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~ Love at third sight ~

Mit dem Herz gegen alle Regeln
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Vorgeschichte zu "Love at third sight"
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Day 1.5 – The scavenger hunt (Part 2)

Zur selben Zeit hatten Yosuke und Yuri ihren ersten Hinweis bereits gefunden.

Der Reflektor hing über ihren Köpfen am Stamm einer der unzähligen Rotfichten genagelt. Direkt daneben hing auch das blaue Band.

„Sehr gut, aber wie kommen wir da jetzt ran?“, fragte sich Yuri.

Yosuke suchte in der Zeit bereits nach einer Möglichkeit und entdeckte dabei eine Tafel am Fuße des Baumes.

„Das Band erringt, wer Kraft aufbringt. Allein zu klein, um es zu fangen, muss sich zusammentun, um’s zu erlangen.“, las er vor.

„Ein Rätsel in Reimen, natürlich…“

Die Brünette leuchtete zum Band über sich und schätzte die Entfernung bis dorthin.

„Ich glaube, wir sollen eine Räuberleiter machen. Wenn ich dir hoch helfe solltest du da eigentlich ganz einfach rankommen können.“, mutmaßte Yosuke.

„Schaffst du mich denn?“, scherzte Yuri.

Er lächelte selbstsicher.

„Ich mache mir eher Sorgen, dass du fällst.“

„Iwo, ich bin doch kein Tollpatsch, so wie Momoko.“

Sie merkte gleich, dass sich ihr Teampartner versteifte.

„Wie kommst du denn jetzt auf sie?“, wollte er wissen, den Blick konzentriert nach oben gerichtet.

„Nur so. Sie ist doch immer so ein Schussel.“

„Wohl wahr…“

Yuri gab sich unbehelligt, aber sie achtete sehr genau darauf, wie sich Yosuke verhielt.

Allerdings war er ziemlich gut darin - das musste selbst sie als geübte Schnüfflerin zugeben - seine wahren Gedanken zu verbergen. Nur das Nötigste an Gefühlsregungen ließ er durch, was es ihr erschwerte, so richtig schlau aus ihm zu werden.

Sie öffnete die Riemchen ihrer Schuhe, steckte ihre Taschenlampe so in den Boden, dass der Baum angestrahlt wurde und lehnte sich mit den Händen gegen dessen raue Rinde.

„Alles klar, dann wollen wir mal. Ich bin bereit!“, kündigte sie an.

Yosuke bückte sich mit ineinander verschränkten Fingern vor ihr und sie stieg mit ihrem rechten Fuß auf seine Räuberleiter. Mit einem kräftigen Ruck hob er Yuri hoch, die sich zusätzlich von ihm abdrückte und im Flug nach dem Band schnappte, das sie auch gleich beim ersten Versuch zu fassen bekam.

„Ich hab es!“, jubelte sie auf dem Weg nach unten, wo sie der Dunkelhaarige ebenso euphorisch, aber trotzdem behutsam auffing und sicher wieder auf dem Boden absetzte.

„Sehr gut! Dann gleich weiter zur nächsten Markierung!“, lobte er sie.

Schnell zog sie ihre Schuhe wieder an, schnappte sich Karte, Kompass und Taschenlampe und analysierte dann akribisch, in welche Richtung sie mussten.

„Wir sind ein gutes Team.“, bemerkte Yosuke auf ihrem Weg und gab damit den Anstoß zu einem auflockernden Gespräch.

Sie hatten sich unterwegs bisher noch nicht wirklich viel unterhalten. Obwohl sie eigentlich sehr gut miteinander auskamen, mangelte es ihnen ein wenig an Themen. Es fiel ihnen leichter, wenn ihre anderen Freunde auch zugegen waren. Schweigen konnte aber gerade in dieser dunklen, etwas unheimlichen Umgebung schnell unangenehm werden.

„Das sind wir. Wenn wir so weitermachen, dann schaffen wir es bestimmt, zuerst beim Schatz anzukommen.“, stimmte Yuri zu.

„Dann hast du kein Problem damit, Kazuya eventuell auszustechen?“

Sie lächelte unschuldig.

„Nein, wieso? Es ist doch nur ein Spiel. Hast du etwa ein Problem damit, Hiromi gegenüber?“

Er legte den Kopf schief und schaute ein wenig unsicher geradeaus.

„Nicht direkt. Aber ich glaube, dass sie enttäuscht sein wird, falls ihr Team verliert.“

„Tja… in der Hinsicht ist sie wohl auch etwas eigen.“, kommentierte sie seine Aussage mit so viel gefälschter Freundlichkeit in der Stimme, wie es ihr möglich war.

„Ein bisschen.“

Das war alles, was er dazu noch sagte. Danach liefen sie wieder still durch das Unterholz und pausierten nur, wenn sie den Kompass zu Rate zogen.

Schließlich ergriff Yosuke doch noch mal das Wort.

„Sag mal, Yuri… zwischen dir und Kazuya, das läuft doch gut, oder?“

Verwirrt sah sie ihn von der Seite an und wäre fast umgeknickt, hätten ihre tadellosen Reflexe sie nicht davor bewahrt.

„Äh, ja? Selbstverständlich.“

„Dann habt ihr doch bestimmt schon mal über eure Zukunft gesprochen? Wie es weiter geht nach deinem Abschluss und wenn er mit der Uni fertig ist?“

„Ja, natürlich. Ich möchte mich jetzt an Universitäten in Tokio bewerben und wenn alles klappt, dann ziehe ich nach dem Highschool-Abschluss zu ihm. Dann kann er dort in Ruhe mit seinem Studium fertig werden, zum professionellen Fußballspieler avancieren und ich studiere in Ruhe Modedesign oder Journalismus.“

„Wirklich? Ihr habt das schon so klar durchgeplant?“

„Wundert dich das?“

Yosuke schwieg und ging einen Augenblick lang in sich.

„Nein, aber ich beneide es.“, gab er schließlich zu.

Seine Begleiterin seufzte.

„Ich kann dich verstehen. Das mit Hiromi wirbelt alles ganz schön durcheinander, nicht wahr? Habt ihr denn schon eine Idee, wie es für euch nach diesem Schuljahr weitergehen wird?“

„Nichts Konkretes. Es ist noch nichts fest beschlossen.“

Er ließ unter den Tisch fallen, dass ihm seine Mutter angeboten hatte, dass sie mitsamt Baby zu ihr ziehen könnten, wenn sie wollten.

Zwar wollte er diese Möglichkeit gerne wahrnehmen, aber auf der anderen Seite hielt ihn eine leise Stimme davon ab, sich darüber zu freuen oder sich offen vor Yuri darauf festzulegen. Es gab mindestens einen guten Grund in seiner kleinen Heimatstadt, der ihn daran hinderte, sich eine Zukunft woanders vorstellen zu können. Dieser Grund war mit ihnen hierher gereist - ein Teil davon lief irgendwo in diesem Wäldchen auf seinen zwei Beinen herum, der andere spukte in seinem Kopf und Herzen.

„Noch etwas, Yuri.“, setzte er wieder an und blieb diesmal sogar stehen. Unruhig verlagerte er sein Gewicht von einen Fuß auf den anderen.

„Ja?“

„Ihr vertraut euch doch voll und ganz, obwohl ihr eine Fernbeziehung führt. Was wäre, wenn Kazuya dir eines Tages gestehen würde, dass er sich in Tokio in eine andere Frau verliebt hat?“

Sprachlos vor Schreck klappte Yuri der Mund auf. Ihre großen, grünen Augen wuchsen zu Untertassen heran.

„Nur rein hypothetisch!“, warf Yosuke ein, der bei ihrem Anblick befürchtete, ihr ein völlig falsches Signal geschickt zu haben.

„Oh Gott, das mag ich mir gar nicht vorstellen… ich wäre am Boden zerstört! Meine ganze Welt würde zusammenbrechen! Allein der Gedanke fühlt sich an, als könnte ich danach nie wieder Glück empfinden…“

Ihre klaren, emotionsgewaltigen Worte rüttelten heftig an seinem Gemütszustand.

Mutlos erlosch der Glanz in seinen Augen, resignierend senkte er den Blick und plötzlich dämmerte Yuri, warum er sie das gefragt haben könnte.

„Aber…“, erzählte sie deswegen schnell weiter. „…ich würde weiterleben. Irgendwann wäre ich ganz bestimmt über ihn hinweg, auch wenn das Monate oder vielleicht Jahre dauern würde. Ich wäre nicht für den Rest meines Lebens unglücklich. Irgendwie geht es schließlich immer weiter.“

Das Lächeln auf seinen Lippen war schwach – er war nicht überzeugt.

„Ich glaube, viel schlimmer als ein sauberer Bruch wäre für mich, wenn er es mir nicht sagen würde. Wenn er bei mir bleiben, aber immer diese andere Frau lieben würde... Ich will etwas Echtes, so wie jeder von uns! Wenn er unglücklich wäre, würde ich es irgendwann bemerken und dann müsste er erkennen, dass er uns beiden in all der Zeit jeder Chance beraubt hat, vielleicht woanders mit einem anderen Menschen glücklich zu werden. Dann lieber so, als zu spät. Auch wenn es weh tut.“

Es kam wieder Leben in das Gesicht ihres Gegenübers.

Sie konnte fast hören, wie sich sein Puls beschleunigte und sich die Gedanken hinter seiner Stirn überschlugen, während ihm ihre Worte hoffentlich die Augen öffneten. Doch dann verdüsterte ein bedrückter Ausdruck seine braungrüne Iris wieder.

„Manchmal ist es leider nicht so einfach, wenn noch andere Umstände damit verknüpft sind…“, seufzte er schwermütig.

„Wie ein Kind zum Beispiel?“

Yuri konnte selbst im diffusen Licht der Taschenlampe klar erkennen, wie Yosuke erbleichte und ihn Angst durchzuckte. Er starrte sie furchtsam an, sodass sie schnell den Lichtkegel ihrer Taschenlampe sinken ließ und zurück über den Waldboden führte.

„Nur rein hypothetisch, natürlich.“, erklärte sie ruhig.

Die Brünette sah sich beiläufig in der Umgebung um, damit sie Yosukes Blicken entgehen konnte und er Gelegenheit hatte, sich wieder zu fangen.

Er schüttelte seine Schockstarre ab und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass Yuri einen Nerv getroffen hatte und er einen Augenblick lang davon ausgegangen war, dass sie bescheid wüsste. Ganz konnte er sich von seinem Misstrauen jedoch nicht befreien, immerhin war sie Kazuyas Freundin und nur er wusste von ihm und Momoko. Wie ein aufmerksamer Wolf, der seine Umgebung mit den Ohren abhorchte und witternd die Nase in den Wind hielt, stellte er sich wieder zu Yuri und verfolgte mit ihr zusammen die Route.

„Sind Kinder für dich kein Grund, an einer Beziehung festzuhalten?“, fragte er vorsichtig und genau prüfend, wie sie sich verhielt.

Die junge Frau schaute ungerührt geradeaus und gab sehr überzeugend vor, dass dieses Gespräch nicht mehr als bedeutungsloser Smalltalk war.

„Hmm…“, seufzte sie langgezogen, so als würde sie angestrengt darüber grübeln. „Ich denke, dass Kinder auf jeden Fall ein Grund sind an einer Beziehung zu arbeiten und sein Bestes zu geben, anstatt einfach sofort aufzugeben. Aber wenn zum Beispiel Kazuya, wie du rein hypothetisch vorgeschlagen hast, nicht mehr glücklich mit mir wäre, weil er unter anderem in eine andere Frau verliebt ist… dann gibt es doch nichts mehr, an dem man arbeiten kann.“

„Du meinst, dann wäre es ok, sein Kind im Stich zu lassen?“, Entrüstung schwang in Yosukes Stimme mit.

Sie schüttelte energisch ihren Kopf.

„Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun! Nur weil er mich nicht mehr liebt bedeutet das doch nicht gleichzeitig auch, dass er seine Kinder nicht liebt. Natürlich wäre es nicht in Ordnung, dass er mich hintergangen und sich in eine andere verliebt hat, aber manchmal spielt das Leben eben so… Trotzdem könnte und würde er sicher sein Bestes als Vater geben. Man kann auch eine Familie sein, ohne dass die Eltern zusammen sind.“

Der Dunkelhaarige schnaubte unzufrieden.

„Stimmst du mir nicht zu?“

Er schüttelte kaum sichtbar den Kopf.

„Doch, aber das ist es nicht... Du und Kazuya, ihr seid einfach nicht das richtige Beispiel. Ihr seid viel zu perfekt.“

Yuri musste schallend auflachen.

Perfekt sind wir sicher nicht. Wir harmonieren nur ganz gut und reden viel, weißt du.“, erklärte sie, immer noch amüsiert lächelnd.

„Jetzt stell dir vor, einer der Elternteile ist nicht so vernünftig wie ihr. Er oder sie nimmt das Ganze sehr persönlich und lebt das auch vor dem Kind aus, versucht es vielleicht sogar negativ zu beeinflussen oder so gut es geht von dem anderen Elternteil fernzuhalten. Was dann?“

Er schaute ihr ernst ins Gesicht und sie erwiderte seinen Blick mit derselben Bedrücktheit.

Darauf hatte die kluge Grünäugige keine pfiffige Antwort parat, sie musste lange schweigend darüber nachdenken.

„Wenn es um meine Kinder ginge, dann würde ich alles daran setzten, dass es dazu nicht kommt. Zur Not nehme ich meine Rechte in die Hand und kämpfe auch gerichtlich dafür, denn aufgeben wäre keine Option.“

„Das sagt sich so einfach…“

„Ist es nicht, doch ich hoffe, dass der kämpfende Elternteil dann mindestens einen Menschen an seiner Seite hat, der mit ihm gemeinsam diesen Weg gehen würde. Zu zweit lässt sich einfach alles besser durchstehen.“

Sie lächelte überzeugt, darin lag keine Überheblichkeit.

In ihrem Blick lag so viel Wärme, dass sich Yosuke dieser nicht entziehen konnte und sich seine Mundwinkel ebenfalls hoben. Irgendwie hatte es Yuri geschafft, die dunklen Gedanken und Sorgen zu zerstreuen, die ihn immer wieder plagten.

»Vielleicht…«, dachte er zuversichtlicher als zuvor bei sich, »…ist doch nicht alles so verfahren.«

Erleichterung machte sich in ihm breit, die Last in seinem Herzen wich der Euphorie und obwohl er wusste, dass seine Gedanken unerträglich unfair Hiromi gegenüber waren, konnte er in diesem Augenblick an nichts anderes denken, als an Momoko.
 

~*~
 

Takuro und Hinagiku hatten, anders als ihre Freunde, weniger Glück auf ihrer Schnitzeljagd.

Auch eine halbe Stunde nach dem Startschuss irrten sie noch immer erfolglos und wenig orientiert durch das Unterholz. Es war Hinagikus übertriebenem Ehrgeiz geschuldet, dass sie viel zu schnell und ohne richtigen Plan losgezogen waren. Nun standen sie da, ohne wirklich zu wissen, wo genau auf ihrer Karte sie sich befanden oder ob sie nicht vielleicht sogar im Kreis liefen.

„Ich könnte schwören, an dem Baum hier sind wir schon mal vorbeigekommen.“, beteuerte Takuro besorgt und leuchtete eine der unzähligen Fichten an.

„Ach Quatsch, die Bäume sehen doch alle gleich aus!“, widersprach seine Partnerin energisch.

„Vielleicht lässt du mich doch mal einen Blick auf den Plan und den Kompass werfen?“, schlug er nachsichtig seufzend vor.

„Du glaubst wohl, ich kann das nich’, hä?“

Takuro ließ die Schultern sinken und beleuchtete einfach wieder den Weg vor ihnen, während sie mit ihrer Taschenlampe hochkonzentriert auf die Karte starrte und mit Blicken in die Umgebung auszumachen versuchte, wo sie waren und wohin sie mussten.

Da er nicht das Gefühl hatte, irgendetwas auf diesem ziellosen Marsch zu sagen zu haben oder sich irgendwie nützlich machen zu können, musterte der gelangweilte Schwarzhaarige aus dem Augenwinkel ihre Erscheinung. Er hatte genug davon, nur graue Bäume und Sträucher zu betrachten.

Hinagiku trug ein dünnes, strandgeeignetes Minikleid mit blumigen Mandala-Alloverdruck und einem legeren Tunnelzug auf Hüfthöhe. Der abgerundete Rocksaum war mit Häkelbordüre verziert und betonte vorteilhaft ihre schlanken, trainierten Beine, deren Füße ganz typisch für die sportbegeisterte junge Frau in leichten Turnschuhen steckten.

Ihr Äußeres, mit den schulterlangen Haaren und ihrem trotzigen Blick dazu, spiegelte sehr gut ihr Wesen wider: sie war eine junge Frau und zeigte sich auch gerne als solche, aber ließ sich trotzdem nicht in diese Schublade stecken. Schon als Kind war sie, entgegen der gesellschaftlichen Norm, ein vorlauter und dickköpfiger Wirbelwind gewesen, der immer in Bewegung war und sich auch in Streitsituationen von anderen nichts hatte sagen lassen.

Er lächelte unbewusst, weil er gerade in diesem Moment feststellte, dass sich Hinagiku, seit er sie kannte, im Prinzip kein Stück verändert hatte. Nur drei Dinge hatten sich geändert:

Sie war nun kein kleines Mädchen mehr, sondern war zu einer toughen und ansehnlichen Frau herangewachsen. Auch er war kein Kind mehr und vor allem nicht mehr die schwächliche Heulsuse aus der Oberstufe, auf der alle herumhacken konnten, wenn ihnen danach war. Er war inzwischen deutlich stärker und selbstbewusster, auch wenn ihm noch oft Gelegenheit und Mut fehlten, dies zu beweisen. Zum 3. hatte sich seine Beziehung zu Hinagiku verändert… sie waren schon lange keine Sandkastenfreunde mehr.

Während Takuro so darüber nachdachte wusste er nicht einmal mehr, ob sie überhaupt noch Freunde waren. Er selbst hatte versucht, sie aus seinem Leben zu streichen, doch jetzt, nachdem sie noch keinen halben Tag gemeinsam verbracht hatten, begann er sich bereits zu fragen, ob seine Gründe dafür nicht vielleicht doch irrsinnig und albern gewesen waren. Es stimmte – er hatte eigentlich keine Zeit, um Freundschaften ausgedehnt zu pflegen, dafür waren ihm seine Zukunftspläne und die damit verbundene Lernerei zu wichtig. Trotzdem hatte er sich an diesem Tag bereits mehrmals dabei erwischt, wie er die Zeit mit ihr genoss. Diese kurzen Momente, in denen sie beide ganz zufällig in frühere Verhaltensweisen zurückgefallen- und ausgelassen gewesen waren, hatten ihm etwas gegeben.

Hinagiku bedeutete ihm immer noch sehr viel.

„Ach, verflixt! Wir finden so nie einen Hinweis!“, fluchte sie just in dem Moment und riss entnervt die Arme hoch.

Takuro zuckte erschrocken zusammen und warf ihr einen vorsichtigen Blick zu.

Er war lieber auf der Hut; ihrem Temperament war zuzutrauen, dass sie den Kompass jeden Augenblick wütend in den Wald werfen- und anschließend sauer zurück zum Hotel stapfen würde.

„Ich würde dir ja gern wiederholt meine Hilfe anbieten, aber…“, warf er behutsam ein.

„Ja ja, ich weiß. Ich bekomme das ohne dein Streberwissen nich’ gebacken. Hier nimm.“, entgegnete sie unwirsch und drückte ihm direkt darauf auch schon die zwei wegweisenden Utensilien in die Hand.

Nicht gerade glücklich darüber, die Zügel ausgerechnet an Takuro abgegeben zu haben, verschränkte sie die Arme vor der Brust und schmollte. Der Brillenträger machte eine entschuldigende Miene, aber lächelte.

„Du bist eben mehr jemand für’s Grobe. Wenigstens kann ich dir so auch mal eine Hilfe sein.“

Und schon versenkte er seinen Blick in der Karte und richtete gekonnt den Kompass aus.

Hinagiku prüfte seinen Gesichtsausdruck. Sie kannte diese Miene; so hatte er schon immer ausgesehen, wenn er ganz in einer Aufgabe versunken war.

„Genau wie früher, nich’ wahr? Du bist und bleibst ein Theoretiker, während ich eher meine rohe, plumpe Ader raushängen lasse.“

Ihr leicht abschätziger Tonfall entging Takuro nicht, trotzdem blieb er gelassen und rechnete im Kopf aus, wie weit sie wohl laut Maßstab der Karte vom Strand entfernt waren, während er ohne aufzusehen antwortete.

„Ich halte dich nicht für plump. Dich macht mehr aus, als deine körperliche Kraft und Geschicklichkeit.“

Stutzend lachte sie leise in sich hinein. Als ob ausgerechnet er, der sich in letzter Zeit so vor ihr zurückgezogen- und überheblich entwickelt hatte, wusste, wer sie war.

„Und was wäre das bitteschön?“, hakte sie herausfordernd nach.

Seine rotbraunen Augen streiften selbstsicher ihren störrischen Blick, was sie verunsicherte.

„Du hast Freunde, oder nicht?“

Perplex fiel ihr darauf keine Antwort ein. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet.

Takuro schmunzelte, als er wieder auf den Plan sah.

„Du hast deine Offenheit und deine direkte, ungekünstelte Art. Du bist gesellig und auf deine eigene Weise hast du einen einmaligen Humor und schaffst es, in so gut wie jeder Situation, andere anzutreiben und mitzureißen. Und obwohl es Fremden so erscheinen mag, als wärst du manchmal etwas einfach gestrickt, kann man in jeder Lage auf dich als Freundin vertrauen.“

Hinagiku schluckte schwer und lief rot an. Ihre Ohren wurden ganz heiß bei all diesen Komplimenten aus seinem Mund. Überfordert von diesem ungewohnten Gefühl, begann sie zappelig auf der Stelle zu treten und sich wie ein Aal aus ihrer Verlegenheit zu winden.

„Du redest mal wieder totalen Dünnsinn.“, lamentierte sie halbherzig.

Takuro kicherte leise jungenhaft in sich hinein.

„Das klang vielleicht etwas schwülstig…“

Etwas?! Total!“

„..aber es ist die Wahrheit. Um diese Eigenschaften habe ich dich schon immer beneidet.“

Die junge Frau schüttelte sich vor Scharm und brachte Abstand zwischen sich und ihn.

„Ich kann mir diesen rührseligen Quark keinen Augenblick mehr länger anhören!“, presste sie angewidert zwischen ihren Lippen hervor.

Takuro schaute ihr verletzt hinterher.

„Was ist los mit dir? Verträgst du keine Komplimente?“

„Genauer gesagt ertrage ich keine Komplimente von dir!“, antwortete sie aufgebracht.

Ihre anfängliche Verlegenheit schlug plötzlich in Frustration um.

„Ich verstehe dich nicht…“, sagte der Dunkelhaarige ratlos.

Du verstehst mich nich’? Aus dir wird doch keiner mehr schlau, woher weiß ich denn, ob du das ernst meinst, was du da sagst, oder ob das alles nur ’ne Show für dich is’?!“

Er ließ Karte und Kompass sinken und sah nun nur noch Hinagiku an, der er mit der Taschenlampe hinterher leuchtete. Seine Haltung und seine Miene verhärteten sich, aber er sagte nichts, was sie nur noch rasender machte.

„Erst verschwindest du ohne ’nen Abschied für ein Jahr nach Amerika und tust so, als hättest du Zuhause niemanden mehr, der auf ein Lebenszeichen von dir wartet, und dann kommst du als total abgehobener Schnösel zurück und benimmst dich, als wär’n alle deine alten Freunde unter deinem Niveau! Und jetzt machst du plötzlich wieder einen auf nett – das raffe ich nicht!“

Takuro schnaubte verächtlich.

„Welche alten Freunde denn? Es hat sich doch nie jemand wirklich für mich interessiert.“

Mich hast du interessiert!“, fuhr sie ihm wütend über den Mund. „Und Yuri und Momoko haben auch immer hinter dir gestanden, selbst die Jungs hätten… ach was, vergiss es einfach. Ich wusste doch, dass man mit dir nicht mehr reden kann.“

Enttäuscht fuhr sie wieder herum und stapfte hinab weiter Richtung Strand.

Ihr bebrillter Partner blieb wie versteinert zurück. Mit weit offenen Augen starrte er ins Nichts und rekapitulierte ihre Worte. Nun war es offensichtlich, dass ihre gemeinsamen Kindheitserinnerungen auch ihr noch etwas bedeuteten.

Erst als sein Mund sich trocken anfühlte, fiel ihm auf, dass er ihm etwas einfältig wirkend offen stand.

„Hinagiku, warte!“, rief er ihr schließlich nach und stolperte halsbrecherisch den Hang hinunter.

Als er die Grünhaarige schnaufend eingeholt hatte, drehte sie sich mit genervtem Gesichtsausdruck zu ihm um.

„’Ne Entschuldigung kannst du dir sparen.“, nahm sie direkt vorweg. „Und das blöde Spiel kannst du allein weiterspielen, ich hab kein Bock mehr!“

Unwillig, seine Reaktion abzuwarten, machte sie große Schritte abwärts durch unwegsames Gelände.

„Wer sagt, dass ich mich entschuldigen wollte? Es sollte nur niemand von uns alleine und orientierungslos durch diesen Wald laufen, es gibt jede Menge steiler Passagen und Stolperfallen!“, konterte er unnachgiebig.

„Du kannst dich ja mit deiner tollen Karte gerne sicher nach Hause lotsen, ich komme schon auf meine eigene Weise unten an. Ich brauche zum Strand schließlich nur bergab laufen.“, entgegnete sie schnippisch.

Takuro, der noch gekränkt von ihrem vorherigen Ausbruch war und nicht wusste, welche Worte in dieser Situation die richtigen waren, grübelte angestrengt darüber nach, wie er dieses Gespräch fortführen konnte. Mit einer Mischung aus Verärgerung und Sorge sah er sekundenlang dabei zu, wie sie zwar geschickt jede Hürde abwärts überwand, aber der weiche Boden dabei unter ihren Füßen bedrohlich ins Rutschen geriet.

Eine weitere Warnung lag dem Schwarzhaarigen gerade auf den Lippen, als sich Hinagikus Fuß in einer Wurzel verfing und ihr spitzer Schrei die Nacht durchschnitt. Mit einem heikel aussenden Sturz vorwärts, rollte sie meterweit bergab, ehe sie inmitten von Baumnadeln und Erde auf dem Hang wieder Halt fand. Fluchend blieb sie an Ort und Stelle liegen.

Ohne zu zögern warf Takuro alles außer der Taschenlampe weg und lief seitwärts den Hang bis zu ihr hinab.

„Alles in Ordnung? Hast du dich verletzt?“

Zerknirscht versuchte Hinagiku sich mit schmutzigen Händen ihr zerzaustes Haar aus dem Gesicht zu streichen.

„Geht schon.“, murmelte sie fadenscheinig und begann sich mit zittrigen Fingern den Waldboden von ihren Armen und der Kleidung zu klopfen.

Natürlich glaubte er nur, was er auch selbst sah, also überprüfte er mit dem Lichtkegel seiner Lampe sorgfältig jedes ihrer Gliedmaßen.

„Du blutest am Knöchel.“ Stellte er schnell fest.

Hinagiku, die noch etwas unter Schock stand, blickte an ihrem linken Bein hinab, das Takuro mit besorgtem Blick anleuchtete.

„Ach, das ist nichts.“, behauptete sie leichthin.

Er kniff die rotbraunen Augen zusammen und schob seine Brille wieder das Nasenbein hinauf. Mit der freien Hand drückte er vorsichtig den Knochen um die blutende Stelle herum, woraufhin die verunglückte vor Schmerz stöhnend den Kopf in den Nacken warf.

Shit! Nimm doch deine Flossen da weg!“, schnauzte sie ihn an.

„Ich glaube, die Schürfwunde ist nicht weiter schlimm, aber dein Knöchel könnte verstaucht oder sogar angebrochen sein.“

„Erzähl doch so was nich’! Ich hab ihn mir nur vertreten.“

Demonstrativ hievte sich Hinagiku hoch, bis sie auf ihrem rechten Fuß sicheren Stand hatte.

Takuro sah ihr ungern dabei zu und blieb skeptisch.

„Siehst du? Nichts passiert.“

Halbherzig lächelnd humpelte sie einen kleinen Schritt vorwärts.

„Falscher Stolz ist an dieser Stelle unangebracht. Ich bin mir sicher, dass es dir höllisch weh tut.“

„Ich bin doch kein Weichei! Schau, ich kann ganz prima laufen.“

Ihr nächster Schritt wurde von einem weiteren, lauten Klagelaut begleitet, unter dem sich die junge Frau wieder auf den Boden sinken ließ. Mit beiden Händen umklammerte sie ihr pochendes Bein, als ob das den Schmerz lindern würde.

Ihr Begleiter ging seufzend neben ihr in die Hocke.

„Und es tut doch weh, richtig?“

Hinagiku biss sich trotzig auf die Unterlippe und starrte auf ihren blutenden Knöchel. Die Schmerztränen in ihren Augen, die sie mit aller Macht zurückdrängte, waren Antwort genug für den Schwarzhaarigen. Er kramte in seiner Hosentasche und zog ein sorgfältig gefaltetes Taschentuch heraus.

„Als erstes sorgen wir mal dafür, dass es aufhört zu bluten.“

„Oh, wie edel.“, setzte sie spöttisch beim Anblick des offensichtlich gebügelten Stoffes an. „Ein Stofftaschentuch. Fehlen ja nur noch die etepetete aufgestickten Initialen.“

Über Takuros Gesicht huschte ein Anflug von Unsicherheit.

Ertappt lächelnd schüttelte er das Tuch an einer Ecke festhaltend auf und hielt es ihr unter die Nase. Ihr Blick fiel sofort auf zwei in schönster Schnörkelschrift aufgestickte Großbuchstaben: T.A.

Hinagiku konnte sich ein schelmisches Lächeln nicht verkneifen, aber selbst er amüsierte sich über die Situation.

„Jedem Gentleman sein besticktes Stofftaschentuch.“, witzelte Takuro.

Im nächsten Moment nahm er den weißen Baumwollstoff zwischen die Zähne und zog unter ihren staunenden, braunen Augen so kräftig daran, dass sich ein Streifen löste. Das wiederholte er so oft, bis sich die Überbleibsel des Tuches wie ein Verband um ihren verletzten Knöchel wickeln ließen.

„So, bis zum Haus hält das.“, verkündete er nach Knüpfen des Knotens stolz.

„Wie, gehen wir nich’ zum Hotel zurück?“

„Nein.“, sagte er bestimmt und schaute hinter sich zurück ins Dunkel der Nacht. „Der Weg nach oben wäre für dich zu beschwerlich, außerdem ist die Minka nicht mehr weit von hier.“

Schluckend betrachtete die Grünhaarige ihren Verband; sie zweifelte daran, dass es überhaupt einen Weg gab, der für sie keine furchtbaren Schmerzen bedeuten würde.

„Und wenn du einfach Hilfe holst?“

„Und dich hier alleine im Dunkeln zurücklassen? Kommt nicht in Frage. Ich mag dir berechnend und schnöselig erscheinen, aber ich bin kein Stein. Ich trage dich nach Hause.“

Blut schoss ihr in die Wangen.

„Was?! Tragen?! Du mich?!“

Gekränkt verschränkte er die Arme vor der Brust.

„Du glaubst wohl, ich schaffe das nicht? Weil ich in Sport immer eine Niete war?“

Sie schluckte verlegen und suchte nach einer Antwort, die nicht irgendwie verletzend ausgelegt werden konnte, aber es fiel ihr keine ein, also schwieg sie schulterzuckend.

„Du würdest dich wundern, was du an mir alles neu entdecken könntest. Die Zeiten ändern sich; mein Auftreten ist nicht alles, was sich bei mir geändert hat.“

Mit diesem Satz ging er vor ihr in die Hocke und wartete darauf, dass sie auf seinen Rücken kletterte.

Mit mulmigen Gefühl gab sie seiner stummen Aufforderung nach und schlang ihre Arme um seinen Hals. Auffallend behutsam legte er seinen Arm unter ihr lädiertes Bein und stemmte sich dann vom Boden ab.

„Ich bin dir doch bestimmt zu schwer. Was ist, wenn du wegen mir auch fällst?“

„Bis zum Haus werde ich dich wohl schaffen und wenn du mir den Weg leuchtest, werde ich auch nicht so schnell fallen. Ich laufe seitwärts zum Hang, das ist sicherer.“

Hinagiku tat wie ihr geheißen und beleuchtete zuverlässig den Weg zu Takuros Füßen.

Er ließ es sich nicht anmerken und klagte auch nicht ein Mal über ihr Gewicht, aber es fiel ihr trotzdem auf, dass er nach einer Weile Mühe hatte, ihr gemeinsames Gewicht sicher über den nachgiebigen Waldboden zu balancieren. Es war nicht abzustreiten, dass das für Takuro Amano eine körperliche Glanzleistung war, die er da tapfer vollbrachte und das ließ sie neben Verlegenheit auch ein kleines bisschen Stolz empfinden.

Nicht ein Wort wechselten die beiden während ihrem Marsch durch den Wald. Hinagiku war das alles zunehmend peinlich – eben noch hatte sie ihn angegriffen und im nächsten Moment, ohne dass sie sich ausgesprochen hatten – half er ihr ohne Zögern aus einer Notlage. Noch dazu auf eine überaus heldenhafte Art und Weise, die ihr Gesicht immer wieder zum Glühen brachte. Früher, als Kinder und selbst noch als Jugendliche, war es genau anders herum gewesen, da war immer sie diejenige gewesen, die ihm geholfen hatte.

„Wir sind da. Meinst du, du kannst den Rest auf mich gestützt gehen?“

Vor ihnen lagen die gepflasterten Wege hinüber zur Minka, in der noch kleinere Lichter brannten.

„Ja.“, antwortete sie dankbar und rutschte von seinem Rücken runter auf ihren gesunden Fuß.

Takuros Stirn glänzte unter seinem Pony und er atmete schwer, trotzdem versuchte er sich in einem ermutigenden Lächeln, als er ihren rechten Arm über seine Schultern legte, um sie zu stützen.

Am Engawa hob der schmale junge Mann Hinagiku noch mal in seine Arme und trug sie unter leisem Protest ins Haus bis in die Küche, wo er sie auf einem der hohen Hocker absetzte, um den Verbandskasten zu holen. Das verschaffte ihr wertvolle Minuten, in denen sie ihren Puls wieder entschleunigen- und ihre Gedanken wieder ordnen konnte.

Mit Verbandskasten und gezücktem Handy kehrte Takuro zurück in die Küche.

„Ich habe den anderen eben geschrieben, dass wir nicht mehr am Spiel teilnehmen und Zuhause sind, weil du dich verletzt hast.“

„Oh nein, jetzt kommen sie doch bestimmt gleich alle überbesorgt nach Hause…“

„Nein, nein. Ich habe sie auch wissen lassen, dass sie sich keine Sorgen machen müssen, weil ich alles im Griff habe.“

Diese Aussage ließ Hinagiku ausnahmsweise ohne Murren oder einen spitzen Kommentar so stehen, immerhin hatte er nicht ganz unrecht.

Mit ziemlich viel Geschick reinigte er ihre Schürfwunde mit Jod, nachdem er ihr zuvor die Turnschuhe ausgezogen- und den provisorischen Verband entfernt hatte. Obwohl es höllisch brannte, verzog sie keine Miene, damit sie sich nicht noch mehr die Blöße gab. Sie schämte sich ohnehin schon unendlich.

„Wehe du erzählst auch nur einem von ihnen, dass du mich tragen und verarzten musstest, sonst brech’ ich dir irgendwas!“, zeterte sie besorgt um ihren Ruf.

Ihre Aussage ignorierte er mit einem kurzen Lächeln.

„Hältst du mich wirklich für arrogant und selbstverliebt?“, fragte er sie stattdessen aus heiterem Himmel, während er ihr ohne aufzusehen einen neuen Verband anlegte.

Vor Überrumpelung fiel Hinagiku dazu keine Antwort ein.

„So hast du mich heute beim Suikawari bezeichnet, weißt du noch? Und vorhin nanntest du mich einen Schnösel.“, ergänzte er und sah zu ihr auf, sein ernster Blick machte sie ganz nervös. „Sehen du und die anderen mich wirklich so?“

„Na ja…“, setzte sie unschlüssig an und machte eine entschuldigende Miene, die ihm schon Antwort genug war.

Seufzend richtete er sich auf und ging zum Kühlschrank, aus dem er eine Wasserflasche und einen Gel-Kühlakku holte, den er danach in eine Kompressionsbandage aus dem Verbandskasten steckte.

„Schon gut, mir war schon fast klar, dass es so sein muss.“

Wortlos legte er Hinagiku die wohltuende Bandage an und löste eine Schmerztablette aus dem Blister, die er ihr zusammen mit dem Wasser reichte.

„Und das is’ alles, was dir dazu einfällt? Bist du etwa stolz darauf, dass es so is’?“

„Ich bin stolz darauf, was ich bisher erreicht habe und was ich noch erreichen werde. Ist es verkehrt, meine Persönlichkeit ein wenig meinem Lebensstandard anzupassen?“

„Ähm… ja? Wenn es aus dir einen unnahbaren und berechnenden Menschen macht, der sich anderen gegenüber herablassend verhält, nur weil sie nicht in seine neue, exklusive Welt passen, dann schon. Du kannst nämlich ein echter Kotzbrocken sein.“

„Kotzbrocken?“, wiederholte Takuro verwirrt.

„Ja! Was auch immer du jetzt darstellen willst, dafür respektiert oder bewundert dich keiner ernsthaft. Dein Verhalten geht den Leuten höchstens auf den Keks. Glaubst du, dass du mit dieser Nummer Momoko beeindruckst?“

Takuro reagierte schmallippig. Wenn es um seine Verlobte ging, war er empfindlich.

„Ich muss unsere Beziehung nicht vor dir rechtfertigen.“, sagte er hart.

„Stimmt, aber für dein Verhalten musst du dich rechtfertigen.“

Eine Weile sagten sie nichts, sondern sahen nur dem jeweils anderen in die störrischen Augen.

„Ich hab dich durchschaut: Du bist so abweisend den anderen und mir gegenüber, weil wir Momokos Freunde sind und Einfluss auf sie haben. Du bist so darum besorgt, wie sie von dir denkt, dass du uns am liebsten aus eurem Leben streichen würdest, damit wir ihr nich’ einreden können, dass eure Verlobung vielleicht ein Fehler war.“

Atemlos ließ sich Takuro auf dem Hocker neben ihr sinken. Plötzlich bloßgestellt fühlte er sich nackt und angreifbar. Hinagiku hingegen wirkte traurig.

„So wie es früher war, war doch alles gut…“

„An meinem früheren Ich war nichts gut. Momoko hätte sich für mich nie interessiert, wenn ich mich nicht verändert hätte.“

„Wieso sagst du das? Woher willst du das denn wissen? Du warst der klügste Junge den ich kannte, wusstest immer auf alles eine Antwort und hast niemanden je etwas getan! Wir hatten früher viel Spaß miteinander – was war schlecht an deinem alten Ich?“

„Mo-…“

„Sag nicht wieder, dass Momoko dich sonst nie wahrgenommen hätte.“, fiel sie ihm genervt ins Wort. „Selbst wenn Momoko nicht deine Freundin geworden wäre, hätte sich bestimmt ein anderes Mädel gefunden, dass dich genau so gemocht hätte, wie du warst.“

„Ach ja? Welches denn?“

Hinagiku errötete und rang wild gestikulierend nach Worten.

„Ist doch egal! Es wäre sicher so gewesen, basta!“

Wieder schwiegen sie sich an, diesmal schauten sie allerdings aneinander vorbei. Die junge Frau aus Verlegenheit und Takuro, weil er über ihre Worte nachdachte.

Die Versuchung nachsichtig mit seiner alten Sandkastenfreundin zu sein und sich auf sie und ihre Worte einzulassen war groß, aber sein falscher Stolz machte ihn widerspenstig. Er hatte zu viele Jahre damit verbracht sich dafür zu schämen, dass er ein Streber und in den Augen vieler anderer ansonsten ein Versager war. Momoko hatte ihn in der Mittelschule nicht als Jungen beachtet und dass sie sich ihm jetzt zugewandt hatte, lag in ihrem privaten Unglück und einem Zufall begründet. Er hatte so viel versucht, um ihre Gefühle für sich einzunehmen und verbuchte nun erste Erfolge – warum sollte er also an sich und seinem Vorgehen zweifeln?

„Ich habe alles was ich mir wünschen könnte. Eine gesicherte Zukunft und das Mädchen meiner Träume an meiner Seite. Wieso sollte ich da wieder mein altes Ich zurück wollen?“

Die Grünhaarige seufzte schwer.

„Ich sage ja nich’, dass du alles wieder aufgeben sollst… ich meinte ja nur, das du allen so wie früher vielleicht etwas lieber wärst. Mir auf jeden Fall.“

Bedeutungsschwanger warf sie ihm einen langen Blick aus ihren braunen Augen zu, die von rosa gefärbten Wangen betont wurden.

Takuro, dem einen Moment lang das Herz höher schlug, räusperte sich mit vorgehaltener Hand.

„Es tut mir leid, dass ich dich selbstverliebt, arrogant und schnöselig genannt habe.“, wechselte Hinagiku das Thema.

Verdutzt schaute er ihr ins Gesicht, doch sie hatte den Blick gesenkt, weil ihr diese entschuldigenden Worte nicht leicht über die Lippen kamen.

„Ich hätte nur gerne meinen alten Freund zurück, das ist alles.“, ergänzte sie wehmütig.

Sie wollte sich für ihre Rührseligkeit am liebsten ohrfeigen, denn das passte so gar nicht zu ihrer sonst so coolen Art, aber sie hatte das Gefühl, wenn sie es Takuro jetzt nicht sagen konnte, dann würde sich dafür vielleicht nie wieder eine Gelegenheit ergeben.

Der Dunkelhaarige betrachtete sie staunend, ihm fehlten die Worte. Hinagiku hatte nun schon mehrfach an diesem Abend angedeutet, dass ihr noch etwas Echtes an ihm lag, aber es jetzt so deutlich zu hören verwirrte etwas tief in seinem Inneren. Eben noch hatte er ihr stumm recht gegeben, als sie erwähnt hatte, dass er sie und alle anderen Freunde von Momoko am liebsten aus Angst, um seine Beziehung zu ihr, aus seinem Leben streichen wollte. Doch seine Gefühle jetzt in diesem Augenblick spielten ihm einen Streich und zerrten an jeder seiner Fasern, damit über seine Lippen kam, dass auch er sie nicht als Freundin verlieren wollte.

Bis eben hatte es nur Momoko gegeben, der er eine Priorität in seinem Leben zugestand, aber es war, als hätten Hinagikus Worte einen Vorhang gelüftet und sein Blickfeld erweitert – es gab tatsächlich noch mindestens einen Menschen neben ihr, dem er nicht egal war und den es tangierte, wie er sich verhielt.

„Tut mir leid.“, antwortete er ihr schlicht.

Es blieb unklar, wie er seine Worte meinte; ob bedauernd, weil er sie enttäuschen musste, oder weil es ihm leid tat, dass er bis eben nicht hatte sehen wollen, wie sie sich fühlte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Vorgeschichte zu "Love at third sight"
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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Homumaus
2017-10-06T10:32:52+00:00 06.10.2017 12:32
Hallo :)
Ich hab deine ff seit kurzem für mich entdeckt (anhaltender WP Flash :D) und ich hab sie innerhalb einer Woche komplett gelesen XD
Wie ich das geschafft habe, obwohl ich nebenbei noch arbeiten gehe ist mir zwar ein Rätsel, aber ich konnte einfach nicht aufhören sie zu lesen!! Dein Schreibstil ist unheimlich flüssig und fesselnd und allgemein total toll zu lesen <3

Und ich muss gestehen, dass ich Takuro bisher eig nich wirklich leiden konnte, aber du kriegst es hin das ich ihn mit Hinagiku zusammen irgndwie süß finde!? D: ich frag mich die ganze Zeit "wie konnte das denn passieren" XD

Das Gespräch zwischen Yuri+Yosuke hat mir auch verdammt gut gefallen! Yuris Reaktionen waren iwie total witzig XD erst total schockiert und dann hat es ihr langsam gedämmert worauf er hinaus will. Man merkt auch wirklich wie sehr sie Kazuya liebt! Das war echt süß!

Ich hoffe Yosuke hat das Gespräch mit ihr etwas auf die Sprünge geholfen!

Ich weis das du zur Zeit viel um die Ohren hast (fb) aber ich hoffe trotzdem dass du iwann wieder Zeit zum Schreiben findest! Mein Abo hast du aufjedenfall!

LG Homu

Von: abgemeldet
2017-09-14T16:07:03+00:00 14.09.2017 18:07
Wow das war aber spannend das Kapitel ist dir sehr sehr gut gelungen :)

I schließe mich den anderen an:) i binngespanng auf das nächste Kapitel ;)
Von:  Mayosch
2017-08-16T19:53:25+00:00 16.08.2017 21:53
Hey,
das Kapitel ist dir wirklich gelungen. Ich kann mich den anderen nur anschließen. Ich freue mich auf das nächste Kapitel. Natürlich wünsche ich allen ein Happy End aber ich hoffe, dass du es den Charakteren nicht leicht machen wirst :)

Gruß

Mayosch
Von: abgemeldet
2017-08-08T19:05:19+00:00 08.08.2017 21:05
Omg omg omg omg omg omg

Mein herz rast , dasss is ja besser wie ein Film ^^ wo ist die Fortsetzung


Das wäre geil dass endlich alle ihr happy end finden aber eine schöne Szene. Zw takuro und hina wäre cool ;)


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