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~ Love at third sight ~

Mit dem Herz gegen alle Regeln
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Vorgeschichte zu "Love at third sight"
https://www.animexx.de/fanfiction/372915/?js_back=1
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67. Day 2.3 – His true feelings…

Sie konnte gar nicht aufhören zu husten, ihre Atemwege brannten fürchterlich!

Rau und scheuernd füllte die Meerluft ihre Lunge, die so sehr nach Sauerstoff gierte, dass sie auf den Schmerz keine Rücksicht nahm. Immer wieder würgte Momoko verschlucktes Salzwasser hoch und das Brennen begann von neuem. Aber sie war nicht ertrunken! Die endlos langen Sekunden und Minuten, in denen sie unter Wasser gewesen und mit dem Leben beinah abgeschlossen hatte, waren ausgestanden.

Yosuke hatte sie gerettet.

Sie warf einen vorsichtigen Blick zwischen zwei Hustenanfällen zu ihm hinüber; er sah blass und versteinert aus. Abgekämpft und irgendwie fertig… so, als stünde er nervlich völlig neben sich. Seine Augen schweiften in ihre Richtung ab, sodass sie ihren Blick schnell wieder abwendete. Takuro redete mit ihm. Wahrscheinlich bedankte er sich für ihre Rettung, aber im Augenblick fiel ihr neben Atmen auch das Nachdenken schwer. Ihr Körper konzentrierte sich vorerst auf das Wesentliche. Einatmen – Ausatmen - nicht zu viel an Yosuke denken.
 

~*~
 

Momokos Beine waren immer noch schwer wie Blei, als sie von Board gingen. Wie Wackelpudding gaben sie bei jedem Schritt nach, sodass sie gezwungen war, sich mit zitternden Händen an ihren Verlobten zu klammern, der ihr überfürsorglich keinen Zentimeter von der Seite wich. Gott, ihr war so kalt! Die Sonne prallte auf den Strand, aber die Wärme durchdrang ihre Haut nicht. Und Hunger plagte sie, obwohl ihre gereizte Kehle allein bei dem Gedanken daran, etwas zu schlucken, aufbegehrte.

Ihre Freundinnen redeten immer wieder beruhigend auf sie ein, aber viel mehr als ein schwaches Nicken oder Kopfschütteln war ihr nicht möglich. Auf ihren Ohren spürte sie immer noch den enormen Wasserdruck. Es war wie ein Phantomschmerz, der sich nicht abschütteln ließ. Die Worte um sie herum waren kaum viel mehr als ein dumpfes Dröhnen hinter Meeresrauschen.

„Wir fahren direkt in die nächste Klinik.“, hörte sie Takuro sagen.

„Sie sollte vorher wenigstens etwas überziehen.“, sagte Yuri voller mütterlicher Fürsorge.

„Ich hole schnell etwas aus ihrer Tasche.“, bot Hinagiku an und eilte trotz ihres Fußes fast so flink wie eine Gazelle über den sandigen Boden bis zur Minka.

Hiromi lamentierte auch irgendetwas Mitleidiges im bestürzten und bekümmerten Tonfall. Wenigstens besaß sie so viel Anstand und zeigte Anteilnahme, anstatt aus Momokos Unfall einen Vorteil für sich zu ziehen. Vielleicht versuchte sie ja wirklich, sich zu bessern.

Kazuya schob sich unter ihren freien Arm, um Takuro beim Stützen zu helfen. Sie versuchten gar nicht erst sie zur Minka zu bringen, sondern schleppten sie zu der nahe gelegenen Bank in dem ausladenden Vorgarten, die von hohem und dicht wachsendem Bambus umwuchert war.

„Ruh dich hier kurz aus bis Hinagiku mit etwas zum Anziehen für dich kommt.“

Wieder nickte die junge Frau nur matt.

»Fühlt es sich so an, unter Schock zu stehen?«, fragte sie sich selbst mit leerem Blick auf das Meer, das so schön anzusehen war und sie trotzdem beinahe das Leben gekostet hätte.

Sie rüffelte sich selbst für diesen Gedanken, denn es war nicht das Meer gewesen, sondern ihre eigene Dummheit! Warum war sie auch im Alleingang und ohne jemanden etwas zu sagen hinabgetaucht, nur um ihr albernes Schultertuch zu retten? Wenn Yosuke nicht gekommen wäre… ein eisiger Schauer lief Momoko den Rücken hinunter. Darüber wollte sie lieber nicht nachdenken! Zu klar war noch die Erinnerung daran, wie es sich angefühlt hatte, all dieses Wasser einzuatmen. Und wie es gewesen war, als die Dunkelheit ihren Rücken mit gespenstiger Eiseskälte hinauf gekrochen war, bis die Ohnmacht sie schließlich eingeholt hatte.

Niemals würde sie Yosukes Augen vergessen, die sich in glühender Verzweiflung in ihre gebohrt hatten, damit sie nur weiter kämpfte. Er hatte sich wie ein Löwe für sie eingesetzt. Ein warmes Gefühl hüllte ihr Herz ein; die erste wirklich spürbare Wärme, seit sie wieder auf dem Boot zu sich gekommen war.

In diesem einen Augenblick hatte sich ihr Geist kurz darauf eingelassen zu glauben, dass Yosuke nur deswegen für sie da war und so verbissen um ihr Leben kämpfte, weil er vielleicht auch etwas wie Liebe für sie empfand. Es war so leicht gewesen, dies zu glauben… Es spielte keine Rolle, ob es wahr war oder nicht - er war für Momoko in ihrem schlimmsten Augenblick da und das war alles, was für sie zählte. Wenn sie dort unten hätte sterben müssen, dann wenigstens mit dem Gefühl, von ihm geliebt worden zu sein.

Jetzt, wo ihr Verstand langsam wieder zurückkehrte, veränderte sich der Moment im Rückblick. Yosuke hätte dasselbe für jeden seiner Freunde getan, so wie sie auch. Daran war nichts Romantisches...

„Hier, zieh das einfach über.“

Momoko sah zu Hinagiku auf, die ihr das schlichte, hellgraue Baumwollkleid mit den vielen schwarzen Punkten darauf brachte, das sie selbst in ihrem Koffer mitgebracht hatte. Es war für einen schöneren Anlass gedacht gewesen, doch das spielte jetzt keine Rolle mehr.

Sie hob die Arme und ließ sich den leichten Stoff, der viele weiche Falten schlug, überstreifen. Das taillierte Kleid reichte Momoko bis knapp über die Knie, dort säumte ein schlichtes Rosenmuster aus Schwarz und Mittelblau den Rock. Ihre noch nassen Haare fielen über ihren nackten Rücken und die freien Schultern, denn Träger hatte das Kleid nicht, dafür aber einen kurzen Volant rundherum. Nur die Bikiniträger schnitten ihr in die feuerrote, von der Sonne endgültig verbrannte Haut.

„Ich habe auch deine Sandalen mitgebracht.“

Die Rosahaarige fühlte sich wie ein kleines Kind, als ihr auch noch die Schuhe von ihrer Freundin angezogen wurden.

Sie sah sich um und fing die Blicke der anderen auf, doch Yosuke fehlte. Momoko wusste, dass sie nicht nach ihm fragen durfte. Nicht jetzt, nicht vor Takuro und Hiromi. Sie alle kümmerten sich um sie – ihre ersten Worte nach diesem Zwischenfall durften nicht ausgerechnet die Frage nach seinem Verbleib formulieren.

Also krächzte sie stattdessen ein bemühtes Dankeschön und beließ es dabei.
 

Yosuke war sofort zur Minka gegangen, ohne seinen Freunden Bescheid zu geben. Zielstrebig hatte er das Badezimmer mit der Dusche darin aufgesucht und stellte sich nun in den brennend heißen Strom aus Süßwasser.

Er befreite sich von seiner Schwimmkleidung und rieb sich mit mehr Duschgel ein, als nötig. Überall verteilte er den Schaum und rieb sich kräftig die Haut, die unter der Hitze des herabprasselnden Wassers heftig kribbelte. Yosuke versuchte eifrig etwas abzuwaschen, das gar nicht an seiner Haut haftete, sondern an seiner Seele. Ein Gefühl, das sich in seinem Inneren unaufhörlich ausbreitete. Eine intensive, schmerzhafte Emotion, die so furchtbar und schön zugleich war, dass er keine Worte dafür fand, um sie zu benennen… diese Hilflosigkeit und Wut, gleichzeitig diese brennende Sehnsucht… Seine Brust schwoll an von diesem Gefühl, so als sei es in seinem Herzen gefangen gewesen und nun mit aller Macht herausgebrochen. Es machte ihm Angst, obwohl es sich nicht ausschließlich furchterregend anfühlte.

Da war auch ganz viel Wärme, die sich bis in seine Fingerspitzen erstreckte und dieses Herzflattern, das ihn an auffliegende Tauben erinnerte. Es war nicht wie das zarte, heitere Schlagen von Schmetterlingsflügeln. Es war viel mächtiger!

So sehr Yosuke es auch versuchte, er konnte Momoko nicht abschütteln. Er konnte nicht vergessen, was sie eben erlebt hatten und nicht verdrängen, was das mit ihm gemacht hatte. Es gab keine Fragen mehr, auf die er eine Antwort brauchte. Auf einmal war alles einfach klar und simpel; nichts vernebelte mehr seine Sinne.

Als hätte jemand ein Fenster in seinem Geist aufgestoßen.

»Du weißt es doch schon längst…«

„Verdammt!“, fluchte er und schlug mit den Handflächen gegen die Granitfliesen.

Das Wasser rann ihm über das gesenkte Gesicht.

Nie wieder würde er ihr unbefangen in die Augen schauen können – wie sollte es ihm da gelingen, sich vor den anderen zu verstellen?! Dort im Meer hatte es nichts mehr gegeben außer Momoko und seine Angst, sie zu verlieren. Endlich, endlich brach der Damm und seine ganze Anspannung fiel von ihm ab. Tränen mischten sich zu dem Duschwasser, das am Boden in einem Abfluss versickerte.

Es hatte nicht eine Sekunde gegeben, in der er an Hiromi und das Ungeborene gedacht hatte. Nicht einen Moment, in dem sein Leben eine größere Rolle gespielt hätte, als Momokos. Wenn das keine Liebe war, was dann?

Es klopfte an der Tür. Yosuke stellte das Wasser ab und schnappte sich ein Handtuch, welches er sich schnell um die Hüfte wickelte.

„Yosuke? Kann ich reinkommen?“

Erleichtert, dass es nur Kazuya war, der ihn in diesem emotionalen Moment störte, wischte er sich das Gesicht trocken und bat ihn herein.

„Alles in Ordnung? Hiromi und die anderen machen sich Sorgen, weil du einfach verschwunden bist.“

Sich darüber im Klaren, dass er sich merkwürdig verhalten hatte, blickte er an seinem Freund vorbei. Es fiel ihm schwer zu erklären, was mit ihm los gewesen war.

Sein Kamerad sah sich nach dem Flur hinter sich um und schloss dann die Tür zum Badezimmer zu.

„Stehst du unter Schock? Brauchst du etwas Bestimmtes?“

„Nein, danke.“, antwortete er matt.

Kazuya musterte die gequälte Miene und die roten Augenränder seines Freundes.

„Du siehst echt fertig aus.“, stellte er fest.

„So fühle ich mich auch.“, gestand Yosuke und überwand sich, seinem Gegenüber ins Gesicht zu sehen.

Der Blonde kam auf Yosuke zu und klopfte ihm brüderlich auf die klatschnasse Schulter.

„Ich weiß, es war schrecklich. Ich kann verstehen, dass du mit den Nerven runter und geschockt bist. Immerhin warst du es, der Momoko gefunden hat.“

Dieser biss sich auf die Unterlippe und schüttelte energisch den Kopf.

„Das ist es nicht. Nicht allein.“, setzte er an und ballte dabei die Hände zu Fäusten.

Gespannt lauschte Kazuya seinen Worten.

„Ich hatte das Gefühl es nicht zu überleben, wenn sie die Augen nicht wieder aufgemacht hätte.“, setzte er an und sah dabei mit großen, aufgewühlten Augen in das ernste Gesicht seines besten Freundes. „Etwas von mir ist zerbrochen, als ich sie dort sah. Ich kann gar nicht genau beschreiben, wie es war… Es fühlte sich einfach furchtbar an! Und dann durfte ich nicht mal für sie da sein, als sie wieder zu sich gekommen ist. Jeder von euch konnte ihr die Hand halten, sie stützen oder ihr etwas reichen – ich stand nur wie gelähmt in einer Ecke herum und habe mich kaum getraut, sie anzusehen. Dabei habe ich es fast nicht ertragen, mich zurückzuhalten!“

Seine Stimme klang gequält. Yosuke kniff anschließend die Augen zusammen und kämpfte gegen eine Welle aus Kummer an, die ihn im selben Moment schüttelte.

Sein ehemaliger Mannschaftskapitän nickte mitfühlend und setzte sich auf den Rand der Badewanne, wo er mit der flachen Hand auf den Platz neben sich aufmerksam machte.

„So ist das wohl, wenn man wahnsinnig in jemanden verliebt ist und es nicht zeigen darf.“

Yosuke zuckte bei diesen Worten wie vom Donner gerührt zusammen, aber widersprach nicht. Es war zwecklos etwas zu leugnen, das selbst er eingesehen hatte und inzwischen so offensichtlich war.

„Ohne dir einen Vorwurf machen zu wollen, aber das ist einer der Nachteile, wenn man unehrlich zu sich selbst ist und mit den Menschen um sich herum ein falsches Spiel spielt.“, fuhr sein Freund fort.

Ächzend legte Yosuke sein Gesicht in seine Hände.

„Das weiß ich nun auch.“, murmelte er gequält zwischen seine Finger hindurch.

Diesmal klopfte Kazuya auf seinen Rücken und versuchte es, nach seinem etwas ermahnenden Tonfall, nun mit einem etwas erbaulicheren.

„Schon gut, manche Menschen werden sich ihrer wahren Gefühle eben erst in einer Ausnahmesituation bewusst. Bei dir ist es jetzt so, nicht wahr?“

Seufzend hob der Dunkelhaarige wieder seinen Kopf.

„Ich weiß nur noch, dass ich noch nie so große Angst hatte, wie in dem Augenblick, als ich sie dort unten habe treiben sehen. Und dass es mich fast zerreißt, dass ich sie nicht in den Arm nehmen konnte, um ihr zu sagen… wie…“

Seine Stimme brach ab, wütend darüber presste Yosuke sich die rechte Faust an die Stirn und kämpfte gegen den unmännlichen Anflug von Tränen an.

„Mein Gott, es hat dich wirklich schwer erwischt! Wie kann es da sein, dass erst so etwas passieren musste, damit du es endlich begreifst?“

„Frag mich etwas Leichteres… Vielleicht habe ich es verdrängt, weil es nicht sein durfte. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann denke ich, dass ich es insgeheim schon viel länger weiß. Weil mir aber klar war, dass dann nichts mehr so sein würde, wie es war, habe ich diesem Gefühl nie einen Namen geben wollen.

„Du meinst, Liebe?“

Yosuke wurde rot. Kazuya lächelte amüsiert.

„Weißt du, so ging es mir damals mit Yuri auch.“, setzte er sinnierend an. „Ich kannte so viele Mädchen in der Schule. Alle lieb, nett, hübsch und klug… jede einzigartig auf ihre Art und Weise. Trotzdem habe ich irgendwann aufgehört, die ganzen Liebensbriefe zu zählen, die ich tagtäglich in mein Fach gelegt bekam und maß ihnen keine höhere Bedeutung bei. Ich fühlte mich zwar geschmeichelt, aber es war doch immer irgendwie dasselbe und berührte mich nicht weiter. Alle Mädchen klangen nett und ehrlich, aber zu mir vorgedrungen ist letztendlich nur die Eine. Und dazu war gar kein Brief nötig.“

„Yuri.“, schlussfolgerte Yosuke logisch.

„Genau, Yuri.“, stimmte der Blonde mit einem sehr verliebten Gesichtsausdruck zu.

Einen Moment lang starrten beide Löcher in die Luft, weil sie sich in Erinnerungen an ihre gemeinsame Schulzeit verloren, doch dann setzte der Ältere neu an.

„Was ich sagen wollte ist, dass solche Gefühle ganz unerwartet kommen. Das kann niemand vorhersehen, aber wenn es so weit ist, dann haut es dich um. Und dagegen wehren kann man sich nicht, egal was einem im Weg steht oder ob man Angst vor Veränderungen hat.“

„Ich weiß schon, was du meinst… Du kannst unzähligen Menschen begegnen und keiner berührt dich, doch dann kommt diese eine Person und verändert dein ganzes Leben.“

Jetzt lachte Kazuya auf, sodass Yosukes Verlegenheit sich noch steigerte.

„Und ich dachte, ich wäre manchmal etwas schwülstig.“, witzelte er, doch dann wurde sein Tonfall wieder ruhiger. „Aber du hast Recht, genauso ist es.“

In Yosukes braungrüne Augen trat ein warmer Glanz und sein Mund verzog sich zu einem zaghaften Lächeln. Sein bester Freund konnte sich gut denken, wessen Bild er da gerade vor seinem inneren Auge wach rief.

„Ich bin ganz schön blöd gewesen. Die ganze Zeit über, dabei war es so klar! Immer wenn ich mit Momoko Zeit verbracht habe, gab es für diesen Moment keinen Ort, an dem ich lieber gewesen wäre. Ich frage mich nur, wann die Grenze zur Freundschaft verwischt wurde. So gut kennen wir uns eigentlich noch gar nicht - es gibt bestimmt unzählige Dinge, die wir über einander noch nicht wissen.“

Kazuya war fest entschlossen, auch den letzten Funken Zweifel in Yosukes Gedanken auszutreiben.

„Um sich zu verlieben braucht es nicht viel. Ich bin mir sicher, dass du genug über sie weißt, um dein Herz an sie zu verlieren. Sonst wäre das zwischen euch nicht so etwas Ernstes geworden.“

Der Braunhaarige dachte darüber nach und zählte in Gedanken auf, was er alles über Momoko wusste. Und da wurde ihm klar, dass er sie tatsächlich viel besser kannte, als manche seiner Freunde!

Er wusste, wie es klang und aussah, wenn sie lachte oder weinte; was sie glücklich machte und was traurig; was sie gerne tat oder as; welche Musik sie mochte, was ihre Hobbys waren; was sie auf die Palme brachte und was zum Lachen; welche Menschen ihr wichtig waren und wie viel sie bereit war zu tun, um für diese Menschen einzustehen; wie es manchmal in ihrer Seele aussah und… wie schön sie war, wenn er sie berührte.

Bestätigend klopfte sein Herz in einem wilden, sehnsuchtsvollen Rhythmus.

„Und was soll ich jetzt machen?“

Kazuya zuckte mit den Schultern.

„Was willst du denn tun?“

„Ich habe keine Ahnung…“

Sie schwiegen sich an. Darüber grübelnd, was nun der nächste vernünftige Schritt sein müsste.

„Wirst du es ihr sagen?“

„Wem?“

„Wenn du mich so fragst: beiden. Hiromi und Momoko.“

Yosuke starrte konzentriert und mit in Falten gelegter Stirn auf seine ineinander verschränkten Hände. Als würde dort irgendwo in seinen Handflächen eine Lösung geschrieben stehen.

„Ich bin mir nicht sicher… Natürlich muss ich irgendwann mit Hiromi reden, so oder so, aber in meinem Kopf herrscht noch zu viel Chaos. Es gibt so viele Dinge, über die ich jetzt nachdenken muss. Ich kann nicht einfach aufstehen, mit Hiromi Schluss machen und dann zu Momoko gehen und auch noch ihr Leben durcheinander wirbeln.“

Sein Gesprächspartner machte große Augen.

„Denkst du etwa, ihre Gefühle für dich könnten anders sein, als deine für sie?“

„Du sagst das so, als wäre es vollkommen abwegig. Du weißt doch, was für eine Beziehung Momoko und ich eigentlich bisher geführt haben.“

Der Blonde hob eine Augenbraue und warf ihm einen schiefen Blick von der Seite zu.

„Daran musst du mich nicht erinnern. Ich bekomme es bis heute nicht in meinen Kopf, dass ausgerechnet ihr beide…“

Ja – ok! Lassen wir das.“, unterbrach Yosuke ihn feuerrot. „Jedenfalls müsstest du verstehen, warum mir eine wage Hoffnung darauf nicht genügt. Wir hatten eigentlich beide einen festen Kurs für unsere Zukunft eingeschlagen und genaue Absprachen, was unser… Miteinander betrifft. Ich kann nicht einfach in das eingreifen, was Momoko sich vorgenommen hat und ihr Leben damit vielleicht ruinieren.“

Kazuya durchbohrte ihn mit einem fragenden Blick. Er verbot sich selbst, seine Meinung über die offensichtlichen Empfindungen der Rosahaarigen für seinen Freund laut auszusprechen. Darauf musste Yosuke schon selber kommen.

„Und wenn es nicht so sein sollte… Wenn du ihr deine Gefühle gestehst und sie dir sagt, dass sie anders empfindet und ihr Leben nicht ändern will. Was dann? Sagst du Hiromi dann nicht die Wahrheit?“

Der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf und strich sich die feuchten Haare von der Stirn.

„Du fragst mich zu viel, ich habe mir über all diese Dinge noch gar keine Gedanken gemacht! Natürlich muss ich mit Hiromi reden, aber im Moment werde ich besser nichts tun, was diesen Urlaub ruinieren könnte. Erst will ich über alles nachdenken und herausfinden, wohin mein Weg mich und vielleicht auch Momoko führen könnte. Unsere Situationen sind nicht grundlos so verzwickt.“

„Aber du würdest Hiromi für Momoko verlassen?“

Sie tauschten einen ernsten Blick, bis Yosuke schmunzeln musste.

„Schon komisch. Vor kurzem hätte ich das noch völlig verneint, aber dann hat ausgerechnet Yuri etwas Bestimmtes zu mir gesagt und jetzt bin ich mir da nicht mehr ganz so sicher.“

Meine Yuri?“, hinterfragte Kazuya ungläubig. „Seit wann redet ihr denn über dieses Thema?“

Sein Freund winkte ab.

„Ach, ihr war das gar nicht so bewusst, denke ich.“, antwortete er mit einem prüfenden Blick. Immerhin konnte sie seines Wissens nach nicht eingeweiht sein, wenn Kazuya dicht gehalten hatte. „Aber sie hat mir trotzdem in gewisser Hinsicht irgendwie die Augen geöffnet.“
 

Zu seinem eigenen Schutz ließ Kazuya Yosukes letzte Worte unkommentiert. Es war wohl klüger nicht ausgerechnet jetzt zuzugeben, dass er Yuri, entgegen seines Versprechens, alles erzählt hatte.

Er begleitete seinen Kameraden nach dem Abtrocknen in ihr gemeinsames Zimmer zurück, in dem sie sich erstmal umzogen. Grübelnd über Yosukes neuste Erkenntnisse, traf der Blonde die Wahl seiner Kleidung mehr beiläufig als bewusst. Er zog auch diesmal wieder eine sportliche Stoffhose und ein bequemes T-Shirt einem unnötig chicen Outfit vor, während sich sein Freund stilbewusst für eine leichte Jeans, ein weißes Feinripphemd und dazu für ein rotes Hemd mit kurzen Ärmeln entschied, das er offen darüber trug. Viel zu warm, wie Kazuya fand, aber vielleicht spielte im Moment nicht nur Yosukes Herz verrückt, sondern auch sein Körper.

Als sie beide fertig waren, liefen sie vor ihrer Tür direkt Hiromi in die Arme.

„Da bist du ja endlich wieder, Yoyo-Maus! Warum bist du denn so plötzlich abgehauen? Ich war schon total in Sorge um dich!“

Mit einem Schmollmund packte der zierliche Lockenkopf den Sportler an den Knopfleisten seines Hemdes und zerrte ihn daran auf herrische Art und Weise zu sich auf Augenhöhe herunter.

Kazuya empfand Mitleid für den Dunkelhaarigen und ergriff deswegen ungefragt Partei für ihn.

„Das habe ich ihm auch gesagt, aber unser Yosuke hier brauchte nach dem Vorfall vorhin einen Moment für sich, um runter zu kommen.“

Beide, Hiromi und ihr Freund, warfen ihm einen undefinierbaren Blick zu.

Die Lilahaarige inspizierte daraufhin die erschöpfte Miene und die noch leicht feuchten Haare ihres Partners, woraufhin sie ihren Griff lockerte.

„Du warst also duschen? Um dich zu beruhigen?“

„Ja… das heiße Wasser hat mir geholfen, meinen Kopf wieder frei zu kriegen...“, antwortete er matt.

Nachsichtig ließ seine Freundin ihn los. Reumütig strich sie sein Hemd über der Brust wieder glatt.

„Tut mir leid, Darling. Ich wollte dich nicht anschnauzen… geht es dir denn jetzt besser?“

Ihre roten Augen blinzelten ihn hoffnungsvoll an, doch Yosuke wich ihren Blicken aus.

Etwas quälte ihn, das wusste Kazuya nur zu gut. Es schien so, als brachte er es nicht über sich, auf Hiromis Annäherungsversuche einzugehen. Unauffällig wand er sich aus der Reichweite ihrer nach Berührung gierenden Finger und lief noch mal ins Zimmer zurück, in das sie und sein Freund ihn irritiert begleiteten.

„Ehrlich gesagt hätte ich gerne noch ein bisschen Zeit für mich. Wäre das in Ordnung für euch?“

Noch während er das sagte, kramte er in seinen Sachen nach einer Gürteltasche und füllte diese mit seiner Geldbörse und dem Mobiltelefon, das er hier während ihres Aufenthaltes so gut wie noch gar nicht benutzt hatte.

„Was meinst du mit: Zeit für dich? Was hast du denn vor?“

Kazuya hörte ganz deutlich heraus, wie wenig Hiromi von Yosukes Verhalten begeistert war.

Der Dunkelhaarige blickte daraufhin mit gerunzelter Stirn in ihre Richtung. Seine Miene wirkte verkniffen, fast ein bisschen gereizt.

„Keine Ahnung. Ich gehe wahrscheinlich spazieren oder vielleicht treibe ich mich auch ein bisschen in der Promenade hier in der Nähe herum. Ich kann und möchte jetzt nicht einfach stundenlang hier herumsitzen und darauf warten, dass Takuro zurückkommt. Wer weiß, wann das überhaupt ist…“

Schmerz glomm in seinen Augen auf. Nur Kazuya nahm Notiz davon und dieser konnte wenigstens annähernd verstehen, was gerade in ihm vorging.

„Aha… dann lass mich dich begleiten! Das klingt doch nett, wir könnten ein bisschen shoppen gehen oder ein Eis essen…“

Yosukes Augenbrauen zogen sich finster zusammen, sodass Hiromi schon zu Eis erstarrte, noch bevor er etwas zu ihr sagte.

„Ich möchte allein sein.“

Eingeschüchtert von seinem frostigen Tonfall, sagte sie gar nichts mehr.

Mit geöffneten Lippen, stumm und verwirrt, sah sie dabei zu, wie ihr Freund sich fertig machte und fast zu eilig ohne sie das Haus verlies. Er dachte gar nicht daran, sich nach ihr noch mal umzusehen.

„Yosuke!“, hielt ihn Kazuya noch ein letztes Mal zurück. „Du kommst doch klar, oder?“

Ihm schenkte er ein mildes Lächeln über seine Schulter hinweg. Er hielt dabei einen Daumen zuversichtlich in die Höhe gestreckt.

„Na klar. Ich muss mir einfach etwas die Beine vertreten.“

»Und in Ruhe über einiges nachdenken.«, fügte Kazuya in Gedanken seine unausgesprochenen Worte zwischen den Zeilen hinzu.

Er sah seinem besten Freund, der so plötzlich von so vielen Gefühlen gleichzeitig eingeholt und überrollt worden war, nachdenklich hinterher.

Inständig hoffte er, dass Yosuke diese Flucht aus der Situation heraus etwas bringen würde. Abstand, wenn auch nur für ein paar Stunden, konnte durchaus sinnvoll sein, wenn man sich über einiges klar werden wollte. Welche Entscheidungen würde er wohl treffen?

Kazuya tippte sich ans Kinn und fragte sich weiterhin, ob es richtig von Yuri und ihm gewesen war, dass sie sich passiv offensiv einmischten.

Just in diesem Moment erschien seine Freundin neben ihm und schob ihre Hand in seine.

„Huch, wo geht denn Yosuke hin?“

„Spazieren.“, antwortete er ihr schlicht, während sein Daumen ihre Fingerknöchel streichelte.

„Ich… ich verstehe das nicht…“, jammerte Hiromi hinter ihnen weinerlich los.

Sie drehten sich zu ihr um und sahen in ein völlig am Boden zerstörtes Gesicht.

„Na, na. Wer wird denn da weinen?“, versuchte der hoch gewachsene, junge Sportler der kurz vor einem Tränenausbruch stehenden Schwangeren Einhalt zu gebieten.

„Er hat mich total ignoriert und mir die kalte Schulter gezeigt! So hat er mich noch nie behandelt!“, winselte sie entrüstet.

„Na hör mal!“, intervenierte ausgerechnet Hinagiku, die jetzt hinter ihr, ebenfalls frisch umgezogen, auf dem Engawa auftauchte. „Dein Yosuke hat gerade unsere beste Freundin aus dem Wasser gefischt. Wie wärst du denn drauf, wenn du so was Schlimmes erlebt hättest? So was geht an keinem spurlos vorbei - der Junge is’ durch den Wind, is’ doch verständlich! Lass ihn doch ’ne Runde drehen, wenn’s ihm dabei hilft, das zu verarbeiten.“

„Hinagiku hat Recht. Yosuke steht wahrscheinlich noch etwas unter Schock. Er meint es ganz sicher nicht böse, er braucht nur gerade etwas Freiraum.“

Yuri lauschte den Worten ihres Freundes interessiert und beobachtete dabei von der Seite seine Mimik.

Hiromi schniefte theatralisch.

„Meint ihr wirklich?“

Die Brünette nickte schnell, da sie glaubte zu verstehen, warum Kazuya den Lockenkopf zu beschwichtigen versuchte.

„Ehrlich gesagt stehe ich auch noch etwas neben mir. Ich weiß gar nicht, was ich denken oder fühlen soll… Es war schlimm, Momoko so zu sehen. Als sie da auf dem Schiffsdeck lag, so blass und ohnmächtig.“

Hinagiku und Kazuya raunten etwas Zustimmendes.

„Und jetzt stell dir vor, du wärst es gewesen, die sie gefunden hat.“

Kazuya sah Yuri mit seinen graublauen Augen durchdringend ins Gesicht, sie erblasste sofort um eine Nuance.

Sie war einfach die geborene Schauspielerin.

„Himmel, das will ich mir gar nicht vorstellen!“

Zufrieden mit Yuris drastischer Darstellung, klatschte Hinagiku mit der flachen Hand auf Hiromis nackte Schulter.

„Siehst’e? Wenn’s uns schon so durcheinander bringt, dann versetz dich mal in Yosukes Lage.“, setzte sie noch nach.

Eben noch kaltschnäuzig, wurde Hiromi nun von Sekunde zu Sekunde kleinlauter.

Beschämt tippte sie ihre Fingerspitzen in einem nervösen Takt aneinander und mied die Blicke der anderen.

„Ich wollte nicht wie ein Ekel klingen…“, murmelte sie schuldbewusst. „Ich fühle mich nur so ausgeschlossen.“

Der Blonde seufzte langgezogen und drückte die Hand seiner Partnerin etwas fester, um sie auf das Kommende vorzubereiten und um ohne Worte ihre bedingungslose Unterstützung darin zu erbitten.

Er konnte einfach nicht aus seiner Haut; er war nicht der Typ, dem es egal war, wenn ein Mädchen niedergeschlagen war. Nicht mal dann, wenn es sich dabei um Hiromi handelte, die ihm noch am Vorabend fast den letzten Nerv geraubt hatte.

„Ich habe eine Idee. Warum gehen wir vier jetzt nicht einfach Mittag essen und danach etwas einkaufen? Wir könnten doch heute Abend alle zusammen etwas kochen und vielleicht ein paar Gesellschaftsspiele spielen? Wer weiß, ob und wann Takuro und Momoko heute wieder nach Hause kommen. Sie und Yosuke würden sich bestimmt über ein Essen freuen. Und wir zerstreuen damit auch ein bisschen unsere eigenen, finsteren Gedanken.“

Sprachlos klappte Yuri der Mund auf, während Hinagiku und Hiromi sofort unisono Feuer und Flamme waren.

Und das hatte echten Seltenheitswert.
 

~*~
 

Yosuke spürte den Hunger nicht, der sich immer wieder laut grummelnd in seiner Magengegend bemerkbar machte.

Versunken in seinen Gedanken flanierte er einen breiten, gepflasterten Weg entlang, vorbei an den Schwarzfichten, die ihn säumten und von dem Strand trennten. Seine Hände steckten leger in seinen Hosentaschen, während das Kabel seiner In-Ear Kopfhörer vor seiner Brust bei jedem Schritt hin und her wippte. Yosuke hatte sie zufällig in seiner Gürteltasche gefunden, als er wie von Geisterhand geführt auf seinem Handy nachschauen wollte, ob sich irrsinniger Weise eine neue Nachricht von Momoko darauf befand.

»Sie hat es wahrscheinlich gar nicht dabei.«, schlussfolgerte er und wusste zeitgleich, dass es stimmte. »Und selbst wenn…«, sinnierte er weiter »…dann wäre ich sicherlich der Letzte, dem sie jetzt schreiben würde.«

Er dachte an all die anderen Menschen, denen sie wohl eher schreiben würde: ihrem Vater oder ihren Freundinnen – wahrscheinlich sogar Takuro, wenn dieser sie nicht sowieso gerade begleiten würde.

Und noch während er sein Handy wegstecken wollte, waren ihm die Kopfhörer in die Hände gefallen. Ein willkommener Zufall, denn das Rauschen des Windes in den Bäumen oder das leise, stetige Flüstern der Wellen, die sich am Strand brachen, war ihm längst zu viel geworden. Diese Geräusche erinnerten ihn zu sehr an den schlimmen Zwischenfall, der noch tief in seinen Knochen steckte und ihm Magenschmerzen bereitete.

Er stöpselte die Kopfhörer in sein Mobiltelefon und versuchte eine Verbindung zu einem lokalen Radiosender herzustellen. In letzter Zeit, eigentlich seit Wochen schon, war Musik, vor allem englischsprachige, ein gutes Mittel für ihn geworden, um sich aus der Realität auszuklinken und Kraft zu schöpfen. Es war lange her, dass er sich mit Liedern beschäftigt hatte, aber seit Momoko wieder in sein Leben getreten war, entdeckte er nach und nach seine Leidenschaft dafür wieder. Musik und die Klänge, die sie ausmachten, sowie die Texte und Akkorde; jede einzelne Note und der Gesang – das alles war Dank ihr wieder mit Farben behaftet. Belebende, bunte Farben oder sanfte, gedeckte… je nach Stimmung. Sie machte seine Welt wieder bunter.

Yosuke hörte einfach wieder gern Musik. Sie rief Erinnerungen an die schönen Momente in seinem Leben wach - nicht zuletzt jene, die er mit Momoko teilte - oder verleitete ihn zum Träumen. Und nicht nur das: Seitdem er seine alte Gitarre vom Schrank geholt hatte, war sie dort oben auch nicht mehr verstaut worden.

Musik hatte ihre eigene Sprache und er genoss es, manchmal darin abzutauchen, nur für den Moment zu leben und jede einzelne Strophe und Botschaft aus den Songs in sich aufzunehmen. Die Saiten der Gitarre selbst anzureißen bot ihm außerdem einen neuen Weg, sich ohne Worte auszudrücken. Das war von Zeit zu Zeit sein Ventil, wenn ihm Zuhause die Decke auf den Kopf fiel oder ihm Hiromi oder die Schule zu viel wurden. Ähnlich wie Fußball für ihn funktionierte, nur dass ihn das Gitarrenspiel seelisch auslastete, statt körperlich.

Die Erinnerung an die Zeit ohne sie – ohne die Musik und vor allem ohne Momoko – fühlte sich seltsam leer und grau an. Irgendwie bedeutungslos, als hätte Yosuke damals gar nicht wirklich gelebt.

Endlich fand er einen Sender, der ihm zusagte und mit geschmeidigen Gitarrenklängen und sattem Bass die Welt um ihn herum verblassen ließ.
 

Die Promenade füllte sich mehr und mehr mit Menschen, je weiter er lief.

Irgendwann kam Yosuke nicht mehr drum herum, den Blick von seinen Füßen zu heben und sich umzusehen, bevor er noch jemanden anrempelte. Die Gegend war voll von Touristen, die von den kleinen Läden angezogen wurden, die sich auf der Seite gegenüber vom Strand aufreihten. Typische Kramläden mit allerhand Tinnef und Utensilien für den Strand und das Meer. Sonnenhüte, Badelatschen, Schwimmreifen, Strandspiele, Sonnencremes und vieles andere lag in den Auslagen, die von auffälligen Schildern beworben wurden. Das Sortiment unterschied sich von Laden zu Laden kaum, bis auf das mancher noch Bademode, simple Romane zum anspruchslosen Zeitvertreib oder wertlosen Schmuck anbot.

Yosuke haderte mit sich, ob er nicht wenigstens einen der zahlreichen Obststände ansteuern sollte, die mit herrlich roter Wassermelone und frischen Kokosnüssen lockten. So ganz ignorieren ließ sich sein Hungergefühl nämlich nicht und er war weiß Gott wie lange bereits ziellos unterwegs gewesen…

Tatsächlich fühlte er sich sehr viel besser, nachdem er etwas im Magen hatte.

Der Hunger hatte einen großen Teil seiner Bauchschmerzen ausgemacht. Nicht alles war also dem Gefühlschaos geschuldet, das sich unaufhörlich in seinem Inneren abspielte. Yosuke wiederholte alles im Geiste wieder und wieder, drehte und wendete die Tatsachen, um sie von allen Standpunkten zu beleuchten, kam am Ende aber immer zu demselben Schluss. Nämlich, dass er genau 3 Dinge sicher wusste: 1. - Er war unumstößlich in Momoko verliebt. Aber es war nicht diese naive, frische Verliebtheit oder Schwärmerei, wie sie Teenager empfanden. Es ging viel tiefer – sie beide verband so vieles, das andere vielleicht nicht verstehen würden. Und dann gab es da noch diese Magie zwischen ihnen; diese knisternde Spannung, die manchmal fast greifbar wurde. Nicht zuletzt diese glühende Leidenschaft, die in jeder Faser seines Körpers brannte, wenn er nur die Augen schloss und an Momoko dachte.

Ja, er war wie ein hoffnungsloser Trottel in sie verliebt und hatte es bis heute nicht mal gemerkt – das war immerhin schon die 2. Sache, die er mit Sicherheit wusste. Er war ein Idiot.

Und zwar auch deswegen, weil er so dumm gewesen war und sich von Hiromi an dem Abend hatte einwickeln lassen, als sie ihm gestanden hatte, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Sein Pflichtgefühl ihr gegenüber war so irrational groß gewesen, nicht zuletzt wegen seinem Bestreben, sich nicht wie sein eigener Vater zu verhalten, dass er alles ausgeblendet hatte, was er bereits damals schon für Momoko empfunden hatte. Nach allem, was da bereits zwischen ihnen passiert war… ja, er war eindeutig ein Vollidiot!

Vielleicht wäre es ihm geglückt, vielleicht hätte er sie vergessen können. Alles an ihr, was ihn so in ihren Bann gezogen hatte: ihre großen blauen Augen, in denen er sich immer wieder verlor; Ihr schüchternes Lächeln oder ihre verletzliche Miene, die ihn neugierig auf die Geschichte dahinter gemacht hatte; ihr offenes Lachen, von dem er jedes Mal Herzklopfen bekam; ihre Aufopferungsbereitschaft, die ihn in Staunen und Bewunderung versetzt hatte... Vielleicht wäre es ihm gelungen, wenn er es geschafft hätte, sie nie wieder zu treffen.

Aber was für ein Leben hätte er dann gelebt?

»Ein Leben ohne Farben.«

Die Musik auf seinen Ohren wurde wieder lauter, als sie sich in sein Bewusstsein zurück stahl und Yosuke ließ sie in sein Herz hinein.

Er hatte durch Momoko viel über sich und das Leben gelernt. Sie hatte Sehnsüchte in ihm erweckt, derer er sich vorher gar nicht bewusst war. Sie hatte ihm unbewusst seine Lebenslust zurückgegeben und war zu der einen, besonderen Person geworden, die ihn so nahm, wie er wirklich war. Die ihn und seine Abgründe kannte und trotzdem nicht verurteilte. Die ihn verstand, ihm Mut zusprach und die ihm die Nähe, Geborgenheit und Zärtlichkeit schenken konnte, nach der er sich in Wahrheit sehnte. Ihr Lächeln allein bedeutete ihm schon alles.

Das brachte ihn zu Punkt Nummer 3 auf seiner Liste der Dinge, derer er sich sicher war: Hiromi und er hatten keine Zukunft als Paar. Sie würde niemals auch nur ansatzweise das für ihn sein können, was Momoko für ihn war. Und dabei spielte es keine Rolle, ob die Hobbyfotografin seine Gefühle überhaupt erwiderte oder nicht – Yosuke fühlte sich nicht mehr imstande, irgendetwas zu erzwingen, dass er für Hiromi einfach nicht empfinden konnte. Alles was er tat war geschauspielert. Das war das einzige, was er ihr und dem Kind im Zweifelsfall würde bieten können: eine Lüge.

Was 4. und 5. betraf, darüber zerbrach er sich noch den Kopf. Dreh und Angelpunkt war die Antwort auf die Frage, ob Momoko auch so empfand wie er. Fühlte sie sich innerlich auch so zerrissen, zwischen dem, was ihr Herz ihr zuflüsterte und dem, was ihr Pflichtgefühl ihr sagte? Yosukes Herz raste wie verrückt bei dem Gedanken, dass sie seine Gefühle möglicherweise erwiderte und er nicht nur der Freund oder die Affäre für sie war, wie sie es sich einst ausgedacht hatten.

Rückblickend kam es ihm albern vor, dass er sich das selbst so lange eingeredet hatte. Es mochte so angefangen haben, aber das war für ihn nichts weiter als ein verblassendes, unwichtiges Detail ihrer gemeinsamen Geschichte.

Es half nichts, er musste es herausfinden! Yosuke musste um jeden Preis wissen, welchen Platz er in Momokos Herz wirklich einnahm. Erst dann würde er sich überlegen können, wie es für ihn, Hiromi, das Baby und alles andere weitergehen sollte.

Noch völlig in Gedanken versunken lief der Dunkelhaarige im nächsten Augenblick fast in einen aufgestellten Kleiderständer, der mitten im Weg stand. Hastig und peinlich berührt darüber, dass ihn andere Passanten bei seinem Malheu beobachtet hatten und nun hinter vorgehaltener Hand kicherten und tuschelten, brachte Yosuke die auf Bügel hängenden Stoffe wieder in Ordnung, die er aus Versehen durcheinander gebracht hatte. Eine kleine, pummelige Verkäuferin, die ziemlich wahrscheinlich zu dem Lädchen gehörte, vor dem die ganzen Kleiderständer aufgestellt waren, kam ihm netter Weise zu Hilfe.

„Entschuldigung, ich habe nicht aufgepasst.“, erklärte er umgehend

Die Frau mittleren Alters lächelte verschmitzt und zeigte auf ihre Ohren.

„Zu laute Musik, nicht wahr?“

Yosuke erwiderte das Lächeln schüchtern wie ein kleiner Junge und stöpselte hastig seine Kopfhörer aus.

„Eher zu laute Gedanken.“, gab er verlegen zu.

„Ahh… verstehe.“, raunte sie und kontrollierte noch mal die Bügel. „Machst du Urlaub hier?“, hakte sie nach, ungeniert vertraulich für eine Fremde.

„Mit Freunden.“, antwortete er trotzdem höflich.

Sie musterte ihn daraufhin von oben bis unten und wieder zurück, wo sie an seinem Gesicht auffällig lange hängen blieb.

Solange, bis Yosuke seinen Blick abwendete.

„Ahh…“, raunte sie wieder vielsagend.

Ihr Gehabe machte auf den Torwart ein wenig den Eindruck, als wäre sie einer von den Menschen, die auf alles eine Antwort wussten und diese auch gerne kund taten, ohne vorher nach der Frage dazu gefragt zu haben.

Wie, um seinen Eindruck bestätigen zu wollen, räusperte sie sich, um wieder seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

„Zu laute Gedanken.“, wiederholte sie bedeutsam betont und zeichnete dabei nachdenklich mit dem Zeigefinger einen Strudel in die Luft. „Es ging darin um ein Mädchen.“

Yosuke fragte sich, ob letzteres eine Frage oder eine Feststellung war. Jedenfalls fiel ihm darauf keine gescheite Antwort ein, dafür war er zu perplex.

Die Verkäuferin setzte ein breites, wissendes Lächeln auf, das ihr zahlreiche Lachfältchen um die Augen herum zauberte.

„Ich habe also richtig getippt. Brauchst du also vielleicht etwas hiervon?“, fragte sie ihn und fuhr mit den Fingern spontan unter einen der vielen Bügel und präsentierte ihm einen fein gewebten Stoff in blendenden Farben.

„Nein! Ich wollte gar nichts kaufen.“

Er winkte ab, völlig überfordert mit der Zudringlichkeit, mit der ihn die Dame anscheinend zu einem Einkauf bei sich überreden wollte.

Doch dann warf er einen flüchtigen Blick über die anderen Waren und das Schild, das über ihrem Geschäft hing. Vielleicht war er doch durch einen Wink des Schicksals hier gelandet.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Vorgeschichte zu "Love at third sight"
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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  MissAuditore
2019-10-07T17:28:06+00:00 07.10.2019 19:28
Hi! Jetzt bin ich das zweite mal durch mit deiner Story für die ich garkeine Worte finde, weil ich immer wieder sprachlos bin. Ich bin ein absoluter Fan und dank dir suchte ich zur Zeit wieder Wedding Peach.
Ich hatte ja schon bei Insta nachgefragt aber dennoch: WANN GEHT ES WEITER??? Ich habe soviele offene Fragen was den weiteren Verlauf der Geschichte angeht und ein bisschen Angst vor dem Ende 😭
Ich hoffe dir geht es gut und das du hast bald ein glücklichs Ende für Momoko und Yosuke bzw. für die Fans dieser Fanfic 😏 hast. Liebe Grüße
Danke
Antwort von:  Nea-chan
30.11.2019 02:11
Kapitel 19 kommt jetzt sehr, sehr bald :)
Von:  Anne208
2018-09-08T21:25:25+00:00 08.09.2018 23:25
Gnahhhh sehr schön geschrieben, bitte schreibe schnell weiter
Von: abgemeldet
2018-02-04T12:39:49+00:00 04.02.2018 13:39
I hoffe so auf ein Happy End zu Momoko und Yosuke :( die beiden müssen echt so viel durch machen .... wann hat es endlich ein Ende :(
Von:  Mayosch
2018-01-07T13:35:21+00:00 07.01.2018 14:35
HalloHallo,
ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Es ist wirklich ein wunderbares Kapitel. Ich habe es wirklich zwei mal gelesen. Es ist alles sehr gefühlvoll geschrieben und ich weiß nicht warum mir Yosuke so Leid tat. Aber es schien ihm schlechter zu gehen dabei war es doch Momoko die beinahe ertrunken wäre. Ich finde wie du seine Gedanken und Gefühle beschrieben hast wirklich realistisch. Auch das Gespräch mit Kazuya fand ich sehr liebevoll. Nicht aufdringlich, sondern einfach ehrlich! Aber der beste Teil bleibt Yosuke als er alleine spazieren geht um sich zu beruhigen und sich Gedanken zumachen. Auch wie er ein Leben ohne Momoko vergleicht. „Ein Leben ohne Farbe“ Ich glaube er hat sich doch schon entschieden?!?! An dieser Stelle hoffe ich auf ein HappyEnd für die Beiden 😭
Ach ja, da war noch Hiromi. Ich mag sie nicht! Auch wenn sie sich in diesem Kapitel Mühe gibt. Ein mal Teufel, immer Teufel!!! Vielleicht will sie mal die Radieschen von unten sehen 😏
Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel. Ich erinnere mich wage das du auf der Facebook seite von LATS angedeutet hast, das aus einem Kapitel zwei geworden sind. Deshalb warte ich geduldig auf das nächste Kapitel :) wie immer ein großes Lob an dich. Du hast einen wirklich angenehmen und flüssigen schreibstil.
Liebe Grüße

Mayosch


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