~ Love at third sight ~ von Nea-chan (Mit dem Herz gegen alle Regeln) ================================================================================ Kapitel 36: Loneliness, Longing, Linked --------------------------------------- Noch in der Nacht von Samstag zu Sonntag, bekam Momoko einen Anruf ihrer beiden Freundinnen. Etwas verkatert und vor allem nuschelnd, erklärte sie deshalb nur stichpunktartig, was vorgefallen war. Takuro hatte Recht behalten; Yosuke war tatsächlich in den Club zu ihnen zurück gegangen, um bescheid zu sagen, dass sie nicht wiederkommen würde. Sorgen hatten sie sich trotzdem gemacht, deswegen der nächtliche Anruf... Mehr hatte Momoko leider nicht über Yosuke erfahren, denn danach war er, ohne vor ihnen weitere Worte über das Passierte zu verlieren, endgültig gegangen. Sie und er hatten sich kaum ausgesprochen und endlich alle Missverständnisse ausgeräumt, da war es auch schon wieder vorbei. Obwohl es das Richtige war, dachte die junge Frau wehmütig daran zurück. Er war ihr einziger, wirklicher Freund in diesen umbruchsreichen Zeiten gewesen; ein Verbündeter, ein Vertrauter… und er hatte ihr etwas gegeben, dass sie glaubte nirgendwo anders jemals wieder finden zu können. Unbeschwertheit und Leidenschaft. „Hanasaki-kun? Träumst du?“ Momoko schreckte hoch. Über sie und ihren Tisch, an dem sie saß, beugte sich ihre Mitschülerin Yuko. Ihre haselnussbraunen Augen musterten sie neugierig. „Alles in Ordnung? Der Unterricht ist doch schon vorbei und wir beide sind noch mit Raumdienst dran.“, plapperte sie munter weiter. Die Rosahaarige konnte nicht verstehen, wie man an so dermaßen gut gelaunt und überdreht klingen konnte. Mit Ach und Krach hatte sie sich zur Schule gequält, nachdem sie fast den gesamten gestrigen Tag damit zugebracht hatte, sich vor ihrem Verlobten für ihr Verhalten am Samstagabend zu rechtfertigen und seine Konsequenzen hinzunehmen. „Ich war etwas in Gedanken. Was soll ich denn machen?“, fragte sie ihre Klassenkameradin lustlos, ehe diese noch dachte, sie hätte ihre Zunge verschluckt. „Du könntest die Tafel abwischen und ich kümmere mich um die Tische.“ „Gut.“ Sie stand auf und rückte ihren Stuhl wieder ordentlich zurück. Ihr Platz war in der mittleren Reihe weiter hinten, wo es zum Glück nicht auffiel, wenn man im Unterricht mit seinen Gedanken woanders war. Heute war so ein Tag, an dem sie eigentlich nur dekorativ im Klassenzimmer gesessen hatte, ohne etwas vom behandelten Stoff mitzubekommen. Momoko war beileibe nicht die beste Schülerin, aber manchmal konnte sie ihren Kopf nicht ausschalten. Takuro war zwar ruhiger und sachlicher mit ihr ins Gericht gegangen, als Vorgestern im Auto, aber trotzdem hatte er nicht vor, von seinem Vorhaben, sie ab nun strenger zu kontrollieren, abzurücken. Mit viel Überredungskunst hatte sie ihn gerade noch davon abbringen können, darauf zu bestehen, dass sie zu ihm in seine geliehene Villa zog. Momoko tauchte einen Schwamm in ihren Eimer mit Wasser, mit dem sie dann über die dunkelgrüne Tafel wischte. Während sie Bahn um Bahn von Kreideresten befreite und die Fläche in neuem, fast jungfräulichen Glanz erstrahlte, sinnierte sie weiter vor sich hin. Natürlich war auch das umstrittene Foto von Yosuke wieder zur Sprache gekommen. Darauf war sie jedoch diesmal vorbereitet gewesen. Sie konnte Takuro sachlich erklären, wie es dazu gekommen war, dass sie das Bild hatte und vor ihm verstecken wollte. Ausnahmsweise musste sie ihn dazu mal nicht belügen. Sie hatte es unbewusst, ohne Absicht geschossen. Als sie es im Beisein ihres Verlobten entwickelt hatte, hatte sie befürchtet, er würde zu Unrecht eifersüchtig reagieren, wenn er es sehen würde. So war es letzten Endes ja auch gekommen… nur, dass es inzwischen sehr wohl einen Grund zur Eifersucht für ihn gab… Darüber verlor Momoko natürlich nicht ein einziges Wort, jeden Vorwurf in diese Richtung tat sie als lächerlich und nichtig ab und schlussendlich war Takuro gezwungen, ihr zu glauben. Grummelnd zwar, aber er war zu sehr von ihrer Beziehung besessen, als dass er ihr weiterhin irgendwas unterstellen würde, das diese gefährden könnte. „Lass uns nicht mehr von diesem Tag sprechen, wir vergessen es einfach. Ich will mich nicht mit dir streiten… Das nächste Mal werde ich dich einfach begleiten.“, hatte er freudestrahlend beschlossen. „Ich hole dich morgen Abend wieder von deiner Arbeit ab. Bitte ruf mich aber an, wenn du Unterrichtsschluss hast.“, hatte er ergänzt und dem frisch besiegelten Frieden somit einen gehörigen Dämpfer verpasst. Aus Trotz hatte sie sich heute noch nicht bei ihm gemeldet, obwohl er das so wollte. Momoko seufzte und wischte sich die Stirn mit dem Handrücken ab. Es war entsetzlich schwül an diesem Tag. „Schreckliches Wetter, oder?“, hörte sie Yuko hinter sich sagen. Ihre beiden Blicke gingen zu den Fenstern, gegen die heftiger Regen prasselte. Schon am Morgen hatte sich schlechtes Wetter angekündigt, aber ab der ersten Schulstunde hatte es dann abrupt angefangen ununterbrochen zu regnen. Kein Wunder; sie hatten wochenlang warmes, sonniges Wetter gehabt. Es war sogar so warm gewesen, dass viele Schülerinnen – sie eingeschlossen – ihre Winteruniform, mit dem langärmeligen Oberteil, gegen die kurze Sommeruniform getauscht hatten. Sie trugen nun weiße Blusen, statt ihren schwarzen Trikots und dazu das gewohnt rote Halstuch. Jedenfalls war heute der Tag gekommen, an dem sich die angestauten Wassermassen entluden. „Schrecklich ist eigentlich nur, dass es trotzdem so drückend warm ist.“, entgegnete die Blauäugige und stellte gleichzeitig ihre Arbeit fertig. „Wie weit bist du denn mit den Tischen?“, fügte sie noch höflich fragend hinzu. „So gut wie fertig – würdest du denn schon die ersten Stühle hochstellen?“ Momoko nickte, räumte ihren Putzeimer weg und machte sich ans Werk. Bei allem was sie tat fühlte sie sich demotiviert, lustlos und leer. Dieses Gefühl hielt schon an, seit sie am Samstag von Takuro heimgebracht worden war. Sie wusste, dass es daran lag, dass sich ihre Sicht auf die Dinge… nein; auf ihn verändert hatte. Ein Teil von ihr wollte gegen diese Verlobung und alles, was damit zusammen hing, rebellieren. Der andere Teil hatte resigniert, einfach aufgegeben und sich in sein Schicksal gefügt. So zuwider ihr das auch war, ihr blieb nach wie vor keine andere Wahl, als an der Vereinbarung mit Takuro festzuhalten. »Und trotzdem…«, erlaubte sie sich einen leisen, gedanklichen Widerspruch. Es war, als spiegelte der Regen ihren seelischen Zustand wieder. Düster, grau und traurig sah es in ihr aus. Takuro würde wahrscheinlich alles, nach und nach, still und leise ersticken, was noch ein kleinwenig Sonne und Lebendigkeit in ihr verfahrenes, bereits durchgeplantes Leben bringen konnte. Alles, was sie nicht in seine Arme trieb, war ihm ein Dorn im Auge. Momoko sah die Rinnsäle an den Fensterscheiben ihres Klassenzimmers hinab gleiten und seufzte. War das der Anfang einer Depression? Oder war sie einfach nur einsam und mutlos? „Beobachtest du auch den Typen da unten?“, riss Yuko sie erneut aus ihren Gedanken. Verwirrt blinzelte sie ihre Mitschülerin an. Das junge Mädchen beachtete sie gar nicht, sondern renkte sich bald den Hals bei dem Versuch aus, durch das vom Regen verzerrte Glas anständig nach draußen schauen zu können. „Der steht schon eine ganze Weile am Schultor und hat nicht mal ’nen Regenschirm dabei, der arme Kerl…“ „Vielleicht wartet er ja auf einen Freund oder so. Ist doch nichts Ungewöhnliches.“, kommentierte die Blauäugige desinteressiert und stellte währenddessen die letzten beiden Stühle hoch. „Im Regen? Da hätte er auch unter der Aula warten können. Nein, nein, der hier ist nicht mal von unserer Schule. Er hat eine ganz andere Uniform an.“ Momoko ließ vor Schreck den letzten Stuhl etwas zu laut auf die Tischplatte gleiten. »Oh nein, Takuro wird jetzt doch nicht auch noch anfangen, mich von der Schule abholen zu wollen, um mich höchstpersönlich zur Arbeit zu bringen?« Ihr wurde flau im Magen bei diesem Gedanken. Zwar war nichts dergleichen zwischen ihnen ausgemacht, aber zuzutrauen war es ihm trotzdem. Vielleicht wollte er sie testen. Etwas ängstlich näherte sie sich der Fensterfront, um ebenfalls einen Blick zu riskieren und spähte auf den fast gänzlich verlassenen Schulhof. Yuko neben ihr deutete auf einen Pfeiler des Schultors. „Da hinten steht er. Ich erkenne zwar nicht viel, aber der sieht gut gebaut aus.“, schwärmte sie anerkennend. Der Rosahaarigen klappte vor Staunen der Mund auf, als sie durch die Wand aus Regen wider Erwarten keinen schwarzhaarigen Brillenträger mit Pferdeschwanz erkannte, sondern einen brünetten, jungen Mann mit breiten Schultern und Fußballerstatur. „Yosuke…“, kam ihr flüsternd über die Lippen. Plötzlich überschlugen sich ihre Gefühle und ihr Herz begann zu Rasen. Wo eben noch Trostlosigkeit und Leere waren, kämpften nun Überraschung, Freude, Erschrecken und Verwunderung um die Vorherrschaft. So wach und lebendig war sie in den ganzen letzten 36 Stunden nicht gewesen! „Kennst du den etwa?“, hakte ihre Klassenkameradin neugierig nach, als ihr nicht verborgen blieb, dass auf einmal Schwung in Momokos Bewegungen kam. Überaus hektisch drehte diese sich weg, schnappte sich im Vorbeilaufen ihre Tasche von ihrem Tisch und flitzte wie angestochen zur Tür, wo sie sich noch mal zu ihrer Kommilitonin umdrehte. „Wir sind hier ja fertig? Bis morgen dann also, Yuko!“, rief sie mit hoher Stimme und winkte ihr im Losgehen halbherzig zu. Ganz verdattert blieb die junge Frau zurück. Weil Rennen auf den Fluren, wie überall im Schulgebäude, verboten war, blieb Momoko nichts anderes übrig, als mit übertrieben großen, schnellen Schritten den langen Flur bis zur Treppe entlang zu hechten. Am unteren Ende der Treppe fühlte sie sich aber unbeobachtet genug, um die wenigen Meter bis zu ihrem Schließfach schnell laufend zu überwinden. Jetzt konnte ihr nur noch der Schuhwechsel und das Umpacken ihrer Schulsachen nicht schnell genug gehen. Noch immer jagte ihr Puls und sie spürte, wie ihre Glieder vor Aufregung zitterten, aber es war keine unangenehme Aufregung. Zumindest nicht ausschließlich. Eine gewisse Spannung und Vorfreude durchzuckte sie. An der Automatiktür ihrer Schule angekommen, vergaß sie in der Hektik fast ihren Schirm, der in einem der extra aufgestellten Ständer neben vielen anderen stand und auf Gebrauch wartete. Am gegenüberliegenden Ende ihres Weges konnte sie Yosuke bereits sehen. Momoko atmete noch ein paar Mal tief durch, um ihr wie wild klopfendes Herz und damit auch ihre Nerven, wenigstens ein bisschen zu beruhigen, bevor sie ihren großen, transparenten Schirm aufspannte und nach draußen in den Regen trat. Der Torwart hatte sie noch nicht bemerkt. Angelehnt an den Pfeiler stand er da und strich sich nachdenklich sein regennasses Haar aus dem Gesicht. Erst als Momoko schon die Hälfte des Weges zu ihm hinter sich gebracht hatte, sah er zufällig doch mal in ihre Richtung und erstarrte, genau wie sie, mitten in der Bewegung. In einem Sekundenbruchteil loteten sie anhand ihrer Körpersprache aus, wie die Gesinnung des jeweils anderen war. Dann löste sich zuerst die Schülerin aus ihrer Starre und rannte, ungeachtet der Hausregeln, auf ihn zu, sodass das Wasser unter ihren Schuhen in alle Richtungen spritzte. Yosuke beobachtete sie mit großen Augen. „Was tust du denn hier?!“, war das Erste, dass sie ihm ungläubig entgegen rief. Er wusste nicht, ob er auf diese Begrüßung perplex oder entrüstet reagieren sollte, aber dazu ließ ihm die Blauäugige keine Zeit, denn schon im nächsten Moment zerrte sie ihn am Arm hinter die Schulmauer auf den Hof. „Wenn Takuro mitbekommt, dass du hier bist, macht er uns beide einen Kopf kürzer!“, erklärte sie aufgeregt flüsternd und warf vorsichtig einen Blick hinter das Tor, um zu schauen, ob die Luft rein war. „Ich freue mich auch, dich zu sehen.“, witzelte der Dunkelhaarige völlig am Thema vorbei. Momoko sah ihn verwirrt an, musste beim Anblick seines zaghaften, schiefen Lächelns aber ebenfalls schmunzeln. Es war schon eine recht ungewöhnliche Situation. Er lächelte sie an, das war ein gutes Gefühl. Keine kalte, abweisende Miene; kein schroffer Ton, keine bösen Worte. Alles war gut. „Tut mir leid, aber ich war so erschrocken, dass du hier bist… und er würde wirklich durchdrehen! Es war leichtsinnig herzukommen. Wieso bist du überhaupt hier? Woher weißt du eigentlich, wo ich zur Schule gehe?“, sprudelte es nur so aus ihr heraus, was sie sich in Gedanken schon die ganze Zeit fragte. Yosuke legte sein Lächeln ab, aber in seinen Augen blieb der warme Ausdruck bestehen, der verriet, dass er sich insgeheim freute sie zu sehen. „Es muss dir nicht leid tun. Ich weiß, ich hätte nicht herkommen sollen, aber ich wusste auch nicht, dass ich hier eventuell mit Takuro rechnen muss.“ Er senkte selbstermahnend den Blick und dachte nach. Seiner kurzen Erklärung hing noch ein unausgesprochenes Aber an, dem Momoko nur allzu gern auf den Grund gehen wollte. „Aber…?“, hakte sie vorsichtig nach. Er sah sie aus seinen braungrünen Augen an, fast entschuldigend. „Aber ich musste wissen, ob es dir gut geht.“, antwortete er nervös. Sein Gegenüber errötete und blinzelte verlegen, er selbst versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Die Rosahaarige schüttelte ihre Perplexität schnell wieder ab und straffte sich. „Nun, wie du siehst stehe ich taufrisch wie immer vor dir.“, scherzte sie halbherzig und erbarmte sich, ihren Schirm auch über den triefnassen Torwart zu halten. „Danke.“, sagte er daraufhin und versuchte erneut, das Regenwasser davon abzuhalten, ungehindert von seinem Haaransatz in sein Gesicht zu laufen. „Aber um das zu erfahren hättest du doch nicht bei diesem Wetter und ohne Schirm herkommen müssen? Kazuya hätte es dir doch bestimmt erzählt, wenn du gefragt hättest.“ „Ich wollte es aber von dir selber hören. Kazuya und die anderen… sie erfahren doch auch nur das, was du ihnen sagst. Was wirklich in dir vorgeht kann ich nur wissen, wenn ich dir selbst dabei in die Augen sehe.“ Ihre blauen Augen flackerten verletzlich auf. Momokos Puls beschleunigte sich. Denn sein Blick war durchdringend und prüfend; so, als würde er in diesem Moment alles aus ihrer Seele herauslesen, was sie in den letzten anderthalb Tagen bewegt hatte. Reflexartig kniff sie ihre Lider zusammen und massierte sich mit zwei freien Fingern die Stelle zwischen ihren Augenbrauen. Es war ihr unheimlich, dass Yosuke, nachdem sie kaum drei Minuten miteinander sprachen, bereits dabei war sie zu durchschauen. „Ähm, ja… okay… und wie kommst du hierher?“, lenkte sie nervös ab. Er setzte ein lässiges Grinsen auf. „Glaubst du, ich könnte anhand deiner Uniform nicht auch deine Schule bestimmen? Was du kannst, kann ich schon lange. Davon abgesehen, wissen Yuri und Hinagiku natürlich, auf welche du gehst.“ „Und hast du es dir nun leicht gemacht, oder wirklich nachgeforscht?“, hinterfragte sie neugierig. „Ist das denn wichtig? Ich bin hier.“, antwortete er ruhig. Das war er, aber er durfte nicht hier sein. Dieser Gedanke holte Momoko wieder in die bittere Wirklichkeit zurück. Angespannt schmulte sie ein weiteres Mal um das Schultor herum, konnte aber weit und breit keinen verdächtigen, schwarzen Wagen ausmachen. „Wir sollten hier nicht länger zusammen so herumstehen, das fällt irgendwann auf.“ Yosuke wusste selber nicht genau, wieso er sein Training in der trockenen Sporthalle für diesen Spontanbesuch hatte sausen lassen. Sein Verstand sprach eine äußerst deutliche Sprache und ließ ihn verstehen, dass er es, für sie und sich, alles nur noch schwieriger damit machte. Doch schon als er sie im Regen auf sich zukommen sah, wurde es ihm leichter ums Herz. Er wusste nicht mehr, was er erwartet hatte, als er sich um sie gesorgt hatte. Takuro war ja vieles zuzutrauen, aber er würde Momoko niemals anrühren. Nach außen hin ging es ihr gut, sie war unbeschadet, ging ganz normal zur Schule und schaffte es bereits in den ersten Sekunden ihres Aufeinandertreffens, ihm ein Lächeln zu entlocken. Eine leise Stimme in seinem Kopf fragte sich, ob er wirklich nur gekommen war, um nach ihr zu sehen oder ob er hier war, weil sie es irgendwie schaffte, nur mit einem Augenaufschlag und dem einem Anflug eines Lächelns, das Grau aus seinen Gedanken zu vertreiben. Aber sie hatte auch die Macht ihn jeder Zeit wegzuschicken, wenn ihr seine Gesellschaft zu brenzlig wurde. „Naja… Wir haben sowieso dieselbe Richtung, gehen wir ein Stück zusammen?“, brach Momoko schließlich das kurze Schweigen. Sein Herz machte einen glücklichen Hüpfer, als sie das sagte und sich ihre Mundwinkel dabei schüchtern anhoben. „Aber bist du nicht mit Fahrrad hier?“, gab er zu bedenken, denn er wollte ihr Angebot nicht zu selbstverständlich annehmen, obwohl alles in ihm vor Aufregung kribbelte. Die junge Frau warf einen Blick zu den Fahrradständern auf der anderen Seite des Tores und hielt ihm dann den Schirm, sowie ihre Schultasche hin. „Hältst du das mal bitte kurz? Ich hole es eben.“ Wortlos nahm er ihre Sachen entgegen und sah dabei zu, wie sie durch den Regen zu ihrem Fahrrad flitzte, um es abzuschließen. Er rüttelte sich selber kopfschüttelnd wach, als ihm klar wurde, dass er ihr mit dem Schirm hätte folgen sollen und holte das umgehend nach. Die Rosahaarige warf ihre langen, offenen und nunmehr etwas feuchten Haare sorgfältig nach hinten über ihre Schultern und schob dann ihr Rad im Schutz des Regenschirms auf den Bürgersteig vor dem Schulgelände. Wieder sah sie sich misstrauisch um. „Gibt es einen konkreten Grund, warum du befürchtest, er könnte hier auftauchen und uns sehen?“, fragte Yosuke schließlich. Ihr Gesichtsausdruck wirkte daraufhin ein wenig bedrückt und zugleich genervt. „Das ist eine komplizierte Sache.“, entgegnete Momoko seufzend. „Gab es zwischen dir und Takuro denn noch viel Ärger?“, hakte er nach und warf ihr einen fragenden Blick zu. Schnell wurde durch ihren schlagartigen Stimmungswechsel, der sich deutlich in ihrem Gesicht abzeichnete, klar, dass dieses Gesprächsthema nicht gerade klug gewählt war. Sie schaute düster ins Leere. „Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein.“, ruderte Yosuke zurück. Insgeheim interessierte es ihn jedoch brennend! Seine Gedanken kreisten, seit sie vorgestern gegangen war, ohne sich verabschieden zu können, um nichts anderes mehr. Außerdem hatten sie drei lange Wochen nichts voneinander gehört, es musste also vieles geben, das es zu erzählen gab. Momoko schüttelte beruhigend ihren Kopf und blickte nachdenklich auf den Bürgersteig vor ihren Füßen. „Schon gut. Du bist ja nicht der Erste, der fragt…“, setzte sie an. Der Dunkelhaarige schaute ebenfalls wieder geradeaus. Natürlich hatte sie diese Frage schon von ihren Freunden gehört. Warum sollte sie es also, nach allem was war, ausgerechnet auch noch ihm jede Einzelheit davon berichten? „…aber du wärst wahrscheinlich der Einzige, dem ich es wirklich erzählen könnte.“, beendete sie vorsichtig ihren Satz, aber mied dabei seinen Blick. Der Torwart erstarrte und blieb stehen. Ihre Aussage verwirrte ihn. „Wie meinst du das?“ Seine Begleiterin wollte nicht stehen bleiben, doch sie wollte auch nicht nass werden. Missmutig hielt sie inne und starrte stur auf ihre Hände, die angespannt ihren Fahrradlenker umklammerten. Yosuke sah ihr an, dass es ihr unangenehm war, dass ihre Antwort diese Gegenfrage aufgeworfen hatte. Aber sie überwand sich und schaute schüchtern durch ihre dichten Wimpern zu ihm zurück. „Ich kann doch mit niemanden darüber reden. Keiner außer dir würde verstehen, warum ich das alles trotzdem durchziehe.“ Der Stich in Yosukes Herzen, den der Klang ihrer unglückliche Stimme verursachte, war so schmerzhaft, dass er die Luft anhalten musste, um sich nichts anmerken zu lassen. „Dann geht es dir gar nicht gut, oder? Das hast du nur so dahingesagt, damit ich nicht nachfrage.“ Die Rhetorik in seiner Frage war deutlich herauszuhören, denn die Antwort darauf war ihm längst klar. Momoko blinzelte das verräterische Flackern in ihren Augen weg und versuchte auf dieselbe Art auch ihre Verletzlichkeit zu kaschieren. Räuspernd straffte sie sich und strich mit einer Hand eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. Sie merkte es vielleicht nicht, aber dem Torwart fiel auf, dass ihre Finger dabei zitterten. „Es ist alles in Ordnung, aber manchmal möchte ich die Dinge, die mich beschäftigen oder die ich kaum noch ertrage, gerne irgendjemanden erzählen können. Einfach nur um mich danach besser zu fühlen… Es war einfacher, als wir beide noch Freunde waren.“ Sehnsüchtig sah die junge Frau durch den transparenten Schirm zum grauen Himmel hinauf. „Ich glaube, der Regen stimmt mich weinerlich; ich rede schon wieder zu viel. Entschuldige.“ Sie bedachte ihn mit einem traurigen Lächeln. Yosuke musterte sie nachdenklich und runzelte angestrengt die Stirn, denn es kostete ihn eine Menge Willenskraft, nicht einfach alles fallen zu lassen und sie in seine Arme zu reißen. Er gab sich einen Ruck und ging weiter. Momoko lief unaufgefordert mit und hielt Schritt. „Mir geht es genauso. Manchmal, wenn mir alles über den Kopf wächst, sehne ich mich nach der guten, alten Zeit, in der wir noch alle unbeschwert waren. Natürlich kann ich zum Beispiel mit Kazuya über fast alles reden, aber eben nur fast… und auch wenn er sich bemüht mich zu verstehen, er kann mir nicht wirklich helfen. Ich fühle mich dann einfach…“ „…einsam?“, beendete sie den Satz für ihn und sah tief in seine Augen. Der Ausdruck in ihren erzählte davon, wie sehr sie verstand, was er zu erklären versuchte. Niemand außer ihr konnte es besser nachvollziehen. Der junge Mann schluckte und nickte ihr bestätigend zu. Die Verbundenheit, die er in diesem Augenblick zwischen ihnen fühlen konnte, war so greifbar, dass man sich an ihr festhalten konnte. Sie mussten es nur zulassen, durften es aber nicht. Momoko hielt an und spannte ihren Gepäckträger. „Hier, stell deine Tasche darauf. Dann hast du nicht so viel zu tragen.“, wechselte sie das Thema. Dankbar lud der Torwart seine große Umhängetasche auf dem Fahrrad ab. Ihr Gewicht hatte während dem langen Fußmarsch zu ihrer Schule, beim Warten auf sie im Regen und auch jetzt hier, mächtig in seine Schulter eingeschnitten. Dagegen war Momokos kleine Schultasche leicht wie eine Feder. „Danke dir.“ „Nichts zu danken, du musst ja schließlich immer noch meine Tasche und den Schirm tragen, sonst kann ich nicht schieben.“, erklärte sie. „Dafür musst du aber wegen mir den ganzen Weg nun laufen.“, konterte er und täuschte Bedauern vor. Sie durchschaute es schmunzelnd. „Das macht nichts, wenigstens komme ich halbwegs trocken Zuhause an. So hätte ich im Regen ohne Schirm fahren müssen. Beides gleichzeitig funktioniert ja schlecht.“ Yosuke konnte sich ein selbstgefälliges, schelmisches Zwinkern nicht verkneifen. „Dann bin ich ja heute zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen.“ Sie lachte ein leises, heiteres Lachen, das seinen Puls anfachte. „Kann man so sagen. Wie immer der Retter in der Not.“, scherzte sie. Ihre Blicke begegneten sich; ihre blauen Augen strahlten ihn fröhlich an. Es war eine Lebendigkeit in ihnen, die er schon lange bei sich selbst vermisste. Doch hier in diesem Moment, spürte er diese Energie auch wieder durch seine Adern fließen. Und das lag nur daran, dass sie da war und ihn nicht mehr zu Unrecht hassen musste. „Du hast wohl öfter einen Retter nötig, als andere Mädchen.“, witzelte er zurück, denn es war ja nicht das erste Mal, dass er ihr behilflich war. Mit ihr zusammen zu sein, fühlte sich so herrlich einfach und natürlich an. Das hatte er vermisst, sehr sogar… Sie beide liefen eine Zeit lang nebeneinander her, ohne etwas zu sagen. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach. Es fühlte sich ein wenig seltsam an, dass, obwohl so viel zwischen ihnen passiert war, sie trotzdem hier und jetzt zusammen spazieren gehen konnten, als hätte sich an ihrer Freundschaft nichts verändert. So als gäbe es immer noch ein Verbindung zwischen ihnen. Schweigend hatten sie längst über die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als Yosuke irgendwann unvermittelt etwas durch das Pladdern des Regens flüsterte. „Du hast mir gefehlt.“ Im Augenwinkel sah er, wie Momokos Wangen sich verfärbten und sie ihn erschrocken musterte. „Sag das nicht!“, erwiderte sie verlegen. „Tut mir leid! Das klang bestimmt komisch, oder?“ Innerlich gab er sich selbst eine Ohrfeige; wie hatte er sich nur zu so einer Aussage hinreißen lassen können?! Es war doch klar, dass so was falsch rüberkommen würde. „Alles ist irgendwie komisch seit… na du weißt ja.“ Sie errötete noch mehr und auch selbst er fühlte, wie ihm das Blut vor Verlegenheit ins Gesicht schoss. „Läuft es zwischen dir und Hiromi denn nicht gut?“, lenkte die Rosahaarige schnell vom Thema ab. „Schlecht ist nicht das richtige Wort. Es läuft gar nicht.“, antwortete er seufzend und überraschend gerade heraus, auch wenn er trotzdem erleichtert darüber wirkte, dass sie die peinliche Situation schnell wieder auflöste. „Wie darf ich das denn verstehen?“, fragte Momoko verwundert. Der Dunkelhaarige warf ihr einen ernsten Blick zu. „Ich wollte die Beziehung zu ihr beenden – du erinnerst dich? Ich bin nicht bei ihr geblieben, weil ich so sehr an ihr hänge, dass ich es nicht ertragen hätte sie zu verlassen.“ Sie stutzte darüber, wie verbittert Yosuke klingen konnte. „Dann vertragt ihr euch also nicht mehr?“ Er schnaubte verächtlich und setzte eine grimmige Miene auf. „Du kennst sie ja. Sie kommt nicht damit klar, dass ich Abstand brauche und sie nicht bekommt, was sie will. Ich habe sie um Zeit gebeten, denn ich kann unsere Beziehung nicht einfach so reparieren und so tun, als wäre nichts gewesen. Auch wenn ich mir wünschte, dass es irgendwie wieder zwischen uns funktioniert.“ Die Rosahaarige verstand genau, wie es ihm dabei ging. „Ich fühle mich immer noch schuldig deswegen. Wenn ich nicht gewesen wäre…“, stammelte sie betroffen los. „Du hast gar nichts damit zu tun. Du hast mir höchstens die Augen geöffnet, wie oberflächlich und eintönig unsere Beziehung war. Wäre sie nicht schwanger, würden wir längst getrennte Wege gehen.“ Momoko stolperte gedanklich wieder über diese Tatsache. „Yosuke? Nimm es mir nicht übel, dass ich frage, aber du bist auch wirklich sicher, dass sie schwanger ist? Ich kann das immer noch nicht so richtig glauben.“, fragte sie zurückhaltend. Er hielt inne und zog mit zwei Fingern, die er nicht brauchte, um ihre Schultasche zu halten, seine Börse aus einer seiner Hosentaschen und fummelte umständlich darin herum. Momoko schaute ihm währenddessen gespannt dabei zu. Schlussendlich zog er ein kleines, gefaltetes Stück Papier heraus und reichte es ihr. Sie faltete es schweigend mit einer Hand auseinander. „Ein Ultraschallbild?“, stellte sie fest und betrachtete es eingehender. In dem schwarzweißen Durcheinander erkannte sie als Laie nicht viel, aber ein eingekritzelter Pfeil zeigte auf eine unförmige, schwarze Blase mit einer kleinen, weißen Bohne darin. »Ist das sein Baby?«, fragte sie sich und versuchte sich vorzustellen, dass aus dieser kleinen Bohne mal ein richtiger Mensch werden würde. Ihre Augen wanderten hoch an den Rand des Bildes, wo in Computerschrift, neben ein paar Daten, außerdem Hiromis Name geschrieben stand. Es war also ihr Ultraschallbild, daran gab es keinen Zweifel. Verwirrt blinzelnd gab Momoko es an Yosuke zurück. „Warum trägst du es bei dir?“ Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen. „Wenn ich Hiromis Launen über habe und am liebsten alles hinwerfen möchte, sehe ich es mir an und werde dann wieder klar im Kopf. Es erinnert mich daran, dass ich Verantwortung habe und gebraucht werde.“ Die junge Frau bekam eine Gänsehaut bei seinen Worten und der Art, wie er sie sagte. So verantwortungsbewusst und entschlossen… Er wirkte nie zuvor erwachsener und reifer auf sie. Ungern musste sie insgeheim zugeben, dass sie verstehen konnte, wieso Hiromi ihn nicht aufgeben wollte, obwohl er nur wegen dem Baby noch bei ihr blieb. „Vielleicht brauche ich auch so ein Bild von meinem Vater in meiner Börse.“, versuchte sie möglichst locker zu kommentieren. Yosuke, der sein Portemonnaie wieder weggesteckt hatte, lächelte halbherzig. „Wie geht es ihm denn eigentlich? Hast du schon etwas von ihm gehört?“ „Besser, denke ich. Ich habe ihn erst ein Mal besuchen können, aber es geht ihm gut in der Klinik.“ „Fehlt er dir sehr?“, wollte der Torwart wissen, der selber nie einen Vater hatte. „Jeden Tag.“, antwortete sie ohne zu Zögern. Das Thema nahm sie unerwartet stark mit; sofort füllten sich ihre Augen mit Tränen, die sie selbst nicht hatte kommen sehen. Momoko ließ es sonst nicht allzu sehr an sich herankommen, doch jetzt, wo sie es aussprach, übermannte sie die Sehnsucht nach ihrem Vater so sehr, dass ihr der Atem stockte. Sie war schon viel zu lange alleine ohne ihn in dem großen Haus und er war nicht da, um sie wie früher zu beschützen. „Pfirsichtörtchen…“, flüsterte Yosuke bestürzt und sah sie mitleidig an. Sie winkte strikt abwehrend ab und versuchte sich zu beruhigen. „Bitte nenn mich nicht so. Sonst muss ich weinen.“, hauchte sie eindringlich mit brüchiger Stimme und rang dabei um Fassung. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und tiefen Sorgenfalten auf der Stirn, respektierte er ihren Wunsch. Ohne sie aus den Augen zu lassen, lief er viele ungezählte Minuten schweigend neben ihr her und sah zu, wie sich, wieder und wieder, ihre verletzliche Seite und ihre Einsamkeit an die Oberfläche kämpften, wenn Momoko gerade glaubte sich unter Kontrolle zu haben. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie wieder ungehindert durchatmen konnte. In Gedanken strafte sie sich dafür, dass sie es schon wieder zugelassen hatte, dass Yosuke einen Einblick in ihr Innerstes bekommen hatte. Zwar war er ihr ebenfalls offenherzig entgegengekommen, aber auch wenn es sich irgendwie gut, ehrlich und richtig anfühlte, so war es doch verkehrt. Diese Zweisamkeit würde ein jähes Ende finden, spätestens, wenn sie bei ihrem Zuhause angekommen wären und sich ihre Wege trennten. Sie schwiegen beide im Moment nur tot, dass es am Ende ihres Weges kein Versprechen auf ein Wiedersehen geben würde. „Tut mir leid.“, entschuldigte sie sich peinlich berührt. „Mir tut es leid.“, widersprach Yosuke ihr, womit er sie aufhorchen ließ. „Ich habe dich hängen gelassen und war nicht für dich da, als du mich gebraucht hast.“ Momoko war zu perplex, als dass sie ihm folgen konnte, worauf genau er anspielte. „Ich meine an dem Abend, als du zu mir gekommen bist, weil das Date mit Takuro nicht so lief, wie du gehofft hattest... Und vorgestern, als er dich einfach mit sich mit gezerrt hat, obwohl du nicht wolltest. Ich hätte einschreiten sollen. Aber auch jetzt – du sollst wissen, ich möchte so gerne für dich da und dir ein Freund sein, aber ich kann nicht!“, erklärte er verzweifelt und ballte wütend seine Finger um die Dinge, die er trug. Ihr angegriffenes Herz begann wieder zu rasen. War er in Wirklichkeit deswegen gekommen? Damit sie genau das erfuhr? Dass sie ihm nicht egal war, unabhängig davon, wie die Umstände um sie herum waren? „Du bist doch jetzt da.“, antwortete sie ihm dankbar mit errötetem Gesicht und erntete direkt einen ungläubigen Blick. „Ich habe dich ehrlich gesagt auch vermisst. Das Unbeschwert sein, das Lachen, das Reden...“, gestand sie ihm. Ihr Puls überschlug sich fast bei ihrem Geständnis. Jetzt war es raus, denn was gab es zu verlieren? Sie standen doch beide auf verlorenem Posten. Yosukes Gesichtsausdruck spiegelte Verlegenheit wider und gleichzeitig einen dumpfen Schmerz, der unter seiner Fassade kratzte. Die Rosahaarige wusste sofort, dass er auch daran dachte, dass dieses intensive Aufflackern ihrer vergangenen, kurzen Freundschaft bald schon vorbei sein würde. Es blieb ihnen wenig Zeit, denn sie waren fast bei Momoko Zuhause angekommen. Wenn sie noch Dinge loswerden wollten, mussten sie sie jetzt erzählen. „Du hast doch gefragt, ob es noch viel Ärger mit Takuro gab. Willst du noch wissen, wie es ausgegangen ist?“ Der Dunkelhaarige nickte interessiert. „Nun, er war nicht gerade begeistert, als er mich ausgerechnet bei dir aufgelesen hat. Er hat getobt vor Eifersucht, auch weil ich ihn im Dunkeln darüber gelassen habe, wo die Mädchen und ich hingehen wollten. Außerdem hat ihm mein Outfit nicht gepasst und…“ „…und das du mit mir geredet hast?“, unterbrach Yosuke sie. Er lächelte still in sich hinein bei, dem Gedanken, dass sich der einstige Streber von ihm anscheinend bedroht fühlte. „Das außerdem. Aber vielmehr hat ihn wohl die Tatsache aufgeregt, dass ich ein kleinwenig beschwippst war.“, klärte sie auf und biss sich nervös lächelnd auf die Unterlippe. Ihrem Begleiter schlackerten die Ohren, als er das hörte. „Beschwippst?! Oh nein, sag nichts… dieser Typ aus dem Club war daran Schuld, oder?“ „Woher weißt du das?“, hinterfragte Momoko verblüfft. „Weil ich euch zufällig beobachtet habe. Er hat dir Drinks ausgegeben.“, gestand er. „Ah ja… zufällig. Aber jain, er war nicht allein daran Schuld.“ „Was oder wer denn noch?“ Sie schaute ihn nur mit schief gelegtem Kopf und anklagendem Blick von der Seite an. Einen größeren Wink mit dem Zaunpfahl brauchte es nicht, damit er verstand, dass er selbst gemeint war. Den Rest konnte sich der Torwart wohl allein zusammenreimen, denn er ließ es unkommentiert. „Jedenfalls… das, was ich sonst keinem erzählen kann ist, dass ich denke, dass ich mich in Takuro getäuscht habe.“, kam sie wieder auf das Thema zurück. Auf einmal wurde sie ganz ruhig und ihre Miene ausdruckslos und leer. Yosuke in ihrem Augenwinkel musterte sie beunruhigt. „Weil er eifersüchtig und besitzergreifend ist?“, riet er angespannt. Doch sie schüttelte nur langsam ihren Kopf. „Nein, weil ich dachte, er würde alles für mich tun, damit es mir gut geht und ich glücklich bin, weil ich ihm wichtig bin.“, korrigierte sie Yosukes Vermutung. „Stattdessen hat er vor, mir alles zu verbieten, was sich in seinen Augen nicht als standesgemäß für den wohlhabenden Teil seiner Familie erweist. Er kontrolliert nun fast meinen kompletten Tagesablauf und wenn es nach ihm ginge, dürfte ich wahrscheinlich nicht mal mehr Kontakt zu Yuri und Hinagiku, ohne seine Erlaubnis, haben.“, schloss sie bitter. Geschockt und sprachlos starrte der Braunhaarige sie an. War das ihr Ernst? War das Takuros Ernst? „Deswegen hatte ich Angst, dass er mich möglicherweise vor der Schule abfängt und uns sieht. Ich weiß nicht, wie er reagieren würde, wenn er uns schon wieder zusammen sehen würde.“ „Droht er dir etwa?“ „Nein, aber er hat mich noch mal sehr deutlich daran erinnert, dass wir eine Vereinbarung haben, die an gewisse Bedingungen geknüpft ist.“ Abschätzend, ja fast angewidert warf sie einen Blick auf ihren rechten, abgespreizten Ringfinger, an dem nach wie vor ein in Gold eingefasster Rubin prangte. Wütend betrachtete Yosuke ihn mit derselben Inbrunst, wie sie. Die wildesten Fantasien darüber, wie Takuro diese Bedingungen interpretierte und durchsetzte, überschlugen sich in seinem Kopf und machten ihn rasend. „Yuri, Hinagiku oder mein Vater… sie würden es nicht verstehen und mich für verrückt erklären. Aber mit dir und Hiromi ist es doch ganz ähnlich, oder? Wenn du nicht nach ihren Regeln spielst, kann und wird sie dir früher oder später das Leben schwer machen. Wir sitzen beide im selben Boot.“ Er schaute vom Ring hoch in ihr Gesicht. „Und ausgerechnet ich habe dir mal vorgeworfen, du würdest dich prostituieren. Dabei ist das, was ich mache, wirklich nicht anders.“ Momoko biss sich verlegen auf die Unterlippe. „Also ich tue nichts dergleichen, das habe ich dir aber auch schon mal gesagt!“ So wie sie es sagte, klang es fast ein wenig vorwurfsvoll. Trotzdem ließ ihn dieser Satz aufhorchen. „Nicht?“, hinterfragte er simpel. Seine Gesprächspartnerin versteifte sich entrüstet und lief puterrot an. „Was bitte willst du mit deinem „Nicht?“ andeuten?“, gab sie mit hoher Stimme zurück. Jetzt war er verunsichert und wurde selbst verlegen. Hatte seine Fantasie über die Strenge geschlagen? „Naja… ich dachte, du hast… ihr habt…“, stammelte er unsicher vor sich her. „Was? Nein! Niemals! Was denkst du denn von mir?! Dass ich von einem Bett ins nächste hüpfe?“ Erschrocken über ihre eigene Lautstärke, sah sich die Rosahaarige um, ob sie beide Aufmerksamkeit erregt hatten. Aber kein Passant interessierte sich für sie. Es war Yosuke schrecklich peinlich, dass er fast schon selbstverständlich davon ausgegangen war, dass Takuro sich geholt hatte, was er wollte. Umso mehr freute sich ein anderer Teil in ihm darüber, dass dem nicht so war und Momoko, so wie sie reagiert hatte, auch nicht allzu bald vorhatte, das zu ändern. „Entschuldige. Irgendwie hatte es so geklungen, als du erzählt hast, dass er dich an eure Vereinbarung und die Bedingungen erinnert hat.“ „Das hast du falsch verstanden! Das könnte ich zurzeit gar nicht mit ihm…“, erklärte sie sich kleinlaut. Im selben Moment fanden sie sich am Gartentor zu ihrem Zuhause wider. Sie waren da. Wortlos schob Momoko ihr Fahrrad auf ihr Grundstück. In diesen paar Sekunden dachte Yosuke über ihre Worte nach und begann sich zu fragen, ob sie manchmal an ihre gemeinsame Nacht dachte, wenn sie mit Takuro zusammen war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Brillenträger nicht zumindest schon mal versucht hatte sie rumzukriegen. Die Rosahaarige kehrte zu ihm zurück, immer noch einen Hauch Rosa auf ihren schönen Wangen, um seine Umhängetasche gegen ihre zu tauschen und um ihren Schirm zurückzunehmen. „Wirst du nun, wo du ja weißt, was bei mir los ist und dass es mir trotzdem gut geht, gehen?“, fragte sie ihn kalkulierend und wechselte damit abermals das Thema. Schon wieder war der Abschied gekommen, doch diesmal sollte es der Letzte sein. Yosuke setzte eine undefinierbare Miene auf, schulterte seine Umhängetasche und ließ seine linke Hand in seiner blauen Anzughose verschwinden. Ein paar Sekunden verstrichen, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Willst du denn, dass ich gehe?“ Momoko stutzte und sah ihn irritiert an. Was erwartete er für eine Antwort von ihr, in dieser Situation, in der sie beide waren? „Du solltest gehen. Du solltest gar nicht hier sein. Wir sollten uns nicht mehr sehen.“, erklärte sie sachlich, aber der Ausdruck in ihren Augen sprach eine ganz andere Botschaft. In ihnen lag das ganze Bedauern darüber, dass es gekommen war, wie es nun war. Sie hatte Angst ihn mit ihren Worten zu verletzen, überkam sie selbst doch gerade eine so starke Sehnsucht nach seiner Anwesenheit, dass sie Mühe hatte, es sich nicht anmerken zu lassen. „Ich weiß. Wir sollten nicht…“, wiederholte er gezielt betont ihre Worte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und mit ihm die Stimmung um sie herum. Hier standen sie nun; allein unter einem Schirm im Regen. Zusammen und doch allein. Ihr verräterisch pochendes Herz meldete sich wieder und schaffte es, das Rauschen des Regens ungehört zu machen. Momoko hörte nur noch ihren Herzschlag und die Betonung von Yosukes Worten in ihren Ohren. In seinen dunklen Augen glimmte eine Wärme auf, die ihr die Knie weich werden ließ. Sie war nicht fähig etwas zu entgegnen, oder gar leb wohl zu ihm zu sagen. Es war wie eine Lüge, die ihr nicht über die Lippen kommen wollte. Er schloss die Augen und seufzte schwer. „Ich kann nicht gehen, wenn du mich so anschaust.“ Sie blinzelte, als zerplatzte eine Blase vor ihr. „Was? Wie schaue ich denn?“, hauchte sie verlegen ihre Frage. Der Dunkelhaarige streckte seine rechte Hand nach ihr aus und berührte flüchtig streichelnd ihre Wange. Momokos Haut begann sofort zu kribbeln. „So, als würde ich dich im Stich lassen.“ Ihre Augen flackerten berührt, denn tief in ihr fühlte sie sich genau so, wie Yosuke es beschrieb. Sie wollte nicht, dass er ging. Sie brauchte ihn und seine Nähe, obwohl es wie eine Folter war, dass seine Finger sie nur kurz streiften. Er seufzte abermals. „Darf ich dir noch eine letzte Frage stellen?“ Seine Stimme klang so ruhig und melodisch, dass sie der jungen Frau unter die Haut ging. Sie nickte abgehackt und schluckte nervös den Kloß herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. „Warum konntest du dich nicht auf Takuro einlassen?“ Die Frage kam für Momoko so überraschend, dass es sie aus ihrem tranceartigen Zustand zurückholte. Das Blut schoss ihr in die Wangen und sie wusste nicht, wie sie unter Yosukes durchdringendem Blick eine gescheite Antwort darauf finden sollte. „Das… das ging nicht. Ich war gehemmt, irgendwie blockiert.“, stotterte sie. Der Torwart ließ seine Hand sinken und runzelte die Stirn. „Hattest du Angst?“, fragte er vorsichtig. „Nein... Aber ich konnte mich nicht fallen lassen.“ »Himmel! Warum antworte ich ihm darauf?« Yosuke trat einen Schritt auf sie zu, sodass sie ganz nah voreinander standen. Sie wollte vor Scham wegsehen und ihm am liebsten ganz ausweichen, doch seine Augen hielten sie fest. „Warum nicht?“ Da war sie, die Fragen aller Fragen. Sah er nicht, dass er sie ganz durcheinander brachte? Spürte er nicht, wie sich die Luft um sie herum auflud und eine Spannung erzeugte, die kaum zu ertragen war? Er musste die Antwort längst kennen, sie hatte sie ihm am Abend ihres misslungenen Dates mit Takuro schon ein Mal gegeben. „Wegen dir. Wegen uns…“, antwortete sie atemlos. Die Augenbrauen ihres Gegenübers zuckten für eine Sekunde erstaunt nach oben. Yosuke öffnete seinen Mund einen Spalt breit, doch es kamen keine Worte heraus. Stattdessen schloss er ihn wieder und griff, ohne den Blick von ihr zu lassen, mit seiner rechten Hand nach ihrer linken. Sein Daumen glitt zärtlich über ihre zarten Fingerknöchel. Momoko sog scharf die Luft ein, als sie deswegen erschauerte. Es war so lange her, dass sie die Wärme seiner Hand gespürt hatte, aber es fühlte sich noch genauso intensiv und knisternd an, wie damals. Sie schaute auf ihre ineinander geschlungenen Finger und dann wieder zu ihm. Hitze stieg in ihr auf und drohte sie innerlich zu verglühen. Was tat er da mit ihr? Er rief Sehnsüchte in ihr wach, von denen sie bis eben nicht mal gewusst hatte, dass sie da waren. „Ich will nicht etwas sollen müssen, wenn wir beide doch eigentlich etwas ganz anderes wollen.“, durchschnitt seine raue Stimme die Luft. Die Zweideutigkeit in seinen Worten war nicht zu überhören und sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Momoko wurde von Erregung durchzuckt. Yosuke brachte sie zu sehr durcheinander, schwächte ihren Willen vernünftig zu sein, riss ihre Fassade in kleine Stücke und brannte sich mit seinen braungrünen Augen einen Weg zu ihrem Herzen frei. Sie verfiel seiner Anziehung – schon wieder! Und sie wusste, worin das das letzte Mal geendet war. Eine bittersüße Erinnerung, die ihr durch Mark und Bein fuhr und sowohl in ihrem Bauch widerhallte, als auch in ihrem Unterleib. Sie schloss die Augen und atmete flatternd aus. Ihre Haut kribbelte von der Elektrizität, die durch sie hindurch strömte, ausgelöst von nichts weiter, als von ein paar Worten und einer simplen Berührung. Als sie ihre Lider wieder aufschlug, begegnete ihr ein bekanntes, sehnsuchtsvolles Glühen in seinem Blick. Ein Auflodern dunkler, sich verzehrender Sehnsucht und Lust. Sie traute sich kaum zu Atmen, als sie bemerkte, dass sich sein Gesicht ihrem näherte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ihre Augen wanderten zu seinem Mund, der flachen Atem hinaus und hineinströmen ließ. Das Pochen ihres Blutes vernebelte ihr alle Sinne; Yosukes Lippen waren nah und willig genug, dass sie sie sich nur nehmen musste, wenn sie wollte. Doch plötzlich wurde Momoko sich für einen Sekundenbruchteil der möglichen Konsequenzen gewahr. Lange genug, um klar zu werden und zu reagieren. „Ich kann nicht, wir dürfen nicht!“ Sie zog ihre Hand weg, wie vor einer glühenden Flamme, wich deutlich ein paar Schritte zurück und sah Yosuke mit weit aufgerissenen, fassungslosen Augen an. Er starrte genauso erschrocken zurück; sein Atem ging stoßweise und rau. „Tut mir leid!“, rief sie verstört aus und drehte sich um. Achtlos zerrte sie ihren Schirm mit sich, als sie zur Haustür rannte und einhändig, mit zitternden, fahrigen Fingern, versuchte sie aufzuschließen. Momoko stürmte in den Flur hinein, warf ihre Schultasche und den noch offenen Schirm ab und schmiss die Tür hinter sich ins Schloss, ohne sich nach dem brünetten Torwart noch ein Mal umzusehen. Schwer atmend stand sie da, die Tür in ihrem Rücken, den Kopf in den Nacken gelegt und so aufgewühlt, wie noch nie. Ihr Körper gehorchte ihr nicht, ein süßer Schauer jagte den nächsten und selbst wenn sie die Augen schloss, sah sie noch seinen brennenden Blick vor sich, der überall an ihr prickelte und die Tür zu ihrer verborgenen Wolllust aufstieß. Sie mochte den jungen Mann ausgeschlossen haben, der diese verbotenen Gefühle bei ihr auslöste, doch die Sehnsucht nach ihm war allgegenwärtig und sie dagegen völlig wehrlos. „Momoko! Bitte mach die Tür auf!“ Das Herz sprang ihr fast aus der Brust, als sie seine gedämpfte Stimme durch die Pforte zu ihrem Haus dringen hörte, der ein aufgebrachtes, flehendes Klopfen folgte. Sie fuhr herum und zögerte nicht, die Tür wieder aufzureißen. Yosuke stemmte sich mit beiden Händen in den Türrahmen; völlig außer Atem und seine Augen immer noch glühend vor Verlangen. Sie standen sich stumm gegenüber, sahen sich nur eine Sekunde lang in die Augen und suchten dort nach Vernunft, die nicht zu finden war, nach einem Grund standhaft zu bleiben, sich abzuwenden und voneinander zu lassen, doch alles was sie fanden, war Sehnsucht und Begierde. Im nächsten Augenblick fielen sie sich in die Arme, pressten ihre Lippen aufeinander, als wäre es das letzte Mal auf Erden und stolperten, verschlungen ineinander, ins Haus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)