ANY Adventure von Storyteller_Inc ================================================================================ Kapitel 2: Zwischen Startschwierigkeiten und Lügen -------------------------------------------------- Ich wusste, ein weiteres Mal in meinem Leben, dass ich in Zukunft auf Fruchtlikör verzichten würde. Zumindest sagte mir mein schmerzender Kopf das, auch wenn ich mich nicht wirklich daran erinnern konnte, während des Gesprächs mit Kira getrunken zu haben. Damals mit Shicchi hatte ich mir immerhin geschworen nie wieder auf Rechtschreibfehler in FFs zu trinken. Oder auf Worte die zu häufig benutzt wurden. Das wäre mein Todesurteil gewesen. Doch wenn ich nicht getrunken hatte, warum sollte ich Kopfschmerzen haben? Wenn es noch ein Traum gewesen wäre, dann hätte ich sie wohl, weil mich irgendwer nieder geknüppelt hatte. Doch mal ehrlich, wie wahrscheinlich war es, abgesehen von einer Geschichte, dass man in einer Serie landete, die man mochte. Noch dazu wie wahrscheinlich war es, dass alle dann Deutsch sprachen. Zumindest mussten sie das, sonst hätte ich die Wache ja nicht verstanden. Und da ich mir sicher war, dass Leute in Yona japanisch, chinesisch, koreanisch... naja eben asiatisch sprachen, und mein japanisch aus „Hallo“, „mein Name ist“ und ein paar einfachen Phrasen bestand, bezweifelte ich, dass man damit eine ordentliche Konversation führen konnte. Die einzige logische Schlussfolgerung war also ein Traum. Sicher war ich irgendwie auf der Couch eingeschlafen. Ich konnte nur hoffen, dass ich dabei nicht meinen Laptop runtergeworfen hatte. Ein Ding, weswegen ich für gewöhnlich in Panik ausgebrochen wäre. Doch der Kopfschmerz betäubte jedes Gefühl, dass gerade aufkommen konnte. Es dämmerte mir dadurch erst sehr spät, dass etwas nicht stimmte. Etwas, dass deutlich hätte sagen müssen, dass ich nicht auf meiner Couch lag. Die Unterlage war nicht nur bequemer, sondern auch größer als meine Couch. Meine Beine lagen flach auf dieser. Über meine Couch hätten sie drüber geguckt und das wäre alles andere als bequem gewesen. Doch das war auch nicht alles. Eine Decke hüllte meinen Körper ein. Warm, bequem und verführerischer. Und obwohl mein Kopf schmerzte, lag auch dieser weich. 'Immerhin kein Steinboden...', flüsterte ich mir in Gedanken zu, als ich mich daran erinnerte, wo ich nieder geknüppelt worden war. Die Frage war nur, wo ich jetzt war, wenn dieser seltsame Traum oder was auch immer das war, kein Ende hatte. Oder war ich nun in eine andere Serie gesprungen? Ich überlegte, in was für einer Serie ich wohl in einem bequemen Bett aufwachen würde. Da gab es viele zur Auswahl. Sehr sehr viele. Und in den meisten wollte ich nicht einmal sein. Einfach weil... Gründe. Wahrscheinlich hatten mich die MSPs gelehrt, dass es wohl besser war in seiner eigenen Welt zu leben, weil es einfach nur deprimierend war, wenn man in einer Welt, mit seinen Helden, erkennen musste, dass man selbst dort noch viel zu normal war. Sicher die MSP machten auch Spaß, ebenso das Erleben dieser Welten, aber ich war mir ehrlich gesagt der unliebste Protagonist einer Geschichte. Ich holte tief Luft und fühlte eine Woge der Erleichterung. Erleichterung, weil mein Kopf beim atmen und tiefen Luft holen nicht schlimmer schmerzte. Es war somit nicht unangehm. Vorsichtig schlug ich die Augen auf und blickte an die hölzerne Decke. Sie hatte tiefe Vierecke als Einkerbung und das Holz hatte eine dunklere Farbe. Es wirkte edel, fast schon teuer. Um unnötig schmerzerregende Bewegungen zu vermeiden, wandte ich meinen Kopf langsam, fast wie in Zeitlupe, wandte ich meinen Kopf zu meiner Linken. Ein rotbrauner Schrank mit goldenen Griffen. So gut es ging, linste ich weiter hoch. Ein dunkler Raumteiler stand nicht unweit von mir. Dunkles Holz, kein helles, so wie das ganze Zimmer scheinbar war. Das einzig bunte war Stoff mit dem der Raumteiler bezogen war. Wobei es wohl mehr motivreich als bunt war. Doch so richtig konnte ich es nicht sehen, da ich es vermied mich zu viel zu bewegen. Wäre ja nicht verwunderlich, wenn so ein Schlag mir eine Gehirnerschütterung beigefügt hatte. Kopfschmerzen waren da ein Zeichen davon. Hatte ich gehört. Gefolgt von Übelkeit. Die verspürte ich glücklicherweise nicht. Dafür hatte ich aber das starke Bedürfnis nach einem Cappuccino. Den mit Karamellgeschmack, den mir Shicchi mal geschenkt hatte und den ich mir seit dem immer wieder kaufte, auch wenn er teuer war. Aber ich liebte ihn. Ich vernahm ein Rascheln und das Geräusch einer Tür die aufgeschoben wurde, zu meiner Rechten. Es war ein Reflex, als ich dahin sah und nur noch den Rücken eines Wächters erkannte, der wohl die ganze Zeit mit mir in diesem Zimmer gewesen war. Vermutlich um mich zu bewachen und jemanden zu holen, wenn ich wach wurde. Doch er war nicht allein. Ich erkannte noch den Teil einer zweiten Silhouette. Jemand der also vor dem Zimmer Wache stehen würde. Mit Sicherheit sah der nicht so gut aus wie Souji Okita und mit noch größerer Sicherheit würde er nicht einmal lange fackeln, bevor er mich umbringen würde, wenn ich auch nur versuchte zu fliehen. Dennoch die Chance alleine in diesen Räumlichkeiten konnte ich mir nicht entgehen lassen. Ich setzte mich auf und erkannte, dass ein Futon oder derart in der Mitte des Raumes ausgebreitet worden war. Für mich scheinbar. Seltsam. Erst niedergestreckt und dann liebevoll gebettet. Das gab mir mehr zu denken als wenn ich in einem Kerker erwacht wäre. Vor mir, an der hintersten Ecke stand ein Sekretär auf dem ein paar Bücher lagen, zusammen mit wenigen Schriftrollen, und auch ein Tintenfass zu sehen war. Sicher hätten mir die Schriftrollen verraten, wessen Zimmer ich einfach mal so dreist und ungewollt in Beschlag genommen hatte. Doch spionieren war nicht gerade mein Ding. Zumindest nicht, wenn man mich dabei erwischen konnte. In der Schule wurde man ja auch nie für das Spicken bestraft, sondern dafür, dass man nicht clever genug war sich dabei nicht erwischen zu lassen. Gerade jetzt da jemand losgegangen war um eine bestimmte Person über mein Erwachen zu unterrichten, war das Erwischt werden eine hohe Wahrscheinlichkeit. ~*~ Schon länger spielte mir mein Gedächtnis mit großer Freude einen Streich, genauso wie mein nicht gerade akkurates Zeitgefühl. Ich konnte mich daran erinnern, dass ich mal in einem Artikel gelesen hatte, dass manche Menschen ein gutes Händchen dafür hatten, wenn es darum ging die Zeit richtig einzuschätzen – und andere nicht. Während die, die es konnten, bereits nach 58 Sekunden davon ausgingen, dass eine Minute vergangen war, machten sich die weniger talentierten erst nach über 70 Sekunden bemerkbar. Mir ging es nicht anders, schon oft dachte ich: ‚Ach, es sind doch noch zehn Minuten‘ oder: ‚Zum Glück sind gerade mal fünf Minuten vergangen!‘ Ein Blick auf die nächstbeste Uhr warf mich oft genug in die Realität zurück, zeigte mir mit einer gnadenlosen Kälte, wie sehr ich mich doch wieder geirrt hatte. Wenn ich mich morgens fertig machte oder auf dem Weg zum Schulbus war. Wenn ich abends am PC saß und mich darüber wunderte, warum es schon 22 Uhr ist, während es doch gerade vor einer (gefühlten) Viertelstunde erst 20 Uhr war. Auch jetzt konnte ich kaum einschätzen, wie spät es war. Aus Gewohnheit blickte ich auf mein linkes Handgelenk, doch dieses war leer. Wie immer hatte ich, während ich zuhause war, meine Armbanduhr nicht an meinem Arm, sondern auf dem Tisch abgelegt. Nun gut, genauer gesagt hatte ich den vorherigen Tag bei meinem Freund verbracht, nicht, dass es nicht schon längst eine Art zweites Zuhause für mich geworden war. Ebenso hatte ich kein Handy in der Hosentasche, das mir verraten konnte, wie spät es war. Überhaupt hatte ich keine Hosentaschen in meiner Hose und konnte nur hoffen, dass ich hier keinen Schnupfen bekommen würde. Denn wenn ich mal so richtig schneizen musste, dann aber ordentlich. Bis heute habe ich keine Ahnung, wie das ganze Zeit in meiner Nase entstehen konnte. Immer, wenn ich Google befragt habe, wo genau in der Nase sich das nervige Schleimzeugs bildet, wusste die Suche nicht, was ich von ihr wollte. Stumm sah ich mich um. Ich war in keinem Traum, das hatte ich bereits in der Nacht zuvor festgestellt. Allein schon die Tatsache, dass ich in meinem Traum richtig gefroren hatte und mir mein Hirn nicht nur sagte: Obacht, hier ist es kalt!, war für mich schon ein sehr guter Beweis dafür, dass das, was hier alles um mich herum war, zur Realität gehörte. Zwar nicht zu meiner eigenen, aber zu überhaupt einer. Um mich herum waren nur Bäume, so hoch, dass den Himmel kaum sehen konnte. Ich blickte mich nach den anderen um, doch Hak war nicht da. Yona dagegen war gegen einen dicken Baumstamm gelehnt, ihr Mantel umhüllte sie immer noch wie eine Decke. Sie selbst schlief und ich konnte mir nur vorstellen, was sie vor ihren inneren Augen sah. ‚Ob sie wohl wieder den Tod ihres Vaters sieht? Armes Mädchen … ich kann mir gar nicht vorstellen, was schlimmer ist. Seinen Vater nie wirklich gekannt zu haben, bevor er starb oder ihn ganz lange gesehen zu haben, nur um dann seinen Tod live mitzubekommen …‘_ Gerade, als ich mir überlegte, ob ich nun lieber hier in diesem improvisierten Lager bleiben oder nach Hak suchen sollte, riss Yona die Augen weit auf. Ihre Brust hob sich heftig und auch ihre Atmung ging schwer. Ihr Blick ging ins Nirgendwo und ich war mir sicher, dass sie aus einem nicht so schönen Traum gerissen worden war. Er erinnerte mich an den einen Traum, in welchem ich starb und auch mit einem leichten Schreck aufgewacht war. Es war kein schönes Gefühl. Ich beschloss, Yona zu beobachten, als ich feststellte, dass sie sich erst selbst panisch umsah und anschließend zu mir hinüberblickte. Unsicher, ob sie mich ansah oder doch einfach nur wieder durch mich hindurch, blickte ich zögerlich zurück. Immer wieder mit höflichen Blickpausen. Zwar konnte ich nun anderen Leuten in die Augen blicken, wenn sie mich ansahen. Dennoch mochte ich es nicht, wenn mich andere Menschen ansahen, besonders, wenn ich sie nicht so gut oder gar nicht kannte. Und im Grunde waren Yona und ich Fremde zueinander. ~~*~~ Es hatte ein paar Sekunden gedauert, bis ich mich erhoben hatte. Mein Kopf war verbunden worden von irgendwem, was mir sagte, dass ich wohl doch eine kleine Verletzung hatte. Na immerhin erste Hilfe hatten sie geleistet. Und doch war das seltsam. Ich musste wahrscheinlich mehr auf der Hut sein, als ich eigentlich wollte. Ich lief zu der Kommode, auf der ich eine auffällige Schatulle gesehen hatte. Sie passte so gar nicht in diesen Raum, wahrscheinlich weil sie nicht gerade so aussah, als wäre sie in diesem Land fabriziert worden. Doch noch interessanter war das Blatt Papier auf der Schatulle. Die Schrift war mir zwar nicht fremd, aber keine die ich lesen konnte. „Koreanisch? Gott warum konnte ich mich nic-“ Ich stockte und blinzelte verwirrt. In meiner Welt konnte ich lesen und ich verstand auch die deutsche Sprache. Hier aber verstand ich scheinbar die Sprache, anders konnte ich mir das Gespräch mit dem Wächter nicht erklären, konnte sie aber nicht lesen. 'Na super... Ich würde also einen ganz miesen Spion abgeben. Also schön ich verstehe koreanisch? Yey. Das hätte ich damals für japanisch im Studium gebraucht. Wobei nein, dann wäre ich immer noch durchgefallen, wenn ich es nicht lesen kann.' Ich grummelte. Für mich war eine Sprache zu sprechen und zu lesen essentiell wichtig. Aber gut, ich musste hier wohl das beste draus machen. Irgendwie. Zur Not konnte ich meine Inkompetenz fürs Lesen auf meinen Stand schieben. Ik-So war ja nicht umsonst so verwundert gewesen, als Yoon ihm erzählt hatte, dass er lesen konnte. Noch dazu war diese Mangel auch nicht unpraktisch für meine Lüge, dass ich Geschichtenerzählerin war. Geschichten musste man nur hören. Man musste sie nicht unbedingt selbst lesen, um sie anderen gut zu vermitteln. Bänkelsänger sangen sie ja auch ohne sie zu lesen. Sie hatten sie vielleicht mal gelesen, aber wer wusste das schon so genau? Damit hätte sich also auch die Tatsache geklärt, dass ich mir ja die Bücher oder Schriftrollen ansehen konnte. Lesen konnte ich sie eh nicht. Das wurmte mich wohl am meisten. Oder viel mehr meine Neugier wurmte das. Ich zuckte zusammen, als die Tür hinter mir aufgeschoben wurde und ich so aus meinen Gedanken gerissen wurde. Ich wandte mich und fühlte mich dabei wie ein ertapptes Kind, dass verbotener Weise in die Keksdose gegriffen hatte. Vor dem Mittagessen. Das verdarb angeblich den Appetit. Ich versuchte mich zu beruhigen, denn ich hatte nichts verwerfliches getan. Mal davon abgesehen, dass sollten hier irgendwelche sehr wichtigen Dokumente liegen, ich diese sowieso nicht lesen konnte. Gerade das ich so erschrak wirkte doch auffällig, wenn der Mann, der soeben das Zimmer betreten hatte, es bemerkte. Sein strenger Blick ruhte auf mir, als er mich musterte und scheinbar abzuschätzen schien, ob ich eine Gefahr war oder nicht. Zumindest vermutete ich das, denn er schickte seinen Wachmann, der mit ihm den Raum betreten hatte, aus diesem, wobei der Wachmann ein paar Kleidungsstücke, die er in den Händen gehalten hatte, neben sich auf dem Boden legte. ~*~ Unsicher darüber, was ich machen sollte, erhob ich mich und ging langsam zu Yona herüber, wollte sie beruhigen, damit sie keine Angst vor mir haben muss. Dabei hatte ich mit jeder Art von passiver oder gar keiner Reaktion erwartet, aber nicht mit dem, was nun passierte. Ich konnte gerade noch den panischen Rehblick in ihren Augen sehen, als sie mich schon mit ihren Händen von sich stoß. Verwirrt taumelte ich ein paar Schritte nach hinten und plumpste auf meinen Hintern. Da dieser allerdings nicht so gut gepolstert war wie der aus meiner Heimatdimension, tat mir der Fall mehr weh als sonst. Erst jetzt hörte ich, wie sich Yonas Stimme überschlug und um Hilfe, nach Hak rief. ‚Ohje, was ist denn jetzt los? Erkennt sie mich etwa nicht? Bestimmt hat sie nicht mitbekommen, dass ich mit dabei bin seit der letzten Nacht.‘ Was mich nicht wundert, ich werde oft von anderen Menschen nicht wahrgenommen. Als ein kleiner, introvertierter Mensch bin ich vielen Leuten einfach zu klein, weil ich mit meiner Körpergröße unter ihrem Sichtfeld liege. Überhaupt bin ich ein stummer Mensch und wenn ich unterwegs bin, nehmen mich die Leute dank meiner grauen Aura nicht wahr. Ich wurde unsichtbar, auch wenn ich es nicht wollte. Selbst mit meiner auffälligen Haarfarbe passiert es mir, dass die Leute regelrecht verdattert darüber waren, dass ich da auf einmal stand, obwohl ich das schon länger tat. Es wunderte mich nicht, immerhin stand Yona nach wie vor unter Schock. Ich wollte ihr keine Vorwürfe machen. Dass sie mich allerdings wie einen Mörder oder gar wie einen Vergewaltiger ansah, der gerade Frischfleisch gefunden hatte, gefiel mir dagegen gar nicht. „Yona-Hime, geht in Deckung!“, rief Hak laut, aber bestimmt und hatte seine Waffe gezückt, bereit, die ihm unbekannte Bedrohung mit einem Hieb aus der Welt zu schaffen. Ich konnte mir die Situation vor meinem inneren Auge bereits vorstellen: Hak kam auf die Idee, dass ich eine Gefahr für die rothaarige Prinzessin sein könnte und würde mich auf der Stelle umbringen. Oder an einen anderen Ort bringen, wo Yona meine Hinrichtung nicht mit ansehen möchte. Hak würde mich mit einem derartig hasserfüllten Blick ansehen, dass ich mir vorkommen würde wie Soo-Won Junior. Zu meinem Glück wurde diese pessimistische Vermutung nicht zur Wahrheit, dennoch sah mich Hak nicht gerade freundlich an. „Ich habe zwar keine Ahnung, was hier vorgefallen ist, aber du bist mir offensichtlich eine Erklärung schuldig! Was ist mit Yona-Hime passiert?.“ ‚Hilfe, der denkt doch hoffentlich jetzt nicht, dass ich irgendwas gemacht habe …‘ Ich beschloss, dass es wohl an der Zeit war, mich von meinem kurzen Leben zu verabschieden. ‚25 ist ja auch eine schöne Zahl, um zu sterben … oder angeschissen zu werden. Bitte, lass es nur ein Anschiss sein. Ich muss nur mit ihm reden … wenn nur meine Gedanken nicht wieder durchdrehen würden!‘ Mit eben jenen mürrischen Ausdruck im Gesicht kam er auf mich zugeschritten, als er mit einem Mal innehielt. Beide blickten wir auf den unteren Teil seiner Kleidung, an welche sich Yona wie ein kleines Kind an ihre Mutter festgeklammert hat. Ihre Augen hatten einen lebendigeren Eindruck als noch vor wenigen Sekunden, ängstlich blickte sie zwischen ihrem Beschützer und mir hin und her. Sie musste nicht einmal aussprechen, was sie sagen wollte, ihre Augen übernahmen es für sie und Hak verstand. „Verzeiht mir. Ich habe Wasser geschöpft …“ Immer mehr und mehr verstand Yona die Situation, ihre Atmung wechselte von schnell auf stockend. Erst waren es ein paar einzelne Tränen, die ihre Wangen herunterliefen, doch nur wenige Herzschläge später erfüllte ihr verzweifeltes Weinen unsere nähere Umgebung. Als würde sie versuchen, all die Schmerzen, die furchtbaren Erinnerungen und die unendliche Traurigkeit mit ihren Tränen vollständig aus ihrem Körper zu spülen. Den Körper zusammengekrümmt, saß sie vollkommen hilflos vor uns, ein stummer Schrei nach Liebe und Wärme. Vorsichtig versuchte ich, die passenden Worte zu finden. „Keine Angst, ich habe ihr nichts getan, im Gegenteil, sie hat bis eben noch friedlich an dem Baum geschlafen. So gut es in ihrem Zustand jedenfalls ging … bis sie dann schließlich aufgewacht ist. Bestimmt hat sie mich nicht wiedererkannt oder gestern nicht mitbekommen, dass ich mit euch zusammen mitgegangen bin. Ich kann es ihr nicht verübeln, mich würde das bestimmt auch ziemlich erschrecken.“ Stumm betrachtete er mich, anschließend die Prinzessin und dann wieder mich. Sein Blick wirkte ein wenig weicher, wenn auch nicht viel. „Pass auf sie auf … tröste sie!“, waren seine einzigen Worte an mich, bevor er sich mit dem Feuerholz im Arm in eine Ecke unseres kleinen Lagers verzog. Ich folgte ihm, zwang mich jedoch dazu, die weinende Prinzessin anzusehen. Wie ich sie so sah, spürte ich, wie ich mich ein weiteres Mal mit der Situation überfordert fühlte. So oft hatte ich irgendwo, vermutlich in irgendwelchen Heften gelesen, was man zu traurigen Menschen sagt und welche Gesten man mit ihnen macht. Auch habe ich es oft genug in Serien gesehen. Menschen umarmten andere oder sagten ihnen aufmunternde Worte. Sie wussten immer, wie man sich in solchen Situationen verhält. Ich dagegen war immer überfordert. Nie konnte ich mit Sicherheit sagen, was ich nun als nächstes sagen sollte. Zwar wusste ich, dass so 08/15-Spruche wie „Das wird schon“ oder „Die Zeit heilt alle Wunden“ überhaupt nicht helfen. Es ist mehr eine Standard-Floskel, ein homöopathischer Spruch in meinen Augen, den man halt so sagt. Daher verkniff ich ihn mir, was mich zugleich aber noch mehr verwirrte. Gefühlt hatte ich Haks Blick im Rücken, aber ich wollte nicht nachsehen, ob er mich gerade wirklich mit seinem Blick durchbohrt oder ob es nur wieder an mir lag , an meiner Introversion oder dem sogenannten Spotlight-Effekt lag, das wollte ich lieber nicht überprüfen. Was hätte ich Hak denn sagen können? Sorry, aber ich bin gerade überfordert? Nein, ich musste bei den beiden bleiben, sonst müsste ich mich bald von meinem Leben verabschieden und das gerade mal mit jungen 25 Jahren. So nahm ich meinen Mut zusammen und ging auf Yona zu. Setzte mich neben sie auf den doch recht warmen Erdboden. Noch immer wollten mir keine Worte einfallen, die ich auch aussprechen wollen würde und ich hatte immer mehr das Gefühl, dass sich in dem Hohlraum zwischen den zwei kleinen Ohren nur schneeweiße Watte befinden würde. Sie dort an diesem Baum sitzen zu sehen, wie sie sich die Augen ausweinte und so tiefen Schmerz verspürte … weckte in mir mein Mitgefühl. Auch meine eigene Gefühlswelt trübte sich, als würde sie mich mit ihrer Trauer anstecken, doch ich ließ es zu. Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, begann ich sie langsam am Kopf zu streicheln. Augenblicklich zuckte sie unter meiner Hand zusammen, doch dann ließ sie es geschehen. Nur für ein paar wenige Sekunden, dann begann sie noch stärker zu zittern und lauter zu weinen. ‚Na toll, das habe ich ja sauber hinbekommen … und ich hab hier kein Taschentuch dabei. Nicht mal Ärmel habe ich an meinem Shirt … uff, das wird ja toll. Haks Jacke kann ich schlecht nehmen, die gehört ja mir nicht. Wenn wir alleine wären, würde ich vllt mein Shirt ausziehen, aber mit Hak in der Nähe geht das schlecht … arrrrgh!‘ Jetzt kam ich mir noch bescheuerter vor, immerhin weinte sie jetzt noch lauter als vorher. Wenn mich Hak mit seinem Blick nicht bereits vorhin erdolcht hat, tat er es jetzt mit Sicherheit. Was ich immer noch nicht überprüfen wollte. Ein paar Seufzer später gab ich mir einen weiteren Ruck, statt ihrem Kopf streichelte ich nun sachte ihre Schulter, fuhr einfach nur mit den Fingern immer wieder hinunter. „Prinzessin“, sagte ich so sanft wie es mir möglich war. Auch beschloss ich, angesichts der Lage Yona lieber erst einmal zu siezen. Nicht, dass Hak das noch als fehlenden Respekt bewertet. Lieber kein Risiko eingehen, lautete im Moment mein Motto. „Ich möchte nur, dass Ihr wisst, dass Hak immer für Sie da sein und Sie beschützen wird. Er wird Ihnen niemals von der Seite weichen. Ich kann zwar nicht kämpfen, aber wenn du mal eine Schulter zum Ausweinen brauchst … dann kannst du meine gerne haben.“ Wie überzeugend es von einer total Fremden klang, wusste ich nicht. Zwar kannte ich sie durch den Anime, aber irgendwo war sie doch eine Fremde für mich. Und aus ihrer Sicht war ich erst recht eine total unbekannte Person. Natürlich könnte ich ihr noch sagen, dass sie mir ruhig vertrauen könnte, oder ähnliche Dinge, aber das verkniff ich lieber herunter. Angesichts der Situation kam mir das nicht angebracht vor. Genauso wenig, wie Vergleiche zwischen ihrem Vaterverlust und dem meinigen anzustellen. ‚Was wohl schlimmer ist? Seinen Vater nie richtig kennenzulernen und dann zu verlieren; oder seinen Vater ewig zu kennen und dann mit ansehen müssen, wie er vor den eigenen Augen wie ein Monster gerichtet wird … ich kann es mir nicht vorstellen‘ So schluckte ich auch das Bedürfnis herunter, zumal es mir noch immer schwerfiel, über das Thema zu reden. Ich blinzelte die winzige Flüssigkeit, die sich wie immer in meinen Augen sammelt, hastig weg und sah Yona direkt an. Noch immer weinte sie vor sich, wenn auch mittlerweile stumm. Ob sie nun ihre Stimme oder nur ihre Kraft verlassen hatte, konnte ich nicht sagen. Ihr Blick sah hinüber zu Hak, als er sich allerdings von der Stelle bewegte, folgten ihre Augen ihm nicht. Stattdessen starrten sie in die weite Ferne, ohne wirklich etwas zu erfassen. ‚Ich hätte niemals gedacht, dass ich diesen Blick eines Tages mal zu Gesicht bekommen würde, abgesehen von Wikipedia und den Ergebnissen der Google Bildersuche …‘ Allerdings waren die Tränen versiegt und auch ihre Atmung wie auch ihre komplette Haltung beruhigt. Unsicher darüber, was meine nächsten Schritte sein sollten, sah ich die beiden abwechselnd an und beobachtete sie bei ihren Tätigkeiten. Keiner von ihnen sagte etwas, Hak hat die Umgebung im Auge, für den Fall, dass uns jemand von den Wachen gefolgt war und Yona hing ihren Gedanken nach. Erneut seufzte ich. Die Stimmung, die in Luft hing, war keine angenehme. Es erinnerte mich fast schmerzlich an die unzähligen Male, in denen eine unschöne Stimmung im Raum war oder ein peinliches Schweigen. So gut wie jedes Mal wusste ich nicht, ob und was ich sagen sollte, um dieses Schweigen zu brechen oder die Situation wieder herzustellen. ‚Ich kann mir nur halbwegs vorstellen, was in den beiden vorgeht. Immerhin hat sie ihr Kindheitsfreund verraten, den König kaltblütig ermordet und den Thron an sich gerissen. Zwar war mein damaliger Kindheitsfreund auch erst nett und hat sich dann als Arsch entpuppt, aber immerhin hat er nicht vor meinen Augen meinen Vater umgebracht. Gut, das Gejammer, dass er aufgrund der Scheidung seinen Vater nicht mehr so oft sehen konnte, war auch eine Art Magenschlag. Wenn auch ein anderer … Die beiden haben ihm vertraut und nun sind sie vor ihm auf der Flucht. Zwar weiß ich, dass er Yona und bestimmt auch Hak nichts antun würde, aber das könnte ich den beiden doch nicht erzählen. Immerhin kann ich das ja nicht wissen, weder ihre besondere Verbindung aus der Kindheit, noch die Details rund um Soo-Won. Ich wünschte, Fierce wäre hier, er wüsste, was zu tun wäre. Oder er würde wenigstens dafür sorgen, dass ich mich nicht so hilflos fühle. Ob er bereits mitbekommen hat, dass ich weg bin? Wie wohl die Zeit hier vergeht, schneller, langsamer oder genauso schnell wie daheim?‘ Eilig schüttelte ich den Kopf, auch wenn sich die Gefühle nur schwer ignorieren ließen. Genauso wenig konnte ich den Gedanken wegschieben, dass ich den beiden unbedingt helfen sollte. Dass ich etwas gegen die bedrückende Stimmung unternehmen sollte. Doch was nur? ‚Ob es ihnen hilft, wenn ich einfach für sie da bin? Wenn ich sie unterstütze? Bestimmt hilft ihnen das am besten, immerhin bin ich nicht gerade die Einfühlsamste … Zwar müssen die beiden sich mit den Ereignissen auseinandersetzen, aber sich die ganze Zeit den Kopf darüber zu zerbrechen, ist in meinen Augen auch keine Lösung. Irgendwann drehen sich die Gedanken im Kreis und besonders dann erreicht man gar nichts.‘ Zwar hatte ich noch keine Ahnung, wie ich das anstellen könnte, aber ich konnte auch nicht nichts tun. Sonst würde mich Hak wegschicken und dann war ich vollkommen verloren. Ich wusste nicht genau, warum ich hier gelandet war. ~~*~~ Geräuschvoll verschloss sich die Tür hinter ihm und ich war alleine mit dem Mann, den ich als rechte Hand oder viel mehr Berater Soo-Wons erkannte. Ein klares Zeichen dafür wo ich wohl war. Im Palast. Die Räumlichkeiten hätten mir das zwar deutlich machen müssen, eben so die Wachen, aber jetzt wurde es mir nur noch klarer. „Die Sachen sind für Sie. Ziehen Sie sich um, bevor ich zum Verhör mit Soo-Won-sama bringe.“ Mit einer geschmeidigen Handbewegung wies er auf die Sachen, die am Boden lagen. Gleichzeitig fragte ich mich, was mit meinen nicht in Ordnung war... Aber gut, es war wohl vorerst besser zu tun was man mir sagte. Dennoch konnte ich nicht anders als den Berater misstrauisch zu beäugen, während ich auf die Sachen zulief und sie aufhob. Ich traute ihm irgendwie keine fünf Meter über den Weg, nicht nachdem er gefordert hatte, dass man Yona umbrachte. Aber dass ich es wusste, konnte er noch nicht einmal ahnen. Mit den Sachen in der Hand, und immer noch ein Auge auf den Berater habend, ging ich zum Raumteiler, hinter dem ich mich vor seinen Blicken sicher fühlte. Irgendein Gefühl sagte mir, dass er wohl jetzt nicht einfach spannen würde. Dafür schien er mir nicht der Typ zu sein. Dennoch lauschte ich und versuchte Geräusche auszumachen, die nicht von dem Raschen meiner Kleidung kam, die ich mir über den Kopf zog. „Sie tragen seltsame Sachen, woher kommen Sie?“, hörte ich plötzlich seine Stimme, während ich den Akt des mich Umkleidens vollzog. Doch ich dachte auch nach, was genau ich erzählen sollte. Und ich durfte nicht zu lange mit den Antworten warten, um nicht auffällig zu wirken. „Von außerhalb. Nicht aus diesem Land oder den Umliegenden. Ich reise schon seit Monaten und besuche fremde Regionen und Länder. Dabei lerne ich viel über die Menschen, ihre Kulturen und Geschichten und noch viel mehr“, erklärte ich und versuchte dabei so wenig wie möglich und doch ausreichend zu erklären. Meine Geschichtskenntnisse waren nämlich nicht gut genug um sagen zu können, ob Deutschland jetzt schon Preußen hieß oder immer noch Germanien war. Meine Antwort wäre also unvorteilhaft gewesen, wenn jemand sich mit den Ländern des noch nicht vorhandenen Europas auskannte. „Man sagte uns, Ihr habt behauptet eine Geschichtenerzählerin zu sein.“ „Das ist richtig. Mit dem Geschichten erzählen verdiene ich mir etwas Geld um in größeren Städten im Gasthaus unter zu kommen und um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.“ Ich sah auf das Oberteil, welches mir gereicht worden war oder viel mehr die Ganzkörperbekleidung darstellte. Gleichzeitig fragte ich mich, ob mein E-Körbchen von der Kleidung gut genug bedeckt werden würde, denn asiatische Frauen neigten dazu einen wesentlich kleineren Vorbau zu haben. Ich beneidete sie darum. „Wissen Sie was gestern Abend vorgefallen ist?“ „Ich dachte das Verhör führt jemand anderes“, konterte ich und schelte mich sogleich dafür, dass der Mund wieder einmal schneller war, als der Verstand. Der mich auch sogleich mit Kopfschmerzen zum Schweigen bringen. „Antworten Sie einfach.“ Ich seufzte leise und schob meinen Arm in einen der Ärmel, wobei ich es genoss, wie der Stoff sanft über meine Haut streifte. Es war eindeutig kein billiger Stoff. Unglaublich, dass man ihn mir gab. Eigentlich war schon das eine Verschwendung. „Ich weiß nicht was passiert ist. Ich war gestern Abend unterwegs, weil ich nicht schlafen konnte. Auf meinem Spaziergang hörte ich nur Geräusche eins Kampfes, warum und wieso aber ein Kampf stattfand, weiß ich nicht. Ich weiß nicht einmal wer gegen wen kämpfte. Sollten Sie also Räuber oder dergleichen vermuten und suchen, dann kann ich leider nicht weiter helfen.“ Während ich sprach, versuchte ich so gut wie möglich meinen Oberweite zu verdecken. Doch so wie ich es mir gedacht hatte, war es fast schon unmöglich wirklich bis oben geschlossen zu sein. Ich überlegte sogar kurz, ob ich nicht auf meinen Büstenhalter verzichten sollte. War der überhaupt schon erfunden? Besser ich behielt ihn bei mir. Am Ende dachte man noch, dass sei eine Mordwaffe, mit der ich jemanden würgen wollte. „Ich weiß nicht ob Sie sich dumm stellen, oder wirklich nichts wissen. Verdächtig sind Sie allemal.“ „Warum sollte ich bitte verdächtig sein? Weil ich aus dem Ausland komme? Da wo ich herkomme, würde man so etwas Rassismus nennen.“ „Sie sind sich scheinbar wirklich nicht bewusst in was für einer Lage Sie stecken. König Il wurde von Rebellen ermordet und Sie stehen im Verdacht zu eben jenen zu gehören.“ ~*~ ‚Vielleicht ist es in Pokémon Mystery Dungeon und hier wird meine Hilfe benötigt. Etwas, was nur ich machen kann. Was auch immer das sein könnte … vielleicht muss ich ja meine Aufgabe finden, damit ich wieder nach Hause finde? Wie auch immer, ich darf die beiden auf keinen Fall verlieren … gut, dann werde ich versuchen, sie auf andere Gedanken zu bringen.‘ Ein magerer Plan, sagte ein Teil meiner Gedanken. Doch eine Alternative wollte sich mein stures Hirn auch nicht einfallen lassen. Wenn es sich einmal auf etwas festgebissen hat, dann lies es sich nur sehr schwer auf eine Alternative ein. Wie schon zum gefühlt zehnten Mal schluckte ich den überschüssigen Speichel herunter. ‚Na das kann ja werden …‘ Kein Wunder, dass ich oft so unflexibel bin. Immerhin war es ja mein Hirn, wie konnte ich dagegen etwas tun? Ich wusste nicht, ob es überhaupt irgendwie helfen sollte, zumal sich immer wieder mein Freund in meine Gedanken drängte. ‚Reicht ja offenbar nicht, dass wir uns nur am Wochenende sehen, jetzt trennen uns nicht nur Kilometer, sondern auch Dimensionen, Welten und Zeiten‘, fuhr es mir bitter durch den Kopf. Ich wusste, ich würde ihn noch so richtig vermissen, spätestens dann, wenn ich versuche am nächsten Abend einzuschlafen. Dass es in der letzten Nacht so gut geklappt hat, lag lediglich daran, dass ich todmüde gewesen war. ~~*~~ Ich murrte innerlich. Er erzählte mir eine Lüge. Eine ganz dreiste. Doch selbst wenn ich es wusste, durfte ich nicht einmal offenbaren, dass es eine war. Immerhin hatte ich selbst ein paar Lügen erzählt. Wusste er davon und wollte mich so aus der Reserve locken? Das war Mist, denn nun zwang er mich damit bei seiner Lüge mit zu spielen. „Ich bin nur eine Reisende. Ich weiß nicht einmal wie König Il aussah. Ich bin erst vor kurzem hergekommen, weil ich hörte, dass die Prinzessin Geburtstag hat und dachte, ich könnte mir hier ein paar mehr Münzen als gewöhnlich verdienen. Das ist alles. Außerdem... haben Sie mich mal angesehen? Wo sollte ich Waffen verstecken?“ „Sie könnten sich dieser entledigt haben.“ Erneut murrte ich leise. Er hatte ja Recht. Ich hätte den König, so rein theoretisch, auch wenn ich es nicht getan hatte, umbringen können, danach fliehen und schließlich während meiner Flucht mich aller Beweise entledigen können. Und mit Sicherheit würde hier nicht „in dubio pro reo“ gelten. Man kannte diesen Spruch wahrscheinlich nicht einmal. „Warum haben Sie mich dann nicht in einem Kerker gesperrt? Wenn ich so verdächtig bin, dann wäre ein Zimmer nicht das passende Gefängnis.“ Ich war neugierig. Hinter dem was passiert war und passierte, musste doch ein Sinn stecken. Einer, der mir im Moment noch verborgen blieb. „Das verdanken Sie der Tatsache, dass Soo-Won-sama ein gütiger Mensch ist und bereute, wie man Sie festgesetzt hat. Er meinte man sei unnötig gewalttätig zu ihnen gewesen, als man Sie niedergeschlagen hat. Es wird eine Beule zurück bleiben, für ein paar Wochen. Die Blutung wurde gestoppt. Soo-Won-sama ist der Ansicht, dass es einen anderen Weg gegeben hätte, zumal Sie unbewaffnet waren.“ Ich lauschte und trat hinter dem Sichtschutz hervor. Was Soo-Wons Berater sagte, klang mehr danach, dass der zukünftige König ein schlechtes Gewissen hatte, weil jemand Unschuldiges in die ganze Sache hinein gezogen wurde. „Es liegt also nicht daran, dass er sich nicht sicher ist, dass er nicht weiß, ob das was ich über meine Herkunft sagte wahr ist. Wenn ich jemand aus dem Ausland bin und ich vielleicht doch aus höherem Rang wäre, könnte das zu diplomatischen Problemen führen. Also geht man lieber so ein kleines Risiko ein und lässt mich menschenwürdig leben, bis man weiß, ob das was ich sagte die Wahrheit ist.“ Der Blick des Beraters verdunkelte sich. Wahrscheinlich hatte ich den Treffer versenkt. Oder ihm gerade ein Problem mehr offenbart. Nämlich das, dass ich gerade kein kleines Risiko war und vielleicht sogar wesentlich spitzfindiger als er vermutet hatte. „Sie sollten nicht soviel darüber nachdenken, da Sie vielleicht sowieso nicht lange genug leben werden um zu erfahren, ob ihre Idee wahr ist. Wir sollten gehen. Soo-Won-sama erwartet Sie bereits und wird über Sie richten.“ Ich schluckte schwer und fragte mich, was nun passieren würde. Fakt war eines, ich musste mein Wissen wohl gut genug einsetzen und clever sein, wenn ich überleben würde. Für Soo-Won war jemand wie ich sicher ein gefundenes Fressen um seine Tat zu verbergen. Niemand hätte ihn angezweifelt, wenn er eine Ausländerin als Sündenbock hingestellt hätte. Niemand hier kannte mich und damit hätte es auch keine Person gegeben, die meine Geschichte bestätigt hätte. Ich musste mir was einfallen lassen. Etwas, dass Soo-Won davon abbrachte, mich unschuldig zu einer Mörderin zu machen. ~*~ „Hier bleiben wir“, sagte Hak und deutete auf einen umgefallenen Baumstamm, mit einem kleinen Brocken nebendran als passende Sitzgelegenheit. Wir hatten unser altes Lager verlassen, da Hak die Stille des Waldes zu ruhig erschien. Ich musste aber zugeben, dass mir unser neues Lager recht gut gefiel, ganz im Gegensatz zu der Vorstellung, wieder unter freiem Himmel zu schlafen. Da ich allerdings keine Alternative kannte, behielt ich meine Bedenken diesbezüglich lieber bei mir. Das Rauschen des Flusses in der Nähe hatte eine schöne, beruhigende Wirkung und hoffte, dass es den beiden genauso ging. Kaum hatten wir unser Lager fest aufgebaut und uns daran niedergelassen, als Hak auch wieder aufsprang und sich in die Richtung des Flusses aufmachte. „Ich geh fischen. Pass auf sie auf“, sagte er recht wortkarg, was er bereits den ganzen Tag über war. Natürlich fiel es mir auf, aber ich konnte ihn verstehen. Wenn es mir nicht gut ging, ob nun körperlich oder seelisch, dann sprach ich auch nur die nötigsten Wörter und schwieg ansonsten. Einfach, weil mir dann noch weniger nach Gesprächen war als üblich. Daher konnte ich es nur zu gut verstehen, dass sie nicht mit mir darüber reden wollten, vor allem, mit mir also noch immer fremde Person. Sie mussten erst für sich verarbeiten, wie sie am letzten Tag erlebt hatten und dafür braucht man Zeit. Zeit, die ich ihnen bedingungslos geben würde. Dennoch, irgendwie musste ich ihnen helfen. Zuerst einmal mussten wir sehen, dass wir die Heimat von Hak erreichen, ohne, dass uns etwas passiert. Dass uns niemand findet, aber auch, dass wir auf andere Gedanken kommen. Unsicher sah ich mich um, um etwas zu finden, was mir dabei eventuell helfen würde. Gras, Bäume, Stöcke, Steine und vermutlich ein kleiner Hase waren alles, was ich auf die Schnelle finden konnte. Doch dann fiel mein Blick auf ein paar kleine Busche, welche über und über mit kleinen, hellen Blüten bedeckt waren. Neugierig wollte ich wissen, was für Blüten es waren, doch erst versicherte ich mich, dass ich Yona für ein paar Sekunden alleine lassen konnte. Da diese nicht viel mehr tat, als in die Ferne zu blicken und nebenbei ihre letzten Tränen wegzuwischen, wusste ich, sie würde meine kurze Abwesenheit gar nicht bemerkte. Mit einem Mix aus Mitleid und Schuldgefühlen blickte ich gen Boden, bevor ich mich den Sträuchern näherte. Als ich davor stand, betrachtete ich die Blüten und konnte sie schließlich erkennen. Dabei stellte ich fest, dass meine Brille fehlte. Wie immer dauerte es eine Weile, bis ich spürte, dass ich meine Brille trug oder eben nicht. ‚Na toll und ich bin kurzsichtig … naja, ich kann es jetzt auch nicht mehr ändern. Ein Glück, dass es nicht so stark. Andererseits konnte ich die Blüten von dort drüben nicht so gut erkennen. Nicht gut.‘ Während ich die schöne Blüte mit dem langen Stempel in der Hand hin und herdrehte, ohne sie von ihrem Stängel abzutrennen, wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich diese Blume bereits einmal gesehen habe. Wenn es mir nur einfallen würde… Während meine Augen Achterbahn fuhren, dachte ich angestrengt nach, woher ich diese Blüte nur kennten würde. Bis es mir wie Schuppen vor die Augen fiel und ich merkte, dass sich meine Stimmung zum zweiten Mal verschlechterte. Erneut begannen meine Gedanken zu rasen. ‚Diese Blume, die habe ich schon mal gesehen. Genau, als Steven in Korea war. Zusammen mit Greg. In der Folge, in der er von Blue Diamond entführt wurde. Stevens Dream oder so. Es sind ihre Blumen. Jasper hatte eine solche Blume auf einem Poster in ihrem Smoking. Ich vermisse Jasper. Wo ist Pink Pearl? Ich kenne sie nicht. Warum macht mich der Gedanke traurig?‘ Abwechselnd sah ich in meinen Gedanken das Bild von Pinks kaputten Palanquin und dem Hibiskus, wie er sich sachte im Wind wiegte. Das Bedürfnis, nun selbst ein paar Tränen zu vergießen runterschluckend sah ich weiterhin auf die weißen und rosafarbenen Blüten unter mir. ‚Nein, hier geht es nicht um mich, es geht jetzt um Yona’, sagte ich mir innerlich und begann, ein paar der Blumen zu pflücken. ‚Wir können ja versuchen, eine Blumenkette zu basteln, das wird sie bestimmt von ihren Gedanken ein wenig ablenken können. Und mich auch.‘ Meine kleinen Hände voll mit schönen Blumen, kehrte ich zu Yona zurück und setzte mich neben ihr. Es kam keine Reaktion von ihrer Seite, zumindest war ich mir nicht sicher, ob ich es mir nur einbildete oder ob sie mich wirklich ignorierte. „Sehen doch mal, was ich hier ganz in der Nähe gefunden habe, Prinzessin“, sagte ich fröhlich und hielt die Blumen in ihre Richtung. „Das sind Hibiskus, den näheren Namen kenne ich leider nicht. Aber ich finde sie wunderschön. Sie haben in der Blumensprache eine Bedeutung, ich glaube, es geht um Liebe, Wiedergeburt, Treue oder so … ich hab es mal gelesen, aber leider wieder vergessen.“ Beschämt kratzte ich mir am Hinterkopf, eine Eigenschaft, die ich mir in diversen Animes abgeguckt hatte, aber Yona nahm keine Notiz davon. Unter anderen Umständen wäre ich einfach davon ausgegangen, dass sie höflich über meine Unwissenheit hinwegsehen würde. Aber hier kannte ich die Umstände und nahm es ihr nicht weiter übel. „Ich dachte mir, dass wir aus diesen schönen Blumen eine kleine Kette machen könnt. Zwar bin ich mir nicht sicher, ob Ihr das kennt, aber in meiner Heimat ist es üblich, dass man die Stiele vieler Blumen aneinander bindet, bis sie schließlich eine kleine Kette ergeben. Sie würden auch gut zu Ihren wunderschönen Haaren passen.“ Vorsichtig verknotete ich die Blumenstiele miteinander. Dadurch, dass sie an einem Strauch gewachsen waren, sind die Stiele stabiler als die von Gänseblümchen, mit welchen ich sonst bisher immer getan habe. Wofür ich ihnen dankbar war. Nach wenigen Minuten hatte ich auch schon eine erste Kette fertiggestellt. Vorsichtig legte sie ich auf Yonas Kopf, sie passte perfekt. Nicht nur von der Farbe her. „Wahnsinn, Prinzessin, die Blumen stehen Ihnen wirklich ausgezeichnet …“ In dem Moment, in welchem ich ihr ein ernstgemeintes Kompliment über ihre Haare geben wollte, verschluckte ich es auch wieder. ‚Soo-Won hat ihr auch schöne Wörter über ihre Haare gesagt … ich muss nicht noch das Messer in der Wunde umdrehen!‘ Stattdessen entschied ich mich, die Haare einfach auszulassen. „Sie passen sehr gut zu Ihren Augen, damit sehen sie wie eine Prinzessin des Waldes aus. Oder die der Blumen. Wenn ich mir jetzt noch eine mache, dann bin ich auch für einen kurzen Moment eine Prinzessin, so wie Ihr es seid!“ Daraufhin machte ich mich daran, meine eigene Kette zu erstellen, spickte aber immer mal wieder zu Yona hinüber. Noch immer reagierte sie kaum, nur kurz hob sie ihre Hand, um nach den Blumen zu tasten, um anschließend den Arm wieder auf ihren Schoß abzulegen. ‚Hm, besser als gar nichts. Immerhin hat sie sie nicht weggeworfen oder wieder zu Weinen begonnen … das ist schon mal ein Fortschritt. Hoffe ich.‘ Dann setzte ich mir selbst die Blumenketten auf, doch im Gegensatz zu meinen Worten fühlte ich mich überhaupt nicht wie eine royale Person. Mehr wie eine Betrügerin, die sich immer mehr und mehr in ihrer Lüge verstrickte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)