Nachtgestalten von Alaiya (Von Monstern und Sagen) ================================================================================ Rusalkawoche ------------ „Bleib vom Wasser fern, Laszlo“, mahnte seine Mutter, während seine Hände sich dem kühlen Nass entgegen streckten. „Sonst holt dich die Rusalka.“ „Aber es ist so warm“, jammerte das Kind, während es die über dem Wasser tanzenden Mücken beobachtete. „Die Wärme wird dich nicht umbringen“, erwiderte die Mutter nur und hob den Korb mit der gewaschenen Wäsche höher. Das Kind zog einen Schmollmund, doch wusste es, das Widerspruch keinen Sinn hatte. Man hatte ihn oft genug gewarnt. Und so folgte Laszlo seiner Mutter nach Hause, einen sehnsüchtigen Blick zum Wasser zurückwerfend. Doch auch am nächsten Tag brannte die Junisonne heiß auf ihr Dorf hinab und selbst der Schatten der Bäume vermochte keine Abkühlung zu bieten. Obwohl der Sommer erst begonnen hatte, war das Moos unter den Bäumen trocken und das Wasser des Flusses glitzerte verführerisch. „Laszlo!“, hörte er die Stimme Armins nach ihm rufen und richtete sich auf. Er sah den anderen Jungen auf ihn zulaufen. „Dein Vater lässt nach dir rufen.“ Laszlo seufzte, hatte er doch gehofft, der Arbeit auf dem Hof zu entkommen, wenn er sich lang genug versteckte. Sein Blick verweilte auf dem glitzernden Wasser des Flusses. „Du solltest nicht ins Wasser gehen“, sagte auch Armin, als er seinem Blick folgte. „Dort lauern die Rusalki.“ „Ich weiß, ich weiß“, seufzte Laszlo und glaubte doch kein Wort. Rusalka, Rusalki... Er hatte noch nie einen Wassergeist gesehen. So oft schon war er schwimmen gegangen, doch ein totes Mädchen hatte er noch nie im Wasser gesehen. Auch der dritte Tag der Woche brachte keine Abkühlung und die Alte Matea sagte bereits einen besonders trockenen Sommer voraus, was den ein oder anderen schon um die Ernte fürchten ließ, obwohl es doch noch lange war, bis diese eingefahren wurde. Doch zumindest – so sagte Matea – war der Brunnen nie trocken geblieben. Dies bedeutete jedoch für Laszlo, das er für seinen Vater das Wasser aus dem Brunnen holen musste. Das kühle Brunnenwasser, das jedoch viel zu kostbar für ein Bad war. Sehnsüchtig trank das Pferd aus seiner Tränke, während sein Vater dem alten Tier den Rücken klopfte. „Wieso führen wir es nicht in den Wald?“, fragte der Junge. „Die Rusalki haben auch schon Pferde ins Wasser gezogen“, antwortete der Vater und sein Tonfall ließ keine weiteren Fragen zu. Am nächsten Tag half er Matea, wie es die Kinder immer wieder abwechselnd taten. Er brachte der alten Wasser zum Kochen, brachte ihr ein Buch, wenn sie danach fragte und sammelte Speisen aus ihrer Vorratskammer. „Babcia Matea“, begann er unschuldig, während er gelangweilt einige Kartoffeln für sie schälte, „gibt es die Rusalka wirklich?“ „Aber natürlich gibt es die Rusalka“, antwortete die alte Frau, deren Augen mittlerweile so schlecht waren, dass sie nur mit Mühe ihr Rezept lesen konnte. „Und wenn du nicht aufpasst, dann lockt sie dich ins Wasser!“ „Ich habe sie aber nie gesehen!“, antwortete Laszlo und hackte weiter auf die Kartoffeln ein. „Sei froh, sei froh“, erwiderte die alte Frau. „Sie hat schon viele Kinder und auch den ein oder anderen jungen Mann geholt.“ „Aber wieso sollte sie?“ So einfach wollte er sich nicht zufrieden stellen mit den Antworten, die Erwachsene oft gaben. „Weil sie sich das holt, was sie einst verloren hat“, antwortete Matea und es war die letzte vernünftige Antwort, die er an diesem Tag von ihr bekam. Es war zu warm, um gut zu schlafen, dachte sich Laszlo in der folgenden Nacht und saß am nächsten Morgen gähnend beim Frühstück. „Lehn deinen Kopf nicht auf den Arm“, mahnte ihn die Mutter. Er schreckte auf. „Ja ja...“ Bevor sein Vater ihm weitere Arbeit für diesen Tag zuteilen konnte, schlenderte er in den Wald, wo eine kühle Atmosphäre den Fluss umgab. Er legte sich in die Nähe des Schilfs und schloss die Augen. Während er blinzelte hatte er für einen Moment fast den Eindruck, das ein Paar Augen zurückblinzelte. „Was machst du hier?“, fragte eine kühle Stimme und als der erschreckte Junge aus seinem Halbschlaf erwachte, sah er eine hübsche Frau, die einen Korb Wäsche bei sich trug. Es war Olessa, die Tochter des Müllers. „Nichts, nichts“, antwortete das Kind und errötete, fühlte es sich doch ertappt. „Ein Junge wie du, sollte nicht in der Nähe des Flusses schlafen“, meinte die Frau. „Sonst holt dich die Rusalka.“ „Aber wieso sollte sie mich holen?“, erwiderte Laszlo mürrisch. „Weil es ein Junge wie du war, den sie verloren hat, bevor sie sich selbst ertränkte. Also scher dich lieber ins Dorf, wenn du nicht ihr Schicksal teilen willst. Dein Vater sucht sicher nach dir.“ Und natürlich hatte sie Recht. Auch der sechste Tag der Woche brachte Hitze und mehr Arbeit, wenig Zeit sich zu entspannen und noch weniger Möglichkeiten sich abzukühlen. Doch zumindest war die Woche beinahe um und bald würde man ihn zumindest bei Tage in den Fluss lassen. Dabei machte es doch gar keinen Sinn, dachte sich Laszlo, dass die Rusalka nur in einer Woche auch am Tage Kinder – und junge Männer – holte. Doch während er am Abend die Schweine zurück in die Scheune trieb, hatte er doch das Gefühl, das etwas seltsam war. Er sah zum Waldrand, wo er durch das Dickicht hindurch das Wasser schimmern sah und für einen Augenblick meinte er, ein grünliches Leuchten zu sehen, doch als er nur einmal blinzelte, was das Schimmern verschwunden. Die Hitze jedoch verschwand nicht und so folgte auf diesen Tag eine weitere heiße Nacht. Laszlo fand keinen Schlaf und wenn er doch einmal einschlummerte, so wurde er doch gleich geweckt. Irgendwann, es war bereits gänzlich finster, erwachte er so erneut und gab es auf so schnell wieder Schlaf zu finden. Seine nackten Füße tasteten nach dem Boden, ehe er aus dem Schlafraum, den er sich mit den Eltern teilte, schlich. Er dachte daran, sich etwas zu trinken zu holen, doch gerade als er die nun leere Küche betrat, fiel sein Blick aus dem Fenster. Zwischen zwei anderen Häusern hindurch konnte er auf den Wald sehen und dort, einige Ellen von dem vertrauten Hof seiner Eltern entfernt, sah er es wieder: Das grüne, feurige Glühen. Es hätte ihm Angst machen sollen, doch eine solche Angst verspürte er nicht. Nur Neugierde und eine seltsame Sehnsucht in seinem kleinen Kinderherz. Ungeachtet fiel der Wasserkrug zu Boden, während seine Füße ihn zur Haustür trugen. Er öffnete die Tür und wie ein Schlafwandler wankte er in Richtung Wald. Er dachte an den kühlen Fluss, an die Abkühlung die dieser brachte und an das sanfte Lächeln einer Mutter... Wie seltsam dieser Gedanke war, kam ihm gar nicht erst in den Sinn. Und als er den Waldrand erreichte, sah er das Geschöpf, dessen Augen grünlich schimmerten, nackt über die Oberfläche des Flusses tanzen. Es war eine Mutter, dachte er, und nie wäre er auf die Idee gekommen, sie Rusalka zu nennen. Sie bemerkte ihn und lächelte ihm zu. Sie streckte eine Hand zu ihm aus und in dieser Hand war die schönste und saftigste Birne, die er je gesehen hatte. Das kühle Wasser, das süße Obst und das Lächeln der Mutter. All das war zu verführerisch, als das er sich auch nur einmal umgesehen hätte. Am siebten Tag läuteten die Glocken der Dorfkirche – riefen zur Sonntagsmesse. Doch zu dieser Zeit war das Bett des kleinen Laszlo schon lange leer und kalt. Das Monster aus der Felsspalte ------------------------------ Niemals würde Stefan jenen Tag vergessen, an dem er das Biest der Berge mit eigenen Augen erblickte. Bis zu jenem Tag, hatte er von dem Wesen gehört, doch hatte nie daran geglaubt, dass es wirklich existierte, selbst wenn er natürlich Geschichten gehört hatte. Wahrscheinlich aber ging es jedem, der ein solches Wesen sah, ähnlich. Es war ein schöner Herbsttag gewesen und die das Laub der Bäume hatte sich bereits gelb, rot und orange verfärbt, während die Sonne noch einmal letzte wärmende Strahlen auf das kleine Dorf in den Alpen hinabsandte. Und da es ein Sonntag war und Stefan nichts vorhatte, hatte er beschlossen in den Bergen wandern zu gehen, um das gute Wetter zu genießen. Freilich war er nicht der einzige gewesen, der diese Idee gehabt hatte, und während er die Berge hinaufstieg hatte er das ein oder andere vertraute Gesicht, aber auch viele fremde gesehen. Dann jedoch hatte er eine Route eingeschlagen, die wenig bewandert war und auf der er ein wenig Zeit für sich hatte. Zuerst wuchsen auf beiden Seiten des Weges noch Bäume empor, deren Laub im Licht der Sonne regelrecht zu strahlen schien, doch bald ließ er auch die Bäume hinter sich und kam in eine tristere Gegend, wo jedoch noch immer störrisches Gras wuchs. Hier irgendwo, auf einer dieser Bergwiesen und nahe einer Quelle, setzte er sich schließlich auf einen Fels und genoss die Stullen, die er sich mitgenommen hatte, während er einige Vögel beobachtete, die in großen Gruppen über den Himmel flogen – vielleicht schon auf den Weg gen Süden. Und da es Sonntag war und er keinerlei Verpflichtung hatte irgendwo zu sein, legte er sich auf die Wiese, um weiter in den blauen Himmel zu schauen. Hätte er dies nicht getan, so hätte er, wie die meisten Menschen, wohl ein Leben verbracht, ohne einmal einen Wyrm zu sehen, doch das Wetter verführte ihn und so döste er schon bald auf der noch grünen Wiese ein. Als Stefan aus seinem Nachmittagsschlaf erwachte, war die Sonne bereits gesunken, und ihm wurde klar, dass er sich beeilen musste, wollte er noch vor Einbruch der Dunkelheit ins Dorf zurückkehren. Doch gerade, als er sich aufrichtete und das Gras von seiner Kleidung abklopfte, sah er in einiger Entfernung – etwas weiter den Berg hinauf – ein Feuer. Sein erster Gedanke war, dass es wohl ein paar Auswärtige waren, die nicht nur die Gefahr eines offenen Feuers, sondern auch die Gefahr der Berge bei Nacht unterschätzten, so dass er sich gepackt von einer Mischung aus Neugierde und Empörung daran machte, weiter empor zu steigen. Während er aber versuchte, die Stelle zu erreichen, an der er das Feuer gesehen hatte, erlosch dieses auf einmal. Nicht nur das! Bald erkannte er auch, dass das kleine Plateau, auf dem die Flammen gelodert hatten, nicht ohne einige Kletterei zu erreichen war, da keine Wege mehr hinauf führten und die Steigung schnell zunahm, was es ihm doch unwahrscheinlich erscheinen ließ, dass sich Auswärtige hierher vorgewagt hatten. Stefan hätte nicht sagen können, weshalb er seinen Weg dennoch fortsetzte. Am Wahrscheinlichsten war, dass die Neugierde mittlerweile Überhand gewonnen hatte und ihn nun voran trieb. So erreichte er das Plateau schließlich – mittlerweile reichlich außer Atem – und fand keine Spur von Menschen vor. Das einzige, das er sehen konnte, waren Spuren von Feuer: Verkohlte Streifen auf dem Fels. Nun runzelte Stefan die Stirn. Das machte alles keinen Sinn. Feuer entstand nicht einfach aus dem Nichts. Der Berg war kein Vulkan und auch von Blitzen hatte er nichts bemerkt, zumal es nichts gab, das von diesen hätte in Brand gesteckt werden können. Er sah sich um, bemüht dieses Rätsel zu lösen... Und dann sah er etwas, das seltsamer war, als die Spuren des Feuers selbst: Stellen, an den der Fels so aussah, als sei er geschmolzen worden. War der Berg vielleicht doch ein Vulkan? Nein, nein, das konnte nicht sein. Sein ganzes Leben lang lebte er bereits hier und sicherlich hätte er bemerkt, wenn der Berg, an dessen Fuß seine Heimat lag, ein Vulkan wäre. Ja, und während er Gedankenverloren mit der Hand über den noch immer warmen Fels strich und sich umsah, bemerkte er, dass es eine regelrechte Spur geschmolzenen Felsens gab, die weiter den Berg hinaufführte und in einer breiten Felsspalte endete. Was hatte dies zu bedeuten? Nun war Stefan entschlossen der Sache nachzugehen. Auch wenn es ihm in Nachhinein unvernünftig vorkommen würde, machte er sich nun daran zu jener Felsspalte empor zu klettern. Sie war breit genug, als das er sich hindurch zwängen konnte, doch gerade als er ansetzte, genau das zu tun, hörte er etwas, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Ein tiefes Knurren erklang aus der Dunkelheit der Höhle, die sich hinter dem Spalt erstreckte. Erst vermutete er einen Bären, doch dann sah er plötzlich ein feuriges Glühen in der Finsternis, das ein Paar funkelnder Augen erhellte. Vollkommen instinktiv wich er zurück, ganz vergessend, dass er zur Spalte hinauf geklettert war. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte auf das Plateau hinab. Zum Glück schaffte er es irgendwie, sich auf dem Hang abzurollen, so dass ihm zwar die Knochen schmerzten, es jedoch nicht schien, als hätte er sich etwas gebrochen. Ja, als er im nächsten Moment einen Feuerstoß aus der Felsspalte hervorschnellen sah, wurde ihm klar, dass sein Sturz ihm vermutlich sogar sein Leben gerettet hatte. Noch immer konnte er nicht begreifen, was dies für ein Wesen war, doch plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, ob er es herausfinden wollte. Er bemerkte kaum den Schmerz, während er so schnell es ihm möglich war, zur Wiese hinabkletterte. Erst, als er diese erreicht hatte, sah er sich wieder um und erkannte eine seltsame, längliche Gestalt, die sich auf das Plateau hinabschlängelte. Es schien die Gestalt einer Schlange zu haben, nur war es weit größer und – auch wenn er es auf die Entfernung nicht genau erkennen konnte – schien es ihm, als würden zwei Beine unter dem Körper stehen. Die Haut des Wesens glühte rötlich und Stefan konnte nicht sicher sein, ob sie von sich aus glühten oder nur das Licht der untergehenden Sonne reflektierten. Er wollte es gar nicht wissen. Er meinte ein bedrohliches Fauchen zu hören und lief los. So schnell es ihm möglich war, wandte er sich ab und rannte davon, sich in dem Moment nur einer Sache bewusst: Dies würde ihm kaum jemand glauben! Das dieses Wesen, das er in jener Felsspalte gesehen hatte, ein Tatzelwurm war. Ein Bergdrache wie jener, von dem ihm einst sein Großvater erzählt hatte. Es dauerte lange, bis er je mit jemanden über das Erlebte redete, doch von jenem Tag an verging kein einziger Tag, an dem er nicht an jenes Wesen dachte und sich fragte, ob es noch immer in jener Felsspalte auf jenem Berg lebte... Mitsommernacht -------------- Es war wie ein Traum. Ein Traum, der mit der Realität dieser warmen Mittsommernacht verschwamm, während Lisa immer weiter in den Wald vordrang. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, warum sie überhaupt in den Wald gegangen war. Eigentlich wusste sie doch, dass es Gefährlich war und wilde Tiere hier lauerten, die während der Dämmerung jagten. Nun rannte sie jedoch immer weiter voraus, stolperte mehr als einmal über eine Wurzel. Den grünen Rock ihres Gewandes hatte sie angehoben, damit er weniger im Dickicht des Waldes hängen blieb, denn den Weg hatte sie schon lange hinter sich gelassen. Warum lief sie? Sie schien es immer wieder zu vergessen, doch dann hörte sie jenes glockenhelle Lachen und einen Gesang, der sie mit so viel Freude erfüllte, dass sie einfach nicht anders konnte, als der Stimme zu folgen, die so wunderschön sang. Ab und an verstummte die Stimme und war dann tiefer aus dem Wald heraus zu vernehmen – aber Lisa lief immer weiter. Da es Mitsommer war, erfüllte das Dämmerlicht der am Horizont verweilenden Sonne noch immer den Wald und drang durch das grüne Blätterdach auf den Waldboden, obwohl es schon weit nach zehn, vielleicht sogar schon nach elf sein sollte. Erneut erklang der Gesang, dieses Mal aus nicht ganz so großer Entfernung. So lief Lisa weiter und immer weiter, bis sie in der Mitte einer weiten und beinahe perfekt runden Lichtung stand, deren Boden mit Moos und Gras, das der jungen Frau fast zu den Knien reichte, und der Gesang plötzlich verstummte. Es war anders, als die letzten Male, bei denen der Gesang verstummte, denn der seltsame Sog, der sie immer tiefer in den Wald gezogen hatte, schien nachzulassen und zum ersten Mal, seit sie los gelaufen war, konnte Lisa sich ernsthaft fragen, was sie hier tat und sah sich verwundert um. Ihr Herz klopfte noch vom langen Lauf und auch ihr Atem ging rasch und wollte sich nicht beruhigen, da sie sich nun endlich bewusst der Gefahr, die im Wald lauern konnte, bewusst wurde. Doch da hörte sie das Lachen erneut, dieses Mal viel näher als zuvor und als sie sich umsah, erblickte sie eine nackte Frau, die halb hinter einem Baum verborgen stand. Das wallende Haar dieser Frau, hatte die Farbe von frisch gefallenem Schnee und dennoch schien die Frau jung zu sein, denn ihr Gesicht war glatt und wunderschön, während ihre Augen wie aus flüssigem Gold zu sein schienen. Und als die Frau auf sie zukam, vergaß Lisa erneut zu hinterfragen, was sie tat. Sie sah in diese wundervollen leuchtenden Augen der Frau und dachte nicht darüber nach, als die Frau sie küsste und sie ihre Küsse erwiderte. Nie hätte sie auch nur daran gedacht, einer Frau beizuliegen, doch in jener Mitsommernacht auf dem Teppich aus Moos und Gras, kam es ihr so natürlich vor, obwohl sie diese seltsame Frau nicht einmal kannte. Dabei hatte sie nicht einmal mehr genug Selbstgefühl, um darüber nachzudenken, dass sie wie verhext zu sein schien oder dass sich ihre Familie Sorgen um sie machte. Immerhin gab es im Dorf auch eine Feier und man würde sich fragen, wo sie blieb. Doch all das kam ihr nicht in den Sinn, während sie mit der weißhaarigen und wunderschönen Frau auf der Lichtung tief im Wald lag. „Du bestehst meinen Test“, flüsterte die Frau nun in ihr Ohr und löste sich von ihr, während Lisa noch immer Gedankenverloren über den Rücken der Frau strich. Die Frau aber stand auf und lächelte sie an, ehe sie sich abwandte, als wollte sie gehen. Lisa hörte das Zwitschern der Vögel, das langsam wieder in ihr Bewusstsein vordrang und auch noch etwas anderes. Ein Geräusch, das aus weiter Ferne zu kommen schien, ihr jedoch so vertraut war, dass sie es erkannte: Das Leuten der Glocken der Dorfkapelle. Und während die mysteriöse Frau hinter den Bäumen verschwand, erkannte Lisa, was sie die ganze Zeit nicht bemerkt hatte: Dass Borke auf dem Rücken der Frau wuchs und ein Schwanz, wie der einer Kuh, an ihrem Lendenwirbel hing. Die Frau, die gar keine war, sondern ein Geist des Waldes, drehte sich noch einmal zu ihr um und lächelte verschmitzt, und dann verschmolz sie mit dem Geist und ließ Lisa nackt und beschämt auf den Boden jener Moosbewachsenen Lichtung zurück. Lauernder Schatten ------------------ Die Katze sträubte sich, während Diana das Band an ihrem Schwanz festband. Mehrfach versuchte das Tier mit seinen Krallen nach ihr zu schlagen, doch das junge Mädchen sah es jedes Mal kommen und zog es am Schwanz, so das die Krallen in eine andere Richtung gerichtet waren. „Was machst du da?“, hörte sie einen wütenden Schrei, den sie als den ihrer Mutter erkannte. „Lass das Tier sofort los!“ Sie ignorierte ihre Mutter und hatte das Band mittlerweile befestigt, so dass sie die Katze auch daran ziehen konnte. Da griff die Hand ihrer Mutter schraubstockartig nach ihrem Arm und zog sie hoch. „Ich habe dir gesagt, du sollst damit aufhören!“, zischte sie und versetzte ihr eine Ohrfeige, während die Katze fauchend von dannen lief – das rote Band noch immer hinter sich herziehend.. „Kannst du nicht einmal hören.“ Doch auf Dianas Gesicht zeichnete sich nur Trotz ab, während sie ihrer Mutter die Zunge herausstreckte. Sie dachte nicht daran, auf ihre Mutter zu hören, die sowieso alles viel zu ernst nahm. Ihre Mutter verstand nicht, dass es Spaß machen konnte, Dinge auszuprobieren oder andere Kinder zu ärgern. Wenn diese wollten, konnten sie sich schließlich wehren, nicht? Ihre Mutter verstand auch nicht, dass es einfach nur langweilig war, Sonntags in der Kirche herumzusitzen. Denn wenn man Diana fragte, so konnte sich dieser Gott zumindest einmal zeigen, wenn man ihn schon anbeten sollte. „Ich habe gehört, du hast schon wieder etwas angestellt“, meinte ihr Vater mit strenger Miene beim Abendessen. Sie erwiderte nichts, sondern starrte nur Feindselig die Erbsen auf ihrem Teller an. „Sie hat eine Katze gequält“, erwiderte ihre Mutter spitz und tauschte Blicke mit ihrem Vater. „Ich habe die Katze nur ausführen wollen“, warf Diana störrisch ein. „Indem du ein Band an ihrem Schwanz festbindest?“ Die Elfjährige zuckte nur mit den Schultern. „Das geht so nicht weiter mit dir.“ Die Stimme des Vaters trug eine Warnung mit sich, doch das Mädchen sah ihn nur herausfordern an. „Was willst du denn tun?“, fragte sie. „Mir den Hintern versohlen?“ Dafür musste er sie erst mal zu fassen bekommen – und sie war viel wendiger als er. „Du solltest aufpassen, junges Fräulein“, meinte ihre Mutter scharf. „Wenn du so weitermachst, holt der Coco noch deine Sohle.“ „Ja, sicher“, erwiderte Diana. „Als ob ich an so etwas glaube!“ „Wenn du so weiter machst, dann werde ich darüber nachdenken, dich auf eine Klosterschule zu schicken“, sagte ihr Vater nach einer kurzen Pause. Das Mädchen verschränkte seine kurzen Arme. „Das kannst du dir nicht leisten.“ „Es gibt auch Klosterschulen, wo die Schülerinnen arbeiten müssen, anstatt dass die Eltern bezahlen“, antwortete ihr Vater nun mit ungewohnter kühler Stimme. „Das sollte dich davon abhalten, weiter über Unsinn nachzudenken.“ Doch auch das glaubte sie ihm nicht. Mit einem Klirren fiel ihr Teller zu Boden. „Ups!“, sagte sie übertrieben spitz und stand dann auf. „Ich gehe in mein Zimmer“, fügte sie dann hinzu und ging wortlos aus der Küche, die Tür hinter sich zuknallend. Wahrscheinlich sollte es eine Strafe sein, dass ihre Eltern den Rest des Abends nicht mehr mit ihr sprachen, doch ihr war es nur Recht. Und so saß sie in ihrem Zimmer und warf einen Ball gegen die Wand, ungeachtet dessen, dass sie dies nicht im Haus tun sollte. Erst, als sie später in der Nacht ihre Lampe löschte, kam ihr die Warnung vom Coco wieder in den Sinn, doch sie vertrieb ihn schnell. Immerhin wusste sie, dass es nur eine Legende war, um kleinen Kindern Angst zu machen. Sie hatte noch nie gehört, dass tatsächlich ein Kind verschwunden wäre und sie kannte mindestens zwei, die es sicherlich verdient hatten. Und als sie in der Nacht erwachte und meinte eine finstere Gestalt im Schatten unter ihrem Fenster zu erkennen, tat sie es als einen Traum ab. Doch bald musste Diana feststellen, dass es nicht das einzige Mal bleiben sollte, dass sie diesen Schatten sah. Denn auch, als sie zweite Tage später mit ihrem besten Freund Pietro die Schule schwänzte und durch die Gassen der kleinen Stadt schlenderte, meinte sie eine Gestalt im Schatten zwischen zwei Häusern zu sehen. „Was ist das?“, fragte sie, zog an Pietros Hemd und zeigte auf die Stelle, wo sie die Gestalt sehen konnte. Doch kaum, dass Pietro in die Richtung sah, war die Gestalt verschwunden. „Was?“, fragte er. „Reingelegt“, sagte sie schnell und lachte gezwungen – immerhin sollte Pietro sie nicht für ein feiges Mädchen halten. So verging bald eine Woche und immer wieder kam es vor, dass sie meinte eine Gestalt in dunklen Ecken zu sehen. Egal ob in ihrem Zimmer, einer dunklen Gasse oder einer Ecke von ihrem Klassenzimmer: Die Gestalt blieb immer im Schatten verborgen. Und gleichzeitig, so schien es Diana, wurde sie mit jedem Tag größer. Sie bemühte sich, die Gestalt zu ignorieren oder sie als ein Hirngespinnst abzutun. Es war nur ein Schatten – nur ein Schatten... Und wenn sie den Schatten nachts in ihrem Zimmer sah, dann drehte sie sich demonstrativ um – wandte der seltsamen Gestalt den Rücken zu. Einige weitere Tage vergingen und der nächste Sonntag kam. Natürlich sollte sie wieder mit in die Kirche, ja, ihre Mutter redete sogar davon, dass sie nach der Messe beichten sollte. Doch auch wenn die Gestalt ihr ein wenig Angst machte, so brachte sie dies noch lange nicht zum Beten. Also schlich sie sich aus dem Haus, noch während ihre Eltern sich für die Kirche fertig machten. Es war ein sonniger Frühlingstag und die vormittägliche Sonne schien hell, doch dies bedeutete nur, dass die Schatten zwischen den Häusern noch dunkler waren, und während sie durch die verlassenen Straßen schlenderte, kam sie nicht umher, den Schatten misstrauische Blicke zuzuwerfen – doch sie erkannte nirgendwo die dunkle Gestalt. Gerade wurden ihre Schritte sicherer, als sie etwas sich bewegen sah. Sofort schreckte sie zusammen, sah dann jedoch, dass es nur eine schwarze Katze war, die aus einer Gasse gelaufen kam und sich mitten auf der gepflasterten Straße zusammenrollte – offenbar um sich zu sonnen. „Hau ab, du blödes Vieh“, rief Diana, nun wütend über sich selbst und warf einen Stein in Richtung der Katze, der nicht traf, jedoch nah genug an dem Tier vorbei flog, um sie unter lautem Fauchen fortrennen zu lassen. Als Diana jedoch tief durchatmete, sah sie, was sie die ganze Zeit schon fürchtete: Dort stand die Gestalt im Schatten und sah sie an. Nun zumindest glaubte Diana das, denn die Kapuze des dunklen Gewandes der Gestalt, bedeckte das Gesicht bis zur Nase, so dass sie nur ein fast skeletthaftes Kinn und einen halb geöffneten Mund mit spitzen Zähnen sehen konnte. Die Gestalt schien außergewöhnlich groß zu sein und schien sie einfach nur anzusehen. Nun packte die Wut das Mädchen und sie hob erneut einen Stein vom Straßenrand. „Wer auch immer du bist“, rief sie, „lass mich in Ruhe!“ Sie warf den Stein, der daraufhin das dunkle Gewand traf und darin verschwand. Dann machte das dunkle Wesen einen Schritt auf sie zu. Diana konnte ein Geräusch hören, fast so als würde die Kreatur scharf Luft einziehen. „Hast du nicht gehört?“, schrie sie, nun leicht verunsichert, „ich habe gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!“ Doch noch immer kam die Gestalt auf sie zu. Diana suchte einen dritten Stein, doch als sie sah, wie die Gestalt selbst den Schatten verließ, jedoch selbst keinen Schatten warf, überlegte sie es sich anders und lief. Sie lief davon, bis sie das Haus ihrer Familie erreicht hatte, über den Balkon hineingeklettert war und ihre Zimmertür hinter sich geschlossen hatte. Sie verstand nicht, wie das sein konnte – was dieses seltsame Wesen war. Doch etwas sagte ihr, dass sie es gar nicht herausfinden wollte. „Bist du da?“, rief ihre Mutter später aufgebracht, als sie nach Hause kam. Diana antwortete nicht. Sie hörte Schritte die Treppe hinaufkommen und ihre Tür wurde geöffnet. „Wieso bist du weggelaufen?“ „Messe ist langweilig!“, grummelte Diana. Sie würde ihrer Mutter sicherlich nicht von dem Erlebnis erzählen. „Du musst beten, damit Gott dir deine Sünden vergibt“, drohte ihre Mutter. „Sonst wirst du in der Hölle enden.“ „Mir doch egal“, erwiderte das Kind und wandte ihrer Mutter den Rücken zu. Sie hörte, wie ihre Mutter tief Luft holte. „Ich weiß nicht, was ich noch mit dir machen soll!“, rief sie dann und schlug nun selbst die Tür zu. Etwas später hörte Diana, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde. „Denk einmal über dein Verhalten nach“, rief ihr Vater. „Als ob“, murmelte Diana. Missmutig starrte sie aus dem Fenster. Noch immer hatte sie eine Gänsehaut, wenn sie an die Gestalt dachte, doch erneut redete sie sich ein, dass es nur eine Einbildung war. Wieder spielte sie mit einem Ball, schnitzte dann etwas mit einem Messer, dass sie von einem Mitschüler geklaut hatte. Langsam wurde es draußen dunkler wurde, doch sie sie schreckte erst auf, als sie etwas rascheln hörte. Langsam wandte sie sich um und da war es wieder: Die dunkle Gestalt stand in der Ecke ihres Zimmers und beobachtete sie. „Geh weg!“, rief sie erneut, doch die Gestalt ging langsam auf sie zu. Diana war flink und so lief sie zur Tür und zerrte an der Türklinge, ganz vergessen, dass ihr Vater sie in ihrem Zimmer eingesperrt hatte. Die Tür bewegte sich nicht. „Lasst mich aus!“, schrie sie. Doch niemand schien sie zu hören. Sie wandte sich an die Gestalt: „Hau ab! Lass mich in Ruhe!“ Ein Grinsen machte sich auf den dünnen, trockenen Lippen breit. Ein Grinsen, dass ihr Angst einflößte. „So lasst mich doch raus!“, rief sie erneut, doch da legten sich knochige Hände auf ihre Schultern und ehe sie noch einmal rufen konnte, wurde sie eine kalte Finsternis fortgezerrt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)