Dear Junk von RedSky (Kazzy's Vorgeschichte) ================================================================================ Kapitel 17: Desperation ----------------------- „WAS?“ J umfasste den Hörer sogleich unbewusst etwas fester. Kazzy zuckte zusammen bei dem lauten Aufschrei des Älteren. „Sind sie sicher?“ Der Blonde presste die Hörermuschel energischer gegen sein Ohr, ganz so als würde er dadurch die Antwort besser verstehen können. Joe und Sugizo sahen ihn erwartungsvoll an. J's Mimik war finster, doch Details ließen sich im Moment überhaupt nicht darin ablesen. „Okay......ja, verstehe....ja klar.....“ Sugizo wurde bereits ungeduldig. Er wollte wissen, was die Polizei J so Wichtiges mitzuteilen hatte. Nachdem J in besagter Nacht mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht wurde und er fast vierundzwanzig Stunden nonstop am Bett seiner Mutter gesessen hatte, hatte er sich letztendlich von Sugizo überreden lassen und war mit ihm zu Joe gegangen. Der Polizei, die im Krankenhaus anwesend war und die diverse Fakten von J wissen wollte, hatte er, ohne wirklich darüber nachzudenken, Joe's Nummer gegeben. Ein anderer Aufenthaltsort kam für ihn im Moment sowieso nicht in Frage: Die eigene Bude war abgebrannt, Inoran blieb verschollen und zu Sugizo's Familie war undenkbar! „Ja.....ja, okay...ich komme.....“ So impulsiv wie er bis vor wenigen Sekunden noch gewirkt hatte, so ausgepowert war er nun. Erschöpft legte er auf. Fuhr sich mit einer Hand quer durch's Gesicht. Und sagte kein Wort. „J~....“ Sugizo ließ sich auf der Sessellehne nieder und strich seinem Freund sanft über den Rücken. „Was ist los...?“ Der Rothaarige musste sich noch ein paar weitere Momente gedulden bis er endlich eine Antwort erhielt. J hob Millimeter für Millimeter in Zeitlupe seinen Kopf. Seine Augen waren auf irgendeinen unwichtigen Punkt im Raum gerichtet. „Das Feuer war ein Anschlag.“ Der ganze Raum war wie gelähmt. Jeder schien die Luft anzuhalten. Joe war der Erste von ihnen, der seine Sprache wieder fand. „Ist das sicher?“ J nickte schwach. „Sie haben Reste eines Molotowcocktails gefunden. Der Brandherd war das Schlafzimmer meiner Mutter.“ Er rieb sich die Augen. War müde und überdreht zugleich. Sugizo legte den Kopf ansatzweise schief. „Ihr wohnt im zweiten Stock! Wie woll'n die den da hoch bekommen haben?!“ J stöhnte leicht genervt auf. Er hatte irgendwie nicht mehr wirklich Lust zu reden. Er hatte schon so viel geredet, mit der Polizei, mit seiner bewusstlosen Mutter.... „...vom Fenster meiner Mutter aus sieht man doch diese Spielhalle. Wenn man da auf's Dach steigt und gut wirft, kann man's schaffen....“ Seine Stimme wurde immer mehr zu einem heiseren Flüstern. Joe wand sich halb ab, wollte nicht, dass seine Schützlinge die Mimik aus Wut und Hilflosigkeit mitbekamen, die sich unweigerlich auf sein Gesicht legte. Ein Anschlag.... Das bedeutete entweder ein wahlloser Anschlag auf Ausländer oder eine ziemlich eindrucksvolle Drohung einer anderen Bande, die sich von den Snakebites auf den Schlips getreten fühlte. Irgendwie schmeckte ihm keine der beiden Varianten. „...ich muss noch auf's Revier....“, erklang J's Stimme wieder, „...die wollten noch was von mir wissen...“ „Warum haben die dich das nicht eben am Telefon gefragt?“, fragte Sugizo voller Unverständnis. Er erkannte wie erschöpft und erledigt sein Freund war und wollte ihn eigentlich nicht schon wieder durch die halbe Stadt jagen lassen. „Keine Ahnung, man...!“ J fuhr sich mit den Fingern durch die angesengten Haare und erhob sich schwerfällig. Dann hielt er jedoch wieder inne und starrte auf den Fußboden. „Zu meiner Mom muss ich auch noch......“ Es war nur noch ein Hauchen. „J – du warst erst bei deiner Mom!“, schaltete Joe sich inzwischen mit ein. „Genau. Und du hast doch gesehen, dass du ihr im Moment nicht helfen kannst, wo sie noch bewusstlos ist.“ Sugizo strich dem Freund gleichmäßig über den Rücken. „Aber wenn sie aufwacht-?!“ „Erfährst du es als Erster“, schnitt Joe ihm den Satz ab. „Sugi hat Recht, im Moment kannst du nichts für sie tun. Du solltest dich besser ausruhen; wenn du dich halb tot quälst, hilfst du deiner Mom am wenigsten.“ „Ich komm mit zu den Bullen“, verkündete Sugizo, was sowohl an J als auch an Joe ging. Der Leader nickte nur zustimmend. Kazzy, der sich mal wieder aus dem größten Drama raushielt, sah den beiden nach, wie sie Joe's Wohnung verließen. Seine eigenen Familienverhältnisse waren also nicht die Einzigen, die sich in letzter Zeit so drastisch verändert hatten. An J sah er, wie auch andere Familien von Ereignissen völlig umgeworfen wurden. Auch, wenn es in J's Fall um ganz andere Sachen ging und der Verlauf ein Anderer war. Aber es waren unausweichliche Veränderungen. Veränderungen negativer Natur. Sie waren schmerzhaft und einschneidend. Kazzy war nicht allein mit solchen Ereignissen. Er konnte die Angst in seinen Augen lesen, er konnte das Zittern seines Körpers ausmachen – doch es interessierte ihn nicht. Kyo hatte sein Mitleid und den Großteil seiner übrigen Gefühle auf Standby gestellt und hielt dem kleineren Jungen statt dessen sein Messer unter die Nase. „Jetzt rück schon die Kohle raus!“, fauchte er aggressiv und wedelte mit der Klinge herum. Sein Opfer, nicht älter als zehn Jahre, war wie gelähmt und stand ziemlich untätig einfach nur da. Diese Untätigkeit reizte Kyo jedoch so sehr, dass er ihn packte, mit dem Rücken an sich presste und ihm die Klinge seines Messers an die Kehle hielt. Die Schultasche des Kleinen fiel zu Boden. „Rück die Knete raus – oder soll ich dich erst töten?“ Seine Stimme war ein unkontrolliertes Keifen; man hörte ihm den Stress und den Frust an den er in sich trug. Ein panisches, wenn auch leises Wimmern des Jungen setzte ein. Seine Hände griffen plötzlich blitzartig in beide Hosentaschen und brachten binnen weniger als zwei Sekunden einige zerknitterte Scheine ans Tageslicht. Diese wurden ihm auch sogleich von einer Hand seines Gegners entrissen. Kyo warf einen kurzen Blick auf seine Beute. Gerade mal 30.000 Won. Scheiß drauf, besser als gar nichts. Er ließ den Jungen los und stieß ihn unsanft von sich. „Und jetzt verpiss dich.... Und sag deiner Mama nichts davon! Ich weiß wo du wohnst!“, rief er ihm als Warnung noch hinterher, als er den Kleinen in Todespanik davonrennen sah. Das war natürlich gelogen, er hatte den Jungen noch nie zuvor gesehen. Aber solche kleinen Hosenscheißer glaubten einem noch alles was man ihnen sagte. Erst recht, wenn man der Stärkere war. Kyo ließ das Geld nun in seiner eigenen Hosentasche verschwinden und verließ die kleine Gasse. Die am Boden liegende Schultasche blieb verlassen und einsam zurück. Der blonde Rebell stiefelte zwei Straßen weiter und betrat ein Spirituosengeschäft von dem er wusste, dass die Verkäufer es hier nicht so eng sahen mit dem Alter ihrer Kunden. Zwar war der Laden etwas herunter gekommen, das Personal hinter der Theke beäugte einen stets sehr ausgiebig und sehr penetrant und ein Mal war ihm mitten im Laden auch schonmal eine Ratte über den Schuh gelaufen – aber dafür kam man hier auch schon mit sechzehn problemlos an den harten Stoff ran. Kyo's Hand griff zielstrebig nach dem billigen Whiskey und stapfte damit rüber zur Kasse. Der kaugummikauende Verkäufer mit den ungekämmten Haaren rechnete ihn heute sogar verhältnismäßig schnell ab; normalerweise war der Typ 'ne Schnarchnase. Kyo trat aus dem Laden und blickte sich um. Links? Rechts? Wohin sollte er zuerst gehen in dieser beschissenen Stadt? Links würde er irgendwann zum Cheonggyecheon kommen, rechts zur alten, verlassenen Baustelle. Nach kurzer Überlegung entschied er sich für die Baustelle. Er hatte im Moment einfach keine Lust auf lauter fröhliche, gutgelaunte Menschen die am Fluß entlang spazierten. Er wollte für sich sein, sich und dem Alkohol. Noch bevor er den ersten Schritt in die Richtung seines Ziels gemacht hatte, nahm er den ersten Schluck. Dann trabte er los. Unterwegs ließ er immer mal wieder den ein oder anderen Schluck durch seine Kehle rauschen und da er heute noch nichts Richtiges gegessen hatte, war er auch schon leicht angetrunken, als er die menschenleere Baustelle mit dem kaputten Schaufelbagger und den Zäunen ringsherum erreichte. Er begrüßte die Stille genauso wie sie ihn. Seine schwarzen Stiefel schritten durch den gelben Sand, während er quer über den verlassenen Platz ging um sich letztendlich neben dem Bagger nieder zu lassen. Zum wiederholtem Male, seit er die Flasche gekauft hatte, öffnete er den Drehverschluss und setzte die Öffnung an seine Lippen. Diesmal genehmigte er sich deutlich mehr Schlucke auf einmal als auf dem Weg hierher. Er blinzelte, als er die Flasche wieder absetzte, und durfte feststellen, dass sich der Alkohol bereits minimal auf seine Sehnerven auswirkte. Er schloss die Augen und lauschte dem entferntem Straßenverkehr. Warum? Warum das alles? Warum empfand er plötzlich so seltsame Gefühle für einen Typen, warum machte sich eben dieser Typ ohne Skrupel so herablassend über ihn lustig und warum war es für Jungs so verdammt schwierig, zu solchen Empfindungen zu stehen? Kyo hätte es ja bis vor ein paar Tagen selbst nicht für möglich gehalten, dass er mal körperliches Interesse an einem Jungen haben könnte. Aber was Cipher ihm diesbezüglich gezeigt hatte.....dass hatte locker gereicht um ihn umzustimmen. Diese Gefühle waren so viel intensiver und tiefer als er sie je für irgendein Mädchen gehabt hatte. Es war was Besonderes – es war ehrlich. Und es könnte sogar schön werden – aber dann hörte er Cipher's vernichtende Worte und was übrig blieb war nur noch das Gruppengelächter in seinem Kopf. Die Träume, die sich gerade erst zaghaft zu entfalten begannen, zersprangen wie dünnes Glas. Noch ein Schluck. Wieso durften Jungs sich nicht mögen? So mögen wie es ihnen gefiel? Was sprach nur dagegen...? Schon in der Mitte dieser Gedanken musste er sich daran erinnern, dass er sich bis zu diesem Schlüsselereignis mit Cipher, eigentlich auch nicht anders verhalten hatte als die Truppe, die er da eben in ihrem Versteck beobachtet hatte. Warum nur......war das alles so kompliziert.....? Gedankenverloren ließ er sich seitlich gegen den Riesenreifen des Baggers sinken. Er fragte sich, was Cipher's Kollegen wohl mit ihnen gemacht hätten, hätten sie sie tatsächlich miteinander erwischt. Hätten sie ihre ausgesprochenen Drohungen wirklich wahr gemacht und ihnen die Eier abgeschnitten oder sonstige Verstümmelungen vollzogen? Hätten sie sie grün und blau geschlagen? Hätten sie sie umgebracht? Noch ein Schluck. Nein, noch Einer mehr. Mord....? Konnte man jemanden wirklich nur deshalb töten, weil dieser jemand mit einem Kerl rummachte obwohl er selbst Einer war.....? Kyo wusste, es waren auf den Straßen Seoul's Kids schon aus ganz anderen, banaleren Gründen gestorben. Und diese Erkenntnis gab ihm auch die Antwort auf seine eigenen Fragen. Man konnte. Kyo's Herz machte einen unangenehmen Stolperer. Nur fragmentartig, wie ein Mosaik-Bild, entwickelte sich in seinem Kopf die Erkenntnis, in was für eine Gefahr er sich damit begeben hatte, sich auf Cipher einzulassen. Andererseits....nach diesen Worten, den der Brünette vorhin zu seinen Kumpels gesagt hatte,.....ob er überhaupt noch was von Kyo wollte? Vielleicht war er nichts Anderes als ein schnelles Abenteuer für ihn gewesen und seiner Bande gegenüber leugnete er seine schmutzigen, kleinen Hobbys. Wer weiß, wieviele Typen er schon vor ihm entjungfert hatte. Vielleicht war er bereits der Hundertste gewesen. Dank der viel zu kurzen Nacht, wegen dem Dauerstreit seiner Eltern, spürte Kyo die Müdigkeit und Erschöpfung durch seine Glieder kriechen. Mit schuld war sicherlich aber auch der Alkohol, der diesen Zustand noch unterstützte. Und trotzdem setzte er die Flasche wieder an und ließ Schluck für Schluck die Speiseröhre abwärts laufen. Ließ sich mehr und mehr betäuben......... Cipher....... Er bekam dieses Gesicht irgendwie nicht mehr aus seinem Kopf. Dieses freche Grinsen, das sich von gar nichts einschüchtern ließ und diese wild-funkelnden Augen, die ihn in seinen Bann zu reißen wussten....... Cipher~...... Egal, was auch immer er gesagt hatte, die Gefühle blieben. Die konnte der Blondschopf einfach nicht im Alkohol ertränken. Sie hatten sich bedingungslos an sein Herz gehaftet und ließen nicht mehr los, ganz so als seien sie mit diesem blutpumpenden Muskel verwachsen. „Cipher~....“ Er bekam nicht mehr mit, dass seine Lippen den Namen, der ihm unentwegt im Kopf rumschwirrte, ausgesprochen hatten. Auch wenn es nur ein sehr leises, kaum wahrnehmbares Hauchen gewesen war. Seine Lider versagten ihm schließlich und fielen zu, sein Körper lehnte völlig entspannt an dem dicken Gummi des Reifens. Die Whiskeyflasche hatte er nicht verschlossen. Sein Geist war schon längst auf Reisen. Auf Reisen in eine bessere Welt, ohne Angst vor Mord und Todschlag. Und so bemerkte er auch nicht mehr die Person, die sich seinem schlafenden Körper näherte. J saß am Krankenbett seiner Mutter, hielt ihre Hand in Seiner. Genauso wie er es in der Nacht schon getan hatte. Nur mit dem bedeutendem Unterschied, dass seine Mutter inzwischen zu Bewusstsein gekommen war. Sie hatte durch den Wohnungsbrand eine mittelschwere Rauchvergiftung und Verbrennungen erlitten; Letztere waren zum Glück größtenteils nicht schwerwiegend. Nur an der linken Schulter inklusive Arm hatte das Feuer doch etwas herzhafter zugeschlagen. Ansonsten war es dem selbstlosem Einsatz ihres Sohnes zu verdanken, dass sie da so glimpflich davon gekommen war. Trotzdem wollten die Ärzte sie noch einige Zeit hierbehalten, alleine schon wegen der Rauchvergiftung. J saß auf einem harten, äußerst unbequemen Stuhl. Doch das störte ihn im Moment überhaupt nicht. Er streichelte nur immer wieder zärtlich die Hand seiner Mutter. „Und die Ärzte sind auch gut zu dir? Wenn sie Ärger machen, musst du mir sofort Bescheid geben!“ Die Frau, die in den letzten sechsunddreißig Stunden optisch um ein Wesentliches geältert war, lächelte nur müde aber verständnisvoll. „Natürlich mach ich das“, flüsterte sie und drückte schwach die kräftige Hand ihres Sprößlings. Sie wusste um die ungewöhnlich starke Fürsorge J's und auch wenn ihr Junge sich auf den Straßen immer wieder Ärger einhandelte, konnte sie sich doch auf ihn verlassen. „Ich danke dir.“ Nur ein kleines, verlegenes Lächeln huschte ganz kurz über seine Lippen als Reaktion darauf. Er war es nicht gewohnt, gelobt zu werden. „Tut dein Arm doll weh?“ „Ach...es geht schon.“ Der betroffene Arm lag lang neben dem ruhenden Körper der Frau und war komplett von der Hand bis zur Schulter mit weißen Verbänden eingewickelt. Wie der Arm einer Mumie, ging es J kurzweilig durch den Kopf. „Aber Junge, geht es dir auch gut? Die Ärzte haben gesagt, du hättest kaum etwas abbekommen.“ Sie sah ihrem Sohn in die Augen. „Du hast sehr großes Glück gehabt.“ „Ich weiß. Ja, mir geht’s gut. Solange du okay bist.“ Wieder ein kurzes Drücken der Hand seinerseits. „Wo wohnst du im Augenblick?“ „Bei Joe, 'nem Kumpel von mir. Der ist voll okay, mach dir keine Sorgen.“ Die Frau im Krankenbett lächelte sanft. „Um dich macht man sich immer Sorgen, ob man will oder nicht“, sprach sie leise aber liebevoll. J wurde das Gerede um seine Person allmählich zu viel und er versuchte das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. „Weiß Dad schon von der Sache?“ J sprach normalerweise nie über seinen Vater. Sein alter Herr war auch selten mal zu Hause; meißtens war er nur am arbeiten und vergnügte sich anschließend mit irgendwelchen blutjungen Hühnern. Manchmal kam es J schon so vor, als müsste sein Vater irgendwo einen kleinen Harem haben, bei so vielen Weibern mit denen er verkehrte.... Seine Mutter hatte der Kerl schon seit Jahren links liegen gelassen. Und genau dafür verabscheute er seinen Vater. Dass er seine Mutter einfach im Stich ließ, sich fast gar nicht mehr bei ihr, geschweige denn bei seinem Sohn, meldete und lieber kreuz und quer durch ganz Süd-Korea vögelte. Wer weiß, vielleicht hatte er ja noch ein halbes Dutzend Geschwister in diesem Land verteilt, von denen er gar nichts wusste, dank seines Vaters. „Woher soll er davon wissen?“ Die tiefdunklen, fast schwarzen Augen der verletzten Frau sahen in das Gesicht ihres Kindes. J blickte nur stumm zurück. Die Realität war wieder präsent. Er hatte seinen Vater immer zu verdrängen versucht. Und jetzt wurde ihm auch plötzlich, mit einem Schlag, wieder klar warum. Er war ja nie da. Er wusste ja von nichts. „Jun....“, drang die leise Stimme seiner Mutter an sein Ohr. Sie wand ihre Hand aus Seiner und fuhr ihm zärtlich über die Wange. Diese eine, liebevolle Berührung in dieser schweren Situation mit all den schwarzen Gedanken im Kopf – war zuviel für J. Der ganze Druck, der seit dem Brand, aber eigentlich auch schon vorher, auf ihn gelastet hatte, wurde durch diese eine Berührung seiner Mutter haltlos freigegeben. Die Dämme hielten nicht mehr stand, brachen. „Mom...!“ J senkte seinen Kopf und bettete ihn auf der Brust der Frau, die ihm sein Leben geschenkt und der ihr Leben gerettet hatte. Sein Oberkörper sackte ein und er bebte. Schluchzte. Lies den Tränen freien Lauf. Verbarg sein Gesicht. Seine Mutter legte ihren unversehrten Arm um den Oberkörper ihres Sohnes und strich ihm beruhigend und gleichmäßig über den Rücken. Wie sie es schon früher immer gemacht hatte, wenn J sich als kleiner Junge bei ihr ausgeheult hatte. Beide waren zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, dass sie gar nicht mitbekamen als sich die Zimmertür irgendwann leise öffnete und Sugizo gerade herein treten wollte. Doch kaum hatte er seinen Kopf durch den Türspalt gesteckt und sah das Bild seines Freundes und dessen Mutter, entschied er sich sogleich wieder für den Rückzug. Auch wenn er nicht genau wusste, was der Auslöser für diese doch recht ungewöhnliche Szene war, spürte er sofort, dass es etwas Tiefgreifendes war und dass er hier im Moment überflüssig war. Noch leiserer als er die Tür geöffnet hatte, schloss er sie nun wieder und blieb auf dem langen Krankenhausflur stehen. Sugizo versuchte sich zu erinnern, wann er J das letzte mal in solch einer offensichtlich verzweifelten, aufgelösten Pose erblickt hatte. Er kam zu dem Entschluss, dass das noch nie vorgekommen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)