Durchgang besteht aus zwei Türen“, fasste Shikamaru nochmal zusammen. „Jede kann man nur von innen, das heißt, vom jeweiligen angrenzenden Raum verschließen. Die erste von eurem Zimmer, die zweite von Temaris Zimmer aus. Sie haben beide Drehschlösser, also braucht man weder einen Schlüssel noch eine Schlüsselkarte. Nejis Leiche lag im Bad in Temaris Zimmer. Waren beide Türen verschlossen?“

Naruto legte die Stirn in Falten. „Ähm … keine Ahnung, ich weiß nicht mehr …“

Shikamaru seufzte. „Die offensichtliche Antwort wäre gewesen: Nein. Ihr hättet nicht in Temaris Zimmer gehen können, wenn die zweite Tür verschlossen gewesen wäre.“

„Jetzt, wo du es sagst“, murmelte Hinata, „ich glaube mich zu erinnern, dass wir unsere Tür erst aufschließen mussten.“

„Das dachte ich mir.“ Shikamaru nickte.

„Kommst du bald zur Sache?“, fragte Temari gereizt.

„Gleich. Etwas anderes noch: Was war es, das euch aufgeweckt hat?“

„Ah!“ Naruto machte ein Gesicht, als wäre auch er dahintergekommen. „Das war Asuma! Er hat gegen die Tür geklopft, glaube ich. Und gerufen? Etwas in der Art. Wir wurden jedenfalls wach, weil etwas auf dem Flur gelärmt hat. Wir sind zur Tür gegangen und haben dann Asuma auf dem Flur vorgefunden.“

„Und ich vermute, ihr wart erschrocken und habt seine Leiche genau untersucht. Ihr habt überprüft, ob er wirklich tot ist, und ihn abgeleuchtet.“

Naruto nickte. „Ich hab ihn noch beatmet. Dann ist Sasuke vorbeigekommen … und dann ist mein Handy ausgefallen. Dann war es dunkel, und wir sind zurück ins Zimmer gegangen.“

„Das schafft sogar noch mehr Möglichkeiten“, stellte Shikamaru fest. „Und dann seid ihr in Temaris Zimmer gegangen und habt es ohne Temari, aber mit Nejis Leiche vorgefunden?“ Wieder nickten die beiden. „Alles klar.“

Was ist klar?“, fragte Temari. „Du spannst mich hier ganz schön auf die Folter. Sag, was du zu sagen hast, damit ich mich dagegen verteidigen kann!“

„Von mir aus.“ Shikamaru fühlte sich scheußlich, Theorien aufzustellen, in denen gute Freunde von ihm die Bösen waren. Ob Shino wohl so kalt gewesen war, dass es ihm nichts ausgemacht hatte? Oder hatte er es sich einfach nicht anmerken lassen? Er wünschte sich plötzlich eine Zigarette her oder etwas anderes, mit dem er seine Nerven beruhigen konnte. „Diese beiden Hotelzimmer, die mit Ketten verschlossen waren … Sie wirken, wenn man annimmt, dass Naruto und Hinata unschuldig sind, auf den ersten Blick wie ein einziger, Verschlossener Raum, aber das täuscht. Folgende Theorie: Temari hat Neji tatsächlich zu sich gebeten. Sie hat vielleicht wirklich behauptet, dass sie hinaus gehen will, aber wahrscheinlicher ist, dass sie ihn und die Pistole bei sich haben wollte, weil sie angeblich etwas im Badezimmer gehört hat. Neji geht also in ihr Zimmer, und dort ins Bad. Er dreht ihr den Rücken zu, und Temari schneidet ihm die Kehle durch. Sie lässt ihn und die Pistole liegen, um keine Spuren zu hinterlassen, und schließt die Badezimmertür. Die Ketten sind immer noch in beiden Hotelzimmern vorgelegt.

Daraufhin geht Temari in Narutos und Hinatas Zimmer und sperrt dann deren Verbindungstür ab. Die Verbindungstür, die zu ihrem eigenen Zimmer gehört, kann sie natürlich nicht abschließen. Danach versteckt sich Temari in Narutos und Hinatas Zimmer – im Schrank zum Beispiel, hier im Bad oder unter dem Bett. Naruto und Hinata werden irgendwann von Asuma geweckt. Natürlich gehen sie als Erstes auf den Flur, um nachzusehen, was dort los ist. Hier entfernen sie erst die Kette vor ihrer Zimmertür. Und jetzt kommt’s: Asuma wurde von hinten niedergeschlagen, wie wir wissen, und liegt etwas von der Tür entfernt. Während die beiden die Leiche untersuchen, vielleicht auch erst, als sie buchstäblich im Dunkeln sitzen, schleicht sich Temari aus ihrem Versteck, geht durch die offene Tür und spaziert direkt hinter Naruto und Hinata davon – vielleicht in das Nachbarzimmer, das wir nie durchsucht haben. Naruto und Hinata gehen schließlich zurück in ihr Zimmer und legen die Kette wieder vor. Dann erst finden sie Nejis Leiche. Temari konnte indessen ohne Probleme zu uns stoßen, als wir Asuma gesucht hatten.“ Er atmete tief aus. „Wenn meine Theorie stimmt, müsste Temari ein Messer bei sich tragen – es sei denn, sie hat es zwischenzeitlich entsorgt.“

„In dem Fall hättest du aber keine Beweise“, sagte Temari und stemmte herausfordernd die Hände in die Hüften. „Pech, was? Oder nur ein unglücklicher Zufall?“

„Vielleicht ist es kein richtiger Beweis“, meinte er, „aber es ergibt absolut keinen Sinn, dass Naruto oder Hinata Neji umgebracht haben sollen. Denkt die ganze Sache mal andersrum durch: Angenommen, einer der beiden wäre der Mörder. Er tötet Neji in Temaris Zimmer, in dem sonst niemand mehr ist. Beide Türen haben innen eine Kette vorgelegt. Wenn man nicht auf Temaris Trick kommt, ist es nur natürlich, Hinata und Naruto zu verdächtigen – wäre es da nicht ziemlich dumm von ihnen? Wenn einer der beiden Neji ermordet hätte, hätte er die Ketten weggenommen, damit es so aussieht, als wäre Temari es gewesen. Ohne Kette hätte es sogar jeder X-beliebige tun können! Wenn sie Neji getötet und die Ketten so gelassen hätten, hätten sie den Verdacht nur auf sich gelenkt. Das Ganze macht erst Sinn, wenn jemand anders ihnen den Mord in die Schuhe schieben will. Und das kannst nur du sein, Temari. Tut mir leid.“

Stille folgte.

 
 

- Der Hintere Bezirk, vierte Nacht -

 
 

(5:45 Uhr)

Temari lag wach auf ihrem Bett in dem Hotelzimmer und grübelte. Viel war bereits geschehen. Die Fakten waren wie folgt: Erstens, weil sie Kidoumaru getötet hatten, mussten alle Beteiligten sterben. Für solch einen Fall hatte ihre Bruderschaft einen eisernen Schwur abgelegt. Wer sich an einem der ihren vergriff, wurde bestraft. Überhaupt waren Gaaras neue Freunde – die von Temari waren sie ja eigentlich nicht, aber dieser Naruto hatte irgendwie ihre ganze Familie mit in seine Clique gezogen – bestenfalls lästig. Sie hinderten sie an ihrem schmutzigen Handwerk, allein deswegen, weil sie sie kannten.

Und mittlerweile hatte sie noch ganz andere Gründe, sie zu töten. Kankurou und Gaara waren in diesem Hotel gestorben, und auch dahinter steckten zum einen Sasuke, zum anderen Ino. Wenn das hier vorbei war, durfte sie sich sicherlich mit Nachbeben wie Ermittlungen herumschlagen – aber wenn niemand außer ihrer Bruderschaft überlebte, konnten sie sicher eine Geschichte erfinden, und die Leichen würden hier lange Zeit nicht gefunden werden. Bis dahin wären sie über alle Berge. Zumindest war das bis vor kurzem noch der Plan gewesen. Jetzt waren, sie eingeschlossen, nur noch zwei von ihrer Bande übrig.

Was sie zu Zweitens führte. Shino. Ihm war nicht mehr zu trauen. Einen nach dem anderen von ihnen lieferte er ans Messer, und er tat es ganz unverhohlen und spielte sich dabei als großer Detektiv auf. Was war nur in ihn gefahren? Wollte er ihnen ihre Fehler vor Augen halten, weil er selbst so etwas ja makellos erledigen konnte? Oder waren sie für ihn auch nur lästige Zeugen? Sie musste ihn um die Ecke bringen, ehe er Temari seinerseits abservieren konnte. Sie hatte keinen einzigen Verbündeten mehr in diesen kalten, dunklen Mauern.

Drittens stand an, einen Mord zu planen. Die Gelegenheit bot sich geradezu an. Im Nebenraum waren drei ahnungslose Leute, und da sich offenbar irgendwo ein Unbekannter im Hotel versteckte, konnte sie ihm die Tat garantiert irgendwie in die Schuhe schieben. Nur durfte sie selbst keinen Verdacht auf sich lenken …

Als sie sich eine Strategie überlegt hatte, schwang sie sich aus dem Bett und schlich zu den Verbindungstüren. Hoffentlich schliefen die anderen wirklich, oder wenigstens einer von ihnen. Mit drei Gegnern würde sie ohne Waffe sicher nicht fertig.

Vorsichtig öffnete sie ihre Tür und klopfte gegen die zweite, erst leise, dann, abwartend, etwas lauter. Schließlich hörte sie eine Stimme. Nejis. „Ja?“

„Pst, ich bin’s. Schlafen die anderen?“

„Ja“, murmelte er zurück. „Was ist los?“

„Ich …“ Sie gab sich zögernd. „Komm zu mir herüber, bitte. Ich habe etwas Beunruhigendes bemerkt, aber ich will sie damit nicht belästigen. Sicher habe ich es mir nur eingebildet.“

Es klickte, als er die Tür aufschloss, dann öffnete sich die Tür. Sie konnte sehen, wie Nejis Silhouette vom Mondschein in seinem Rücken beleuchtet wurde. Sie winkte ihn näher und trat in ihr Zimmer zurück. „Hast du die Waffe dabei?“

„Was ist denn los?“, murmelte er.

Sie ging vor zur Badezimmertür. „Als ich … das Bad vorhin durchsucht habe, war es leer. Aber gerade eben habe ich Geräusche von da drin gehört.“

„Das kann nicht sein. War die Zimmertür abgeschlossen?“

„Ich hatte die ganze Zeit die Kette vor, wenn du das meinst. Weißt du, normalerweise gebe ich auf solche Geschichten nichts, aber schön langsam … glaube ich selbst, dass es hier spukt.“

„Hast du schon nachgesehen?“

„Nein … Ich wollte die Tür nicht unbewaffnet aufmachen, wenn du verstehst.“

Er nickte. „Gut. Dann gehen wir nachsehen.“ Zum Glück war er so pflichtbewusst. Temari sah die Pistole in seiner Hand aufblitzen. Seitlich stellten sie sich neben der Tür auf. Langsam drückte Temari die Schnalle hinunter und stieß dann mit einem Ruck die Tür auf.

Es war klar, dass der Bewaffnete von ihnen den ersten Schritt in den Raum tun musste. Das wurde ihm zum Verhängnis. Der gute Neji war ja so naiv. Glaubte doch tatsächlich, sie wäre eine harmlose, gebrochene Frau, die heute ihre Brüder verloren und von all der Bosheit hier einfach die Nase voll hatte … Als er  in das Badezimmer sprang und mit der Pistole im Licht von Temaris Smartphone alle Winkel sondierte, schnellte sie nach vorn, umklammerte ihn und schnitt ihm, ehe er einen Laut ausstoßen konnte, gekonnt die Kehle mit ihrem Butterfly auf.

Das war also geschafft. Sie war durch Nejis Körper geschützt, aber da das Blut sonst in alle Richtungen spritzte, brauchte sie gar nicht erst versuchen, den Todesort zu verschleiern. Sie wartete, bis sie ihn in die Blutpfütze sinken lassen konnte, die im bleichen Licht hellrot war. Dann schloss sie die Tür, ehe sie Fußabdrücke hinterlassen konnte.

Durch die Verbindungstür schlich sie in Hinatas und Narutos Zimmer, um zu sehen, ob sie immer noch schliefen. Zum Glück hatten sie nichts bemerkt; das junge Paar lag so aneinander gekuschelt, als könnte nichts auf der Welt sie trennen. Man konnte regelrecht neidisch auf sie werden … Bisher hatte Temari zwischen zwei Wegen geschwankt, wie sie den Mord jemand anderem in die Schuhe schieben konnte, aber nun war es ihr klar.

Wenn sie ihr Zimmer verließ, konnte sie die Kette nicht mehr vorlegen. Neji lag in ihrem Badezimmer, das allein machte sie verdächtig. Sie könnte auch durch Narutos und Hinatas Tür gehen, aber dann wäre immer noch der Verbindungsgang offen und es würde nicht wirklich einen Unterschied machen. Selbst wenn sie es irgendwie schaffen sollte, Hinata und Naruto im Schlaf zu ermorden, würde jeder sofort sie verdächtigen. Wenn sie nur einen der beiden angriff, würde der zweite unweigerlich aufwachen.

Aber wenn sie sich in dem Zimmer versteckte, konnte sie sich bei dem Toten sicher ein Alibi verschaffen. Sie würde einfach behaupten, mit Neji über einen kleinen Spaziergang gesprochen zu haben. Um sicherzugehen, dass bei ihrer Rückkehr niemand auf sie wartete, sollte er die Kette in ihrem Zimmer wieder vorlegen, sobald sie fort war. Dann konnte nur Hinata oder Naruto der Täter sein – und Temari freute sich jetzt schon darauf, das traute Glück durch den Hammer des Misstrauens zerbrechen zu sehen. Die Pistole würde sie Neji lassen; wenn Hinata und Naruto sich gegenseitig untersuchten und sie wäre verschwunden, würde Temaris Geschichte Risse bekommen.

So leise es ging presste sie sich gegen den Boden und robbte unters Bett der ahnungslos Schlafenden. Sie freute sich schon jetzt auf ihre Reaktion.

 

„Wer ist noch dafür, Temari zu lynchen?“, fragte Sasori.

Alle.

„Moment!“, sagte Sphinx. „Ich fürchte, einer von euch darf hierbei nicht mit abstimmen. Ich verkünde euch das heutige Opfer der Vampire!“

 
 

- Der Hintere Bezirk, fünfter Tag -

 
 

(7:25 Uhr)

„Hey, Leute! Seid ihr da drin?“, rief plötzlich jemand von draußen. Die Spannung platzte wie eine Seifenblase. Es war eindeutig Deidaras Stimme.

Shikamaru überlegte, ob er etwas sagen sollte – aber vielleicht war es gut, wenn Deidara die Situation erfuhr. Und zur Not hatte er auch noch drei Schüsse im Magazin – dachte er jetzt etwa wirklich daran, die Pistole abzufeuern? Energisch stieß er die Badezimmertür auf. „Hier“, sagte er.

„Dacht ich’s mir doch, hm. Wir wussten nicht, wo dieser … Ach du Scheiße!“, entfuhr es dem Blonden, als er die Szene im Badezimmer sah. „Hier also auch? Diesen Sakon hat’s auch erwischt!“

„Was?“, entfuhr es Kiba. Er sah verwirrt zu Temari. „Aber sie …“

Shikamaru wusste, was er dachte. Er hatte gehofft, mit Shinos Tod und Temaris Überführung wäre der Spuk vorbei. Aber es gab offensichtlich noch jemanden, der falsch spielte.

 

„Sakon, tut mir leid. Du bist auch tot. Er war weder Wolf noch Vampir. Jetzt dürft ihr abstimmen.“

Und ausnahmslos jeder stimmte für Temaris Hinrichtung. Die Werwölfe hatten wohl keine Freunde mehr unter den Überlebenden.

 

„Da ist deine Arbeit wohl noch nicht getan“, meinte Temari plötzlich hämisch. Als er sich zu ihr umdrehte, merkte Shikamaru voll Schrecken, dass sie den kurzen Moment der Ablenkung genutzt hatte. Plötzlich hielt sie ein kleines Messer in der Hand, das in Gangsterfilmen immer Butterfly genannt wurde.

„Ruhig Blut“, sagte Shikamaru und hob die Pistole. „Niemand muss mehr sterben. Wir übergeben dich der Polizei. Von mir aus … von mir aus reden wir die Sache auch schön, wenn du uns verrätst, was hier eigentlich gespielt wird!“ Dass das eine glatte Lüge war, wussten sie alle. Auch Temari.

„Teufel noch eins, was geht hier ab?“, fragte Deidara.

„Halt einfach mal den Mund, ja?“, murmelte Ino. „Es wird dir schon noch jemand erklären.“

Die Luft knisterte wieder vor Spannung, mehr noch als zuvor. Naruto und Kiba standen nicht weit von Temari entfernt, die Arme griff- und abwehrbereit erhoben. „Deine Hand zittert“, stellte Temari fest.

„Ich weiß, aber auf die Entfernung kann ich trotzdem kaum danebenschießen“, sagte Shikamaru mit zusammengebissenen Zähnen. „Und gegen uns sechs kommst du nicht an.“

„Wenn ich’s versuche, nimmst du mir dann die Drecksarbeit ab?“, seufzte Temari. „Damit habe ich nämlich noch keine Erfahrung.“

Es dauerte einen Moment, ehe er verstand, was sie meinte. „Nein“, keuchte er und ließ die Waffe sinken. „Warte!“

Die Hand, die er nach ihr ausstreckte, traf ein Blutstrahl, als sie das Messer seitlich an ihre Kehle setzte und sich die Schlagader aufschlitzte. Ein Tumult brach in dem kleinen Raum los. Shikamarus Gesicht und Brust wurden mit Blut vollgespritzt, als er zu ihr stürzte, aber seine Hand griff ins Leere. Ihr Körper war bereits schlaff zu Boden gefallen. Er stieß ein langgezogenes Heulen aus. „Temari! Verdammt!“ Seine Faust traf die Duschkabine und ließ die Plastikschiebetür scheppern.

Noch eine weniger. Und immer noch keine Antworten.

 

„Temari wird gelyncht – und auch sie war ein Werwolf. Sie scheinen dieses Mal nicht sehr viel Glück zu haben, was? Somit gibt es noch acht Überlebende.“

„Erfahren wir eigentlich, wenn alle Werwölfe oder alle Vampire tot sind?“, fragte Naruto.

Sphinx tat, als müsste er überlegen, obwohl er es sicher schon beschlossen hatte. „Ich denke, das verrate ich erst, wenn eine Fraktion gewonnen hat. So bleibt das Spiel spannend. Beginnen wir also mit der sechsten, blutgetränkten, dramatischen, hoffentlich wunderbar verzwickten, vertrackten Nacht!

Opfer und Opfer


 

~ 29 ~

 
 

- Der Hintere Bezirk, sechste Nacht -

 
 

(7:35 Uhr)

Wo habt ihr ihn denn gefunden?“, fragte Shikamaru. Er fühlte sich wieder müde und kraftlos, als wäre sein Energieschub nur für den Moment gewesen, in dem er Temari überführt hatte. Vielleicht hatte er den Energieschub nur gehabt, eben weil er jemanden der Wahrheit hatte ausliefern können. Er schämte sich fast für sich selbst. Shikamaru schmunzelte bitter. Welches Gefühl hatte er in dieser Nacht wohl noch nicht gefühlt? Er fragte sich, wann er sich plötzlich unsterblich verlieben würde.

Sie erklommen eben das Haupttreppenhaus. In Stichworten hatten sie dem verwirrten, aber nicht übermäßig schockierten Deidara erklärt, was in diesem Hotelzimmer alles passiert war – zu jeder Leiche, zu Neji, Lee, Shino, Tayuya und letztlich Temari hatten sie schließlich eine Erklärung. Wer Asuma getötet hatte, war auch relativ klar; immerhin hatten sie sich, als sie ihn gesucht hatten, teils mit Eisenstangen bewaffnet und bei Shinos Leiche hatten sie Asumas Handy gefunden. Wie genau die Sache abgelaufen war, verblieb zwar im Dunkeln, aber Naruto hatte düster gemeint, dass Sasuke wahrscheinlich die Wahrheit kenne.

„Das war so“, begann Deidara mit seiner eigenen Erzählung. „Wir wussten ja nicht, wo dieser Tatort ist, von dem ihr immer geredet habt. Sasori und ich waren schließlich die ganze Zeit in der Lounge.“

„Wo ihr Chouji vergiftet habt“, zischte Ino.

„Hörst du wohl endlich auf damit!“ Deidara blieb zornig stehen und sah auf sie herab; Ino stand eine Stufe unter ihm, doch sie ließ sich nicht einschüchtern. „Wir waren das nicht, hm!“

„Ach ja, und wer sonst?“, fragte sie. „Tayuya ist selbst ein Opfer von diesen Psychopathen geworden, und Sakon ist jetzt auch tot, hast du gesagt! Oder war es Jiroubou?“

„Was weiß ich! Wahrscheinlich! Keine Ahnung, wo der gerade steckt!“ Der Blonde fuchtelte wild mit den Armen.

„Diskutieren wir das später, ja?“, bat Shikamaru mit schleppender Stimme. Sie waren nur noch eine so kleine Gruppe … dabei hatten um Mitternacht vierundzwanzig Personen dieses Hotel lebenden Fußes betreten … Er würde es ja wohl schaffen, diesen traurigen Rest zu beschützen, bis die Polizei eintraf! Dass Kiba telefonieren konnte, hatten sie Deidara schon erzählt.

„Also, wir sind aufs Geratewohl losgegangen. Sasori hat dann gemeint, es würde ihm zu langsam gehen, wenn wir gemeinsam suchen, also haben wir uns getrennt.“

„Dass ihr Typen euch immer alle trennen müsst!“, stöhnte Shikamaru entnervt. „Wann kapiert ihr endlich, dass es allein gefährlich ist und ihr zusammenbleiben sollt?“

„Sag das Sasori. Was kann ich dafür, dass er so ungeduldig ist, hm“, murrte Deidara beleidigt.

„Jedenfalls haben wir im siebten Stock Licht gesehen, und Sasori meinte, er hätte über uns noch etwas gehört. Er hat gemeint, vielleicht wäre der Mörder auf der Flucht nach oben. Er wollte nachsehen, was das Licht zu bedeuten hat, und ich hab mich bereiterklärt, dem Täter zu folgen.“

„Ohne Waffe?“, fragte Ino zweifelnd.

„Ich wollte ja nur nachsehen, wer es ist und wo er sich versteckt“, erwiderte Deidara gereizt.

„Das war echt eine dumme Idee“, sagte Kiba.

„Es ist eine dumme Ausrede!“, giftete Ino.

„Verflucht nochmal, was hast du gegen mich, hm?“, brauste Deidara auf. „Was hab ich dir getan, dass du mich ständig anschwärzt?“

„Schon wieder vergessen?“, fragte sie schnippisch und betonte jedes Wort. „Du. Hast. Mir. Irgend. Ein. Komisches. Zeug. In. Den. Drink. Geschüttet. Erst baggerst du uns an, dann vergiftest du mich halb! Gib doch zu, dass du eine von uns mit allen Mitteln flachlegen wolltest! Ein Kerl wie du hat’s wohl auch nötig, was?“

„Jetzt halt aber mal die Luft an!“, schnappte Deidara. „Das stimmt doch alles gar nicht! Hätte ich gewusst, dass du so eine Kratzbürste bist, hätte ich nie …“ Er unterbrach sich.

„Aha? Wer sagt’s denn, wenn das mal kein Geständnis war!“

„Ruhe jetzt!“, sagte Shikamaru scharf. „Erzähl weiter!“

Sie waren in der siebten Etage stehen geblieben, wo Deidara und Sasori angeblich einen Lichtschein gesehen hatten. „Naja, ich bin also in den achten gegangen, hab aber niemanden gefunden. Dann bin ich wieder eins heruntergestiegen und dann hat Sasori mich bemerkt und nach mir gerufen.“ Er öffnete die Tür in den Flur. Aus einem der Hotelzimmer hier drang tatsächlich das Licht von Sasoris Taschenlampe, das merklich schwächer geworden war. „Und da hab ich ihn dann gesehen.“ Sie traten auf die Tür zu. Sasori stand wartend daneben und nickte ihnen mit seinem typischen, unbeteiligten Gesichtsausdruck zu.

Das Hotelzimmer sah genauso aus wie das, aus dem sie eben gekommen waren. Diesmal war der Schauplatz des Verbrechens nicht das Bad. Sakon lag auf dem Doppelbett und regte sich nicht. Er war die ganze Nacht über in keinem beneidenswerten Zustand gewesen und war auch kaum blasser, obwohl er nun tot war. Seine Kehle wirkte wie ein zweiter, roter Mund, und in seinem Bauch steckte etwas wie eine weiße Stange. Auf die Matratze waren mit Blut das Dreieck und der Kreis von Jashin geschmiert. Sakons Finger waren ebenfalls blutig und lagen halb auf einem Satz, der undeutlich in Rot auf die Matratze geschrieben war. Mein Blut für Jashin. Es sah fast so aus, als hätte Sakon mit seinen verschmierten Fingern eine Todesbotschaft hinterlassen.

„Das Ding ist übrigens ein Teil der Duschkabine“, sagte Deidara und deutete auf die Stange. „Kunststoff, wenig widerstandsfähig. Es steckt auch nur zwei Zentimeter tief und wackelt ziemlich – ich wollt’s rausziehen, aber Sasori hat gemeint, wir sollten’s lassen, hm.“

„Eindeutig diese Jashin-Sekte“, murmelte Shikamaru wenig überrascht. „Und somit eine andere Gruppierung als die von Temari. Vermute ich. Wo sind wir hier nur reingeraten?“ Er wandte sich an Sasori. „Du hast die Leiche also als Erstes entdeckt?“

Sasori schüttelte den Kopf. „Nein, das war Deidara.“

Shikamaru runzelte die Stirn. „Ich dachte …“

„Was redest du da?“, empörte sich Deidara. „Du hast die Leiche gefunden! Ich hab ein Stockwerk höher den Mörder gesucht!“

Sasori sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren – was sich darin äußerte, dass er kaum merklich die Augen verengte. „War dir der Anblick zu viel? Ich war es, der den Mörder oben gesucht hat, erinnerst du dich? Oder versuchst du mir hier was anzuhängen?“

„Das ist ja wohl die Höhe!“, stöhnte Deidara. „Du hast sie nicht mehr alle, hm.“

„Dasselbe könnte ich über dich sagen.“

„Moment.“ Shikamaru rieb sich die Schläfen. „Das ist zwar alles sehr aufschlussreich, aber was ist deine Version der Geschichte?“

Sasori erzählte genau das, was sie von Deidara auch schon gehört hatten – nur mit vertauschten Rollen. Ihm zufolge hatte Deidara ein Geräusch im achten Stock gehört und beschlossen, zuerst den Lichtschein im siebten unter die Lupe zu nehmen, und Sasori war nach oben gestiegen, hatte nichts gefunden, und war dann von Deidara gerufen worden, der die Leiche entdeckt hatte.

„Und Jiroubou?“, fragte Naruto.

„Den haben wir beide nicht gesehen“, meinte Sasori. Immerhin darin waren sie sich einig.

„Wahrscheinlich war er es“, murmelte Ino.

„Nein“, murmelte Shikamaru. „Diese ganze Verwechslungskomödie bedeutet, dass es entweder Deidara oder Sasori war.“ Langsam lief sein Gehirn wieder auf Hochtouren. „Einer von euch muss lügen. Und allein das beweist, dass er der Mörder ist – sonst hätte er keinen Grund, uns einen solchen Unfug aufzutischen. Er hat den jeweils anderen in den achten Stock geschickt und hier im siebten einstweilen Sakon umgebracht. Die Frage ist nur, wer ist der Lügner? Solange wir das nicht wissen, können wir euch beiden nicht trauen, tut mir leid.“

„Der Letzte, der so schlau war und hinter diese ganzen Sachen gekommen ist, war ein Verräter. Das beunruhigt mich gerade ein wenig“, meinte Kiba mit einem halben Lächeln.

Shikamaru seufzte schwer. „Ja, ich weiß. Und wenn das hier noch lange so weitergeht, werde ich mich bald selbst verdächtigen.“

„Dann ist die Sache ja klar“, sagte Deidara, als hätte er nur halb zugehört. „Sasori war es, hm.“

„Im Gegenteil“, erklärte dieser ruhig. „Ich weiß, dass ich es nicht war. Also kann nur Deidara der Mörder gewesen sein.“

„Denkt ihr … Jiroubou lebt noch?“, fragte Hinata.

„Sasuke ist momentan auch abgängig“, sagte Ino. „Und wo stecken wir Deidara und Sasori jetzt hin? Ihr könnt nicht von uns erwarten, dass wir euch jetzt noch frei rumlaufen lassen!“

„Wenn ich gewusst hätte, was für Lügen du denen da auftischst, hätte ich dich gar nicht losgeschickt, um sie zu holen“, sagte Sasori anklagend.

„Ich lüge nicht! Du bist der, der nicht ganz richtig ist, hm!“, erwiderte Deidara heftig.

„Genug davon“, bestimmte Shikamaru. „Ihr beide verhaltet euch ab jetzt ruhig. In Kürze wird die Polizei kommen, soll die doch herausfinden, wer von euch lügt.“ Er setzte wieder seine Pistole in Szene. „Fürs Erste sollten wir nach unten in die Lobby gehen. Sie werden wahrscheinlich eine der Türen aufbrechen, um uns rauszuholen. Kiba, hat dein Smartphone noch Akku?“

„Ähm …“ Kiba kontrollierte kurz das Display. „Ja.“

„Schone ihn zur Sicherheit. Wir anderen werden leuchten. Kommt.“ Shikamaru wollte schon vorausgehen, aber dann blieb er doch stehen und bedeutete den anderen, dass er mit der Waffe zuletzt gehen würde. Er streckte die Hand nach Sasoris Taschenlampe aus, die ihm dieser ohne zu widersprechen übergab.

„Was ist mit Sasuke?“, fragte Ino. „Er muss noch irgendwo hier im Hotel sein.“

„Jiroubous Aufenthaltsort ist auch noch unbekannt“, erinnerte Sasori.

Shikamaru seufzte tief. „Mir wäre es ehrlich gesagt lieber, wenn wir sie nicht mehr zu Gesicht bekommen, bis dieser Spuk ein Ende hat. Wenn sie nicht gefunden werden wollen, was immerhin eine Möglichkeit ist, finden wir sie auch nicht. Wir werden die Polizei das Gebäude durchkämmen lassen.“

„Aber vielleicht gehen sie einander an die Gurgel!“, sagte Naruto. „Wir müssen sie finden, ehe etwas geschieht!“

„Ich habe genug davon, alle möglichen schlechten Ausgänge abzusichern!“, rief Shikamaru und hörte dabei seine Stimme zittern. „Wir schaffen es nicht, sie zu finden, Punkt! Sasuke ist unberechenbar, und Jiroubou gehört zu dieser Straßenbande. Ich will keinen weiteren Mord in unseren Reihen riskieren, versteht ihr? Es ist schwierig genug, euch zusammenzuhalten!“

Sie waren in den Flur hinausgetreten, und Shikamaru setzte dazu an, noch etwas zu sagen, als Naruto plötzlich stehen blieb. „Da. Das war er“, sagte er mit trockener Stimme.

„Wer?“, fragte Kiba.

„Sasuke! Ich hab ihn gesehen! Sasuke!

Und schon stürmte er los, ungeachtet der Rufe der anderen und Shikamarus Stöhnen. „Was hab ich eben noch gesagt? Bleib hier! Naruto!“

Hinata machte einen zögerlichen Schritt, aber Kiba hielt sie zurück. „Lass ihn“, murmelte er. „Ich glaube, das müssen sie unter sich ausmachen. Sasuke hat Naruto schwer enttäuscht. Er wird ihn sicher nicht einfach so davonkommen lassen.“

„Warum bin ich mit solchen Freunden gestraft?“, rief Shikamaru aus und sank an der Wand zu Boden. Ihm war zum Heulen zumute. „Kann es noch lächerlicher werden? Versteht ihr alle gar nicht, was auf dem Spiel steht?“

„Ich glaube, Naruto versteht sehr wohl“, meinte Kiba ernst. „Und darum rennt er ihm nach. Weil es ihm wichtiger ist, auch Sasuke zu verstehen.“

Shikamaru biss die Zähne zusammen. Spielte es überhaupt noch eine Rolle, was geschah? Nein, so durfte er nicht denken!

„Shikamaru“, sagte Kiba leise, als Hinata versuchte, seine Hand abzustreifen.

Shikamarus nächste Worte waren ein Knurren. „Hinterher.“

 

„Das ging ja flugs. Der neue Tag bricht an. Die Nacht war wohl doch nicht so blutig, wie ich gehofft hatte. Niemand ist gestorben. Niemand wird verbannt. Der Geist hat ein V geschrieben.

 
 

- Der Hintere Bezirk, sechster Tag -

 
 

(7:45 Uhr)

Er musste mit ihm reden – er musste einfach! Was auch immer in Sasuke gefahren war, er würde es herausfinden! Er musste ihm helfen – sein Freund manövrierte sich selbst ins Unglück, und auch wenn er so zornig auf Sasuke war wie auf keinen anderen in seinem ganzen Leben, musste er ihn einholen und zur Rede stellen und herausfinden, was zum Teufel mit ihm los war.

Naruto hatte ein Poltern gehört und dann hatte sich die Doppelflügeltür, die ins Treppenhaus führte, bewegt. Für ihn war es klar, dass Sasuke dort sein musste – es gab fast keine andere Möglichkeit! Als er die Tür erreichte und den Flügel aufriss, dachte er erst, er hätte sich doch geirrt – halb an die Tür gelehnt lag nämlich Jiroubous massiger Körper, als wäre er dagegengeprallt. Naruto hielt sich jedoch nicht damit auf zu untersuchen, ob er noch lebte, denn über sich hörte er Schritte auf der Treppe. Jemand floh – und das konnte diesmal wirklich nur Sasuke sein.

„Sasuke!“, schrie er aus voller Kehle und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Durch das Morgenlicht, das durch die Fenster in jeder Etage fiel, konnte er gut die schattenhafte Gestalt ausmachen, die ihm entkommen wollte. „Sasuke, bleib stehen! Du kannst nirgendwohin laufen!“ Es war jetzt zu hell, um sich weiter in den Schatten zu verstecken, wie es die Unbekannten in diesem Hotel bis jetzt getan hatten. Es war endlich Morgen, die Horror-Nacht war zu Ende gegangen, und nun war die lichte Seite wieder auf dem Vormarsch! Sie würden heil aus dem Hotel kommen; wer auch immer versucht hatte sie alle umzubringen, war gescheitert, und Naruto würde verdammt nochmal Sasuke mitnehmen, damit er sich dem stellen konnte, was ihn erwartete!

Er hätte nie gedacht, eine solche Ausdauer zu besitzen, selbst wenn es um seinen besten Freund ging. Vielleicht lag es auch daran, dass selbst dem durchtrainierten Sasuke irgendwann die Puste ausging, nach dieser ewig langen Nacht und den zig Stockwerken. Hinter sich hörte Naruto die anderen rufen, doch sein Augenmerk galt nur dem jungen Mann, der vor ihm floh, rauf und rauf, im Kreis und im Kreis, in einer Spirale nach oben.

Irgendwann hörte er ein lautes Krachen, als eine Tür ins Schloss flog, die keine Flügeltür mehr war. Er erreichte den nächsten Treppenabsatz und erkannte, dass er im obersten Stockwerk angekommen war. Eine Tür führte zu einem rohen, quadratischen Raum mit einer Stahltreppe, wo es noch ein paar Stufen aufwärts ging. Der Raum war leer, aber die Tür am oberen Ende stand wiederum offen. Naruto stürzte durch sie hindurch und hechtete ins Freie.

Kalte Luft umgab ihn, brannte in seiner Lunge und ließ Atemwolken vor seinen Lippen tanzen. Es hatte geregnet; der Morgen war frisch. Rasch sah er sich um. Über ihm erstreckte sich der wolkenbedeckte Himmel wie grauer Brei. Er war auf dem Dach des Hotels angekommen. Die schmutzigen, halb verwitterten Bodenplatten unter seinen Füßen waren glitschig. Außer einem viereckigen Kasten, der wohl den Aufzugsschacht beinhaltete, dem Belüftungssystem und noch zwei nicht zu identifizierenden Dingern, die auf dem Dach prangten, war um Naruto herum nichts als gähnende Leere, die ein trügerisches Gefühl der Freiheit erzeugte.

Der Rand der Dachplattform war von einer wackligen Konstruktion aus Maschendraht und Metall umgeben – allerdings schien der Zaun nicht fertig gebaut worden zu sein. An einer Seite standen nur einige Streben, wie leere Türrahmen ins Nichts.

„Sasuke!“

Sein Freund stand genau dort und sah nicht in seine Richtung, sondern zum Horizont. Von hier aus konnte man den Stadtrand und die Felder dahinter erkennen. Wenn man sich Mühe gab, konnte man hier sicher vergessen, dass man sich im verrotteten Hinteren Bezirk der Stadt befand.

„Sasuke, nicht!“, rief Naruto und lief auf ihn zu. „Lass uns reden!“

Sasuke drehte sich zu ihm um – und Naruto erstarrte, als er seinen Gesichtsausdruck sah. So … mitleidig, zufrieden, und mehr als alles andere überheblich. „Wer sagt, dass ich springen will?“, fragte er ruhig. Seine Hand schwenkte in die Waagrechte. Naruto schluckte, als er die kleine Pistole sah, die er darin hielt. „Du wirst springen, Naruto.“

„Sasuke“, keuchte er. „Hör auf … was immer du vorhast, lass es sein!“

„Dafür ist es zu spät“, sagte Sasuke. „Entweder du verschwindest, oder du springst. Ich habe keinen Streit mit dir, aber komm mir nicht in die Quere!“

„Verdammt, was ist los mit dir?“, stieß Naruto hervor. „Warum tust du das? Warum mussten Gaara und Lee sterben?“

„Ich erwarte nicht, dass du mich verstehst. Also erwarte du keine Antwort.“ Sasukes Stimme war wie tröpfelndes Öl, schmierig, dunkel und leicht entflammbar. „Hau endlich ab. Nimm deine Freunde und lass mich in Ruhe. Ich finde meinen eigenen Weg hier raus.“

„Das sind auch deine Freunde!“, platzte Naruto heraus.

Sasuke lachte höhnisch und falsch. Er spannte den Pistolenhahn. „Der Hintere Bezirk macht Freunde zu Feinden, Naruto. Nein – das hier hat schon begonnen, noch ehe wir hergekommen sind. Ich habe, was ich wollte. Jetzt will ich nur mehr eins: keinen von euch je wiedersehen!“

„Verdammt nochmal!“, schrie Naruto, diesmal zornig. „Ich wusste, dass du wahnsinnig bist! Aber ich weiß auch, dass wir das wieder in Ordnung bringen können!“

„Kannst du mir Itachi zurückbringen?“, fragte Sasuke unvermittelt.

„Ich …“ Naruto stutzte. „Nein … Aber es ist nicht nur Itachi gestorben! Sakura ist auch tot! Und Neji und … Tenten und …“ Seine Augen drückten die Tränen wie von selbst heraus. Unglücklich und mit erstickter Stimme hielt er ihm die Hand hin. „Komm. Wir müssen zusammenhalten … Wir werden gemeinsam drüber hinwegkommen, ja? Wir sind eine zerbrochene, kaputte Clique, und es kann nie wieder so sein, wie es war, aber wir können uns gegenseitig unterstützen!“

„Naruto! Sasuke!“ Die anderen hatten das Dach erreicht.

Sasukes Mund verzog sich abfällig. „Du mit deinem ewigen Freundschaftsgelaber. Vergiss es.“

 

„Ich bin für Naruto“, sagte Sasuke ruhig.

„Ich bin für Sasuke“, sagte Kiba. „Er spielt ja offensichtlich falsch.“

„Dann bin ich auch für Naruto“, sagte Sasori. „Stimmen wir ab.“

Naruto sah sich hektisch in der Runde um. Nun wurde also für sein Leben oder Sterben abgestimmt?

 

„Sasuke, sei vernünftig!“, rief Shikamaru.

„Die Polizei findet es sowieso raus!“, fügte Kiba hinzu. „Sie sind in null Komma nichts hier! Du kannst dich nicht verstecken, wir werden ihnen einfach sagen, dass du noch hier bist! Komm lieber gleich mit!“

„Ich verstehe. So ist das also.“ Sasukes Nasenflügel bebten kurz. Sein harter, dunkler Blick traf Naruto. „Ich bin sicher, in dieser kleinen Knarre sind genügend Kugeln für euch alle. Ich gehe nicht ins Gefängnis.“

Naruto schnappte nach Luft, als er sah, wie sich Sasukes Finger um den Abzug krümmte.

 

„Dann verkünde ich euch mal das Opfer der Vampire.“

 

Ein Knall, eine Stichflamme, ein Schrei.

Sasuke taumelte, das Gesicht schmerzverzerrt. Die Pistole war ihm regelrecht in der Hand explodiert. Blutspritzer und winzige Metallteile flogen in jede Richtung davon. Sasuke versuchte den Halt wiederzufinden, machte einen unbeholfenen Schritt und glitt auf dem rutschigen Boden aus.

 

Sasuke! Obwohl du fleißig mitnominiert hast, darfst du nicht über Narutos Tod abstimmen. Du bist kein Werwolf und kein Vampir.

 

Naruto stieß einen entsetzten Schrei aus, als er sah, wie sein Freund über die Kante des Hoteldachs sackte. Beherzt griff er zu, packte sein Handgelenk und versuchte ihn zurückzureißen … und verlor dabei ebenfalls den Halt.

 

Es machte keinen Unterschied. Naruto zählte die Stimmen. Er selbst, Hinata und Kiba stimmten für Leben. Jiroubou, Deidara und Sasori stimmten für seinen Tod, und Sasoris Bürgermeister-Stimme gab den Ausschlag.

Naruto wird also gelyncht. Zu schade, dass auch er weder Werwolf noch Vampir ist.

„Verdammt!“, fluchten Kiba und Deidara beinahe synchron.

 

Wie zwei Puppen, deren Schnüre man gekappt hatte, sah Shikamaru Naruto und Sasuke über die Dachkante stürzen. „Naruto!“ Er, Hinata und Kiba waren im Nu an der entsprechenden Stelle und wären selbst beinahe ausgeglitten. Shikamaru hielt sich an der Stahlstrebe fest und beugte sich vor. Der Bereich direkt vor dem Hotel lag noch so im Schatten, dass er nichts erkennen konnte, aber er war dankbar dafür. Diesen Sturz konnte niemand überleben.

Verdaaaammt!“ Kiba prügelte auf eine Strebe ein, bis seine Knöchel blutig waren. „Seid ihr nun zufrieden?“, schrie er in die Tiefe. „Habt ihr nun, was ihr wolltet, ihr gottverdammten, eigensinnigen Trottel?“

Hinata starrte nur mit leerem Blick, der sich langsam mit Tränen füllte, ins Nichts. „Naruto …“, hauchte sie.

Kiba löste sich schließlich von seinem provisorischen Boxsack, legte ihr den Arm um die Schulter und bugsierte sie mit sanfter Gewalt von der Kante weg. Dabei tropfte sein Blut auf ihre Jacke. Shikamaru presste sich den Unterarm auf die Augen und biss die Zähne zusammen. Es war wieder geschehen. Und er hatte es nicht verhindern können. Wieder waren zwei von ihnen gestorben … was für ein verrückter Fluch lag auf diesem Hotel?

Sein Blick streifte die zerfetzte Pistole, die ironischerweise auf dem Dach zum Liegen gekommen war. Gehörte sie Sasuke? Er hatte sicher nicht erwartet, dass sie so spektakulär zersprang. Shikamaru war sich auch ziemlich sicher, dass Sasuke unbewaffnet gewesen war –unter seinem engen Hemd hätte er nicht einmal diese kleine Waffe verbergen können, und auch seine Hosentaschen waren nicht ausgebeult gewesen, als sie sich getrennt hatten. Außerdem hätte er ihm sonst in jenem unseligen Moment kaum Totos Pistole entreißen müssen, um auf Shino zu schießen. Wo kam das Ding so plötzlich her? Was geschah hier in diesem Hotel überhaupt?

 

„Dann lassen wir es wohl wieder Nacht werden. Es gibt noch sechs überlebende Spieler. Wird sich das Spiel nun entscheiden? Wie immer rufe ich jeden Spieler auf, selbst wenn er schon tot sein oder seine Fähigkeit verbraucht haben sollte.

Der Kultführer erwacht. Er wählt ein neues Mitglied für seinen Kult. Du schläfst wieder ein.

Die Zaubermeisterin erwacht. Wähle einen Spieler, und ich sage dir, ob er die Seherin ist. Du schläfst wieder ein.

Die Seherin erwacht. Wähle einen Spieler, und ich sage dir, ob er Werwolf oder Vampir ist. Du schläfst wieder ein.

Der Paranormale Ermittler erwacht. Willst du deine einmalige Fähigkeit einsetzen und drei Personen durchleuchten? Ich sage dir dann, ob darunter ein Werwolf ist. Du schläfst wieder ein.

Der Leibwächter erwacht. Wen möchtest du in dieser Nacht vor den Wölfen beschützen? Du schläfst wieder ein.

Der Verfluchte erwacht. Sieh mich an; wenn ich nicke, heißt das, dass du von den Werwölfen gebissen wurdest und nun selbst zum Werwolf wirst. Du schläfst wieder ein.

Die Doppelgängerin erwacht. Du weißt, ob die Person, die du kopiert hast, gestorben ist. Die Karte, die ich dir in dem Fall zeige, ist deine neue Persönlichkeit. Du schläfst wieder ein.

Die Unruhestifterin erwacht. Möchtest du, falls du deine Fähigkeit noch nicht ausgespielt hast, dass morgen zweimal gelyncht wird, dann nicke. Du schläfst wieder ein.

Der Priester erwacht. Möchtest du, sofern noch ungebraucht, deine Fähigkeit einsetzen, um einen Mitspieler dauerhaft vor Wölfen und Vampiren zu beschützen? Du schläfst wieder ein.

Die Alte Vettel erwacht. Zeige mir, wer morgen aus dem Dorf verbannt werden soll. Du schläfst wieder ein.

Die Werwölfe erwachen und wählen das Opfer der heutigen Nacht. Ihr schlaft wieder ein.

Die Vampire erwachen und wählen das Opfer, das morgen nach der Nominierung sterben soll. Ihr schlaft wieder ein.

Die Hexe erwacht. Ich zeige dir das heutige Werwolfopfer. Möchtest du einen Heiltrank einsetzen, um es zu retten? Möchtest du einen Gifttrank einsetzen, um einen Mitspieler zu töten? Du schläfst wieder ein.

Zu guter Letzt: der Geist. Schreibe deine heutige Botschaft aus dem Jenseits. Vergiss nicht, dass Initialen verboten sind.

Gut, das wär’s mal wieder. Das Dorf erwacht, und der siebente Tag bricht an. Niemand ist gestorben. Niemand wurde aus dem Dorf verbannt. Der Geist hat ein R geschrieben.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, siebenter Tag -

 
 

(8:10 Uhr)

Seit zehn Minuten warteten die vier nun schon in der Lobby auf die Polizei. Schweigend, mit bleischweren Gliedern und noch schwereren Herzen waren sie vom Dachgeschoss bis ganz nach unten getrottet, wo der Albtraum seinen Anfang genommen hatte. Sie waren in diesem irrwitzigen Versteckspiel fast das ganze Hotel abgekommen. Shikamaru war einfach nur zum Heulen zumute, aber nicht einmal Tränen kamen noch. Leider. Nur mehr Apathie.

Selbst als Kiba festgestellt hatte, dass Deidara und Sasori mal wieder verschwunden waren, war er nicht überrascht gewesen. Die beiden hatten offensichtlich Dreck am Stecken, zumindest einer war hochverdächtig, Sakon umgebracht zu haben. Der andere war sicher auch kein Unschuldsengel, wenn er im Hinteren Bezirk verkehrte. Sicher wollten beide es vermeiden, der Polizei in die Hände zu fallen. Sollten sie. Offenbar waren drei Leute das Äußerste, das Shikamaru zusammenhalten konnte.

Sie saßen in den Sesseln an der Hotelbar, wo sie auch nach Tentens und Kankurous Tod über dessen Umstände gerätselt hatten. Abermals versetzte es Shikamaru einen Stich, als er sich erinnerte, wie viele sie damals gewesen waren. Es hatte gar nicht jeder einen Sitzplatz auf den weichen, dunklen Lederstühlen ergattern können. Und jetzt …

Hinata weinte vor sich hin, presste seit geschlagenen zehn Minuten die Hand vor den Mund und schluchzte immer wieder krampfhaft. Kiba hatte sie am Anfang noch zu trösten versucht, aber irgendwann war er selbst in trübe Gedanken versunken und hatte seitdem kein Wort mehr gesagt. Nichts konnte einen von ihnen noch aufbauen. Nichts und niemand.

„Ich glaube, ich weiß, warum diese Leute wussten, wo wir waren“, sagte Ino irgendwann. „Die Sakura entführt haben, meine ich. Wir haben es Temari gesagt. Dass wir shoppen gehen wollen. Und an dem Tag war Lange Einkaufsnacht in diesem Shopping-Center, also war es ziemlich klar, wohin wir wollten. Nicht, dass es noch irgendeine Bedeutung hat.“ Ihre Stimme war immer leiser geworden. Shikamaru sagte auch nichts dazu außer ein seichtes: „Mhm.“

Die Polizei kam nicht. Es war schon nach acht Uhr, und immer noch kein Anzeichen eines Folgetonhorns oder eines Blaulichtsignals. Arbeiteten die Gesetzeshüter im Hinteren Bezirk tatsächlich so träge? Hatte man Kiba nicht ernstgenommen? Oder – Shikamaru kam ein so schrecklicher Verdacht, dass er sich weigerte, genauer darüber nachzudenken. Hatte Kiba vielleicht nur so getan, als hätte er die Polizei alarmiert? Steckte er mit dem Feind unter einer Decke?

Selbst, wenn dem so war. Shikamaru war bereit, sich ebenfalls umbringen zu lassen. Der Schmerz, fast alle seine Freunde verloren zu haben, überwog das Risiko bei weitem. Lieber wollte er diejenigen verdächtigen, die momentan nicht in der Lobby waren. Sasori, Deidara, Jiroubu. Über Letzteren waren sie fast gestolpert, als sie Naruto verfolgt hatten, aber nachdem sie das Dach wieder verlassen hatten, hatten sie ihn nicht mehr im siebten Stock angetroffen. Er musste aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht und abgehauen sein.

Da Shikamaru nichts anderes tun konnte, beschloss er, über diese drei nachzugrübeln.

 

Shikamaru grübelte. Es hatte nun schon zweimal hintereinander keine Opfer in der Nacht gegeben. Das war ein zu großer Zufall bei einer so kleinen Menge an Spielern – mit Sicherheit gab es schon gar keine Werwölfe mehr. Dafür aber immer noch Vampire … Wer konnte einer davon sein?

Hinata? Unwahrscheinlich. Naruto und sie hatten immer zusammengehalten. Vielleicht waren sie das Liebespaar – nein, dann wäre Hinata bereits tot. Dann Freimaurer. Der Vorteil der Freimaurer war, dass sie im Gegensatz zu gewöhnlichen Dorfbewohnern wussten, wer die anderen Freimaurer waren, und damit, wer auf jeden Fall unschuldig war. Und Naruto war unschuldig gewesen, denn es gab dieses Mal keine Lykanthropin.

Kiba? Vielleicht.

Deidara, Jiroubou und Sasori? Sasori ließ bei seinen Abstimmungsergebnissen kein Muster erkennen. Shikamaru schien es, als wäre sein Daumen immer ganz willkürlich nach oben oder unten gewandert. Deidara und Jiroubou waren eher geneigt, andere zu lynchen, selbst ohne konkrete Hinweise. Was auch nicht unbedingt für ihre Unschuld sprach …

Die schiere Menge an Figuren machte die Sache fast unmöglich. Es war eine harte Nuss zu enthüllen, was im Schutz der Nacht alles geschah, wenn Sphinx so viele Spieler aufrief. Shikamarus Blick glitt auf Itachi. Seit Anbeginn dieses langen Spiels hatte er die Augen offenhalten und mit den Lebenden durch einfache Buchstaben kommunizieren dürfen. Itachi war kein Idiot. Er hatte sicher eine Menge wichtiger Hinweise geliefert, die Shikamaru nur zu entschlüsseln brauchte. Das V in der dritten Nacht zum Beispiel stand garantiert für Verrat. Da hatte Shino begonnen, sich als Seherin zu etablieren, und Itachi hatte gewusst, dass er immer mit den Werwölfen aufgewacht war.

Die anderen diskutierten noch. Shikamaru blätterte zu seinen früheren Aufzeichnungen zurück und besah sich die Geisternachrichten. Zweite Nacht – K. Vierte Nacht – M. Fünfte Nacht – U. Sechste Nacht – V. Siebente Nacht – R. Ergaben diese Buchstaben zusammen ein Wort oder eine Abkürzung? Es sah nicht danach aus, obwohl Shikamaru Itachi so etwas zutraute. Immerhin war es klar gewesen, dass das Spiel länger dauern würde, also könnte Itachi versuchen, einen längeren Begriff zu vermitteln … nur welchen?

Am markantesten war die Tatsache, dass er in der ersten Nacht gar keinen Buchstaben geschrieben hatte, obwohl er schon da viele wichtige Dinge wie die Identitäten der Vampire und Werwölfe herausgefunden hatte. Das sprach wiederum gegen seine vorherige Theorie – warum hatte Itachi diese Chance sausen lassen?

Es gab dazu nur eine Analogie, die ihm nutzen konnte.

Schweigen in der ersten Nacht, eine Nachricht erst später. Genauso funktionierte auch das Morden der Vampire. Itachi wollte ihm einen Hinweis zu den Vampiren geben, da war er sich sicher. K. Es gab einige Möglichkeiten, für welches Wort dieser Buchstabe stehen möchte. Itachi kannte Shikamaru und seine Freunde zu wenig, um mit seinen Botschaften Charakterzüge oder Hobbies oder etwas anderes Markantes zu beschreiben. Am naheliegendsten waren daher wahrscheinlich Spielcharaktere, und der einzige, der mit einem K begann, war der Kultführer. So weit hatten Shikamarus Gedanken ihn bereits geführt. Also hatte der Kultführer etwas mit den Vampiren zu tun?

Shikamarus Synapsen gruben tiefer in die Materie, schraubten sich um diese Theorie, um sie von allen Seiten zu beleuchten.

Der Kultführer und die Vampire. Streng genommen konnten sie nicht dieselbe Figur sein. Was hatten sie also miteinander zu tun? War das erste Opfer der Vampire vielleicht der Kultführer? Das wäre dann Hidan gewesen. War das schon die richtige Antwort? Die ganze Wahrheit hinter Itachis Spielzug? Warum hatte er das dann erst in der zweiten Nacht verkündet? Damit Shikamaru das Vampiropfer nicht mit dem der Werwölfe verwechselte? Oder steckte noch etwas dahinter?

Sphinx rief den Kultführer immer vor den Vampiren auf. Itachi schrieb die Botschaft immer, wenn die Nacht fast vorüber war. Er wusste somit mehr als alle anderen, wusste, wer das Opfer war – und auch, wen der Kultführer in jener Nacht in den Kult berufen hatte.

Und eines durfte er nicht vergessen: Ein Vampir konnte durchaus Kultführer werden. Wenn der Kultführer starb, wurde das älteste Mitglied des Kultes zum neuen Kultführer. Das konnte in der ersten Nacht geschehen, wenn die Werwölfe den alten Führer töteten – aber in der ersten Nacht war niemand gestorben. Die nächste Gelegenheit fand am Tag bei der Nominierung statt, wenn das Vampiropfer starb. Dann würde der neue Kultführer in der zweiten Nacht sein Amt antreten – in jener Nacht, in der Itachi mit seiner Botschaft auf den Kult aufmerksam gemacht hatte.

Shikamaru atmete tief durch und zwang sich, den Gedanken etwas distanzierter zu betrachten. War er auch nicht zu weit hergeholt? Vielleicht galt das K nur entweder dem Kult oder den Vampiren, nicht beiden gleichzeitig? Aber wäre die Nachricht es dann wert gewesen, gleich zwei Nächte dafür zu opfern? Itachi musste sicher gewesen sein, dass sein K Shikamaru einen großen Schritt weiterbringen würde …

Aber nur, weil der neue Kultführer ein Vampir war, wusste er immer noch nicht, wer es war – Halt.

Natürlich wusste er es. Oder eher, es ließ sich ganz einfach herausfinden, denn ein Kultführer, der gleichzeitig ein Vampir war, musste zwangsläufig ein ganz eigenes Spielverhalten an den Tag legen. Der Kultführer gewann, wenn alle überlebenden Spieler in seinem Kult waren. Die Vampire gewannen, sobald nur noch Vampire lebten. Ein Vampir-Kultführer gewann somit, wenn entweder nur noch Vampire oder Kultmitglieder lebten – daher war es in seinem Interesse, nur Nicht-Mitglieder zu töten. Vampire mussten tagsüber versuchen, Unschuldige zu lynchen, ohne sich selbst zu enttarnen. Eine gewisse vorsichtige Tendenz ließ sich da erkennen, wenn man genau hinschaute – zu vorsichtig, um es mit Sicherheit zu sagen, darum konnte Shikamaru nur spekulieren, wer die Vampire waren. Aber man konnte dennoch bei einigen Spielern erkennen, dass sie gewisse andere aus dem Weg haben wollten. Speziell Sasuke hatte etwas gegen Gaara und Shino gehabt, und Deidara, Jiroubou und Sasori hatten bei den letzten Abstimmungen oft für Tod gestimmt. Shikamaru blätterte erneut seine Aufzeichnungen durch, die eine beachtliche Länge erreicht hatten. Deidara und Sakons Bande, mit Ausnahme von Kimimaro vielleicht, waren immer schnell mit einem Todesurteil gewesen.

Sasori jedoch … sein Abstimmungsverhalten war wirklich komplett undurchschaubar. Er hatte für den Tod von Spielern gestimmt, die er am nächsten Tag leben lassen wollte. Es war fast so, als könnte er nicht verlieren. Als könnte er seine Feinde einfach in seinen Kult holen und somit zu Freunden machen, die ihm beim Gewinnen halfen.

Shikamaru begann zu schwitzen. War das die Antwort? Es wirkte auf ihn eher wie eine schwankende Hängebrücke zwischen Wahrheit und Irrtum. Er vergegenwärtigte sich, dass das Schicksal seiner Freunde von seiner Antwort abhing. Es war nur ein Faden, an den er sich klammerte, aber er würde auch nicht mehr viele Hinweise erhalten … am besten wartete er dennoch auf das Ende des Spiels und machte sich nur eine Notiz.

Um nichts zu verpassen, blickte er wieder in die Runde. Die anderen konferierten eifrig, wen sie dieses Mal lynchen sollten. Ino hatte eben Deidara vorgeschlagen, der sich darüber empörte und sie mit einem Fluch bedachte, woraufhin sie schnippisch ihren Zopf zurückwarf.

Zopf. Haar.

Shikamaru rieselte eine Gänsehaut über den Rücken. Richtig, Itachi kannte die Vorlieben und Eigenschaften seiner Freunde nicht. Darüber konnte er keine Hinweise schreiben. Was aber ihr Äußeres anging …

Die Veteranen unter den Spielern, also alle außer Sasori, trugen die fade Krankenhauskleidung. Sasori selbst war in einen bleichen Anzug gekleidet. Nichts Markantes. Augenfarben waren nicht auffällig genug. Die Haarfarben der Überlebenden waren jedoch etwas, das einem rasch ins Auge stach. Deidara und Ino waren beide strohblond, Hinatas langes Haar war schwarzblau, Jiroubous Haarbüschel hellorange, Kiba war braun-, Sasori rothaarig.

R. Die letzte Botschaft. Geschrieben zu einer Zeit, in der es wenig Vielfalt unter den Haarfarben der Überlebenden gab. Sasori war nun, nach Gaaras und Tayuyas Ausscheiden, der Einzige, der gemeint sein könnte. Und der Geist würde wohl eher auf die Bösen im Spiel hinweisen, diejenigen, die es zu lynchen gab – immerhin arbeitete er nicht nur mit Shikamaru, sondern auch mit den unschuldigen Dorfbewohnern zusammen.

Dann musste Sasori einer der Bösen sein. Werwölfe gab es keine mehr, also war er ein Vampir. Ein Vampir mit einem ungewöhnlichen Abstimm-Muster. Also der Kultführer, der auch gewinnen konnte, ohne das Dorf ausrotten zu müssen. Also das erste Mitglied, das von Hidan in der ersten Nacht in den Kult gewählt worden war. Das waren eine Menge Erklärungen – wenn Shikamarus Theorie stimmte. Aber das würde er bald sehen, denn soeben hatte Deidara Sasori fürs Lynchen nominiert.

 

„Ich weiß es“, murmelte Shikamaru gedämpft.

„Was weißt du?“, fragte Kiba.

„Wer von Sasori und Deidara uns belogen hat. Es war Sasori. Er muss Sakon umgebracht haben, als Deidara einen Stock höher war. Und Sakon war nicht sein einziges Opfer. Sasori hat auch versucht, Shino und Toto zu erschießen, er hat wiederholt die Nachrichten der Jashin-Sekte an uns geschrieben und Chouji getötet. Ich glaube, er ist der Anführer der Sekte, oder eben ein wichtiges Mitglied. Hidan muss er auch auf dem Gewissen haben. Es macht plötzlich alles Sinn.“

„Was redest du da überhaupt?“, fragte Kiba zutiefst verwirrt. „Wie kommst du plötzlich auf das alles? Klar, ich vertrau dem Kerl auch nicht, aber ihm das alles zuzumuten …“

„Ich habe mir auch schon meine Gedanken gemacht“, sagte Hinata. „Aber kann es nicht sein, dass Sakon von alleine gestorben ist? Er war ja in ziemlich schlechter Verfassung … könnte Sasori, wenn er schon ein Jashinist ist, nicht einfach die Stange … ich meine, er könnte es nur ausgenutzt haben, dass da eine Leiche war, versteht ihr?“

„Du bist viel zu gutmütig, Hinata“, sagte Kiba. „Würde es das denn besser machen? Außerdem war seine Kehle aufgeschnitten.“

„So … so genau hab ich nicht hingesehen“, gab sie kleinlaut zu.

„Hört mir zu“, sagte Shikamaru. „Es steckt noch viel mehr hinter dieser Sache. Sasori hat einen großen Teil von dem, was in diesem Hotel passiert ist, eigenhändig geplant. Es kann gar nicht anders sein. Er war es auch, der die Leiter entdeckt hat, über die Kakashi und Asuma geklettert waren, und er hat sie umgestoßen.“

„Ich frag dich nochmal, wie kommst du auf das alles?“, fragte Kiba. Ino sah ihn stirnrunzelnd an.

Shikamaru seufzte. Alles zu erklären würde eine Qual werden. Aber sie hatten das Recht, es zu erfahren, und er konnte damit Zeit totschlagen. „Also, hört zu. Das sind meine Schlussfolgerungen.“

Morgendämmerung


 

~ 30 ~

 
 

(8:30 Uhr)

Wir waren so damit beschäftigt, uns zu streiten und uns immer wieder zu trennen und neue Todesfälle zu provozieren, dass wir zwischendurch aufgehört haben zu denken“, begann Shikamaru. „Nur wenn uns etwas direkt spanisch vorgekommen ist, haben wir die Leute verdächtigt – zumindest ist es mir so ergangen.“ Er seufzte schwer. Wäre er ein wenig achtsamer, ein wenig ruhiger gewesen, wie viele Morde hätte er verhindern können?

„Sprich nicht in Rätseln, sag endlich, was Sache ist“, knurrte Kiba.

Mittlerweile war es in der Lobby so hell, dass sie sich alle auf eine Seite eines der Bartische gesetzt hatten, um nicht in die Richtung von Kimimaros Leiche sehen zu müssen. Shikamaru beugte sich vor und faltete die Hände ineinander, starrte zu Boden. „Wir haben uns so darauf konzentriert, uns zu verbarrikadieren, uns vor dem Unbekannten zu schützen, der sich außer uns im Hotel versteckt hat, dass wir gar nicht erkannt haben, dass es gar keinen Unbekannten gab. Selbst als wir nach der Sache mit Shino und Temari zu dem Schluss gekommen sind, dass dieser Unbekannte ein Hirngespinst ist – selbst da ist uns nichts aufgefallen. Erinnert ihr euch? Wisst ihr noch, wann dieser Mythos zuerst entstanden ist?“

„Hatten wir das nicht von Anfang an vermutet?“, fragte Kiba. „Aber jetzt, wo du es sagst … Wir sind nur noch zu viert, und trotzdem hat uns niemand angegriffen. Vielleicht ist er schon tot? Sasuke zum Beispiel könnte den Unbekannten getötet haben.“

„Oder er hat Angst … weil wir eine Waffe haben“, murmelte Hinata. Ihre blassen Augen waren noch vom Weinen gerötet. Sie sah aus, als würde sie ihr Lebtag nicht mehr fröhlich werden.

„Nein. Ich bleibe dabei, es gibt diesen Unbekannten gar nicht. Wenn die Polizei das Hotel durchsucht, werden sie absolut niemanden finden. Erinnert euch, als wir uns in der Lounge zum ersten Mal getrennt haben – da gingen Sasori, Tayuya, Temari, Gaara, Toto und Shino los, um Medikamente für Sakon zu suchen. Diese Zusammenstellung allein war schon hochentzündlich. Außer Tayuya und Toto haben alle ein falsches Spiel gespielt.“

„Warum haben sie die beiden dann nicht einfach umgebracht?“, fragte Kiba.

„Weil sie nicht auf derselben Seite waren.“ Er schmunzelte bitter. „Ich denke, Gaara, Temari und Shino steckten unter einer Decke, aber Sasori nicht. Jedenfalls hat Gaara einen Anfall vorgetäuscht. Shino und Toto blieben bei ihm, die anderen drei liefen weiter zur Erste-Hilfe-Kammer. Das ist es, was sie erzählt haben, und ich denke nicht, dass das gelogen war. Gaara und Shino, der noch dazu Totos Pistole hatte, hätten Toto mit Leichtigkeit umbringen können. Er stand zu der Zeit nicht gerade hoch in unserer Gunst, also hätten wir Shino wohl sogar geglaubt, wenn er erzählt hätte, dass Toto sich auf Gaara hätte stürzen wollen und er ihn aus Notwehr erschossen hätte. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob sie ihn überhaupt bei sich haben wollten. Ich glaube, Shinos und Gaaras Ziele waren eigentlich Kakashi und Asuma. Allein im Flur und bewaffnet hätten sie eine gute Gelegenheit gehabt, zumindest einen der beiden zu finden, und ein ausgebildeter Polizist und ein Privatdetektiv sind sicherlich ernstzunehmende Feinde in so einem Spiel. Vielleicht hätten sie Neji, der mit ihnen unterwegs gewesen ist, auch gleich mit erwischt. Jedenfalls ist Toto bei ihnen geblieben, und das Unheil nahm trotzdem seinen Lauf.“

„Wir wissen, dass Gaara und Shino Dreck am Stecken hatten. Du wolltest uns eigentlich was zu Sasori erzählen“, erinnerte Kiba ungeduldig.

„Sasori hat vor der Erste-Hilfe-Kammer Wache gehalten, mit seiner Lampe. Tayuya und Temari waren drinnen – sie haben nicht gesehen, ob er tatsächlich die ganze Zeit über vor der Tür stand.“

Shikamaru konnte sehen, wie es hinter Kibas Stirn arbeitete, und auch zwischen Inos Augenbrauen erschien eine nachdenkliche Falte. Aber es war Hinata, die zuerst begriff, was er sagen wollte: „Dann … dann meinst du also …?“

 
 

- Der Hintere Bezirk, dritte Nacht -

 
 

(4:05 Uhr, vor der Erste-Hilfe-Kammer im dritten Stock)

Als sich die Tür hinter den beiden Frauen schloss, legte Sasori vorsichtig die Taschenlampe auf dem Boden ab. Eine Gelegenheit wie jetzt kam nie wieder. Er hatte es gar nicht eingeplant, aber der Anfall seines Bekannten spielte ihm in die Hände. An der Innenseite seines Hosenbeins war eine kleine Pistole eingenäht. Er wusste doch, warum er sie mitgenommen hatte. Zeit, Jashin ein neues Opfer zu bringen.

Auf leisen Sohlen schlich er den Gang  zur Haupttreppe entlang. Er würde ein Stockwerk nach unten gehen, dann zur Bedienstetentreppe wechseln und Shino, Toto und Gaara von hinten angreifen. So würden sie nicht so einfach darauf kommen, dass er es war; immerhin käme er ja eher aus der anderen Richtung. Die Mädchen waren hoffentlich ein paar Minuten lang beschäftigt. Und dieser Shino – er wurde langsam lästig. Die beiden Polizisten und er waren momentan Jashins größte Feinde.

 
 

- Der Hintere Bezirk, siebenter Tag -

 
 

(8:35 Uhr)

„Dann war es wirklich Sasori, der Toto und Shino angegriffen hat?“, fragte Kiba verdutzt.

Shikamaru nickte. „Shino hat seinen Grips unter Beweis gestellt. Ich bin mir sicher, Sasori wollte ihn aus dem Weg räumen. Nach allem, was wir gehört haben, haben sie ihn in die Flucht geschlagen, und Shino hat Toto schlauerweise über die Bediensteten-Treppe geschickt und ist selbst dem Angreifer hinterher. Der Angreifer, Sasori, ist aber einfach wieder in den Gang zur Erste-Hilfe-Kammer eingebogen und hat seine Wache fortgesetzt. Dann hat er ausgesagt, er hätte eine dunkle Gestalt vorbeihuschen sehen, gefolgt von Shino. Diese dunkle Gestalt war es, die es gar nicht gab. Sie wurde zur Illusion des Unbekannten, vor dem wir danach solche Angst hatten. In Wahrheit ist Shino allein durch den Flur gerannt und hat jemanden gesucht, der gar nicht existiert.“

„Und Gaara hat währenddessen seine Maskerade fallen gelassen und Toto und Kakashi eine Etage höher erschossen“, murmelte Kiba. „Genial … Ich meine, ich meine natürlich nicht, dass …“

Shikamaru ignorierte sein Gestottere. „Shino hat uns erzählt, dass er Toto die Waffe zurückgegeben hat, aber das muss nicht stimmen. Niemand sonst kann es bezeugen. Und wir haben die Pistole danach bei Gaara gefunden, wenn ihr euch erinnert.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, dritte Nacht -

 
 

(4:10 Uhr, dritter Stock, Flur)

„Vielleicht …“ Toto räusperte sich unbehaglich und streckte fast schüchtern die Hand aus. „Vielleicht sollte ich wieder die Pistole tragen …“

Shino musterte die Hand, dann die Waffe. „Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ein echter Polizist sie hat.“

Toto lächelte ihn gewinnend an. „Ich wusste, du würdest …“

„Aber ich werde sie Ihnen nicht geben“, unterbrach ihn Shino. „Warum? Weil Sie erst beweisen müssen, dass sie ein echter Polizist sind. Es tut mir leid.“

Zerknirscht ließ Toto den Arm sinken. „Gut. Ja. Ich schätze, ich kann dich verstehen. Ich kenne immerhin ein paar Polizeigriffe. Wenn es sein muss, kann ich den Angreifer immer noch zu packen bekommen … Ich denke, ich bin es euch schuldig, es zumindest zu versuchen.“

„Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis. Dann los.“

Toto nickte und machte sich auf den Weg zur Bediensteten-Treppe. Shino tat, als würde er den Gang entlanglaufen, aber als der Polizist hinter der Tür zum Treppenhaus verschwunden war, lief er nochmal zurück. „Du weißt, was du zu tun hast“, flüsterte er und legte Gaara die Waffe hin, der nickte.

 
 

- Der Hintere Bezirk, siebenter Tag -

 
 

(8:35 Uhr)

„Das ist noch etwas, was wir einfach nicht hinterfragt haben. Wir haben bei Gaara sowohl Totos als auch Kakashis Pistole entdeckt. Aber wenn er sie angeblich den beiden Leichen abgenommen hat, womit hat er sie dann in erster Linie erschossen?“

Ino und Kiba nickten langsam. „Darauf hätten wir eigentlich gleich kommen müssen“, murmelte sie.

„Ja.“ Shikamaru biss die Zähne zusammen. „Als Sasuke Gaara erschossen hat, hat er irgendwie den Logikfaden in unseren Gehirnen zerrissen. Wir waren alle viel zu schockiert, um noch länger darüber nachzudenken.

Zurück zu Sasori. Er wollte uns weismachen, dass sich in dem Hotel jemand versteckt. Natürlich – sonst wäre er am Ende selbst verdächtigt worden. Er hatte übrigens auch Gelegenheit, Hidan im La Grande zu ermorden. Ihre Zimmer lagen nur ein Stockwerk auseinander. Wenn ihr euch erinnert, die Fenster in seinem Zimmer waren alle unbeschädigt und abgeschlossen. Der Mörder kam also eindeutig durch die Tür.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, erste Nacht -

 

Es dauerte eine Ewigkeit, bis die dünne Holztür endlich aufging. „Endlich“, sagte Sasori. „Du weißt genau, wie sehr ich es hasse zu warten.“

„Mach dir nicht ins Hemd.“ Hidan zuckte mit den Achseln und zog die Tür weiter auf, damit er eintreten konnte. Er trug einen schwarzen Frottee-Mantel. Sein Corpse-Painting war seiner gewöhnlichen, nicht ganz so bleichen Hautfarbe gewichen.

„Beeindruckend“, kommentierte Sasori das Innere des Raumes. Das La Grande war ein ebenso schäbiges Hotel, wie sein Name dämlich war. Selbst Hidans abstruser Geschmack, was Einrichtung anging, wertete das Zimmer auf. Die Bandplakate und Poster mit allerlei okkulten Motiven verdeckten die abblätternde Tapete, der schwarze Teppich verbarg die morschen Holzdielen. Das dämmrige Kerzenlicht kaschierte sicherlich Tonnen von Schimmelpilz, die an der Decke prangten. Von den Einrichtungsgegenständen war alles schwarz, was nur ging. Ein Wunder, dass Hidan hier nicht depressiv wurde.

„Also, worüber wolltest du reden?“, kam Sasori umgehend zur Sache.

Hidan warf die Tür zu, sparte sich aber die Mühe, abzuschließen. Er war seit jeher sehr sorglos gewesen. Angeblich verlieh ihm sein Glaube Unsterblichkeit, also müsse er nichts fürchten.

„Hier.“ Hidan klappte ein schwarzes Notebook auf, das auf dem schwarzen Beistelltisch fast unsichtbar war. Auch hier schien er es nicht für nötig zu halten, das Gerät durch ein Passwort einbruchssicher zu machen. Eine Website war geöffnet.

„Ich staune, dass du hier Strom und Internet hast“, sagte Sasori, ehe er sich die Seite genauer ansah.

Das Symbol von Jashin prangte in einem Banner ganz oben, blutig rot. Darunter stand ein verschlungener Schriftzug. Blut für Jashin, las er. Es wirkte wie ein Forum für Leute mit schlechtem Geschmack und zu viel Neugier.

„Was soll das sein?“, fragte Sasori.

„Mach deine verdammten Augen auf! Das ist ein Schrein, um dem großen Jashin zu huldigen!“

„Was du nicht sagst. Und?“ Sasori wurde das Gefühl nicht los, nur herbestellt worden zu sein, weil Hidan ihn bei dem Konzert entdeckt und wiedererkannt hatte. Dabei hatten sie seit Ewigkeiten nichts miteinander zu tun gehabt.

„Ich biete dir an, einer der Erlösten zu werden“, erklärte Hidan grinsend.

„Heißt das, ich soll sterben?“

Hidan lachte. „Die andere Sorte Erlöster. Hast du gehört, was ich auf dem Konzert verkündet habe? Weißt du, hier stimmen wir ab.“

„Und worüber?“, seufzte Sasori, verärgert, weil er ihm alles aus der Nase ziehen musste.

„Scheiße, wie langsam bis du, Mann? Wer geopfert werden soll.“

„Ihr schreibt das in ein Online-Forum? Wer ist alles dabei?“ Eigentlich war es ja eine gute Idee … Einfacher, als die Opfer per Brief oder Todesbotschaft anzukündigen.

Hidan zuckte mit den Schultern. „Die Jünger Jashins kennen einander nicht. Aber jeder, der den Link hat, kann jeden x-beliebigen Scheißer vorschlagen.“ Er deutete mit dem Finger auf die kryptische URL. Das Forum musste irgendwo in den Tiefen des Darknets zu finden sein, jenem Teils des Internets, in den sich gewöhnliche Leute normalerweise nicht hinverirrten. „Aber ich bin der Administrator. Ob ich ihre Postings freischalte oder nicht, entscheide ich allein.“

Was für eine Ironie. Hidan hatte sich schon immer als Jashins Prophet aufgeführt. Wenn er wüsste, dass Sasori in Wahrheit im berüchtigsten Jashin-Zirkel steckte, den es gab … „Und wen Jashins Jünger vorschlagen, der stirbt?“

„Wenn es Jashins Wille ist“, sagte Hidan überzeugt.

„Und wie viele hat Jashin sich schon geholt?“

„Scheiße, woher soll ich das wissen? Wir schlagen Jashin seine Opfer nur vor.“

„Ihr tötet also niemanden selbst?“

„Hä? Willst du mich verarschen? Natürlich sterben diese Leute, weil wir sie Jashin anbieten!“ Ob der Frage schien Hidan entrüstet. Sasori beschloss, nicht weiter in ihn zu dringen – offenbar war er sehr überzeugt davon, der Scharfrichter des Dämons zu sein. „Und du zeigst mir das, weil …“

„Weil du ab heute auch an Jashins glorreicher Welt mitwirken darfst“, sagte Hidan eifrig. „Schreib dir die URL auf und nimm dir ‘nen User-Namen, von dem ich weiß, dass du es bist. Wir sind alte Kumpel, und du hast Geschmack, auf mein Konzert gekommen zu sein. Jashin hat dich hergeführt. Du bist dazu bestimmt, für ihn zu arbeiten.“

Sasori verzichtete darauf, ihn dahingehend zu berichtigen, dass seine Neugier auf Kankurous Band ihn ins Twilight getrieben hatte, und dass er aktiver für Jashin arbeitete als Hidan selbst. Als er das offene Notebook mit dem eingeloggten Administrator sah, kam ihm eine Idee. Pro forma schrieb er sich die URL auf einen Notizzettel. „Dann danke ich mal für die Ehre. Kann ich jetzt gehen?“

„Klar.“ Hidan klappte das Notebook zu. „Hau ab. Aber vergiss Jashin nicht.“

„Sicher nicht. Gute Nacht.“

Draußen im Gang wählte Sasori eine Nummer auf seinem Handy. Hidan hatte seine Tür wieder nicht abgeschlossen. Das war ja fast zu einfach. Der Anrufbeantworter schaltete sich sofort ein, und während er der Stimme lauschte, die ihn bat, eine Nachricht zu hinterlassen, lächelte er in sich hinein. Es wurde Zeit, dass Jashin wieder ein Opfer bekam. Und dass Hidans angebliche Unsterblichkeit auf die Probe gestellt wurde.

Nachdem er Bescheid gesagt hatte, überlegte er, wann und wie er Hidan wohl am besten töten konnte.

 
 

- Der Hintere Bezirk, siebenter Tag -

 
 

(8:35 Uhr)

„Sasoris nächste Missetat war zweifellos, die Leiter umzustoßen, die zu einem der Fenster hier im Hotel geführt hat. Er und Deidara waren laut eigener Aussage die Ersten im Hotel, und sie haben sich da schon im zweiten Stock aufgehalten und die Lage überprüft. Sicherlich haben sie sich dort auch schon getrennt. Sasori drapiert bei der Gelegenheit in dem Laden einen Laptop mit dem Screenshot von dem Jashin-Forum, um Opfer anzukündigen und Angst zu säen. Dann geht er wieder in den zweiten Stock und hängt mit Deidara ab. Ich weiß nicht genau, woher Sasori wusste, dass sich in diesem Hotel bald bereitwillige Opfer einfinden würden, oder warum er uns überhaupt töten wollte, aber das finde ich schon noch heraus.

Dann die nächste Nachricht von Jashin, dass es wieder ein Opfer geben würde. Wir waren in der Lounge; Temari, Naruto, Hinata und Neji haben nach Sasukes Randale die zwei Hotelzimmer im fünften Stock bezogen.“

„Stimmt, da war doch was“, erinnerte sich Ino. „Ein Zettel lag plötzlich da, halb unter der Tür durchgeschoben. Irgendetwas, dass Jashin Hunger hat und sich die schnappen wird, die die Lounge verlassen haben, oder?“

„Es war wieder Sasori, der den Brief gefunden hat. Angeblich – in Wahrheit wird er sich einfach gebückt und uns einen Zettel gezeigt haben, den er zuvor selbst geschrieben hat. Da war niemand auf der anderen Seite der Tür. Wir waren die ganze Zeit allein.“

„So hat er also Asuma rausgelockt“, murmelte Kiba. „Und dann uns, mit dieser Zusatznotiz.“

Shikamaru nickte. „Er hat unseren Schutzraum von innen durchbrochen. Getötet hat er dann aber Chouji. Jeder, der während unserer Suche nach Asuma in der Lounge war, hätte in einem unbeobachteten Moment das Gift in Choujis Becher geben können. Und die Nachricht, die wir in dem Fläschchen gefunden haben, in der verkündet wird, dass Jashin hinter dem Mord steckt – wenn wir den Zettel und die Flasche noch hätten, würden wir mit Sicherheit feststellen, dass es dieselbe Handschrift ist.“

„Mir war Sasori ja gleich suspekt“, brummte Kiba.

„Und dann haben Sasori und Deidara nach uns die Lounge verlassen, und Deidara hat die Wahrheit gesagt?“, fragte Hinata.

„So ist es. Sasori hat gesehen, wo die Straßengang sich versteckt hat – das Licht hat es ihm gezeigt. Indem er vorgab, etwas gehört zu haben, hat er Deidara ein Stockwerk höher geschickt, Sakon getötet, und dann das Unschuldslamm gespielt.“

„Dieser Mistkerl“, knurrte Kiba. „Uns so auf den Arm zu nehmen … Und so oft …“

Shikamaru wollte ihn gerade darauf hinweisen, dass Sasori da beileibe nicht der Einzige gewesen war, als er von draußen ein Geräusch hörte. Sein Herz machte einen Satz. Kein Folgetonhorn, kein Blaulicht, aber es war eindeutig ein Wagen vorgefahren. „Kommt“, murmelte er mit zittriger Stimme und stand auf. „Alles oder nichts.“

 

Sie klopften wild gegen die Eingangstür des Hotels und schrien sich die Seele aus dem Leib, und keine fünf Minuten später bedeutete ihnen eine uniformierte Gestalt auf der anderen Seite, zurückzutreten. Dann tauchten noch andere Silhouetten dort auf, und in einem Funkenschauer begannen sie, die Hoteltür aufzuschweißen.

 

„Gut, dann stimmen wir ab“, sagte Sasori missmutig, denn es ging nun um seinen Hals. „Sphinx, sag uns das Opfer der Vampire.“

„Ich weiß nicht, was du meinst“, flötete der Spielleiter.

„Soll das heißen, es stirbt heute gar niemand?“, fragte Ino.

„Richtig. Ihr könnt abstimmen.“

Also war das Vampiropfer irgendwie verhindert worden. Sasori zählte bis drei und sah sich etlichen nach unten deutenden Daumen gegenüber.

 

„Du warst es, hm“, sagte Deidara düster, als sie im Erdgeschoss den Bedienstetenbereich abklapperten.

Sasori, der sich eben abmühte, das zugeklebte Schloss der Hintertür aufzubekommen, sah auf. „Rede keinen Unsinn und hilft mir lieber. Du willst doch sicher auch nicht einfach so auf die Polizei warten.“

Deidara rührte sich nicht von der Stelle. „Du hast mich angeschmiert“, knurrte er. „Was sollte diese Lügengeschichte mit Sakon?“

Sasori seufzte. „Ich wollte einfach nicht verdächtigt werden. Das ist alles.“

„Klar“, sagte Deidara gedehnt. „Und die Sache mit dem Giftfläschchen? Und die Nachricht von diesem Jashin, die du gefunden hast? Das sind mir zu viele Zufälle, hm.“

Sasori tat, als müsste er nachdenken. „In diesem Fall sollte ich dir wohl sagen … dass du recht hast.“ Er riss eine Pistole aus der Hosentasche, und Deidara riss die Augen auf und warf sich instinktiv herum.

Das Ding hatte einen Schalldämpfer; der Schuss war kaum zu hören. Wie durch ein Wunder traf Deidara die erste Kugel nicht. Als er dann jedoch auf Risiko spielte und sich angriffslustig auf Sasori warf, erwischte ihn die zweite. Ein brennender Schmerz fraß sich durch seinen Leib, aber er schaffte es noch, seine Faust in Sasoris Gesicht zu pfeffern. Die Pistole flog davon, ein Schuss löste sich noch und fauchte als Querschläger über ihren Köpfen vorbei. Deidara krallte die Finger in Sasoris Haar und stieß ihn mit voller Wucht gegen die Tür.

Der Schmerz benebelte seine Sinne, dunkle Flecken tanzten am Rand seines Gesichtsfelds, und Deidara bekam kaum mit, was er tat. Er war nicht der Kräftigste, aber dennoch größer und schwerer als Sasori. Wieder und wieder ließ er Sasoris Kopf gegen die Tür donnern. Als er ihn losließ, fiel der Rotschopf schlaff zu Boden, die Nase mehrmals gebrochen, die Augen verdreht, und das Gesicht voller Blut.

Deidara stieß keuchend die Luft aus. Der Schmerz raubte ihm den Atem. Er presste die Hand auf die Wunde, aus der rotes Blut wie ein Sturzbach quoll. Seine Knie knickten ein. Die Landung auf dem harten Boden spürte er gar nicht mehr.

 

„Spät, aber doch“, sagte Sasori und gab seine Karte ab. „Sehr spät, um genau zu sein.“

„So wird also Sasori, der Vampir, gelnycht. Gut gemacht. Noch fünf übrig. Ich denke, wir können mit der achten Nacht beginnen, oder was meint ihr?“

Shikamaru hakte seinen Gedankengang ab. Sasori war also tatsächlich ein Vampir gewesen. Er war nun geneigt, seiner eigenen Theorie Glauben zu schenken. Er wappnete sich für die nächste Nacht. Das Spiel war noch nicht entschieden, aber lange konnte es nicht mehr dauern.

 

Was danach geschah, bekam Shikamaru wie durch eine Wand aus Watte mit. Sie kamen endlich aus dem Hotel raus. Es war, als entstiegen sie einem gewaltigen Massengrab. Draußen wartete ein Aufgebot aus Polizei, Feuerwehr und Sanitätern. Er saß neben Kiba, Hinata und Ino auf einer Krankenwagentrage, wurde untersucht und bekam eine Heiße Schokolade in die Hand gedrückt und eine wärmende Decke über die Schultern gelegt. Er hörte sich noch mit einem Polizisten reden, sagte ihm, wer noch alles im Hotel sein musste, und wollte ihm auch noch seine eigenen Ermittlungsergebnisse mitteilen, aber irgendein Zeug, das sie ihm spritzten, zeigte in dem Moment Wirkung und ließ ihn schläfrig werden.

 

Er erwachte in einem hellen Raum und bekam im ersten Moment Panik, weil er dachte, es wäre eines der Hotelzimmer. Dann erkannte er ihn anhand der Einrichtung als Krankenzimmer. Kiba lag im Bett neben ihm; er schlief noch.

Nun, als er endlich das NeoMetropolis verlassen hatte, hätte er Erleichterung verspüren sollen. Stattdessen begann er hemmungslos zu schluchzen. Tief drin wusste er, dass, sofern man ihn nicht wieder mit Beruhigungsmitten niederspritzte, ihn dieses Hotel auf ewig in seinen Träumen verfolgen würde.

Als Kiba erwachte, wussten sie nichts miteinander zu reden. Beide versuchten, ihre Trauer zu verbergen. Kiba war unausstehlich, wenn eine Krankenschwester oder ein Arzt kam, auch, als irgendwann zwei Kommissare auftauchten und ihre Aussagen aufnahmen. Nun erzählte Shikamaru alles, was er wusste. Vieles davon hatte die Spurensicherung feststellen können, einiges war selbst den Kommissaren neu. Er fragte auch nach Ino und Hinata. Anscheinend befanden die sich im selben Krankenhaus in einem anderen Zimmer.

Die beiden Männer wollten ihnen keine Auskunft geben, was weiter im NeoMetropolis passiert war, und sagten auch nichts zum Stand der Ermittlungen, selbst als Shikamaru penetrant nachbohrte und Kiba schließlich wütend zu brüllen begann. Sie sollten sich schonen, erklärte man ihnen. Da sie unverletzt waren, würde man sie noch heute aus dem Krankenhaus entlassen – sicher mit einer gehörigen Dosis Antidepressiva oder sonst einem Zeug vollgestopft. Natürlich würde man ihnen psychologische Betreuung zukommen lassen, und im gleichen Atemzug wurde ihnen gesagt, sie sollten sich für weitere Fragen zur Verfügung halten und die Stadt nicht verlassen.

 

„Und die achte Nacht bricht an.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, achte Nacht -

Shikamarus Wohnung war ihm noch nie so düster vorgekommen. Er hatte große Lust, seine Eltern anzurufen, tat es dann aber doch nicht. Es erinnerte ihn daran, dass er auch die Stimmen seiner toten Freunde wieder hören wollte, und sei es nur übers Telefon … Hidan hatte immer behauptet, er wäre unsterblich. Waren vielleicht jene, die Jashin geopfert worden waren, auch irgendwie wieder am Leben?

Shikamaru erkannte, dass sein rationales Denken umwölkt war. Er hatte tatsächlich Tabletten mitbekommen, die seine Gedanken betäuben sollten, aber er dachte nicht daran, sie einzunehmen. Er hatte das Gefühl, als hätte er etwas übersehen. Als dürfte er auf keinen Fall aufhören zu denken. So schloss er, das er einfach müde war, und legte sich ins Bett, obwohl es erst acht Uhr am Abend war und er bis in den Nachmittag hinein geschlafen hatte. Sein letzter Gedanke war, dass er vielleicht auch schon tot war, einem Dämon geopfert, ohne es mitbekommen zu haben.

 

„Die kläglichen Überreste des Dorfes begrüßen nun den Morgen des achten Tages. Der Geist schrieb ein S. Deidara ist gestorben. Er war kein Vampir und kein Werwolf.“

In der Nacht? Warum Deidara? Gab es doch noch Werwölfe? Hatte die Hexe ihn vergiftet? Oder …

 
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag -

Am nächsten Tag telefonierte Shikamaru lange mit Ino. Sie war diejenige aus seinem engen Freundeskreis, die noch am Leben war, und es tat gut, ihre Stimme zu hören. Sie persönlich zu sehen brachte Shikamaru noch nicht übers Herz. Er hätte nur wieder an die Stunden im Hotel gedacht, das wusste er. Spätestens die Wunde an Inos Stirn hätte ihn daran erinnert, dass sie alle vermutlich nur knapp dem Tod entronnen waren – während er die meisten ihrer Freunde geholt hatte.

Sie sprachen über alles Mögliche, aber es waren ausschließlich banale Dinge. Keiner erwähnte irgendetwas von dieser schrecklichen Nacht, und wenn das Gespräch in Richtung eines ihrer toten Freunde abzudriften drohte, wechselten sie schnell das Thema. Allzu bald gab es nichts mehr zu erzählen, da sie beide seit gestern wenig getan hatten. Ino hatte sich in der U-Bahn von Kiba und Hinata getrennt; er hatte sie noch nach Hause bringen wollen. Und dieselben Kommissare hatten die beiden Mädchen verhört, ebenfalls ohne etwas preiszugeben.

Anschließend rief er bei Kurenai an, die schließlich ihren Lebensgefährten verloren hatte. Er hatte das Gefühl, sich wenigstens dazu aufraffen zu müssen, doch sie hob nicht ab.

Zu Mittag machte sich Shikamaru ein trauriges, einfaches Mahl, ohne mit den Gedanken bei der Sache zu sein. Er sah fern, ohne der Handlung des Films zu folgen. Die folgenden Tage vergingen in einem grauen Strudel aus Schmerz und Trauer. Seine Eltern, die von dem Unglück gehört hatten, besuchten ihn. Er wollte eigentlich gar nicht mit ihnen sprechen. Immer noch gelang es ihm nicht, Kurenai zu erreichen, und ein bohrendes schlechtes Gewissen riet ihm, persönlich bei ihr aufzukreuzen.

Gegen drei Uhr, gerade, als er den Entschluss gefasst hatte, zu ihrem und Asumas Haus zu fahren, klingelte es an der Tür.

Es war einer der Kommissare, die er aus dem Krankenhaus kannte. Shikamaru war er im Gedächtnis geblieben, da er ziemlich schrille, bunt zusammengewürfelte Kleidung trug. Sie setzten sich um den kleinen Tisch in Shikamarus Wohnung, und er schenkte dem Kommissar Kaffee ein.

„Sie haben uns mit Ihren Theorien sehr geholfen“, sagte der Kommissar ohne Umschweife. „Ihre Beobachtungs- und Deduktionsgabe ist wohl ohnegleichen für jemanden, der direkt in den Vorfall verwickelt war. Ich bin hier, um Sie zu fragen, ob Ihnen noch weitere Einzelheiten eingefallen sind. Oder irgendetwas, das uns bei der Ermittlung weiterhilft.“

„Wenn Sie wollen, dass ich Ihnen helfe, könnten Sie ja damit anfangen, mir den Stand der Ermittlungen zu sagen“, murmelte Shikamaru und betrachtete das Muster, das der Milchschaum in seinen Kaffee malte. „Oder habe ich kein Recht, es zu erfahren?“

„Nun, so kann man das freilich nicht sagen“, erwiderte der Kommissar. „Die Spurensicherung ist noch nicht mit den Analysen fertig. Die Obduktionen sind auch noch nicht abgeschlossen.“

Shikamaru erschauerte bei dem Wort. Seine Freunde hatten also immer noch nicht das Recht, ordnungsgemäß bestattet zu werden. Eigentlich sollte es ihn nicht wundern.

„Wir finden viele von Ihren Theorien schlüssig“, fuhr der Kommissar fort. „Zum Beispiel, was die Mittäterschaft einiger der Toten angeht. Der Fall ist dennoch noch nicht vollständig geklärt. Es war ja ein Massaker sondergleichen, und das will gründlich untersucht werden.“

Shikamaru nickte apathisch. Sicher würde sich auch bald die Presse auf diesen Vorfall stürzen. Lange würde der Tod so vieler Menschen nicht von den Medien unbemerkt bleiben. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was dann los war. „Sie haben es selbst gesagt. Ich war mittendrin in der Sache. Vielleicht habe ich irgendetwas übersehen oder vergessen. Wie war die Lage im Hotel, als Ihre Kollegen hineingegangen sind?“

Und der Kommissar begann zu erzählen.

 

Shikamaru blätterte seine Unterlagen durch. Anschuldigungen kamen nur noch zögerlich. Viel Neues würde er nicht mehr erfahren. Er fasste im Geiste den bisherigen Spielverlauf noch einmal zusammen.

 

Die Polizei war seinem Rat gefolgt und hatte auch den Tod von Hidan in den Ermittlungsfall mit einbezogen, den sie die Mordserie im Hinteren Bezirk nannten. Hidan war in einem Motel namens La Grande ermordet worden, in dem sich bis auf Ino, Chouji, Asuma, Kakashi und Toto sämtliche andere Menschen aufgehalten hatten, die später im NeoMetropolis eingesperrt worden waren. Die Straßengang hatte nicht dort übernachtet, aber sie war hinzugestoßen und hatte die Leiche entdeckt. Laut den Überwachungsbändern war Hidan um halb neun Uhr morgens noch am Leben gewesen. Danach hatte niemand das Hotel verlassen. Er war in einem Ritual geopfert worden, in seinem Zimmer. Shikamaru wusste beizusteuern, dass seine Freunde sich je zu zweit ein Zimmer geteilt hatten. Er selbst hatte sein Zimmer für sich allein gehabt, aber er wusste nicht mehr, wie die Aufteilung darüber hinaus gewesen war. Außerdem hätte man sich vielleicht auch an seinem unschuldigen Bettnachbarn vorbei aus dem Zimmer schleichen und den Mord begehen können – allerdings war er nach wie vor der Meinung, dass Sasori Hidan getötet hatte.

Ino hatte nicht im Motel übernachtet. Jemand, vermutlich Deidara, hatte ihr etwas in ein Bargetränk gemischt, und als es ihr hinterher schlecht ging, hatte Chouji sie nachhause gebracht.

Sasuke war am Morgen überstürzt aufgebrochen. Natürlich war sein Verhältnis zu seinem Bruder bereits aufgedeckt worden, und Aussagen von Polizisten zufolge schien er der Meinung gewesen zu sein, Itachis plötzlicher Tod hätte keine natürliche Ursache gehabt.

Es hatte kleine Reibereien zwischen Shikamarus Clique und der Straßengang gegeben, die in dem Motel einen Arzt für ihren verletzten Kameraden gesucht hatte. Shikamaru konnte beisteuern, dass Tayuya vermutlich noch am selben Tag Kidoumaru getötet hatte, weil er ihre Bande verraten und irgendein krummes Ding gedreht hatte, wegen dem Sakon verletzt worden war.

 

Die erste Nacht. Itachi war als Einziger gestorben. Hidan, der Kultführer, hatte Sasori in den Kult gewählt und war seinerseits von den Vampiren als Opfer gewählt worden. Die Alte Vettel hatte Ino verbannt.

Der erste Tag. Ino musste das Dorf verlassen. Hidan starb nach der Nominierung. Kidoumaru wurde gelyncht und war ein Werwolf gewesen.

 

Die Polizei hatte das NeoMetropolis genau durchsucht. Nachdem sie Shikamaru, Ino, Hinata und Kiba herausgeholt hatten, hatten sie sich in der Lobby umgesehen und zuallererst die Leiche von Kimimaro in der Nähe der Hotelbar entdeckt. Er war durch einen Schuss ins Herz gestorben.

Anschließend hatte man die angrenzenden Gänge und Räume durchsucht. In einem Umkleideraum für Bedienstete war man auf Sakuras Leiche gestoßen. Sie war etliche Stunden vor den anderen gestorben, vermutlich kurz nachdem sie entführt worden war.

Im Laden hinter der Bar lagen die Leichen von Kankurou und Tenten. Tentens Leiche war auf Jashin-Art aufgebahrt gewesen, Kankurou war durch Inos Stöckelschuh gestorben, der sich durch sein Auge bis ins Gehirn gebohrt hatte. Die Spurensicherung hatte überall Blut von den dreien gefunden; Inos Blut vor allem auf der Regalplatte, die sie am Kopf getroffen hatte. Die Untersuchungen waren noch nicht abgeschlossen, aber Shinos Schlussfolgerungen von damals schienen der Wahrheit zu entsprechen – es war bereits festzustellen gewesen, dass Tenten, Ino und Kankurou miteinander gekämpft hatten. Kankurous Fingerabdrücke waren sowohl auf dem Metallwinkel, der für das Ritual verwendet worden war, als auch auf dem Regalbrett. In Kankurous Jackentasche hatte man außerdem ein Jashin-Amulett gefunden, weswegen vermutet wurde, dass er in der Sekte gewesen war.

Die Polizisten hatten schließlich noch die Garage untersucht und die Pfeile entdeckt, die die Opfer nach oben in die Lobby und bis in den zweiten Stock lockten. Es waren auch die Maschinen der Straßengang in der Garage gewesen, Sasoris Porsche und die Autos von Ino, Sasuke, Kiba und Temari. Der Kontrollraum für das Garagentor war verwüstet worden, aber mit ziemlicher Sicherheit war Kimimaro es gewesen, der die Instrumente und den Notstromgenerator mit der Feuerwehraxt zertrümmert hatte.

 

Die zweite Nacht. Sakura war gestorben. Die Alte Vettel hatte Asuma aus dem Dorf verbannt.

Der zweite Tag. Shino hatte es geschafft, Kimimaro zu lynchen, der ein Werwolf war. Vorher starb aber noch Tenten an den Folgen des Vampirangriffs, und Sphinx verkündete gleichzeitig, dass auch der Vampir Kankurou gestorben war. Das ließ sich nur damit erklären, dass Tenten die Vampirjägerin war. Weil zwischen den beiden Kakashi, Asuma und Toto saßen, waren diese drei somit keine Vampire. Neji hatte sich als Paranormaler Ermittler geoutet und versprochen, sie auf Werwölfe zu untersuchen.

 

Die Hintertür des Hotels war auf ziemlich primitive Art und Weise mit Superkleber versiegelt worden, höchstwahrscheinlich ebenfalls von Kimimaro. Dort fand man auch Sasori, tot. Offenbar hatte ihm jemand das Nasenbein ins Gehirn gestoßen. Eine Pistole mit Schalldämpfer und Sasoris Fingerabdrücken darauf lag daneben, außerdem Deidara. Er war noch am Leben gewesen, aber angeschossen worden.

„Die Kollegen hielten es für ein Wunder, aber im Endeffekt war es das nicht“, sagte der Kommissar. „Der Mann erlag heute vor Sonnenaufgang im Krankenhaus seiner Verletzung.“ Also war selbst Deidara gestorben.

Bei Sasori fand man außerdem ein weiteres Amulett. Die Dinger dürften dem ähneln, das Tenten ihnen am Tag nach dem Konzert gezeigt hatte. Es musste etwas wie das Erkennungszeichen des Jashin-Zirkels sein. Shikamaru wurden den Verdacht nicht los, dass Tenten dadurch, dass sie es gefunden hatte, die Lawine des Mordens erst losgetreten hatte – oder eben eine Teillawine. Sie hatte es in einer Gasse im Hinteren Bezirk aufgelesen, fiel ihm ein. Vielleicht sollte er der Polizei erzählen, was seine Freunde dort gesehen hatten, aber erst wollte er den Bericht des Kommissars zuende hören.

Die weiteren Leichen fand man in den oberen Stockwerken. In der VIP-Lounge im zweiten Stock lag Chouji mit Anzeichen einer Zyankali-Vergiftung. Shikamaru äußerte den Verdacht, dass Sasori der Täter gewesen war, und die Polizei schien ganz seiner Meinung zu sein. Gaaras Leiche lag bei den Toiletten. Er war erschossen worden. Die Kugel stammte aus der Waffe, die Kakashi gehört hatte. Shikamaru hatte gesehen, dass Sasuke der Täter gewesen war, aber er konnte sich nicht wirklich erklären, warum er so weit gehen würde. Sasuke war immer eine etwas krude Gestalt gewesen, aber dennoch … die Art, wie er auf Gaara losgegangen war … irgendetwas steckte da noch dahinter.

Im dritten Stock, bei den Wäschegestellen in der Nähe der Erste-Hilfe-Kammer, fand man Schussspuren; eine Kugel stammte aus Totos Colt, die anderen aus Sasoris Feuerwaffe.

Kakashis und Totos Leiche waren im Bediensteten-Treppenhaus auf Höhe des vierten Stocks zu finden gewesen. Die beiden Polizisten waren offenbar von unten überrascht und mit Totos Pistole erschossen worden.

Asumas Leiche markierte das blutigste Stockwerk. In der fünften Etage lag er, mit zertrümmertem Hinterkopf, im Flur. Die Tatwaffe war das eiserne Stuhlbein von einem der Barhocker in der Lounge im zweiten Stock. Shinos Fingerabdrücke waren darauf zu finden. Offenbar hatte er gehofft, aus dem Hotel zu entkommen, ohne dass ein einziger Überlebender ihn verraten konnte … So wären die Leichen sicherlich eine Zeitlang unentdeckt geblieben.

In den beiden Zimmern, zwischen deren Türen Asuma lag, hatten die Beamten die Leichen von Neji, Lee, Tayuya, Shino und Temari gefunden. Wie jeder von ihnen gestorben war, war für Shikamaru kein Geheimnis mehr, und er erteilte dem Kommissar bereitwillig Auskunft.

Und Shikamaru erfuhr eine neue niederschmetternde Nachricht: Kurenai war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ihre Nummer war die letzte, die von Asumas Handy aus angerufen worden war, zu Zeiten, in der eigentlich Shinos Störsender alle Signale blockiert haben müsste. Die Spurensicherung konnte nicht sagen, ob Asuma zu der Zeit noch am Leben gewesen war, aber Shikamaru brauchte sich diese Frage gar nicht zu stellen. Shino hatte das Handy bei sich gehabt. Er hatte es Asumas Leiche abgenommen und Kurenai angerufen, vielleicht um ihr zu drohen – immerhin war Asuma ein ungeplanter Gast im Hotelszenario der Mörder gewesen, und vielleicht hatte er seine Frau eingeweiht. Es war wohl Zufall gewesen, dass sie mit dem Auto unterwegs gewesen war. Sicher hatte Shino sie irgendwie aus der Fassung gebracht, und das Unheil hatte seinen Lauf genommen.

 

Die dritte Nacht. Die Alte Vettel hatte Sakon verbannt. Kakashi und Toto wurden beide ermordet; zwei der Verdächtigen, die Neji durchleuchten wollte, und sie waren unschuldig gewesen. Er war somit vermutlich wirklich der Paranormale Ermittler gewesen, und die Werwölfe hatten seinen Nutzen minimieren wollen. Die Unruhestifterin verlangte zwei Opfer am folgenden Tag.

Der dritte Tag. Sakon hatte das Dorf verlassen müssen. Shino hatte angeblich Neji als Seherin überprüft und festgestellt, dass er sauber war, doch das war eine Lüge. Shino wusste lediglich, dass Neji kein Werwolf war. Außerdem schien es zwei Werwolfopfer zu geben, andernfalls wäre es ein zu großer Zufall, dass zwei der drei von Neji Durchleuchteten gestorben waren. Das bedeutete, dass der am Vortag hingerichtete Werwolf, Kimimaro, das Wolfsjunge war.  Ein Vampiropfer gab es nicht.

Schon an diesem Tag hatte sich Sasuke seltsam verhalten und erst Shino beschuldigt, dem zu der Zeit noch alle vertraut hatten, und danach sofort Gaara. Gaara war gelyncht worden. Er war ein Werwolf gewesen. Um das Doppel-Lynchen zu entschärfen, hatte sich Asuma als Prinz zu erkennen gegeben.

Die vierte Nacht. Neji hatte sicherlich angenommen, dass er von irgendjemandem beschützt wurde, doch dem war nicht so. Die Werwölfe hatten ihn wohl getötet; zumindest war er in dieser Nacht gestorben, ebenso Asuma und Kurenai. Sie alle waren weder Wölfe noch Vampire.

Der vierte Tag. Niemand wurde verbannt. Chouji war an den Folgen eines Vampirangriffs gestorben. Die anderen hatten den Versuch gestartet, Shino zu lynchen; abermals war Sasuke so etwas wie ein Rädelsführer dabei gewesen. Lee hatte sich jedoch als Märtyrerin offenbart und sich statt ihm hinrichten lassen.

Die fünfte Nacht. Endlich tat jemand etwas gegen Shino. Er und Tayuya starben in dieser Nacht; er war der Böse, sie die Gute gewesen.

Der fünfte Tag. Sakon starb als Vampiropfer. Temari wurde als Werwolf identifiziert und gelyncht.

 

Was Sakon betraf, so hatten sie seine Leiche erst ziemlich spät gefunden. Immerhin befand sie sich in einem x-beliebigen Zimmer im siebten Stock. Es schien jedoch erwiesen, dass Sasori die Tat begangen hatte. Bei dessen Leiche hatte man noch ein Messer gefunden, das dem Jungen die Kehle aufgeschnitten haben könnte. Auf der Plastikstange, die man in seine Leiche gebohrt hatte, gab es keine Fingerabdrücke. Hier hatte er wohl aufgepasst.

In einem höheren Stockwerk wurde noch eine Metallstange entdeckt, die mit Blut beschmiert war – mit Shinos Blut. Von daher stammte also seine schlimme Wunde. Außerdem waren die Fingerabdrücke von Sasuke darauf gewesen. Er hatte ihn also tatsächlich angegriffen. Hatte er erkannt, was Shino wirklich plante?

Hinter dem Hotel schließlich hatte man die zerschmetterten Überreste von Sasuke und Naruto gefunden. Auf dem Dach fanden die Beamten eine zerfetzte, kleine Faustfeuerwaffe, die wohl jemand so präpariert hatte, dass die Kugel nicht entweichen konnte und eine zu große Menge Pulver den Lauf sprengte. „Dieses kleine Ding wäre interessant gewesen“, sagte der Kommissar. „Weil es wenig mehr als ein Haufen Brösel ist, konnten wir noch keine DNA-Proben oder Fingerabdrücke entnehmen. Nach Ihren Aussagen hatte Sasuke diese Waffe aber nicht, ehe er auf das Dach gerannt ist?“

Shikamaru überlegte. „Jiroubou“, sagte er. „Wir haben ihn gesehen, als wir Naruto gefolgt sind, der auf Sasuke aufmerksam geworden war. Er ist vielleicht mit Sasuke aneinandergeraten, und der hat ihn niedergeschlagen. Dann könnte die Waffe von ihm sein … was wissen Sie über ihn?“

„Leider nichts“, sagte der Kommissar bedauernd. „Dieser junge Mann namens Jiroubou, den Sie und Ihre Freunde mir beschrieben haben, ist nirgendwo aufzutreiben.“

Er hatte es also tatsächlich geschafft, sich aus dem Hotel zu schleichen. Sicherlich war er im Hinteren Bezirk untergetaucht. Leute wie er kannten gewiss eine Menge Verstecke, um sich eine lange Zeit vor dem Arm des Gesetzes fernzuhalten.

„Wir haben auch die persönlichen Gegenstände der Opfer untersuchen lassen“, fuhr der Kommissar fort. „Das Smartphone von Sasuke Uchiha war sehr aufschlussreich. Er hatte offenbar Ermittlungsunterlagen der Polizei abfotografiert – sicher im Büro seines Bruders.“

„Kann ich sie sehen?“

Der Kommissar atmete tief durch und sah aus, als würde er seine nächsten Worte schon bedauern. „Hier sind Kopien davon. Ich hoffe, Sie wissen, dass ich mich schon viel zu weit aus dem Fenster lehne, indem ich Ihnen so viele Einzelheiten erzähle.“ Er reichte ihm einige Ausdrucke. „Der letzte Fall, an dem Kollege Uchiha gearbeitet hat, hatte auch mit einer Jashin-Sekte zu tun. Vielleicht sogar mit jener, die hinter der Mordserie im Hinteren Bezirk steckt. Es hatte schon vor diesem Hidan Ritualopfer gegeben. Wir wissen, dass die Sekte dahintersteckt, weil sie die Morde immer im Vorhinein ankündigt – beziehungsweise, einmal haben sie auch im Nachhinein einen Brief an einem Mordschauplatz hinterlassen, der bereits polizeilich abgesperrt worden war. Darin haben sie verkündet, dass Jashin das Opfer geholt hätte. Wir glauben, das gehört zu ihrem Ritual – dass sie Jashin irgendwie wissen lassen wollen, dass das aufgebahrte Opfer auch wirklich für ihn ist.“

Shikamaru hörte nur mit einem Ohr zu. Ihm fiel wieder ein, was Naruto erwähnt hatte, nachdem Sasuke allein davongelaufen war. Irgendetwas hatte Sasuke ihn gefragt, kurz bevor er so seltsam geworden war … Was war es nur gewesen? Es versank in der blutigen Düsternis dieser schlimmsten aller Nächte … oder vielleicht kam er mithilfe dieser Fotos drauf? Es stand viel Text auf den Blättern, also überflog er sie erst mal nur.

Sie waren äußerst aufschlussreich.

 

Die sechste Nacht. Kein Opfer.

Der sechste Tag. Sasuke starb an einem Vampirbiss, Naruto wurde gelyncht. Beide waren sie weder Wolf noch Vampir gewesen, was noch mehr Rätsel über Sasukes lynchfreudiges Verhalten aufgab. Shikamaru war sich sicher, dass er ein doppelt-dreifaches Spiel gespielt hatte. Er hatte zu sehr versucht, Gaara und Shino anzuprangern. War er die Seherin, die die beiden enttarnt hatte? Aber dann hätte er Shino schon wesentlich früher ans Messer liefern können. Hatte er das nicht gewagt? Nein, Sasuke hätte sich nicht so duckmäuserisch verhalten. Und hatte er wirklich nur diese beiden als Wölfe erkannt? Danach schien es ihm egal gewesen zu sein, wer starb, solange es ihn nicht betraf. Als hätte er sein Ziel schon erreicht …

Zwei Opfer. Sein Ziel erreicht.

Shikamaru wusste plötzlich, welche Karte Sasuke besaß. Aber warum nur hatte er erst mitten im Spiel angefangen, seine Feinde zu töten? Er hätte es tun können, als Shino noch nicht als Seherin galt … Shikamaru wurde das Gefühl nicht los, dass er ein wichtiges Puzzlestück ausließ. Da war doch etwas gewesen, etwas, auf das er schon früher gekommen war … Hatte er das nicht notiert?

Er überflog den kurzen Rest des Spiels. Die siebte Nacht. Kein Opfer. Offenbar gab es keine Werwölfe mehr. Der siebte Tag. Sasori war als Vampir enttarnt und gelyncht worden. Die achte Nacht. Diesmal gab es wieder ein Opfer: Deidara, unschuldig. War so etwas möglich? Zwei Nächte lang kein Werwolfopfer, und dann starb wieder jemand?

„Nun, meine Lieben“, drängte Sphinx, „seid so gut und einigt euch. Sonst muss ich die Nacht rufen, ehe ihr mit dem Lynchen fertig seid.

„Moment noch“, sagte Kiba, der per Los der neue Bürgermeister geworden war.

Shikamaru blätterte erneut durch seine Aufzeichnungen.

Lug. Betrug. Falscher Verdacht. Irgendetwas übersah er. Verrat. Lynchen und Töten. Tod am Tag, Tod bei Nacht. Die Vampiropfer lebten bis zur ersten Abstimmung am Folgetag. Der Leibwächter schützte, der Priester konnte einmal auf ewig schützen, die Hexe einmal für eine Nacht vor den Werwölfen. Der Trunkenbold erfuhr seine Identität erst in der dritten. Nacht, wenn er aus seinem Rausch aufwachte … Ah! Das war es! Danach hatte er gesucht! Er erinnerte sich, die wahre Identität des Trunkenbolds schon auf zwei Figuren eingeschränkt zu haben – das war der Beweis! Weiter. Das Liebespaar lebte und starb gemeinsam … wer war das Liebespaar? Wo war die Seherin die ganze Zeit über gewesen? Warum war sie niemals offen aufgetreten? War sie so früh gestorben?

Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas an diesem Spiel. Es war irgendwie … verkorkst. Abgesehen davon …

Als Shikamaru aufstand, richteten sich aller Augen auf ihn, groß wie Teller. Sphinx sah ihn mit einem schmalen Lächeln an. „Ja, Beobachter?“

„Ich will nicht mehr nur Beobachter sein“, sagte er. „Sphinx, lass mich mitspielen. Ich werde diese Runde als Dorfbewohner mitmachen, den letzten Vampir entlarven und das Spiel zu einem Ende bringen.“

„Ho-ho“, machte der Spielleiter und überschlug lässig die Beine. „Soll das heißen, du brauchst keine weiteren Hinweise mehr?“

„Ich habe es gelöst“, sagte Shikamaru. „Ich weiß, wer welche Rolle hat und was in den jeweiligen Nächten im Dorf geschehen ist.“

„Das nenne ich Selbstvertrauen“, meinte Sphinx zufrieden. „Nun, ich habe nichts dagegen. Macht Platz für unseren Detektiv.“

Die anderen rückten gehorsam auf ihren Stühlen zur Seite, damit er sich in ihren Kreis stellen konnte. Nicht einmal Sakon und seine Clique hatten jetzt noch eine spöttische Bemerkung auf den Lippen. In den Augen jedes Einzelnen sah Shikamaru Hoffnung glitzern. Die Hoffnung, dass er es schaffen und sie alle hier fortbringen würde, für immer.

Er atmete tief durch, fühlte sich über beide Beine mit dem Boden verbunden. Mit entschlossenem Blick begegnete er dem von Sphinx. „Vorher habe ich aber noch eine Frage. Ich habe eine konkrete Theorie, mit der ich alles erklären könnte. Aber eine Sache passt nicht ins Bild. Ich weiß nicht, wie die Seherin in meiner Hypothese Platz findet. Du hast doch nicht etwa, was die Karten in diesem Spiel angeht, gelogen, Sphinx, oder?“

Der Spielleiter grinste breit. „Das würde ich niemals tun. Die Frage allein ist schon überflüssig. Ein Spiel kann nicht funktionieren, wenn der Spielleiter lügt. Ich habe in den drei Spielen, die ich mit deinen Freunden gespielt habe, niemals über irgendeinen Umstand gelogen. Natürlich gibt es eine Seherin, und alle anderen Karten, die ich erwähnt habe. Ist es nicht eher ein Beweis, dass deine Theorie doch nicht ganz ausgefeilt ist, wenn du etwas in meiner Konstellation nicht begreifst?“

„Verstehe“, brummte Shikamaru. „Dann lass mich die Frage anders stellen.“ Wieder atmete er tief ein, machte sich eine winzige Notiz auf seinen Zetteln, ließ den Bleistift dann zwischen seinen Fingern tanzen und zeigte mit der Spitze auf den Spielleiter. „Bei diesem Spiel hier – wie viele Spieler spielen in dieser Partie wirklich mit?

Sphinx‘ Grinsen wurde bösartig.

 

„Das wäre somit alles, was ich Ihnen sagen kann. Falls Sie sich noch an etwas anderes erinnern, das für uns von Nutzen sein könnte, melden Sie sich bitte bei mir. Natürlich halten Sie sich bitte auch zu meiner Verfügung.“ Der Kommissar stand auf, schloss seine Aktentasche und reichte Shikamaru eine Visitenkarte. Er war schon im Flur, um sich die Schuhe anzuziehen, als er sagte: „Ach ja, da ist noch etwas, das die Kollegen von der Gerichtsmedizin herausgefunden haben.“

„Ja?“, fragte Shikamaru.

„Möglicherweise könnte es von Bedeutung sein, und vielleicht können Sie uns da auch noch weiterhelfen“, sagte der Kommissar. „Es betrifft eine Ihrer Freundinnen.“

Das Trugbild der Sphinx


 

~ 31 ~
 

Wie bitte – was?“, entfuhr es Kiba. „Shikamaru … was meinst du damit, wie viele Spieler hier mitspielen? Das ist doch klar, wir sind eins, zwei …“ Er zählte rasch die im Kreis Sitzenden durch. „Siebenundzwanzig. Dich nicht mitgerechnet. Und Sphinx als Moderator.“

„Ich glaube aber, dass es in Wahrheit achtundzwanzig sind, mich und Sphinx nicht mitgerechnet.“ Shikamaru ließ den Spielleiter dabei nicht aus den Augen.

„Aber … das wäre doch Betrug, oder?“, fragte Naruto, der vergessen hatte, dass er seit seinem Tod schweigen musste. „Es können doch nicht mehr mitspielen, als hier sind?“

„Völlig korrekt“, sagte Sphinx süffisant. „Alle, die mitspielen, befinden sich in dieser Runde.“

Shikamarus Blick wurde schmal. „Wenn du das so sagst, bringst du mich nur noch mehr zu der Überzeugung, dass meine Annahme stimmt. Sphinx, beantworte mir eine Frage ohne Ausflüchte. Die tatsächliche Anzahl der Spieler – es sind mehr, als ich hier sehen kann, oder?“

Sphinx lachte. Keiner der Versammelten wusste, ob sie ihn während eines Spiels schon mal wirklich lachen gehört hatten – meistens grinste oder lächelte er vielsagend. „Du bist gut. Du bist wirklich gut, Shikamaru. Wenn du die Frage so stellst, führt wohl kein Weg daran vorbei. Vollkommen richtig.“

Mehr sagte er nicht. Shikamaru spürte die fragenden Blicke der anderen und sagte: „Ist euch aufgefallen, dass Sphinx uns nicht gleich von Anfang an gesagt hat, wie viele Spieler dabei sind? Erst am Ende des zweiten Tages hat er uns überhaupt erst gesagt, welche Karten im Spiel sind.“

„Aber kann man daraus nicht schließen, wie viele Spieler es gibt?“, murmelte Ino.

„Nein. Die Anzahl der Vampire und Werwölfe hat Sphinx geheim gehalten. Außerdem gibt es eine unbestimmte Anzahl an Freimaurern.“

„Und trotzdem hast du die richtige Anzahl für alle herausgefunden“, stellte Sphinx fest. „Du hast das Spiel verfolgt und bist zu dem Schluss gekommen, dass es achtundzwanzig Spieler geben muss. Ich applaudiere dir.“

„Du hast uns doch angelogen!“, brauste Naruto auf.

Sphinx‘ Lächeln dünnte aus. „Nicht doch. Erinnert ihr euch nicht mehr? Ich hatte versprochen, das Spiel so trickreich und hart wie möglich zu machen. Seht es als keine Verschleierungstaktik, um Shikamarus Gehirnwindungen herauszufordern.“

„Ich begreife das immer noch nicht“, murmelte Kiba fassungslos. „Wie kann es mehr Spieler geben, als wir hier sehen?“

Shikamaru seufzte. „Ich will das eigentlich nicht enthüllen. Ich denke nämlich, dass es mich nichts angeht. Aber ich schätze, mir bleibt nichts anderes übrig, um euch hier rauszuhauen.“ Sein Blick wanderte durch die Reihen seiner Freunde und blieb schließlich an einer Person hängen. „Tut mir leid, Tenten.“

„Schon okay“, murmelte das Mädchen, das während der ganzen Zeit immer blasser um die Nase geworden war. „Aber ich … will es selbst sagen, ja?“

 

Shikamaru hastete die Teppen des Altbaus hoch. Völlig außer Atem hämmerte er gegen die Tür. „Kiba! Ich bin’s!“

Sein Freund öffnete die Tür. Er sah furchtbar aus; noch verwilderter als sonst. Hinata war ebenfalls hier. Sie saß auf der Couch und blickte ihn über einer dampfenden Tasse Tee an. Er glaubte sich zu erinnern, dass Kiba ihr angeboten hatte, eine Weile bei ihm zu wohnen. In der Wohnung, in der sie erst kürzlich mit Naruto zusammengezogen war, würde sie vor Kummer zerfließen.

„Du schlägst mir ja fast die Tür ein“, stellte Kiba heiser fest. „Was ist so Wichtiges passiert, dass du es mir am Telefon nicht sagen willst?“

Shikamaru drängte sich an ihm vorbei und schloss die Tür, als könnte sie hier jemand belauschen. „Ino ist also nicht bei euch?“

„Sollte sie?“

Shikamaru zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht. Ich hab versucht, sie zu erreichen, aber ohne Erfolg. Ich habe gehofft, sie wäre vielleicht hergekommen.“

„Denkt ihr, es ist ihr was passiert?“, murmelte Hinata ängstlich.

„Passiert?“, wiederholte Kiba schrill. Er roch nach Alkohol. „Seit wir aus diesem beschissenen Hotel draußen sind, bin ich überzeugt, dass uns nie wieder irgendwas passieren wird! Wenn es so etwas wie Karma gibt, dann werden wir hundert Jahre alt! Also, Shikamaru, was wolltest du uns jetzt sagen?“

Schluckend sah er die beiden an. „Ich weiß es jetzt. Die Wahrheit.“

„Alter, was redest du da überhaupt?“ Kiba schüttelte den Kopf und bugsierte ihn zur Couch. „Setz dich mal. Willst du auch einen Tee haben? Oder lieber was Stärkeres?“

„Der Kommissar aus dem Krankenhaus war bei mir.“

„Und?“

„Er hat mir etwas über die … Obduktionsergebnisse gesagt.“

„Darf er das überhaupt?“ Kiba runzelte die Stirn. Hinata hörte aufmerksam zu.

„Was weiß ich.“ Shikamaru nahm die Tasse von seinem Freund entgegen, nur um sie vor sich auf dem Couchtisch abzustellen. „Aber dabei ist herausgekommen, dass …“

„Stopp!“ Kiba unterbrach ihn. „Ich will’s gar nicht wissen, danke. Ist doch schlimm genug, das Ganze, oder?“

„Hör mir zu“, sagte Shikamaru. „Das ändert alles, verstehst du?“

Kiba sah ihn nur finster an, dann seufzte er und bedeutete ihm fortzufahren. „Also, was hat dir dein Kommissar gesteckt?“

Shikamaru senkte die Stimme. „Er hat mir gesagt, dass Tenten schwanger war.“

 

Die Schweigepflicht hielt dieser Verkündigung nicht stand. „Du bist schwanger, Tenten?“, rief Sakura.

„Warum hast du uns das nicht gesagt?“, platzte Naruto heraus, als müsste er so etwas unbedingt als Erstes wissen.

„Herzlichen Glückwunsch, Tenten!“, sagte Lee eifrig.

Deidara gackerte los, als er offenbar verstand, worauf das hinauslief.

„Das ist jetzt kein Scherz, oder? Stimmt es wirklich?“, hakte Sakura nach.

Tenten nickte nur, während das Stimmengewirr lauter wurde. Sphinx sah ihnen mit einer Art gelangweiltem Wohlwollen dabei zu, wie sie ihre Überraschung kundtaten.

Von allen war Neji am erschrockensten. Sein Gesicht war leichenblass, als er kaum hörbar fragte: „Und wer … ist der Vater?“

Tenten starrte ihn mit glühenden Wangen an. „Was fragst du denn so blöd?“, fauchte sie, und er zuckte zusammen.

„Neji? Es ist Neji?“ Narutos Miene hellte sich auf.

„Herzlichen Glückwunsch, Kumpel!“ Kiba, der neben Neji saß, verpasste ihm einen kameradschaftlichen Klaps auf die Schulter.

„Nein, das …“, versuchte Neji abzuwehren. „Das war nicht geplant, wisst ihr, das …“

„Ja“, meinte Tenten gedehnt, „geplant war es wirklich nicht.“

„Hast du es deswegen verheimlicht?“, fragte Sakura.

Tenten sah zur Decke und knetete ihre Finger. „Ich hab nach dem … richtigen Zeitpunkt gesucht, es ihm zu sagen.“ Sie sprach Neji nicht direkt an. „Hier drin kam es mir … falsch vor, wenn ihr versteht.“

„Kann ich nachvollziehen“, meinte Temari.

„Aber – wartet mal, wenn du … in welchem Monat bist du denn?“, fragte Naruto.

„Sei nicht so neugierig“, zischte ihm Sakura zu.

„Ich meine ja nur … Wie lange läuft da schon was zwischen euch? Ich hab überhaupt nichts mitgekriegt!“

„Du würdest es ja nicht mal mitkriegen, wenn sie vor deinen Augen rumknutschen würden“, meinte Sasuke trocken.

„Hey!“

„Ganz so überraschend kommt es nicht“, glättete Ino die Wogen. „Also, dass sie einander mögen, meine ich.“

„Ich frage mich nur …“ Neji fixierte Sphinx mit schmalen Augen. Erst sah es aus, als wollte er das Thema wechseln, doch dann fragte er: „Wie kommt es, dass er davon weiß, und ich nicht?“

„Ich hab’s ihm bestimmt nicht verraten“, murmelte Tenten unglücklich.

„Es war einfach“, sagte Sphinx. „Einfacher, als euch alle herzubekommen. Ich habe schließlich im Vorhinein alles über euch in Erfahrung gebracht. Unsere Tenten hier hat sich einem Gynäkologen anvertraut, der ein nicht ganz perfekt gesichertes Computersystem besitzt. Ich habe nicht lange gebraucht, um an ihre Patientendaten zu kommen. Ich hatte auf ein solches Geheimnis gehofft – eine Trumpfkarte ist in einem Spiel doch immer gut, nicht wahr? Und Tenten hatte die Ehre, meine Schimäre zu sein, mein Trugbild. Bleib sitzen, wir sind noch nicht fertig.“

Doch Neji hörte nicht auf ihn. Er war aufgestanden und zu Tenten gegangen, hockte sich neben sie und drückte ihre Hand. Sie begegnete seinem Blick leidvoll. „Tut mir leid, dass ich’s dir nicht gesagt habe. Es wäre … Ich meine, ich wollte es nicht unnötig kompliziert machen, weißt du? Und es war auch ein Schock … Das hätte nicht passieren dürfen …“

„Aber es ist passiert.“ Neji nahm sie fest in den Arm. „Und es macht gar nichts. Ich freue mich, Tenten. Unser Kind soll … Ich sorge dafür, dass es uns dreien an nichts fehlt.“

Sie lächelte leise und drückte ihn an sich.

„Mir wird gleich schlecht von so viel Gesäusel“, ätzte Sakon.

Gratulationsrufe kamen nun von allen Seiten. Kakashi, der neben Tenten saß, stand auf. „Ich denke, niemand hat etwas dagegen, wenn wir das junge Paar nebeneinander sitzen lassen, oder, Spielleiter?“ Sphinx machte nur eine wegwerfende Handbewegung, und die anderen rückten auf, damit sich Neji auf Kakashis Platz setzen konnte. Er ließ Tentens Hand immer noch nicht los.

Sphinx hüstelte schließlich vernehmlich und lächelte. „Dann wollen wir mal sehen, ob wir das junge Glück überhaupt in die Freiheit entlassen können. Shikamaru, fang an. Zuerst möchte ich wissen, wie du dahinter gekommen bist, dass es Tenten war.“

Shikamaru trat nun in die Mitte des Kreises, und es wurde wieder still in der Runde. Dann sagte er: „Ich wusste, dass es Werwölfe, Vampire und Freimaurer von unbestimmter Zahl gibt. Die Anzahl der Werwölfe war leicht zu erraten – dazu komme ich gleich. Die Freimaurer würde ich auf drei schätzen – ich habe sie ausfindig gemacht anhand der Art, wie sie füreinander abgestimmt haben. Vor allem zu Beginn des Spiels gab es viele Lynchversuche. Die Freimaurer haben natürlich immer zusammengehalten, und wenn einer von ihnen gestorben ist, haben wir erfahren, dass er unschuldig war.

Die Vampire waren tückischer. Ich habe erst angenommen, dass jetzt noch zwei von ihnen am Leben sind. Aber dann hätten andere Figuren früher sterben müssen. Kurz, das Bild, das ich mir von den einzelnen Rollen gemacht habe, hat vorn und hinten nicht zusammengepasst. Mir fehlte ganz klar eine Seherin – die echte Seherin. Ich konnte mir nur vorstellen, dass sie schon früh im Spiel gestorben ist.

Und dann das Liebespaar – ich habe alle Doppelmorde noch einmal in Gedanken durchgespielt. Kakashi und Toto. Asuma, Neji, Kurenai. Tayuya und Shino. Und schließlich Tenten und Kankurou. Wenn ich bei einem der ersten fünf Liebeskummer als Todesursache annehme, fehlt mir im Endeffekt wieder eine Figur. Ich werde gleich sagen, was ich damit meine. Und Shino war zum Zeitpunkt seines Todes einer von zwei Werwölfen. Wäre er in Tayuya verliebt gewesen, hätte er verhindert, dass sie als Opfer gewählt wird. Meine Theorie ergibt nur Sinn, wenn jetzt, am achten Tag, noch ein Vampir, die Zaubermeisterin, ein Freimaurer und der Verfluchte am Leben sind. Auf den Freimaurer bin ich, wie gesagt, durch die Abstimmergebnisse gekommen, und da bin ich mir zu achtzig Prozent sicher. Der Verfluchte ist nicht zu einem Werwolf geworden, weil sonst ein Toter weniger sein müsste. Einen Vampir muss es noch geben, sonst wäre das Spiel längst zu Ende. Und die Zaubermeisterin bleibt laut meinen Berechnungen auch noch übrig.“

Er sah, wie ihm die anderen fragende bis zweifelnde Blicke zuwarfen, und meinte: „Es ist ein wenig wie Sudoku-Lösen. Manchmal muss man eine Zahl irgendwo einsetzen und schauen, wie der Rest damit zusammenpasst. Ich habe dasselbe getan. Von allen Konstellationen macht diese hier am meisten Sinn, auch wenn eine Annahme die nächste bedingt.“

„Aber selbst die wahrscheinlichste Konstellation war dir nicht gut genug?“, fragte Sphinx.

„Genau. Seherin und Liebespaar, das fehlte mir. Da kam mir dann der Gedanke, dass du irgendeinen Trick versuchst. Ein achtundzwanzigster Spieler, der da ist, aber auch wieder nicht. Ein wenig darüber nachgedacht, und man kommt dahinter.“

„Du hast einfach ein Ungeborenes mitspielen lassen“, sagte Temari fassungslos. „Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll …“

Sphinx grinste sie an. „Was habt ihr denn? Es hat sich beim Lynchen jedes Mal seiner Stimme enthalten, das ist wahr. Andererseits wurde es auch nie zum Lynchen vorgeschlagen. Ist das nicht die perfekte Rolle?“

„Zu perfekt“, sagte Shikamaru. „Du konntest diese Scharade nämlich nicht ewig aufrechterhalten. Spätestens am Ende wäre es merkwürdig geworden. Also hast du das Kind mit der Mutter verbunden. Sie beide waren das Liebespaar. Wenn die Mutter ausscheidet, scheidet auch das Kind aus. Nur so konntest du es noch zu einem ordentlichen Spiel hinbiegen. Und das Kind musste eine passive Fähigkeit besitzen. Darum hast du die Karten dieses Mal auch selbst ausgeteilt. Das war nämlich dein wahrer Trick: zwei Fähigkeiten an eine Person zu binden, mit anderen Worten, an Tenten. Das sollte uns verwirren, und das hat es auch.“

Er atmete tief durch. Seine Kehle fühlte sich bereits jetzt trocken an wie Schmirgelpapier, dabei hatte er erst begonnen.

„Letzten Endes hast du dich selbst verraten, Sphinx. Oder eher, ich bin durch dein Verhalten darauf gekommen, dass es Tenten war. Schließlich durftest du nicht lügen. Das hat einmal eine merkwürdige Reaktion deinerseits hervorgelockt.“

Sphinx überschlug die Beine. „Ich höre.“

„Am Ende des zweiten Tages hat Asuma dich gebeten, die Rollen vorzulesen. Da hast du dann zugegeben, dass es noch zwanzig Überlebende gibt. Zu diesem Zeitpunkt hat die Zahl bereits mit den hier Sitzenden übereingestimmt. Das heißt, Mutter und Kind mussten vorher ausgeschieden sein. Diejenigen, die nach dem zweiten Tag tot waren, waren Itachi, Hidan, Kidoumaru, Sakura, Kimimaro, Tenten und Kankurou. Die Einzigen, die also infrage kommen, sind Sakura und Tenten.

Tenten ist am zweiten Tag gestorben, eindeutig durch einen Vampirbiss. Anders kann man knapp vor dem Lynchen nicht sterben. Kankurou ist zwar gleichzeitig tot gemeldet worden, aber er war ja ein Vampir. Die anderen Vampire hätten ihn kaum getötet. Als du Tentens Tod verkündet hast, ist mir dein merkwürdiges Gebaren aufgefallen.“

„Was für ein Gebaren?“, fragte Kiba dazwischen. „Er hat doch nur ganz normal die Tode verkündet, oder?“

Shikamaru schüttelte den Kopf. „Mir ist der Wortlaut seltsam vorgekommen, deswegen habe ich ihn mir gemerkt. Als Sphinx Sakuras Tod verkündet hat, hat er etwas in der Art gesagt, dass sie das Opfer der heutigen Nacht ist. Genauso, wie er es immer tut. Aber als Tenten und Kankurou nach den Nominierungen gestorben sind … da hat er es sich einfach gemacht und gesagt, dass das Dorf bemerkt, dass es noch nicht alle Leichen gefunden hat.“ Shikamaru versuchte, in Sphinx‘ Miene zu lesen, aber es war aussichtslos. „Du hast nie spezifiziert, dass es zwei Leichen sind. Dann hast du uns darauf hingewiesen, dass die Reihenfolge, in der du die Toten verkündest, keine Rolle spielt, und zuerst Kankurou genannt. Kankurou, du bist tot, hast du gesagt. Erinnert sich noch jemand, was er zu Tenten gesagt hat?“

Shikamaru sah erwartungsvoll in die Runde, aber sie blickten nur verwirrt drein. Einzig Sakura kratzte ihre Wange und meinte: „Stimmt, irgendwas war da …“

„Lebensfaden“, sagte Sasuke plötzlich. „Er hat etwas von einem Lebensfaden gesagt.“

„Nicht ein Lebensfaden“, korrigierte ihn Shikamaru. „Sphinx hat mit zwei Fingern auf Tenten gedeutet. Ich schätze, um ihr klarzumachen, dass auch ihr Kind ausgeschieden ist. Dann hat er mit der Hand eine Scherenbewegung gemacht, wie um diesen Hinweis vor uns zu verschleiern, und gesagt: Schnipp-Schnipp, heute werden ja eine ganze Menge Lebensfäden durchgeschnitten.

„Ich bin erstaunt, dass du dich daran erinnerst“, meinte Sphinx amüsiert.

„Verdammter IQ“, hörte Shikamaru Kiba flüstern.

„Rein vom Wortlaut her könnte man meinen, dass du Tentens und Kankurous Lebensfäden meintest, zwei an der Zahl. Tenten hat dann auch noch nachgefragt, ob du sie beide meinst, und du hast gesagt: Ja, ihr seid beide tot. Oder so ähnlich. Ihr beide. Niemand außer Tenten und dir wusste, dass du damit nicht Tenten und Kankurou, sondern Tenten und ihr ungeborenes Kind meintest! Und Tenten musste von da an schweigen. Schlau eingefädelt, das muss ich dir lassen.

Und ich nehme dich noch mal beim Wort. Als du verkündet hast, wer von den Toten Vampir oder Werwolf war, hast du gesagt: Unter den letzten Opfern war nur Kankurou ein Bösewicht. Mit anderen Worten, die anderen Toten waren unschuldig – und wie viele diese anderen sind, die Frage hast du wieder geschickt umgangen.“

Shikamaru atmete tief durch und sehnte sich plötzlich nach einem Sitzplatz.

„Ich glaube dir, dass du als Spielleiter nie gelogen hast. Deshalb hast du es so gespreizt formuliert. Deine Worte bilden ein Schlupfloch, durch das du einen zusätzlichen Spieler einführen und wieder verschwinden lassen konntest. Tenten war die Seherin. Ihr Kind war der Vampirjäger. Das ist eine passive Rolle. Während der Jäger selbst bestimmen muss, wen er mit in den Tod reißt, erschießt der Vampirjäger einfach den Vampir, der am nächsten zu seiner Rechten sitzt. Perfekt für einen Spieler, der gar nicht weiß, dass er mitspielt! Und so“, sagte Shikamaru, „habe ich für jeden eine Rolle gefunden und das Sudoku gelöst.“

„Beeindruckend. Wirklich beeindruckend.“ Sphinx lachte heiser. „Also dann. Wollen wir mal sehen, ob du es auch richtig gelöst hast – und ich akzeptiere nur die richtige Lösung, klar? Keine halbgebackene, die irgendwie Sinn ergeben könnte.“

„Sag mir, wo ich anfangen soll, und ich fange an“, erwiderte Shikamaru grimmig. Nachdem Sphinx so weit gegangen war und Tentens und Nejis Baby, von dem bis dato niemand gewusst hatte, mit in diese Sache gezogen hatte, fühlte er nun plötzlich Kampfeslaune. Er warf einen Blick in die Runde und erkannte seine Gefühle in den Augen der anderen wieder. Sie wollten Sphinx fallen sehen. Ein für allemal.

Eine Wand aus Illusionen


 

~ 32 ~
 

„Gut.“ Sphinx‘ Lächeln teilte sein Gesicht. „Fangen wir am Anfang an. Die heutige Abstimmung des Dorfes heben wir uns als Grande Finale auf.“

 

Es hat alles mit Tenten begonnen, und mit dem Amulett, das sie gefunden hat“, sagte Shikamaru, während die Straßenbahn eine Kurve fuhr und sie sich gegen die Haltegriffe stemmten. Heute war Montag, aber es war kaum jemand im Inneren der Bahn, und sie konnten sich ungestört unterhalten. Shikamaru, Hinata und Kiba waren auf dem Weg zu Ino. Da sie nicht ans Telefon ging, wollten sie persönlich bei ihr vorbeischauen. Hinata hatte wiederholt ihre Sorge bekundet. Jiroubou war schließlich immer noch nicht gefasst worden, und sie befürchtete, dass er mit den Mördern unter einer Decke steckte und sein Werk zuende bringen wollte. Shikamaru gab ihr da Recht.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jiroubou zu dem Jashin-Zirkel gehört“, sagte er. „Es war sein Amulett, das Tenten gefunden hat.“

„Wie kommst du darauf?“, fragte Kiba.

„Tenten, Neji und Sasuke haben das Ding in einer Gasse im Hinteren Bezirk gefunden“, erinnerte Shikamaru ihn. „Dort waren auch frische Blutspuren. Jemand war dort übel verletzt worden – und mit dem Blut blieb das Amulett zurück. Ich habe mir überlegt, was wohl wäre, wenn Sakon der Verletzte aus der Gasse gewesen wäre? Er war schlimm zugerichtet. Und wisst ihr noch, was Tayuya gesagt hat? Sie hat uns am Telefon gefragt, ob wir was über das Amulett wüssten. Es klang so, als hätte Kidoumaru es haben sollen – er hatte es aber nicht.“

„Aber dann hat Kidoumaru das Amulett in der Gasse verloren, nicht Jiroubou“, versuchte Kiba Shikamaru zu folgen.

„Woher sollte Tayuya in erster Linie von dem Amulett wissen? Der Zirkel wird ja nicht hinausposaunen, dass er seine Mitglieder damit ausstattet. Und er stattet sie damit aus, würde ich sagen. Es ist ihr Erkennungszeichen.“

„Schon gut“, seufzte Kiba. „Red einfach weiter, ich hoffe, ich begreife es irgendwann wieder.“

„Erinnere dich an das, was Tayuya und Jiroubou uns im Hotel gesagt haben. Sakon hatte Streit mit Kidoumaru. Und in Jiroubous Namen hat Kidoumaru ihn in diese Gasse bestellt. Er und seine Komplizen haben Sakon verletzt. Shino hat Kidoumaru dann verpfiffen, obwohl sie unter einer Decke steckten – auch wenn ich nur mutmaßen kann, wieso. Tayuya und ihre Gang haben ihn umgebracht. Hätte Kidoumaru einen Grund gehabt, ein Amulett zu erwähnen, von dem die anderen nichts wussten? Nein. Einer der anderen, der wusste, dass das Amulett dort sein würde, hat etwas gesagt.“

„Ich glaube, ich verstehe jetzt“, sagte Hinata. „Entweder Tayuya, Jiroubou oder Sakon hatte das Amulett bei sich. In der Gasse ging es verloren. Kidoumaru wusste nichts davon, als sie ihn fragten, und dann hat Tayuya uns gefragt.“

„Richtig. Und wie verliert man ein solches Amulett am schnellsten? Indem man zusammengeschlagen wird, während man es in der Hand hält. Meine Theorie ist folgende.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, erste Nacht -

 

Die Vorband begann eben zu spielen. Temari vergewisserte sich, dass keiner ihrer Freunde in ihre Richtung sah, ehe sie von ihrem Weg zur Toilette abzweigte und stattdessen beim Ausgang hinausschlüpfte. Hoffentlich entdeckte sie niemand, den sie kannte … Erleichtert stellte sie fest, dass in den Grüppchen, die außerhalb des Twilights warteten, kein bekanntes Gesicht zu sehen war.

Sie hastete um die Ecke. Kidoumaru stand in einer Seitengasse und rauchte gemütlich eine Zigarette. Als er sie sah, nickte er ihr schief grinsend zu, stieß sich von der Wand ab und schlenderte neben ihr her die Straße entlang. Zigarettenqualm wehte zu ihr herüber und sie rümpfte die Nase. Eigentlich hasste sie es, mit Kidoumaru zusammenzuarbeiten. Dennoch wollten sie ihr Vorhaben heute Nacht zu dritt angehen. Das vierte Mitglied ihrer kleinen geheimen Truppe hatten sie gar nicht erst eingeweiht – allzu auffällig sollte die Sache schließlich auch nicht werden. Und Shino wäre vermutlich nicht begeistert von ihrer leichtsinnigen Eskapade, wie er derartige Aktionen immer nannte.

Laut Sakura brauchten ihre anderen Freunde noch länger, um zu dem Lokal zu kommen, und sofern sie nicht leichtsinnig genug waren, das Gewirr an Seiten- und Sackgassen zu betreten, das den Hinteren Bezirk dominierte, würden sie eine andere Straße zum Twilight nehmen.

Das Gassenlabyrinth rund um das Lokal war der perfekte Ort für das, was sie vorhatten. Rings umher gab es mehrere kleine Pubs und Kneipen, aus denen teils rockige, teils volkstümliche Musik trällerte. Betrunkene grölten üblicherweise bereits nach Einbruch der Dunkelheit auf den Straßen und ließen den einen oder anderen Schrei kaum auffallen. Dazu kam, dass die anständige Bevölkerung die Gassen mied wie die Pest, und zwar wegen der weniger anständigen Bevölkerung. Und die scherte sich im Allgemeinen nicht darum, wenn man Knochen in ihrem Revier brach und Blut verspritzte, solange es nicht ihr eigenes war. Kurz, man war quasi meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernt – und Temari würde nach getaner Arbeit trotzdem nur ein paar Minuten brauchen, um zurück ins Twilight und zum Auftritt ihres Bruders zu gelangen.

Das rostrote Hoftor war einen Spalt geöffnet. Ihr Opfer war also schon da. Kimimaro wartete in den Schatten daneben. Seinen Kopf zierte ein Einkaufssack aus braunem Recyclingpapier, in das Löcher für die Augen geschnitten worden waren. Er deutete stumm auf das Tor.

Kidoumaru reichte Temari einen grauen Strumpf, den sie sich über den Kopf zog. „Du siehst beschissen aus“, krähte er.

Sie wartete, bis er sich ebenfalls vermummt hatte, und erwiderte trocken: „Und du siehst plötzlich um einiges besser aus.“

Kimimaro bedeutete ihnen, still zu sein. Sie zwängten sich durch den Torspalt. Kidoumaru fischte einen Schlagstock, wie man ihn aus Polizeifilmen kannte, unter seiner Bomberjacke hervor. Kimimaro war mit einem riesigen Jagdmesser bewaffnet, Temari griff nach dem Butterfly in ihrer Tasche.

Eine einzelne Gestalt lehnte an der bleichen Hofwand. Als Sakon die drei hörte, wandte er den Blick um und strengte sich offenbar an, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. „Jiroubou?“, fragte er. Temari fragte sich, warum er seinen anderen Kumpel erwartete. Kidoumaru hatte sich darum gekümmert, ihn herzulocken. Als sie schweigend nähertraten, versteinerte sich Sakons Miene. Selbst einem Rabauken wie ihm bereitete es Unbehagen, drei Vermummten in diesem Stadtteil gegenüberzutreten. „Scheiße, wer seid ihr?“, ächzte er. Seine Hand fuhr zu seinem Gürtel. Temari sah etwas Metallisches im Mondlicht aufblitzen, als Kidoumaru wie ein Pfeil auf ihn zuschoss.

Der Gummiknüppel traf Sakon mitten ins Gesicht und ließ seinen Hinterkopf gegen das steinerne Mauerwerk donnern. Gurgelnd stolperte Sakon vorwärts und auf die Knie. Er spuckte Blut, wenn auch keine Zähne – noch nicht. Kidoumaru packte ihn am Jackenkragen, zog ihn kraftvoll auf die Beine und stieß ihn wieder gegen die Wand.

„Verdammt, was …“ Sakons genuschelte Worte gingen in einem Stöhnen unter, als Kidoumaru ihm kraftvoll das Knie in den Unterleib rammte. Temari fragte sich, ob sie überhaupt etwas zu tun bekommen würde. Ihr Partner schien ganz gut allein zurechtzukommen.

Es war ohnehin eine persönliche Angelegenheit, hatte Kidoumaru gesagt. Irgendeine Unstimmigkeit zwischen Sakon und ihm. Wahrscheinlich wusste auch Kimimaro, worum es ging. Hätte eine Grundregel in ihrem Quartett nicht besagt, dass alles, was einen von ihnen betraf, auch die anderen etwas anging, wäre sie gar nicht mitgekommen.

Sakon taumelte und brach zusammen, als Kidoumaru ihn losließ. Der Schlagstock hatte ihn mehrmals am Kopf getroffen und die Wand hinter ihm war bereits blutverschmiert. Keuchend und würgend krümmte er sich am Boden. „W-warte“, brachte er hervor. Mit zittriger Hand holte er etwas aus seine Hosentasche hervor, doch es war keine Waffe, sondern ein Amulett, das im Mondschein glitzerte. Trotzdem sah es wertlos aus. „Ji-Jiroubou … Da hast du es … Das war nur ein Scherz, okay?“

Offenbar hatte der Schmerz seine Sinne benebelt. Anhand ihrer Statur müsste Sakon doch sehen, dass keiner der drei Angreifer Jiroubou sein konnte. Kidoumaru sagte auch jetzt nichts. Er trat wuchtig auf Sakons ausgestreckte Hand, dass die Knochen knirschten und Sakon aufstöhnte, dann versuchte er ihn mit der Schuhspitze auf den Rücken zu drehen. Als das nicht funktionierte, trat er ihm gegen die Rippen, bis Sakon sich freiwillig herumrollte. Schließlich gab der Rädelsführer der heutigen Nacht Kimimaro ein Zeichen.

„Scheiße … was wollt …“ Was Sakon sagen wollte, ging auch dieses Mal in einem erstickten Schrei unter, als Kimimaro ihm sein Messer in die Magengegend rammte. Sakon riss die Augen auf, seine Lippen zitterten – und ehe er einen Schrei ausstoßen konnte, traf Kidoumarus Knüppel ihn ein letztes Mal am Kopf und schickte ihn ins Reich der Träume.

Temari überprüfte mit den Schuhspitzen, ob er auch tatsächlich ausgeknockt war, dann zog sie sich seufzend den Strumpf vom Kopf. Ihre Zöpfe würde sie neu binden müssen. Naserümpfend besah sie sich das Werk ihrer Kollegen.

„Gute Arbeit“, sagte Kimimaro gedämpft unter seinem Papiersack und schickte sich an, zu gehen. Sein Messer hatte er an der Kleidung seines Opfers abgewischt.

„Wollt ihr ihn etwa hier liegen lassen?“, fragte Temari stirnrunzelnd.

„Es sollte ja nur ein Denkzettel werden“, sagte Kidoumaru und fügte lachend hinzu: „Auch wenn er wahrscheinlich nicht weiß, wofür.“

„Er wird hier trotzdem verbluten“, sagte Temari. Sie hatte in ihrer Zeit bei dem Quartett genug hässliche Sachen gesehen, um zu wissen, dass mit Bauchwunden nicht zu spaßen war.

„Soll er. Ist mir auch recht.“ Kidoumaru zuckte die Achseln. „Hast du nicht noch was zu erledigen?“

Temari gab die Diskussion mit ihm auf. Im Grunde war es ihr ja herzlich egal, wie es mit Sakon weiterging. Sie verließen den Hof keine drei Minuten, nachdem sie ihn betreten hatten. Ohne ein Wort des Abschieds gingen sie alle drei ihrer Wege. Temari versuchte im Eilschritt ihre Frisur in Ordnung zu bringen. Im Twilight würde sie trotz allem einen Sprung auf die Toilette machen müssen. Sie brauchte dringend einen Spiegel.

Zurück im Lokal stellte sie fest, dass die Vorband ihr Gegröle noch nicht zuende gebracht hatte. Ausgezeichnet. Sie zwängte sich an die Bar und schrie dem nächstbesten Barkeeper eine Bestellung in die Ohren. Die drei männlichen Gäste, die vor ihr dran waren, wurden dabei einfach übergangen – manchmal zahlte es sich eben aus, unverschämt gut auszusehen.

Diejenigen, die sich darüber aufregten, waren dann meistens die, die sich ebenfalls aufgrund ihres Aussehens für berechtigt hielten, sich vorzudrängeln. Wie der Typ neben ihr, der in seine Haarpflege sicherlich mehr Zeit und Geld steckte als Temari selbst. „Bist du sicher, dass du vor mir dran warst?“, fragte er grinsend, schreiend laut, um die Musik zu übertönen. Hier hinten ging es einigermaßen.

„Ziemlich“, rief sie knapp zurück. Dann kam ihr eine Idee. „Wenn du willst, bestell ich dir aber was mit. Wenn du ganz kurz hier für mich die Stellung hältst, während ich mich hübsch mache.“ Sie deutete in Richtung der Toiletten und klimperte mit den Wimpern. Hoffentlich klang sie nicht zu arrogant. Manchmal konnte sie den Sarkasmus nicht gänzlich aus ihrer Stimme vertreiben.

Der blonde Typ schien es ihr jedoch abzukaufen. „Klar, mach ich gerne. Lass dir nur Zeit.“

„Dauert nicht lange.“ Sie schenkte ihm ein möglichst breites Lächeln und huschte auf die Damentoilette. Der Spiegel in diesem Dreckspub hatte einen breiten Riss, aber sie schaffte es, ihre Zöpfe so weit wiederherzustellen, dass sie nicht völlig ungewöhnlich aussahen. Anschließend frischte sie ihr Make-up ein wenig auf und beeilte sich, zur Bar zurück zu kommen.

Das Licht war immer noch nicht wieder an, aber die Musik war schließlich verstummt. Der langhaarige Blonde wartete tatsächlich vor einem Tablett mit acht Getränken. Ein neuntes hielt er in der Hand. „Alles schon bezahlt, hm“, verkündete er grinsend.

„Oh. Wäre aber nicht nötig gewesen.“

„Ich weiß.“

Temari hatte das dunkle Gefühl, den Typen jetzt an der Backe zu haben. „Na dann“, sagte sie und nahm mit einer reschen Geste das Tablett. „Vielen Dank.“

„Hey, warte! Und das war’s jetzt?“, rief er ihr verblüfft hinterher.

Sie rollte mit den Augen. „Klar. Hast du was anderes erwartet?“

Seine eine Augenbraue, die man sehen konnte, wanderte empor. „Hm. Eigentlich schon. Wir haben kaum drei Worte gewechselt.“

„Tja, Pech gehabt“, sagte sie schnippisch und beeilte sich, zu ihren Freunden zurückzukommen.

 
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag -

 

„Aber wenn Sakon es war, der zusammengeschlagen wurde, warum haben Tenten und die anderen dann das Blut, aber nicht ihn selbst gesehen?“, fragte Hinata.

Auch dafür hatte Shikamaru eine Erklärung, die sich perfekt mit den Erzählungen seiner Freunde deckte.

 
 

- Der Hintere Bezirk, erste Nacht -

 

Es war Zufall, dass sie und Jiroubou an jenem Abend jemanden in dem Altbau aufmischen wollten. So ein Kerl, der den Nerv besessen hatte, ihre Gang vorgestern auszurauben, sollte heute seine wohlverdiente Abreibung erfahren. Jiroubou war vor zwanzig Minuten mit seinem Motorrad zum Bandentreff gekommen und hatte eine gelangweilte Tayuya vorgefunden, die mit Dartpfeilen die Zeit totschoss. Als sie erfuhr, dass er die Adresse des Typen herausgefunden hatte, war sie sofort in den Beiwagen gesprungen und Jiroubou war zu dem Wohnblock gerast – und Scheiße nochmal, sah sein massiger Leib dämlich aus auf der schlanken Maschine!

Sie waren bis in den dritten Stock hochmarschiert – einen Fahrstuhl gab es nicht – und hatten dabei sicher genug Schimmel eingeatmet, um ihr Leben um drei Jahre zu verkürzen, bis sie vor einer simplen, bemalten Holztür standen, die Jiroubou mit seiner Schulter aufsprengen wollte. Tayuya hielt ihn zurück und versuchte es zunächst auf herkömmlichem Wege: Sie drückte die Türklinke nach unten und war erstaunt, als das wertlose Stück Holz sich tatsächlich öffnen ließ.

Die Wohnung war ebenso winzig wie leer. Dieser vermaledeite Kerl hatte sich aus dem Staub gemacht und die paar Kröten, die die Bande vorgestern bei sich gehabt hatte, natürlich mitgenommen! Mehr pro forma riss Tayuya die Schubladen des einzigen Schrankes heraus, während Jiroubou die Matratze vom Bett hob. Nichts.

„Sicher, dass er hier wohnt?“, fragte sie.

„Gewohnt hat“, brummte er.

„Ach nein.“ Sie hob die Jalousien des Fensters, um nach draußen zu spähen. Das Gebäude grenzte an einen kleinen Hof, vielleicht erwischte sie den Dieb noch, während er seine Harley startklar machte oder so.

Stattdessen sah sie im Mondlicht jemanden dort liegen. Erst kam Häme in ihr hoch – sicher wieder ein Idiot aus besseren Kreisen, der nicht wusste, dass man diesen Stadtteil besser mied –, dann erkannte sie ihn und stieß einen wüsten Fluch aus.

„Was ist los, Tayuya?“, fragte Jiroubou.

Sie gab keine Antwort, sprang regelrecht zur Tür hinaus und sprintete alle drei Stockwerke wieder hinunter, fand die Hintertür, in der sogar der Schlüssel steckte, sperrte auf und stürzte auf den Hof hinaus.

„Sakon? Scheiße, was ist los?“ Tayuya rannte zu der zusammengekrümmten Gestalt, die nahe der Wand im Hof lag. Es war eindeutig Sakon – und er sah übel aus. Schlimmer noch als übel; in seinem Bauch klaffte eine gewaltige Stichwunde. Wäre er nicht ohnmächtig, hätte er sicher schon den halben Bezirk zusammengeschrien.

„Oh Scheiße, verdammte!“ Tayuya strich sich fahrig durch die Haare. Sie fühlte seinen Puls und stellte erleichtert fest, dass er noch lebte. Sie sah hoch zu der Wohnung, aus der Jiroubou seinen fetten Arsch sicherlich noch nicht entfernt hatte, entschied sich aber dazu, nicht zu rufen. Er würde schon kommen. Wer auch immer Sakon so zugerichtet hatte, war vielleicht noch in der Nähe.

Sein Gesicht schwoll langsam an. Er stöhnte etwas, aber er fantasierte sicher im Halbschlaf. Tayuya fasste in ihre Hosentasche und förderte ein paar farblose Pillen zutage. Sie waren eigentlich für den Eigengebraucht gedacht – zur Entspannung. Drei davon, und Sakon würde mindestens die Nacht durchpennen. Sie tat ihm sicher einen Gefallen damit. Tayuya stopfte ihm die Tabletten in den blutigen Mund und spülte sie mit Wasser aus ihrem Flachmann hinunter. Den hatte sie immer mit dabei. Tayuya brüstete sich damit, ebenso trinkfest zu sein wie die Jungs, aber sie hatte beschlossen, die Nachwirkungen solcher Dämlichkeiten wie Trinkspielen oder Sauforgien so klein wie möglich zu halten, und jeder Tropfen Wasser zwischen zwei Gläsern war Gold wert.

„Ich schwör’s dir, wenn du mir hier abkratzt, bring ich dich um“, zischte sie Sakon zu. Sie sah sich um. Wo blieb nur Jiroubou? Kurzerhand zerschnitt sie mit ihrem Taschenmesser Sakons Kleidung, die schon vollgesogen war mit Blut. Die Wunde sah scheußlich aus. Tayuya bearbeitete auch sein Hosenbein und band beides so fest es ging um Sakons Bauch. Fürs Erste konnte sie nicht mehr tun. Im Bandenversteck hatten sie einen Erste-Hilfe-Kasten und ein paar andere Dinge, und außerdem lebte dort ganz in der Nähe ein in Verruf gekommener, aber fähiger Arzt. Sie zerrte Sakon in die Höhe – er war zum Glück der schmalste der Jungs aus ihrer Clique. Da Jiroubou keine Anstalten machte aufzukreuzen, schleppte sie Sakon allein zur Hintertür. Auf halbem Weg stieß Sakon einen leisen Schrei aus, die Augen noch geschlossen. Hoffentlich wirkten die Pillen, ehe er wieder zu sich kam. Das Theater, das andernfalls folgen würde, wollte Tayuya nicht miterleben. Sie zerrte ihn durch den Flur und dorthin, wo Jiroubou sein Motorrad geparkt hatte.

 
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag -

 

„Das Amulett gehörte Jiroubou. Sakon hat es ihm geklaut – ich schätze, das ist nicht unüblich bei Straßenbanden aus dem Hinteren Bezirk. Dann bestellt Kidoumaru Sakon in diese Gasse, in Jiroubous Namen, wohlgemerkt. Wir kennen ja sogar schon Kidoumarus Mitstreiter. Es waren mindestens drei, die ihn angegriffen haben, hat Sakon gesagt, und wer wollte sich für Kidoumarus Tod an uns allen rächen? Richtig, Temari, Gaara, Shino und Kimimaro waren diejenigen, die Sakura entführt und uns in das Hotel gelockt haben.

Aber weiter im Text: Sakon hat das Amulett bei sich und merkt, dass er bedroht wird. Er will es herausgeben, aber Kidoumaru verprügelt ihn wegen einer anderen Sache – nämlich wegen diesem Mädchen. Seine anderen Freunde finden Sakon schließlich und bringen ihn fort, aber das Amulett bleibt im Gras liegen, und Tenten hebt es auf.

Schließlich wird Kidoumaru enttarnt. Jiroubou will sein Amulett zurück. Er weiht die Gang so weit ein, dass sie wissen, dass es ihm gehört. Kidoumaru weiß jedoch nichts davon. Tayuya zieht die richtigen Schlüsse und fragt uns. Und Tenten hat uns nach dem Telefonat gestanden, es an sich genommen zu haben.“

„Jetzt wo du es sagst, sie hat davon geredet, dass sie jemand in der Gasse beobachtet hat – und dass Neji gerade da ihren Namen gerufen hat“, fiel Hinata ein und ihre Miene trübte sich sofort wieder, als sie ihren Cousin erwähnte.

„Richtig“, sagte Shikamaru. „Und darum hatten es dann nicht nur Shino und seine Typen auf uns abgesehen, sondern auch die Jashinisten. Wir wussten von dem Amulett, und die Straßengang wusste auch von dem Amulett. Und Jashin braucht sowieso ständig Opfer. Sasori und Kankurou waren bei dem Konzert – aber da die Straßengang Sakon gefunden haben muss, ehe Tenten, Sasuke und Neji die Gasse erreicht haben, ist es naheliegend, dass Jiroubou selbst sie beobachtet hat. Von der Straßengang kann sonst niemand, der mit uns im NeoMetropolis war, ein Jashinist gewesen sein; bei keinem der Toten hat die Polizei ein Amulett gefunden.“

 

„Die erste Nacht“, sagte Sphinx. „Itachi ist gestorben.“

„Itachi ist der Geist.“

„Eindeutig“, grinste Sphinx. „Nichts und niemand kann den Geist davor retten, in der ersten Nacht den Löffel abzugeben. Aber warum haben sonst alle überlebt?“

„Das einfachste aller Szenarien. Die Werwölfe haben jemanden als Opfer gewählt, die Hexe hat das erfahren und es geheilt. Ich weiß nicht, wen es erwischen sollte, und ich kann auch unmöglich darauf kommen, also ist es für unser Spiel nicht notwendig. Richtig?“

„Richtig.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, erste Nacht -

 

Nachdem Tayuya Hals über Kopf davongestürzt war, warf Jiroubou einen Blick in den Hof, um zu sehen, was sie so erschreckt hatte. Eine dicke Wolke hatte sich jedoch vor den Mond geschoben, und so lag der Innenhof fast gänzlich im Schatten. Er meinte zu hören, wie irgendwo heftig eine Tür aufgerissen wurde, dann kam Bewegung in die Finsternis dort unten. Tayuya war also schon draußen.

Jiroubou seufzte. Sollte er jetzt etwa wieder drei Stockwerke nach unten trampeln, um nachzuschauen, welches Gespenst sie schon wieder gesehen hatte? Sie waren wegen eines Gauners hergekommen, verdammt!

Oder lauerte jener ihnen dort unten auf?

Der Gedanke, einmal in seinem Kopf festgesetzt, ließ ihn nicht mehr los. Es passte zu Tayuya, den Kerl zu verfolgen, ohne ein Wort zu verlieren. Und der Typ hatte sie schon einmal übertölpelt, und da waren sie zu fünft gewesen. Tayuya verlor gern mal den Kopf und bildete sich ein, gegen alles und jeden bestehen zu können. Jiroubou wusste, dass sie auch ein Messer dabeihatte, aber trotzdem. Er seufzte erneut. Also blieb es mal wieder an ihm hängen, den kühlen Kopf zu spielen. Hier irgendwo musste es eine Feuerleiter geben. Wenn er die nahm, könnte er in den Hof hinunterklettern und gleichzeitig überprüfen, ob ihnen da nicht jemand eine Falle stellte.

Der Balkon war von dem winzigen und ebenso penibel wie der Wohnraum leergeräumten Schlafzimmer zu erreichen. Jiroubou musste ein wenig an der Balkontür arbeiten. Der Plastikhebel, der sie versperrte, war verbogen und klemmte. Jiroubou musste behutsam sein; mit zu viel Gewalt würde er wohl erstens zu viel Lärm machen, zweitens die Tür vielleicht dauerhaft versiegeln. Als er den tückischen Hebel endlich weit genug zur Seite gebogen hatte, juckten ihn Schweißperlen auf seinem spärlich behaartem Kopf.

Vorsichtig schob er sich auf den Balkon, der nahtlos in die Feuerleiter überging. Als er den ersten Schritt getan hatte, ertönte von unten ein Ruf.

„Tenten!“

Jiroubou duckte sich hastig und spähte durch die rostigen Geländerstäbe in den Hof hinunter. Schritte wurden laut. Immer noch sah er nichts als dräuende Schatten dort, aber die Wolke, die den Mond verdeckte, verzog sich schließlich. Jiroubou verharrte auf seinem Aussichtspunkt. Tayuya war nirgends mehr zu sehen, dafür drei andere Personen, junge Erwachsene, der Kleidung nach. Ein Mädchen stand im hellen Lichtschein, zwei Jungen kamen eben aus der Gasse, die in den Hinterhof mündete. Einer von ihnen hatte wohl ihren Namen gerufen.

Und wo war Tayuya hingekommen? Die drei wirkten nicht gefährlich, eher so, als wären sie zufällig hergekommen. Sie sprachen miteinander, aber Jiroubou verstand nur zusammenhangslose Wortfetzen. Dann hob das Mädchen etwas vom Boden auf, auf dem kurz Mondlicht glitzerte – und dann sah sie direkt zu ihm hoch und stieß einen Schrei aus. „Da … da oben!“

Die Jungen folgten ihrem Blick. Zeit, zu verschwinden. Tayuya war sicher längst wieder im Haus. Jiroubou huschte durch die Balkontür, so schnell es sein Körperbau erlaubte, und machte sich auf den Weg nach unten.

Tayuya begegnete er nicht etwa im Treppenhaus, sondern auf der Straße bei seinem Motorrad. Als er die Person im Beiwagen sah – die mehr dort drin lag als saß –, zuckten seine Augenbrauen. „Scheiße, wo warst du so lange, Lahmarsch?“, fuhr Tayuya ihn an.

Er verzichtete ausnahmsweise auf eine Antwort und starrte stattdessen Sakon an. „Sieht ja übel aus.“

„Ach nein. Schwing dich auf deine Maschine und bring ihn in unser Versteck. Ich komm zu Fuß nach.“

Jiroubou nickte. Sakon würde ihm hoffentlich dankbar sein. Schließlich hatte er etwas, das Jiroubou gehörte.

 

„Das war noch nicht alles“, sagte Shikamaru. „Tenten ist die Seherin. Sie wurde in der nächsten Nacht von den Vampiren ausgewählt. Ein großer Zufall – oder doch nicht? Sie wurde in der ersten Nacht von der Zaubermeisterin erkannt, die zu den Vampiren hält! Jiroubou.“ Er deutete auf den Dicken, der noch im Spiel war. „Ich erkläre, wie ich darauf komme. Die Vampire kennen die Zaubermeisterin und umgekehrt. Sie arbeiten schließlich zusammen. Die erste Person, die Jiroubou im ganzen Spiel nominiert hat, war Tenten, am ersten Tag. Ohne Grund, wie er sagte. Für uns nichts weiter Bedeutsames; immerhin haben alle zu der Zeit wahllos nominiert. Aber die Vampire erkennen die Botschaft dahinter: Tenten ist die Seherin, also tötet sie so schnell wie möglich. Und so geschah es.“

„Ein gewagter Schluss“, stellte Sphinx fest.

„Er passt in das Gesamtbild, sonst wäre ich nicht so zuversichtlich“, gab Shikamaru zu. „Und bei der Gelegenheit offenbare ich gleich die Hexe: Tayuya. Darauf bin ich gekommen, als sie und Shino gleichzeitig in der fünften Nacht gestorben sind. Tayuya wollte ihn schon am Tag hinrichten, aber Lee hat sich dazwischengeworfen. Also hat sie ihn mit dem Gifttrank vernichtet, als sie erfahren hat, dass die Werwölfe sie als nächstes Opfer ausgewählt haben.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag -

 

„Und hast du diese Schlussfolgerungen dem Kommissar auch schon erzählt?“, fragte Kiba, als sie umstiegen und sich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Station machten.

„Das meiste“, sagte er ausweichend. „Den Rest könnt ihr euch denken. Weil wir mit schuld sind, dass Kidoumaru gestorben ist, wollen seine Kameraden – sie haben sich der Gang als Wolves vorgestellt, wenn ihr euch erinnert – sich an uns rächen. Sie entführen Sakura, bringen sie ins NeoMetropolis und töten sie. Dazu sind sie wahrscheinlich auch irgendwie durch das kaputte Fenster eingestiegen. Sie bereiten die Leuchtpfeile vor, schalten den Notgenerator ein, damit sie das Garagentor öffnen können, und bringen Sakuras Leiche in die Umkleidekammer.

Die Straßengang wird schließlich auch ins Hotel bestellt. Sasori kriegt Wind davon und kreuzt mit seinem Bekannten Deidara auf. Vermutlich hat er ihm erzählt, sie beide würden wegen der Sache im La Grande erpresst werden. Ihr erinnert euch, dass sie mit der Polizei nichts zu tun haben wollten? In Wahrheit wusste Sasori, dass er im Hotel viel mit Deidara unterwegs sein würde, und er wollte ihn wohl als Sündenbock und für Alibis missbrauchen, wie er es dann im siebten Stock getan hat. Und wenn er für ihn keinen Wert mehr gehabt hätte, hätte er ihn sicher Jashin geopfert.

Toto folgt der Gang, Kakashi folgt Naruto, Asuma folgt Chouji und mir. Sasori und Deidara kommen übrigens, abgesehen von den Wolves, als Erstes im Hotel an. Wir kommen nach, und Kimimaro zertrümmert den Kontrollraum für die Garage. Indessen stößt Sasori Kakashis Leiter um. Kimimaro verklebt später noch die Hintertür. Somit sitzen wir alle fest. Shino trägt einen Handy-Störsender bei sich, den er in einem unbemerkten Moment einschaltet. Die Jashinisten haben wohl gehofft, ganz normal durch die Garage zu entkommen, oder sie wussten von dem Störsender und wollten ihn auch finden. Die Wolves hätten das Ding ganz einfach nach getaner Arbeit deaktiviert, einen Bekannten angerufen und wären so irgendwie freigekommen. Ihren Helfer hätten sie womöglich auch noch getötet.“

„Und dann haben die Morde begonnen“, sagte Kiba düster. „Ich glaube, jetzt kann ich dir wieder folgen. Aber was hat das alles jetzt mit Tentens Schwangerschaft zu tun? Du hast gesagt, das wäre wichtig.“

„Ist es auch.“ Die U-Bahn fuhr in die Station und sie stiegen ein. „Lass mich erst ein anderes Rätsel lösen. Sasuke.“

„Er ist einfach nur ein Psychopath“, schnaubte Kiba.

„Es steckt mehr dahinter. Sasuke hat, als wir im La Grande waren, erfahren, dass sein Bruder tot ist. Laut dem Kommissar hat er nicht akzeptieren wollen, dass es ein natürlicher Tod war. Er hat mit seinem Smartphone Akten von Itachi fotografiert, die mit einer Jashin-Sekte zu tun hatten. Ich glaube, Sasuke wollte Itachi rächen, und als im NeoMetropolis ein Ritualmord passiert ist …“

„Naruto hat gesagt, Sasuke hätte etwas von ihm wissen wollen“, steuerte Hinata bei, während sie durch einen Tunnel fuhren. „Ich habe halb geschlafen, als das passiert ist, aber ich glaube jetzt mich zu erinnern, dass es um Sasori ging.“

„Da war er nahe dran“, meinte Kiba grimmig.

„Aber er hat die Situation verkannt“, sagte Shikamaru. „Hat er je etwas gegen Sasori unternommen? Nein. Die beiden, die Sasuke erschießen wollte, waren Gaara und Shino.“

„Auch beide schuldig“, sagte Kiba.

„Schon, aber sie waren keine Jashinisten. Shino hatte den Störsender – er gehörte zu den Wolves. Vergesst nicht, dass in diesem Hotel mehrere Gruppen gegeneinander gekämpft haben. Und Gaara hat mit Shino zusammengearbeitet. Sasori hat die beiden ja sogar attackiert. Keine Chance, sie steckten nicht unter einer Decke. Sasuke hat irgendetwas missverstanden. Ich habe den Kommissar gebeten, mir die Fotos auf Sasukes Handy zu zeigen. Ich glaube, ich kann mir in etwa zusammenreimen, warum Sasuke so gehandelt hat.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, dritte Nacht -
 

(3:35 Uhr, zweiter Stock, Lounge)

Sasuke ging wieder und wieder die Fotos durch, die er von Itachis Akten geschossen hatte. Vielleicht war es vergebene Liebesmüh. Wenn sein Bruder, das Genie, keinen Hinweis darin hatte finden können, wie sollte es ein Laie wie Sasuke? Außerdem hatte sich ein hämmernder Schmerz zwischen seinen Schläfen breitgemacht, und er fühlte sich fiebrig. Seine Augen taten bereits von dem beständigen Starren auf seinen Handybildschirm weh. Dennoch war es besser, als gar nichts zu tun.

Er wischte das nächste Foto herbei und stutzte plötzlich. Es handelte sich um den Ausschnitt eines Gerichtsprotokolls. Ein Verdächtiger war vorgeladen worden, weil Zeugen ihn an einem Tatort erkannt haben wollten. Der Name des Angeklagten hatte Sasuke bis vor kurzem nichts gesagt … Aber jetzt war jemand aufgetaucht, der genauso hieß. Er tippte Naruto an, der wieder auf seinem Platz saß, händchenhaltend mit Hinata, und am Einnicken war, und fragte ihn alles, was dieser über ihn wusste.

Danach grübelte er weiter. Sasori war also verdächtigt worden, zu der Jashin-Sekte zu gehören, die Itachi kurz vor seinem Tod gejagt hatte. Genauere Untersuchungen hatten ergeben dass er unschuldig war. Die DNA-Spuren vom Tatort gehörten nicht zu ihm, er hatte überhaupt keine Verbindung zu dem Opfer und sein Verteidiger hatte außerdem ein Alibi beweisen können. Selbst Itachi hatte, laut eigener Notizen, an seine Unschuld geglaubt. Sasuke hielt es zwar für einen unwahrscheinlichen Zufall, dass Sasori ihm gerade hier über den Weg lief, wo ein weiterer Jashin-Mord geschehen war, aber da war etwas, das ihn störte. Und das waren die Zeugenaussagen, die ihn überhaupt erst in Verdacht gebracht hatten.

Zwei Zeugen stimmten darin überein, dass ein nicht allzu groß gewachsener, rothaariger Mann am Tatort gesehen wurde; allerdings nur von hinten. Erst ein dritter Zeuge hatte den Hinweis geliefert, dass es sich um diesen Sasori gehandelt haben sollte. Dieser dritte Zeuge war anonym geblieben und vermummt bei der Gerichtsverhandlung erschienen, was anscheinend schon im Vorfeld der Verhandlung Probleme verursacht hatte. Erst als Itachi und der Staatsanwalt beide seine Identität geprüft hatten, war es ihm erlaubt worden, auszusagen. Itachi hatte eindeutig seine Beziehungen spielen lassen, um die Verhandlung zu ermöglichen – und dann hatte der Zeuge laut Protokoll nur gemeint, er hätte mit ziemlicher Sicherheit Sasori gesehen, wäre aber nicht hundertprozentig sicher. Im Endeffekt hatte es tatsächlich nicht gereicht, Sasori zu verurteilen.

Der Zeuge war mit falschem Namen in das Protokoll übernommen worden, aber Itachi bezeichnete ihn schon vorher in seinen Notizen als Zeuge Djomp S. Sasuke hatte schon den ganzen Tag über versucht, diesen offensichtlich verschlüsselten Namen zu dechiffrieren, aber erst jetzt, als er Shikamaru an diesem Notebook arbeiten sah, war bei ihm der Groschen gefallen.

Wenn man den Namen auf einer gewöhnlichen Tastatur schrieb und dabei bei jedem Buchstaben jeweils die Taste links davon drückte, wurde aus dem Namen nichts anderes als Shino A. Und mit einem Mal fand Sasuke es nicht einmal mehr seltsam, dass der mysteriöse Zeuge vermummt bei der Verhandlung erschienen war.

Die Zahnräder in Sasukes Kopf ratterten. Shino. Er hatte ihn nie sonderlich gemocht. Auch heute tat er, als wäre er ein großer Detektiv. Bisher war seine Beweisführung stichhaltig gewesen. Warum hatte er dann damals einen solchen Blödsinn verzapft?

Ein weiterer Blick in die Runde gab Antwort. Fast hätte Sasuke aufgelacht. Es gab noch jemanden in ihrem Bekanntenkreis, auf den die Beschreibung nicht allzu groß gewachsener, rothaariger Mann zutraf. Jemand, den Shino vielleicht gedeckt hatte. Und der noch dazu Sasori kannte und daher wusste, dass er ihm zumindest nicht unähnlich sah.

Shino und Gaara. Diese Theorie braute sich in Sasukes pochendem, schwummrigem Kopf zusammen. Wenn sie stimmte, steckten die beiden unter einer Decke. Offiziell kannten sie sich kaum, also musste inoffiziell mehr laufen. Und hätte Shino die ganze Scharade auf sich genommen, wenn Gaara nicht wirklich etwas auf dem Kerbholz hätte? Mit Sicherheit nicht. Das ließ ihn vermuten, dass die beiden zu dieser ominösen Sekte gehörten. Und wenn jemand Itachi aus dem Weg räumen wollte, dann die Sekte. Kalte Wut kochte in Sasuke hoch.

Itachi, an einem natürlich Tod gestorben? Nie und nimmer.

Und hier waren zwei angebliche Freunde von ihm, die vielleicht damit zu tun hatten. Im Angesicht des Todes wog selbst ein Vielleicht viel. Und das Hotel war von der Außenwelt abgeschnitten und bereits mit Leichen übersät. Sasuke ballte die Fäuste und biss die Zähne gegen den Kopfschmerz zusammen. Die perfekte Bühne für einen Racheakt.

 

„Weiter. Die zweite Nacht“, sagte Sphinx.

„Die Werwölfe töten Sakura, die Vampire wählen Tenten. Tagsüber hat sich Shino schon als Seherin aufgespielt. Darum glaube ich, dass er in dieser Nacht bereits vom Leibwächter beschützt wurde – aber solche Kleinigkeiten sind total willkürlich und irrelevant, oder?“, fragte Shikamaru.

„Leider“, grinste Sphinx. „Ich hätte gern gesehen, wie du dir den Kopf darüber zerbrichst.“

„Weiter im Text. Kimimaro wurde am zweiten Tag gelyncht. Er war das Wolfsjunge, darum durften die Werwölfe in der dritten Nacht zwei Opfer töten. Gaara war die Doppelgängerin. Nach Kimimaros Tod erfuhr er, dass er das Wolfsjunge kopiert hat. Darum gibt es wieder mehr als ein Opfer in der vierten Nacht, nachdem Gaara gelyncht wurde.“

„Mich würde interessieren, wie du darauf kommst. Lehnst du dich nicht etwas weit aus dem Fenster?“, fragte Sphinx gedehnt.

„Nein. Es lässt sich mit zwei Sudokureihen und einem Sudokufeld erklären, die sich nur lösen lassen, wenn sie sich auf genau diesem Feld überlappen, für das das Wolfsjunge steht. Sehen wir uns noch einmal an, wann nachts mehrere Spieler gleichzeitig ausgeschieden sind. Tenten, Kankurou und Tentens Kind sind tagsüber ausgeschieden, außerdem lag hier eindeutig ein Vampirangriff vor. Tayuya und Shino in der fünften Nacht – kein Werwolfangriff, da Shino ein Opfer ist. Was wiederum bestätigt, dass Tayuya als Hexe Shino vergiftet hat. Sonst gibt es keine Figur, die nachts einen zusätzlichen Mord verursachen kann. Allerdings gibt es den Alten Mann: Er stirbt automatisch in der x-ten Nacht, wobei x die Anzahl der lebenden Werwölfe plus eins ist. Aber das passt perfekt zusammen: In der vierten Nacht sterben drei Unschuldige. Ein Doppelmord und ein Tod durch Altersschwäche. Und der andere Doppelmord kann, weil Tayuya den Gifttrank erst später eingesetzt hat, auch nur eine Doppel-Werwolf-Attacke sein. Und weil es unmöglich zwei Wolfsjunge geben kann, es sei denn, das eine wird von der Doppelgängerin kopiert, ist Gaara die Doppelgängerin.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag -

 

 „Also hat Sasuke geglaubt, Shino und Gaara hätten etwas mit Itachis Tod zu tun?“ Kiba schüttelte den Kopf. „Verrückt. Das war ja wohl ein totaler Fehlschluss.“

„Fehlschluss oder nicht – ich will seine Taten keineswegs gutheißen, aber dank Sasuke haben die Wolves zwei Anhänger verloren.“ Shikamaru überlegte. „Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Gaara wirklich wusste, was er tat.“

„Wieso?“

„Weil er früher angeblich wirklich geistig labil war. Ich weiß nicht, wie lange es diese Wolves schon gibt, aber ich glaube nicht, dass Temari das Risiko eingehen würde, Gaara Mitglied werden zu lassen. Genauso wenig glaube ich, dass seine Krankheit seit Jahren gespielt war. Es scheint mir eher wie eine … Notfalllösung. Als hätten sie in dem Hotel plötzlich dringend Verbündete gebraucht, nachdem sie Leute verloren haben. Vielleicht hat Temari nach Kankurous Tod auf ihn eingeredet. Ich denke, er wäre da für allerlei Versprechungen empfänglich gewesen, aber so gut kenne ich ihn nicht. Fakt ist, am Ende hat er zu diesen Wolves gehört.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, dritte Nacht -
 

(3:25 Uhr, zweiter Stock, Lounge)

„Alles in Ordnung, Temari?“, fragte Gaara leise, als er sich zu seiner Schwester hockte, die völlig zerschlagen an der Wand lehnte und nicht einmal aufsah.

„Ich werde ihn rächen“, murmelte sie so leise, dass er sie kaum hörte.

Damit konnte sie nur Kankurou meinen. Gaara sah kurz zu Ino hinüber. „Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“

„Nicht nur ihn. Auch Kidoumaru und Kimimaro“, sagte sie plötzlich.

Er kniff die Augen zusammen. Wie war das?

„Setz dich neben mich“, murmelte sie verbissen. „Wir müssen reden.“ Er tat, wie geheißen. „Wir haben Sakura auf dem Gewissen“, offenbarte sie ihm. Anscheinend verließ sie sich darauf, dass er kein überraschtes oder erschrockenes Gesicht machte. „Es hat als Rache begonnen, und es wird als Rache enden. Und dass sie mir Kankurou genommen haben, verzeihe ich denen nie.“

„Denen? Das sind unsere Freunde“, erinnerte er sie.

„Nein, Gaara. Für dich vielleicht. Oder? Ist nicht nur Naruto dein Freund? Die anderen sind dir doch egal, oder?“

„Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.“

Sie hatten einander nicht angesehen und nur nach vorn gemurmelt, aber nun blickte Temari ihn mit glühenden Augen an. „Wir müssen diese Sache zuende bringen. Unser Pakt ist was Besonderes, Gaara. Du könntest auch mitmachen. Zu zweit kommen wir an den beiden Pistolen nicht vorbei. Mit dir jedoch …“

Er schwieg lange. „Ich hoffe, das ist ein Scherz.“

„Gaara, du hast Kankurou geliebt, oder? Und du liebst mich. Deine Schwester bittet dich um etwas!“ Und sie schwärmte von all den Taten, die ihre geheime Gruppe schon begangen hatte, und was sie dabei erreicht hatten. „Es sind Plätze in unserer Bande freigeworden. Hilf mir, Gaara. Du wirst sehen, wir haben eine wahre Freundschaft. Wir suchen uns irgendwann noch ein Mitglied, dann sind wir wieder zu viert und ein eingeschworenes Team.“

Ein eingeschworenes Team … Diese Worte brachten etwas in ihm zum Klingen. Seit er klein war, war er allein gewesen. Nur seine Geschwister hatten zu ihm gehalten. Erst viel später hatte er Naruto kennen gelernt, den er seitdem als seinen besten Freund betrachtete. Die Schrecken aus der Zeit, in der er psychisch labil war, steckten ihm trotzdem noch tief in den Knochen. „Ich will Naruto in diesem Team“, sagte er. „Keinen sonst.“

„Von mir aus. Aber erst erledigen wir die anderen. Ich kann auf dich zählen, oder?“

Natürlich konnte sie das. Außer ihr und Naruto hatte er streng genommen niemanden. Unter den anderen kam er sich allerhöchstens geduldet vor. Aber eine kleine, vertraute Gruppe, mit einem neuen Freund … „Wer ist dieser andere, der momentan noch bei uns ist?“

Temari zeigte auf ihn. Shino also. Das hätte er nicht gedacht. „Ihr werdet euch gut verstehen. Wir sind wirklich ein klasse Team.“

Gaara zögerte, lange, schließlich ging es hier um Menschenleben und er wusste gar nicht, warum seine Schwester überhaupt auf so eine verrückte Idee kam. Aber sie schien voll und ganz von ihrer Sache überzeugt zu sein, und so eine Überzeugung hatte er sich schon immer für sich selbst gewünscht. „Also schön“, murmelte er schließlich. „Was soll ich tun?“

„Wir müssen höllisch aufpassen. Du wirst sehen, der Nervenkitzel ist auch nicht ohne. Wir werden warten, ob sich etwas ergibt, ansonsten veranstalten wir irgendeinen Radau. Das ist das Beste daran, Gaara: etwas zu tun, ohne dass jemand weiß, dass du es bist oder dass du ein bestimmtes Ergebnis geplant hast. Hör mir genau zu …“

 

„Und wer ist der Alte Mann, wenn du schon so schön in Fahrt bist?“

„Er ist eines der drei Opfer der vierten Nacht. Neji ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Paranormale Ermittler, von Asuma wissen wir, dass er der Prinz ist. Also kann es sich nur um Kurenai handeln.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag -

 

„Und dann entstand irgendwann dieser Plan, Gaaras Anfälle zu nutzen, um sich die Polizisten vom Hals zu schaffen“, sagte Shikamaru.

Kiba schüttelte fassungslos den Kopf. „Und diese Typen waren mal so was wie unsere Freunde …“

„Und Kurenai?“, fragte Hinata. „War das wirklich nur … ein Unfall?“

„Das glaube ich nicht. Shino hatte Asumas Handy bei sich. Und ihr erinnert euch, dass er und Sasuke gemeinsam nach Asuma suchen sollten, sich dann aber getrennt haben? Sie haben beide herausgeschraubte Eisenbeine der Barhocker bei sich gehabt. Sasuke muss Shino angegriffen haben – die Spurensicherung sagt das Gleiche.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, vierte Nacht -
 

(5:55 Uhr, während der Suche nach Asuma)

Shino und Sasuke waren eigentlich beide nicht der Typ dafür, laut jemandes Namen zu schreien. In Anbetracht der Umstände mussten sie es wohl oder übel tun, aber ihre Rufe nach Asuma waren dennoch eher verhalten. Ino und Chouji waren bis ganz nach oben gerauscht. Sie selbst hatten im dritten Stock kein Anzeichen von Asuma oder den anderen entdeckt.

Shino überlegte bereits, wie seine Vendetta weitergehen sollte. Er hatte es sich nicht zum Ziel gesetzt, Naruto und die anderen zu töten, ganz gleich, was seine Kameraden glauben mochten. Im Gegenteil, er hatte beschlossen, die geheime Bruderschaft, die zunächst aus ihm, Temari, Kidoumaru und Kimimaro bestanden hatte, aufzulösen. Gewaltsam. Das war der wahre Grund, warum sie dieses Theater im NeoMetropolis veranstalteten. Der wahre Grund, von dem die anderen Mitglieder nichts wussten.

Es hatte als geheimes Team begonnen, sie hatten zusammengearbeitet, junge Leute aus verschiedenen Welten, und sie hatten alle etwas davon gehabt. Sie waren unliebsame Leute losgeworden, hatten reiche Schnösel um ihre Reichtümer erleichtert, hatten sogar kleine politische Attentate verübt. Sie hatten sich an denen gerächt, die ihnen Unrecht angetan hatten, oder sie hatten Schläger umgebracht, die regelmäßig Obdachlose schikanierten. All das hatte dazu geführt, dass ihr Leben angenehmer geworden war und sie sich von Zeit zu Zeit als Helden der Gerechtigkeit fühlen konnten.

Doch irgendwann war die Sache den anderen dreien zu Kopf gestiegen. Ihre Aktionen wurden immer riskanter und oft profitierte nur einer von ihnen davon – und noch dazu waren es Kleinigkeiten, wegen denen sie schon oft fast enttarnt worden wären. Shino hatte die anderen gewarnt, nichts allzu Persönliches mehr in ihren Nebenjob zu bringen, aber es war vergebens gewesen. Für ein paar Wochen war es ruhig geblieben, und dann …

Dann hatte Kidoumaru plötzlich beschlossen, dass sein kleiner Streit mit Sakon ebenfalls Sache der Bruderschaft werden sollte. Dabei ging es um ein Mädchen! Shino konnte absolut nicht nachvollziehen, warum man deswegen jemanden auch nur angreifen sollte. Als er Kidoumaru auf dem Weg ins Twilight gesehen hatte, hatte ihm dieser noch zugezwinkert – dieser Idiot war nicht einmal so schlau gewesen, die Sache richtig zu verbergen.

Dann war Hidan ermordet worden und Shino hatte brühwarm erzählt, dass er Kidoumaru gesehen hatte – eigentlich hätte das nur Kidoumarus Lügen einen Spiegel vorhalten sollen. Ein kleiner Hinweis à la: Ich habe keine Skrupel, dich bei der Polizei zu verpetzen, wenn du noch einmal so etwas abziehst. Selbst Shino hatte nicht ahnen können, wen Kidoumaru wirklich angegriffen hatte, und dass Tayuya und Jiroubu ihn daraufhin umbringen könnten.

Somit saß er in einem Dilemma. Natürlich wollten die anderen ihren Mitstreiter rächen. „Deine dämliche Straßenbande gehört dafür ausgerottet“, hatte Temari zu Kimimaro gesagt, als sie sich am Abend heimlich getroffen und Shino ihre Untat gebeichtet hatten.

„Dann gilt dasselbe für deine Freunde“, hatte dieser erwidert. „Jiroubu hat gesagt, zumindest ein paar von ihnen wären am Tatort gewesen. Wer garantiert uns, dass sie nicht versuchen, Detektive zu spielen?“ Der Blick, mit dem er Shino dabei gemessen hatte, war beunruhigend gewesen. „Hättest du den Mund gehalten, wäre es gar nicht erst so weit gekommen.“

„Es wäre nicht so weit gekommen, hättet ihr nicht wieder auf eigene Faust eine solche Dummheit gemacht“, hatte Shino gebrummt. „Sakon hätte nicht überleben dürfen.“

Schließlich war in ihm der Plan gereift, sich seiner lästig gewordenen Kameraden zu entledigen. Und dafür konnte er seine Freunde gut gebrauchen – sein Wort hatte mehr Gewicht in ihren Ohren als in denen der Straßenbande. Während sie also töteten und versuchen mussten, alle Beweise zu vertuschen, würde Shino unter dem Schutzschirm der Freundschaft seine Kollegen für ihren Leichtsinn bestrafen.

Sie hatten Sakura entführt, denn Temari wusste, wo sie, Ino und Tenten sich aufhalten würden. Und die ganze folgende Schmierenkomödie war besser verlaufen, als Shino es geplant hatte …

„Bist du solche Situationen gewöhnt, Shino?“, fragte Sasuke unvermittelt und riss ihn damit aus seinen Gedanken, als sie eben den vierten Stock betraten.

„Was meinst du?“

„So etwas wie das hier. Kriminalfälle. Verbrechen.“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Du tust nicht umsonst so schlau.“ Sasuke klang nun eindeutig höhnisch. „Ich weiß, dass du selbst was auf dem Kerbholz hast.“

Shino sah ihn lange und eingehend an, versuchte ihn abzuschätzen. „Ach ja? Was?“

„Eine Sache, die mit meinem Bruder zusammenhängt“, sagte Sasuke düster und schloss die Faust so fest um seine Eisenstange, dass die Knöchel weiß hervortraten.

 

„Der Strolch ist Sasuke. Oder viel eher, er wurde der Strolch. Als du in der ersten Nacht den Strolch aufgerufen hast, damit er seine Feinde auswählt, hat gar niemand die Augen aufgeschlagen. Du wolltest mich nur in die Irre führen. Sasuke war ursprünglich der Trunkenbold. In der dritten Nacht ist er ausgenüchtert und du hast ihm seine wahre Karte gezeigt, Sphinx“, sagte Shikamaru. „Dann erst hat er als Strolch zwei Spieler wählen dürfen, denen er den Tod schwört. Darum hat er erst ab dem dritten Tag angefangen, Gaara und Shino anzuprangern. Dieses Rätsel hat mir einiges Kopfzerbrechen bereitet. Sie wurden schließlich beide getötet, aber Sasuke ist gestorben, ehe das Spiel zuende war. Somit hat er doch nicht gewonnen. So lauten doch die Regeln für den Strolch, oder?“

Sphinx nickte. „Eigentlich hat es der Strolch schwerer als ein gewöhnlicher Dorfbewohner. Er muss seine zwei Erzfeinde töten und am Leben bleiben.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag -

 

„Shino ist vor Sasuke geflohen und hat dabei Asuma gesehen, der an deine und Narutos Tür gepocht hat“, sagte Shikamaru zu Hinata. „Er hat den Moment genutzt, Asuma erschlagen und sein Handy an sich genommen, um Kurenai zu drohen, den Mund zu halten. Und sie ist gerade mit dem Auto gefahren und hat vor Schreck nicht aufgepasst.“

„Ein verdammt übler Zufall“, knurrte Kiba.

„Stimmt.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, vierte Nacht -
 

(6:05 Uhr, fünfter Stock)

Shino hatte den Zusammenstoß über das Handy gehört. War Kurenai tatsächlich gerade mit dem Wagen unterwegs gewesen? Konnte ein solcher Zufall passiert sein? Hatte er sie mit einem Telefonanruf getötet?

Wenn dem so war, perfekt. Wenn nicht, würde sie zu Mittag hier aufkreuzen. Dann war hoffentlich schon alles über die Bühne. Und wenn sie einen Unfall gehabt und überlebt hatte, musste er sich eben etwas einfallen lassen, aber das lag momentan außerhalb seiner Möglichkeiten.

Er hatte Glück gehabt. Sasuke war auf ihn losgegangen, kaum dass sie allein gewesen waren. Vielleicht verdächtigte er ihn – auch wenn Shino nicht ganz klar war, warum er seinen Bruder ins Spiel gebracht hatte. Hing es mit dieser Gerichtsverhandlung zusammen? Sonst hatte er nie wirklich mit Itachi zu tun gehabt. Und eigentlich hatte er damals nichts getan, was Sasukes Hass provoziert haben könnte – er hatte mal wieder ein wenig Detektiv gespielt und wahrheitsgemäß gegen Sasori ausgesagt, auch wenn die Beweislast dann nicht für eine Verurteilung gereicht hatte.

Wie auch immer; Shino war Sasuke mit Müh und Not entkommen. Sie beide waren mit den dünnen, aber massiven eisernen Beinen der Barhocker bewaffnet, doch Shino wusste, dass Sasuke privat Kampfunterricht nahm – entweder eine Kampfsportart oder er war sogar im Fechten geübt. Eisenstange gegen Eisenstange hatte Shino keine Change – abgesehen davon, dass ein amoklaufender Sasuke ihm sehr in die Hände spielte. Mit Müh und Not hatte er Sasuke umstoßen können. Dann war er die Treppe hochgelaufen und hatte Asuma wie wild gegen eine Tür im fünften Stock pochen hören.

Eine bessere Gelegenheit wäre nie wieder gekommen, und Shino rühmte sich damit, in engen Situationen äußerst flexibel zu sein. Er war gar nicht langsamer geworden, schon im Laufen hatte er ausgeholt und Asuma die Eisenstange so heftig gegen den Kopf gedonnert, dass sie sich verbogen hatte. Der Privatdetektiv war mit der Stirn gegen die Tür geknallt und in sich zusammengesackt. Shino hatte gar nicht erst auf Lebenszeichen gewartet. Der Lärmpegel war ohnehin groß genug gewesen, also hatte er sich rasch Asumas Pistole und Smartphone geschnappt – er hatte nicht gewollt, dass es die Leiche unnötig beleuchtete, und es einzustecken ging schneller als herauszufinden, wie man die Taschenlampen-App ausschaltete. Dann war er in ein Zimmer auf der anderen Seite des Flurs gestürmt und bis ins Badezimmer geflüchtet.

Mit angehaltenem Atem hatte er gelauscht, ob Sasuke ihm hinterherkam. Mit der Pistole hätte er sich wehren können, aber dann wäre unweigerlich Verdacht auf ihn gefallen. So konnte man immerhin noch rätseln, wer Asuma getötet hatte. Und falls Asuma den Schlag überlebt hatte, würde er vielleicht einem bewaffneten Sasuke in die Augen sehen … Perfekt. Sasuke büßte laufend seine Glaubwürdigkeit vor den anderen ein, und Shino hatte etliche Pluspunkte bei ihnen.

Als er sich sicher gewesen war, dass Sasuke ihn nicht finden würde, hatte er das klobige Gerät hervorgeholt, das er unter seinem Overall versteckt hatte. Er hatte den Störsender abgeschaltet und Asumas Smartphone gezückt. Kurenai war ein Risikofaktor gewesen, das wusste er, seit Asuma im Hotel aufgetaucht war. Hatte sie gewusst, wohin er unterwegs gewesen war? Shino hatte beschlossen, sie zum Schweigen zu bringen. Vorerst provisorisch, später endgültig.

Nun, als alles getan war, drehte er den Störsender wieder auf volle Stärke und versteckte ihn mitsamt Asumas Handy in seinen Taschen.

Hoffentlich hatte die Endgültigkeit tatsächlich schon das Provisorische ersetzt.

 
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag -

 

„Hinata, du und Naruto habt Sasuke ja gesehen, als ihr Asumas Leiche gefunden habt. Ich wette, er war da gerade hinter Shino her, der sich versteckt hat, bis wir alle wieder in der Nähe waren.“

„Warum hat Sasuke ihn nicht erschossen?“, fragte Kiba. „Er hatte doch eine Knarre. Gut, die ist explodiert, als er schießen wollte, aber …“

„Die Pistole war nicht seine. Sie hatte nicht einfach eine Fehlfunktion, sie war eindeutig so präpariert, dass sie beim ersten Schuss explodiert. Dass Sasuke sie am Ende gehabt hat, macht insofern Sinn, als wir Jiroubou am Fuß dieser Treppe gesehen haben. Ihr wisst doch noch, nachdem wir Sakon gefunden haben, hat Naruto Sasuke gehört und ist ihm nachgelaufen, und wir sind quasi über Jiroubou gestolpert. Die beiden müssen gekämpft haben, und Sasuke hat die Waffe von ihm, einem Jashinisten, erbeutet.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, fünfter Tag -
 

(7:15 Uhr, siebter Stock)

Man mutete es seinem plumpen Äußeren nicht zu, aber Jiroubou war tatsächlich jemand, der mitdachte. Als Sasori den Lichtschein sah, der geradezu sträflich offensichtlich durch die Flurtür im siebten Stock fiel, schaffte er es, Deidara zu überreden, einen Stock höher einem vermeintlichen Geräusch nachzugehen.

So eilte Sasori allein zu dem Zimmer, dessen Tür offen stand und aus dem eine Handylampe strahlte. Jiroubou stand dort am Bett, darauf lag Sakon und atmete ruhig. Jiroubou reichte Sasori eine Kunststoffstange. „Für das Ritual. Aber es wird ihn nicht umbringen. Hast du ein Messer?“

Sasori hatte sogar eine Pistole, aber er fischte sein Klappmesser aus der Tasche. „Die Rothaarige ist weg? Du hättest ihn schon längst selbst umbringen können. Auch wenn du das Ritual nicht durchführen darfst.“

„Wir hatten eine Abmachung“, knurrte Jiroubou. „Ich helfe euch, aber die Hände mache ich mir nicht schmutzig. Nehmt mich richtig in den Zirkel auf, dann reden wir weiter.“

„Du wirst nie ein vollwertiger Jashin-Priester, wenn du davor zurückschreckst, deine Freunde zu töten.“ Sasori drehte Sakons Kopf zur Seite, damit der unvermeidliche Blutschwall in die andere Richtung ging, und schnitt ihm die Kehle durch. Mit aller Kraft rammte er ihm die Plastikstange in den Leib; sie war nicht angespitzt, aber solange sie hielt, galt das Ritual als vollzogen. Dann tränkte er Taschentücher in Sakons Blut und beschmierte damit die Matratze, bis das Zeichen erkennbar war. Rasch malte er auch eine Nachricht, an die Überlebenden und an Jashin gleichermaßen. Die Hände wusch er sich anschließend im Wassertank des Klos. Insgesamt brauchte er nur ein paar Minuten dafür.

„Deidara wird bald hier sein“, sagte er zu Jiroubou. „Wir brauchen einen Sündenbock für das hier.“

„Und der soll ich sein?“, brummte der dicke Jashinist unwillig.

„Immerhin dafür bist du zu gebrauchen“, sagte Sasori säuerlich. „Wenn du auf der Flucht bist und ich mich weiterhin in der Gruppe bewegen kann, kann ich mehr ausrichten. Außerdem kann dir nichts passieren, oder? Du bist ein Anhänger Jashins.“

„Gib mir eine Waffe“, verlangte Jiroubou. „Oder ich bleibe hier.“

Sasori seufzte. Der Mann wurde allmählich lästig. Jetzt, da wieder ein Platz in ihren Reihen freigeworden war, konnte er Jiroubous Ernennung zum vollwertigen Mitglied wohl nicht mehr lange aufschieben. Dabei mochte er ihn gar nicht.

Es wurde Zeit, ihn sich vom Hals zu schaffen.

„Gut. Hier, nimm.“ Er reichte Jiroubou eine Waffe. Nicht die mit dem Schalldämpfer, sondern die winzige Pistole, die eigentlich als Falle für jene gedacht war, die ihn enttarnten. Der Lauf und die Patronen waren so manipuliert, dass sie nicht entweichen konnten und in der Waffe explodierten. Mit etwas Glück verletzte sich Jiroubou bei dem Versuch zu schießen selbst oder er gab demjenigen, dem er gegenüberstand, die Gelegenheit, ihn zu überwältigen.

Der dicke Jashinist nickte nur, steckte die Waffe ein und eilte davon. „Nach rechts!“, rief ihm Sasori nach, damit er nicht Deidara in die Arme lief. Nun konnte er nur mehr auf den blonden Tölpel warten.

Mit einem leisen Lächeln betrachtete er Sakon und dachte daran, wie es nun mit Jiroubu weitergehen mochte. „Wie gesagt. Man ist kein vollwertiger Jashin-Priester, wenn man davor zurückschreckt, seine Freunde zu töten“, wiederholte er zufrieden.

 
 

- Der Hintere Bezirk, sechste Nacht -
 

(7:40 Uhr)

Sasuke war nie weit weg vom Ort des Geschehens gewesen. Er war zu einem Schatten geworden, behielt die anderen so gut es ging im Blick. Er störte sich auch nicht daran, dass offenbar noch ein Mörder in dem Hotel herumlief; sollte er ihn doch angreifen, wenn er es wagte. Er hatte sein Ziel erreicht. In diesem Klotz von Gebäude, aus dem es kein Entrinnen gab, hatte er die Feinde seines Bruders getötet. Er war Tayuya gefolgt, wie sie durch die Gänge geschlichen war, hatte Shinos Leiche dann mit eigenen Augen gesehen. Er hatte seine Rache nicht auskosten dürfen, aber das Resultat blieb dasselbe.

Trotzdem blieb die Möglichkeit bestehen, dass die anderen einen Ausweg fanden, und wenn auch er entkam, konnte er vielleicht noch mehr über diese Sekte herausfinden, der Itachi auf der Spur gewesen war. Vermutlich musste er dennoch untertauchen. Aber es war nicht das erste Mal, dass er vor seiner Vergangenheit floh.

Dank ihren Lichtern hatte er gesehen, wie die anderen in dieses Zimmer im siebten Stock gegangen waren. Offenbar war wieder ein Mord geschehen. Im Haupttreppenhaus, eine Etage höher, wartete er ab, was geschah. Hier hatte er zur Not etliche Fluchtwege. Er hörte die anderen leise miteinander sprechen.

Ein Klicken ließ ihn leicht zusammenzucken. Er beherrschte sich und drehte sich nur ganz langsam um. Hinter ihm stand Jiroubou, eine kleine Pistole in der Hand. Vor den Fenstern war es mittlerweile hell genug, um ihn sehen zu können. „Sieh an“, sagte Sasuke leise. „Ich hätte dir gar nicht zugetraut, so leichtfüßig zu sein.“ Der Teppich hatte die Schritte des Dicken geschluckt. Hätte er abgedrückt, wäre Sasuke jetzt tot. „Zögerst du, weil der Knall so laut ist, oder hast du am Ende nicht den Mumm, mich zu erschießen?“

Jiroubou kam langsam näher. „Warum bist du nicht bei den anderen?“

„Dasselbe könnte ich dich fragen. Hast du das Chaos da unten versursacht?“

Jiroubous rechte Augenbraue zuckte leicht. „Ich hab niemanden umgebracht.“

„Also, ich schon“, erklärte Sasuke lässig. „Wenn du nicht schießen willst, warum gibst du mir dann nicht deine Knarre? Ich scheine sie nötiger zu haben.“

„Was weißt du?“, fragte der Dicke plötzlich.

„Worüber?“

„Deine Freundin, die schon tot ist.“

„Sakura?“

Jiroubou schüttelte den Kopf. „Die mit den Haarknoten. Du warst dabei, in dieser Gasse im Hinteren Bezirk. Was weißt du über das Amulett, das sie da gefunden hat?“

„Du redest also auch davon. Was weißt du darüber?“

Er verzog das Gesicht. „Ich habe hier die Waffe.“

„Nicht mehr lange.“

Noch während Sasuke das sagte, schnellte er auf Jiroubou zu. Dieser zögerte gerade einen Wimpernschlag zu lange – vielleicht war er auch völlig überrumpelt von Sasukes Dreistigkeit. Wenn man nichts mehr zu verlieren hatte, erwischte man andere eben schnell am falschen Fuß.

Sasuke hatte jedoch die schiere Massigkeit von Jiroubous Körper unterschätzt. Anstatt ihn von den Füßen zu reißen, prallte er nur gegen ihn und brachte ihn auch kaum ins Wanken. Blitzschnell änderte er seine Strategie. Er sprang Jiroubou halb an, krallte die Finger in seine Kleidung und ließ sich dann einfach nach hinten fallen. Das funktionierte.

Jiroubou, der sich eben noch gegen ihn gestemmt hatte, bekam plötzlich Schlagseite. Mit einem verdutzten Geräusch fiel er hart auf Sasuke, und die beiden polterten die Treppe hinunter. Sasuke sah die Welt Purzelbäume schlagen, und es fühlte sich an, als würden sämtliche seiner Rippen brechen. Als die wilde Fahrt stoppte, lagen sie am Fuß der Treppe. Sasuke stand mit schmerzendem Kreuz auf. Jiroubou hatte sich einmal öfter überschlagen und war mit dem Kopf so heftig gegen die Flügeltür geknallt, die in den Flur in dieser Etage führte, dass es ihm das Bewusstsein geraubt hatte. Die Türflügel wippten immer noch leicht. Die Pistole lag …

„Sasuke!“

Er zuckte zusammen. Verdammt schlechtes Timing! Diese nervtötende Stimme gehörte eindeutig Naruto, und er hatte mitgekriegt, dass er hier war! Fluchend sammelte Sasuke die Pistole ein, die zwischen ihm und Jiroubou lag, und stürmte dann, so schnell es sein Schwindelgefühl zuließ, wieder die Treppe hoch. Er hatte das Gefühl, eine Begegnung mit Naruto würde äußerst lästig, unangenehm und nostalgisch werden.

 
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag -

 

„Und das war es im Endeffekt. Eine defekte Waffe hat Sasukes Raserei ein Ende gesetzt“, sagte Shikamaru. Sie stiegen aus der U-Bahn. Bis zu Inos Wohnung war es nur mehr ein Katzensprung. Bald kam das Haus in Sicht, und sie erklommen die Stufen zur Eingangstür. Shikamaru klingelte.

„Ich hoffe nur, es ist ihr nichts passiert“, murmelte Hinata. „Jiroubou ist ja noch auf freiem Fuß … oder haben sie ihn schon geschnappt?“

„Er ist zur Fahndung ausgeschrieben“, sagte Shikamaru, „aber noch haben sie ihn nicht.“

„Ja?“, ertönte Inos Stimme aus der Gegensprechanlage.

„Wir sind’s“, sagte Shikamaru. „Lässt du uns rein? Wir haben Neuigkeiten, und wir sind möglicherweise immer noch in Gefahr.“

Es surrte, und die Tür ließ sich öffnen. Die drei marschierten in den Hausflur, und Ino öffnete ihre Wohnungstür mit zerzaustem Haar. „In Gefahr?“, wiederholte sie.

„Ja. Wir werden erst Ruhe haben, wenn Jiroubou hinter Gitter sitzt“, meinte Kiba grimmig.

Sie versammelten sich in Inos Wohnung, und Shikamaru beschloss, den beiden Unschuldigen in ihrer Runde zu erklären, dass die Gefahr nicht von Jiroubou ausging.

 

„Nicht übel! Gar nicht übel!“, rief Sphinx laut aus und breitete die Arme aus, das Kinn zur Zimmerdecke gereckt, als würde er mit einem höheren Wesen kommunizieren. Ein breites Lächeln zierte sein Gesicht, er wirkte fast wie in Ekstase. Seine nächsten Worte kamen schnell und schwer verständlich. „Du bist ein würdiger Gegenspieler! Richtig! So weit ist alles richtig! Du bist echt nicht übel, Shikamaru Nara!“ Er sah wieder Shikamaru an, seine Augen glitzerten. „Nun denn, weiden wir dieses Spiel aus! Die Rollen, einzeln! Wer sind die Werwölfe?“

„Das wurde bereits im Spiel selbst festgestellt. Temari, Shino, Kimimaro, Kidoumaru. Shino hat versucht, das Vertrauen der Dorfbewohner zu gewinnen, indem er tagsüber seine Kameraden ausgeliefert hat, aber er ist auch ein Wolf. Kimimaro ist das Wolfsjunge. In der Nacht nach seinem Tod wurden zwei Dorfbewohner angefallen.“

„Die Vampire und Freimaurer heben wir uns noch auf. Die Zaubermeisterin?“

„Jiroubou, wie gesagt. Wir wissen, dass er zu den Vampiren hilft.“

„Die Seherin?“

„Tenten. Du hast viel herumgetrickst, aber es gibt keine andere Möglichkeit!“

Sphinx grinste. „Der Strolch.“

„Sasuke. Gleichzeitig war er der Betrunkene. Erst in der dritten Nacht ist er ausgenüchtert und hat seine wahre Rolle von dir gezeigt bekommen.“

„Der Paranormale Ermittler?“

„Neji. Er hat die Wahrheit gesagt. In der dritten Nacht hat er Kakashi, Toto und Asuma durchleuchtet.“

„Schön. Dann die Unruhestifterin.“

Shikamaru schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Ich weiß es, aber ich bin durch das Ausschlussverfahren darauf gekommen. Ich benenne sie später.“

„Wie du willst. Der Alte Mann?“

„Kurenai. Gestorben in der vierten Nacht, nachdem weniger als vier Werwölfe noch am Leben waren. Wenn man sich überlegt, wann mehr als eine Person in der Nacht sterben kann, kommt man recht schnell drauf, wie ich bereits erwähnt habe. Und Kurenais Tod gibt gleichzeitig ein wenig Aufschluss über die Anzahl der Wölfe im Spiel“, sagte Shikamaru. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die anderen atemlos ihrem schnellen Wortwechsel folgten.

Sphinx legte noch einen Zahn zu, wie um Shikamaru zu einer unbedachten Aussage zu verleiten. „Die Doppelgängerin.“

„Gaara. Er hat Kimimaro kopiert und ist nach dessen Tod zum neuen Wolfsjungen und Mitstreiter der Werwölfe geworden. Darum gab es in der Nacht nach seinem Tod plötzlich wieder zwei Werwolfopfer.“

„Der Leibwächter.“

„Schwierig. Es gab wenig Fälle, aus denen sich schließen lässt, dass eine Figur vor einem nächtlichen Angriff geschützt wurde. Ein erfolgreiches Schützen wird gegen Ende des Spiels wahrscheinlicher, wenn es weniger Spieler gibt, die geschützt oder angegriffen werden können. Deswegen glaube ich, dass der Leibwächter eher früh getötet wurde. Am zweiten Tag hat sich Neji als Paranormaler Ermittler offenbart und gebeten, dass ihn die Schutzcharaktere schützen mögen. Die folgende Nacht hat er überlebt. Den Priester hat er gebeten, Shino zu beschützen, also gehe ich davon aus, dass der Leibwächter, sofern er noch gelebt hat und nicht zufällig schon die Nacht zuvor Neji beschützt hat, ihn in der dritten Nacht vor etwaigen Werwolfangriffen verteidigt hat. Am folgenden Tag hat Neji bestätigt, dass Asuma unschuldig ist und dieser hat sich seinerseits als Prinz geoutet. In der vierten Nacht hätte der Leibwächter also sinnvollerweise einen der beiden beschützen müssen – immerhin ist Asuma auf jeden Fall unschuldig, und Nejis Unschuld schien beim damaligen Stand des Spiels auch außer Frage. Der Leibwächter kann nicht zweimal hintereinander dieselbe Person beschützen, also wäre der Schutz wahrscheinlich auf Asuma gefallen. Nichtsdestotrotz sind in der Nacht sowohl Neji als auch Asuma gestorben. Deshalb glaube ich, dass der Leibwächter da schon tot war.“

„Wer ist es also?“, fragte Sphinx.

„Zu der Zeit gibt es elf Tote. Itachi, der Geist. Kidoumaru, ein Werwolf. Hidan, der ursprüngliche Kultführer. Sakura. Kimimaro, das Wolfsjunge. Tenten, die Seherin. Ihr Kind, der Vampirjäger. Kankurou, der Vampir. Kakashi. Toto. Gaara, die Doppelgängerin. Nur Sakura, Kakashi und Toto kommen infrage. Sakura würde ich nach den Abstimmergebnissen als Freimaurer einstufen.“

„Dann Kakashi oder Toto. Wer ist der Leibwächter?“, fragte Sphinx grinsend.

„Da kann man nur raten. Sie wurden beide von den Werwölfen umgebracht. Die Chancen stehen fifty-fifty. Einer ist der Leibwächter, der andere der Priester.“

„Hey, Shikamaru!“, rief Ino. „Bist du wahnsinnig? Du kannst doch nicht einfach raten!“

Sphinx grinste unerschütterlich weiter. „Da haben dich die Wölfe wohl ganz schön in eine Sackgasse gebracht.“

Shikamaru schüttelte den Kopf und gestattete sich ein grimmiges Lächeln. „Nicht, wenn man den Charakter der Spieler kennt. Oder zumindest einen davon. Die Fähigkeit des Priesters ist ziemlich gefährlich, wie wir gesehen haben. Er kann einen einzigen Spieler auswählen, der dann für den Rest des Spiels vor nächtlichen Angriffen geschützt ist. Der Leibwächter schützt nur vor Werwölfen, aber der Priester schützt vor Werwölfen und Vampiren gleichermaßen. Darum gab es in der dritten Nacht kein Opfer – oder besser gesagt, niemand starb am folgenden Tag an einem Vampirbiss. Die Vampire wollten Shino töten, weil sie in ihm die Seherin sahen, doch der Priester hatte ihn da bereits geschützt. So wurde es wirklich schwierig, ihn umzubringen, und fast wäre das Dorf daran zugrundegegangen.

Jemand wie Kakashi hätte eine so mächtige Fähigkeit nicht eingesetzt, ohne einen einwandfreien Beweis zu haben, dass der jeweilige Spieler tatsächlich unschuldig ist. Stellt euch vor, er hätte den Prinzen gesegnet. Der wäre praktisch unverwundbar gewesen. Shino wirkte zwar wie die Seherin, aber Kakashi wäre dennoch auf Nummer sicher gegangen. Deswegen glaube ich, dass Kakashi der Leibwächter ist. Toto ist der Priester und hat Shino in der dritten Nacht gesegnet, nachdem Neji darum gebeten hatte.“

Sphinx lachte und kurz glaubte Shikamaru, er hätte die falschen Schlüsse gezogen – immerhin konnte er sich trotz allem geirrt haben. Doch dann schüttelte der Spielleiter den Kopf. „Du bist wirklich nicht schlecht. Und dem guten Toto traust du einen so reflektierten Zug also nicht zu?“

Shikamaru warf einen Blick auf den etwas apathisch wirkenden Patienten, den dieses Spiel angeblich wahnsinnig gemacht haben sollte. „Nicht wirklich, tut mir leid.“

Sphinx kicherte. „Weiter. Die Hexe.“

„Tayuya, wie gesagt. Sie hat das Werwolfopfer der ersten Nacht gerettet und Shino in der fünften Nacht vergiftet, als sie selbst als Opfer gewählt wurde.“

„Den Trunkenbold hast du bereits erklärt. Wer ist nochmal der Vampirjäger?“

„Tentens und Nejis Kind.“ Er verzog das Gesicht. „Ich kenne übrigens einige hier, die dir diesen Trick nicht verzeihen werden.“

Sphinx winkte ab. „Der Geist?“

„Itachi. Niemand sonst ist in der ersten Nacht gestorben.“ Shikamaru nickte jenem zu. „Danke übrigens für deine Nachrichten. Sie waren sehr hilfreich.“ Itachi nickte zurück.

„Kommen wir zu etwas Neuem. Du hast noch kein Wort über den Harten Burschen verloren.“

„Deidara.“ Shikamaru kratzte sich am Hinterkopf. „Der Harte Bursche war eine harte Nuss. Aber er ist zum Glück erst gestorben, als es schon keine Werwölfe mehr gab. Am siebten Tag ist kein Vampiropfer gestorben. Dafür ist Deidara in der Nacht darauf gestorben – obwohl es keine Möglichkeit mehr gab, dass ein Spieler nachts umgebracht wird. Aber wenn der Harte Bursche angegriffen wird, lebt er bis zur nächsten Nacht, richtig? Es spielt keine Rolle, ob Werwölfe oder Vampire die Täter sind. Die Vampire haben ihn in der siebten Nacht gewählt. Er hat den nächsten Tag überlebt und ist in der achten Nacht gestorben.“

„Gut. Wir kommen zum Ende – und mir gehen die Rollen aus.“ Sphinx schien darüber nicht eben traurig zu sein. „Die Märtyrerin.“

„Lee, wie er bewiesen hat, als er sich an Shinos Stelle hat lynchen lassen.“

„Die Kultführer im Verlauf des Spiels.“

„Der erste war Hidan. Sasori, ein Vampir, wurde in der zweiten Nacht der neue Kultführer. Ich kann nicht sagen, wen er in den folgenden Nächten in seinen Kult gewählt hat, und die Mitglieder wissen es selbst auch nicht. Ich weiß nur, dass noch nicht alle lebenden Spieler im Kult sind, andererseits hätte der neue Kultführer bereits gewonnen. Der Posten ist, nachdem Sasori am siebten Tag gestorben ist, in der achten Nacht an Hinata gefallen.“

Auch darauf war er dank Itachi gekommen. Nachdem ihm gekommen war, dass die Nachrichten Abkürzungen der jeweiligen Haarfarben waren, ließ sich das folgendermaßen deduzieren: Wenn Shikamaru bereits herausgefunden hatte, dass Sasori der Kultführer war, würde er auch wissen, dass es in dieser Nacht einen neuen geben würde, das älteste Mitglied im Kult, das noch lebte. Das S der achten Nacht musste demnach für Hinata mit ihren schwarzblauen Haaren stehen.

„Der Prinz.“

„Asuma. Das hat sich am dritten Tag gezeigt, als er sich lynchen lassen wollte, damit die Dorfbewohner nicht unnötig dezimiert werden.“

„Und die Alte Vettel?“

„Die ist einfach. Die Alte Vettel wählt jede Nacht einen Dorfbewohner, der am nächsten Tag das Dorf verlassen muss. Ab dem fünften Tag wurde niemand mehr verbannt. Es gibt zwei Gründe dafür: Erstens, derjenige, der verbannt werden sollte, wurde in derselben Nacht getötet, in der die Vettel ihn auserwählt hat, also in der fünften Nacht. Zweitens, die Alte Vettel starb selbst, und zwar in der vierten Nacht, nachdem sie zum letzten Mal jemanden verbannt hatte, oder am vierten Tag.

Was Erstens angeht: In der fünften Nacht starben Shino und Tayuya. Wenn die Vettel einen von ihnen verbannen wollte, ist es logisch, dass niemand das Dorf verlassen kann. Dann müsste die Vettel aber in der nächsten Nacht wieder jemanden auswählen, aber trotzdem hat niemand mehr das Dorf verlassen – obwohl keiner mehr in der Nacht gestorben ist. Man könnte noch argumentieren, dass die Vettel tatsächlich Shino oder Tayuya verbannen wollte und dann am fünften Tag gestorben ist – dann wäre sie entweder Temari oder Sakon. Aber Temari ist ein Werwolf, wie wir wissen, und Sakon wurde schon einmal von der Vettel verbannt, und die Vettel kann sich nicht selbst verbannen. Also ist Erstens als unmöglich abgehakt.“

„Mensch, mir brummt der Schädel von dem Zeug“, stöhnte Kiba. „Geht’s nur mir so?“

„Einfaches Ausschlussverfahren“, sagte Sasuke kühl. „Hör ihm einfach zu.“

„Zu Zweitens. Die Alte Vettel starb in der vierten Nacht oder am vierten Tag. Zuvor haben ja noch artig Leute das Dorf verlassen. Dann ist die Vettel entweder Kurenai, Asuma, Neji, Lee oder Chouji. Asumas, Kurenais und Nejis Identität kennen wir bereits, anders lässt sich mein gedankliches Sudoku nicht lösen. Lee ist die Märtyrerin, wie er uns selbst gezeigt hat. Chouji, du bist die Alte Vettel. Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass du in der vierten Nacht noch jemanden verbannen wolltest, der dann aber vorher gestorben ist. Es gab da ja ein ziemliches Massaker.“

Sein bester Freund nickte. „Gut gemacht, Shikamaru.“

„Beeindruckend. Eine weitere intelligente Schlussfolgerung. Du spielst wirklich gut“, sagte Sphinx. „Worte der Anerkennung von mir sind übrigens selten. Ich habe kaum noch ein tückisches Rätsel übrig. Wer ist das Liebespaar?“

„Tenten und ihr Kind, wie gesagt. Anders konntest du das Ungeborene nicht ins Spiel einbauen, und nur so lässt sich die Doppel-Identität von Seherin und Vampirjäger erklären.“

„Du hast vorher gesagt, der Verfluchte lebt noch?“

„Allerdings. Es gab insgesamt fünf Werwölfe. Der Verfluchte wäre zu einem Werwolf geworden, wenn er nachts angegriffen worden wäre. Er wäre dann aber nicht daran gestorben, sondern hätte sich eben verwandelt. Aber es hat bis auf die erste Nacht immer ein Werwolfopfer gegeben, solange noch Wölfe lebten.“

„Was ist mit der Hexe?“, fragte Sphinx. „Sie hätte jemanden nachts töten können. Das hätte dann wie ein Wolfsopfer ausgesehen, und das wahre Opfer hätte sich in einen Werwolf verwandeln können, ohne dass du darauf kommst. Eine ähnliche Situation hat so einigen in unserem ersten Spiel Rätsel aufgegeben.“ Sphinx sah lächelnd in die Runde und sein Blick blieb an Sakura hängen, die ihn trotzig erwiderte.

„Immerhin bin ich dann draufgekommen“, sagte sie.

„Die Hexe kann das nicht getan haben“, sagte Shikamaru fest. „Nicht in diesem Spiel. Ich weiß, dass Tayuya die Hexe war, und die hat aus Rache Shino umgebracht. Er hätte nachts anders nicht sterben können.“

„Also keine Hexe. Und wenn die Werwölfe in der ersten Nacht zufällig den Verfluchten erwischt haben? Du hast es selbst gesagt, nur in der ersten Nacht gab es kein Werwolfopfer.“

„Das lässt sich wieder mit Sudoku-Denken entkräften. Es gab immer mindestens ein Werwolfopfer, außer in der ersten Nacht. Hätte die Hexe das Opfer der ersten Nacht nicht geheilt, hätte sie noch einen Heiltrank übrig gehabt, als es ihr selbst an den Kragen ging – und sie wäre sicher nicht gestorben, wenn sie sich hätte retten können. Tayuya konnte sich in der fünften Nacht aber nicht mehr heilen. Sie hat das erste Opfer geheilt!“

Sphinx grinste fies. „Und wenn sie das erste Opfer, den Verfluchten, geheilt hat, ohne zu wissen, dass er gar nicht sterben würde? Wenn sie ihren Heiltrank an den Feind verschwendet hat, der sich bereits in einen Wolf verwandelt hat?“

Shikamaru zögerte. „Das wäre ein vernichtender Schlag.“

„Nicht wahr?“

„Allerdings steht da der Alte Mann im Weg. Wäre das allererste Opfer der Verfluchte gewesen, hätte Kurenai einen Tag länger gelebt … Es sei denn, der Verfluchte war entweder Shino, Temari oder Kidoumaru. Hm.“ Shikamaru grübelte.

„Was denn? Hilft dir dein Sudoku-Denken nun doch nicht weiter?“, krähte Sphinx.

Shikamaru vermied es, seine Freunde anzusehen. Sphinx hätte das als Mogeln auffassen können. Dann fiel ihm etwas ein. „Wenn der Verfluchte sich verwandelt hätte, hätte mich der Geist darauf aufmerksam gemacht. In der ersten Nacht hätte er mir definitiv eine Nachricht geschrieben. So eine Verwandlung ist viel wichtiger als die Frage, wer denn nun der neue Kultführer ist, und einfacher zu verstehen. Itachi hätte das sicher genauso gesehen. Er hätte nur ein V schreiben müssen, und ich wäre gewiss draufgekommen. Trotzdem hat er in der ersten Nacht gar keine Botschaft aus dem Jenseits geschickt, und das V hat er erst in der dritten Nacht geschrieben, und ich denke, da sollte es Verrat bedeuten, weil Shino ein Betrüger war. Und das V in der sechsten Nacht sollte bedeuten, dass es nur mehr Vampire gibt. Da gab es schon keine Werwolfangriffe mehr.“

Die anderen atmeten auf, als sie ihn wieder zuversichtlich sahen. Sphinx lächelte weiterhin, aber das musste nichts heißen.

„Ich bleibe dabei. Der Verfluchte blieb unverwandelt und ist sogar jetzt noch am Leben“, schloss Shikamaru mit fester Stimme.

„Schön. Ich bestätige es“, sagte Sphinx. „Vertrauen in die anderen, ja? Ein seltsames Werkzeug bei einem Spiel der Logik.“

„Aber es wirkt wahre Wunder“, erwiderte Shikamaru.

Sphinx schnaubte amüsiert. „Bleiben nur noch die Freimaurer und die Vampire. Und die Unruhestifterin. Benenne erst mal die Toten. Das Spiel läuft schließlich noch.“

„Die toten Freimaurer sind Sakura und Naruto. Die Freimaurer haben immer für gegenseitiges Überleben gestimmt, während sie bei anderen Personen eher planlos waren. Es gibt noch einen dritten Freimaurer unter den Überlebenden. Die toten Vampire sind Kankurou und Sasori. Ein Vampir lebt noch. Die lebenden Figuren sind also ein Freimaurer, ein Vampir, der Verfluchte und die Zaubermeisterin. Zur Unruhestifterin lässt sich nur sagen, dass sie in der dritten Nacht noch gelebt hat. Da hat sie nämlich beschlossen, dass am nächsten Tag zwei Leute gelyncht werden sollen. Allerdings bleibt für diese Rolle nach dem Ausschlussverfahren nur mehr Sakon übrig. Und Itachis Geisternachricht lässt auf dasselbe schließen: Ein U für Unruhestifterin in der Nacht, in der Sakon als Opfer gewählt wurde.“

Sphinx applaudierte. Irgendjemand aus den Reihen der Spieler stimmte mit ein, hörte aber rasch wieder auf. „Gut!“, sagte Sphinx und es klang wie das Bellen eines aggressiven Hundes. „Gut! Fantastisch! Ich bestätige es. Deine Schlussfolgerungen sind alle richtig. Spielen wir den achten Tag zuende. Du hast jetzt die Chance, das Dorf zu retten, Shikamaru. Enttarne den letzten Vampir.“

Shikamaru nickte. Endlich, gleich hatte er es hinter sich. „Mit Vergnügen.“

Die letzte Frage


 

~ 33 ~

 

Jiroubou, ja?“, fragte Ino und räumte die Sachen von ihrer Eckbank, damit sie sich setzen konnten. „Also ist er auf der Flucht.“

Shikamaru schloss die Tür hinter sich und blieb dort stehen. Kiba sah sich in der Wohnung um und bemerkte das Chaos, das überall herrschte, und die offenen Koffer. „Sag mal, willst du ausziehen?“

Ino schnaubte. „Umziehen. Ich hab mir halt gedacht, dass es vielleicht noch mehr Leute in dieser Mörderbande gibt, die uns an den Kragen wollte. Die kennen sicher schon unsere Adressen.“

„Die Polizei hat uns doch Zeugenschutz angeboten“, murmelte Hinata. „Vielleicht sollten wir …“

Ino winkte ab. „Ich traue denen nicht. Toto war ja wohl auch nicht ganz sauber. Und sie haben ewig gebraucht, um uns da rauszuholen.“

Das war in der Tat etwas gewesen, wofür die Exekutive sich wohl noch verantworten musste. Shikamaru kannte die Details nicht, aber offenbar hatte man zuallererst die Polizeistation im Hinteren Bezirk alarmiert – und die Polizisten hatten die Sache entweder nicht ernst genommen oder, wie sie es in ihrer Gegend oft taten, getrödelt.

„Ich würde gern was mit euch besprechen“, sagte Shikamaru, ohne auf ihre Unterhaltung einzugehen. Sie sahen ihn erwartungsvoll an. „Jiroubou ist nicht der Einzige, der von den Verbrechern noch auf freiem Fuß ist. Da ist noch jemand.“

„Ach ja?“, fragte Ino.

Shikamaru nickte. „Tenten war schwanger. Das hat die Gerichtsmedizin herausgefunden.“

„Echt? Tenten? Von wem?“

„Ich vermute mal, von Neji“, sagte er. „Nach eurem gemeinsamen Urlaub haben sich die beiden ja ziemlich gut verstanden, hatte ich das Gefühl.“ Die anderen nickten zaghaft.

„Und ich hab dich schon ein paarmal gefragt, warum das jetzt noch wichtig ist“, brummte Kiba. „Sie sind schließlich beide …“ Er verstummte.

„Tenten wurde von den Jashinisten umgebracht. Erinnert euch noch mal an die Szene dort.“

„Lieber nicht“, sagte Ino und schüttelte sich.

„Wir haben sie hinten in der Lobby gefunden, in diesem kleinen Laden. Mit dem Eisenwinkel von einem der Regale in der Brust, und das Jashin-Zeichen war um sie herum gemalt gewesen.“

Ino atmete schwer ein und aus. „Als könnte ich das je vergessen. Es war schrecklich … Ich konnte nichts tun.“

„Genau. Kankurou hat dir mit dem Regalbrett eins übergezogen“, sagte Shikamaru. Sein Blick glitt über die Wunde an Inos Stirn. Sie war im Krankenhaus genäht worden. „Als du wieder zu dir kamst, hatte er Tenten bereits umgebracht und sie für dieses Jashin-Ritual aufgebahrt. Die Polizei hat bei ihm eines dieser Amulette gefunden. Du hast Kankurou umgebracht und bist dann wieder ohnmächtig geworden. Richtig?“

Ino blickte traurig zu Boden. „Es klingt … hart, wenn du das so formulierst.“

„Danke, jetzt haben wir das Bild alle wieder im Kopf“, knurrte Kiba übellaunig. „Was ist jetzt damit?“

„Da war das Notebook“, sagte Shikamaru. „Die Jashinisten haben im Vorhinein zwei Opfer angekündigt. Wir haben uns nichts dabei gedacht; es waren ja auch zwei Tote dort. Aber selbst nachdem wir von Ino erfahren haben, dass Kankurou Tenten umgebracht hat, haben wir die Anzahl nicht mehr hinterfragt. Es hat nur einen Ritualmord gegeben. Wieso?“

„Es sollten ja auch zwei werden“, sagte Ino. „Kankurou wollte mich garantiert auch abmurksen!“

„Jiroubou ist auch in dem Zirkel“, sagte Shikamaru. „Er hat gesehen, dass nur Tenten ermordet wurde. Und trotzdem wurde jeder weitere Jashin-Mord neu angekündigt. Wirkt das nicht so, als hätten sie Jashin um ein Opfer betrogen?“

„Blödsinn“, sagte Kiba. „Was soll es sie interessieren, wie viele von denen, die sie ankündigen, wirklich sterben? Oder glaubst du im Ernst, die halten Jashin für real und wollen ihn nicht verärgern oder so?“

„Das glaube ich tatsächlich“, sagte Shikamaru. „Sie sind eine Sekte. Sie töten nur wegen Jashin. Warum sollten sie das tun, wenn sie nicht an ihn glauben würden?“

Kiba schwieg daraufhin.

„Aber … sind es dann nicht einfach nur Wahnsinnige?“, fragte Hinata.

„Wahnsinnige haben vielleicht eine eigene Art zu denken, aber sie denken. Hidans Tod wurde in seinem eigenen Forum verkündet. Sasori hat auf einem Zettel einen Tod unter denen angekündigt, die die Lounge verlassen. Das Opfer war dann Chouji. Er hatte die Lounge in der Zwischenzeit ja wirklich verlassen, als wir nach Asuma gesucht haben. Und das Giftfläschchen war ja auch ganz nach Jashin-Art verziert. Auch in Sakons Zimmer gab es eine Nachricht von Jashin. Diese Morde waren alle angekündigt. Und bei Hidan und Sakon waren es sogar vollkommen sichere Ankündigungen.“

„Was meinst du damit?“, fragte Ino.

„Die Nachricht von Hidans Tod stand in seinem Namen im Forum. Der Täter, Sasori, hat ihn umgebracht und hinterher geschrieben, dass der Mord Jashin geweiht war. So bekam Jashin eindeutig, was ihm versprochen wurde. Bei Sakon war es dasselbe. Es sah aus, als hätte er selbst die Sterbebotschaft geschrieben, aber wenn der Mörder seine Hand geführt hat, als er schon tot war, haben wir eine neuerliche Hinterher-Ankündigung – oder eher, eine Überweisung an Jashin. So in der Art: Jashin, wir haben hier jemanden getötet, du kannst ihn haben. Choujis und Tentens Morde dagegen waren eindeutig im Vorhinein angekündigt und mussten somit wirklich klappen. Bei Chouji war es einfach: Irgendwann würde jemand das vergiftete Wasser trinken. Aber die beiden Morde, die im Laden stattfinden sollten … hätten sie sie im Vorhinein angekündigt, wenn die Möglichkeit bestünde, dass sie fehlschlagen?“

„Klar“, sagte Kiba wütend. „Weil sie Fanatiker sind. Idioten! Die glauben doch, sie können sich alles erlauben!“

„Vielleicht haben sie auch nur eine falsche Fährte legen wollen“, meinte Ino. „Ich hab davon mal in einem Krimi gelesen. Das ist einer der Gründe, warum es Ritualmorde gibt. Der Mörder tut so, als würde er einem bestimmten Muster folgen. Er weicht aber kaum merklich davon ab, und verschafft sich somit ein Alibi oder bringt die Reihenfolge der Morde durcheinander. Alle denken nur an ein Ritual, aber in Wirklichkeit ist das nur ein Schleier, um den wahren Täter zu verbergen.“

„Das habe ich auch bedacht, aber es waren mit Sicherheit echte Jashinisten“, sagte Shikamaru. „Sonst hätten sie nicht jeder ein solches Amulett bei sich gehabt. Sobald herauskommt, dass die Morde Ritualmorde sind und einer der Mörder so ein okkultes Ding am Körper trägt, ist automatisch jeder verdächtig, der ebenfalls eines besitzt. Trotzdem hat Sasori seines nicht weggeworfen oder so. Es ist ihnen wichtig, dass Jashin sie anerkennt. Sie sind echte Jashinisten.“

„In aller Kürze“, sagte Kiba, „du meinst also, dass Jashin um ein Opfer betrogen wurde? Sie haben ihm leichtfertig zwei Opfer versprochen, aber nur Tenten umgebracht?“

„Genau da liegt der Hund begraben. Es war nicht leichtfertig“, sagte Shikamaru. „Die Ankündigungen oder Überweisungen, wenn wir es so nennen wollen, waren alle so gemacht, dass sich die Jashinisten sicher sein konnten, dass sie es schaffen. Es gab auch keinen Ritualmord nach Tenten, um das zweite Opfer nachzureichen. Jashins nächstes Opfer war Chouji, und das wurde erneut angekündigt.“

„Was genau willst du uns eigentlich sagen?“, fragte Kiba gereizt. „Dann haben sie eben einen Fehler gemacht, und?“

„Es war kein Fehler. Es sollten zwei Opfer sterben. Und es gab letztlich auch zwei Opfer, denn Tenten war schwanger.“

Jetzt fiel der Groschen bei Kiba. Er starrte Shikamaru mit offenem Mund an. „Das heißt … das zweite Opfer war … Ach du Schei…“

„Genau.“ Die Wahrheit stieß Shikamaru bitter auf. „Die Jashinisten wussten von der Schwangerschaft. Sasori hat das Notebook mit der Ankündigung sicher in die Lobby gebracht, weil er wusste, dass wir da zuerst nach Sakura suchen würden. Außerdem war er selbst ja angeblich immer im zweiten Stock. Er hat Deidara gar nicht erst vorgeschlagen, die Lobby zu durchsuchen, schließlich wäre es seltsam gewesen, wenn er dann das Notebook nicht selbst als Erstes gefunden hätte. Wahrscheinlich war es Zufall, dass sie Tenten genau dort, vor dem Notebook, erwischt haben. Wir hatten uns zu dem Zeitpunkt in alle Richtungen verstreut – es wäre zumindest einem der Jashinisten leicht gefallen, sie zu töten. Denkt an Sasori, er hatte sogar eine Pistole bei sich. Ich könnte mir vorstellen, dass sie Tenten unbedingt als Erstes opfern wollten. Immerhin war sie es, die Jiroubous Amulett gefunden hat. Sie wollten Tenten töten, und damit ihr ungeborenes Kind. Ein Ritual für zwei Opfer. Und Jashin ist zufrieden.“

„Das … das kann doch nicht sein, oder?“ Ino klang heiser. „Diese Wahnsinnigen können unmöglich so weit gedacht haben.“

„Sie haben es sogar sehr gründlich durchdacht. Eben weil sie von Tentens Schwangerschaft wussten, durften sie nach ihrer Ermordung niemanden mehr ohne Ankündigung umbringen und aufbahren. Sonst hätte die Zahl der angekündigten Morde mit der der tatsächlichen nicht übereingestimmt. Der Kommissar hat mir die anderen Rituale gezeigt, die ihnen angehängt werden. Sie haben jedes Mal genau so viele Menschen geopfert, wie sie Jashin im Vorhinein versprochen haben; einmal haben sie ihm ein Opfer auch erst im Nachhinein vermacht. Sie halten sich an ihre Regeln: Wenn jemand stirbt, muss das irgendwo niedergeschrieben werden, damit Jashin weiß, dass es eine Opfergabe an ihn ist. Und ich schätze, ein Opfer auf Jashin-Art aufzubahren, ohne es Jashin zu vermachen, ist so etwas wie ein Frevel für sie.“

„Also hätte er Ino gar nicht getötet?“, fragte Kiba erstaunt. „Kankurou, meine ich.“

„Er hätte natürlich noch weitere Menschen für Jashin töten können“, sagte Shikamaru. „Er – oder seine Komplizen – hätten nur irgendwo schriftlich festhalten müssen, dass sie Opfergaben sind. Wenn nötig, auch im Nachhinein. Versteht ihr?“

„Aber woher wussten sie von Tentens Schwangerschaft?“, stellte Hinata endlich die Frage, auf die er gewartet hatte. „Wir wussten es ja selbst nicht! Ich glaube, nicht einmal Neji wusste es.“

Seine nächsten Worte fielen Shikamaru unendlich schwer. Was nun kam, hatte er dem Kommissar nicht erzählt. Nur deswegen hatte er seine überlebenden Freunde versammelt. Um diese eine Person zur Rede zu stellen. Zumindest das hatte sie verdient.

„Es gibt jemanden unter uns, der davon erfahren hat“, sagte er mit belegter Stimme. „Tenten war unter den Mädchen in unserer Clique immer eine Einzelgängerin, aber sie hat sich in letzter Zeit mit jemandem von uns enger angefreundet. Sie hatte nach eurem Urlaub eine Freundin gefunden, der sie wirklich vertraute und mit der sie etliche private Geheimnisse austauschte. Das weiß ich von Sakura. Und dieser Freundin hat sie wohl erzählt, dass sie ungeplant schwanger geworden war.“ Er richtete seinen Blick auf sie. „Ist es nicht so? Ino.“

 

„Ich nominiere Ino für das Lynchen“, verkündete Shikamaru laut und es war wie ein Donnerschlag in der erwartungsvollen Stille. „Sie ist der letzte Vampir.“

„Was?“, rief Sphinx und tat überrascht. „Wie kommst du denn darauf?“

„Tenten ist die Seherin“, rief Shikamaru in Erinnerung. „Am zweiten Tag, als alle scheinbar wahllos Leute beschuldigt haben, muss man ihren Worten somit mehr Gewicht verleihen. Eine Seherin beschuldigt besser niemanden, dessen Schuld sie nicht selbst festgestellt hat, wenn sie ernstgenommen werden will. Und Tenten hat damals Ino beschuldigt. Keiner hat dem irgendeine Bedeutung beigemessen – Shino war viel überzeugender und hinterher hielten die meisten ihn für die Seherin. Tenten hat Ino in der ersten oder zweiten Nacht als Vampir identifiziert und sie dann angeschuldigt; gleich darauf ist sie an dem Vampirangriff gestorben. Unter den Lebenden gibt es noch genau einen Vampir. Jiroubou ist die Zaubermeisterin, Hinata ist der dritte Freimaurer. Sie und Naruto haben sich immer gegenseitig aus der Patsche geholfen, erinnert ihr euch? Und Kiba ist demnach der Verfluchte.“

 

„Das … ist doch lächerlich“, ächzte Ino. „Das ist alles viel zu weit hergeholt …“

„Wirklich? Wer hat den Jashinisten denn davon erzählt, dass Tenten Jiroubous Amulett gefunden hat? Weil du das erfahren hast, wolltet ihr uns doch überhaupt erst umbringen, oder? Und Sasori soll ins NeoMetropolis gefahren sein, weil ihn diese Wolves erpresst haben? Die Wolves wussten, dass er nichts mit Kidoumarus Tod zu tun hatte. Du hast ihm gesteckt, dass Sakura entführt wurde und wir alle dorthin fahren sollten. Dann habt ihr gemeinsam beschlossen, dort eine Serie von Ritualmorden auszuführen, um Jashin die Leute zu opfern, die von der Existenz des Amuletts wussten!“ Shikamaru hätte nicht geglaubt, dass er sich so in Rage reden könnte. Aber die Wahrheit auszusprechen, ließ plötzlich unbändige Wut in ihm hochkochen. Ino, seine langjährige Freundin … Chouji, von ihrem Zirkel getötet … Tenten und ein ungeborenes Baby … Er hatte gedacht, nichts könnte seine Gefühle nach dieser Nacht im Hotel noch in Wallung bringen, aber sein Körper schien nun in Flammen zu stehen.

 
 

- Der Hintere Bezirk, erster Tag -

 

„Tayuya hat heute bei uns angerufen“, sagte Ino statt einer Begrüßung, während sie sich am Spiegel für den heutigen Shopping-Abend herrichtete. Ihr Laptop stand neben ihr, die Webcam ausgeschaltet, aber das Mikrofon war an. Über Skype war sie mit den anderen verbunden. „Ich weiß, wo das Amulett ist. Tenten hat es. Leider war sie so dumm, allen davon zu erzählen.“

Schweigen. „Du weißt, was das heißt“, erklang schließlich Jiroubous bedächtige Stimme.

„Jaja. Für deine Truppe gilt aber dasselbe. Was kannst du auch nicht einfach deine sieben Sachen bei dir behalten?“

„Streitet euch nicht“, sagte Sasori. „Es wird sich schon eine Gelegenheit ergeben. Bald weiß niemand mehr, dass unser geheimer Bund existiert.“

„Ein Amulett zu sehen und etwas zu wissen sind zwei Paar Stiefel“, schnaubte Ino.

„Dennoch, wir waren uns einig. Wer je von uns erfährt, gehört ihm.“

„Und hast du auch einen konkreten Plan?“, fragte Kankurou wie beiläufig.

„Hidans Forum. Wir können es zu unserem eigenen Vorteil benutzen und Jashin ein paar Opfer bringen.“

Ino wollte eben fragen, wie genau Sasori sich das vorstellte, als es an der Tür klingelte. Sakura und Tenten. Sie musste sich beeilen. „Ja, gleich!“, rief sie laut.

„Wir schlagen so bald wie möglich zu“, fuhr Sasori indes fort. „Ich hasse es zu warten.“

 
 

- Der Hintere Bezirk, zweite Nacht -
 

(0:40 Uhr, Laden in der Lobby, auf der Suche nach Sakura)

„Wir hätten echt besser aufpassen müssen“, murmelte Tenten vor sich hin, während sie, Ino und Temari den hinteren Teil der Hotellobby erkundeten. Fast fühlte sie sich wie in einem Geister-Kaufhaus: Hier hätte wohl einmal ein Laden für Touristen eingerichtet werden sollen. Halb versteckt hinter der Hotelbar war ein Labyrinth aus leeren, verstaubten Regalen aufgebaut worden, so groß wie der Eislaufplatz in der Innenstadt, den Ino als Kind oft besucht hatte.

„Hör schon auf“, zischte sie unwillig und ließ den Schein ihrer Lampe über Staub, eklige Spinnweben und ehemals weißes Plastik schweifen. „Ich kann’s nicht mehr hören. Wir waren ganz normal einkaufen – wer rechnet schon mit sowas?“

Tenten verstummte. „Sorry“, sagte sie schließlich leise.

Sie näherten sich dem hinteren Bereich des Ladens, als plötzlich Schritte hinter ihnen laut wurden – laufende Schritte. Ein Lichtkreis hüpfte auf und ab. Die drei Mädchen fuhren herum und drängten sich hinter das nächstbeste Regal, das daraufhin gefährlich wackelte.

„Mädels?“

„Das ist Kankurou“, murmelte Temari und richtete sich auf. Ihr Bruder erkannte sie.

„Temari“, sagte er, etwas außer Atem. „Es ist … Du musst schnell kommen. Gaara hat … Er …“ Kankurou unterbrach sich und flüsterte seiner Schwester etwas ins Ohr. Temaris Miene verfinsterte sich.

„Sucht schon mal weiter“, sagte sie. „Ich bin gleich wieder da. Kankurou, bleib bei ihnen.“ Damit lief sie davon, zurück in Richtung Lobby.

„Was … ist denn passiert?“, fragte Tenten unsicher, als Kankurou ihr hinterher sah.

„Nichts Ernstes. Oder sagen wir, nichts allzu Ernstes“, antwortete er ausweichend. „Es gibt nur ein paar Dinge, die Temari … besser kann als ich. Suchen wir einstweilen hier weiter.“

Tenten hakte nicht nach, aber Ino glaubte einen Funken Verständnis in ihren Augen zu sehen.

Auch in Kankurous Augen sah sie etwas funkeln. Als sie weiter den hinteren Bereich des Ladens erkundete, deutete er unauffällig auf Tenten. Ino nickte verhalten.

 
 

- Der Hintere Bezirk, zweiter Tag -
 

(0:50 Uhr, Laden in der Lobby, auf der Suche nach Sakura)

„Was ist denn das?“

Als Tenten neugierig auf das Notebook zuging, das mattes Licht verströmte, gaben sich Ino und Kankurou erneut ein stummes Zeichen. Sie schlich von hinten auf ihre Freundin zu.

„Sagt mal, ist das nicht die Website von diesem …“

Ino drückte ihr von hinten die Hand auf den Mund und zischte ihr ins Ohr: „Psst! Nicht bewegen – da hinten ist jemand!“

Tenten zuckte fürchterlich zusammen, schwieg aber brav. Und Ino zog ihr Taschenmesser aus der Hose und schnitt schräg über ihren Hals. Gleichzeitig riss sie ihre Hand fort, um nichts von Tentens Blut abzubekommen.

Es sprudelte gar nicht so sehr, wie es sollte. Sie hatte die Schlagader verfehlt.

Tenten schlug würgend die Hand vor ihren Kehlkopf, fuhr herum und sah Ino gebückt an, die ihrem Blick mit ausdrucksloser Miene begegnete. Das ältere Mädchen versuchte etwas zu sagen, aber immerhin schien sie keinen Laut mehr zustande zu bringen. Blut quoll über ihre Lippen und aus dem Schnitt in ihrem Hals. Mit einem gurgelnden Geräusch taumelte sie gegen das Podest, auf dem das Notebook stand, fegte es mit einer unkontrollierten Handbewegung herunter. Klappernd landete das Gerät auf dem Boden.

Tentens Lippen formten tonlos Inos Namen. „Beeil dich“, zischte Ino Kankurou zu. Dieser hatte mit einiger Anstrengung einen der Metallwinkel herausgebrochen, die die Stellagen zusammenhielten. Mit festem Garn und den geübten Handgriffen eines leidenschaftlichen Bastlers band er soeben sein eigenes Messer an das vordere Ende der Stange.

Tenten stieß sich von dem Tisch ab. Sie wankte wie ein Zombie. Der Anblick war zu komisch.

„Tut mir leid, Süße“, sagte Ino. „Du hättest mir vielleicht nicht so sehr vertrauen sollen. Aber wer kann schon ahnen, dass du über unser geheimes Zeichen stolperst?“ Sie zog den Anhänger mit dem Symbol ihres Zirkels aus ihrer Tasche. Tentens Augen weiteten sich, als sie es sah.

„Fertig“, meldete Kankurou.

„Endlich. Na mach schon.“

„Wenn du es gleich richtig gemacht hättest …“, brummte der Puppenbauer und hob den Metallwinkel mit dem Messer dran wie einen Speer, der auf Tentens Bauch zielte.

Und bei ihr schien eine Sicherung durchzubrennen. Ihre Augen blitzten kurz auf, und obwohl ihr Kehlkopf wahrscheinlich nur mehr eine unansehnliche, schleimig-blutige Masse war, wich sie dem Stoß aus und rammte Ino mit ihrem ganzen Gewicht. Diese konnte nur einen Aufschrei ersticken und fühlte sich urplötzlich an den Haaren gepackt. Ein schwacher Faustschlag traf ihr Gesicht, gefolgt von einem härteren. Tenten hatte noch ganz schön viel Kraft in ihren trainierten Armen.

„He, runter von ihr!“, zischte Kankurou, packte Tenten und versuchte sie von Ino zu reißen, doch Tenten hatte sich regelrecht festgekrallt. Diesmal hätte Ino wirklich fast aufgeschrien, als ein Büschel ihrer Haare in Tentens eisernem Griff blieb.

Das Mädchen hatte immer noch nicht genug. Sie krümmte sich auf dem Boden, als würde sie gleich kotzen. Kankurou hatte nun sie an den Haaren gepackt und tastete nach seiner Lanze. Tenten wand sich, und der Haarknoten lockerte sich und gewährte ihr kurz Freiraum. Ino konnte nicht sehen, nur spüren, was die junge Frau tat – sie werkte an ihrem Fuß herum und hielt plötzlich Inos Schuh in der Hand. Dann fuhr sie herum und rammte Kankurou mit beachtlicher Zielgenauigkeit den Absatz ins Auge, dass er mit dem Hinterkopf gegen den Warentisch krachte und reglos liegenblieb.

Tenten spuckte einen Schwall Blut aus, dann verließen sie endgültig die Kräfte. Sie rollte sich auf den Rücken und blieb mit einem hässlichen Glucksen liegen. Ino robbte von ihr weg, zog sich keuchend einen Latexhandschuh über und angelte sich damit den Speer. Ihre Kopfhaut brannte noch. Sie trat vor Tenten und ließ den Winkel über ihrem Bauch kreisen. „Weißt du noch, was du mir mal verraten hast?“

Tentens Augen begannen zu flattern.

„Ist mir ein Vergnügen“, sagte Ino und stieß zu. Fast im gleichen Moment endete Tentens Todeskampf mit der Atemluft.

Ino betrachtete sich. Nun hatte sie doch etwas von Tentens Blut abbekommen. An der Schulter hatten etliche Spritzer ihr Top dunkel gefärbt. Sie sah zu Kankurou. Der rührte sich nicht mehr, der Stöckelschuh saß fest in seinem blutigen Auge. Das war so nicht geplant gewesen. „Was konntest du denn nicht einfach ruhig sterben?“, fragte sie Tenten bissig. Sasori würde ihr das ewig vorhalten. Was soll’s.

Irgendwie musste sie eine glaubhafte Szene rekonstruieren. Sie zog die blonden Haarsträhnen, die noch um Tentens Finger gewickelt waren, heraus und drückte sie, so gut es ging, in Kankurous Faust. Mit einem Taschentuch malte sie mit Tentens Blut Jashins Zeichen um sie herum auf den Boden. Das Tuch legte sie ebenfalls neben Kankurou. Sie würde es ihm in die Schuhe schieben, das war das Beste. Und am allerbesten wäre, wenn man sie bewusstlos nach einem heroischen Kampf um das Leben ihrer teuren Freundin finden würde … Ino sah sich um. Ein Schlag auf den Schädel. Der Winkel war dazu nicht stabil genug. Das Regalbrett, das Kankurou gelöst hatte? Schon eher.

Sie überlegte kurz, wie sie es am überzeugendsten inszenieren konnte. Es musst schon Blut geflossen sein. Jetzt nur nicht zimperlich werden. Die Polizei würde hier vielleicht irgendwann eine Spurensicherung durchführen. Kankurous Fingerabdrücke waren auf dem Speer. Gut. Das Messer, das Tentens Kehle verletzt hatte, würden sie niemals finden. Hautschuppen und Kleidungsfasern und dergleichen konnte sie wohl hoffentlich mit dem Kampf erklären. Was Blutproben anging …

Ino zog sich auch einen Einweghandschuh über die zweite Hand, griff sich das Brett und schloss kurz Kankurous Finger darum. Dann nahm sie ihr Messer, zögerte kurz und schnitt sich dann eine Wunde in die Haut knapp überm Haaransatz, ein paar Zentimeter lang und so tief, wie sie es aushielt. Bis sie irgendjemand untersuchte, war sie sicher schon ein wenig verheilt und es wäre schwierig, die genaue Ursache herauszufinden. Das war das Tolle an einem lebenden Organismus. Er konnte gewisse Dinge gut vertuschen.

Der Schnitt brannte höllisch und sie hielt dabei den Atem an, und danach lief ihr das Blut sogar in die Augen. Perfekt. Sie benetzte die Kante des Bretts mit ihrem Blut – es musste ja nicht viel sein – legte es neben sich und sich selbst dann, etwas verrenkt, zu Boden. Und wartete.
 

- Der Hintere Bezirk, achter Tag –

 

„So war es!“, knurrte Shikamaru. „Du hast Kankurou in Wahrheit geholfen, Tenten zu ermorden! Dass er dabei starb, war sicher nicht geplant, aber es warst nicht du, die ihm den Schuh ins Auge gestoßen hat! Und dann hast du dich selbst verletzt und das bewusstlose, verwirrte, verzweifelte Opfer gespielt!“

„Jetzt komm mal wieder runter“, sagte Ino hilflos. „Wir sind alle komplett mit den Nerven fertig, ich weiß, aber … Ich muss mich nicht von dir beschuldigen lassen!“

„Die Polizei wird schon draufkommen“, sagte Shikamaru. „Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, aber ich wette, sie kommen dahinter. Tentens Fingerabdrücke auf deinem Schuh, die Art, wie das Blut dort überall verteilt war … Die Kripo hat ihre ganz eigenen Methoden, hinter so etwas zu kommen!“

Ino presste die Lippen aufeinander.

„Hast du deswegen hier alles zusammengepackt?“, fragte Kiba und klang nicht minder wütend. „Weil du aus der Stadt abhauen wolltest? Wolltest du das Land verlassen? Bist du deshalb nicht ans Telefon gegangen, als wir angerufen haben?“

Ino senkte den Kopf. „Es war nicht geplant, dass jemand aus dem Hotel entkommt“, murmelte sie. Sie nahm eine winzige Handtasche von ihrer Kommode, öffnete sie und zog ein Jashin-Amulett heraus.

„Ich hab nur eine Frage“, sagte Shikamaru mühsam beherrscht. „Warum?

 

„Wow.“ Kiba grinste „Dann nominiere ich auch Ino.“

Einer musste noch sterben. Kiba oder Hinata, wegen den Vampiren. Danach würden Jiroubou und Ino für Inos Überleben stimmen und die anderen dagegen. Niemand brauchte sich hier, in der letzten Runde, noch zu verstellen. „Hättest du mir die Bürgermeisterkarte gegeben, wenn der Vampir sie gehabt hätte?“, fragte Shikamaru Sphinx.

„Mit Freuden.“ Der Spielleiter grinste. „Immerhin setzen hier alle auf dich. Für ein glorreiches Finale ist es mir das wert.“

 

„Warum?“, frage Ino und lachte leise. Sie hob den Blick, und in ihren Augen glitzerte es. „Weil Jashin Futter braucht! Weil wir als seine heimlichen Jünger unerkannt bleiben müssen! Weil wir durch die Rituale das bekommen, wovon dieser Idiot Hidan immer geträumt hat!“ Ihre Hand riss ein Messer aus der Tasche.

„Vorsicht!“, rief Shikamaru. „Ino, bleib vernünftig!“

„Ich bin vernünftig!“, rief sie schrill. „Egal, was ihr tut, Jashin wird diese Welt betreten! Und egal, was mit uns geschieht, wir werden unsterblich werden!“

Sie schnellte wie ein Pfeil auf Kiba und Hinata zu. Shikamaru sah nur ein Gewirr aus Gliedmaßen, hörte Schreie aus drei verschiedenen Kehlen, dann tünchte etwas das Knäuel rot. Er stürzte herbei, um seinen Freunden zu helfen. Als er Ino fortstieß, sah er Hinata fallen, das Messer in ihrer Brust.

Und er hatte sie hierhergeführt, wurde ihm siedend heiß bewusst. Er hatte seine Freunde einer Fanatikerin ausgeliefert, weil er ihr die Chance geben wollte, sich zu erklären! Dabei steckte nichts weiter hinter der Sache als …

 

„Und Hinata ist das Vampiropfer. Ihr dürft nun abstimmen.“

Kiba zählte, und sie streckten die Daumen aus. Wie erwartet stimmten Ino und Jiroubou für Leben, Shikamaru und Kiba für Tod. „Ich bin der Bürgermeister“, verkündete Kiba feierlich. „Ino, du bist tot.“

 

Ino warf sich auf Shikamaru und versuchte ihm das Gesicht zu zerkratzen. Kiba packte sie und schleuderte sie gegen die Eckbank. Koffer und Klamotten polterten zu Boden, doch Ino rappelte sich wieder auf, packte die Vase auf dem Tischchen vor der Bank und sprang die beiden wieder an. Shikamaru bekam einen heftigen Schlag gegen den Unterarm, ehe es Kiba gelang, Ino die Arme auf den Rücken zu drehen. Er presste sie zu Boden, während sie sich wand und wütend schrie. „Ihr könnt mir nichts tun! Jashin wird kommen! Ich werde unsterblich!“

„Ruf die Polizei, Shikamaru“, sagte Kiba und klang geradezu abartig ruhig.

Shikamaru nickte. Hinata regte sich stöhnend am Boden. Würde sie durchkommen? Er fischte sein Handy raus und rief einen Krankenwagen, dann informierte er die Polizei.

Ino gab ihr Gezeter nach einer Weile auf, versuchte aber immer wieder, durch einen plötzlichen Ruck freizukommen. Shikamaru versuchte Hinata so zu versorgen, wie die Rettungsleitstelle ihn am Telefon angewiesen hatte. Während sie auf die Einsatzwagen warteten, sah sich Shikamaru in der Wohnung um, in der sich das Chaos vergrößert hatte. Hinata lag neben ihm, während sie langsam der Lebensatem verließ. Kiba drückte Ino mit aller Kraft zu Boden. Ein Wirrwarr aus blonden Haarsträhnen verdeckte ihr hochrotes Gesicht, aber ihre zusammengebissenen Zähne konnte er dennoch sehen.

Und sie, die sie hier in dieser Wohnung waren, waren alles, was von ihrem einst so großen Freundeskreis übriggeblieben war.

Eindeutig, jetzt war der Spuk vorbei. Und sie hatten einen furchtbaren Preis dafür bezahlt.

Schließlich hörten sie ein Folgetonhorn in der Ferne.

 

„Muss ich es überhaupt noch sagen? Ino war ein Vampir. Die Dorfbewohner haben gewonnen. Ich gratuliere, Shikamaru.“ Sphinx nickte anerkennend. „Alle deine Schlussfolgerungen waren richtig. Du hast mein Spiel gelöst.

Atemlose Erleichterung machte sich in der Runde breit. Die Spieler sprangen auf und jubelten, einige fielen Shikamaru um den Hals, andere einander. Naruto hatte Hinata an den Schultern gepackt und wirbelte sie im Raum herum wie bei einem schnellen Walzer. Ino zog Shikamaru in eine feste Umarmung. „Danke“, sagte sie. „Und gut gemacht.“ Sie lachte. „Ich war dreimal hintereinander eine von den Bösen. Ich muss langsam echt wie ein Psycho rüberkommen.“

Shikamaru lachte auch leise, dann wurde Ino von Sakura und Chouji abgelöst, die den Helden der Stunde ebenfalls umarmen wollten. Er merkte, dass Neji und Tenten sich in eine Ecke des Raumes verzogen hatten und offenbar ein wichtiges Gespräch führten. Sasuke zog nun Naruto auf, der anscheinend so viel weniger Ahnung von der Rollenverteilung gehabt hatte als er selbst. Kimimaro kam, quasi als Vertreter seines Rudels, zu Shikamaru und bedankte sich förmlich für seine Hilfe. Itachi kam auch herüber und lobte ihn; Shikamaru gab das Lob zurück. Der Geist war ihm eine große Hilfe gewesen. Ohne ihn hätte er die Rätsel gewiss nicht lösen können. Kakashi und Kurenai gratulierten ihm ebenfalls, Asuma sagte, er wäre stolz auf ihn. Temari bedankte sich mit einem kräftigen Händedruck, Kankurou und Gaara taten ebenfalls ihre Erleichterung beziehungsweise Anerkennung kund.

Shino hätte er fast nicht bemerkt. Er stand hinter ihm und wartete darauf, dass Shikamaru sich umdrehte. „Gut gemacht“, sagte er.

„Gut gespielt“, gab Shikamaru zurück. „Deine Maskerade war wirklich nicht übel. Sag, spielst du zufällig Shougi?“

Shino kam nicht dazu, zu antworten. Naruto stürzte auf Shikamaru zu und deckte ihn mit Lob ein. Sasuke kam hinter ihm her und nickte Shikamaru ebenfalls anerkennend zu. Deidara johlte irgendetwas, Sasori lächelte nur sein übliches Lächeln. Lee heulte und schrie irgendetwas in den Raum, das keiner verstand. Kiba konnte sich nicht halten und zeigte Sphinx johlend beide Mittelfinger, während er ausgelassen auf und ab sprang. Tayuya machte mit und bald sprangen sie Schulter an Schulter wie auf einem Popkonzert. Auch Hidan bedachte den Spielleiter mit einer ganzen Salve von Beleidigungen, jetzt, da er ihnen nichts mehr antun konnte – offenbar musste Hidan sein fast spiellanges Schweigen wiedergutmachen.

Sphinx selbst betrachtete das lustige Treiben mit einem seichten Lächeln und ging auf keine Provokation ein. Stumm saß er in seinem Drehsessel, in seinem karierten Hemd und mit dem Leprechaunhut.

Toto watschelte unter Tränen herbei und bedankte sich tausendmal bei Shikamaru. Richtig, er hatte ja nicht nur seine Freunde, sondern alle unrechtmäßig in dieser Anstalt Eingesperrten erlöst. Vorausgesetzt, Sphinx hielt Wort.

 

Und das tat er auch. Binnen einer halben Stunde hatten diejenigen, die in der Anstalt einquartiert waren, ihre Entlassungspapiere. Sie schafften ihre wenigen Habseligkeiten in die Eingangshalle, wo die anderen schon auf sie warteten. Von dort ging es durch das Labyrinth des Sicherheitstraktes, und vor ihren Augen öffneten die Sicherheitsleute die schwere Eingangstür. Alle in ihrer Gruppe wirkten so gut gelaunt, als würden sie in den nächsten Momenten gemeinsam auf Urlaub fahren, und zu ihrer Überraschung wartete auf dem Parkplatz vor der Anstalt sogar ein Reisebus auf sie.

Es war eine Wohltat, endlich wieder draußen zu sein. Naruto streckte sich und ließ sich die Sonne aufs Gesicht scheinen. Neben ihm strahlte Sakura regelrecht, während Shikamaru Sphinx noch eine Frage zu den Papieren stellen wollte.

Der Spiel- und Anstaltsleiter, der nun in etwas normalere Klamotten gehüllt war – wobei Anzug, Hemd, Anzugshose, Socken und Krawatte dennoch eine unmögliche Farbkombination darstellten –, war ihnen aus dem großen Gebäude gefolgt. Er deutete auf die Bescheide in ihren Händen und sagte: „Tja, ich kann es mir auch nicht erklären, warum man euch zu mir in Behandlung geschickt hat. Offenbar ein Verwaltungsfehler oder etwas in der Art. In den paar Tagen, die ihr bei mir wart, habe ich einwandfrei festgestellt, dass ihr geistig kerngesund seid. Und wie.“ Er lachte und schien wie ausgewechselt, nicht so, wie man sich eigentlich einen Bösewicht vorstellte. „Und das ist genau das, was auf euren Entlassungspapieren steht. Übrigens werde ich dafür sorgen, dass die Notiz, dass ihr mal, wenn auch ungerechtfertigt, eine psychiatrische Anstalt besucht habt, aus allen Rechnersystemen verschwindet, die sie nicht zwingend brauchen, um euer kurzzeitiges … Abhandenkommen zu erklären.“

„Du machst dir ja ganz schön viel Arbeit“, murmelte Shikamaru. „Können wir uns wirklich darauf verlassen?“

Sphinx lachte. „Du hast mir einen intellektuellen Kampf geliefert, wie ich ihn seit Jahren nicht genießen durfte. Das war äußerst kurzweilig, und ich habe es sehr genossen. Sieh es als kleinen Bonus an.“ Er streckte ihm die Hand hin, doch Shikamaru machte keine Anstalten, sie zu ergreifen.

„Ich schüttle keinen Leuten die Hand, die meine Freunde einsperren und bedrohen, aus Langeweile oder aus welchem Grund auch immer.“

„Verständlich.“ Sphinx zog die Hand zurück, wirkte aber nicht im Mindesten überrascht.

„Was ist mit Toto? Und den anderen Spielern, die wegen dir wahnsinnig geworden sind?“

„Spezialisten kriegen das wieder hin.“ Sphinx zeigte die Zähne. „Ich habe bereits veranlasst, dass sie in … geeignetere Einrichtungen überstellt werden. Wahnsinn muss nichts Schlechtes sein und unheilbar schon gar nicht. Und du selbst hast mit einer sehr vielversprechenden Therapie für den guten Toto begonnen, so wie ich das sehe. Keine Sorge, die werden schon wieder.“ Als er Shikamarus finsterem Blick begegnete, zuckte er mit den Schultern. „Nun denn, ich wünsche euch eine gute Heimreise. Und es versteht sich wohl von selbst, dass ihr gar nicht erst zu versuchen braucht, euch in irgendeiner Form an mir zu rächen, mich anzuzeigen oder die Schließung meiner kleinen Langeweilevernichtungsanstalt zu erzwingen?“

„So in etwa habe ich mir das vorgestellt“, meinte Shikamaru grimmig. „Hauptsache, wir sehen dich nie wieder.“

Sphinx lachte. „Das ist ebenfalls verständlich.“

„Und der Bus fährt auch ganz sicher nicht ins nächste Irrenhaus?“, fragte Naruto, der als Erstes einstieg. „Sonst werd ich zum Werwolf!“

„Naruto“, lachte Sakura. „Wenn dich jemand so reden hört, glaubt er erst recht, dass du verrückt bist.“ Gelächter folgte ihnen in das Businnere. Tenten und Neji gehörten zu den Letzten, die einstiegen. Später sah Naruto sie händehaltend ganz hinten sitzen. Tenten hatte wieder zu ihrem wahren Selbst zurückgefunden. Sie schwatzte fröhlich und schien allerlei interessante Dinge außerhalb des Fensters zu sehen, auf die sie Neji aufmerksam machen musste. Neji hingegen schwieg eher und wirkte immer noch ein wenig überrumpelt. Soweit Naruto das beurteilen konnte, lief die Sache mit den beiden aber ziemlich gut.

Als er Hinata darauf ansprach, meinte sie: „Neji kann mit solchen Sachen einfach nicht gut umgehen. Aber ich glaube, dass er sich freut.“

Sie lächelte Naruto an und er konnte nicht anders, als ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken. „Dann freuen wir uns am besten auch für sie.“

„Wenn jetzt hier alle zu knutschen anfangen, steig ich aus“, meinte Tayuya sarkastisch hinter ihnen.

„Keine Sorge“, spöttelte Temari gut gelaunt, „du findest auch noch jemanden.“ Und wieder schallte aufgekratztes Gelächter durch den Bus. Alles war plötzlich heller, schöner und lustiger. Über jeden noch so billigen Witz wurde gelacht. Sie fühlten sich wirklich erlöst.

Der Lärm im Bus war gewaltig. Es waren auch einige Leute eingestiegen, die Naruto nur aus der Ferne in Patientenklamotten gesehen hatte. Das waren also die früheren Spieler, die ihren Verstand behalten hatten, aber für Sphinx nicht mehr interessant gewesen waren und ihre Strafe mit Nichtstun hatten abbüßen müssen. Und sie waren Shikamaru ebenfalls zutiefst dankbar. Viele waren in Tränen aufgelöst, nun, da sie endlich wieder nachhause durften.

Der Bus bog in eine breitere Straße ein und man konnte ein letztes Mal die Anstalt und den bunten Klecks auf dem Parkplatz sehen, der ihnen hinterher blickte. Naruto wusste, er sollte Wut für ihn empfinden, und die würde auch sicher in absehbarer Zeit über ihn hereinbrechen. Für den Moment jedoch war er einfach glücklich, dieses verrückte Spiel hinter sich lassen zu können.

„Wir sollten das Werwolf-Spiel auch mal nur so zum Spaß spielen“, schlug Ino vor. „Einfach unter uns. Ich will auch mal auf der Seite der Guten sein!“

„Vergiss es!“, rief Sakura von weiter hinten. „Ich hab die nächsten zehn Jahre genug davon!“

Naruto stimmte in das neuerliche Gelächter mit ein, während der Bus diesen ungemütlichen Ort endgültig verließ und ein buntgekleideter Rätselsteller hinter ihnen zurückblieb.

 

 

„So, hier bin ich. Und? War das gut so?“

Ich bin zufrieden. Gute Arbeit.

„Und es gab doch noch ein Happy End für alle Beteiligten. Naja, zumindest für die meisten. Aber selbst wenn unsere Spiele, Erzählungen, Geschichten und Gedanken jeweils eine eigene Welt aufspannen, so muss das Schicksal der Figuren uns, die wir eine Ebene höher leben, nicht nahegehen, richtig?“

Du irrst dich. Es darf und soll uns nahegehen. Wir sind nur nicht dafür gemacht, daran zu verzweifeln. Obwohl selbst das schon vorgekommen sein soll.

„Ach ja, was erzähle ich dir? Du weißt das ja besser als ich. Und? Wie ist jetzt der Plan?“

Fürs Erste darfst du dich ausruhen. Ich danke dir für deine Mithilfe.

„Gern geschehen. Dafür bin ich ja da. Nun, dann empfehle ich mich mal. Und ich bin schon mal gespannt, was für eine Geschichte ich das nächste Mal spinnen darf. Man sieht sich.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich begrüße euch recht herzlich zu meiner neuen FF The Wolves among us! Ich weiß (hoffe^^), dass der Start einige Fragen aufwirft, aber ich kann und will an dieser Stelle noch nichts Näheres dazu sagen ;) Nur: Ich hoffe, es hat euch bisher gefallen. Das nächste Kapitel wird in etwa 10-14 Tagen kommen; so in etwa soll der Upload-Rhythmus aussehen. Falls jemand von euch gern benachrichtigt werden will, wenn ein neues Kapitel online kommt, meldet euch einfach bei mir :)
Bis dann!
UrrSharrador Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich weiß, es ist irre lang geworden^^ Die kommenden Kapitel werden wieder etwas kürzer.
Und ich muss sagen, egal wie oft ich mir das Kapitel durchlese, ich liebe es irgendwie. /Eigenlob off - jz bin ich gespannt, was ihr dazu sagt :)
Ich hoffe auch, ich habe alle erwischt, die eine ENS bei Kapitel-Updates möchten. Falls nicht, einfach melden^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ich hoffe, noch ein wenig Gruselfeeling erzeugt zu haben ;) Im nächsten Kapitel wird es dafür wieder dramatisch^^
Ich will mich an der Stelle für die ganzen Kommis bei den letzten beiden Kapiteln bedanken! Auch wenn ich oft sehr lange brauche, sie zu beantworten, ich freu mich über jeden einzelnen :)
Ach ja, und ich wünsche allen LeserInnen frohe Ostern! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So ... ich weiß gar nicht, ob ich noch was dazu sagen soll. Ich lasse es mal so stehen und bin neugierig auf eure Meinungen :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So ... ich nehme an, dass einige von euch erwartet haben, dass dieses Kapitel das letzte ist, aber ich muss euch enttäuschen; ich fange gerade erst an ;) Hoffe, das Kapitel war einigermaßen überraschend, weitere Überraschungen sollten folgen. Ach ja und der Rest der Auflösung des Spiels kommt noch, ich wollte nicht gleich alles verraten, sondern lediglich mal ein paar Hinweise liefern - ein wenig dürft ihr noch darüber rätseln ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und das wars auch schon wieder. Ich hoffe, ihr wart wieder überrascht, und das hoffentlich nicht allzu negativ xD Ich habe mich aus einer Laune heraus entschieden, das zweite Spiel in ein Piratensetting zu verlegen (schuld sind Alestorm mit ihrer letzten Akustik-CD ... *hust*), und hoffe, dass ihr etwas damit anfangen könnt. Wem das Piratenzeitalter nicht so zusagt, kann sich immer noch alles als moderne Abenteuerreise vorstellen; ich habe die altmodischen Sachen und Beschreibungen im Folgenden sehr reduziert, also keine Sorge. Und es wird immer noch genügend Rätsel, Verdächtigungen und Krimielemente geben :) Und wem allgemein die heutige Zeit mit der Naruto-Clique besser gefallen hat - keine Sorge, wir kommen bald darauf zurück. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel ist etwas kurz geraten, sorry dafür. Und ich hoffe, dass der Grund für Hinatas Verhalten nach all euren Vermutungen nicht zu unspektakulär ausgefallen ist^^
Und ich will mich hier auch gleich mal für all eure Kommentare und Gedanken und Mutmaßungen zu der FF bedanken, die ihr postet :) Es ist echt toll, wenn man derartige Rückmeldung erhält! Danke! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hoffe, es hat euch gefallen!
Ich bin übrigens am Überlegen, ob ich die Kapiteltitel nicht auf Deutsch verfassen sollte ... Oder zweisprachig, aber das könnte seltsam wirken. In meinem Dokument hab ich sie zweisprachig, aber ein paar klingen auf Englisch pfeffriger, weswegen ich bisher die englischen hochgeladen habe. Sonst fände ich die deutschen interessanter ... falls sich demnächst also was ändert, nicht wundern^^ Vielleicht habt ihr ja auch Anregungen, wie ich mich entscheiden sollte xD
Naja, viel Blabla um nichts - bis zum nächsten Mal!^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und das war's auch schon wieder. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Wir nähern uns dem Höhepunkt des Piraten-Arcs :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ich hoffe, es war nicht langweilig ... Im nächsten Kapitel geht's dafür ordentlich rund :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich lasse euch hiermit mal mutmaßen und bin schon gespannt auf eure Theorien ;) Eigentlich sollte es ab hier recht einfach sein. Übrigens möchte ich erwähnt haben, dass die Lynch-Ergebnisse natürlich nicht zwangsläufig eins zu eins in das Spiel übernommen werden können. Mit anderen Worten und einem extremen Beispiel: Würde Naruto im Spiel tagsüber Sasuke erschießen, bedeutete das nicht, dass nur er dafür gestimmt hat, ihn zu lynchen. Das wäre dann natürlich trotzdem eine Mehrheitsentscheidung gewesen, die auf das Spiel umzumünzen der Logik aber Abbruch getan hätte. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, nun sind alle Hinweise aufgedeckt und es gibt noch eine Chance, die Karten herauszufinden, ehe im nächsten Kapitel die Geschehnisse auf der Insel aufgeklärt werden :) Zur Erinnerung, es gibt einen Werwolf, ein Wolfsjunges, die Zaubermeisterin, die Lykanthropin, den Günstling, den Alten Mann, den Verfluchten, den Leibwächter, die Hexe, den Jäger, die Unruhestifterin, die Seherin, den Seher-Lehrling und zwei normale Dorfbewohner; außerdem waren zwei Personen das Liebespaar. Mitgespielt haben Kakashi, Jiroubou, Kiba, Sakura, Tayuya, Lee, Ino, Naruto, Kidoumaru, Kimimaro, Tenten, Neji, Sakon, Deidara und Sasuke. Ich wünsche noch mal viel Spaß beim Rätseln, und wir hören/lesen uns dann :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, es hat euch gefallen und Licht ins Dunkel gebracht :) Und es ist an der Zeit, ein weiteres Rätsel zu lösen - siehe nächstes Kapitel ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Willkommen also beim dritten Spiel :D Wer kennt das Spiel mit dem Todesfälle-Erraten? ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja, wen wohl ...? ;)
Übrigens gibt es nun wieder eine Spielergalerie und eine Liste der Rollen mit ihren Fähigkeiten. Ihr findet sie in der Charabeschreibung der FF.
Bis zum nächsten Mal! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
... und das war's! La Grande Faucheuse ist übrigens der Sensenmann auf Französisch. Hat irgendwie perfekt zu Hidan und dem Hotel gepasst :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich wollte vor den Feiertagen unbedingt noch ein Kapitel rausbringen. Ich habe die Sache auch etwas beschleunigt, damit das Spiel richtig anfangen kann - hoffe, es war nicht zu schnell ;)
Wünsche euch allen schon mal frohe Weihnachten und einen guten Rutsch; das nächste Kapitel kommt dann im neuen Jahr!
Urr Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
... und ob diese Entscheidung eine gute war? Ich glaube, ihr kennt die Antwort :P Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, meine Lieben! Willkommen zum ersten der kleinen Zwischenrätsel, die ich euch versprochen habe. Wer der Anwesenden hat Kakashi und Toto ermordet (die Karten außer Acht gelassen; es geht rein um die Spiel-Ebene)? Die Hinweise sind alle aufgedeckt, und im nächsten Kapitel folgt die Lösung. Viel Spaß beim Ermitteln :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und, wer ist dahintergekommen? ;) Das nächste Minirätsel befindet sich eben im Aufbau! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Diesmal ist ja einiges passiert^^ Und willkommen zum nächsten Zwischenrätsel :) Diesmal hab ich einen Verschlossenen Raum eingebaut, damit es tückischer wird. Wer hat Neji getötet, und wie? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und hier die Auflösung zu dem Mord an Neji! Wir nähern uns dem Ende ... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Zwei Kapitel kommen noch! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ich hoffe, dass das meiste nun klar ist und ich es verständlich rübergebracht habe. Im nächsten Kapitel: Das Finale von The Wolves among us. Bis dann! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
... und das war es mit "The Wolves among us"! Ich bin über alle froh, die bis hierher durchgehalten haben, und bedanke mich bei allen, die so nett waren, mir Kommentare zu hinterlassen und mich an ihren Gedanken teilhaben ließen. Zu guter Letzt würde mich noch interessieren, welches der drei Spiele euch am besten gefallen hat. Ich habe meinen eigenen Favoriten, würde aber gern auch eure Meinung wissen :)

Für all jene, die Shikamaru als Detektiv mochten, habe ich noch etwas zu verkünden: Und zwar habe ich endlich das erste Kapitel meines zweiten Kurz-Krimis im Ninjaverse fertiggestellt, mit Shikamaru und Temari in den Hauptrollen. Ihr findet die FF hier.

Ansonsten habe ich nur zu sagen: Danke euch allen fürs Lesen, und vielleicht liest man sich ja mal wieder :)
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Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-09T17:39:19+00:00 09.04.2019 19:39
Meine absolut letzte Liste, bevor es aufgeklärt wird.
Itachi ● Geist
Hidan ● Kultführer
Kidoumaru ● Werwolf
Sakura ● Freimaurer
Tenten ● Seherin und Liebespaar
Tentens ungeborenes ● Vampirjäger und Liebespaar
Kankurou ● Vampir
Kimimaro ● Werwolfsjunge
Toto ● Priester
Kakashi ● Leibwächter
Gaara ● Doppelgängerin und Wolfsjunge
Neji ● alter Mann
Asuma ● Prinz
Kurenai ● alte Vettel
Choji ● Paranormale Ermittler
Lee ● Märtyrerin
Shino ● Werwolf
Tayuya ● Hexe
Sakon ● Unruhestifterin
Temari ● Werwolf
Sasuke ● Trunkenbold und Strolch
Naruto ● Freimaurer
Sasori ● Vampir, Kultführer
Deidara ● harter Bursche
Hinata ● Freimaurer
Kiba ● Verfluchte
Ino ● Zaubermeisterin
Jiroubou ● Vampir

Es gab einige Rollen bei denen ich nicht wusste wem ich sie zu ordnen sollte. Hier nun meine Erklärungen dazu.

Shika meinte es gäbe 3 Freimaurer in dem Spiel, ganz klar gehören dazu Naruto und Hinata zweifelsohne... Der letzte war etwas kniffliger für mich... Ich dachte erst an Choji und dann konnte ich mich an kein 3er Gespann deresgleich mich erinnern. Kurz nach der 4. Nacht wurden Hinata und Naruto verdächtigt, neji9umgebracht zu haben, da alle beide nur für einander waren, ist es nur logisch das der 3. Freimaurer da schon längst tot war. Also habe ich überlegt, hab gab es die beiden auch mal mit jemanden anderen im Schlepptau und ja in der ersten Nacht, des Spiels haben sie sich in dreier Teams getrennt und bei Ihnen war Sakura. Also denke ich das sie der 3. Freimaurer ist, denn würde zu dem Zeitpunkt der 3. noch Leben, hätte er weder für Hinata oder Naruto gestimmt.

Nun zu der Rolle des alten Mannes, die bereitet mir immer noch Sorgen... Aber Fakt ist es gibt 4 Wölfe + ein Wolfsjunges im Spiel. Insgesamt also 5 Wölfe... Der alte Mann stirbt in der x-ten Nacht. X ist die Anzahl der lebenden Werwölfe plus 1. (4. Nacht + 1), würde heißen der alte Mann starb in der 4. Nacht. Die Nacht die mir soviel Sorgen nebenbei bereitet. In der Nacht starben 3 ( Neji, Asuma und Kurenai). Und jetzt wird meine Theorie etwas abgedreht, aber ich hoffe dennoch verständlich. Das Asuma der Prinz war ist klar, wurde auch nach seinem ersten Tod am Tag bestätigt, Kurenai ist die alte Vettel, denn die Verbannung haben erst nach ihrem Tod aufgehört. Und nun zu meiner umstrittenen Theorie, ich denke der alte Mann ist Neji. Wäre nur logisch von der Rechnung her.

Nun zu der Rolle der Doppelgängerin. Ebenso eine hartnäckige Rolle, in der ich hin und her modeln musste, am Ende ist nun diese Theorie bei mir raus gekommen: Die Doppelgängerin kann nur einer der Wölfe sein. Ich tippe stark auf Gaara. Er zeigt er in der ersten Nacht auf Kimimaro. Als letzter starb, haben die Wölfe sich für Toto und Kakashi entschieden. Also könnte es gut möglich sein, das Gaara das Wolfsjunge nun war... Am 3. Tag wurde er gelyncht, weil er mit an Board von den Wölfen war und Toto und Kakashi gelyncht hatte. Und in der 4. Nacht gab es dann 3 Opfer. Also haben sich durch seinen Tod nachts darauf die Wölfe zusammen gefunden und Neji und Asuma gewählt. Bleibt nur noch Kurenai übrig. Diese wurde nicht von einem Wolf getötet, sondern von der Hexe (Tayuya). Ich nahm zwar bisher an das die Hexe ihren Gifttrank an Shino verschwendet hat, aber das muss ja nicht sein... Shika meinte die Hexe hätte sich selbst geheilt, also konnte sie ihn nochmal angreifen und den Wolf mit sich reißen, ungeachtet dessen das sie keinen Gifttrank dafür bräuchte, denn sie hatte noch ihren Lebenstrank für sich selbst.

Nun zu der Klärung des Paranormalen Ermittlers, wenn ich Neji als alten Mann bezeichne. Unter den ganzen Konstellationen an Teams, gab es immer eines was beisammen war und zwar Tayuya, Sakon und Jiroubou. Der paranorrmale Ermittler kann nur Werwölfe ausfindig machen, diese 3er Gruppe ist also so gesehen sauber. Bevor Choji, dem ich diese Rolle gebe, in die Lounge zurück kam war er mit Ino im Hotel unterwegs... Ino wusste von Anfang an wer die Vampire sind, denn diese konnte sie als Zaubermeisterin sehen und sich vor dem angriff von Kankurou schützen, weil sie wusste wer er war. Ich war zwar einige Kapitel lang der Annahme das sie vom Priester beschützt wurde durch die erste nach und den zweiten Tag, aber ich denke das sie in der ersten Nacht vom Leibwächter beschützt wurde. Läge in dem f alle Chouji Nähe, aber den Gedankengang mag ich nicht haben. ^.^' Chouji wusste als er in die Lounge kam das kein Wolf anwesend war und hat deswegen sein Getränk getrunken. So meine Theorie. Denn Vampire konnte er nicht sehen und alle anderen spielten im guten Team. Also Chouji der paranormale Ermittler.

Und nun zu den Rollen Leibwächter und Priester. Bei denen ist es ein rätselraten. Toto hat in der Nacht Shino vor Sasori beschützt und dennoch geht mir das Gesagte von Shika nicht aus dem Kopf, das die Wölfe bestimmt Asuma und Kakashi lynchen wollten. Ich entscheide mich dafür das Toto der Priester ist und Kakashi der Leibwächter. Er könnte in der ersten Nacht Ino beschützt haben, wenn man bedenkt das sie die beiden vorhergehenden Spiele ein Wolf war.

Für Sakon bleibt am Ende nur noch die Unruhestifterin bei mir übrig.




Antwort von:  UrrSharrador
21.04.2019 14:42
Hab ich dir hier noch gar nicht geantwortet? O.o Hoppla. War mal wieder ziemlich animexx-abwesend in letzter Zeit. Jedenfalls - ich bin beeindruckt, du hast es fast richtig :) In zwei Fällen sind sozusagen die Rollen vertauscht, aber sonst stimmt es.
lg
Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-08T17:09:40+00:00 08.04.2019 19:09
Warum sind aber in der 4. Nacht, dann 3 Peronen Neji, Asuma und Kurenai) gestorben und alle 3 durch Wölfe?
Ebenso meint Shika in dem Kapitel, dass Shino der letzte Wolf wäre, der gestorben ist, aber Sphinx hat auch Temari, als Wolf zum Schluss identifiziert, wie kann das also sein?
Bei den 4 Rollen die übrig bleiben, ist es ja nun nicht mehr so schwer. Hinaus ist der Freimaurer, Jiroubou der Vampir, Kiba der Verfluchte und Ino die Zaubermeisterin.
Doch was ist dann mit Temari gewesen, das ergibt für mich gar keinen Sinn... Selbst wenn sie vorher die Doppelgängerin gewesen wäre, dann vielleicht in der ersten Nacht auf Gaara gezeigt hätte... Dieser starb dann am 3. Tag und sie hätte seine Rolle bekommen, als Wolf... müsste sie sich Sphinx als Wolf ankünden zum Schluss, was er ja auch tat... Also wie kann sie jetzt kein Wolf sein??? Denn Fakt ist, sie hat Neji in der 4. Nacht getötet, also wäre es nur logisch wenn die ein Wolf ist...*Haare rauf*
Also die 4. Nacht und das mit Temari ist mir echt ein Rätsel...

Antwort von:  Cosmoschoco1209
08.04.2019 19:15
Und sollte es wirklich nur 4 aktive Wölfe (Kidou, Gaara, Kimi und Shino) geben. Dann hätte die Rolle des alten Mannes Kakashi.
Antwort von:  UrrSharrador
09.04.2019 00:11
Danke mal wieder für deine Kommis!
Ich habe dich gewarnt, dass Sphinx sehr viel trickst und es schwierig bis unmöglich ist, die Rollen zu erraten ;) Nichtsdestotrotz sieht deine Auflistung ziemlich gut aus.
Ah, Mist. Als Shikamaru sagt, dass Shino der letzte Werwolf war - da hab ich einen Fehler gemacht. Temari war der letzte Werwolf, sie ist erst nach Shino gestorben.
Antwort von:  Cosmoschoco1209
09.04.2019 07:06
Nur gut das mir das mit Temari aufgefalleaufgefallen ist. :P Ich lasse mich heute Abend einfach mal im nächsten Kapitel überraschen, wer welche Rolle hatte. Einige wurden ja schon genannt oder haben sich mehr oder weniger selbst geoutet. Andere wiederrum waren sonnenklar, naja bis auf das Liebespaar. :D Wenigstens in deiner FF kommt man Neji zum Schuss, wenn es sonst schon nicht im Original passiert... ^.^
Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-07T17:54:16+00:00 07.04.2019 19:54
Wtf... Ist doch nicht wahr... Das heißt ja, alles was man glaubt zu wissen, könnte falsch sein... Ich bin gerade am und runter scrollen und überarbeite wie eine wilde meine Notizen... Auch wenn dieses Kapitel zwar schön erklärt ist gibt es dennoch Lücken. Als erstens wo ist dieser verdammte 'Verfluchte', ich bin immer davon ausgegangen, das es Sakon ist, ebenso wird nicht wirklich bestätigt das Sasori ihn gekillt hat... Es hängt an der Sache ein großes Fragezeichen... Ebenso die Frage dann, ob er nicht vielleicht doch in der Nacht gestorben ist, wenn es Sasori nicht war... Soviele Fragen in meinem Kopf... Also gibt es nicht nur noch einen Vampir, sondern noch einen Wolf... was die Tatsache näher bringt, das einer von den vielen mir bekannten Wölfen, keiner der Verfluchte ist, sondern der in irgend einer Nacht getötet wurde... Also käme Sakura vielleicht in Frage, weil ich für sie noch keine Rolle habe... Dann hätten wir noch Toto und Kakashi, die in der nächsten Nacht starben, aber ich denke das Toto entweder der Leibwächter oder der Priester war. Und dann haben wir noch Kakashi, auch ihn kann ich noch keine Rolle zuordnen. Die 4. Nacht starben Neji, Asuma und Kurenai. Ich weiß bis jetzt noch nicht warum zwei Wölfe aktiv waren. Temari (Wolf) hat Neji getötet und Shino (Wolf) Asuma, von dem man definitiv weiß, dass er der Prinz war, denn Sphinx hat es bestätigt, ebenso hat Asuma sich geoutet. Obwohl das, nach Shinos Anfang auch nicht mehr viel heißt, denn er war am Ende ja auch ein Wolf und nicht die Seherin. -.-
Ebenso hat sich Neji geoutet, als Paranormaler Ermittler. Wenn er keiner wäre, hätte er auch Gefahr laufen können, das sich unter Kakashi und Toto, ein Wolf hätte befinden müssen. Shino hat schon gelogen, Asuma war clean und Neji wurde nach seinem Tod zwar von Sphinx ebenso als sauber bezeichnet. Wenn er auch nicht der ist der er war, wer wäre er dann und es würde heißen das der Paranormale Ermittler noch im rennen wäre... Gestorben ist auch noch Kurenai, bei der ich mir schon lange sicher bin das sie die Vettel ist und mit Asuma das Liebespaar verkörpert. In der 5. Nacht sind Shino (Wolf) und Tayuya (Hexe) gestorben, bei denen lässt nix zu das es eine andere Rolle mehr sein könnte. In der 6. Nacht starb keiner, auch nicht in der 7. Nacht. Aber in der 8. Nacht starb Deidara, dieser hat den Kampf am 7. Tag gegen Sasori (Vampir, Kultführer) überlebt, was mich schlussfolgern lässt das er der harte Bursche ist.
Sollte es also wirklich so sein wie Shikamru sagte, kommen für mich nur 3 Personen in Frage, die schon Tod sind, aber dennoch ein falsches Spiel spielen. Das sind Sakura, Kakashi und Neji. Von allen 3en hat sich nur Neji geoutet. Du wärst nicht so gemein, jemand neues ins Spiel zu schicken - hoffe ich. ^.^'
Und obwohl Shikamaru dem Polizisten alles erzählt hat was er weiß, dementierte er die Leichenanzahl nicht... Also einer von den 3en dürfte doch dort nicht mehr sein im Hotel, oder?
Ich habe gerade voll da Gefühl mich in etwas zu verrennen und am Ende ist es vielleicht sogar noch einfacher begründet.
Ich habe gerade den Eindruck es ist nichts mehr so wie es scheint, vielleicht ist dieser Verfluchte noch unter den lebenden und ist noch nicht zum Wolf geworden. Temari war vielleicht der letzte lebende Wolf gewesen... Damals im 2. Spiel, als herauskam das Sakura ein Wolf war, hat sie noch einen Spruch los gelassen, worauf hin Naruto ja die Augen fast rausgefallen sind, weil er dachte das sie die letzte wäre. In der Nacht bevor sie starb, hat sie Jiroubou dazu gewinnen können, weil er der Verfluchte war. Hat Temari nicht auch noch etwas kleines hinzugefügt in diesem 3. Spiel, als sie starb... Mit kommt es so vor, als hätte sie sowas gesagt wie: " viel Spaß noch mit denen." Oder irgendwie so etwas... Ich dachte die ganze Zeit, das könnte auf Sasori bezogen sein, aber er war ein Vampir und sie ein Wolf... Sie hätten sich nicht erkennen können... Oder halt der Spruch vielleicht auch Shikamaru oder vielleicht doch dem Verfluchten, der schon unter ihnen weilte...????
Man mein Gehirn läuft auch Hochtouren, aber findet kein Ende.
Wenn der Verfluchte aber schon unter denen war nach Temaris Tod, warum gab es keine Opfer zu beklagen in den Nächten danach...
Fakt ist Kimimaro was der Wolfsjunge und Shino, Kidoumaru und Gaara auf jedenfall Werwölfe. Wenn Temari der Verfluchte sein sollte, wann sollte die denn man angegriffen wurden sein, also denke ich das sie auch ein ganz normaler Wolf ist...

Egal jetzt, hier ist meine verdammte letzte Rollenverteilung: ;D
Itachi ● Geist
Hidan ● Kultführer
Kidoumaru ● Werwolf
Sakura ● Verfluchte oder Seherin oder Leibwächter
Tenten ● Vampirjäger
Kankurou ● Vampir
Kimimaro ● Werwolfsjunge
Toto ● Priester oder Leibwächter
Kakashi ● vielleicht wäre er der Paranormale Ermittler oder Verfluchter
Gaara ● Werwolf
Neji ● Paranormaler Ermittler?? oder Verfluchter??
Asuma ● Prinz und Liebespaar
Kurenai ● alte Vettel und Liebespaar
Choji ● Unruhestifterin
Lee ● Märtyrerin
Shino ● Werwolf
Tayuya ● Hexe
Sakon ● wenn er in der Nacht gestorben ist und der Verfluchte als Wolf aktiv ist, wäre er der alte Mann
Temari ● Werwolf
Sasuke ● Trunkenbold und Strolch
Naruto ● Freimaurer
Sasori ● Vampir, Kultführer
Deidara ● harter Bursche
Hinata ● Freimaurer
Kiba ● Leibwächter?
Ino ● Doppelgängerin und Seherin oder Zaubermeisterin
Jiroubou ● der letzte lebende Vampir im Spiel, den Shika meint, denn Sasori hat Sasuke nicht auf dem Gewissen

Ich bin durch mit dem Rätsel raten, alles andere überlasse ich nun Shikamaru, mich aufzuklären. ^.^





Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-06T23:35:41+00:00 07.04.2019 01:35
Okay somit hat sich die Frage geklärt wann Sakon umgebracht wurde... Auch meine schöne Dreieckstheorie (ShinoxSasorixGaara) wurde soeben zerschmettert. Schade das Wölfe und Vampire keine gemeinsame Sache gemacht haben, sondern jede Gruppe ihren eigenen Vorteil nutzen wollte, ich hoffe dennoch es wird geklärt, wo die ganzen Waffen gekommen sind aus der 3. Nacht, als Toto und Kakashi starben. Denn alle beide hatten eine, Sasori ebenso, aber er hat die beiden nicht erschossen.

Neue Rollenverteilung:
Geist = Itachi
Vampirjäger = Tenten
Prinz, Liebespaar = Asuma
Alte Vettel, Liebespaar = Kurenai
Freimaurer = Hinata und Naruto
Märtyrerin = Lee
Hexe = Tayuya
Trunkenbold, Priester = Toto
Paranormale Ermittler = Neji
Vampir = Kankurou, Sasori (sollte auch der jetzige Kultführer sein)
Wolfjunges = Kimimaro
Werwolf = Kidoumaru, Gaara, Shino, Temari (keine Ahnung ob unter denen der Verfluchte noch ist)
Zaubermeister = Deidara
Kultführer = Hidan
Seherin = Sasuke
Verfluchter oder harter Bursche = Jiroubou
alter Mann = vielleicht Kakashi, je nachdem, ob nicht vielleicht doch noch ein Werwolf dabei ist und sich gerade nicht zu erkennen geben möchte.
Leibwächter = vielleicht Sakura

Bleiben aber immer noch ein paar übrig an Personen, aber ich mag auch nicht wirklich Rätselraten machen, ohne wirklichen Anhaltspunkte.

Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-06T22:35:20+00:00 07.04.2019 00:35
Es tröstet mich das ich nicht ganz falsch lag, mit der Theorie über Temari. Aber es ärgert mich das Sakon nicht der Verfluchte ist. *möff* Obwohl das alles nicht hin haut. Sakon war in der Lounge noch bei Tayuya und Jiroubou, die scheinen auch gemeinsam den Raum verlassen zu haben, warum ist also Salon in 5. Nacht nicht mehr bei den beiden? Moment mal gab es nicht mal als kleine Anmerkung, das Vampire, die Werwölfe töten können, aber nicht anders herum...? Ebenso habe ich gehofft, das Ino die jenige ist die vom Priester beschützt wird.

Neue Rollenverteilung:
Geist = Itachi
Vampirjäger = Tenten
Prinz, Liebespaar = Asuma
Alte Vettel, Liebespaar = Kurenai
Freimaurer = Hinata und Naruto
Märtyrerin = Lee
Hexe = Tayuya
Trunkenbold, Priester = Toto
Paranormale Ermittler = Neji
Vampir = Kankurou, Sasori
Wolfjunges = Kimimaro
Werwolf = Kidoumaru, Gaara, Shino, Temari (keine Ahnung ob unter denen der Verfluchte noch ist)
Zaubermeister = Deidara
Kultführer = Hidan
Seherin oder alter Mann = Sasuke
Für Sakura selbst kämen 4 Rollen in Frage Seherin, Leibwächter, Strolch und Doppelgängerin
Sakon irritiert mich wieder rum, ist er nun am Tag oder in der Nacht gestorben, ich würde denken am Tag durch ein Vampir... Sollte er aber in der Nacht den tot noch gefunden haben, tippe ich darauf das er der harte Bursche ist....

Ich habe 7 Personen, denen ich noch keine Rolle hinzufügen kann... -.-'




Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-06T18:33:05+00:00 06.04.2019 20:33
Oh fuck... Ey ich habe mit vielem gerechnet, aber nicht damit das er ein scheiss Wolf ist. Aber ist klar, er hat die Wölfe erkannt, als Seherin wäre es purer Zufall gewesen. Also heißt das jetzt, das Gaaras Komplize Shino ist... Er saß schließlich selbst mit dort. Oder könnte es sein, das es dennoch ein Gemeinschaftsding zwischen SasorixGaaraxShino war... Auf jedenfall eine krasse Wendung, die ich tatsächlich nicht habe kommen sehen. Das ganze ändert aber alles, denn der Verfluchte kann er nicht sein, weil er in der ersten Nacht oder am Tag Kidoumaru ausfindig gemacht hat, als Wolf. Also war er von vorn herein ein ganz normaler Wolf. Ebenso spielt wieder ein Vampir mit, wenn man Sphinx Zustimmung glauben schenken darf, denn dieser scheint ja Choji umgebracht zu haben. Allerdings sind es die Nacht wieder 2 Opfer...

'Entgegen Narutos Worten klebten die beiden regelrecht aneinander, als könnten sie sonst eben niemandem mehr trauen.'
Ich denke Naruto und Hinata sind die Freimaurer, so wie die am Anfang dieses Kapitels für einander eingestanden haben - was schon sehr süß ist. Ebenso scheint es mir das man einige Rollen vielleicht anzweifeln muss... Das ändert verdammt nochmal alles...
Neue Liste bei der ich mir sicher bin:
Geist = Itachi
Prinz = Asuma
Liebespaar = Asuma und Kurenai
Alte Vettel = Kurenai
Vampirjäger = Tenten
Vampir = Kankurou
Werwolf = Kidoumaru, Shino, Gaara
Wolfjunges = Kimimaro
Freimaurer = Hinata und Naruto
Märtyrerin = Lee
Das heißt aber das entweder die Seherin am Anfang gestorben ist, sozusagen könnte es Hidan oder Sakura gewesen sein oder die eigentliche Seherin ist noch im Spiel und zeigt sich nicht, weil die Person weiß, das diese dann gejagt wird.

Nun zu den Rollen bei denen ich mir nicht oder nicht mehr sicher bin, kann also sein das ich bei manchen zwei Namen hinschreibe.

Kultführer = Hidan
Alter Mann = Sasuke
Verfluchter = Sakon
Hexe = Tayuya
Priester = Deidara
Zaubermeisterin = Deidara
Werwolf = Sasori
Vampir = Sasori (sollte dies der Fall sein, denke ich das Deidara die Z ist, da es sie auch nur im Doppelpack gibt, sprich sie wissen von einander Bescheid)
Seherin = Sakura, Hidan, Sasuke (wenn diese im Spiel ist noch, dann tippe ich auf ihn, aber ich hoffe er der alte Mann, damit er endlich verreckt. Ich habe definitiv kein Herz für ihn)
Trunkenbold = Toto, Lee
Leibwächter = Toto
Doppelgängerin = Toto (?)
Unruhestifterin = Ino, Temari, Kiba, Choji, Jiroubou
Strolch = könnten ebenso mehrere in Frage kommen -.-
Harter Bursche = ich denke er war noch nicht aktiv

Fakt ist es sollte mindestens noch einen Wolf (Sakon) und einen Vampir geben. Ebenso darf man die Tatsache nicht außer acht lassen, dass es noch den Kult gibt. Ich glaube gelesen zu haben, das Shikamaru meinte das der Kultführer darauf aus ist, das soviele seiner Anhänger überleben sollten... Aber damit werde ich mich nicht befassen, das überlasse ich dann dem Superhirn Shikamaru. ^.^



Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-06T13:27:38+00:00 06.04.2019 15:27
Deshalb, weil niemand verbannt wurde, war Kurenai die alte Vettel. Ebenso war sie mit Asuma das Liebespaar.
Und verdammte Scheisse, wieso fällt Shika nicht auf, dass Shino nicht mehr bei Sasuke ist...
Das Rätsel um Neji ist gemein... Da ja irgendwer auch totalen Humbug erzählen kann.
Hier die Fakten:
● laut Sasuke wurde Neji die Kehle aufgeschlitzt
● laut Temari sollte sie Neji eine halbe Stunde vorher raus lassen
● laut Naruto kommt für den Mord nur Temari in Frage
● laut den anderen kommen nur Naruto und Hinata in Frage
● doppelt abgeschlossener Raum
● ebenso scheint sich Temaris Bad über dem Flur zu befinden, und nicht wie bei Naruto im Zimmer gleich nebenan
● sie hatte ihren Schlüssel für die Zwischentür benutzt, deshalb war sie noch offen
● da aber die Zwischentür in Narutos Zimmer verschlossen war, würde es heißen, das es zwei Personen gibt die damit was zu tun haben
● ich glaube Neji ist noch in der Nacht bevor Asuma angegriffen wurde gestorben, nach der Uhreit zu folge
●Neji selbst könnte jeder umgebracht haben, der allein unterwegs war in dem Haus, wenn das Bad im Flur lag
● also kämen Asuma, Temari, Sasuke und Shino auf jedenfall in Frage
● aber auch Naruto und Hinata kämen in Frage
● Shika, Kiba und Lee waren die ganze Zeit zusammen
● Chouji und Ino wären da zwar noch aber ich weiß nicht...

Bevor ich nun allerdings die ganzen Leute durch gehe, sage ich das es Temari war. Warum? Sie ist die einzige die ein Zimmer alleine hatte, weil sie ihre Ruhe wollte. Ich denke es stimmt soweit das sie meint das sie Neji geweckt hat. Sie behauptet das sie ihm gesagt hätte, dass sie im Hotel den Typen finden will, ich kann mir nicht vorstellen das Neji sie allein losziehen würde. Er hätte sie bestimmt aufgehalten. Was aber wenn sie stattdessen zu ihm sagte das sie mal ins Bad muss. Ihres lag über Flur und Sie hätte sicher gewollt das sie jemand begleitet. Darauf hin könnte sie Neji im Bad umgebracht, ihm den Schlüssel von seiner Zwischentür genommen haben, Bad Tür hat sie zu gemacht, ist in ihr Zimmer gegangen was sie abgeschlossen hat. Da man ihre Durchgangstür nur von ihrer Seite abschließen kann, konnte sie die nur zu machen, ist in Hinatas und Narutos Zimmer geschlichen. Hat ihre Zwischentür abgeschlossen, den Schlüssel hingelegt und sich in deren Bad versteckt. Irgendwann sind Naruto und Hinata wach geworden durch den Lärm vor ihrer Tür. Haben diese geöffnet und da lag Asuma, dann kam Sasuke und sagte ihnen das sie wieder ins Zimmer gehen sollten. Kurz bevor sie ins Zimmer sind war Narutos Handy ausgegangen und Temari hätte so Zeit gehabt aus dem Zimmer zu schleichen um ebenso die anderen zu suchen, damit sie ein Alibi hat. Naruto und Hinata gehen ins Zimmer schließen ab und machen sich auf die Suche nach Neji.

Ehrlich gesagt könnte ich die anderen auch durchnehmen Naruto und Hinata, aber da ich das nicht möchte, werde ich nur halbherzig bei diesem Rätsel mitmachen. Aber meine Theorie geht im großen und ganzen auf, also kann ich mich nicht beschweren. :D
Antwort von:  UrrSharrador
06.04.2019 16:51
Hi! Wie versprochen, kommt heute die Antwort.
Bezüglich Trunkenbold: Genau, der Trunkenbold weiß nicht, welche Rolle er in Wahrheit hat. Sphinx zeigt ihm die entsprechende Karte, sobald er verkündet, dass der Trunkenbold nun ausgenüchtert ist. Deswegen nimmt Shikamaru an, dass die "echte" Karte des Trunkenboldes eine der erwähnten ist, weil die nur 1x (in der allerersten Nacht) aktiv werden können. Die Seherin zB wird jede Nacht aktiv, da würde Sphinx nach dem Ausnüchtern des Trunkenboldes ganz normal die Seherin aufrufen. Oder auch die Unruhestifterin muss sich jede Nacht entscheiden, ob sie das Dorf aufwiegeln will. Weil Sphinx die entsprechenden Karten (Strolch und Doppelgängerin) aber nicht mehr aufrufen kann (ohne dass jeder erfährt, was der Trunkenbold in Wahrheit ist), hat er es so machen müssen. Sprich, Priester oder Unruhestifterin können zwar nur einmal handeln, werden aber jede Nacht aufgerufen. Strolch und Doppelgängerin werden nur 1x im ganzen Spiel aufgerufen. Ja, darum kann es auch sein, dass der Trunkenbold in Wahrheit die Doppelgängerin ist, was bedeutet, dass er noch eine andere Karte haben kann (wie den Leibwächter, um bei deinem Beispiel zu bleiben).
Jaah, Shikamaru hat in der Hitze des Gefechts tatsächlich übersehen, dass Gaara bei seinem Mord nicht allein gehandelt haben kann ;)
Zu dem Rätsel um Neji: Doch, das Badezimmer, in dem sie ihn gefunden haben, befindet sich in Temaris Hotelzimmer, genauso wie das bei Naruto und Hinata. Die Leute, die im Flur unterwegs waren, fallen also weg. Ansonsten gefällt mir dein Ansatz gut ;)
Antwort von:  Cosmoschoco1209
06.04.2019 17:17
'Er nahm sie an der Hand – sie mussten beide ständig in dem Lichtkreis sein, unbedingt – und ging mit ihr zu der Tür, die auf den Flur führte.'
Da weiß ich wo ich den Fehler hatte, aber dadurch das ich Flur gelesen habe, dachte ich das sie raus mussten, um in ihr Bad zu kommen. Aber Fakt ist, der Täter hätte sich verstecken müssen und da käme dann ja nur noch das Bad in Frage von dem Raum von Naruto. Wenn Hinata Hinaus die Täterin wäre, bräuchte sie sich nicht verstecken, da sie bei Naruto war... Und Naruto kann ich mir nicht vorstellen, weil du ja seine Sicht beschrieben hast, als er aufwachte. Aber warum sollte Temari, sonst rüber bitten zu sich. Es sei denn sie war es wirklich nicht, Nein hat sie rausgelassen und hat den Riegel wieder vor die Tür gemacht, dann würden nur noch in dem Moment Hinata und Naruto bleiben, beide hätten die Möglichkeit, kurz nachdem Neji also die Tür verriegelt hat, ihn ins Bad zu stoßen und umzubringen. Zurück ins Zimmer zu gehen, die eigenen Verbindungstür zu zu schließen und sich wieder hinzulegen...
Aber was mich noch mehr beunruhigt, warum ist in dieser Nacht einer zu viel gestorben... Da könnte dann nur noch die Hexe ihre Finger im Spiel haben. Und den Gifttrank benutzt haben, anders kann ich es mir nicht mehr erklären...
Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-06T08:48:40+00:00 06.04.2019 10:48
Okay Gaara war es, aber warum fragen sie sich nicht, wer der zweite dann im Bunde ist... Ganz alleine hätte er es doch nicht machen können, also gibt es auf jedenfall mindestens noch einen Wolf und dieser ist ebenfalls draußen gewesen. Ebenso ist Kurenai noch nicht wirklich in Aktion getreten. Und was sollen die Nachrichten vom Geist. Erst ein K, jetzt ein V...
Bekannte Rollen sind ja nun klar, die sich geoutet haben mal mehr, mal weniger freiwillig... 23 Rollen, für 27 Spieler... Shikamaru ist der Beobachter, also zähle ich ihn nicht mit... Das Liebespaar, zähle ich jetzt noch nicht mit rein, weil sie ja trotzdem eine andere Karte haben.
Geist = Itachi
Seherin = Shino
Prinz = Asuma
Paranormaler Ermittler = Neji
Vampirjäger = Tenten
Vampir = Kankurou
Werwolfsjunge = Kimi
Werwolf = Kidou, Gaara
Kultführer = Hidan, am Anfang
Das sind die offensichtlichen Rollen, die teils schon aufgeklärt wurden.
Nun zu den Rollen, bei denen man nur Vermutungen anstellen kann, erst einmal.

Der Verfluchte: ist und bleibt in erster Linie für mich Sakon, aufgrund dessen, dass er in der ersten Nacht von den Wölfen (Kimi, Kidou und noch einem angegriffen wurde). Gaara war zu dem Zeitpunkt im Twilight, also schließt er bei der Aktion aus.

Werwolf: ich denke immer noch Gaara hat es nicht allein geplant, wie auch... Fällt mein Hauptaugenmerk auf Sasori. Und ich nehme an, er wird vielleicht sogar der 3. mit im Bunde gewesen sein, der sich bei der Prügelei bei Sakon daran beteiligt hat. Ebenso denke ich auch das er der Komplize von Gaara war und ich nehme an er hat den Zettel, den sie jetzt eben gefunden haben da platziert. Ist ja schließlich merkwürdige, das er ausgerechnet aufsteht, zur Tür geht und dann etwas findet. Wie gesagt es gibt vielleicht noch einen weiteren Wolf, neben Sasori und Sakon.

Alter Mann: mit der Rolle des alten Mannes bleibe ich bei Sasuke. Der qualmt definitiv zu viel... :D Und daran wird er sicherlich auch sterben

Priester: ich habe den Verdacht, dass die Rolle Deidara übernimmt... aus dem ganz einfach Grund, er hat die Getränke ausgeteilt in der ersten Nacht... Und wen er das ewige Leben geschenkt hat, zumindest immun gegen Wölfe und Vampire gemacht hat, ist ganz klar Ino... Ich denke das sie nicht mehr getötet werden kann von denen, allerdings müsste sie noch getötet werden, durch die Hand von Freimaurern. Allerdings bin ich mir noch nicht 100%ig sicher.

Hexe: ich gehe davon aus, dass die Karte Tayuya besitzt, sollte denn Sakon überleben die jetzige Nacht... Denn sie hat ihn behandelt, ihr steht es frei ihn zu töten oder am Leben zu lassen. Aber aufgrund dessen, dass sie Kidou getötet hat, denke ich das sie ihren Gifttrank schon verspielt hat, bin mir aber auch da noch nicht ganz sicher.

Trunkenbold: da tendiere ich noch zu zwei Personen, zum einen Lee, aber auch Toto scheint für mich eine passende Wahl zu sein... Lee aus dem Grund, weil er sich die ganze Zeit zurück hielt, bis als er dann aus seiner Phase raus kam und sagte er würde die anderen in der Lounge beschützen. Aber auch Toto kommt in Frage, denn in der Nacht wusste er was seine Rolle ist. Während er vorher relativ planlos gehandelt hat... Da aber der Trunkenbold seine wahre Rolle einnimmt, kann er eigentlich nur die Rolle des Leibwächters haben. Toto hat Shino beschützt... Oder er war vielleicht von Anfang an der Leibwächter...

Alte Vettel: ich kann nicht wirklich begründen warum ich Kurenai die Rolle zu schreibe, gerade weil sie sich nur einmal zu Wort gemeldet hat und das war zu dem Zeitpunkt, als Asuma verbannt wurde am 2. Tag und sie gesagt hat bei der Nominierung, dass sie ihn lynchen würde, ohne eine Begründung anzugeben.

Vampir: ich weiß nicht, ob neben Kankurou es noch jemanden gibt, allerdings hörte es auf, sowie er tot war. Denn Asuma (der zwar noch lebt und seine Karte aufgedeckt hat hat) und der tot Gaara, waren das Werk der Unruhestifterin.

Zaubermeisterin: auch dafür habe ich keine handfesten Beweise, ebenso ist es nur geraten und tippe auf Ino... einfach weil sie auch von Kankurou attackiert wurde, also könnte die auch gewusst haben wer er ist... Aber kann natürlich auch zu weit hergeholt sein von mir, wer weiß...

Ich denke das die Spezialkarte harter Bursche noch nicht zum Einsatz kam.

Doppelgängerin: Shikamaru meinte es gebe was den Trunkenbold angeht nur zwei Karten die ganz zum aktiv sind in der ersten Nacht. Kann es dennoch sein, dass der Trunkenbold, wenn er ausgenüchtert hat, die Dopprlgänger Karte hat? Und wenn ja, könnte es dann sein, wenn er auf die Person in der ersten Nacht gezeigt hat, der Leibwächter war und da dieser vielleicht gestorben ist, dann selbst nun der Leibwächter ist. Zum Verständnis. Toto hat die Karte des Trunkenboldes, diese entpuppt sich als Doppelgänger Karte, diese kommt wird aber schon in der ersten Nacht benutzt, weil die Doppelgängerin auf jemanden zeigen muss. Die Person zeigt beispielsweise aus Sakura. Sakura ist in der zweiten Nacht gestorben durch einen Wolf. Also ändert sich doch automatisch die Doppelgänger Karte zur Leibwächter Karte. Und als der Trunkenbold ausschläft, erfährt er das er der Leibwächter ist.
Vielleicht ist es jetzt besser verständlich.

Märtyrerin oder vielleicht auch Leibwächter: Wer garantiert denn, dass das Opfer in der 2. Nacht (Sakura), nicht vielleicht das falsche Opfer war. Sie ist alleine losgezogen und hat auch darauf bestanden, alleine nochmal zurück ziehen, obwohl man ihr sagte das die 3 am besten zusammen bleiben sollten. Also denke ich das Sakura, vielleicht Märtyrerin Märtyrer oder vielleicht auch Leibwächter gewesen ist. Aber mein Grund ist vage. Allerdings möchte ich selbst vorher noch meine Gedanken abnehmen, bevor mich Shikas Sicht aufklärt. -.-

Bei Naruto, Hinata, Kiba, Temari, Kakashi, Jiroubou und Choji habe ich noch keinen Anhaltspunkt finden können.
Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-05T21:40:49+00:00 05.04.2019 23:40
Wie in deinem Nachwort erwähnt, beschränke ich mich diesmal nur auf die Spielebene...
Okay man kann alle in der Lounge die bei Shikamaru waren ausschließen.
Also gibt es 9 Leute die außerhalb dieses Raumes unterwegs waren. Den Anfang machten Asuma, Neji und Kakashi. Danach verließ die 2. Gruppe den Raum. Temari, Tayuya, Toto, Sasori, Shino und Gaara. Diese haben sich nochmal aufgeteilt in Tayuya, Temari und Sasori. Und Shino, Toto und Gaara... nun kommt es drauf an wie viele Täter es insgesamt gibt... Also denke ich jetzt nach dem Ausschlussverfahren... Okay Temari und Tayuya waren zusammen in einem Raum. Die schließe ich aus. Sasori stand Schmiere, ich glaube nicht das er die Zeit gehabt hätte, um erst die Gruppe um Shino anzugreifen, danach Toto und Kakashi zu töten und dann rechtzeitig wieder vor der Tür zu stehen. Also schließe ich ihn aus. Gaara, sollte er seine Episode die er da hatte nur gefaked haben, hätte er zumindest gewusst in welche Richtung Shino und in welche Toto rannte. Würde aber bedeuten, es gibt zwei die an der Sache beteiligt waren. Dafür hätte Sasori eventuell dann doch Zeit gehabt, zumindest Shinos Gruppe zu attackieren. Dann haben wir die Gruppe um Kakashi, die sich aufteilte, als sie den Schuss von Shino hörten. Die einzigen die eine Waffe hatten, waren Kakashi und Toto... Die 3. Person hatte aber auch eine mit Schalldämpfer... In dem Kapitel wird vermerkt wohin Shino, Toto und Kakashi rennen, aber nicht in welche Richtung sich Asuma und Neji aufteilen. Shino schließe ich aus, weil er in eine andere Richtung als Toto rannte, auch wenn er wusste wohin Toto wollte. Allerdings hat mich Shino mit dem Satz stutzig gemacht: "Seine Stärke ist die Finsternis." Und deshalb denke ich das es Asuma ist. Er hat ein paar Stunden zuvor, Toto aus dem Schatten heraus von hinten überwältigt und sind wir mal ehrlich, Neji mag vielleicht in Kampfsport gut sein, wie er behauptet hat, aber ich denke nicht das er eine Waffe besitzt, geschweige denn mit einer Waffe im Dunkeln zielen kann, im Gegensatz zu einem Polizisten. Das würde dennoch bedeuten das es insgesamt zwei sind... Sprich Asuma ist nicht der einzigste, sondern er hat einen der ihm hilft... Denn es würde keinen Sinn ergeben sonst, weil sich Asumas Gruppe erst nach dem Schuss getrennt, wenn das denn wer Wahrheit entspricht. Sollte es der Wahrheit entsprechen und es gibt einen zweiten, dann hatte Sasori wenigstens soviel Zeit, um die Gruppe um Toto zu attackieren. Ebenso stellt sich mir da jetzt noch die Frage, wurde denn Toto beim ersten Gefecht schon getroffen oder diente das ganze als Warnung, so dass man wusste das sie sich nach dem Angriff trennen würden. Das müsste aber auch heißen, wenn es zwei Täter sind das jeder eine Waffe mit Dämpfer trägt oder sie hatten von vorn herein geplant das die Waffe dann irgendwo versteckt werden musste für den anderen. Dann kommt noch hinzu das Deidara und Sasori, schon die oberen Bereiche ausgekundschaftet hatten, also wussten sie auch wo es lang geht, genau wie Asuma, denn der gabelte beide auf. Okay ja ich bleibe wenn es einer ist bei Asuma und wenn es zwei Täter sind bei Asuma und Sasori. Sasori wusste wo sich 3 aufhielten und Asuma ist Kakashi bestimmt im sicheren Abstand gefolgt.
In der Hoffnung, dass ich meine Theorie nicht komplett in die Tonne hauen muss, denn vor der Auflösung bangt es mir und meist sind es ja die Dinge die man übersehen hat, die es dann so eindeutig machen. Aber wie gesagt die Waffe macht mir am meisten Sorgen bei dem ganzen, weil ich nicht wüsste wo sie die ausgetauscht haben könnten für ihren jeweiligen Gebrauch.

Antwort von:  Cosmoschoco1209
06.04.2019 00:06
Ebenso darf man Gaara nicht außer acht lassen. Aber selbst wenn er es ist, gibt es immer noch einen zweiten. Denn ich nehme nicht an das Shino sich die Schritte eingebildet hat. Das würde aber wieder rum bedeuten, das der nächste der bei Gaara allein ist, der jenige ist der zu ihm gehört. Was auch totaler Quatsch ist, denn wenn Sasori sie attackiert hat, rennt er zurück. Ehe Shino und Toto sich entschieden haben wer in welche Richtung rennt und wer die Waffe nimmt, hätte er so oder so in dem Fall an der Tür stehen müssen wieder. Aber wo soll er die Waffe platziert haben, bei Gaara lassen dann hätte er sich bücken müssen, hätte er sie weg geschmissen hätten sie es gehört. Oder er hatte die Waffe noch, als er zurück rannte. Das würde heißen aber heißen das Gaara entweder seine eigene Waffe hatte, was ich nicht denke oder er noch schnell zu Sasori musste und dann hinter Toto her ist... Obwohl sich das für mich unsinnig anhört. Warum sollte er, wenn er auf der gleichen Etage wo Shino entlang gerannt ist, nicht ihm hinter her rennen, sondern Toto...? Er hatte schlischließlich eine Waffe, er hätte sich sehr sicher sein müssen, das er nicht verfehlt. Oh man ich bin mit meinem Latein am Ende. Am plausibelsten klingt für mich Asuma und Sasori. Aber die kürzeste Entfernung zu allem hatte Gaara mit Sasori... Wie gesagg ich gehe schwer davon aus das es zwei sind. Anders könnte ich es mir nicht mehr erklären und selbst bei dem Gedanken, dass ed beide letzteren sind, hat jeder von ihnen eine Waffe oder nur einer und sie tauschen???
Mein Gehirn verabschiedet sich jetzt, weil ich durch das ganze zusammen setzen nur noch 3 Personen sehe, die dafür in Frage kommen. Vielleicht ist es auch so ein Dreiecksding GaaraxSasorixAsuma, merkwürdigerweise kommt aber immer Sasori vor, furchtbar. Ich belesen mich morgen, weiter.
Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-05T20:03:05+00:00 05.04.2019 22:03
Also die Erklärung für den Trunkenbold, will mein Gehirn nicht wirklich verstehen... Also Shikamaru meinte ja ganz zum Schluss, dass es nur zwei Karten gibt, die zum Anfang ihre Augen auf machen, dann etwas entscheiden und ab da an auch nachts geschlossen halten. Also wären das einmal die Karte des Strolches und der Doppelgängerin. Denn das sind die beiden Karten die in der ersten Nacht nur zum Einsatz kommen, da ich davon ausgehe, dass bis auf Wölfe und Vampire nichts doppelt vorkommt, würde das ja heißen, das eine von den beiden Karten noch nicht im Spiel war... Oder der Trunkenbold weiß zum Anfang nicht welche eigentliche Karte er hat und dies wird dann in der 3. Nacht aufgedeckt. Also könnte das Beispiel mit der Seherin aus dem Grund nicht funktionieren, weil sie Seherin weiß, wer sie selbst ist. Kein Ahnung, ob du mir jetzt noch folgen kannst.^.^'
Aber dennoch gibt es doch auch noch andere Karten die, die Fähigkeit besitzen nur einmal aktiviert zu werden. Zum Beispiel wäre da der Priester oder aber auch die Unruhestifterin. Könnte es also auch nicht sein, dass der Trunkenbold, so eine Rolle bekommt?
Meine Liste von Kapitel 22 würde ich erst einmal nicht verändern, allerdings würde ich Lee als Trunkenbold (?) mit Fragezeichen hinzufügen und für die Rolle des alten Mannes setze ich erstmal Sasuke (?) mit Fragezeichen hinzu. Die Rolle für Sasuke nehme ich aus dem Grund, weil er definitiv zu viel qualmt... Aber wie gesagt die beiden erstmal mit Fragezeichen.
Bei den lebenden wären jetzt noch ohne Rollenverteilung bei mir offen...
Kakashi, Kurenai, Hinata, Naruto, Sasori, Deidara, Tayuya, Jiroubou, Toto, Kiba, Ino, Gaara, Temari und Asuma (bei letzterem habe ich einen Verdacht, aber um den schon zu äußern war er noch nicht aktiv genug)
Bei den Toten, ist bei mir noch Sakura offen...

Allerdings scheinen 6 Karten bis jetzt noch nicht in Aktion getreten zu sein: der Prinz, der alte Mann, Märtyrerin, Unruhestifterin, harte Bursche und das Liebespaar...




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