Urlaubsreif von flower_in_sunlight (Seto x ?) ================================================================================ Kapitel 7: 13.2. Freitag ------------------------ Abergläubisch war wohl eines der Wörter, die man nicht mit ihm in Verbindung gebracht hätte. Doch – und das hatte er immer schon beunruhigend gefunden - er war es. Sämtliche Versuche seinerseits dies zu ändern, waren gescheitert und so gab es immer noch keinen als solchen gekennzeichneten dreizehnten Stock im Hauptsitz seiner Firma. Auch vermied er den Abschluss von Geschäften, wenn der Dreizehnte eines Monats auf einen Freitag fiel. Doch an diesem Freitag war ihm das erstaunlich egal. Er freute sich sogar, dass Freitag war und ignorierte das Datum in seiner unglücksverkündenden Bedeutung. Sein Donnerstag war so schlimm gewesen, dass er beschlossen hatte, Freitag könne nicht schlimmer werden, und so bestellte er sich gut gelaunt am Morgen Rührei. Shin hatte ihm erklärt, er bräuchte noch eine halbe Stunde in der Küche, um das Frühstück für seine Kollegen zuzubereiten, würde sich danach aber augenblicklich auf den Weg machen. So saß er jetzt am Schreibtisch und studierte eine Karte, die er am Vortag in diesem gefunden hatte. Abends war er unruhig geworden, traute sich jedoch nicht seinen wieder erwachten Bewegungsdrang draußen auszuleben, weshalb er ein zweites Mal den Inhalt der Schubladen und Schränke genauer inspiziert hatte. Für die Hotelanlage war manuell ein kleines Kreuz eingetragen worden mitten in einer grünen Fläche, die wohl Wald darstellen sollte. Was ihn jedoch mehr interessierte war die Strecke in den nächsten kleinen Ort. Er wollte sich endlich bei Mokuba melden und ihm war noch eine Idee gekommen, die es bis Samstag umzusetzen galt. Shin hatte gerade erst nach dem Schneidebrett für den Fisch gegriffen, als ihm die Nähe des Gastes aus Nummer 4 auffiel. Aus dem Augenwinkel konnte er erkenne, dass dieser aufmerksam jeder seiner Bewegungen folgte. Das war für ihn nichts Neues. Gerade die Gäste, die es nicht gewöhnt waren, selbst zu kochen, fingen irgendwann an, ihn genauer bei der Arbeit zu beobachten. Diejenigen, die selbst kochten, hingegen, löcherten ihn mit Fragen zu Gewürzen, Mischungsverhältnissen und der Qualität des Fischs. Auf diese legte er immer besonders viel Wert, auch wenn er für Rührei nicht unbedingt Sushi-Qualität verwendete. Er hatte vorerst nicht vor, sein Vorgehen zu erklären, doch entschied er sich für ein wenig Small-Talk. „Geht es Ihnen wieder etwas besser?“, fragte er, während das Stück Fisch immer kleiner wurde. „Ja, deutlich. Dieses Geheimrezept hat offensichtlich geholfen.“ Augenblicklich war Shin froh, dass der andere ihm nicht direkt ins Gesicht sehen konnte. Denn nicht nur das Essen des Vortages, sondern auch sein Apfelmus schienen gewirkt zu haben. Die Stimme des Gastes klang deutlich weniger herablassend als noch am Sonntag. Nun landete der Lachs im bereits verquirlten Ei. „Und wie sehen Ihre Pläne für heute aus?“ Die Antwort folgte erst, als die Mischung sich langsam in der heißen Pfanne ausbreitete. „Ich will mir ein bisschen die Gegend ansehen. Gibt es in diesem Dorf 10 Kilometer nach Süden ein Restaurant?“ Shin zückte den Pfannenwender. „Naja, Restaurant kann man es nicht wirklich nennen. Eher so ne Art Cafe, das auch kleinere warme Mahlzeiten anbietet. Aber die Torten dort sind spitze! Die machen sogar denen von Hans Konkurrenz!“ „Hans?“ „Der eigentliche Chef unserer Küche. Flucht auf Deutsch, wenn ihm eine Torte misslingt. Zum Glück sagt er auch normale Sätze in seiner Muttersprache, sonst könnte der Rest von uns wirklich nur die Schimpfwörter.“ „Aha“, kam es zögerlich von hinten. „Aber das reicht mir. Für mich muss dann heute nicht mitgekocht werden.“ „Sind Sie wirklich sicher? Die Vorbereitungen in der Küche sahen nach Maultaschen aus. Die sind ziemlich lecker.“ „Ja, ich bin sicher.“ Und da war sie wieder, die befehlsgewohnte, strenge Stimme. Er hatte es also sauber versaut und die Stimmung wieder kippen lassen. Allmählich stockte das Ei und er nahm einen Teller aus dem Schrank. Den vollen Teller reichte er wenig später weiter mit den Worten „Lassen Sie es sich schmecken“ und machte sich an den Abwasch. Der Gast zog sich an den Esstisch im Wohnzimmer zurück und er konnte in Ruhe seinen Gedanken nachhängen. Morgen war Valentinstag und er würde wieder keine Schokolade verschenken und wohl auch keine erhalten – zumindest nicht von Yuki, da der Chef von Anfang an klar gemacht hatte, was er von diesem Hype am 14. Februar hielt. Allerdings erhielten sie jedes Jahr immer ziemlich viel Schokolade von außerhalb, die sie unmöglich auf normalem Wege innerhalb eines Tages wie der Chef es forderte vernichten konnte. Es musste doch eine Möglichkeit geben, … „Lässt du mich auch an die Spüle?“, riss ihn Nummer 4 aus den Gedanken. Hatte der etwa so schnell schon aufgegessen? Verwirrt blickte er auf und rutschte. „Natürlich.“ Seine Verwirrung wuchs weiter, als er mit ansah, wie der Teller und auch das Besteck ohne Murren abgespült wurden. Irgendwann erinnerte er sich dann aber wieder daran, dass sein Arbeitstag erst begonnen hatte und packte alles, was wieder in die Küche im Hauptgebäude musste, ein und verabschiedete sich. „Heute also kein warmes Essen. Wegen morgen hören Sie noch einmal von mir.“ Ihm war eine Idee gekommen, doch musste er den richtigen Moment abwarten, um sie an entsprechender Stelle schmackhaft zu machen. Breit grinsend lief den Weg entlang. Verstimmt stellte Seto fest, dass seine normalen Schuhe nach wie vor im Kofferraum lagen, als er das Haus verlassen wollte. Daher schlüpfte er nur behelfsmäßig in die Wanderschuhe, die Schnürsenkel an der Seite reinsteckend. Die Haustür lies er offen – schließlich hatte er noch seinen Mantel drinnen. Fast hatte er seinen Sportwagen erreicht, als er eine dunkel gekleidete Gestalt sah, die ihm im Gehen zu nickte. Er trug wieder nur ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose, doch leuchtete um seinen Hals der Schal, den er auch drei Tage zuvor getragen hatte. Wie selbst verständlich blieb er stehen, nachdem Seto in der Bewegung inne gehalten hatte. „Guten Tag“, grüßte er nun richtig und kam auf in ein kleines Stück zu, um nicht schreien zu müssen bei seinen nächsten Worten. „Sie planen einen Ausflug?“ Für einen kurzen Moment wollte Seto ihn bissig darauf hin weisen, dass in diesem Hotel Privatsphäre angeblich ganz groß geschrieben wurde, doch dann sah er das leichte Lächeln auf den Lippen seines Gegenübers. Dieser wirkte vollkommen entspannt und es hatte keinerlei Neugier in der Frage gelegen, auch wenn es über eine höfliche Floskel hinauszugehen schien. „Ja. Aber das haben ich bereits Shin erklärt“, antwortete er stattdessen gewohnt kühl. Er wiederholte sich ungern. „Den hab ich seit meinem Frühstück nicht mehr gesehen. Aber dann wird er Ihnen wohl schon alles erklärt haben. Auch, dass sich durch den Sender am Schlüssel die Tore im Zaun automatisch öffnen. Umso besser.“ Das Lächeln wurde einen feinen Hauch breiter. „Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß. Sie entschuldigen mich?“ Und schon war er wieder weg, seinem Gast nur den Blick auf seinen Rücken lassend. Verwundert musste Seto feststellen, dass ihm dieser Anblick so sehr gefiel, dass er untypisch für ihn jemandem tatsächlich hinterher sah. Plötzlich genervt von sich selbst, holte er rasch die Schuhe, wechselte sie, zog sich den Mantel über, kontrollierte dabei, ob er sein Mobiltelefon tatsächlich einstecken hatte, schloss ab, setzte sich in den Wagen und startete den Motor. Die Tore der Hotelanlage hatten sich noch nicht vollständig wieder hinter ihm geschlossen, als ihm eine kleine Anzeige auf dem Display bereits signalisierte, dass er Empfang und somit Kontakt zur Außenwelt hatte. Er wählte den Weg nach Süden und stellte das Gerät auf Sprachsteuerung um. „Mokuba anrufen“, befahl er, während links von ihm der Wald vorbeirauschte und er auf der rechten Seite ungehindert den Blick ins Landesinnere hatte. Das melodische Summen, das mit der kühlen Winterluft in den Mitarbeiter-Raum wehte, ließ Shin hoffen, seinen Chef bei möglichst guter Laune anzutreffen. Hans hatte er davor bereits in seinen Plan eingeweiht und konnte zur Not von dieser Seite aus auf Unterstützung zählen. Doch zunächst wollte er es allein versuchen. Nach einem kurzen Klopfen erklang ein freundliches „Herein“ und er konnte gerade noch sehen, wie der andere seinen Blick von dem Monitor hob, auf dem gerade ein Sportwagen das Gelände verließ. „Was gibt es, Shin?“ „Morgen ist doch... Nein. Falscher Anfang. Entschuldigung.“ Das konnte ja ein tolles Gespräch werden, wenn er bereits jetzt anfing sich zu versprechen und herumzudrucksen. Dabei hatte er sich alles so wunderbar überlegt, während er Hans bei der Zubereitung des Mittagsessens beobachtete. Maultaschen waren etwas, in dessen Zubereitung er sich garantiert nie einmischen würde. Erwartungsvoll blickte ihn der Chef an. „Also“, versuchte er es von Neuem. „Wir haben doch um diese Zeit des Jahres immer viel zu viel Schokolade. Außerdem hatten Sie doch vor zwei Jahren eingeführt, dass diese spontan hinzukommenden Kalorienbomben spätestens am nächsten Tag verschwunden sein müssten.“ „Ja, das habe ich. Weiter.“ Shin konnte quasi zu sehen, wie sich die gute Laune Stück für Stück aus dem Zimmer stahl. „Meine Idee war daher, dass ich daraus für morgen Abend ein mehrgängiges Menü für uns und die Gäste, die daran teilnehmen wollen, koche. Nichts Romantisches, sondern einfach nur ein großes, leckeres Essen im Kreise aller, die aktuell im Hotel weilen.“ Erleichtert sah er, wie es sich die kleinen Stücke anders überlegten und umkehrten. „Und ich könnte heute bereits mit den Vorbereitungen anfangen, da ich Hans zur Zeit nicht helfen muss.“ „Das hört sich doch mal nach einem sinnvollen Vorschlag an. So wie du angefangen hast, hatte ich schon die schlimmsten Befürchtungen und sah mich im Amor-Kostüm im Ort Schokolade verteilen.“ Shin verkniff sich seinen Kommentar, dass es bestimmt eine Menge Leute gäbe, die diesen Anblick gerne gehabt hätten, entschied sich aber lieber für einen schnellen Rückzug in die Küche, bevor sein Projekt doch noch gestrichen wurde. Er war bereits auf der Türschwelle, als sich der Chef wieder zu Wort meldete: „Shin.“ „Ja?“ Halb drehte er sich um, damit Blickkontakt bestand. „Keine Extraschokolade für Yuki.“ Irgendwie war klar gewesen, dass so ein Spruch noch kommen würde. „Natürlich, Chef.“ „Großer Bruder! Hast du dich endlich wieder in die Zivilisation hinaus gewagt?“ „Hallo Mokuba. Ich freue mich auch, dich nach knapp einer Woche mal wieder zu sprechen. Was meinst du mit, ich hätte mich in die Zivilisation hinausgewagt?“ „Ich hab seitdem du dort bist nichs mehr von dir gehört, daraus folgere ich, dass du das Hotelgelände nicht verlassen hast. Außerdem höre ich Fahrtgeräusche im Hintergrund.“ Er hätte ihn nicht dazu erziehen sollen, logische Schlussfolgerungen auch als solche nach außen hin zu formulieren. Schlussfolgerungen? Moment... „Mokuba?“ Seine Stimme klang selbst in seinen Ohren vorwurfsvoll. „Ja, Seto?“ „Soll das heißen, du wusstest von den Störsendern?“ „Nicht direkt. Aber der Chef hatte so etwas erwähnt, als er mich Samstagabend anrief, um mir mitzuteilen, dass du gut dort angekommen bist. Und dann nochmal gestern Nachmittag.“ Offensichtlich hatte sich Mokuba nun dazu entschieden, lieber gleich alles zu erzählen. „Wieso wollte er wissen, ob du auf bestimmte Lebensmittel doch etwas empfindlicher reagierst als auf andere?“ „Schlechtes Thema. Ein andermal.“ „Aber“, setzte die andere Seite zum Protest an, „ich muss doch wissen, was mit dir los ist! - Die Blumen nicht dorthin! In den Raum nebenan zu den anderen! - Schließlich verlangst du auch von mir immer einen ausführlichen Bericht.“ Und plötzlich war er zehn Jahre jünger und hatte wieder seinen kleinen schmollenden Bruder am Telefon, der sich darüber beschwerte, weswegen für ihn andere Regeln galten als für seinen großen Bruder. „Mir war gestern einfach nur nicht so gut“, räumte er nun ein. „Mir geht es aber wieder gut und du brauchst dir deshalb keine weiteren Gedanken machen. Okay?“ „Okay. - Nein, nicht für Sie. Was soll mein Bruder bitte schön mit so etwas? Das hier verlässt sofort mit Ihnen diese Villa und das Grundstück.“ „Ich will nicht wissen, was es war, oder?“ „Nein, willst du nicht. Aber keine Angst, es befindet sich hier schon genug Skurriles, das auf dich wartet. Wieso fangen die nur heute schon an, dich mit dem Zeug zu überhäufen?“ „Falsch, Mokuba. Es wartet nicht auf mich, sondern darauf von dir einer nützlicheren Bestimmung zugeführt zu werden. Und das mein ich ernst! Außer meiner Lieblingsschokolade und ein paar der Blumen will ich nichts mehr in der Villa nächste Woche vorfinden – abhängig davon, von wem die Sachen kommen! War wenigstens für dich auch etwas dabei?“ Er erreichte den Rand des Dorfes und folgte den Schildern, die einen dezent darauf hinwiesen, wo man als Tourist am besten parkte. „Noch nicht. Ich setz meine Hoffnungen alle auf morgen. Ansonsten bin ich ja bereits bestens mit deinem Zeug versorgt. Vielleicht sollte ich ein paar Leute einladen, die mir bei der Vernichtung helfen. Du solltest diese Mengen mal sehen! Ich fotografier dir alles und zeig dir dann die Bilder später. Momentan lohnt sich das noch nicht.“ Er stoppte den Motor. „Mach das. Übertreib es nur nicht mit dem Feiern. Ich versuche mich in den nächsten Tagen nochmal zu melden. Und du brauchst dir wirklich keine Sorgen um mich zu machen.“ „Hab dich lieb, Seto. Und ich weiß doch, dass ich das nicht brauche. Notfalls frag ich einfach den Chef.“ Mit einem Grinsen und noch bevor er reagieren konnte, wurde aufgelegt. Am liebsten hätte er postwendend erneut angerufen, besann sich dann jedoch. Mokuba schien alles im Griff zu haben und anscheinend hielt der Hotelmanager sein Wort und hielt ihn auf dem Laufenden. Allerdings sah er den Anruf gestern als überflüssig an. Von alledem wollte er sich trotzdem in diesem Moment nicht abhalten lassen, seine Idee in die Tat umzusetzen. Der Parkplatz lag direkt an einem kleinen Platz, um den sich die wichtigsten Geschäfte tummelten. Ein Obst- und Gemüseladen, eine Buchhandlung, ein Friseur und zu seiner großen Freude eine Bäckerei. Auf letztere ging er nun geradewegs zu. Zwar hatte er gut gefrühstückt, doch so ein bisschen Hunger machte sich bereits wieder in seinem Magen breit und eine Tasse Kaffee konnte ihm bestimmt nicht schaden. Ein kleines Glöckchen kündete von seinem Betreten des Ladens, der von innen deutlich größer war als er von außen wirkte, zumal er einen deutlich moderneren Eindruck machte als die Hausfassade vermuten ließ. Augenblicklich stürzte sich ein junger Kellner auf ihn, der ihn fragte, für wie viel Personen er einen Tisch bräuchte und ob er bereits wisse, was er trinken wolle. Überrollt von so viel Dienstwilligkeit, setzte er sich an einen kleinen Tisch im hinteren Teil des Speisebereichs und bestellte ein Kännchen schwarzen Kaffees, während man ihm die Speisekarte versprach. Seinen Mantel hängte er über den Stuhl neben sich und er griff anschließend nach der Tageszeitung, die noch fein säuberlich gefaltet auf dem Tisch lag. Kurz blätterte er vor zum Wirtschaftsteil und kontrollierte die Aktienkurse. Alles schien bester Ordnung. „Ihr Kaffee“, schob sich ein Arrangement aus weißem Porzellan in sein Sichtfeld am Rande der Zeitung. „Und die Karte. Die Küche hat momentan noch zu, allerdings kann ich Ihnen unsere Torten und Kuchen empfehlen.“ Wegen dieser Worte rührte er die ihm entgegengehaltene Karte erst gar nicht an. „Was hätten Sie denn da?“ „Einen Blechkuchen mit Obst und Streuseln, Bienenstich, Herrentorte, eine Biscuitrolle mit Himbeeren, eine Torte nach Art des Hauses, eine Banenentorte, ein in der Kastenform gebackener Matcha...“ „Ich nehme die Torte nach Art des Hauses. Danke“, beendete Seto die wohl nicht so bald endende Aufzählung kulinarischer Genüsse, bevor er in Versuchung geriet einen großen Teller mit allem zu ordern. Der Kellner verschwand wieder und er nutzte die Gelegenheit, sein Handy zu zücken, um eine weitere Telefonnummer in Domino zu wählen. „Sweetest Sweets. Was kann ich für Sie tun?“ „Guten Tag, hier ist Seto Kaiba. Ich habe eine Schokoladenbestellung.“ Sein Name schien seine Wirkung nicht verfehlt zu haben und es wurde als nächstes nur die schlichte Frage gestellt: „Gut und für wann?“ „Morgen.“ „Morgen geht schlecht. Wir sind wegen Valentinstag bereits seit zwei Wochen vollkommen ausgelastet.“ „Sie müssten es auch nicht liefern. Ich würde meine Leute bei Ihnen vorbeischicken, um die Bestellung abzuholen“, wurde seine Stimme eine Nuance kälter. „Selbst dann nicht. Tut mir Leid, aber wir sind bereits jetzt froh, wenn wir bis Sonntagmittag sämtliche Bestellungen abgearbeitet haben. Seit drei Tagen nehmen wir schon gar keine neuen Aufträge mehr an. Muss es denn wirklich morgen sein? Reicht Ihnen nicht auch noch im Laufe der nächsten Woche?“ „Was glauben Sie, mit wem Sie sprechen? Wenn ich sage, ich will die Schokolade morgen, dann meine ich das auch so – und keinen Tag später.“ „Ich weiß sehr wohl, wer Sie sind. Doch leider ist es unmöglich Ihre Bestellung rechtzeitig zu erledigen.“ „Dann vergessen Sie es eben. Auf Wiederhören.“ Wohl kaum. Er würde es sich bestimmt dreimal überlegen, ob er dort noch einmal Schokolade oder andere Süßigkeiten orderte. Wenn sie meinten, sie könnten es sich erlauben einen ihrer Stammkunden zu vergraulen, dann seinetwegen. Allerdings war so noch nicht sein Problem gelöst. Vorerst wurden seine Überlegungen, wie er noch so kurzfristig an Schokolade kommen sollte, unterbrochen. „Bitte sehr. Ihr Stück Torte.“ Seine Augen weiteten sich, als er sah, was auf dem Teller war. „Was genau ist das?“, wollte er umgehend wissen. „Unsere Torte nach Art des Hauses. Zwei verschiedene Sorten Boden und drei Sorten Buttercreme und in der Mitte eine Schicht Quittenkonfitüre, um dem schokoladigen Teil die Schwere zu nehmen. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen.“ Er war bereits im Weggehen, während er sich so zu ihm drehte, dass er ihm direkt verschwörerisch in die Augen sehen konnte. „Die Schokolade dafür stammt im Übrigen aus einem kleinen Laden in der Straße, die neben unserem Kaffee vom Platz wegführt. Die Inhaberin stellt selbst her. Allerdings ist dort bis um zwei Uhr geschlossen.“ Und fort war er. Misstrauisch sah Seto ihm nach. Hatte er etwa sein Gespräch am Telefon mitbekommen? Anscheinend. In jeder anderen Situation hätte er sich darüber aufgeregt und sich beschwert, doch nun war er beinahe schon dankbar für den Hinweis, bei dem wenigstens versucht worden war subtil zu sein, und freute sich auf etwas, das seine vernaschte Seite Purzelbäume schlagen ließ – nicht, dass er das im wahren Leben beherrscht hätte. Er griff nach der Kuchengabel und beförderte ein kleines Stück der oberen Schichten in seinen Mund. Ungläubig probierte er die untere Hälfte. Kein Zweifel. Jede Schicht war für sich genommen lecker und so auf ihre Umgebung abgestimmt, dass die Aromen perfekt zur Geltung kamen, da wurde die bunte Optik nebensächlich. Ungefähr bis zur Mitte fuhr er so fort und genoss jeden einzelnen Bissen, danach wechselte er die Strategie und versuchte, ob sich auch die anderen Schichten miteinander kombinieren ließen. So hatte er schließlich das ganze Stück, das vielleicht ein Zwölftel der Torte gewesen war, vertilgt und nippte mit sich und der Welt zufrieden an seinem Kaffee. Es war erst kurz vor eins und er weiterhin der einzige Gast, was nicht heißen sollte, dass kein reger Verkehr herrschte. Fast minütlich klingelte das kleine Glöckchen an der Tür. Es schien fast als käme das gesamte kleine Dorf vorbei, um sich für nachmittags mit feinstem Gebäck einzudecken. Er schenkte ihnen kaum Beachtung und vertiefte sich stattdessen in die Zeitung, bis er einen Gesprächsfetzen mitbekam, der ihn aufhorchen ließ. „Der Ärmste! Und du bist dir ganz sicher, dass Madame nicht doch dieses Jahr über den Valentinstag im Hotel ist?“ „Ganz sicher. Normalerweise kommt sie immer in meinen Laden und deckt sich mit Material für ihre kreativen Arbeiten ein. Das heißt, er verbringt morgen ohne seine Familie und dass, wo er doch eh die ganze Zeit nur in seinem Hotel verbringt und kaum woanders hinfährt.“ „Naja, vielleicht hatte sie auch einfach nur zu viel vorher noch zu tun und kommt dann kurzfristig morgen. Ich muss jetzt leider weiter machen. Kommst du heute Nachmittag nochmal vorbei?“ Eigentlich hasste er diese Art von Klatsch aus tiefster Seele, doch nun lieferte er ihm interessante Informationen. Da stürzte sich wohl auch noch jemand anderes so sehr in die Arbeit, dass kaum Zeit für anderes blieb. Vielleicht ergaben sich noch ein paar mehr Parallelen mit ihm. Aber das würde er schon noch herausfinden, wenn er seinen Plan umsetzte. Den Teil mit der Familie überging er gekonnt. Punkt zwei stand er vor dem kleinen Laden in der Seitenstraße, auf dessen Scheiben in goldener Schrift die Worte „Chocolat Noir“ standen. Plötzlich unsicher prüfte er die Ladentür und stellte erschrocken fest, dass sie bereits offen war und nachgab. Es gab jedoch kein Geräusch, dass dies verriet. Jetzt könnte er immer noch kehrt machen und … „Kommen Sie doch bitte rein“, bat ihn eine weibliche Stimme aus dem hinteren Teil des Ausstellungsraumes. Zu spät. Innen war es heller, als er auf den ersten Blick von außen erwartet hatte und hinter dem Tresen, der fast die gesamte Raumbreite einnahm, stand eine junge Frau Anfang zwanzig, deren langes, lila Haar in einem Zopf gebändigt war. „Was kann ich für sie tun?“, fragte sie, nachdem sie mehrere Augenblicke Seto beobachtete, der perplex erst sie und dann den Laden genauer betrachtete. „Ah, ja“, riss er seinen Blick von der weißen Version eines süßen kleinen Hündchens, bei dem selbst der Blick stimmte, los. „Liefern Sie auch?“ Ihr Blick wurde skeptisch. „Das hängt immer davon ab, wohin und an wen.“ Er hatte schon ansetzen wollen, dass Geld keine Rolle spielte, als ihm der letzte Teil ihres Satzes auffiel. „An das kleine Hotel an der Küste. Ich bin dort für zwei Wochen und wollte mich für den bisherigen Aufenthalt bei den Angestellten bedanken.“ Ihr Blick blieb, doch ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Und wieso soll ich die Schokolade dann liefern, wenn Sie sich doch bedanken wollen?“ Er kannte die Antwort, doch es war ihm peinlich es auszusprechen. Noch am Morgen hatte alles wunderbar einfach geklungen und nun stand er vor dieser Frau und rang mit den Worten. „Weil ich nicht diese Art von Mensch bin“, brachte er schließlich hervor. „Außerdem habe ich bisher nur die Hälfte dort kennengelernt.“ „Lassen Sich mich raten. Yuki, Shin und der Chef? Der Rest sind Hans, der Koch, und Cian und Matthew, die alles in bester Ordnung halten. Und keine Angst, ich werde die Schokolade vorbeibringen, aber mit den Konsequenzen müssen Sie selbst klar kommen.“ Sämtliche Skepsis war verflogen, doch wäre diese ihm in Anbetracht ihres nun sehr intensiven Blickes lieber gewesen. „Haben Sie bestimmte Vorstellungen, was Sie verschenken möchten?“ Zögerlich nickte er und erklärte so knapp wie möglich, was er sich vorstellte. Sie nickte nur, machte sich mehrere Notizen und rechnete dann alles zusammen. Anschließend verabschiedete sie sich mit Handschlag von ihm und teilte ihm noch mit, dass er sich keine Sorgen machen solle, falls sie erst abends oder nachts dazu kam alles rüber zu fahren – der Laden wäre am 14.2. immer besonders stark frequentiert. Seto stand bereits wieder auf dem Platz, an dem auch das Cafe lag, bevor ihm auffiel, dass sie ihm mit dem Handschlag ein kleines Tütchen in die Hand gedrückt hatte. In sauberer Handschrift stand „gegen Nervosität, die entsteht, wenn man etwas Gutes tut, obwohl man so etwas normalerweise nicht macht“ auf der Folie, die den Blick freigab auf eine kleine sitzende Katze aus Zartbitter. Ohne lang zu überlegen, öffnete er das Tütchen und steckte sich die Schokolade in den Mund. Die Folie strich er glatt und ließ sie in seiner Manteltasche verschwinden. So gestärkt betrat er den Buchladen. Im Halbdunkeln wäre er beinahe an dem Tor im Zaun vorbeigefahren. Nur das leichte Aufblinken einer Lampe machte ihn darauf aufmerksam und sorgte für eine Vollbremsung seinerseits, während sich tatsächlich die Torflügel vor ihm öffneten. Wie Irrlichter führten ihn weitere kleine Lampen vom Tor weg zum Ferienhaus, vor dem er den Wagen parkte. Er griff sich die Tüte vom Beifahrersitz, stieg aus und schloss die Haustür auf. Er hatte den gesamten Nachmittag mit Stöbern in dem erstaunlich gut sortierten Buchladen verbracht. Immer wieder hatte er sich ein Buch aus den Regalen genommen und es angelesen. Das wenige Personal hatte ihn nicht behelligt und noch nicht einmal seltsam angesehen, obwohl auf der Titelseite eines Wirtschaftsmagazins gut sichtbar sein Antlitz prangte. Deshalb hatte er sich schließlich auch getraut zwei Bücher zu dem wachsenden Stapel auf der Kasse hinzuzufügen, die er sonst wohl über andere Wege erworben hätte. Er hatte bar gezahlt und mit sieben Büchern den Laden verlassen, als dieser schloss. Zwei waren ein Mitbringsel für Mokuba, drei würde ihre Bibliothek zu Hause um ein Sachbuch und zwei Thriller erweitern und zwei weitere würde er wohl mehr als gut verstecken müssen. Der Laden führte Shonen-Ai! Notfalls würde er sie nach dem Lesen im restlichen Urlaub wohl einfach mit in das Bücherregal stellen. Im Wohnzimmer tastete er nach dem Lichtschalter und kniff die Augen zusammen, weil die Deckenleuchte schlagartig aufflammte. Beinahe fühlte es sich an wie nach Hause Kommen, während sein Blick durch den Raum streifte. Auf dem Esstisch lag ein Zettel, der am Morgen noch nicht dort gelegen hatte. Er trat näher heran und las. Da ich nicht wusste, wann Sie von Ihrem Ausflug zurück sind, auf diesem Wege: Shin kocht für Morgenabend ein Menü und wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns im Hauptgebäude Gesellschaft leisten würden. Beginn: 18 Uhr Yuki PS: Dadurch fällt das Mittagessen aus. PPS: Falls Sie lieber für sich bleiben möchten, sagen Sie mir bitte Bescheid. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)