Selbstmord ist keine Lösung......oder? von LadyShihoin ================================================================================ Kapitel 13: Aller Anfang ist schwer ----------------------------------- „Warum immer ich?“, murmelte Grell vor sich hin und gähnte herzhaft. Gerade war er auf dem Weg zu seiner “Schülerin“ und hatte deswegen ganze 20 Minuten früher aufstehen müssen. Dabei zählte doch für seinen Schönheitsschlaf jede gottverdammte Minute. Gerade nach der gestrigen Standpauke von Will, die nach dem Abliefern des Mädchens noch weitergegangen war. „Abgesehen davon…“, dachte er und runzelte verwirrt die Stirn, „warum muss ich mir eigentlich vorhalten lassen, dass ich noch hätte warten sollen? Irgendwer wird die Leiche schon finden.“ Die Verwandlung zum Shinigami lief immer gleich ab. Die Leiche wandelte sich, sobald ein Shinigami sich in unmittelbarer Nähe zum Körper befand. Wenn der neue Shinigami dann die menschliche Welt verließ und zum ersten Mal in die der Shinigami überwechselte, erschien der menschliche Körper an genau dem Punkt, wo er gestorben war, erneut. Lediglich natürlich ohne seine Seele. Die vorherige Hülle wurde sozusagen abgestreift. Grell hatte nie verstanden, warum es in solche Fällen nötig war abzuwarten, bis jemand die Leiche fand. William anscheinend auch nicht, hatte er als Argument doch nur vorgebracht, dass es in jedem Lehrbuch genau so geschrieben stand. Grell seufzte. Er hatte doch ohnehin schon genug Probleme gehabt. Und jetzt hatte er zu seinem Leidwesen auch noch ein 16-jähriges Mädchen an der Backe kleben, die nicht gerade nach gutem Shinigami-Material aussah. „Mir bleibt momentan auch nichts erspart“, dachte der Rothaarige geknickt und betrat das Gebäude der Neulinge. Seit seiner Studienzeit hatte sich hier wirklich gar nichts verändert. Er konnte sich noch ziemlich genau daran erinnern, wie sehr er es gehasst hatte in solch einer schäbigen und unmodernen Behausung zu leben. Seine jetzige Wohnung war das genaue Gegenteil, was aber vielleicht auch daran lag, dass er persönlich sie eingerichtet hatte. „Tja, wem soll ich was vormachen, ich habe nun mal Sinn für Mode“, flötete er vor sich hin und klopfte an die Tür vom vorherigen Abend. Es dauerte mehrere Sekunden, dann drehte sich der Knauf und die Tür wurde langsam, ganz langsam geöffnet. Grell wollte dem Mädchen gerade Guten Morgen sagen, doch bei ihrem Anblick blieb ihm der Gruß im Hals stecken. „Himmel, was ist denn mit dir passiert?“, fragte er und drängelte sich gleichzeitig an ihr vorbei. Selbst im Tod hatte sie besser ausgesehen. Carina verzog kurz die Mundwinkel. „Ich habe kaum geschlafen“, antwortete sie gereizt, während sie die Tür wieder schloss und vor Grell stehen blieb. Der Rothaarige musterte sie noch einmal. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab, unter ihren Augen befanden sich dunkle Ringe und die Bluse, die sie gestern Abend zum Schlafen angezogen hatte, war von oben bis unten zerknittert. „So kommst du mir definitiv nicht aus dem Haus“, sagte er. „Als meine Schülerin musst du wenigstens halbwegs gut aussehen, was werden sonst die Leute über mich denken?“ Carina schaute ihn schlichtweg sprachlos an. Für einen Moment hatte er sich doch tatsächlich angehört wie ihre Mutter. „Und“, fügte Grell noch hinzu und deutete mit seiner behandschuhten Hand auf ihre nackten Beine, „lauf nicht so freizügig vor Männern rum, das gehört sich nämlich nicht.“ „Oh Verzeihung, ich vergesse immer wieder, dass Sie ein Mann sind“, sagte Carina spöttisch, weil sie sich diesen Kommentar einfach nicht verkneifen konnte. Doch natürlich fasste Grell diese Beleidigung erneut nicht als Beleidigung auf. „Nun ja, wenigstens scheinst du halbwegs intelligent zu sein, wenn du eine Dame wie mich erkennst.“ Carina wusste für einen Moment nicht, ob sie lachen oder die Augen verdrehen sollte. Aber Grell ließ ihr keine Zeit sich zu entscheiden, denn im nächsten Moment scheuchte er sie samt ihrer neuen Kleidung ins Bad, mit der klaren Anweisung sich fertig zu machen. Seufzend ergab Carina sich ihrem Schicksal und tat ihr Bestes, um wenigstens halbwegs normal auszusehen. Als sie nach 20 Minuten erneut in den Spiegel schaute und sich als „fertig“ befunden hatte, trat sie aus dem Badezimmer heraus und fand sich erneut dem Rothaarigen gegenüber, der sie nun noch kritischer musterte als beim ersten Mal. Ihre Haare waren nun durchgekämmt und fielen ihr glatt über die Schultern. Sie trug schwarze Schuhe, die übliche schwarze Anzugshose mit einer neuen weißen Bluse samt schwarzem Blaser, sowie eine schwarze Krawatte um den Hals. Das Einzige, was geblieben war, waren ihre Augenringe. „Nun ja, es ist ein Anfang“, seufzte Grell theatralisch, was Carina dieses Mal wirklich die Augen verdrehen ließ. „Aber was soll man mit diesem Outfit auch großartig machen? Keine Sorge, sobald du deine Ausbildung beendet hast stelle ich dir eines zusammen, was wirklich zu dir passt.“ „Zu gütig“, murmelte Carina sarkastisch und Grell grinste. „Eins muss man dir lassen, für ein Mädchen hast du ein ganz schön großes Mundwerk. Aber das gefällt mir.“ Die 16-Jährige blinzelte kurz überrascht, dann lächelte sie ebenfalls. „Man tut, was man kann.“ Während sie die Wohnung verließen und die Treppen nach unten stiegen, knurrte Carinas Magen verdächtig laut. Ihre Wangen verfärbten sich daraufhin rot. „Ich hoffe doch, dass wir Essen müssen, weil…nun ja, ich bin ziemlich hungrig“, gestand sie. Grell nickte. „Ja, müssen wir. Im Institut gibt es eine Kantine, da bekommst du zu jeder Tageszeit etwas zu Essen. Getränke müsstest du ja in deiner Wohnung gehabt haben, oder?“ Carina nickte und lief weiterhin hinter ihrer neuen Bezugsperson her. Es gab immer noch so viele Fragen, die sie hatte, aber eine beschäftigte sie dann doch ganz besonders. „Sagen Sie mal“, begann sie langsam, wurde aber sofort von ihm unterbrochen. „Würdest du bitte mit diesem grässlichen Siezen aufhören, ich bin keine alte Lady. Ganz im Gegenteil, ich stehe in der Blüte meines Lebens.“ Carina zog kurz eine Augenbraue in die Höhe, fuhr dann aber fort. „Nun gut, darf ich dir eine Frage stellen?“ „Das tust du doch schon die ganze Zeit. Aber na schön, um was geht es dieses Mal?“ „Ähm, ich wollte nur gerne wissen, wie du dich denn umgebracht hast.“ Grell blieb so blitzartig stehen, dass Carina von hinten in ihn hineinlief. Dann drehte er sich in einer beängstigend langsamen Geschwindigkeit zu ihr herum und Carina musste bei seinem fassungslos zornigen Gesichtsausdruck schlucken. Anscheinend hätte sie ihn das besser nicht fragen sollen. „Jetzt hör mir mal gut zu“, sagte er mit kontrolliert ruhiger Stimme. „Und merk es dir gut. Diese Frage ist auf Platz 1 der Fragen, die du niemals stellen solltest. Es ist nicht nur anmaßend, sondern auch noch äußerst unverschämt einen Shinigami so etwas zu fragen. Oder würdest du gerne an deinen Tod erinnert werden?“ „Nein“, murmelte Carina kleinlaut. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. „Tut mir leid.“ „Das sollte es auch“, erwiderte Grell und ging weiter. „Abgesehen davon, dass dich die Antwort auf diese Frage überhaupt nichts angeht. Weder bei mir, noch bei sonst irgendjemandem.“ Carina nickte erneut und schaute beschämt zu Boden. Im Nachhinein betrachtet war es wirklich eine blöde Idee gewesen. Sie stellte Grell auf dem Weg zum Institut keine weiteren Fragen mehr, sondern betrachtete lediglich die neue Umgebung und versuchte sich gleichzeitig den Weg einzuprägen. Denn so viel stand fest, sie hatte einen schrecklichen Orientierungssinn und wenn sie sich erst einmal verlaufen hatte, dann fand sie auch nicht mehr so schnell wieder zurück. „So“, begann Grell, als sie im Eingangsbereich des Instituts standen. „Du bekommst jetzt gleich deinen offiziellen Ausweis und deine vorläufige Brille, damit ich meine endlich wiederbekomme. Außerdem wirst du einem Kurs zugeteilt, der heute beginnen wird. Normalerweise ist es üblich den Anfängern einige Wochen Ruhe zu gönnen, bevor sie ihre Ausbildung beginnen, aber in deinem Fall macht William eine Ausnahme. Er möchte nicht, dass du zu viel Stoff nachholen musst. Was ich ehrlich gesagt nicht verstehen kann, die Ausbildung zum Seelensammler war ein Klacks, wenn du mich fragst.“ „Okay“, antwortete Carina und wusste im Hinterkopf bereits ganz genau, warum die Neulinge vorerst in Ruhe gelassen wurden. Die Schreie hatten sich letzte Nacht in ihr Gedächtnis gebrannt und die 16-Jährige war sich sicher – nein, eigentlich wusste sie es – sie würde sie nie wieder vergessen. „Und stell ja nichts Dummes an, am Ende fällt das noch auf mich zurück.“ Carina nickte erneut und als Grell zur Tür heraus war, war sie verwundert wie allein und verlassen sie sich mit einem Mal fühlte. Schon wieder war alles neu. Und Carina hasste es die Neue zu sein. Zuerst hatte sie ihre Familie und ihre Freunde – ja, eigentlich ihre komplette Welt – zurücklassen müssen. Und jetzt den Undertaker, das Bestattungsinstitut und ihre neue Arbeit. Nur, um jetzt schon wieder von ganz vorne beginnen zu müssen. So langsam hatte sie echt die Schnauze gestrichen voll davon. Mit langsamen Schritten steuerte sie auf die Rezeption zu und blieb schweigend davor stehen. Hinter dem riesigen Schreibtisch saß eine Frau, die mit schnellen Bewegungen ihre Tastatur bearbeitete. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie sich hinter die Ohren geschoben, sodass sie ihr glatt über den Rücken fielen. Ihre Brille hatte dunkelgrüne Bügel mit einer silbernen Umrandung, die Carina auf den ersten Blick gefiel. Vom Aussehen her schätzte Carina sie auf Anfang 20. Ihre gelbgrünen Augen hatte sie zielstrebig auf ihren Computerbildschirm gerichtet und schien somit noch keine Notiz von ihrer neuen Kundin genommen zu haben. Mehrere Sekunden lang blieb Carina noch schweigend stehen, dann nahm sie all ihren Mut zusammen und räusperte sich einmal leise. Keine Reaktion. Obwohl es ihr unangenehm war räusperte Carina sich ein zweites Mal, dieses Mal lauter. Erneut reagierte die Schwarzhaarige nicht. „Ist die taub oder was?“, dachte die 16-Jährige genervt und kam sich langsam aber sicher ein wenig verarscht vor. „Entschuldigung?“, fragte sie nun mit fester Stimme und ohne Aufzusehen antwortete die Schwarzhaarige: „Sieh einer an, du kannst ja doch sprechen.“ Carina klappte für einen kurzen Moment der Mund auf. Die junge Frau schaute sie nun zum ersten Mal direkt an und ein triumphierendes Lächeln zierte ihre Lippen. „Ich mag es nicht, wenn Leute davon ausgehen, ich würde direkt das Hausmädchen für sie spielen, nur weil sie vor mir stehen. Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden, weißt du?“ Carina konnte nicht anders. Sie lachte. Die Reaktion der jungen Frau erinnerte sie so sehr an Bianca, dass es schon fast unheimlich war. Eine solche Trotzreaktion hätte auch von ihr kommen können, da war die Blondine sich sicher. „Du hast Recht, entschuldige“, antwortete die 16-Jährige. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal so aus dem Herzen heraus gelacht hatte. Es fühlte sich verdammt gut an. Die Schwarzhaarige lächelte immer noch. „Kein Problem“, sagte sie. „Du musst die Neue sein, richtig?“ Carina nickte und streckte ihr die Hand entgegen. „Ja, mein Name ist Carina. Freut mich.“ „Alice“, stellte die Rezeptionistin sich nun selbst vor und ergriff die ihr dargebotene Hand, allerdings nicht ohne kurz eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen. „Du kommst nicht gebürtig aus England, oder?“ „Ist das so offensichtlich?“, fragte Carina nach und wurde nun wieder ein wenig nervös. „Nein, nein“, lachte Alice. „Es ist in England nur nicht unbedingt üblich sich die Hände zu schütteln, deswegen hab ich mir schon gedacht, dass du woanders herkommst. Keine Sorge, dein Englisch ist einwandfrei.“ „Oh“, murmelte Carina und nickte verstehend. Sie sollte sich dringend mit den englischen Formalitäten bekannt machen, denn es gab immer noch so vieles, was sie nicht wusste. Und im Englischunterricht hatten sie solche Dinge niemals angesprochen. „Also“, meinte Alice, kramte einen Ordner hervor und zog eine kleine, schwarze Karte hervor. „Das hier ist dein Ausweis. Sobald du mit deiner Ausbildung fertig bist, bekommst du außerdem noch einen Dienstausweis. Und hier deine Brille. Ich weiß, sie sind nicht sonderlich schick, aber wenn du ein richtiger Shinigami bist, dann bekommst du ja eine Andere.“ „Die hört sich fast schon so an wie Grell“, schoss es Carina kurz durch den Kopf, während sie den Ausweis und ihre neue Brille entgegennahm. „Dein Klassenraum ist im zweiten Stock, der letzte Raum auf der rechten Seite. Viel Spaß.“ „Danke“, antwortete die 16-Jährige und drehte sich bereits Richtung Treppe, als die Schwarzhaarige nochmals ihren Namen sagte. „Ja?“, fragte sie verwundert und drehte sich wieder um. Alice lächelte. „Lass dich von denen bloß nicht unterkriegen.“ Carina blinzelte kurz verwirrt, bevor sie grinste und zum Abschied kurz die Hand hob. Sie würde das schon irgendwie hinkriegen. Okay, sie würde das ganz und gar nicht hinkriegen!! „Wo zum Teufel bin ich denn hier gelandet?“, dachte sie und blieb nach wie vor verdattert im Türrahmen stehen. Natürlich, sie hatte schon mehrere Male in ihrem Leben eine komplett neue Klasse kennen lernen müssen und ja, sie hatte auch schon mehr als einmal beim ersten Anblick ihrer neuen Mitschüler die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, aber das hier war definitiv neu. Ihre 13 Mitschüler – übrigens allesamt männlich – saßen kerzengerade auf ihren Stühlen, gaben keinen Mucks von sich und starrten geradeaus gegen die Wand. Beziehungsweise ins Leere korrigierte sich Carina, als sie die abwesenden Blicke bemerkte. Nun ja, hier und da gab es ein paar Ausnahmen und genau diese Ausnahmen wandten ihr auch sofort den Blick zu, um sie von oben bis unten zu mustern. Carina hasste es, irgendwo die Neue zu sein. „Ähm, hallo“, sagte sie zögerlich und betrat nun langsam den Raum. Sie erhielt keine Antwort. „Na großartig“, dachte sie und verzog kurz das Gesicht. Das fing ja richtig gut an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)