The Wolves among us von UrrSharrador ("Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 21: Misere ------------------ ~ 21 ~   - Der Hintere Bezirk, zweiter Tag -   (0:50 Uhr) Jetzt warte doch endlich mal! Die Kerle können sich hier überall verstecken!“, rief Naruto entnervt, als Sasuke Tür um Tür aufriss. Links von ihnen schien Mondlicht in den schmalen Flur, rechts befanden sich allerlei Räume für den Hotelbetrieb – Putzkammern, in denen sogar noch Besen an den leeren Regalen lehnten, ein Abstellraum mit alten Farbkübeln, Reinigungsmitteln und verstaubten Planen, ein vollkommen leeres, verstaubtes Zimmer, eine Art Waschraum mit allerlei Anschlüssen, die ins Nichts führten, ein Lager mit Regalen, in denen laut Aufschrift Bettbezüge und dergleichen aufbewahrt werden sollten. „Umso besser, wenn wir sie überraschen“, knurrte Sasuke. „Also schrei hier nicht so rum. Je eher wir Sakura zurückhaben, desto eher können wir wieder verschwinden.“ Er steuerte die letzte Tür an, an der, wie schon auf den anderen in diesem Flur, ein verrostetes Schildchen mit der Aufschrift Private prangte. „Weil du ja so unfassbar Wichtiges zu tun hast“, spottete Naruto. „Allerdings“, sagte Sasuke finster. „Und jetzt halt den Rand.“ Naruto atmete tief aus. Plötzlich tat ihm sein eigener Ärger leid. „Ich … hab’s nicht so gemeint. Kakashi hat mir das mit deinem Bruder erzählt. Wenn ich …“ „Diese Tratschtante“, knurrte Sasuke. „Wenn du anfängst mich zu bemitleiden, verprügel ich dich.“ „Boah, jetzt reiß dich mal am Riemen! Du hast jemanden aus deiner Familie verloren, verdammt, also … Ich wollte nur sagen, wenn du drüber reden willst …“ „Will ich nicht. Komm jetzt.“ Sasuke öffnete die Tür. Dahinter saß Sakura.   Shikamaru und Chouji nahmen die Restaurantküche im Erdgeschoss unter die Lupe, als der Schrei durch die Stille brach. Shikamaru fuhr so heftig herum, dass er sich das Knie an der Anrichte stieß. Fluchend humpelte er hinter Chouji her, der sofort aus der Küche rannte, das Restaurant durchquerte und über den kurzen Flur die Lobby erreichte. „Chouji! Shikamaru!“ Aus dem Gang, der dem Treppenhaus gegenüber lag, polterten Schritte. Flackernder Smartphone-Lichtschein ließ die Silhouetten von Kiba, Shino und Hinata erkennen. In der Mitte der schwarzweiß gemusterten Fliesen der gähnend leeren Lobby trafen sie sich. „Was ist los?“, fragte Kiba. „Habt ihr gerade geschrien?“ Shikamaru rieb sein schmerzendes Knie und schüttelte den Kopf. „Es klang eher nach Naruto.“ „Verdammt!“ Kiba wirbelte herum und rannte zum Eingangsbereich. Naruto und Sasuke waren dem kleinen Flur dort gefolgt. Die anderen liefen hinterher. „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Shino im Laufen, als er Shikamarus Hinken bemerkte. „Geht schon. Mir war nur was im Weg“, presste Shikamaru durch zusammengebissene Zähne. Sie erreichten den Flur und stürmten hinein, vorbei an aufgerissenen Türen. Nun hörte man gut Narutos gutturales Stöhnen. Shikamaru erwartete das Schlimmste. Als sie den Raum ganz am Ende des Flurs erreichten, stand Naruto in der Tür und bearbeitete den Türrahmen mit den Fäusten. Im Lichtschein der Smartphones glitzerten Tränen auf seinen Wangen. Kiba und Hinata riefen beinahe gleichzeitig seinen Namen – und stießen ihn dann zur Seite, als sie einen Blick in den Raum erhaschten. Es war eine Art winziger Umkleideraum für Angestellte, so viel verrieten die blassblauen Spinde, die ihn ausfüllten. Davor waren schmale, metallene Bänke angebracht. Und auf einer dieser Bänke saß, halb in einen Spind gelehnt wie in einen weichen Sessel, Sakura. Der Schein der Smartphones verlieh ihrem Gesicht eine grausige Blässe, die blutleeren Lippen waren halb geöffnet, und ihre Augen starrten dumpf ins Leere.   „Das Opfer heute Nacht ist die gute Sakura!“, verkündete Sphinx. „Diesmal scheinst du nicht so lange überlebt zu haben, meine Liebe.“   Wieder und wieder drosch Naruto auf das lackierte Holz des Türrahmens ein. „Verdammt“, presste er hervor. „Verdammt, verdammt, verdammt! Warum waren wir nicht schneller?“ Dabei hätte das wohl keinen Unterschied gemacht. So wie Sakura aussah, war sie nicht erst seit gerade eben tot. Shikamaru erschrak bei diesem Gedanken. Wie kaltblütig konnte er eigentlich sein? Er hatte wohl Glück gehabt, dass er es bisher nicht herausfinden musste. Kiba stieß ein Ächzen aus, als er ihre tote Freundin sah. Etwas weiter im Umkleideraum stand Sasuke mit undefinierbarer Miene. Er wirkte ruhig, aber seine Finger versuchten vergeblich, mit seinem Feuerzeug eine Zigarette anzuzünden. Irgendwann schnalzte er mit der Zunge und warf den Glimmstängel einfach auf den Boden. Bei Sasuke war das vermutlich als Zeichen äußerster Nervosität zu werten. „Scheiße nochmal, diese Wichser haben uns gelinkt!“, schrie Kiba seine Wut heraus und trat gegen einen Spind. Eine faustgroße Delle blieb darin zurück. „Wir haben doch getan, was sie wollten, verdammt!“ „Das ist nicht Sakura“, brachte Naruto plötzlich über die Lippen. Er starrte mit brennendem Blick die Wand an. „Seht sie euch an! Das kann unmöglich unsere Sakura sein!“ „Naruto …“, murmelte Hinata und griff zaghaft nach seinem Hemdärmel. „Chouji, Shino“, sagte Shikamaru tonlos. „Seid so gut und holt die anderen. Die Mädchen müssten uns eigentlich gehört haben, aber die anderen im ersten Stock …“ Haben Narutos Schrei wahrscheinlich nicht mitbekommen. Er brachte es aus irgendeinem Grund nicht über sich, es auszusprechen. „Wird gemacht“, sagte Chouji. Shino nickte stumm. Die beiden rauschten ab. Shikamaru sah ihnen stirnrunzelnd nach. Richtig, die Mädchen. Ino, Tenten und Temari hatten den Bereich hinter der Hotelbar unter die Lupe nehmen wollen, im hintersten Bereich der Lobby. Die Bar lag schräg hinter dem Empfangstresen und grenzte an das Restaurant an. Eigentlich hätten sie gleich schnell hier sein müssen wie Chouji und Shikamaru … Shikamaru fühlte, dass die Luft hier drin so stickig war wie in einer Gruft. Er wäre am liebsten mit Chouji und Shino in den ersten Stock gelaufen, aber er wollte seine Freunde hier nicht alleine lassen. Sasuke hielt immer noch sein Feuerzeug in der Hand und starrte Sakuras Leiche an. Naruto war etwas ruhiger geworden. Hinata hatte ihn mit tränenüberströmtem Gesicht in die Arme geschlossen und nun klammerten sich die beiden aneinander. Aus ihren Augen tropfte purer Schmerz. Keine halbe Minute verging, als schnelle Schritte erklangen. Die Mädchen waren wohl endlich da. Doch bei der Tür herein platzten weder Ino noch Tenten oder Temari, sondern eine große, ganz in schwarz gekleidete Gestalt, die man allein an ihrer Frisur erkannte. „Kakashi?“, fragte Shikamaru ungläubig. „Was …“ „Ich habe Chouji und Shino in der Lobby getroffen“, sagte Kakashi schnell, wie um damit lästige Fragen abzuwimmeln. Sofort wandte er sich Sakura zu und kniete vor ihr. „Du meine Güte“, murmelte er. „Hä? Was geht hier ab? Was machen Sie hier?“, schnauzte Kiba ihn an. „Alles zu seiner Zeit.“ Kakashi ging sogar so weit, bei Sakura nach einem Puls zu fühlen, aber es wirkte eher wie Routine. Er wirkte nicht allzu überrascht, aber immerhin hatte er schon mit den anderen gesprochen. „Natürlich“, murmelte plötzlich Naruto und löste sich wie schlafwandlerisch von Hinata. „Das ist es … Sie waren es … Sie sind schuld!“, spie er Kakashi plötzlich entgegen. Shikamaru hielt den Atem an. Betont langsam stand Kakashi auf und drehte sich um. „Naruto“, sagte er streng, wie in alten Zeiten. Sein Gesicht war bis zur Nase verhüllt und seine Augen verrieten keine Gefühlsregung, aber seine Stimme sprach Bände. „Fang nicht damit an, hier einfach Leute anzuschuldigen.“ „Natürlich sind Sie schuld!“, rief er. „Ich habe es Ihnen gesagt! Die Entführer wollten keine Polizei!“ „Ich bin nicht polizeilich hier.“ „Und woher sollen die das wissen?“, schrie Naruto und fuchtelte fahrig vor Kakashis Gesicht herum. „Sie haben versprochen, sich nicht einzumischen! Und trotzdem sind Sie hier! Die haben bemerkt, dass Sie uns gefolgt sind, und deswegen haben sie Sakura umgebracht! Wären Sie einfach zuhause geblieben, wäre sie jetzt noch am Leben! Sie …“ „Naruto!“ Kakashis Stimme schnitt wie ein scharfes Messer durch Narutos Worte. „Ich verstehe, dass du ein Ventil für deine Wut brauchst. Aber es liegt nicht an mir. Sakura ist schon lange tot.“ „Das …“ Naruto ballte hilflos die Fäuste. „Das ist nicht wahr …“ „Können Sie …“ Shikamarus Mund war trocken. „Können Sie auch sagen, wie lange es … her ist?“ Kakashi blickte wieder zu ihrer toten Freundin. „Ich bin kein Arzt oder Gerichtsdiener. Aber aus Erfahrung würde ich sagen, mehrere Stunden. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie noch lange gelebt hat, nachdem sie entführt worden ist. Es tut mir leid“, fügte er leise hinzu und klang selbst traurig. Kiba sank seufzend auf eine der Bänke, als hätte ihn plötzlich alle Kraft verlassen. Naruto schluchzte wieder und sah dabei zu Boden, Hinata weinte stumm, und Sasuke entzündete nun doch mit einem scharfen Schnippen eine Zigarette und rauchte mit mechanischen Bewegungen. Shikamaru wagte es endlich, Sakura näher zu betrachten. Kakashi hatte recht, man musste sie nicht erst berühren, um zu wissen, dass ihr Körper längst kalt war. Am Hals hatte sie schreckliche Würgemale, als hätte jemand sie mit etwas Dünnem, Scharfem erdrosselt, möglicherweise einer Plastikschnur. Der Verdacht lag nahe, da ihre Hände und Füße mit ähnlichen Schnüren gefesselt waren. Der Mörder hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu befreien, sondern einfach so auf die Bank gesetzt und ihren Oberkörper in den leeren Spind gedrückt … Plötzlich fühlte sich Shikamaru, als müsste er sich übergeben. Da ertönte draußen in der Lobby ein Poltern und eine laute Stimme. Hinata, Kiba und Shikamaru zuckten zusammen, Kakashi wandte den Kopf und griff an seinen Gürtel, die anderen zollten dem Geräusch gar keine Achtung. „Ruhe jetzt! Noch eine falsche Bewegung, und es setzt was!“, keifte eine Stimme. Hatte Shikamaru sie schon einmal gehört? Zu seinen Freunden gehörte sie nicht. In der kleinen Umkleidekammer verhielten sich alle mucksmäuschenstill. Vermutlich sah man den Schein ihrer Smartphones bis in die Lobby, aber keiner machte sich die Mühe, seines auszuschalten. „Du da, schneller!“ Die Stimme klang nun näher. „Scheiße nochmal, er ist halbtot, du Arschloch!“ Das war nun eindeutig Tayuyas Stimme. „Ruhe! Bleib wo du bist, sonst schieße ich!“ „Wartet hier“, murmelte Kakashi leise, zog eine kleine, schwarze Pistole aus seinem Gürtel und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Da fuhr plötzlich Naruto auf dem Absatz herum und stürmte als Erstes los. „Naruto!“, zischte Kakashi ihm halblaut hinterher, ehe auch er loslief. Shikamaru warf einen kurzen Blick in die Runde, dann folgte er ihnen.   Die Straßengang war aus dem Keller gekommen und stand nun mitten in der Lobby. Sie wurden von hinten von einer starken Taschenlampe beleuchtet, aber Naruto dachte nicht weiter darüber nach. Kochende Wut brandete in ihm hoch, als er sie sah. „Ihr“, knurrte er, die Fäuste geballt. Seine Beine holten noch einmal weiter aus. „Ihr! Ihr habt Sakura umgebracht!“ Es konnte sonst niemand gewesen sein. Die Gang war vor ihnen in diesem Hotel gewesen. Sie hatten Sakura getötet und spielten jetzt die Ahnungslosen! „Verflucht, was ist das hier eigentlich für ein Irrenhaus?“, stieß Tayuya hervor. „Du da, bleib stehen!“, ertönte eine Stimme hinter den Straßenkids. Naruto hörte nicht. „Stehen bleiben, sag ich!“ Naruto trat auf den dicken Jiroubou zu, der ihm am nächsten war, holte mit der Faust aus – ein Knall, etwas flog so knapp an seinem linken Ohr vorbei, dass er den scharfen Luftzug spürte. Ein Schuss! Das war ein Schuss! Vor Schreck erstarrte er zur Salzsäule. „Naruto!“, rief Kakashi hinter ihm. „Zurück! Nach links, an die Wand, los!“, rief die aufgeregte Stimme. Jemand, der eine Taschenlampe trug … Sein Gesicht war im Dunkeln, aber Naruto meinte, ein metallisches Funkeln in seiner Faust zu erkennen, das nur eine Pistole sein konnte. Jetzt erst sah Naruto, dass die drei Straßengang-Mitglieder die Hände im Nacken verschränkt hatten. „Runter mit der Waffe!“, rief die Stimme wieder. Erst war Naruto verwirrt, dann sah er Kakashi, der langsam seine kleine, schwarze Pistole sinken ließ. „Und Sie?“, fragte er ruhig. „Sind Sie zufällig berechtigt, eine Pistole zu tragen?“ „Allerdings! Alle da an die Wand, und keine Mätzchen!“ „Mätzchen“, schnaubte Kakashi leise. „Was für ein altmodisches Wort. Komm, Naruto. Mach keine Dummheiten.“ Naruto folgte ihm zur Wand. Auch Shikamaru, Kiba und Hinata, die kreidebleich war, gesellten sich zu ihnen. Der Mann herrschte die drei Straßenkids an, sich auch dorthin zu stellen – Moment, drei? Wo war Kimimaro? „Wären Sie wohl so freundlich und erklären sich uns?“, fragte Kakashi, die Hände brav erhoben. „Und warum sollte er das tun?“, fragte Tayuya schnippisch. „Weil er uns längst erschossen hätte, wäre er der Mörder“, sagte Kakashi so laut, dass auch der andere ihn hörte. „Mörder?“, stieß er aus. „Was erlaubst du dir … Ich hab hier einen Schrei gehört, deshalb …“ „… drückst du uns mal schnell deine Knarre an die Schläfe?“, giftete Tayuya. „Vielen Dank auch, du Psycho!“ „Was ist denn hier los?“ Der Mann wirbelte herum. Tayuya machte Anstalten, die Gunst der Sekunde zu nutzen, aber Shikamaru streckte rasch den Arm aus und versperrte ihr den Weg. Sie funkelte ihn finster an. Aus der Flügeltür zum Treppenhaus kamen die anderen, Chouji zuvorderst. Ihm folgten Shino, Gaara, Neji, Lee und Temari. Naruto blinzelte. Irgendetwas störte ihn an diesem Anblick … Aber er kam nicht dahinter, was. Angesicht in Angesicht mit einer Pistole zu sein überschwemmte seine Nerven mit Angst, obwohl gerade eben so etwas Schreckliches passiert war. Vielleicht war es auch ganz gut so, dann konnte er es aufschieben, sich der Trauer zu stellen … „Ihr da! Sofort zu den anderen!“, rief der Mann und wurde allmählich heiser „Wer hat geschrien?“ „I-ich“, murmelte Naruto. Taschenlampe und Waffe ruckten wieder herum, ehe die anderen noch wirklich die Lobby betreten hatten. „Was? Aber bist du nicht der Angreifer?“ „So eine Schnapsidee.“ Sasukes Stimme von der anderen Richtung brachte den Mann endgültig aus dem Konzept. Er keuchte auf und versuchte irgendwie, alle drei Gruppen gleichzeitig im Auge zu behalten. Sasuke blieb cool und zog an seiner Zigarette, aber in seiner Stimme lag eine eisige Härte. „Eben habe ich eine tote Freundin gefunden. Und jetzt bedroht ein Kerl mit einer Waffe meine anderen Freunde. Zeigst du dich uns also endlich?“ „Was? Nein, ihr … Wo ist eine … Tote?“ Der Fremde klang plötzlich ganz kleinlaut. Kakashi wagte es, langsam seine Hände zu senken. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns zu sagen, wer Sie sind? Ich habe das Gefühl, wir kommen so nicht weiter. Mein Name ist Kakashi Hatake. Kriminalpolizei.“ „Krimi…nalpolizei?“ Der andere ließ kurz die Waffe sinken, dann riss er sie wieder hoch. „Ich will Ihren Ausweis sehen!“ „Den habe ich nicht dabei.“ „Das kann jeder sagen!“ „Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“ „Darfst du nicht! Hände wieder nach oben! Du da, mit der Zigarette, zu den anderen! Und keine Mätzchen!“ Sasuke maß ihn mit einem Blick, der ein Kaminfeuer hätte einfrieren lassen können, gehorchte aber. Der Fremde fuchtelte noch einmal mit der Pistole herum, dann ging er eilends in den Flur, in dem sie Sakura gefunden hatten. Naruto passte es nicht, dass er ihre Leiche sehen würde, aber als er ihm folgen wollte, hielt ihn Shikamaru zurück wie schon zuvor Tayuya. Gegen das Mondlicht konnte Naruto endlich mehr von dem Bewaffneten erkennen. Täusche er sich, oder trug er eine Uniform? Etwa eine Polizeiuniform? Und dazu hatte er eine Sturmmaske aufgesetzt – spielte er nun den Bullen oder den Einbrecher? Der Kerl war seltsam. „Leute, ist alles in Ordnung?“ Neji und die anderen liefen zu ihnen. „Du meinst, außer dass Sakura tot ist?“, fragte Kiba bitter. Die anderen starrten ihn an, aber Chouji und Shino mussten es ihnen schon erzählt haben. „Es ist doch ein Scherz, oder? Bitte, es muss ein Scherz sein.“ Lee wirkte extrem gefasst, aber seine Augen schwammen in Tränen. Die anderen wichen seinem hoffnungsvollen Blick aus. „Wie jetzt, die Schlampe hat den Löffel abgegeben?“, fragte Tayuya ätzend. Ihr rotes Haar flog in alle Richtungen, als Narutos Faust sie gegen die Wange traf. Tayuya wurde ächzend gegen Jiroubou geschleudert, dessen massiger Körper sie weich auffing. „Du verdammter Arsch!“, fluchte sie. „Pass gefälligst auf, wie du über sie redest“, sagte Naruto gefährlich leise. Für einen Moment war seine Wut unerträglich heiß gewesen. Es können nur diese Typen gewesen sein, niemand sonst! Tayuya machte sich fuchtig von Jiroubou los, hielt sich die Backe und starrte Naruto an, als könnte sie ihn mit Blicken töten. In dem Moment kam der Polizist zurück. „Wer … wer von euch war das?“, rief er. „Das wüssten wir allerdings auch gern.“ Sasuke warf seine Zigarette zu Boden. Glimmende Funken erstarben unter seiner Schuhsohle. „Derjenige, der mit seiner Waffe auf andere zeigt, scheint mir am verdächtigsten.“ Der Mann zögerte kurz, dann sicherte er endlich seine Pistole und steckte sie in seinen Gürtel. Er zog die Sturmhaube vom Kopf. Es war zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen, aber Naruto hatte plötzlich einen Verdacht, wer es sein könnte. Der Mann bestätigte ihn. „Wir haben uns heute schon einmal gesehen. Ich bin Mashiro Toto. Ich habe diese Kerle da verfolgt, als sie hierher gefahren sind.“ Er deutete auf Tayuya und ihre Gang. „Ich bin übrigens Polizist im Hinteren Bezirk, vereinfacht gesagt“, fügte er für Kakashi hinzu. Dieser nickte. „Dann scheinen wir Kollegen zu sein. Diese jungen Leute hier waren nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Schicken wir sie nachhause und rufen wir stattdessen die Spurensicherung.“ „Von wegen.“ Naruto trat mit zusammengebissenen Zähnen vor. „Wir waren eben nicht alle zur falschen Zeit am falschen Ort! Die da waren vor uns hier, sie haben Sakura auf dem Gewissen!“ „Wir waren’s aber nicht, du Vollpfosten!“, fauchte Tayuya. „Das stimmt. Wir waren im Kellergeschoss, seit wir hergekommen sind“, bestätigte Jiroubou. „Uns hat jemand herausgefordert“, fügte Sakon nuschelnd hinzu, der Schwierigkeiten hatte, sich auf den Beinen zu halten. Er wirkte nicht, als wäre er ganz klar im Kopf. „Lüge!“, rief Naruto. „Naruto, es reicht“, sagte Kakashi scharf. „Da fällt mir ein, wo ist denn der Vierte, der bei euch war?“, fragte Kiba. „Sucht ihn doch! Vermutlich seilt er gerade irgendwo einen ab“, erwiderte Tayuya. „Verdächtig genug“, meinte Sasuke. „Und wo sind eure Freunde?“, fragte Jiroubou. „Ihr wart auch mehr, als wir uns im Keller getroffen haben.“ „Richtig.“ Tayuya stemmte die Hände in die Hüften. „Waren da nicht noch eine oder zwei Tussen?“   Shikamaru lief es heißkalt den Rücken runter. Naruto und Kiba wechselten alarmierte Blicke, er und Chouji ebenfalls. Es war in der Tat merkwürdig … Sie müssten doch in diesem Stockwerk sein, gar nicht so weit entfernt. Es war unmöglich, dass sie den Radau nicht gehört hatten. Oder waren sie so klug gewesen, sich zu verstecken? Und überhaupt – warum war Temari mit Chouji und Shino aus dem oberen Stockwerk gekommen? Sie war doch mit Ino und Tenten unterwegs gewesen! Und wo war Kankurou? „Toto, lassen Sie uns bitte nachsehen gehen, wo sie stecken“, sagte Shino ruhig. „Wenn wir alle wieder versammelt sind, können wir weiterdiskutieren. Warum? Weil wir uns große Sorgen machen.“ „Ja, das … ist okay, denke ich.“ Toto wirkte hilflos. Unter den giftigen Blicken der Straßengang machten sich die Freunde im Laufschritt auf den Weg zur Hotelbar.    „Also, übliche Frage. Wer wird gelyncht?“, eröffnete Tayuya die Diskussion. „Nur die Ruhe“, sagte Sphinx lächelnd. „Wir dürfen eins nicht vergessen – den Geist. Dieses Mal hat er uns tatsächlich eine Nachricht aus dem Jenseits zukommen lassen. Ein K.“ Shikamaru notierte es sich. „Ich wiederhole mich, aber solltet ihr weiterhin versuchen, es unserem Detektiv leicht zu machen, blase ich das Spiel ab und ihr dürft hier versauern“, erklärte Sphinx freundlich, aber mit gehässigem Unterton. Sollte diese Aussage Shikamaru in die Irre führen? Er notierte sie sich sicherheitshalber auch, wortwörtlich. „Übrigens hat die Alte Vettel unsere lieben Asuma verbannt. Du darfst leider an diesem Tag nicht dabei sein – aber sieh es positiv, du kannst auch nicht gelyncht werden.“ Asuma mit seinem unglücklichen Gesichtsausdruck wirkte, als wollte er etwas dazu sagen, schwieg dann aber. Auch das notierte sich Shikamaru, nur um sicherzugehen. Er konnte sich Dinge wie diese für gewöhnlich gut merken, aber sie vor Augen auf Papier zu haben, ließ ihn vielleicht ein paar nützliche Querverbindungen herstellen. „Sonst noch was?“, fragte Tayuya genervt, als Asuma ins Wartezimmer gegangen war. Sphinx bedeutete ihr mit einer Geste, weiterzumachen. „Also. Wen?“ „Tayuya“, sagte Kiba. „Kiba“, gab diese zurück. „Immer mit der Ruhe“, sagte Kakashi. „Gehen wir das wie erwachsene Menschen an.“ „Wozu? Ist doch egal, was wir tun, Hauptsache, der da“, Sakon deutete auf Shikamaru, „haut uns raus.“ „Ich wollte eigentlich Asuma anschuldigen“, merkte Kurenai an und lächelte leicht, „aber das ist jetzt wohl hinfällig.“ „Hat das auch einen Grund?“, fragte Sasuke. „Keinen bestimmten“, gab sie zu. Vielleicht, weil sie ihn am besten kannte. „Ich habe Hinata im Verdacht“, brummte Jiroubou. Sie zuckte zusammen, als er sie ansprach. „M-mich?“ „Ich habe nachts etwas rascheln gehört. Es kam ungefähr aus ihrer Richtung.“ „Das ist doch der dämlichste aller Gründe“, verteidigte sie Naruto. „Ich … es war nur unangenehm, so lange so zu sitzen, ich …“ Hinata sah zu Boden, als müsste sie sich für irgendetwas schämen. „Ich bin für Ino“, sagte Tenten. „Was? Warum ich?“, entrüstete sich diese. „Weil … Einfach so.“ „Hat irgendwer auch mal den Mumm, bei einer Nominierung mitzugehen?“, fragte Tayuya genervt. „So kommen wir zu nichts.“ Auch Sphinx tippte schon mit seinem Finger gegen seinen Oberarm. „Dann bin ich für Tenten“, sagte Ino. „Ich bin für …“, begann Shino, aber Tayuya fiel ihm grinsend ins Wort. „Ich bin auch für die olle Kuh mit diesen kranken Haarteilen. Abstimmung – jetzt.“ Shikamaru notierte sich all die Beschuldigungen und Aussagen, sofern er schnell genug schreiben konnte. Shino klappte beleidigt den Mund zu. „Bevor wir nun also abstimmen, lasst uns noch einmal das Dorf betrachten“, sagte Sphinx und entblößte seine Zähne.   „Ino! Tenten!“ Nachdem sie ohnehin schon so viel Lärm gemacht hatten, spielte es jetzt keine Rolle mehr. An der Hotelbar, die aus elegant geschwungenem Teak-Holz bestand, waren ihre fehlenden Freunde nicht zu sehen. Einige gepolsterte Sessel standen um kleine Rundtische herum. Der Boden war ein wenig erhöht, ansonsten war die Bar von der übrigen Lobby räumlich nicht getrennt – sie mussten sie gehört haben. Wenn sie wirklich da waren. Hinter der Bar gab es noch einen kleinen Laden. Hier sollten wohl Touristen und Tagesgäste schmökern und ordentlich Bares dalassen. Der Laden war von einer Plexiglaswand umschlossen, die jedoch einen Spalt offenstand und ganz so aussah, als könnte man sie auch ohne Schlüssel von Hand bewegen. Vielleicht war dort jemand drin gewesen … Wenn Ino und die anderen Sakura in der Bar nicht gefunden hatten, waren sie wohl als Nächstes in diesen Laden gegangen. Das Geschäft war sogar relativ groß. Es hatte etwa die Maße des Eislaufplatzes in der Innenstadt, auf dem Shikamaru seinen Freunden mal beim Schlittschuhlaufen zugesehen hatte. Regale aus ehemals blitzweißem, nunmehr staubigem Holz bildeten ein wahres Labyrinth und ließen die Verkaufsfläche sicherlich doppelt so groß erscheinen. Sie waren allesamt leer, bis auf Spinnweben und Krabbelgetier, das irgendwie seinen Weg hier rein gefunden hatte. Einige standen schief, aber man konnte über alle drübersehen, wenn man sich auf Zehenspitzen stellte. Genau das tat Kiba, leuchtete mit seinem Handy wie mit einem Suchscheinwerfer und ließ sich dann wieder auf die Sohlen sinken. „Hab keinen gesehen“, seufzte er. „Tenten! Ino!“, rief Neji erneut. „Kankurou!“, stimmte Temari ein. „Hier …“, ertönte plötzlich ganz leise eine hohe Stimme aus dem hintersten Winkel des Ladens. Sofort sprinteten die Freunde los. Lee schob schließlich einfach die Stellagen, die ihnen im Weg waren, zur Seite. Dann hatten sie sie erreicht. „Ino! Alles in Ordnung?“, rief Chouji. „Chouji? Bist du das?“ Die vielen Lichtquellen rissen Ino aus der Finsternis. Kein Wunder, dass Kiba sie nicht gesehen hatte, denn sie lag auf dem Boden – und nicht nur sie. Die Freunde blieben wie vom Donner gerührt stehen. Vor ihnen breitete sich ein … Schlachtfeld aus. Ein groteskes Mosaik aus Blut … und den übel zugerichteten Körpern ihrer Freunde.   „Und die Dörfler bemerken, dass sie noch nicht alle Toten gefunden haben …“   „Tenten!“ Neji stieß Naruto zur Seite. Fast gleichzeitig wurde er von Temari angerempelt, die zu ihrem Bruder lief. Naruto brauchte eine Weile, bis er all das verarbeiten konnte, was sich seinem Blick bot. Er fühlte sich wie betäubt. Erst Sakura, jetzt Tenten? Und Kankurou? Was wurde das hier? Plötzlich fühlte es sich an, als würde sich der Boden unter ihm drehen, Wellen schlagen wie Wasser, und er würde in den Fluten versinken … „Das kann doch nicht … Unmöglich …“ Neji sank vor Tentens Leiche in die Knie. Sie sah fürchterlich aus. Ihre Kehle war glänzend rot und nass, immer noch drängte Blut dort ins Freie. Etwas schien ihren Hals durchbohrt zu haben, ungefähr dort, wo der Kehlkopf saß … Ihre Augen waren blutunterlaufen und dunkel umrandet, starrten ins Leere … Von ihren Lippen bis zum Kinn war ihre Haut rot verklebt … Naruto wurde das alles zu viel. Er beugte sich vor und übergab sich. Dabei stützte er sich gegen eine der Holzstellagen, die daraufhin fast umkippte. „Ich … glaub’s nicht …“ Lee hatte den Unterarm vor die Augen gepresst, um die Tränen zurückzudrängen. „Tenten … Wieso … Wieso … so?“ Kiba schrie verzweifelt etwas Zusammenhangloses, als müsste er sich bei irgendeiner Gottheit Gehör verschaffen, die so grausam war, ihnen das anzutun. Temari rief nur einen Schritt weiter wiederholt Kankurous Namen und hatte sich über die zweite leblose Gestalt gebeugt. Gaara stand daneben. „Es ist so schrecklich …“ Naruto spürte, wie sich Hinata gegen seine Brust warf. Ohne nachzudenken, schloss er die Arme um sie. Das Mädchen zitterte am ganzen Leib. „Diese Wahnsinnigen … Auch noch Tenten … und Kankurou …“ „Das ist doch … Das habe ich doch heute schon einmal gesehen!“ Toto hatte sich nach vorn gedrängt. „Dasselbe Muster wie bei diesem Hidan“, sagte plötzlich Shino. Was? Durch einen Tränenschleier blinzelte Naruto noch einmal zu seiner Freundin. Er konnte nicht sagen, ob Sakuras oder Tentens Anblick schlimmer war. Beide waren auf ihre eigene Weise zu grausam, als dass das hier irgendetwas anderes als ein Albtraum sein konnte. Aber Tenten war nicht einfach nur ermordet worden. Sie war hingerichtet worden. Etwas wie ein Speer steckte in ihrem Leib, knapp unterhalb des Brustbeins … Nein, es war in Wahrheit einer der Winkel aus Eisen, die die Holzregale hielten. Narutos Blick glitt auf die Stellage, an der er sich abgestützt hatte. Eines der Bretter fehlte. Der Winkel war herausgerissen worden … die Mordwaffe stammte von hier! Shino war neben Tenten in die Hocke gegangen. „Jemand hat ein gewöhnliches Taschenmesser an den Winkel gebunden, damit er eine Spitze bekommt. Darum hat der Mörder auch nicht gegen den Brustkorb gestochen, den hätte die Klinge nicht durchdrungen.“ „Ist doch egal“, stöhnte Naruto und kam taumelnd näher. „Sie ist tot …“, hauchte er. Der Mord erinnerte tatsächlich an die bizarre Szene im La Grande. Auch dieser Hidan war aufgespießt worden, und um seine Leiche hatte jemand einen Kreis und ein Dreieck aus Blut gemalt. Auch das war hier zu sehen, zweifellos mit Tentens Blut, auch wenn die Linien so dünn waren, dass man sie kaum ausmachen konnte. „Ein Opfer für Jashin“, sagte Shino. „Hör schon auf!“, fuhr ihn Kiba an. „Wie kannst du nur so ruhig bleiben?“ „Ich bin nicht ruhig“, betonte Shino. Naruto sah, dass er die Zähne zusammengebissen hatte. „Ich versuche nur einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber ich trauere auch.“ Neji schloss Tenten indessen die Augen. Tränen tropften aus den seinen. „Tenten … Es tut mir leid, dass wir nie … Dass ich dir nie …“ Er verstummte. „Und was ist mit Kankurou?“, schreckte sie plötzlich Temaris Stimme auf. Sie und Gaara knieten schon die ganze Zeit vor ihrem Bruder. Naruto schleppte sich zu dem Lichtschein, den ihre Handys warfen. Fast hatte er Angst, Kankurou anzusehen. Zu recht. Sein Anblick war auf seine Weise noch grässlicher. Kankurou lag neben einem niedrigen Verkaufstischchen – oder eher einer Verkaufskommode. Er schien mit dem Kopf dagegen gestoßen zu sein, was erklärte, warum sein Kinn gegen seine Brust gesunken war. Der Stöckel eines Frauenschuhs steckte in seinem rechten Auge. Auch Kankurou regte sich nicht mehr. „Das … das kann doch alles nicht wahr sein … Das kann doch nicht wirklich passieren …“ Wieder schwindelte Naruto. Sie waren kaum anderthalb Stunden hier, und schon gab es drei Tote in diesem Hotel. Und sie alle waren Narutos Freunde gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)