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The Wolves among us

"Die Werwölfe erwachen. Sie wählen ihr heutiges Opfer ... Die Werwölfe schlafen wieder ein." [Video-Opening online]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
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Die erste Nacht


 

~ 1 ~

 

Wer die bunte Truppe in dem schicken silbernen Kleinbus auf der serpentinenreichen Landstraße dahinbrausen sah, musste unweigerlich denken, dass hier wohl vier junge Pärchen auf Urlaub fuhren. Das mit den Pärchen war nicht der Fall – zumindest nicht ganz –, aber es hatte ihnen einen netten Rabatt bei der letzten Hinterwäldlertankstelle eingebracht, deren weißbärtiger Besitzer ganz verzückt ob des vielfältigen jungen Glücks ins Schwärmen geraten war. Neji hatte ein wenig das schlechte Gewissen geplagt, wie er – hinterher – betont hatte, aber die anderen fanden es einen gelungenen Einstieg zu ihrem Urlaub auf Sparflamme.

Der Anlass war Naruto gewesen, der endlich die Führerscheinprüfung bestanden hatte. Es hatte wohl niemanden überrascht, dass er der Letzte gewesen war, der nun einen fahrbaren Untersatz lenken durfte. Sakura erinnerte sich, dass er selbst in der Schule oft mehrmals hatte Anlauf nehmen müssen, um einen Test zu bestehen. Man merkte ihm aber an, wie viel Fleiß er in die praktische Prüfung gebuttert hatte: Er kutschierte seine sieben Mitfahrer mit beachtlicher Behutsamkeit. Sakuras anfängliche Bedenken hatten sich schnell zerstreut.

Nicht so Nejis. Seiner Familie gehörte der Kleinbus, das einzige Gefährt, an das sie herangekommen waren, das wirklich acht Personen samt Gepäck transportieren konnte. Der junge Mann saß hinter Sakura in der letzten Reihe, als wollte er es möglichst spät spüren, wenn Naruto irgendwo hineinkrachte. Ständig rutschte er auf seinem Sitz herum, was Kiba neben ihm allmählich zur Weißglut brachte.

„Wenn du mal für kleine Nejis musst, sag’s einfach, ansonsten hör auf rumzuzappeln!“

„Am Ende machst du noch den Fahrer nervös“, erklärte Ino, die neben Sakura saß, mit einem zuckersüßen Grinsen.

Wie Neji reagierte, sah Sakura nicht, aber er schwieg. In einem Partybus mit acht Frischverliebten wäre es wohl ein bisschen lustiger, überlegte sie. Nejis Nervosität und Kibas Gereiztheit waren nicht das Einzige, das ein wenig an ihren Nerven rüttelte. Der Hauptgrund befand sich in der ersten Sitzreihe.

Sakura wusste nicht, wer auf die Idee gekommen war, ausgerechnet Sasuke auf den Beifahrersitz zu lassen. Seit sie aus der Stadt waren, drehte er die Straßenkarte in den Händen und ließ keine Gelegenheit aus, bei Naruto anzuecken.

„Wenn du da hinten links gefahren wärst, wären wir schneller gewesen.“

„Halt endlich den Rand“, knurrte der Blondschopf hinter dem Steuer. „Ich weiß, wo wir langmüssen.“

„Sah aber nicht so aus, als du vorhin auf diesem Bauernhof umdrehen musstest, mitten in einer ganzen Hühnerarmee.“

„Ach, lass mich doch in Ruhe! Als ich das letzte Mal hier war, war da noch kein Bauernhof.“

„Weil Bauernhöfe ja einfach so über Nacht aus dem Boden schießen“, spottete Sasuke.

„Ich schieß dich gleich aus dem Fenster, Klugscheißer!“

„Achte lieber auf die Straße. Du hast gerade die Ausfahrt verpasst.“

„Weil du mich abgelenkt hast, Idiot!“, fluchte Naruto „Sieh doch auf deine superschlaue Karte. Der Waldweg da vorn müsste auch zur Hütte führen.“

„Ja, aber so brauchen wir zwanzig Minuten länger. Ich sehe uns schon bei der nächsten Tankstelle um Rabatt betteln“, meinte Sasuke trocken.

„Hättest du mir dann nicht einfach vorher sagen können, dass ich abbiegen soll?“

„Ich dachte, du kennst dich hier aus?“

„Könnt ihr beiden bitte mal die Klappe halten?“, fragte Sakura genervt.

„Ihr zankt euch, als wärt ihr seit dreißig Jahren verheiratet“, merkte Ino belustigt an.

„Ehe ich den heirate, heirate ich Kiba“, schnaubte Naruto, der den Scherz wohl etwas zu ernst nahm.

„Wie war das?“, rief Kiba vom Rücksitz aus, und Sakura konnte nicht einschätzen, wie viel von seinem Tonfall Drohung und wie viel Scherz war. Neben ihm lachte Tenten herzlich.

Wer die bunte Truppe in dem Kleinbus so dahinbrausen sah und auch hörte, wie es im Inneren zuging, musste wohl denken, dass sie sich alle nicht riechen konnten. Auch das stimmte nicht, aber Sakura hoffte dennoch, dass sie bald ankämen.

Sie waren nicht die ganze Clique, aber abgesehen davon, dass in Nejis Van niemand mehr Platz gehabt hätte, waren alle außer den acht Urlaubern zur Zeit verhindert. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, und länger hatten sie nicht warten wollen. Aber so leistete fast jeder von ihnen einen gewissen Beitrag zu ihrem Urlaub: Neji gehörte mehr oder minder der Wagen, Naruto fuhr, Sasuke spielte das wenig geduldige Navigationssystem, Tenten hatte die Idee gehabt, Inos Familie gehörte das Wochenendhaus, in dem sie fünf Tage verbringen wollten. Kiba hatte gemeint, er wäre für die gute Laune zuständig – und für diversen wichtigen Proviant wie Alkohol und Knabbergebäck –, Hinata fuhr einfach zu einem Teil wegen Neji und zu einem größeren Teil wegen Naruto mit, und Sakura war zuständig für … Nun ja, bedachte man die Lautstärke im Wageninnenraum und die wenig feinen Worte, die dann und wann über sie hinwegflogen, dann musste es ja auch jemanden geben, der die anderen zur Ordnung rief.

Die Viehweiden und Felder, die lange Zeit die kurvenreiche Straße gesäumt hatten, wichen einem dichten Fichtenwald. Höher und höher schraubten sich die Serpentinen den Berg hinauf. Sakura versuchte, in dem Dickicht Eichhörnchen oder andere Tiere zu entdecken, aber das schnelle Spiel von Licht und Schatten ließ ihre Sinne schwirren. Vielleicht lag es auch am Schlafmangel; sie war erst mitten in der Nacht von der Südsee heimgekehrt, nur um sich gleich in den nächsten Urlaub zu stürzen.

Irgendwann löste Schotter den Asphalt ab, und es gab auch keine Möglichkeit mehr, wie Sasuke Narutos Routenwahl kritisieren konnte, denn es ging einfach nur mehr geradeaus.

„Sind wir bald da?“, scherzte Kiba von hinten.

„Mami, Papi, ich muss mal“, rief Ino, an Naruto und Sasuke gewandt.

„Haben wir überhaupt alle in der Hütte Platz?“, fragte Sakura, als von vorn nur eisernes Schweigen kam.

„Klar. Es gibt zwei Schlafzimmer und ein Gästebett. Der Rest kann auf der Couch vor dem Kamin schlafen“, sagte Ino.

„Fahrt ihr eigentlich auch im Winter hierher?“

„Wenn es das Wetter zulässt. Einmal hat es uns für eine ganze Woche eingeschneit. Was glaubst du, wie traumhaft das war, meterhoher Schnee, der Sturm rüttelt an den Fensterläden, und drinnen knistert das Feuer im Kamin.“

„Wie romantisch“, seufzte Hinata, die bisher am wenigsten von allen gesprochen hatte. Wie immer.

„Wenn wir weiterhin so schleichen, wird es sowieso Winter, ehe wir ankommen“, bemerkte Sasuke.

„Du kannst auch gerne aussteigen!“, giftete Naruto zurück.

„Jungs, bitte“, murmelte Sakura.

Die beiden hatte schon immer eine merkwürdige Freundschaft verbunden: Auf der einen Seite waren sie aneinandergeraten, wann immer sie Gelegenheit dazu gehabt hatten, auf der anderen waren sie stets durch Dick und Dünn gegangen. Dann war Sasuke schließlich fortgezogen, und drei Jahre lang hatte keiner etwas von ihm gehört. Naruto und Sakura hatten versucht, ihn zu erreichen, jedoch vergebens. Angeblich hatte es familiäre Gründe gehabt, und als Sasuke vor einem halben Jahr wieder in die Stadt gekommen war, hatte er gemeint, dass er damals nicht vorgehabt hätte, zurückzukehren, und ihnen allen eine dauerhafte Trennung ersparen wollte, indem er alles begrub, was sie verbunden hatte. Naruto hatte ihm das sehr übel genommen und ihr Verhältnis war seither noch unterkühlter als sonst, aber Sakura wusste, dass er tief im Innern froh war, seinen besten Kumpel von damals wiederzuhaben.

Endlich war die letzte Steigung geschafft – zwanzig Minuten nach Plan, genau wie Sasuke es vorausgesagt hatte. Einige hundert Meter fuhren sie eben entlang, dann öffnete sich der Wald wie ein Vorhang, der die herrliche Kulisse eines Theaterstücks verdeckt hatte.

In hellem Blau schillerte der kristallklare Bergsee neben zwei Steilhängen, die ihn fast einkesselten. Durch unberührte, sattgrüne Wiesen strich sanft der Wind. Hin und wieder ragten graue Felsen aus der Idylle hervor. Sakura war sich sicher, dass sie hier Enzian finden würden.

Der Schotterweg führte noch fünfzig Meter den Hügel hinab zu einem kunstvollen, zweistöckigen Blockhaus. Die Wiesen fielen dahinter noch weiter ab und gaben den Blick auf ein weitläufiges Tal frei. Dunst hing dort über diesem Flickenteppich aus Weiden und Wäldern in verschiedensten Grüntönen und winzigen, hellen Punkten, die Höfe und Dörfer darstellten. Die hohen Berge ringsum trugen prächtige Schneekronen, aber in dieser Senke würden sie viel eher die Sonne spüren, die noch kräftig vom Himmel heizte. Es war wunderbar hier. Als Naruto den Wagen den Weg hinunter und unter den Carport neben dem Haus rollen ließ, dachte Sakura, dass sich hier wohl wirklich fünf wunderschöne Tage verbringen ließen.

 

„Also, kennt jeder die Regeln? Darüber stimmen wir gleich mal ab. Ja? Dann geht’s los!“

 

Seufzend und ächzend streckten sie sich, als sie nach der langen Autofahrt endlich ins Freie konnten. Nejis Erleichterung war ihm anzusehen. Er hätte wohl nicht gedacht, dass Naruto sie sicher herbringen würde – doch auch ihr zuverlässiger Fahrer stieß einen tiefen Seufzer aus, als er den Schlüssel abzog und ihn Neji zuwarf. Während Sakura tief die frische Bergluft einatmete, machten sich die anderen daran, den Kofferraum auszuräumen. Er war gerammelt voll mit ihrem Reisegepäck, das so konfus übereinandergestapelt war, dass es fast als abstraktes Kunstwerk durchgehen konnte.

Ino schloss die breite Eingangstür des Blockhauses auf. Bis auf die Dachschindeln bestand es völlig aus Holz. Dicke Wände trennte sie von einem gemütlichen Inneren. Die Fenster waren verglast worden, die Läden mit kunstvollen Schnitzereien versehen, genau wie die Westseite des Hauses, die ein einziges, verschlungenes Muster war. Es gab noch einen Anbau aus gewöhnlichem Mauerwerk, der eine Art Schuppen darstellen mochte.

Jeder packte das nächstbeste Gepäckstück und wuchtete es über die drei kleinen Stufen hoch zur Tür. Dahinter lag ein schmaler, mit einem ausgeblichenen grünen Teppich ausgelegter Flur. Eine Treppe führte in den ersten Stock, etliche Türen zweigten in die Räume ab. Da sie sich noch für keine Zimmereinteilung entschieden hatten, luden sie das ganze Gepäck erst mal im Flur ab.

„So“, meinte Ino und strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ehe wir auspacken, wie wär’s mit einer kleinen Erfrischung?“

„Da sag ich nicht nein.“ Kiba massierte immer noch seinen verspannten Nacken. „Was hast du denn Schönes?“

„Ich hatte an das gedacht, was du mitnehmen wolltest.“

„Oh. Noch besser.“

Kiba durchstöberte den Gepäckhaufen nach seiner Kühltasche und zog eine Flasche Prosecco hervor. Ino führte sie in die Küche, wo ein wuchtiger Tisch aus – natürlich – Holz und geschnitzte Bänke sie erwarteten. Über dem plumpen Holzofen öffnete sie ein Kästchen und förderte acht Sektgläser zutage. Kiba feuerte den Korken aus der Flasche und schenkte ein.

„Auf die jüngste Gefährdung des Straßenverkehrs“, hob Ino gut gelaunt ihr Glas.

„Auf unseren Urlaub“, erwiderte Tenten. Die anderen stimmten wahlweise in diesen oder jenen Spruch mit ein.

Der Prosecco wäre nicht Sakuras Wahl gewesen, aber er schmeckte dennoch nicht übel.

„Sagt mal, habt ihr hier keinen Kühlschrank?“, fragte Kiba, als die Flasche leer war. Er schien sich um das Wohl seiner Getränke zu sorgen.

„Wir könnten einen anschaffen, aber ohne Strom bringt uns das nicht viel“, erklärte Ino verschmitzt.

„Ihr habt hier keinen Strom?“

„Es soll ein Urlaubshäuschen fern jeder städtischen Hektik sein“, sagte sie theatralisch. „Es gibt Solarzellen auf dem Dach, aber die versorgen nur das Notfalltelefon. Sonst ist alles Natur pur. Mit Strom kommen nur Fernsehen und Internet und die ganze entspannte Atmosphäre ist dahin.“

„Scheiß auf die Atmosphäre, wo sollen wir die Getränke kühlen? Oder wollt ihr das Bier warm trinken?“

„Im Bergsee. Haben wir bisher immer so gemacht. Es gibt da eine nette Stelle, wo wir die Sachen versenken können.“

„Wie modern. Gut, aber gebt mir nicht die Schuld, wenn uns die Wölfe alles wegsaufen“, scherzte Kiba.

„Gibt es hier Wölfe?“, fragte Hinata unbehaglich.

„Klar – große, fiese Ungeheuer. Vielleicht sollten wir darauf hoffen, dass sie das Bier nehmen. Schmeckt ihnen vielleicht besser als Menschenblut.“

„Hör schon auf, Kiba.“ Sakura verpasste ihm einen Schlag gegen die Schulter, als sie sah, wie Hinata zurückwich und nach Narutos Ärmel griff.

„Keine Bange, Hinata“, sagte Ino. „Es gibt hier keine Wölfe. Und selbst wenn – kommt mal mit, ich wollte es euch sowieso zeigen.“

Sie lotste ihre Gäste in das Wohnzimmer, das den größten Teil des Erdgeschosses einnahm. Der versprochene Kamin lag tot und kalt vor ihnen, davor stand eine gewaltige, uralte Couch. Es gab zusätzlich eine einfache, aber gemütliche Sitzecke, noch einen Tisch und etliche Schränke. Einen davon schloss Ino mit einem winzigen Schlüsselchen auf. Die anderen stießen erstaunte Geräusche aus.

„Hübsches Ding, oder?“ Ino nahm das Gewehr aus dem Schrank und präsentierte es ihnen. „Eine Winchester. Die genaue Bezeichnung hab ich vergessen. Papa jagt manchmal damit, wenn wir hier sind.“

„Ist es … geladen?“, piepste Hinata.

 

„Eine Frage, spielen wir jetzt mit einem Bürgermeister oder ohne?“

„Sucht es euch aus.“

„Ohne. Mir ist nicht ganz klar, wozu der gut sein soll.“

„Ich sage auch, lassen wir ihn weg. Es ist das erste Spiel, am Ende wird es unfair.“

„Wie ihr wollt.“
 

Ino öffnete das Magazin, um zu zeigen, dass es leer war. „Ich habe auch keine Patronen dafür. Wir müssen hoffen, dass das Gewehr allein die Wölfe abschreckt“, meinte sie augenzwinkernd.

Naruto gähnte. „Schön, können wir dann in die Zimmer gehen? Ich bin hundemüde.“

Die anderen stimmten ihm zu.

Sakura würde bei Ino im Zimmer schlafen, das war beschlossene Sache. Da Ino die Gastgeberin war, hatte sie somit auch einen Fixplatz in einem der Betten. Die anderen ließen das Los entscheiden, wer auf der Couch oder auf dem Boden schlafen musste. Letztlich war es Sasuke, der sich wenig begeistert mit seinem Schlafsack begnügen musste. Naruto und Neji würden sich die ausziehbare Couch teilen, Kiba durfte im Gästezimmer schlafen und Hinata und Tenten bekamen das Doppelbett im ersten Stock.

Nachdem das geklärt war, begannen sie, im Flur ihr Gepäck auseinander zu sortieren. „Das gehört mir, und das, und das … Warte, Tenten, das ist meine Tasche.“

„Himmel, du hast ja den halben Haushalt mit“, kommentierte Sakura überrascht, als sie sah, wie Ino Koffer um Koffer um Tasche beschlagnahmte.

Auch Kiba fiel das auf. „Ich dachte, wir bleiben nur vier Nächte hier?“, feixte er.

„Im Gegensatz zu dir will ich irgendwann zwischendurch auch mal frische Klamotten anziehen“, gab sie zurück.

„Soll ich dir beim Rauftragen helfen, Hinata?“, bot Neji an.

„Ich helf auch!“ Naruto war sofort ebenfalls zur Stelle. Hinata lächelte sie scheu an und nickte, und die beiden Männer schleppten ihre Koffer in eifriger Eintracht die Treppe hoch.

„Die hast du ja ganz schön unter der Knute, meine Liebe“, bemerkte Tenten grinsend. „Verrat mir doch, wie du das machst.“

„Was? Oh, ich, also, ich mach ja eigentlich gar nichts …“, stotterte Hinata.

„Wem gehört das hier?“, fragte Sakura, als jeder mit seinen Gepäckstücken beladen zu sein schien, aber immer noch eine kleine Schachtel auf dem Flur lag. Keiner meldete sich. „Neji? Naruto? Gehört das euch?“

Zwei verschwitzte Köpfe tauchten am oberen Ende der Treppe auf. „Die Schuhschachtel da? Meins ist es nicht“, rief Naruto herunter. Neji schüttelte den Kopf.

„Wenn es eine Schuhschachtel ist, gehört sie sicher den Mädels“, versuchte Kiba einen Scherz zu machen.

Ino hob die Schachtel kurzerhand auf und öffnete sie. Darin befand sich nur ein bedrucktes Blatt Papier. Stirnrunzelnd überflog sie es, dann verzog sie den Mund. „Frechheit.“ Energisch zerknüllte sie den Zettel und warf ihn über die Schulter, wo ihn Sakura auffing und neugierig wieder entfaltete.

Wir werden euch töten. Alle. Fragt nicht, warum. Fragt nicht, wer wir sind. Gebt einfach Ruhe und sterbt friedlich“, las sie vor.

Für einen Moment war es totenstill im Flur. Dann erwachten die ersten Reaktionen.

„Was zum Teufel soll das sein?“, knurrte Kiba. „Das ist nicht witzig, Ino.“

„Glaubst du, ich finde das witzig?“, fuhr sie ihn an. „Ich sehe den Zettel auch zum ersten Mal!“

„Das ist doch dein Haus, oder? Von wem sollte er sonst sein?“

„Der Flur war leer, als wir das Gepäck hier abgeladen haben“, überlegte Neji.

„Das … Ich …“ Hinata tippte nervös ihre Fingerspitzen aneinander und wollte offenbar etwas sagen, aber die anderen übergingen sie sofort.

„Willst du damit sagen, dass die Schachtel bei unserem Gepäck dabei war?“, fragte Sasuke. „Ich dachte, sie gehört niemandem?“

„Irgendwer will uns hier verarschen“, murmelte Naruto.

„Hö-Hört mal, ich …“

„Nun macht euch nicht ins Hemd wegen so einer Nachricht. Ist bestimmt bloß ‘n Scherz“, sagte Tenten.

„Ich mach mir nicht ins Hemd!“, empörte sich Kiba sofort. „Ich würde nur gern wissen, wer dahintersteckt.“

„Leute, ich …“

„Psst“, machte Sakura. „Hinata will was sagen.“

Das schüchterne Mädchen lief hochrot an, als es die Blicke aller auf sich spürte. „Ich habe … Ich habe das Päckchen hereingebracht.“ Sakura runzelte die Stirn. Hinata war zu so etwas fähig? Auch die anderen waren zu verblüfft, um zu antworten. „A-aber der Zettel ist nicht von mir!“, fuhr sie fort. „Die Schachtel war im Kofferraum, also dachte ich …“

Sakura nickte. Also hatte sie das ominöse Päckchen einfach ins Haus getragen, so wie sie sich alle wahllos Gepäckstücke gegriffen hatten. „Das heißt, es war im Wagen. Seid ihr sicher, dass nicht einer von euch das geschrieben hat, um die anderen zu erschrecken?“, fragte sie eine Spur zu tadelnd und löste damit Empörungsstürme bei Naruto, Ino, Tenten und Kiba und schweigende Verneinung bei Neji, Hinata und Sasuke aus.

„Was soll’s, ist doch nur ein olles Stück Papier“, meinte Naruto schließlich. „Werfen wir es weg, und gut.“

„Aber merkwürdig ist es schon.“ Neji kratzte sich am Kinn. „Es muss doch jemand in unseren Kofferraum getan haben. Aber warum?“

„Ich würde sagen, es liegt auf der Hand“, meinte Kiba großspurig. „Neji gehört der Wagen. Gib’s zu, du hast es schon vorher hineingelegt.“

„Was – nein! Warum sollte ich das tun?“

„Vielleicht wolltest du mal witzig sein? Gratulation, ist dir nicht gelungen.“

„Wir hätten alle das Päckchen reinschmuggeln können“, verteidigte Tenten ihn. „Wir haben schließlich alle nacheinander den Kofferraum befüllt. Keiner hat darauf geachtet, was die anderen hinein schlichten.“

„Die Tankstelle!“, fiel Naruto ein. „Vielleicht hat irgendein Spaßvogel die Schachtel in den Kofferraum gelegt, als wir gerade nicht aufgepasst haben.“

„Meinst du nicht, das hätten wir bemerkt?“, meinte Ino zweifelnd.

„Ich glaube auch. Es war außerdem immer jemand beim Wagen.“ Als Naruto mit Tanken beschäftigt gewesen war, hatten sich die anderen die Beine vertreten, waren schnell auf die Toilette verschwunden oder hatten im Shop etwas gekauft. Irgendjemand hatte aber immer den Kleinbus im Blick gehabt. In dem Fall war es wirklich jemand von uns … Sakura zermarterte sich das Hirn, aber sie konnte sich nicht erinnern, wer allein beim Wagen gewesen war.

Allein … Plötzlich schoss es ihr durch den Kopf. Von wegen allein! Die Schreiber der Nachricht sprachen von sich im Plural. Gab es also mehrere Verantwortliche?

„Ich finde trotzdem, derjenige, der das Päckchen als Erstes gesehen hat, ist am ehesten verdächtig“, befand Sasuke mit verschränkten Armen.

„Ich hab es einfach nur so am Boden liegen sehen, verdammt nochmal!“, zischte Ino.

„Wartet mal, wir sind hier ja nicht vor Gericht“, beschwichtigte Naruto seine Freunde. „Ist es denn nicht egal, von wem die Nachricht ist? Derjenige hat sich einfach einen Scherz erlaubt und schämt sich jetzt, es zuzugeben. Rätsel gelöst.“

„Und warum wiegelst du die Sache so schnell ab?“, fragte Kiba mit schmalen Augen.

„Warum reitest du denn so drauf rum?“, erwiderte Naruto.

„Weil ich keine Lust habe, mir von irgendjemandem drohen zu lassen, dass er mich ermorden will, verdammt!“

In der Hinsicht hatte er recht, fand Sakura. Was da in zwei nüchternen, computergeschriebenen Zeilen stand, war ein wenig verstörend. Selbst als Scherz ging das zu weit.

Ino atmete tief durch und klatschte in die Hände, als wäre sie die Lehrerin, die ihre Klasse Halbwüchsiger zur Ordnung rief. „Okay, einigen wir uns darauf, dass wir das alle nicht lustig finden. Wir lassen den Zettel hier liegen.“ Sie drapierte ihn auf einem kleinen Beistelltisch vor der Treppe, auf dem eine leere Blumenvase stand. „Wer immer es war, er hat bis morgen Zeit, eine Entschuldigung draufzukritzeln. Nein, sagen wir, er malt einfach ein Kreuz auf den Zettel.“ Sie hob für alle sichtbar einen Kugelschreiber und legte ihn auf den Zettel. „Das ist gleichbedeutend mit einer Entschuldigung. Niemand wird bloßgestellt, und alles ist geritzt. Einwände?“

Wenig begeistert wurde die Idee angenommen. Sakura wurde dennoch ein gewisses Gefühl des Unwohlseins nicht los.

 

Da vor allem Naruto und Sakura wiederholt gähnten, kochte Ino Wasser auf dem Ofen und machte ihnen Löskaffee. Die anderen sahen sich im Haus und im Tal um und kühlten die Getränke ein. Als Sakura ihnen nach draußen folgte, war es Nachmittag. Die Luft war frisch, es wehte eine angenehme Brise, aber wo die Sonne ungehindert den Hang beschien, wurde einem rasch warm.

Die Tür zum Schuppen stand offen, und Sasuke, Kiba und Neji schleppten soeben einfache Liegestühle ins Freie. Vor dem Bergsee breitete Tenten eine Picknickdecke aus, auf der Snacks, Bier, Eistee und Orangensaft zur freien Entnahme bereitstanden. Offenbar hatten die anderen beschlossen, eine Weile die Sonne zu genießen. Sakura nahm eine der Liegen in Beschlag und zog sich ihr verschwitztes Top über den Kopf. Sie trug bereits ihren Bikini; Ino hatte ihr schon vor der Abreise mitgeteilt, dass es heiß werden würde. Besser, sie holte noch ihren Sonnenhut aus ihrem Zimmer.

Eilig lief sie zurück ins Ferienhaus. Ino hörte sie in der Küche kramen, und als sie in das Schlafzimmer gehen wollte, vernahm sie noch etwas: Aus dem oberen Stockwerk, wo die Tür offen stand, drang gedämpftes Kichern. War das Hinata? Sakura hatte sie draußen nicht gesehen. Die Stimme, die danach erklang, war eindeutig Narutos. Was er wohl da oben zu suchen hatte? Vermutlich half er ihr einfach beim Auspacken, aber allein Hinatas regelmäßiges Kichern machte klar, dass die beiden einen Moment allein genossen. Ein Grinsen schlich sich auf Sakuras Lippen, als sie in ihr Zimmer huschte und sich schnell ihren Strandhut schnappte.

Genießerisch streckte sie sich auf der Liege aus, eine breite Sonnenbrille vor dem Gesicht und den Hut auf dem Kopf. Auch Ino und Naruto kamen in ihren Badeklamotten, etwas später Hinata in einem zünftigen Badeanzug, und da es ihm zu heiß wurde, ging Neji sich ebenfalls umziehen. Als die Sonne ungehindert seine recht blasse Haut attackierte, riet Tenten lachend, er solle sich besser mit Sonnencreme einschmieren. „Wenn du willst, übernehm ich das für dich“, meinte sie neckisch.

Schließlich erklärte Ino den Männern, wo der Sonnenschirm zu finden war, und mit vereinten Kräften keilten Naruto und Sasuke ihn so zwischen zwei Felsen ein, dass der Wind ihn nicht umwarf. Heiter unterhielt sich die Gruppe oder spielte Kartenspiele, und nichts war geblieben von dem Argwohn, den der mysteriöse Brief ausgelöst hatte.

Sakura döste vor sich hin und betrachtete ab und zu den prächtigen Ausblick ins Tal, dann wieder hörte sie den anderen zu. „Traut sich jemand, in den See zu springen?“, fragte Ino herausfordernd. „Ein See zum Abkühlen gehört zum Sonnenbaden doch dazu.“

„Klar!“, machten Naruto und Kiba unisono.

Sie gingen an den Rand des Sees, der gleich vor ihren Füßen einen halben Meter tief war. An der tiefsten Stelle maß er drei Meter kristallklaren Wassers. Sakura hatte noch nie einen so sauberen See gesehen.

Naruto machte als Erstes einen gewagten Satz hinein – und erstarrte zu einem stocksteifen Brett, die Muskeln zu sehr angespannt, als dass er auch nur einen Schrei hätte ausstoßen können. Die Partie auf den Liegen lachte herzlich.

„Sei nicht so eine Memme“, sagte Kiba und folgte ihm. Er brachte wenigstens einen zittrigen Schrei zustande. „Sch-Scheiße, ist das kalt!“

„Hey! Mach hier keine Wellen!“, schrie Naruto mit viel zu hoher Stimme, dem die kalten Wasserverwirbelungen gegen den Bauch schwappten.

Ino lachte. „Da drin sammelt sich Schmelzwasser von den Bergen. Im besten Fall ist er fünfzehn Grad warm.“

„Okay. Wer zuerst ganz drin ist, hat gewonnen“, knurrte Kiba mit zusammengebissenen Zähnen, machte aber keine Anstalten, sich vom Fleck zu bewegen.

„Wer ist jetzt die Memme?“ Tenten, die einen Khaki-gemusterten Bikini trug, sprang auf, rannte am Rand des Sees entlang und köpfelte an einer besonders tiefen Stelle ins Wasser. Allen Versammelten blieb der Mund offen stehen. „Sagt mal, macht sie neuerdings Tauchkurse in Sibirien?“, stieß Kiba hervor.

Man sah Tenten ein Stück weit tauchen, ehe sie nach wenigen Sekunden wieder die Wasseroberfläche durchbrach. „Wie sieht’s aus? Wollt ihr eine kalte Dusche?“ Sie machte Anstalten, Naruto und Kiba nasszuspritzen, die sich mit schrillen Schreien duckten, immer noch nicht bereit, auch nur einen Zentimeter eroberten Boden aufzugeben.

Schließlich stand auch Sasuke auf, klappte seine Sonnenbrille zusammen und watete seelenruhig in den See. Ohne einen Ton von sich zu geben, trotzte er dem eisigen Wasser, bis es ihm zum Hals reichte. Vor allem Naruto sah aus, als würde er ihm am liebsten den Hals umdrehen.

„Wenn ihr Angeber fertig seid, kommt wieder raus“, rief Ino ihnen zu. „Ich will nicht, dass sich jemand erkältet.“

Während die vier sich abtrockneten, tauchte Sakura ihren Fuß ins Wasser. Es war wirklich so kalt, dass es schmerzte. Hinterher kribbelte ihre Haut. Fröstelnd dachte sie daran, dass sie das Sonnenbaden getrost auch ohne Abkühlung durchstehen würde.

 

Als die Sonne über dem Tal unterging, war es ein herrlicher Anblick. Die Berge glühten golden, der Himmel war rötlich-orange und die wenigen Wolken waren wie Feuerkränze. Sakura wurde ein wenig neidisch, als sie daran dachte, dass Inos Familie dieses farbenfrohe Panorama regelmäßig genießen durften.

Am Abend wurde es allerdings auch relativ schnell kalt, und die Freunde beeilten sich, ihre Sachen zusammenzusammeln. Das meiste kam wieder in den Schuppen, den Sakura nun erstmals auch von innen sah: Außer den Liegestühlen befanden sich allerlei Gerätschaften und Werkzeug darin, Benzinkanister, Autoreifen, Bretter und Metallstangen, sogar eine Werkbank.

Zurück im Ferienhaus verkündete Ino, sich um das Essen kümmern zu wollen. Die anderen legten die Reihenfolge fürs Duschen fest. Es gab kein fließendes Wasser in dem Häuschen, daher war die Dusche eine gewagte Bastelarbeit: Aus einem großen Kanister lief Wasser durch eine Art Sieb, das eine Brause simulieren sollte, und unter dem Gitter, das den Boden des Badezimmers darstellte, wurde es nach draußen geleitet. Entsprechend kalt war es auch, darum war Sakura frisch und munter, als sie als Letzte damit fertig war und sich die Haare trockenrubbelte.

Zum Abendessen gab es ein einfaches Reisgericht. Die Stimmung am Tisch war hervorragend: Selbst die notorischsten Streithähne unter ihnen hatten Besseres zu tun, als sich gegenseitig anzugiften. In bequemer Kleidung saßen sie da, wärmten alte Zeiten auf, erzählten von ihren jüngsten Erlebnissen und hatten großen Spaß dabei. Sakura schielte oft zu Sasuke hinüber. Er lachte nicht so ausgelassen wie die anderen, aber auch er wirkte zufrieden.

Schließlich wurden zur Feier des Tages zwei weitere Sektflaschen geköpft, danach wurde Tentens Pokerkoffer geöffnet. Naruto hatte besonders Glück und erbeutete gleich bei der ersten Partie einen ganzen Haufen Chips. Zufrieden zog er sie an sein Ende des Tisches. „So muss sich ein Pirat fühlen, wenn er auf einer einsamen Insel einen Schatz findet.“

„Pirat trifft’s ganz gut“, brummte Ino sarkastisch.

Naruto grinste. „Wäre doch cool gewesen, oder? In der Piratenzeit zu leben. Über die sieben Weltmeere zu segeln, ohne Sorgen, auf Schatzsuche zu gehen …“

„Ja, ja. Mach schon, du bist der Dealer.“

Kiba übernahm die Rolle des Barmanns und mixte den anderen Drinks aus seinem mitgebrachten Alkoholvorrat, was die Stimmung nach und nach weiter anhob. Die meisten hielten sich, was das Trinken anging, eher zurück, aber Kiba, Naruto und Tenten fiel es bald schwer, sich zu artikulieren. Als Naruto Sasuke zu einem Wetttrinken herausforderte, wollte dieser ebenfalls nicht kneifen, und während Sakura nur den Kopf schütteln konnte, leerten sie Glas um Glas. Trotzdem, die Atmosphäre war heiter und angenehm. Acht Freunde, die zum ersten Mal seit langem wieder etwas gemeinsam unternahmen. Und jeder von ihnen schien auf seine Weise Spaß zu haben.

Da sie von allen am müdesten war, war Sakura die Erste, die den anderen eine gute Nacht wünschte und sich ins Schlafzimmer verzog. Die anderen waren trotz ihres angeheiterten Zustands rücksichtsvoll genug, die Musik, die aus Narutos Handy trällerte, leiser zu drehen. Das Schlafzimmer lag jedoch gleich hinter der Küche, und Sakura hörte sie noch lange lachen und feiern, ehe sie in den Schlaf dämmerte.

 
 

- In den Bergen, erste Nacht -
 

„Die erste Nacht bricht an. Das ganze Dorf schläft ein. Und die Werwölfe erwachen. Sie wetzen die Klauen, lassen ihre Zähne im fahlen Mondlicht blitzen. Wer wird ihr Opfer sein? Sie wählen es aus, sie zeigen es mir. Dieses hier?

Sie haben ihr Opfer gewählt. Die Werwölfe laufen auf leisen Sohlen näher, blutrünstig hechelnd, und stürzen sich auf den armen Dorfbewohner, der nicht weiß, wie ihm geschieht, zerfleischen und reißen … Und die Werwölfe schlafen wieder ein.

Ich werde nun die Charaktere mit den besonderen Fähigkeiten aufrufen, also gebt acht, dass ihr nicht verschlaft.“

 
 

- In den Bergen, erster Tag -

 

„Der erste Tag bricht an, das Dorf erwacht langsam aus seinem Schlummer …“
 

Sakura streckte sich gähnend. Die Sonnenstrahlen, die sie durch das Fenster kitzelten, hatten sie geweckt, also musste sie lange geschlafen haben; laut Ino dauerte es bis zum späten Vormittag, ehe die Sonne im Osten über die Bergspitzen blinzelte.

Die andere Hälfte des Doppelbetts war zerwühlt, aber leer. Ino musste bereits aufgestanden sein. Sakura schwang die Beine aus dem Bett und atmete tief den Holzduft ein, der im Raum hing. Wie es wohl den anderen ging? Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie gestern noch gefeiert hatten. Jetzt, da sie endlich ausgeschlafen war, nahm sie sich vor, heute Abend auch dabei zu sein – wenn die anderen willens waren, ihre kleine Küchenparty zu wiederholen.

Auf dem Weg ins Badezimmer kam ihr etwas seltsam vor, aber sie kam nicht drauf, was. In der kleinen Kammer stand ein Eimer mit Wasser bereit, mit dem sie sich gründlich das Gesicht wusch, dann schöpfte sie etwas davon in ihren Becher und machte sich ans Zähneputzen, um einen frischen Atem zu bekommen.

„Morgen“, nuschelte Hinata, die im Pyjama ins Bad kam.

„Morgen“, antwortete Sakura gut gelaunt. „Bin gleich fertig.“

„Lass dir Zeit.“

„Weißt du, wie lange die Jungs gestern noch durchgehalten haben?“, fragte Sakura und wusch die Zahnbürste aus.

„Keine Ahnung. Tenten ist überhaupt nicht zu mir hochgekommen. Ich war die ganze Nacht allein.“

„Wirklich?“ Sakura runzelte die Stirn.

Als sie sich auf den Weg in die Küche machte, wurde ihr klar, was sie am Flur störte: Er war zu leer. Der lange, grüne Teppich, der ihn fast zur Gänze ausgefüllt hatte, war verschwunden. Hatten die anderen beschlossen, einen spätnächtlichen Alko-Streich zu spielen?

Ino war in der Küche mit Frühstück beschäftigt – offenbar hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Gäste regelmäßig zu bekochen. Sogar eine altmodische Schürze hatte sie sich umgebunden, das blonde Haar vorerst einfach hochgesteckt. „Guten Morgen!“, begrüßte sie Sakura und verrührte gerade Reis mit irgendetwas Zähflüssigem in einer Pfanne.

„Morgen“, murmelte Sakura.

Tenten saß schon am Esstisch. Sie sah gar nicht gut aus: Die Augen dunkel gerändert, die Haut käseweiß, eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffee in den Händen. Sie nickte Sakura nur kurz zu.

„Dein Teppich ist weg“, sagte Sakura.

„Ich weiß.“ Ino rührte energischer um. „Wenn ich den erwische, der mir da draufgekotzt hat, der kann was erleben!“

„Draufgekotzt?“

„Warum sollten sie sonst den Teppich verstecken? Oder sind die Jungs neuerdings unter die Zauberkünstler gegangen? Die Vase haben sie mir auch zerdeppert.“

Es wäre tatsächlich eine logische Erklärung, dass jemand etwas unerfreuliche Nachwirkungen der Party gestern damit kaschieren wollte, indem er das davon betroffene Objekt einfach entfernte. Für Ino schien es sonnenklar zu sein, dass es einer der Jungs gewesen war. Sakura ließ das Thema einfach auf sich beruhen. „Kann ich dir irgendwie zur Hand gehen?“, fragte sie.

„Du kannst die Milch holen gehen. Es werden wohl so einige einen starken Schuss Kaffee brauchen“, meinte Ino mit einem abfälligen Blick in Richtung Tenten, den diese mit einem gequälten Lächeln quittierte. „Und nimm ruhig auch noch Orangensaft mit. Und Eier, die sind in der weißen Box. Dann mach ich noch Pfannkuchen.“

„Wird gemacht.“ Also durfte sie einen Morgenspaziergang zum Bergsee machen, wo verderbliche Speisen und Getränke eingekühlt waren. Keine schlechte Art, den Tag zu beginnen.

Als sie die Eingangstür ansteuerte, fielen ihr auch die Scherben auf, die nahe der Wand am nunmehr nackten Fußboden verteilt waren. Die Vase, die auf dem Tischchen vor der Treppe gethront hatte, war nirgends zu sehen. Da war gestern wohl jemand ziemlich betrunken. Sie tippte unbewusst auf Kiba, der das Gästezimmer gleich daneben bezogen hatte, wollte aber eigentlich keinen anschuldigen. Da fiel ihr Blick auf den Zettel mit der Drohung, den sie gestern gefunden hatten und der immer noch auf dem Tischchen lag.

Ino hatte für alle hörbar gesagt, der Verfasser der Nachricht solle ein Kreuz auf das Papier malen, um sich bei den anderen zu entschuldigen. Und es war tatsächlich etwas unter den Text gezeichnet worden.

Aber es war kein Kreuz. Es war ein freches Smiley, das die Zunge herausstreckte.

Sakura wusste nicht, warum, aber dieser neuerliche Scherz ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Mit schnellen Schritten war sie bei der Haustür und dann im Freien.

Die Luft war hier immer wieder traumhaft. Frisch und die Lebensgeister weckend, und die Sonne verhinderte trotzdem, dass einem kalt wurde. Das unbehagliche Gefühl fiel so schnell von ihr ab, dass sie gar nicht mehr sagen konnte, warum sie sich eigentlich Sorgen gemacht hatte. Beschwingt lief sie über die noch taufeuchten Wiesen zum Bergsee hinunter, zu der Stelle, wo einige Felsen im Wasser den behelfsmäßigen Kühlschrank formten.

Ino war wohl noch nicht draußen gewesen, sonst hätte sie gesehen, wo sich ihr Teppich befand: Er trieb sanft, eingerollt, im kristallklaren Wasser. Offenbar war er zu dünn und leicht, um zu sinken. Sakura schnaubte belustigt, während sie sich nach der Milch bückte. Ein wirklich gutes Versteck, Jungs.

Der See lag völlig ruhig da, und Sakura konnte keine sichtbare Strömung erkennen. Der frische Wind ließ den Teppich dennoch nahe am Ufer dahingleiten. Sakura überlegte, ihn herauszufischen, aber falls Ino recht hatte, war er vermutlich in keinem besonders appetitlichen Zustand. Da stutzte sie. Ragte da nicht etwas unter dem Rand der Rolle hervor? Neugierig trat sie näher und tippte den Teppich mit dem Fuß an, damit die Rolle sich herumdrehte und sie besser sehen konnte.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und sie schlug die Hand vor den Mund. Die Milchflasche, die sie noch in der Hand hielt, entglitt ihr und zerbrach; Milch und Scherben prasselten gegen ihre Beine, doch sie spürte es kaum.

Eingewickelt in mehrere Schichten Teppich, blickte ihr eine Gestalt aus weit aufgerissenen, leblosen Augen entgegen. Der Mund war leicht geöffnet, die Lippen blau, die Haut so weiß wie die Milch, die sie verschüttet hatte.

Dann erst erkannte sie das Gesicht. Sakura stieß einen schrillen Schrei aus.

 

„Und es gibt ein Opfer. Es ist … Neji.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich begrüße euch recht herzlich zu meiner neuen FF The Wolves among us! Ich weiß (hoffe^^), dass der Start einige Fragen aufwirft, aber ich kann und will an dieser Stelle noch nichts Näheres dazu sagen ;) Nur: Ich hoffe, es hat euch bisher gefallen. Das nächste Kapitel wird in etwa 10-14 Tagen kommen; so in etwa soll der Upload-Rhythmus aussehen. Falls jemand von euch gern benachrichtigt werden will, wenn ein neues Kapitel online kommt, meldet euch einfach bei mir :)
Bis dann!
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Kommentare zu diesem Kapitel (16)
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Von:  Cosmoschoco1209
2019-02-28T18:57:59+00:00 28.02.2019 19:57
Woah! Zu geil, das erste Kapitel holt mich sowas von ab. Beim dem ominösen Zettel muss ich gestehen, hat es mir schon einen Schauer über den Rücken gejagt und auch als Sakura aufwachte und die Veränderungen bemerkt hat, hat kurz mein Herz ausgesetzt, da man ja nie weiß was kommt... Aber ich habe dann doch mich mitreißen lassen. Mal schauen wie es weitergeht.
Von:  Tenten04
2017-05-17T19:46:04+00:00 17.05.2017 21:46
NEIIIIIIIIIIIIIN!!:'( Warum zum Fick ausgerechnet Neji?!?! Mein Schatz!( ja, ich übertreibe mit meiner Animeliebe. Problem?!) Soll doch Naruto verreckenU_U
. herzgebrochene Grüße von:
Tenten04
Antwort von:  UrrSharrador
20.05.2017 10:27
Danke für deinen Kommi^^ Keine Sorge, er bleibt nicht lange tot ;)
Von:  ruru219
2017-02-20T21:34:44+00:00 20.02.2017 22:34
Wir spielen das Spiel immer in der schule.
Und immer bin ich ein Werwolf und wurde von armor verkuppelt.
Deine geschichte macht mir also großen Spaß sie zu lesen!
Antwort von:  UrrSharrador
21.02.2017 18:32
Danke für deinen Kommi; freut mich :)
Von:  Blue_StormShad0w
2016-08-01T19:26:27+00:00 01.08.2016 21:26
Guten Abend, wünsche ich.
So, hab mich endlich mal dazu bewegt, diese Geschichte zu lesen.
Echt super der Text. Konnte man sich wirklich gut vorstellen. Naja, kenne deine Geschichte noch über Naruto, wo er in diese Stadt ging, wo die Mafia und Dämonen wüteten.
So, zum Inhalt fande ich es lustig, wie Naruto und Sasuke sich während der Autofahrt gezankt hatten. (^-^)
Der Brief, den die Gruppe fand, mit der unheilvollem Nachricht, fand ich schon, als ich die Zeile das erste mal lass, recht beängstigent. Und der Fund von Nejis Leichnam …
So fängt jede Grusel- und Thrillergeschichte an, wo eine Gruppe von Jugendlichen irgendwo in einer einsamen Gegend hin fährt und plötzlich etwas rätselhaft-unheimliches passiert, wie dieser Brief eben.
Auch diese seltsamen Textstellen stellen einige Fragen auf.
Ich denke, es wird eine sehr spannende Geschichte.
So, hier mache ich für heute Schluss.
Mal sehen, sehen wann ich hier weiter mache.
Bis dahin, ciao erst mal!
Antwort von:  UrrSharrador
11.08.2016 18:17
Hi, danke für deine Kommis! Und sorry, dass ich so lange zum Zurückschreiben brauche, habe im Moment viel um die Ohren, was meine ganze Aufmerksamkeit braucht ... Freut mich jedenfalls, dass es dir gefallen hat!
Ja, ich wollte unbedingt mal so etwas im Teenie-Horror-Setting schreiben :)
Die rätselhaften Textstellen sollten sich bald aufgeklärt haben ;)
lg
Von:  Yuiki
2016-07-13T00:52:32+00:00 13.07.2016 02:52
Uuh, ich erinnere mich dass wir sowas in der Art in der Ferienfreizeit immer gespielt haben! Ich kenns aber auch nur so basic, die 20 extra Rollen oder whatever verwirren mich bisher xD

Hach ja, bin immer ganz happy gut Geschriebenes im Internet zu finden :D So ein schöner bildlicher Stil der ganz wunderbar die Stimmung einfängt und die Umgebung vor meinem inneren Auge entstehen lässt ^-^

Ich hab aber auch ein ganz starkes Until Dawn-Gefühl beim Lesen xD
Nicht negativ oder so, eine Prise Teeniehorror ist lecker :)

Zuletzt noch: ich konnte mir das Lachen bei der Leiche nicht verkneifen (sorry xD) weil mir einfach durch den Kopf ging: "How convenient, der ists ja gewohnt zu sterben..:3
Von:  Hopey
2016-06-14T08:36:00+00:00 14.06.2016 10:36
Hey :D
bin durch zufall darauf gestoßen :D
und keine Ahnung, der Titel hörte sich interessant an und dann lass ich halt die dass du durch ein Spiel inspiriert wurdest, wurde ich neugierig wie du das umsetzen wollen würdest :D
(Ich hab zwar von dem Spiel gehört, aber noch nie wirklich gespielt und etc.)

Und dann beschloss ich es mal zu lesen :D (wie man sieht erst am Anfang xD)
Aber das tolle war: du gabst mir hiermit wieder die Inspiration zum schreiben :D die Muse ist back ;D

Das mit Neji ist ziemlich... wow :o
überraschend,
ich hätte das nicht geahnt gehabt.
Aber mich interessiert es, wer das "Spiel kommentiert" ???
Natürlich bin ich gespannt, wer auch damit der/ die Mörder ist/sind

Bin schon aufs nächste gespannt :D
(mal sehen ob es heute noch gelesen wird xD)

Liebe Grüße,
Hopey
Von:  AmayaInuzuka
2016-03-10T17:50:10+00:00 10.03.2016 18:50
Woah Wahnsinns Beginn, erst in Sicherheit wiegen, die Situation entspannt und lustig wirken lassen und dann boooom
Nejis Tod ist echt extrem schockierend und ich bin schon wahnsinnig gespannt wie sich das Ganze so entwickelt. Du hast einen tollen Schreistil u kannst Spannung genial aufbauen!
Das witzige ist eine Freundin hat ein ähnliches Ferienhaus u die erste Beschreibung der Umgebung u so erinnert mich stark an die Cliquen-Urlaube die wir dort erlebt haben und die ähnlich begannen, nur ohne das Ende natürlich ;)
Magst du mich bitte informieren wenns weitergeht?
Antwort von:  UrrSharrador
12.03.2016 15:34
Hi, danke für deinen Kommentar :D
Wow, dann hast du ja gleich einen anderen Zugang zu der FF^^
Klar, mach ich gerne. Das Kapitel kommt in Kürze.
lg
Von:  bamelinchen
2016-02-28T20:27:44+00:00 28.02.2016 21:27
Wow, dieses erste Kapitel War der Hammer! Besonders nachdem ich deine Inspirationsliste gesehen habe, War ich unheimlich gespannt darauf wie du das alles umgesetzt hast. Ach die Idee mit den Spiel finde ich besonders gut zumal ich das selbst noch aus Schulzeiten kenne und immer unheimlich gerne gespielthhabe. Mal sehen wie du wem welche Rolle zuteilen wirst. Bin auf jeden Fall gespannt wie es weiter geht. :)
Antwort von:  UrrSharrador
06.03.2016 18:52
Danke für deinen Kommentar! Freut mich, dass es dir so weit gefällt :) Das nächste Kapitel kommt dann in ein paar Tagen^^
lg
Von: Swanlady
2016-02-28T15:15:00+00:00 28.02.2016 16:15
Danke für deine ENS. Ich habe mich sehr gefreut, dass es etwas Neues von dir zu lesen gibt. :) Erst einmal: der Trailer ist toll!
Als ich mir deine Inspirationsliste angesehen habe, war ich sofort aufgeregt, da ich das Gesellschaftsspiel zu Schulzeiten unheimlich geliebt habe. *-* So etwas als Naruto-FF aufzubauen, das ist eine großartige Idee!
Ich fand es unheimlich amüsant, wie du mit den üblichen Teenager-Horror-Klischees gespielt hast. :D' Kiba, der für die Party sorgt, Sakura als das nette Mädchen von nebenan, Sasuke, der geheimnisvolle Freund, der für 3 Jahre spurlos verschwunden ist... Ich bin mir absolut sicher, dass vor allem Letzteres nicht nur eine Anspiel auf das Original ist, sondern auch später noch einmal eine Rolle spielen wird. :>
Genauso wie das Gewehr. Oh ja, das wird definitiv noch eine Rolle spielen . . .
Ich weiß nicht, ob du den Film kennst, aber ich hatte hier wirklich "Cabin in the Woods" Flashbacks. Der Minivan, eine Gruppe Jugendlicher, eine Tankstelle, ein Ferienhaus, in dem es keinen Strom gibt (wieso wundert mich das nicht?) - ich hatte die ganze Zeit Szenen aus dem Film vor Augen. Herrlich. :D
Es ist zwar schade, dass es Neji erwischt hat, aber irgendeiner musste dran glauben. Da werden sicher noch ein paar folgen. Ich bin schon gespannt, wem du welche Rolle zuteilst. Das Setting ist klasse, ich freue mich auf mehr!

Passend zum Abschluss, weil ich die Stelle so mochte: ":P"
Antwort von:  UrrSharrador
06.03.2016 18:51
Hey, danke dir für deinen Kommi :) Freut mich, dass dir das Kapitel gefällt, und das Video :D Und juhu, du kennst das Spiel auch XD Das kennen wohl echt viele. Den Film kenne ich nicht, aber dann hatte das Kapitel wohl doch eine gewisse Wirkung^^
lg
Von:  EL-CK
2016-02-27T12:38:22+00:00 27.02.2016 13:38
Das ist doch mal ein interessantes Kapitel und ein toller Start. ..
Die Idee das (bekannte) Gruppenspiel und eine Naruto-Krimi-FF zu verbinden finde ich echt genial. ..
Wobei ich mich auch schon frage wie viele Spieler es tatsächlich gibt - ich denke nämlich iwie nicht dass es tatsächlich nur die 8 bis jetzt bekannten sind... Aber mal abwarten ;)
Antwort von:  UrrSharrador
28.02.2016 13:23
Danke für deinen Kommi^^
Es musste einfach sein, nachdem ich so ein großer Fan von dem Spiel geworden bin XD
Hm, ein interessanter Gedanke ... Ich sag mal vorerst nichts dazu ;)
Antwort von:  EL-CK
28.02.2016 20:35
ich bin auch ein RIESEN Fan von dem Spiel - hab mir sogar die "Special-Editon" >>Der Pakt<< gekauft XD


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