The Wolves among us von UrrSharrador ("Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]) ================================================================================ Kapitel 9: Den Schleier zerreißen --------------------------------- ~ 9 ~ Was hast du gesagt?“, fragte Naruto. „Wir sind noch mitten im Spiel, und ausgerechnet jetzt hast du das letzte gelöst?“ „Ja doch“, sagte sie ungeduldig und starrte Sphinx in die Augen. „Bitte, ich will eine Bestätigung haben. Sonst kann ich mich nicht auf das hier konzentrieren.“ Sphinx wartete. Zögerte er, oder versuchte er sie zu foltern? „Wir machen für heute Schluss“, sagte er dann gedehnt. „Ich will keine Gespräche über den Verlauf des Spiels unter euch, auch nicht über den des vorigen. Ihr werdet alle Geschehnisse vergessen und euch erst morgen daran erinnern, wenn wir weitermachen.“ Er bimmelte mit seiner Glocke nach den anderen. Ino kam als Erste aus dem Nebenzimmer, überrascht. „Ihr seid schon fertig?“, fragte sie. „Heißt das …“ „Nein“, sagte Sphinx, ehe Sakura es verraten konnte. „Wir verlegen den zweiten Teil des Spiels auf morgen. Zeigt euren neuen Leidensgenossen ein wenig unsere Anstalt. Das Spiel ist einfacher, wenn man sich besser kennt“, erklärte er mit einem wölfischen Grinsen, als wüsste er bereits jetzt, dass sich die zwei Gruppen seiner Spielteilnehmer nicht riechen konnten. Sakura blieb als Einzige sitzen. Sphinx wartete geduldig, bis die anderen die dicke, gepolsterte Tür geschlossen hatten. Dann streckte er sich in seinem knarzenden Sessel. „So“, meinte er seufzend. „Die Spitzenreiterin des letzten Spiels will ihre Punkte abholen?“ „Allerdings.“ „Du weißt, dass du bei einer falschen Antwort null Punkte bekommst, ohne die Chance, es noch einmal zu versuchen?“ „Ich kenne aber die richtige Antwort.“ Sphinx schmunzelte. „Das hoffe ich. Ich höre gern geniale Theorien – wäre das anders, hätte ich das Spiel nicht unterbrochen.“ Er beugte sich vor. „Dann lass uns das erste Spiel nochmal rekapitulieren.“ Offenbar wollte er es so dramatisch wie möglich machen und den entscheidenden Augenblick hinauszögern. „Teilnehmer waren du, Naruto, Sasuke, Ino, Tenten, Neji, Kiba und Hinata. Es gab vier Dorfbewohner, zwei Werwölfe, eine Hexe und eine Seherin, außerdem ein Liebespaar. Keinen Bürgermeister. Die Karten wurden nicht aufgedeckt. In der ersten Nacht starb Neji, daraufhin habt ihr Kiba gelyncht. In der zweiten Nacht starben Hinata und Naruto, und am zweiten Tag wurde Sasuke gelyncht. Das Opfer der dritten Nacht war Tenten, danach gab es keine Abstimmung mehr. In der vierten Nacht bist schließlich du gestorben.“ Er lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme. „Dann schieß mal los. Ich will, dass du alles erklärst. Welche Rolle jeder in dem Spiel hatte, was er getan hat. Los geht’s.“ Sakura räusperte sich. Obwohl sie ziemlich sicher war, hatte sie ein mulmiges Gefühl. Ihrer Stimme konnte sie jedoch einen festen Klang verleihen. „Ich fange gleich mit der ersten Nacht an. Die hat mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet, gebe ich zu.“ „Ich bin gespannt.“   - In den Bergen, erste Nacht -   Kiba erwachte mitten in der Nacht mit einem Geschmack im Mund, den er nur als faulig bezeichnen konnte. Er war froh, dass er überhaupt etwas schmeckte; so wie sein Kopf dröhnte, könnte er genauso gut bewusstlos sein. Vermutlich war er das auch gewesen, bis gerade eben. Er wusste nur noch, dass er es mit letzter Kraft ins Bett geschafft hatte. Wer hatte nochmal das letzte Wetttrinken gewonnen? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Reglos blieb er liegen, doch das Hämmern in seinen Schläfen wollte nicht aufhören. So würde er nie wieder einschlafen können. Langsam, als wäre sein Hals aus zähem Gummi, drehte er den Kopf und tastete auf dem Nachtkästchen nach seinem Handy. Als er es zu fassen bekam und sah, dass es kurz nach drei Uhr nachts war, hätte er beinahe auf das Display gekotzt. Von der kleinen Bewegung war ihm speiübel geworden. Verfluchter Alkohol. In seiner Familie waren alle recht trinkfest, das lag ihnen irgendwie im Blut. Wenn seine Schwester ihn so sähe, würde sie ihn auslachen. Offenbar hatte er die Getränke gestern einfach zu stark gemischt. Oder hatten sie einfach ein besonders vernichtendes Trinkspiel gespielt? Sein Magen rebellierte, als er die Beine aus dem Bett schwang. Alles drehte sich, was die Übelkeit nur verstärkte. Als er festen Boden unter den Füßen spürte, ging es einigermaßen. Kiba atmete tief durch und fuhr sich durch die Haare. Sein Trainingsanzug war schweißnass. Das Fenster stand offen, was einerseits für dringend nötige Frischluft sorgte, ihn andererseits frösteln ließ. Zu dem fauligen Geschmack gesellte sich nun auch Galle, als er aufstand und fast das Gleichgewicht verlor. Einen Eimer, ich brauche einen Eimer. Nur zur Sicherheit. Nichts wäre ihm peinlicher, als wenn er sich in ein fremdes Bett übergeben würde. Er glaubte sich zu erinnern, im Badezimmer einen gesehen zu haben. Vielleicht würde er auch schnell eine kalte Dusche über sich ergehen lassen, aber zunächst einmal war der Eimer wichtiger. Nach zwei Schritten stieß er mit dem Fuß schmerzhaft gegen den Bettpfosten und fluchte. Wenigstens war er allein in dem Zimmer. Als er die Tür in den Gang öffnete, hatte er Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Nach links oder nach rechts? Er war wohl noch benebelter, als er gedacht hatte. Schließlich schälten sich die Umrisse der Treppe aus der Finsternis. Sie lag rechts von ihm. Dann musste er also neben ihr den Flur entlanggehen, und hinter der Treppe lag rechts das Badezimmer, genau. Auf leisen Sohlen, damit niemand von seiner nächtlichen Eskapade erfuhr, tappte er weiter, neben der Treppe entlang. Es dauert eine Weile, bis er es bemerkte, und noch länger, bis er erkannte, dass seine Augen ihm keinen Streich spielten. Ein Schatten hockte auf der Treppe, spähte auf halber Höhe zwischen den Geländerstäben auf ihn herab. Fast war es, als könnte Kiba in dem fahlen Licht Augen sehen, die ihn beobachteten. Er hielt den Atem an. Wer war das? Warum kauerte er dort oben wie ein großer, dunkler Tintenfleck? Sein benebelter Verstand tat sich schwer, die Szene zu verarbeiten, und er tat, was ihm als Erstes in den Sinn kam: Er versuchte, den Schatten einfach zu fragen. „Hallo …“, wollte er rufen, aber nur ein raues Krächzen verließ seine Kehle. Der Schatten erhob sich langsam und packte das Geländer mit beiden Händen. Wollte er sich herunterschwingen? Im gleichen Moment ging mit einem leisen Knarren die Eingangstür auf. Kiba wirbelte herum – und seine Sicht verschwamm, als ihn eine neue Welle der Übelkeit attackierte. Dort war noch ein Schatten. Kiba konnte nur undeutlich seine Umrisse sehen, und statt eines Kopfes war dort nur ein unförmiger Klumpen. Hatte der Unbekannte einen Strumpf oder einen Sack über den Kopf gestülpt? Was konnte er wollen? Kibas Gedanken flossen zäh wie Honig, doch als er das riesige Messer sah, das die Gestalt in den Händen hielt, durchzuckte ihn ein fiebriger Blitz. Gleichzeitig wollte er schreien und davonlaufen, und beides funktionierte nicht so, wie er es geplant hatte. Sein Schrei ging in einem erstickten, galligen Keuchen unter, und beinahe hätte er diesmal endgültig seinen Mageninhalt auf dem Teppichboden entleert. Und als er losrannte, taumelte er und stolperte fast über seine eigenen Füße, musste sich am Treppengeländer festhalten. Der erste Schatten war direkt über ihm, das wusste er, und er glaubte, im Mondlicht, das durch die offene Tür fiel, etwas Silbernes in seiner Hand aufblitzen zu sehen, war sich aber nicht sicher. Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt! Kiba biss die Zähne zusammen, stieß sich ab und hangelte sich bis zu seiner Zimmertür vor, warf sie hinter sich zu und presste sich mit dem Rücken dagegen. Ein Schloss gab es keines. Würden sie die Tür in Stücke hacken? Ohne Erfolg versuchte er seinen Atem zu beruhigen. Alles in ihm drängte ihn, endlich nach Hilfe zu schreien, aber er brachte vor Schwindel kein Wort heraus. Der ganze Raum drehte sich, er spürte kalten Schweiß auf der Stirn, Bilder prasselten auf sein inneres Auge ein, von dem Drohbrief und dem Saufgelage und von einem Messer, von einem Messer … Was zum Teufel waren das für Gestalten auf dem Flur? Die vermummten Köpfe ließen sie kaum menschlich wirken … Vielleicht war das alles nur ein blöder Traum, den er in seinem Rausch zusammenfantasierte, ja, das musste es sein, das musste es sein, das musste es einfach sein! „L-Leute“, versuchte er zu rufen, aber wieder verließ nur ein erbärmliches, heiseres Krächzen seine Kehle. Auf dem Gang blieb es ruhig. Er betete, dass niemand sich an der Tür zu schaffen machte, und wankte auf den Stuhl zu, auf den er gestern nach dem Duschen seine Kleider geworfen hatte. Mit zittrigen Fingern holte er das Schweizer Taschenmesser aus der Hosentasche hervor, das er am Vortag in diesem Tankstellenshop gekauft hatte. Er hatte sich auf einen Urlaub in den Bergen in der Nähe eines Waldes eingestellt, wo man sich Spazierstöcke und Ähnliches schnitzen konnte, und das Messer hatte ihn förmlich angelacht. Jetzt war er froh, zugegriffen zu haben. Er klappte die größte Klinge aus und schlich mit immer noch bebenden Lungenflügeln auf die Tür zu. Warum verfolgten ihn die Schatten nicht? Warteten sie vor der Tür, die Messer zum Zustechen erhoben? Wahrscheinlich. Er legte die Hand auf den Türgriff, um sich abzustützen, und kniff die Augen zusammen. Sollte er sich ins Bett legen und hoffen, dass er nur träumte? Vielleicht war er dann einem ewigen Traum näher. Er holte tief Luft, wollte schreien und die anderen aufwecken, als ihn einmal mehr ein so heftiges Schwindelgefühl packte, dass er nach vorn gegen die Zimmertür sank und versehentlich die Klinke nach unten drückte. Mit einem heiseren Krächzen stolperte er in den Flur, als die Tür aufschwang. Und dumpf gegen etwas stieß. Die Einbrecher! Als sich ein Schemen grummelnd an der Tür vorbeikämpfte, setzte Kibas Denken aus. Er warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Angreifer und bekam ihn irgendwie zu fassen. Ein dumpfes „Uff“ ertönte, die Gestalt wehrte sich, Finger tasteten über Kibas Gesicht. Panisch versuchte er sie von sich zu schubsen, stieß mit der Schulter gegen die immer noch halb offene Tür und prallte dann mitsamt seinem Gegner gegen die Wand. Dabei spürte er, wie sich das Messer, das er so fest umklammerte, dass es wehtat, in etwas Weiches, Knorpeliges bohrte, und kurz darauf floss etwas Warmes, Nasses über sein Handgelenk. Kiba keuchte auf. Der Angreifer brachte ein Gurgeln zustande. Die Eingangstür stand immer noch offen, und das Mondlicht wurde von zwei großen, hellen Augen reflektiert, die ihn anstarrten. „Ki…ba …“ Er hatte gedacht, es könnte nicht mehr schlimmer werden. Als die blinde Angst seine Sehnerven verließ und er mehr und mehr von seinem vermeintlichen Feind erkennen konnte, starrte er in Nejis schmerzverzerrtes Gesicht. Sein Blut lief über das Messer, das knapp unterhalb seines Kehlkopfs in seinem Hals steckte, über Kibas Arm und tropfte zu Boden. Sein Freund formte noch Worte mit den Lippen, aber Kiba verstand sie nicht. Dann erschlaffte Neji in seinen Armen. In Kibas Gedanken tobte der pure Horror. Was habe ich getan? Was habe ich getan?! Neji entglitt seinen Armen und fiel auf den weichen Teppichboden, das Messer immer noch in der Kehle. Diesmal verlor Kiba den Kampf gegen seinen Magen und erbrach sich auf dem Flur, würgte und spuckte und ließ den bitteren Geschmack sein Entsetzen begleiten. Er hatte etwas getan, das nie wiedergutzumachen war, er würde sich nie wieder im Spiegel anblicken können, und Neji … Neji würde tot sein, für immer, keiner aus ihrer Clique würde es verkraften, und er, er hatte ihn umgebracht, Neji, seinen Freund … Das muss ein Traum sein, oh bitte, mach, dass es ein Traum ist! Als nur noch flüssige Galle kommen wollte, sank Kiba an der Wand herunter und begann leise zu schluchzen. Verdammt! Neji! Warum musstest du gerade jetzt auftauchen? Er hatte nur die beiden Angreifer in die Flucht schlagen wollen – nicht einmal das, eigentlich hatte er nur seine Freunde warnen wollen! Und nun lag einer dieser Freunde tot vor ihm, weil er wahrscheinlich einfach nach draußen zur Toilette wollte! Minutenlang saß Kiba da, bar jeden Gefühls außer bodenloser Scham. Das Mondlicht schien ihn zu verhöhnen. Irgendwann hob er den Kopf und sah zu Nejis Leichnam. Der Teppichboden hatte sich mit seinem Blut vollgesogen, aber wenigstens sah er die Wunde nicht. Was sollte er jetzt tun? Die anderen wecken? Was würden sie sagen? Was würde er selbst sagen, wenn Naruto ihn plötzlich an der Schulter rütteln und ihm gestehen würde, er hätte einen ihrer Freunde umgebracht? Es ist ein Albtraum. Für mich und für sie. Sie würden ihn hassen. Auf ewig. Tenten war Neji ziemlich nahegestanden, vielleicht würde sie sich sogar an ihm rächen wollen … Kiba hätte es ihr nicht mal übelgenommen. Auf jeden Fall konnte er Neji nicht hier liegen lassen. Es war kein Anblick, dem er die anderen morgen früh aussetzen wollte. Er musste die Leiche wegschaffen, ja, verschwinden lassen. Dann kam ihm eine irrsinnige Idee, die so verrückt war, dass er sich am liebsten gleich nochmal übergeben hätte, um sie zu vertreiben. Aber sie blieb. Sie blieb und weigerte sich hartnäckig, von ihm abzulassen. Und wenn die beiden Einbrecher es getan hätten? Sie waren hier in den Bergen, ohne Handyempfang, meilenweit von der Zivilisation und der nächsten Polizeistation entfernt. Bis die hier eintraf, hätte er eine Gnadenfrist. Bis dahin könnte er die anderen davon überzeugen, dass die Unbekannten die Täter gewesen waren. Vielleicht kam er währenddessen mit sich selbst ins Reine, vielleicht konnte er den anderen sogar die schreckliche Wahrheit beichten. Oder vielleicht … Eine zweite Idee, eine noch verrücktere kam ihm in den Sinn. Der See. Irgendwann hatte er einmal einen Krimi gesehen, in dem das Opfer tiefgefroren worden war. Dadurch war der Todeszeitpunkt nicht mehr feststellbar gewesen, und der Täter hatte sich ein Alibi ergattern können. Wenn das wirklich funktionierte und nicht nur TV-Kram war, dann hatte Kiba vielleicht noch eine Chance. Der See würde die Leiche zwar nicht einfrieren, aber vielleicht nützte es doch etwas. Außerdem könnte das Wasser womöglich Spuren oder sogar Fingerabdrücke beseitigen, wer weiß? Keine schlechte Idee für so ein betrunkenes Hirn. Sein Entschluss stand fest. Er packte Neji unter den Achseln und wuchtete ihn hoch. Der junge Mann war eher schmal gebaut, und Kiba war ziemlich kräftig. Dennoch wankte er bedrohlich und stieß versehentlich gegen den Beistelltisch unter der Treppe. Die Vase darauf kam ins Kippen und fiel herunter. Der Teppich dämpfte den Aufprall, doch sie zersprang trotzdem. Kiba biss die Zähne zusammen und verharrte, Neji halb hochgehoben. Wenn ihn hier jemand erwischte, war es das gewesen. Dann konnte er wohl nur noch das Messer nehmen und sich selbst das gleiche Schicksal zufügen … Aber niemand kam. Er meinte, im Wohnzimmer, wo Naruto und Sasuke schliefen, etwas zu hören, aber vielleicht täuschte er sich. Die Tür blieb jedenfalls geschlossen. Ganz hochheben konnte er Neji trotz allem nicht, also ließ er ihn mit den Füßen über den Teppich schleifen. Die kalte Nachtluft klärte seine Sinne ein wenig, und kurz kehrte die Furcht zurück, die beiden Vermummten könnten zurückkehren. Dann sterbe ich eben auch, dachte er bitter. Verdient hätte ich’s. Der Weg bis zum See zog sich dahin. Noch war es dunkel; ehe es hell wurde, musste er alle Spuren verwischen. Er war schon drauf und dran, die Leiche in den See zu werfen, als ihm klar wurde, dass man dennoch von weitem sehen würde, dass jemand im Wasser trieb. Fieberhaft überlegte er, was er tun konnte. Sollte er ihn doch lieber im Wald vergraben? Auf diese Weise würde man ihn vielleicht gar nicht finden … andererseits, wenn die Polizei ihn mit Hunden suchte und dann ausbuddelte und man Kibas Fingerabdrücke oder sonst was fand … Nein, das langsam tickende Uhrwerk, zu dem der Alkohol seinen Verstand degradiert hatte und der sich trotz des Adrenalinrausches nicht wieder völlig in seinen Idealzustand versetzt hatte, fand die Idee mit dem See besser. Den Teppich musste er ebenfalls verschwinden lassen. Nejis Blut war darauf getropft, und gleich nach dem Aufstehen einen gewaltigen Blutfleck zu sehen, sprach auch Bände. Da kam ihm die dritte Idee, die er am genialsten gefunden hätte, wäre das alles nicht so surreal und tragisch. Er lief noch einmal zum Ferienhaus zurück und rollte den mit Blut und Erbrochenem besudelten Teppich zusammen. Einige Scherben der Vase rieselten dabei klirrend zu Boden, aber darum konnte er sich nicht auch noch kümmern. Er trug den dünnen Teppich mühelos ebenfalls zum See und wickelte die Leiche darin ein, so, dass möglichst wenig von Neji zu sehen war. Die Rolle konnte er beim besten Willen nicht mehr hochheben, also stieß er sie mit dem Fuß an, so fest es ging. Mit einem dumpfen Platschen landete sie im Wasser. Sie ging nicht unter, wie er gehofft hatte. Warum zum Teufel ging sie nicht unter? Im Fernsehen funktionierte das doch auch immer! Der Teppich war ziemlich dünn und hart, konnte er sich nicht genügend mit Wasser vollsaugen? Aber mit etwas Glück würde sie immerhin ans andere Ende des Sees treiben, das man dank der Steilklippen nur schwimmend erreichen konnte – und wer würde sich in dieses Eiswasser wagen, nur um einen dahintreibenden Teppich zurückzuholen? Er stand noch eine Weile am Rand des Sees und überlegte, ob er nicht einfach hinterherspringen und das kalte Wasser seine Arbeit tun lassen sollte. Es wäre ein schmerzhafter, langsamer, qualvoller Tod, viel schlimmer als der von Neji, und er hätte ihn verdient. Dann sprach er ein letztes, trauriges Gebet für seinen Freund und machte sich auf den Rückweg.   „Kiba war die Hexe. Und er war das erste Opfer der Werwölfe“, sagte Sakura. „Die Hexe erfährt immer von dir, wer das Opfer sein soll, und er hat seinen Heiltrank benutzt, um sich zu retten. Jeder würde das tun. Und dann hat er den Gifttrank benutzt und, vermutlich wahllos, einen aus unserer Runde getötet. Neji. Für uns sah es wie ein gewöhnlicher Werwolfangriff aus, aber das war es nicht. Genau wie eben in unserem jetzigen Spiel“, fügte sie leise hinzu. „Deswegen bist also du auf diese Theorie gekommen“, nickte Sphinx. „Sprich weiter. Ich höre dir bis zum Ende zu.“ Sakura wurde nun doch nervös. Sie wollte es am liebsten schon hinter sich haben. Rein faktisch konnte sie sich immer noch irren. Vielleicht war auch Naruto oder Hinata die Hexe gewesen und hatte Kiba gerettet und Neji getötet, aber wenn sie an Kibas Reaktion während der Abstimmung am nächsten Tag dachte, verwarf sie diesen Gedanken schnell wieder. Er hatte definitiv schuldig gewirkt, als wäre er nicht sicher, ob er das Richtige getan hatte. Und es sah ihm ähnlich, sofort zurückzuschlagen, sobald die Werwölfe ihn als Opfer auswählten. Sakura selbst hätte sich den Gifttrank vermutlich aufgehoben, bis sie sicher sein konnte, dass sie nicht den Falschen damit tötete. Sie folgte diesem Faden und kam zu einem einzigen Entschluss, der sich mit dem deckte, was Sphinx ihr bereits zugestanden hatte. „Ich weiß jetzt auch, wer der zweite Werwolf in Wirklichkeit war“, sagte sie. „Es war Neji.“   Es war Zeit für das erste Opfer. Ino hatte vorgeschlagen, Kiba zu nehmen. Er schlief als Einziger allein, folglich war er leicht zu überraschen – und er war sicherlich sturzbetrunken. Ino hätte zwar auch problemlos ihre Zimmernachbarin ermorden können, aber dann wäre unweigerlich Verdacht auf sie gefallen. Etwa gegen drei wollten sie losschlagen. Neji hatte seinen Handywecker gestellt, allerdings vibrierte er nur, doch das war genug, um ihn aus seinem leichten Schlaf zu wecken. Er richtete sich auf und leuchtete mit dem Display im Wohnzimmer herum. Naruto schlief wie ein Stein am anderen Ende der Couch. In der Nähe der Tür hatte sich Sasuke in seinem Schlafsack eingerollt. Auf leisen Sohlen schlich Neji zu dem Tisch in der Ecke, auf dem er seinen Wagenschlüssel abgelegt hatte. Dann zog er sich einen schwarzen Strumpf über den Kopf und traf sich mit Ino im Flur. Sie stand im Schatten unter der Treppe und hob grüßend die Hand, als sie ihn sah. Offenbar hatte sie sich auch ohne Probleme aus ihrem Zimmer schleichen können. Sakura hatte beim Feiern auch wirklich müde ausgesehen. Sie verständigten sich mit kurzen Signalen. Ino wollte auf der Treppe ausharren, von wo sie alle vier Zimmertüren mehr oder weniger gut im Blick hatte. Außerdem würde sie den anderen eine Nachricht auf dem Drohbrief hinterlassen, der noch auf dem Tischchen lag – am besten ein freches Smiley. Das Satellitentelefon hatte sie schon sabotiert, ehe sie mit dem Van hergefahren waren, und auch gleich den Zettel darin versteckt. Es war schließlich vorherzusehen, dass die Freunde es zum ersten Mal würden benutzen wollen, nachdem der erste Mord geschehen war. Neji oblag es, den Wagen zu sabotieren. Niemand sollte den beiden entkommen können. Ino reichte ihm eines der Tranchiermesser, die sie schon im Vorhinein in ihrem Zimmer versteckt hatte, in Erwartung dieses Tages, der sich nicht hatte vermeiden lassen. Er öffnete die Eingangstür. Die frische Nachtluft war angenehm, auch wenn er sie durch den stickigen Stoff atmen musste. Er huschte zu seinem Wagen, schloss ihn auf, entriegelte die Motorhaube und machte sich an dem Zündkabel zu schaffen. Nicht nur, dass er es herausschnitt, er hackte es in viele kleine Teile. Ein paar Meter entfernt hob er einen kleinen Felsen hoch und verstreute die Kabelstücke darunter. Niemand würde sie hier suchen, geschweige denn wieder zusammensetzen können, aber sicher war sicher. Er sperrte das Auto wieder ab und steckte den Schlüssel ein. Dann ging er zum Haus zurück. Die Tür hatte er nur angelehnt. Er öffnete sie einen Spalt und sah Ino immer noch auf der Treppe sitzen. Gut, das bedeutete, dass niemand in der Zwischenzeit sein Zimmer verlassen hatte. Soweit lief also alles nach Plan. Es war eine Frage des Vermummtseins und Nicht-Vermummtseins.  Hätte ihn jemand draußen beim Auto erwischt, war es gut, wenn dieser ihn für einen unbekannten Saboteur hielt. Hätte man Ino auf der Treppe gesehen, wäre sie als Einbrecher durchgegangen, und von dort aus konnte sie schnell fliehen, außer es wäre Kiba gewesen, der sie gestellt hätte, und der schlief hoffentlich wie ein Stein. Wäre Ino plötzlich von ihrem Aussichtsposten verschwunden gewesen, hätte er selbst seine Maske abnehmen und als Neji von einem simplen Toilettengang ins Haus zurückkehren müssen, um weiterzuschlafen. Aber Ino war noch da, und nicht nur das – Kiba stand neben der Treppe und gaffte zu ihr hoch. Verflucht, warum hatte sie ihn nicht gleich erledigt? Glaubte sie, ihn allein nicht überwältigen zu können, trotz ihres Messers? Neji trat ein. Die Tür knarrte, und Kiba fuhr zu ihm herum. Dann rannten sie gleichzeitig los. Ohne dass Kiba einen Schrei von sich gegeben hätte, stürzte er auf seine Zimmertür zu. Ino schwang sich über das Geländer und trat die Verfolgung an, doch die Panik verlieh ihm beachtliche Geschwindigkeit. Als er die Tür hinter sich zuknallte, war das sicher im ganzen Haus zu hören. Nejis Gedanken rasten, er schwitzte unter dem Strumpf. Kiba presste sich sicher von innen gegen die Tür. Wenn er nach Hilfe rief, waren sie geliefert. Der Plan war gescheitert – einfach nur, weil ihr Opfer nicht so fest geschlafen hatte, wie es sich für einen Betrunkenen gehörte. Musste er ausgerechnet jetzt aufwachen? Ino bedeutete ihm, die Sache abzublasen. Im Schatten der Treppe zogen sie sich die Strümpfe von den Köpfen und waren wieder gewöhnliche Urlauber in diesem Haus. Als Ino die Hand nach seinem Messer ausstreckte, schüttelte er den Kopf und steckte es sich in den Bund seiner Trainingshose, das Oberteil so darübergezogen, dass man den Griff nicht sah. Ino hob fragend die Augenbrauen. So leise es ging, wisperte er ihr seinen Plan zu, und sie nickte schließlich. Ino verzog sich wieder in ihr Zimmer, ließ aber die Tür einen Spalt offen, um mitzubekommen, was im Flur geschah. Neji wollte ganz offen vor Kibas Tür treten und ihm zurufen, ob alles in Ordnung wäre. Der völlig verstörte Kiba würde sich freuen, eine bekannte Stimme zu hören, und ihn einlassen. In seinem Zimmer bekam Neji sicher Gelegenheit, den Mord doch noch zu begehen. Betont arglos und nicht länger um Geräuschlosigkeit bemüht, ging er auf Kibas Zimmertür zu – und bekam sie gegen die Schulter geschlagen, als Kiba erneut seine Pläne zunichtemachte, indem er zu früh aus seinem Zimmer trat. Opfer stürzte sich auf Jäger, Neji versuchte, ihn von sich wegzudrücken und sein Messer aus dem Hosenbund zu ziehen, als Kiba ihn gegen die Wand drückte – und dann spürte er selbst eine Klinge, die sich durch seinen Hals bohrte.   „Das erklärt alles“, sagte Sakura. „Ino war daraufhin die ganze Zeit alleine, und die Hexe war ausgeschaltet. Sasuke war die Seherin; dass das stimmt, hast du mir bereits gesagt. Er hat in der ersten Nacht gesehen, dass Tenten unschuldig ist. Und Naruto und Hinata waren das Liebespaar. Wenn einer von beiden ein Werwolf gewesen wäre, wäre bei nur zwei Wölfen nie der jeweils andere Liebende ausgewählt worden. Bleiben nur Ino, Neji und Kiba. Da die Hexe später nie etwas getan hat – zumindest sieht es für mich nicht danach aus –, muss Kiba die Hexe gewesen sein. Neji hätte sich in der Nacht geschützt, und Kiba könnte sich am Tag unmöglich schützen. Tags darauf haben wir ihn gelyncht. Der Rest ist einfach. In der zweiten Nacht hat Sasuke herausgefunden, dass Ino ein Werwolf ist. Ino hat Naruto oder Hinata getötet, und der jeweils andere ist gleichzeitig gestorben. Ich muss nicht raten, wer von ihnen Opfer und wer liebeskrank war, oder?“ Sphinx lächelte. „Nein. Das musst du nicht.“   - In den Bergen, zweite Nacht -   Nachdem Sakura endlich ins Bett gegangen war, packte Ino fiebrige Erregung. Es war so weit. Die heutige Nacht würde eine kriminelle Glanzleistung werden, wenn alles glattging – und das morgige Opfer wäre gleich inbegriffen. Sie fand ihren Plan jetzt schon genial. Er hatte viele Lücken und Ungewissheiten, aber genau das machte ihn so aufregend. Das Fieber, das sie und Neji teilten, war sein Grab geworden. Für Ino würde es eine einzige Erfüllung sein. Sie hatte gesehen, was mit ihm im nächtlichen Flur geschehen war. Zum Eingreifen war es zu spät gewesen, aber immerhin hatte Kiba alle am nächsten Tag dermaßen verrückt gemacht, dass sie nun sicherlich überzeugt waren, er würde hinter dem Mord und der Drohung stecken. So gesehen spielte dieser unglückliche Zufall Ino sogar ein wenig in die Hände: Nejis Leiche würde den Verdacht von dieser einen Sache ablenken, diesem Fehler, den er und Ino letzten Monat begangen hatten. Sie war nicht sicher, wie die Polizei mit der Tatsache umgehen würde, dass Kibas Leiche nicht in der Nähe des Ferienhauses zu finden war – aber vielleicht konnte sie auch diesen Umstand ausnutzen. Wenn man zwei Menschen vermisste und eine davon später am Fuß einer Klippe fand, ging man dann nicht eher davon aus, dass auch der zweite tot war? Ino würde sich das noch gut überlegen müssen, aber sie beschloss, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sie wusste gar nicht mehr, wann die Sache ihren Anfang genommen hatte. Vor einem halben Jahr vielleicht? Neji war mehr oder weniger der Auslöser gewesen, als er begonnen hatte, sich intensiv mit Krimis zu beschäftigen, dann mit echten, ungelösten Mordfällen, und irgendwie hatte er Ino damit angesteckt und in ihr eine Seelengefährtin gefunden. Sie hatten sich die Nächte damit um die Ohren gehauen, sich allerlei perfekte Verbrechen auszudenken. Ino war überrascht gewesen, wie verquer der sonst so vernünftige, zurückhaltende Neji denken konnte. Ino glaubte nicht, dass derartige Gespräche normal waren. Aber es war eine Lust, mit dem Möglichkeiten zu spielen und perfide Pläne für fiktive Morde zu schmieden. Wie wenig Skrupel sie beide hatten, kam dann später ans Licht, als sie irgendwann den verrückten Entschluss fassten, einen arglosen Obdachlosen zu töten und es als Unfall aussehen zu lassen. Seitdem hatten sie es noch ein paarmal getan, immer zu zweit, wie ein junges Paar, das ihre Affäre im Geheimen auslebte – nur dass ihre Affäre aus Blut und Tod bestand. Vor nicht ganz einem Monat war ihnen dann bei einer ihrer Aktionen ein Fehler unterlaufen. Sie hatten das Szenario hinterher noch einmal durchgedacht und waren zu dem Schluss gekommen, dass die Polizei sie mit einiger Wahrscheinlichkeit überführen würde. Also hatten sie nach einer Möglichkeit gesucht, von der Bildfläche zu verschwinden – die Dringlichkeit dieser Aufgabe hatte ihnen einen zusätzlichen Kick verpasst. Schließlich hatte sich Narutos bestandene Fahrprüfung angeboten. Hier, abgeschnitten von der Umwelt, mit ein paar verschrobenen Landeiern als Nachbarn, konnten sie sicher abtauchen. Um die Sache überzeugend zu gestalten, mussten leider auch ihre Freunde dran glauben – nicht einmal das war eine wirkliche Überwindung gewesen, Neji hatte nur gezögert, Tenten einzuladen. Der Plan hatte vorgesehen, dass sie ihre Freunde ermordeten und teilweise ihre Leichen versteckten. Anschließend würden sie alle Beweise vernichten, dass sie selbst es getan hatten, und durch den Wald abhauen. Wie es dann weiterging, das hatten sie als den nächsten Nervenkitzel vorgesehen. Selbstredend konnten sie so etwas Langweiliges wie Gift nicht verwenden – die Spurensicherung hätte geschlussfolgert, dass nur die Freunde selbst etwas ins Essen hätten mischen können. Also zogen Ino und Neji mit Messern und Drähten ins Feld. Und noch eine Sache war interessant: Die Zwietracht, die sie mit ihren Nachrichten säten, hatte schon dazu geführt, dass Ino kaum zu Kibas Tod hatte beitragen müssen. Je verworrener die Polizei den Fall vorfand, desto leichter würde Ino davonkommen. Soweit jedenfalls die Theorie. Alles andere war Spannung pur. Und nun würde der nächste Schritt in ihrem bisher größten Ding beginnen. Ino atmete tief durch. Sie war dran mit Wacheschieben, und das erste Risiko war, dass jemand sie erwischte, während sie nicht auf ihrem Posten war. Es war ein reines Glücksspiel, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, auch wenn sie sich einfach hinausreden konnte. Gerade, als sie nach draußen gehen wollte, hörte sie jemanden die Treppe herunterkommen. Naruto. Mit ein paar knappen Worten schob er sich durch die Tür, um draußen sein Geschäft zu verrichten. Kurz dachte Ino darüber nach, ihren Plan zu ändern und Hinatas Tod vorzuziehen, aber das wäre dumm gewesen. Naruto hätte sie während Inos Schicht gefunden. Umgekehrt konnte sie auch Naruto nichts tun, ohne dass Hinata sein Fehlen irgendwann auffallen würde. Nein, sie musste an ihrem eigentlichen Plan festhalten. Dann konnte sie den Tod der beiden wunderbar jemand anderem in die Schuhe schieben. Nachdem Naruto mit den Worten „Bis dann!“ wieder nach oben verschwunden war, wartete Ino eine Weile, um sicherzugehen, dass er wieder schief. Dann erst verließ sie ihren Posten. Die Nachtluft war so kühl, dass sie fröstelte, trotzdem sie zwei Schichten Pyjama trug. Flink huschte sie durch taunasses Gras ums Haus, am Carport vorbei zum Schuppen. Er war abgeschlossen, aber sie hatte dafür gesorgt, dass jeder an den Schlüssel hätte kommen können, indem sie ihn gut sichtbar auf ein Regal in der Küche gelegt hatte. Ino zog das Blechtor in die Höhe und ließ sich vom Mondlicht den Weg weisen. Die ausfahrbare Aluminiumleiter stand, einfach zu erreichen, an der Wand. Sie war nicht sonderlich schwer, aber unhandlich. Ino brauchte einige riskante Minuten, um sie an die Rückseite des Schuppens zu lehnen und sich zu vergewissern, dass sie stehen blieb. Anschließend zog sie einen Pyjama aus und verstaute ihn im Schuppen; der, den sie darunter trug, war komplett mit ihm ident. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Zurück im Haus, atmete sie tief durch. Niemand schien ihr Verschwinden bemerkt zu haben. Zeit für Phase zwei. Sie legte neue Scheite in den Ofen in der Küche und heizte ihn an. Auf der Anrichte bereitete sie eine gusseiserne Pfanne mit Reis vor. Es war ein altes Teil, ohne isolierten Griff. Nachdem sie bei geschlossener Küchentür, um die anderen nicht zu wecken, den Reis gebraten hatte, musste sie die Pfanne mit einem Geschirrtuch anfassen. Sie hoffte, dass Naruto später genauso zimperlich war, um sich nicht die Hände zu verbrennen. In eine Schüssel schöpfte sie gerade so viel Reis, dass sie benutzt aussah. Wirklich Hunger hatte sie nicht, dazu war sie zu aufgeregt. Als die Zeit für Narutos Wache heranrückte, stellte sie die Pfanne auf den Herd zurück und begrub das Geschirrtuch unter dem Stapel schmutziger Schüsseln und Teller, die noch seit gestern hier standen, sodass nur noch ein Zipfel herausschaute, und legte ordentlich Holz nach. Sie betete, dass das Feuer gut und heiß weiterbrannte, und setzte sich mit der Reisschale zurück auf ihren Posten. Naruto verpennte, das war ein Problem. Zum Glück brauchte auch das Feuer ein wenig, um wieder ordentlich in Gang zu kommen, und als er fünf nach halb drei endlich die Treppe herunterstiefelte, roch es zumindest noch nicht angebrannt. „Na endlich“, schnauzte Ino ihn an. Sollte er ruhig ein schlechtes Gewissen kriegen. Naruto blinzelte verschlafen und beäugte ihre Reisschale. „Ich hab uns was zu essen gemacht. Ist noch was übrig.“ Als sie seinen skeptischen Blick sah, fügte sie hinzu: „Ich hab zwischendurch immer wieder in den Flur gesehen, mach dir nicht ins Hemd.“ „Ich sag ja gar nichts.“ „Dann ist ja gut. Hier.“ Sie reichte ihm das Gewehr, er wünschte ihr eine gute Nacht. Dann ging sie zu Sakura ins Zimmer. Jetzt wurde es hektisch. Auf leisen Sohlen, um ihre Zimmerkollegin nicht zu wecken, schlich sie um das Bett herum. Sakuras Wecker war kein Funkwecker, das hatte sie gesehen, und er machte auch keinen Ton, wenn man ihn stellte. Ino rechnete sich kurz durch, für wann sie ihr Alibi brauchte, und drehte den Wecker eine Stunde zurück. Wunderbar. Es folgte ihr eigener, dann musste sie schon wieder in den Flur. Durch den Türspalt spähend, bekam sie gerade mit, wie Naruto stirnrunzelnd die Küchentür öffnete. Ino konnte es leise prasseln hören, aber wahrscheinlich hatte er auch gerochen, dass der Reis anbrannte. An die Wand gepresst, darauf bedacht, nicht lauter zu sein als die Geräusche in der Küche, trippelte sie den Flur entlang. Sie hörte Naruto leise in der Küche fluchen, als er sich die Hände an der Eisenpfanne verbrannte und erst das Geschirrtuch ausgraben musste. Beides, der Ofen und der Geschirrberg, lagen in einem toten Winkel zum Treppenansatz. So schnell es ging, ohne einen Laut zu verursachen, lief Ino in den ersten Stock. Zum Glück kannte sie die Treppe in- und auswendig und wusste, wo man sie belasten konnte, ohne dass sie knarrende Geräusche von sich gab. Ihr war klar, dass sie nur wenige Sekunden hatte, aber als sie auf der kleinen Balustrade angekommen war, war Naruto immer noch mit dem vor sich hin brutzelnden Reis beschäftigt. Ino nützte ihr Zeitbudget voll aus, um die Tür zum Schlafzimmer so langsam wie möglich zu öffnen, gerade so weit, um hindurchschlüpfen zu können. Es war fast stockdunkel, aber ihren Atemzügen nach zu urteilen, schlief Hinata tief und fest. Das war gut; es hätte auch sein können, dass ihr die Erlebnisse des Tages schlaflose Nächte bescheren würden, aber sie war eigentlich viel härter im Nehmen, als die meisten Leute vermuteten. Ino schlich zu dem Doppelbett, das das schickste im ganzen Haus war und bisher immer ihren Eltern vorbehalten gewesen war. Ino zog ihre Handschuhe an, nur um sicherzugehen. Dann musste sie zwischen dem Draht und dem Messer wählen. Sie entschied sich für Ersteres; das war sauberer. Auf Zehenspitzen kroch sie an Hinatas Betthälfte heran, formte mit dem Draht eine Schlinge, mühte sich ab zu erkennen, wo in dem Chaos aus Bettlaken, Kissen und glänzend dunklem Haar sich Hinatas Kehle befand, und schoss dann wie ein Springteufel in die Höhe, presste ihrem Opfer fest die Hand vor den Mund, fädelte die Schlinge um ihren Hals und drehte kräftig daran. Hinata stieß einen erstickten Schrei aus und strampelte wie verrückt. Fast wäre sie Ino entkommen, so heftig schlug sie um sich – aber nur fast. Hinata fegte etwas vom Nachttisch, erwischte Inos langes Haar und zog kräftig daran, aber dann machte sich der Luftmangel bemerkbar, und schließlich verließ ihren Körper die Kraft. Als sie in Inos Armen erschlaffte, sahen ihre Augen aus wie Nejis, als er von Kiba erstochen worden war. Wäre er noch am Leben, wäre das hier alles einfacher. Eigentlich hatten sie die zweite Nacht völlig als Teamwork durchgeplant gehabt, und den ganzen Tag über hatte Ino daran getüftelt und gekniffelt, wie sie es alleine fertigbringen konnte, das Turtelpaar ihrer Gäste zu erledigen. Als sie sicher war, dass Hinata tot war, musste sie die Leiche verstecken. Der Schrank wäre eine gute Option gewesen, aber das Gerangel hatte auch Ino an den Rand ihrer Kräfte getrieben, die sie nicht überstrapazieren wollte. So wälzte sie Hinata nur aus dem Bett und schob sie fürs Erste darunter. Wenn der arme Naruto wüsste, dass während seiner eigenen Wache jemand seine Hinata ermordet hatte … Ino konnte sich eines diabolischen Grinsens nicht erwehren. Das war das Fieber, das sie liebte. Sie legte sich ins Bett, auf Hinatas Seite, und deckte sich bis über den Kopf zu. Selbst in der Dunkelheit wollte sie sichergehen, dass Naruto sie nicht erkannte. Dann wartete sie. Über eine Stunde würde sie warten müssen. Sorgen, dass sie einschlief, machte sie sich keine. Dazu war sie zu aufgeregt. Zum Ende seiner Wache – also musste es vier Uhr morgens sein – hörte sie, wie jemand vorsichtig die Türklinke nach unten drückte. „Bin wieder da“, flüsterte eine Stimme, die nur Naruto gehören konnte. Ino fand, dass sie selbst wesentlich geräuschloser über die Dielen geschlichen war. Immerhin, er störte sich nicht daran, dass seine Freundin so in ihre Decke gekuschelt dalag. Das Bett knarzte und gab ein wenig nach, als er auf der anderen Seite auf die Matratze kletterte. Sie hörte Naruto seufzen, dann legte sich seine Hand um ihren Bauch. Wie niedlich. Ino musste nicht lange warten, dann war er eingeschlafen. Vorsichtig löste sie sich aus seiner Umarmung, fischte das Messer aus ihrer Pyjamatasche und befreite die Klinge aus der Plastikhülle. Mit der Linken tastete sie nach Narutos Hals, und als sie wusste, wo in der Dunkelheit sie zustechen musste, fuhr ihre Rechte auf ihn herab. Er würde ein ähnliches Ende nehmen wie Neji. Die scharfe Klinge zog eine blutige Linie über seine Kehle, und eine Sekunde darauf rollte sich Ino schwungvoll aus dem Bett und landete federnd auf allen Vieren. Naruto zuckte, schien etwas sagen zu wollen und brachte einen gurgelnden Laut hervor. Dann war sein Todeskampf auch schon vorbei. Ino hatte die Halsschlagader erwischt. Sein Blut spritzte immer noch in alle Richtungen, und sie meinte zu spüren, dass etwas davon ihre Wange erwischt hatte. Aber das machte nichts. Zum Glück waren beide Morde relativ leise vonstattengegangen. Als sie aufstand, knirschte etwas unter ihren Füßen, aber sie konnte nicht erkennen, was es war. Sie langte in ihre Tasche und ließ den zerknüllten Zettel mit der Nachricht achtlos fallen. Nachdem Narutos Blutfontäne endlich versiegt war, zerrte Ino auch Hinata wieder unter dem Bett hervor und hievte sie unter Einsatz all ihrer Kraft zurück auf die Matratze. Niedlich, wie sie so dalagen, im Tode vereint. Vielleicht war es ja in ihrem Interesse. Der schwierigste Teil war geschafft. Jetzt musste Ino einen Schnitzer in der Perfektion ihres Plans hinnehmen. Sie öffnete das Südfenster, das sie hinterher nicht würde schließen können, aber je nachdem, wie sich ihr Plan morgen früh weiterentwickelte, konnte ihr sogar ein Fehler zum Vorteil gereichen. Das Blech gab ein dumpfes Geräusch von sich und gab sogar nach, als Ino auf den Schuppen sprang, dessen Dach nur etwas mehr als einen Meter unter dem Fenster lag. Ihre Füße hatten zwei hübsche Dellen hineingezaubert – ärgerlich, aber sie hatte diesen Stunt nie vorher ausprobiert. Über die Leiter kletterte sie zu Boden – einen zweiten, noch tieferen Sprung hatte sie nicht riskieren wollen –, ehe sie sie wieder im Schuppen verstaute. So weit, so gut. Der letzte Akt konnte beginnen. Ino fand es fast schade, dass es gleich vorbei war. Sie schnappte sich ihren Ersatzpyjama, der im Schuppen ein wenig zu müffeln begonnen hatte – vielleicht bildete sie sich das auch ein – und lief zum See hinunter. Dort könnte man sie problemlos sehen, wenn man aus dem Fenster im Gästezimmer oder in der Küche sah, aber theoretisch sollte Sasuke der Einzige sein, der wach war, und der hatte sich im Flur aufzuhalten, mit einer Tür ohne Sichtfenster im Rücken. Mithilfe des Mondlichts nahm sie ihr Handydisplay als Spiegel her und betrachtete ihr Gesicht. Tatsächlich, ein paar Blutspritzer verpassten ihr ein makabres Makeup. Auch ihr Pyjamaoberteil war versaut; ein ziemlich großer, dunkler und vor allem auffälliger Fleck war zu sehen. Ino zog es sich über den Kopf, wusch sich lange und gründlich mit dem Seewasser, das so kalt war, dass sie den Atem anhalten musste, und schlüpfte dann in den Reservepyjama. Nach kurzem Überlegen tauschte sie auch die Hose; all das Herumklettern und Herumspringen und Herumschleichen könnte Flecken hinterlassen haben, die sie in dem schwachen Licht nicht sah. Sie verbarg die verräterischen Kleidungsstücke unter einem bestimmten Felsen in der Nähe, den sie und Neji als Versteck für mögliche Beweisstücke ausgewählt hatten. Das Messer und der Draht folgten. Ein Blick auf ihre Handyuhr sagte ihr, dass sie volle zwanzig Minuten gebraucht hatte, um Naruto zu töten und hierher zu kommen, wesentlich länger, als sie vorgehabt hatte. Nun würde ihre Geschichte noch weniger glaubwürdig sein, aber ein Zurück gab es nicht mehr. Sie hätte ja zu Beginn ihrer Aktion das Fenster in ihrem eigenen Zimmer geöffnet, um nun wieder ganz einfach hineinschlüpfen zu können, aber diese dämlichen Scharniere quietschten so schräg, dass Sakura davon bestimmt aufgewacht wäre. Möglichst gelassen und betont müde tappte sie also zur Eingangstür und klopfte dagegen. „Naruto? Ich bin’s“, rief sie. Die Tür ging einen Spalt auf und ein äußerst misstrauischer Sasuke blickte ihr entgegen. „Ino?“ „Ach, du bist’s, Sasuke. Ist es schon Zeit für deine Wache?“ „Schon lange.“ Er musterte sie mit unergründlichen Augen. „Was machst du da draußen?“ „Kann ich dir das nicht auch drinnen erzählen? Ist kalt hier.“ Sie schlang demonstrativ die Arme um den Leib. Sasuke sah aus, als wollte er ihr den Eintritt verwehren, dann trat er zur Seite. Nach all der Dunkelheit und dem kalten Mondlicht hieß sie der Schein der Kerzen willkommen. Und der Geruch von Verbranntem. „Also?“ Sasuke hatte die Arme verschränkt. Er versah seinen Dienst wohl peinlich genau. „Ich war auf der Toilette, was glaubst du denn? Ist das plötzlich verboten? Naruto hat mich rausgelassen.“ „So lange? Es ist zwanzig nach vier.“ „Manchmal braucht man eben ein bisschen länger“, meinte sie schnippisch. „Ich hab ihm ja gesagt, er soll gleich warten, bis ich wiederkomme, aber offenbar …“ Sie zuckte mit den Schultern. Unter Sasukes bohrendem Blick seufzte sie. „Du glaubst mir also nicht. Okay, hör mal, ich bin wahrscheinlich nach alledem auch ein wenig paranoid, und ich war auch nicht scharf drauf, so lange da draußen auf dem Silbertablett zu sein. Aber mal ehrlich, was könnte ich im Klohäuschen schon Böses verbrochen haben?“ Er dachte immer noch nach, und als er nicht antwortete, gähnte sie demonstrativ. „Also, mach’s gut.“ „Ich behalte dich im Auge“, versprach er. „Wunderbar. Ich wollte schon immer einen großen, starken, nach Möglichkeit dunkelhaarigen Beschützer. Gute Nacht.“ Zurück in ihrem Zimmer verbat sie sich, tief durchzuatmen. Es war klar gewesen, dass er Verdacht schöpfte. Jetzt kam es auf den Feinschliff an. Sie schlich sich zurück ins Bett und wartete zum zweiten Mal. Schließlich wurde es fünf Uhr – ihrer und Sakuras Wecker zeigte eine Stunde vorher an. Zeit, sich ihr Alibi zu verschaffen.   „Hinata und Naruto waren meiner Theorie nach beide Dorfbewohner. Danach haben wir Sasuke gelyncht, die Seherin. In der Nacht darauf hat Ino Tenten getötet, sie kann nur eine Dorfbewohnerin gewesen sein. Und in der vierten Nacht bin ich gestorben.“ Das war’s. Sakura atmete tief durch. Sphinx ließ sich mit seiner Antwort Zeit, ewig, wie es schien. Sie hasste ihn dafür, herausgefunden zu haben, wie nervös sie war. Schließlich applaudierte er und lächelte. „Brillant geschlussfolgert. Alles richtig. Ich gratuliere.“ Sakura fiel ein Stein vom Herzen. Erst jetzt bemerkte sie die Schweißperlen auf ihrer Stirn, obwohl die Klimaanlage surrte. „Aber das war auch ein sehr einfaches Spiel. Das jetzige wird wesentlich komplizierter, das kann ich dir versprechen. Nun“, er grinste schief, „für dich vielleicht nicht. Aber kommen wir zu dem, was du eigentlich hören willst: der Punktevergabe.“ Er tat, als überlegte er kurz. „Siebzig Punkte in Summe. Ja, das scheint mir fair.“ „Was?“ Sakura starrte ihn an. „Du hast mir achtzig versprochen, wenn ich das Spiel komplett löse!“ „Richtig.“ Sein Lächeln wurde abfällig. „Aber einfach so das Spiel abzubrechen und zu denken, ich merke nichts, sollte dich eigentlich wesentlich mehr kosten.“ „Was … was meinst du?“, murmelte sie. „Tu nicht so. Ein scheinbar ganz normales Werwolfopfer, und plötzlich rufst du, du hättest das letzte Spiel gelöst, das bisher offensichtlich zu vertrackt dazu war. Hast du nicht gehofft, den anderen damit einen Hinweis zu liefern? Dass die Dinge vielleicht anders sind, als sie scheinen?“ „Ich habe nicht …“ Sakura biss sich auf die Lippen. Ja, sie hatte es gehofft. Offen über ein Spiel zu sprechen, war verboten, aber sie hatte geglaubt, ein Schlupfloch gefunden zu haben. „Siebzig Punkte. Das sind mehr, als du verdient hast – nenn es meinetwegen eine Belohnung für deinen Mut. Das nächste Mal lasse ich dich beinhart auf null fallen, verstanden?“ Sie seufzte resigniert. „Ja, Herr Magister“, sagte sie säuerlich. „Braves Mädchen. Du kannst jetzt gehen. Sag deinen Freunden, morgen um neun Uhr geht es hier weiter, gleich nach dem Frühstück.“   Naruto wartete schon ungeduldig, als Sakura endlich in den Aufenthaltsraum kam. „Wie ist es gelaufen?“, fragte er ungeduldig. „Hattest du recht?“ „Als ob ich das sagen dürfte“, gab sie zurück, aber er kannte sie zum Glück sehr gut. Ihr Gesichtsausdruck, ihre Gangart, ihr Tonfall – sie war niedergeschlagen, aber nicht so sehr, als hätte sie es vergeigt. Vielleicht fehlte ihr doch noch ein winziges Puzzlestück. Jedenfalls freute er sich für sie, dass sie vorangekommen war. Er selbst hatte Sphinx seine Vermutungen am Vortag erzählt und war danebengelegen. Er hatte einfach zu wenig von der Endphase des Spiels mitbekommen, um eine Chance zu haben. Kakashi stand bei ihrer Gruppe, die Clique um Sakon sah sich gerade im Raum um. Deidara schien nicht recht zu wissen, was er tun sollte. „Habt ihr ihnen schon gesagt, wie wir hier hineingeraten sind?“, fragte Sakura. „Ja. Kakashi hat Sphinx fast auf die gleiche Weise erwischt“, sagte Naruto. „Er ist auf ein Preisausschreiben hereingefallen.“ „Ist das wahr?“ „Naja.“ Ihr ehemaliger Lehrer kratzte sich am Kopf. „Anscheinend hat er meine Vorliebe für gewisse … Bücher entdeckt.“ „Und in Wahrheit war der erste Preis ein Daueraufenthalt in dieser netten Klinik hier“, vermutete Sakura. „Gewisse Bücher?“ Die anderen stießen zu ihnen. Tayuya fuhr fort: „So wie ihr davon erzählt habt, sind es sicher Pornoromane. Gib’s ruhig zu. Du bist eklig.“ „Und wie kommt ihr hierher?“, fragte Sakura. Tayuya zuckte nur mit den Schultern, und auch die anderen schienen wenig in der Stimmung für einen kleinen Plausch. „Wir waren bei einem Bandentreff“, erklärte Kimimaro schließlich. „Nennt man das jetzt so, wenn sich ein paar Rowdys gegenseitig verprügeln, mit Graffiti beschmieren und sich betrinken?“, fragte Ino spitz. Sie schien den fünf nicht verzeihen zu können, dass sie sie gleich am ersten Tag hinausgewählt hatten. Bei ihren Freunden lagen die Dinge zum Glück anders. Sakon grinste. „Es gab auch Livemusik und Skateboardparcours. Ein richtig großes Event.“ „Wir haben eine Herausforderung von einer Gang namens Sphinx erhalten“, fuhr Kimimaro fort. „Ich schätze, das kommt euch bekannt vor?“ „Wartet – ihr habt ein Rätsel von Sphinx gelöst und seid deshalb für würdig befunden worden, mit ihm zu spielen?“, rief Kiba aus. „Wieso nicht?“ „Weil es bei Rätseln vor allem um die Anzahl der Gehirnzellen geht, darum“, versetzte Ino. „Ah ja?“ Tayuya baute sich drohend vor ihr auf. „Wir werden ja sehen, wer als Erstes wieder hier herauskommt, Blondie.“ „Nicht streiten. Gibt es ein Problem?“ Maki, der Pfleger, war hinzugekommen und lächelte die beiden Mädchen breit an. „Hau ab, Pisser!“, fuhr Tayuya ihn an. Maki schüttelte nur tadelnd den Kopf und wartete, bis die beiden wieder etwas Abstand zwischen sich gebracht hatten. Dann ging er fröhlich pfeifend zu den Bücherregalen und sortierte ein paar dünne Heftchen ein. Die Beleidigung war einfach an ihm abgeprallt. „Werden die Pfleger hier nicht auch verrückt?“, fragte Sakon sarkastisch. Tayuya seufzte und wandte Ino demonstrativ den Rücken zu. Das konnte ja noch heiter werden mit den beiden. „Was soll’s. Vielleicht ist es hier ja ganz lustig. Man kann die Sau rauslassen, und keiner schaut einen schief an. Ins Kittchen kommen wir nicht, weil wir ja verrückt sind, und in die Klapse auch nicht, weil wir verflucht nochmal schon drin sind! Und wenn wir wollen, lösen wir Sphinx’ dämliches Spiel und kommen wieder raus.“ „Ja, wenn“, murmelte Kimimaro. „Treibt der Kerl seine Spiele eigentlich mit jedem hier?“, mischte sich Deidara ein. „Nein. Nur mit uns, soviel ich weiß“, sagte Sakura und sah sich um. „Sagt mal, wo sind denn Neji und Tenten?“ „Die suchen einen Pfleger, der sie zu Hinata lässt“, sagte Naruto düster. „Sie hat sich in ihrem Zimmer eingesperrt und will nicht herauskommen. Ehrlich, ich mach mir große Sorgen.“ „Ich werde auch mal mit ihr reden“, beschloss Sakura und ging los. Ihre Freunde folgten ihr. „Tut das“, sagte Kidoumaru. „Wer hat Lust auf eine Partie Mühle? Da vorn sehe ich ein Spielbrett.“ „Ich hab für heute genug gespielt“, brummte Sakon und trabte in die andere Richtung davon. „Ich auch“, sagte Jiroubou. Was die anderen erwiderten, konnte Naruto nicht verstehen, da Sakura ein ordentliches Tempo vorlegte. Der Trakt, in dem Hinatas Kammer lag, schien verlassen. Eine Deckenlampe war kaputt, eine flackerte, und die Wand ihrer Tür gegenüber war mit blauer Farbe beschmiert. Seifenschaum tropfte davon, aber das Kunstwerk schien nicht abgehen zu wollen. „Hinata?“ Sakura hämmerte an ihre Tür. „Ich bin’s, Sakura. Lässt du mich rein?“ Erst kam keine Antwort, dann, nur ein Hauchen: „Geh weg.“ „Was ist los, Hinata? Willst du nicht herauskommen?“ „Bitte, lasst mich in Ruhe.“ Naruto presste sein Ohr gegen die stabile, weiße Holzplatte. Sie schluchzte – nein, sie wimmerte! Es zog ihm das Herz zusammen. „Hinata!“, rief er lauter, als er beabsichtigt hatte. „Bitte, sag uns, was los ist!“ „Sie ist verflucht“, krächzte eine Stimme hinter ihnen. Naruto fuhr herum. Er hatte gar niemanden kommen gehört. Ein gebeugter, alter Mann mit wässrigen Augen stand hinter ihnen. Er trug Patientenkleidung, war aber barfuß, mit schwarzen Flecken auf den Füßen. „Wer sind Sie?“, fragte Lee. „Sie wird nicht rauskommen. Sie weiß, was passiert, wenn sie es tut.“ Die Stimme klang wie ein Federkiel, der über altes Pergament kratzte. „Sie will die Bestie in ihrem Inneren nicht freilassen.“ „Wovon reden Sie?“, fragte Naruto. Kakashi neben ihm lauschte nur schweigend. Die verwaschenen Augen waren seltsam klar und bohrend. „Sie spürt es. Wir haben es alle gespürt. Irgendwann werdet ihr es auch spüren.“ „Wovon sprichst du, du alter Knacker?“, fragte Kiba gereizt. „Sag uns, was mit Hinata los ist, wenn du es weißt!“ Fauchendes Lachen. „Die Gier hat sie gepackt“, hauchte er. „Die Gier. Hört nicht auf die Gier. Ihr werdet, was ihr wart, und ihr endet, wie es geendet hat, und jeder Ausgang ist schrecklich.“ „Hört nicht auf ihn“, sagte Kakashi schließlich, und seine ruhigen Worte legten sich wie Balsam auf ihre gereizten Gemüter. „Vergesst nicht, wo wir hier sind.“ „Ihr habt keine Ahnung, wo ihr hier seid!“ Der Alte offenbarte schwarze, spitze Zahnruinen. „Naivlinge! Ich spucke auf euch. Ihr werdet sie noch spüren, wenn sie euch packt!“ „Jetzt reicht es.“ Kiba packte den Mann am Kragen. „Hier im Irrenhaus sind Prügeleien sicher ganz normal, oder?“, fragte er liebenswürdig. „Ehehehe“, machte der Alte. „Sieh nur zu, dass du nicht in der Gummizelle aufwachst. Dort kannst du nicht gegen den Fluch ankämpfen.“ Zum Teil schien er ziemlich klar im Kopf, so verschroben er auch wirkte. „Von welchem Fluch sprechen Sie die ganze Zeit?“, fragte Naruto. „Könnt ihr nicht lesen? Da steht es doch.“ Er deutete auf das blaue Gekritzel an der Wand. „Lesen Sie es uns bitte vor“, murmelte Sakura, nachdem sie eine Weile vergebens versucht hatten, irgendeinen Sinn in die Flecken und Formen zu bringen. Doch der Alte schien wieder in eine andere Welt abgedriftet zu sein. „Gebt nicht nach“, sagte er und humpelte langsam den Gang entlang. „Gebt der Gier nicht nach und zieht keinen Verdacht auf euch. Das ist die einzige Möglichkeit, zu überleben.“ Die ganze Zeit über schüttelte er den Kopf, als wollte er schlimme Gedanken loswerden. Ino schüttelte sich. „Der Kerl ist gruselig.“ „Hier sind alle gruselig“, sagte Sakura und klopfte wieder an der Tür. „Hinata? Bitte, lass uns rein. Wir sind deine Freunde, oder?“ Es kam keine Antwort mehr. Oder war dort ein leises Stöhnen? Naruto packte plötzlich kalte Angst. Sie würde sich doch nichts antun, oder? „Hinata!“, schrie er. „Hinata! Mach auf!“ Er rüttelte an der Klinke und warf sich gegen die Tür, aber es half nichts. „Bitte! Hinata!“ In dem Moment kamen Neji und Tenten mit einem Pfleger. Auf den letzten Metern begannen sie zu rennen. „Was ist los?“, fragte Neji alarmiert. „Sie antwortet nicht!“, rief Naruto verzweifelt. „Verdammt, was ist mir ihr los?“ Neji schob ihn zur Seite. „Hinata?“, rief er betont ruhig. „Es ist alles in Ordnung. Wir wollen dir nichts tun, wir wollen nur reden. Du kannst immer mit uns reden, das weißt du. Bitte mach auf.“ Immer noch keine Antwort. Naruto lief es eiskalt den Rücken runter. „Schließen Sie schon auf“, forderte Tenten den Pfleger auf. „Oh. Das geht nicht, tut mir leid“, sagte der Mann, nachdem er einen Blick auf das Schloss geworfen hatte. „Sie machen wohl Witze!“, rief Naruto. „Für diese Art von Schloss haben nur die Ärzte einen Schlüssel. Das sind die besonders schweren Fälle, wenn ihr versteht.“ „Das kann nicht sein!“ Naruto sprang ihn förmlich an. „Sie könnte sich etwas antun, nach all dem kranken Scheiß, den sie hier miterlebt hat! Tun Sie doch was, verdammt!“ Der Mann schüttelte seine Hände ab, wie er ein lästiges Insekt verscheuchen würde. „Ihr könnt ganz beruhigt sein“, sagte er kühl. „In derartigen Zellen gibt es nichts, das den Insassen gefährlich werden könnte. Außerdem werden sie videoüberwacht.“ „Von wegen!“, sagte Sakura. „Meine Tür sieht genauso aus, und ich habe nirgendwo Kameras entdeckt. Und wenn ich mich umbringen wollte, fände ich eine Menge Gelegenheiten dazu!“ Umbringen wollen. Sie hatte es ausgesprochen. „Hinata wird sich nicht … Sie wird doch nicht …“ Neji wich zur Wand zurück. „Sphinx!“, rief Naruto. Er stieß den Pfleger zur Seite und stürmte den Gang entlang. Sollte der verrückte Psychologe zeigen, wie gut er die Sache im Griff hatte! Wenn jemand wusste, was mit Hinata los war, dann ja wohl er! Er rannte an verdutzen Pflegern und großäugigen Patienten vorbei. Im Aufenthaltsraum war eine Rangelei im Gange, doch er sah nicht genau hin. Vor der Tür zu Sphinx‘ Büro kam er schlitternd zum Stehen. „Sphinx!“, schrie er, was seine Lungen hergaben. „Mach auf! Sofort!“ Diese Tür war genauso abgeschlossen. Naruto wummerte dagegen. Er musste hier sein! „Mach auf, verdammt! Hinata ist in Gefahr! Mach die Tür auf!“ „Na, na, na, wer wird denn hier so einen Radau veranstalten?“ Maki kam auf Naruto zu, unerschütterlich freundlich, wie immer, und natürlich ohne Plan, was los war. „Bleib mir vom Leib“, keuchte Naruto. Sein Hals schmerzte bereits. „Sphinx! Mach die verdammte Tür auf, oder ich trete sie ein!“ Makis Hand legte sich auf seine Schulter, fester, als man es dem Pfleger zugetraut hätte. „Komm, deine Freunde suchen dich sicher schon.“ Naruto wand sich, der Griff wurde fester. „Sphinx! Wenn Hinata sich etwas antut, werde ich dir das nie verzeihen!“ „Muss ich einen Arzt rufen, damit er dich mit der Nadel piekt?“, fragte Maki mit leichtem Ärger in der Stimme. Er versuchte Naruto nun mit beiden Händen fortzuziehen. „Du bist doch sicher müde. Wir werden dich ins Bett bringen und dann …“ „Nein!“ Naruto sah Rot. Er hatte die Schnauze voll von diesem Laden, von den gleichgültigen Pflegern und von Maki mit seiner undurchdringlichen Ignoranz. Er wirbelte herum und verpasste dem jungen Mann eine Backpfeife, die ihn gegen die Wand taumeln ließ. Verdutzt sank er zu Boden. Naruto hämmerte weiter gegen Sphinx‘ Bürotür, bis ihm die Fäuste wehtaten. Plötzlich packten ihn erneut zwei, dann vier Arme, kräftigere diesmal, und er sah sich zwischen zwei weiteren Pflegern eingekeilt, die ihn fortzerrten. Wütend wehrte er sich, verfluchte sie und schrie im gleichen Atemzug weiterhin Sphinx‘ Namen. Als ihm beide Hände auf den Rücken gedreht wurden und seine Schultergelenke schmerzend protestierten, knarzte die Gegensprechanlage unter Sphinx‘ Namensschild. „Geh weg“, erklang die wohlbekannte Stimme. „Komm sofort raus! Wir brauchen dich!“, schrie Naruto verzweifelt. „Wenn wir je wieder mit dir spielen sollen, dann komm und rette deine Mitspielerin!“ „Bitte, lasst mich in Ruhe.“ „Du musst …“ Naruto blieben die Worte im Hals stecken. Wie vom Donner gerührt stand er da, ließ sich davonschleifen wie einen Mehlsack. Maki stand daneben, grimmig, mit blutender Nase. Die gleichen Worte, es waren die gleichen Worte gewesen … In seinem Kopf drehte sich alles. Er wusste nicht, ob ihm schwarz vor Augen wurde, weil die Pfleger ihm tatsächlich irgendein Medikament gespritzt hatten, oder weil Sphinx exakt Hinatas Worte wiedergegeben hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)