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Dare o erabu kana?

Für wen soll man sich entscheiden?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Darf ich kurz um deine Aufmerksamkeit bitten?

Ich möchte hier gern anbieten, dass mir Wünsche und Vorschläge für die FF gern unterbreitet werden dürfen. Gibt es etwas, das ich in den nächstfolgenden Kapiteln näher beleuchten soll? Gibt es Unklarheiten bis hierher? Schwirrt dir etwas im Kopf herum, was gern noch in dieser FF auftauchen dürfte? – Ich stehe für alles zur Verfügung und bin offen für alles.
Also wenn etwas offen im Raum steht, nur keine Scheu: Ich setze mich gern damit auseinander. Schreib mir einfach eine ENS oder hinterlasse es mir in einem Kommentar. Ich wäre dir sehr verbunden. x3

Apropos Kommentare: Als Autor bin sehr daran interessiert, meine FFs möglichst ansprechend zu schreiben und den Leser gut zu unterhalten. Deswegen möchte ich nur daran erinnern, dass egal was, man darf mir jegliche Art von Feedback geben. Es reichen wenige Worte, die mir meist schon alles sagen, was ich wissen muss.
Hast du Spaß? Fühlst du dich beim Lesen und mit unseren Lieblingen wohl? Fallen dir Ungereimtheiten auf, stört dich bisher irgendetwas? Liegt dir Kritik oder Lob auf dem Herzen? Magst du einfach nur etwas loswerden? – Was auch immer, lass es mich gern wissen, damit ich dir auch weiterhin das Beste (in meiner Macht Stehende) für diese FF bieten kann.
Fühle dich frei, dich mir mitzuteilen. Deine Meinung zählt. Fühle dich aber bitte nicht gezwungen. Auch wenn du lieber still genießen möchtest, ist das für mich okay. :)

So, nun aber genug meiner Worte. Weiter geht es mit "Dare o erabu kana?". Viel Spaß! Komplett anzeigen

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Konsequenzen und Entwicklungen

Als es draußen allmählich hell wurde, lag Haruka bereits wach in ihrem Bett. Schon lange lauschte sie dem leisen, fröhlichen Gesang der Lerchen und hatte es vermieden, zu dem Wecker auf ihrem Nachttisch zu blicken. Das letzte Mal, als sie es getan hatte, hatten die Zahlen 4:07 Uhr gezeigt.

Sie war sich nicht sicher, ob sie die Nacht überhaupt geschlafen hatte. Vielleicht war sie hin und wieder kurz eingedöst, doch immer, wenn sie wenig später aufgewacht war, waren laut der Weckeranzeige nur wenige Minuten vergangen. Und genauso fühlte sie sich: unausgeschlafen, unruhig und alles andere als motiviert. Am liebsten würde sie sich die Decke über den Kopf ziehen und den ganzen Tag in ihrem Bett bleiben, doch was würde das nützen? Seit einer Stunde lag sie nun schon wach und regungslos da und wartete nur darauf, dass so irgendwie genügend Zeit verstrich, damit sie aufstehen und irgendetwas machen könnte.

Sie hob das Kinn ein Stück und sah hinüber zu ihrem Nachttisch. Neben dem eingerahmten Gruppenfoto von ihr und den Jungs, welches sie nach ihrem zweiten Debütkonzert als neues Starish zusammen mit Cecil aufgenommen hatten, zeigte die kleine Stehuhr 5:14 Uhr an. Noch immer war es viel zu früh zum Aufstehen, aber sie wollte nicht länger liegen bleiben. Schlafen lohnte sich nun ohnehin nicht mehr und eine Stunde würde sie gewiss auch anderweitig herumkriegen. Alles war besser als zwangsweise gegen die vielen rumorenden Gedanken und Fragen anzukämpfen, welche sie um die Nacht gebracht hatten.

Mühselig schlug sie die Bettdecke zurück und richtete sich auf. Ihr Kopf fühlte sich schwer an. Etwas ungeschickt schlüpfte sie in ihre Hausschuhe hinein, erhob sich anschließend und schnappte im Vorbeigehen nach ihrem Morgenmantel, den sie wie immer über die Lehne ihres Schreibtischstuhls gelegt hatte. Nur flüchtig schielte sie auf das beschriftete Notenblatt, welches auf dem blauen Hefter mit ihren damaligen Notenübungen und Erstlingskompositionen auflag, und streifte den Titel. „Brand New Melody“ zeigte ihre dünne Handschrift und darunter in kleinerer, aber kräftigerer Schrift war hinzugefügt „Musik: Nanami Haruka – Lyrik: Ittoki Otoya“ und ein lächelnder Smiley direkt dahinter. Otoyas Handschrift.

Haruka schüttelte den Kopf und zwang sich wegzublicken. Mit blinden Handgriffen schob sie das Blatt zurück in den Hefter, wonach sie sich abwandte und mit eiligen Schritten im Badezimmer verschwand.

 

Wenig später hatte sie sich angezogen und war komplett hergerichtet. Sie war der festen Überzeugung, sich ausreichend Zeit damit gelassen zu haben, doch als sie ihre Armbanduhr anlegte, stellte sie fest, dass gerade einmal eine viertel Stunde verstrichen war. Noch immer hatte sie über eine Stunde zu überbrücken bis zum gemeinsamen Frühstück um sieben. Sie seufzte schwer.

Vielleicht hätte sie das Abendessen nicht ausfallen lassen sollen. Aus Scham, Otoya nach dem gestrigen Vorfall noch einmal unter die Augen zu treten, hatte sie Syo – der in Begleitung von Natsuki gewesen war, um sie abzuholen – gesagt, sie sei erschöpft von ihrem Ausflug mit Tomo-chan und wolle sich hinlegen. Gänzlich gelogen war das immerhin nicht, sie war tatsächlich müde gewesen, doch zur Ruhe war sie nicht gekommen. Doch jetzt bereute sie ihre Absage. Ihr Magen knurrte, was das Warten nur umso erschwerte. Dem zum Trotz fühlte sie sich zugleich unwohl bei dem Gedanken, dass sie die Stunde der Wahrheit entgegensehnte und sich früher oder später dem stellen musste, wovor sie gestern davongelaufen war.

„Wovor hast du denn Angst?“, sprach sie sich leise selbst Mut zu und griff nach ihrer blassgelben Strickjacke. Auf dem Weg zur Tür zog sie sich diese über. „Er ist dein Freund. Es ist nicht fair ihm gegenüber, vor ihm davonzulaufen. Du musst mit ihm darüber reden. Genau, ihr seid immerhin erwachsen und könnt miteinander reden. Das lässt sich klären. Es gibt keinen Grund, davor wegzulaufen und seine Gefühle weiterhin unnötig zu verletzen.“

Bei den Worten wurde ihr das Herz schwer und sie schluckte schwer. Einmal noch atmete sie tief durch, sammelte sich, bevor sie nach der Türklinke griff und ihr Zimmer verließ.

Draußen auf dem Flur war es ruhig. Natürlich war es das, schließlich war sie das einzige Mädchen auf dem Mädchenflügel und es war noch viel zu früh am Morgen, als dass schon viel Leben sein konnte. Ausnahmsweise hatte die Stille etwas Beruhigendes.

Haruka ging den langen Flur entlang und steuerte als Erstes in Richtung Gemeinschaftsraum, wo sich die Jungs sonst immer aufhielten. Die Stille hielt sich, auch als sie den Gemeinschaftsbereich erreicht hatte. Wie erwartet.

Sie entschied sich kurzerhand, den Übungsraum aufzusuchen. Zu dieser Uhrzeit würde niemand dort sein und sie könnte sich ans Piano setzen, bis die anderen wach waren. Es würde ihr sicherlich gut tun, noch ein wenig für sich zu sein und ein paar ihrer Lieblingslieder zu spielen, die ihr schon damals immer wieder Freude und Mut gespendet hatten. Vielleicht würde es ihr sogar gelingen, ein wenig zu komponieren; immerhin durfte sie nicht vergessen, dass der Direktor eine neue Melodie von ihr erwartete. Etwas, das gut war. Etwas, das ihn wieder von ihr überzeugen und die Menschen erfreuen würde. Etwas, worüber sich die Jungs freuen würden, dazu singen zu dürfen. – Ihr blieb dafür nicht mehr viel Zeit.

Auf ihrem Weg begegnete ihr niemand. Alles war ruhig. Nur wenig später hatte sie den Musiksaal erreicht, in welchem sie und die Jungs sonst gemeinsam trainierten. Doch seit sie so viel unterwegs waren, waren die gemeinsamen Stunden in diesem Raum weniger geworden. Wie sehr sie das bedauerte, wurde ihr in jenem Moment bewusst, als sie die Tür wieder hinter sich geschlossen und die ersten Schritte in den Raum hineingetan hatte.

Alles hier war wie immer. Das Piano war heruntergeklappt und stand frei zur Verfügung. In der rechten Ecke dahinter lehnte noch immer Otoyas Gitarre, die er dort irgendwann belassen hatte, um sie nicht jedes Mal von seinem Zimmer bis hierher herübertragen zu müssen. Sie war sein Geschenk vom Direktor gewesen, nachdem Starish ihr erstes Debütkonzert vor großem Publikum bestanden hatte. Die dunkelblaue Tasche mit dem Wappen der Saotome Academy, in welcher die Gitarre vorbildlich eingepackt war, um keinen Schaden zu nehmen, erinnerte daran.

Von einem leisen Seufzen begleitet, ging Haruka über den spiegelnden Parkettboden hinüber zum Piano. Ihr fiel auf, dass eines der großen Fenster mit zurückgezogenen Vorhängen offen stand. Vermutlich hatte eine der Reinigungskräfte das Fenster geöffnet, damit der Raum etwas frische Luft bekam. Dafür war Haruka dankbar, denn die sanfte Brise, die durch das Zimmer strich, fühlte sich angenehm erquickend an. Sie würde das Fenster schließen, bevor sie gehen müsste. Im Augenblick störte es sie nicht.

Behutsam öffnete sie den Klaviaturdeckel und klappte ihn zurück. Wie in Routine ging sie anschließend um das Instrument herum, um mit gewohnten Handgriffen den Flügel aufzurichten. Damit waren die Vorbereitungen erfüllt und sie trat wieder vor das Klaviaturbrett. Einen Moment lang stand sie nur da, sah gedankenverloren auf die makellosen Tasten, bevor sie probehalber eine davon hinunterdrückte. Das betätigte C klang klar und perfekt gestimmt. Sie tat weitere Stichproben, ließ die Töne im Raum erklingen, bis sie zufrieden feststellte, dass alles ordnungsgemäß vorbereitet war.

Auf einmal war ein Poltern von draußen zu hören, das sie aus ihren Gedanken hochschrecken ließ. Ein lautes Rascheln folgte, es kam zweifelsohne aus Richtung des Fensters. Ängstlich stolperte sie die wenigen Schritte zurück, bis sie die unnachgiebige Wand in ihrem Rücken spürte. Ihre Augen wie gebannt auf das offenstehende Fenster gerichtet. Was war das eben gewesen?

Der nächste Schrecken ließ nicht lange auf sich warten. Erst glaubte Haruka nur einen dunklen Schatten zu sehen, der plötzlich vom Himmel gefallen war. Sie stieß bereits einen Angstschrei aus, als sie in der Schreckgestalt eine wohlbekannte Person erkannte. Das dunkle Haar, den braunen Teint und nicht zuletzt das intensive Türbisblau des Augenpaares, das zu ihr herüberstrahlte.

„Ah, Haruka. Guten Morgen!“

„C-C-Cecil-san?“, brachte sie stotternd den Namen des Jungen hervor, der kopfüber wie eine Fledermaus vor dem Fenster hinabhing und den Anschein erweckte, es sei das Normalste der Welt. Nun, für sie war es das jedenfalls nicht. „W-was machst du denn da? Du könntest runterfallen!“

Auf ihren Kommentar hin wich das breite Grinsen des Prinzen einem verwunderten Ausdruck. Prüfend, als wäre ihm dieser Gedanke selbst noch nie gekommen, blickte er an sich hinab – oder aus dieser Perspektive betrachtet wohl eher „hinauf“ –, bevor er lachte.

„Machst du dir Sorgen um mich?“

„J-ja. Komm da runter!“

Das musste sie ihm nicht zweimal sagen. Scheinbar mühelos beugte sich Cecil nach oben und verschwand für einen Moment aus Harukas Sichtfeld, als er nach dem Ast griff, an welchem er hing. Nur einen Sekundenbruchteil später schwang er sich herunter, geschickt wie ein geübter Athlet, der täglich seine Übungen am Reck verrichtete, und sprang anschließend von der Fensterbank in den Raum hinein. Ausgestattet mit der besten Laune, und als sei nichts Besonderes gewesen, lief er zu Haruka herüber.

„Das war gefährlich“, seufzte sie und tat einen tiefen Atemzug, um ihren Herzschlag zu beruhigen. In ihrer Angst hatte sie sich die Hände gegen die Brust gepresst, unter der es heftig wummerte.

„Ich bin ein guter Kletterer“, erklärte Cecil fröhlich. „In Agnapolis wachsen die Bäume sehr viel höher als hier in Japan. Als Kind war mir aber kein Baum zu hoch.“ Erst da fiel ihm Harukas verkrampfte Haltung auf, was ihn verwundert blinzeln ließ. Es dauerte etwas, bis die Erkenntnis bei ihm eintraf. „Habe ich dich erschreckt?“, hinterfragte er unsicher.

Ertappt zuckte sie zusammen, erkannte jedoch noch im selben Moment, dass dazu kein Anlass bestand. Es war wohl kaum zu übersehen, also lockerte sie ihre Haltung und entspannte sich. „Ja, ein wenig“, gestand sie und lächelte verlegen zu ihm hoch.

„Oh, das tut mir leid.“

„Schon okay. Was hast du denn dort draußen gemacht?“

„Ich war auf dem Dach.“

Auf dem Dach?!“ Ihre Stimme überschlug sich fast vor Schreck. „Wa-was machst du denn auf dem Dach?“

„Ich habe gesungen.“

„Eh? So früh am Morgen?“

„Es ist nie zu früh oder spät dafür. Die Muse lehrt uns, dass es für die Musik niemals die falsche Zeit ist“, sprach er sanft und ließ ein Lächeln folgen. „Außerdem liebe ich es, Harukas Lieder zu singen. Hoshi no Fantasia. Es trägt so viele schöne Erinnerungen in meinem Herzen.“

„Ja“, gab sie genauso sanft zur Antwort und erwiderte das Lächeln. Ja, es lagen wirklich schöne Erinnerungen in diesem Lied. Sie erinnerte sich noch genau, wie sie daran geschrieben hatte, um es ihm zum Geschenk zu machen. Und niemals würde sie vergessen, wie es gewesen war, als sie durch eben jenes Lied zum allerersten Mal alle sieben Jungs zusammen und im absolut harmonischen Einklang singen hören hatte. Es waren schöne Erinnerungen, und besonders wertvoll.

„Bist du oft auf dem Dach?“, kam sie auf das Thema zurück.

Cecil nickte. „Man kann von dort oben viel sehen und alles auf dem Gelände hören. Und man ist für sich, weil dort niemand nach dir suchen kommt.“

„Das glaube ich“, gab Haruka kichernd zurück. „Niemand erwartet jemanden auf einem Dach.“

So sehr sie dieser Gedanke amüsierte, wurde sich Haruka des Schweigens erst gar nicht bewusst, das von Cecil ausging. Erst als sie wieder zu ihm aufblickte, bemerkte sie, dass er sie nachdenklich betrachtete. Er wirkte abwesend, irgendwie… traurig?

„Cecil-san?“

Er zögerte, so glaubte Haruka zumindest. Doch dann veränderte sich seine Haltung und er wurde ernst. „Haruka, gestern…“ Allein dieses eine Wort ließ einen Ruck durch ihren Körper fahren. „Ist… ist etwas vorgefallen? Zwischen dir und Otoya, meine ich.“

Betreten senkte sie den Kopf und faltete die Hände vor ihrem Schoß. Gestern. Sie fühlte sich nicht, als wollte sie mit irgendjemandem darüber reden.

„Du hast geweint, nicht wahr?“, hakte er weiter nach. Er sprach ruhig, doch in seinen Worten schwang unverkennbar eine gewisse Aufregung mit. „Ich habe es gesehen. Habt ihr gestritten? Hat er etwas Schlimmes zu dir gesagt?“

„Nein.“

„Wenn er dir wehtut-“

Wieder nur ein „Nein“, doch es genügte, dass Cecil aufhörte, nachzubohren. Das Schweigen war fast noch schlimmer, sein besorgter Blick wog schwer auf ihr, aber sie wusste, dass sie auf gar keinen Fall zu ihm aufblicken durfte. Nicht, dass sie wirklich glaubte, dazu in der Lage zu sein, aber sie wollte vermeiden, dass er in ihr las.

„Ich… mir ging es nicht gut“, log sie ganz offensichtlich, weswegen sie den Blick zur Seite abwandte. Etwas leiser fügte sie hinzu: „Bitte entschuldige, dass ich dir Sorgen bereitet habe.“

„Haruka…“

Nichts, Haruka schwieg. Es gab nichts, was sie ihm in diesem Augenblick noch erzählen wollte, soweit erkannte es auch Cecil. Und es bedrückte ihn. So kannte er sie nicht.

Er war hin und her gerissen. Einerseits wollte er wissen, was sie bedrückte, andererseits machte sie deutlich genug, dass sie nicht darüber reden wollte, dass selbst er es verstehen konnte. Cecil erinnerte sich, wie Ren einmal hatte gesagt, dass ein Gentleman eine Lady niemals zu etwas zwang, und tatsächlich fühlte es sich falsch an, sie drängen zu wollen, dass sie mit ihm über ihren Kummer sprach.

Ohne noch ein Wort zu sagen, drehte er sich schließlich um und ging hinüber zu dem offenstehenden Fenster. Er sprang auf die Fensterbank und tat einen tiefen Atemzug.

„Es ist ein schöner Morgen“, sprach er dann und warf einen Blick über seine Schulter zu Haruka. Er lächelte, als er zu seiner Erleichterung feststellte, dass sie bereits zu ihm schaute. „Ich habe vorhin Syo und Natsuki auf dem Hof gehört. Wusstest du, dass sie jeden Morgen früh aufstehen und joggen gehen? Gehen wir sie suchen!“

 

Cecils Vorschlag war wie ein Rettungsreif, den er Haruka zugeworfen hatte. Natürlich hatte sie keinen Moment gezögert und begleitete ihn nun auf dem kurzen Spaziergang zum Vorderhof, wo Syo und Natsuki ihre Runden drehen sollten. Doch als sie dort ankamen, war von den beiden Freunden weit und breit nichts zu sehen.

„Vielleicht sind sie schon fertig“, vermutete Haruka, nachdem sie den gesamten Platz mit ihren Augen abgesucht hatte. Ohne Erfolg.

„Wie spät ist es?“

„Ähm…“ Sie hob ihr Handgelenk, um die Uhrzeit zu prüfen. „Etwa zehn nach sechs.“

Statt ihr zu antworten, setzte sich Cecil in Bewegung und steuerte auf die Mitte des Platzes zu. Haruka beeilte sich, ihm zu dem Springbrunnen zu folgen. „Du meinst, sie sind noch unterwegs?“, schlussfolgerte sie, als er sich auf die niedrige Steinmauer niederließ.

„Sie sind heute früher losgegangen“, erklärte er ihr. „Das bedeutet, sie laufen heute die großen Runden. In dieser Hinsicht ist auf Syo Verlass. Man kann die Uhr nach ihm stellen.“ Ein gedehntes Gliederstrecken folgte, ehe er sich zurückstützte und die Beine lang machte. Während sich Haruka neben ihn setzte, ließ er den Blick ziellos durch die reichlich begrünte Gegend streifen. „Für mich wäre das nichts. Ich bin froh, dass Camus mit den anderen weg ist und ich meine Ruhe habe. Er hat mich nie ausschlafen lassen. Für mich ist das wie Urlaub. Aber Syo und Natsuki tun gerade so, als sei ihr Senpai noch da.“

„Syo-kun sagte neulich, dass es sich bei ihm eingebrannt hat, so früh aufstehen zu müssen, weil Mikaze-san ihn nie länger schlafen lassen hat. Ich glaube, er ist mittlerweile so sehr daran gewöhnt, dass er es nicht mehr abstellen kann.“

„Der Master Course war wirklich hart. Die Senpais sind sehr streng.“ Er seufzte aufgetragen. „Ich beneide Tokiya und Otoya. Reiji scheint nicht so streng zu sein.“

Haruka neben ihm kicherte. „Manchmal glaube ich, dass ihr sie vermisst.“

Von Cecils Seite aus blieb es still. Da er ihre Aussage nicht weiter kommentierte, warf Haruka einen verstohlenen Blick zu ihm herüber. Seine Gesichtszüge waren entspannt, er sah etwas gedankenverloren gen Himmel. – Das war alles, was sie für eine Antwort benötigte. Sie lächelte.

„Es ist sehr ruhig ohne sie, seit sie wieder Konzerte geben“, bemerkte sie und schaute ebenfalls zu den wenigen Wolkenpaaren auf, welche den sonst blauen Himmel kaum trübten. „Das ist schön und ich freue mich für sie. Aber, hm, man merkt, dass sie nicht da sind. Obwohl das Haus so groß ist, merkt man irgendwie sofort, wenn jemand fehlt.“

Wieder kam keine Antwort. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie er sich nach vorn beugte und etwas zwischen den Steinplatten herauspflückte. Er hielt einen zentimeterbreiten Grashalm zwischen den Fingern, drehte und betrachtete ihn einige Zeit, bevor er ihn zwischen die Daumen klemmte, die Hände wie in Gebetsform aneinandergelegt. Während sie sich noch fragte, was er vorhatte, hob er die Hände an sein Gesicht, legte die Lippen über die Daumenknöchel und blies. Ein hoher, etwas flatternder Ton erklang.

„Eh?“

„Kennst du das?“, fragte er, ohne sie anzusehen. Ein verträumtes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Als ich noch ein Kind war, hat meine Mutter mir das beigebracht. Es hat nicht sehr viel mit wahrer Musik zu tun, aber…“ Erneut legte er die Lippen an den Grashalm zwischen seinen Daumen und wiederholte, was er zuvor schon getan hatte. Wieder ertönte der flattrige Laut, es klang erst etwas schrill, doch Cecil variierte in Blaskraft und -länge auf den Halm, sodass daraus eine Art Melodie entstand. Flatternd, etwas schief, aber irgendwie fröhlich.

Still lauschte sie ihm und beobachtete, wie er sich seinem kleinen Grashalmlied hingab. Sie wartete, bis er fertig war, bevor sie sprach. „So etwas habe ich noch nie gesehen. Ist das ein Lied aus deiner Heimat?“

„Nein.“ Er ließ die Hände sinken und betrachtete das schmale Blatt zwischen seinen Daumen. „Nur etwas, das mir meine Mutter gezeigt hat.“

„Das ist toll“, lächelte sie fröhlich. „Sie ist bestimmt eine wundervolle Person. Vermisst du sie nicht manchmal, wenn du auf dem Grashalm spielst?“

Es war nicht mehr als ein wenig Smalltalk, eigentlich. Haruka hatte sich nichts Besonderes dabei gedacht, als sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. Doch als sich Cecils Schweigen zusehends in die Länge zog, wurde ihr klar, dass etwas nicht stimmte.

„Cecil-san?“

Er hatte sie gehört, dennoch blieb er stumm. Erst Momente später regte er sich und tat einen gedehnten Seufzer, ehe er in seiner vorgebeugten Haltung zu ihr hochsah. „Haruka“, sprach er mit gefasster Stimme, doch sie glaubte, etwas Trauriges daraus herauszuhören, „meine Mutter… meine Mutter ist-“

„Ah, sind das nicht Haruka-chan und Cecil-kun?“, wurde Cecil abrupt in seinem Satz unterbrochen, als Natsukis hellauf fröhliche Stimme über den Platz drang. Es wurde begleitet von Syos nicht minder lautem Gemecker.

„Es besteht kein Grund, jetzt zu rennen! Hey, mach langsamer, Natsuki, hörst du?!“

„Schau, Haruka, da sind Natsuki und Syo.“ Gerade so, als habe er tatsächlich vergessen, worüber sie eben noch gesprochen hatten und was er hatte sagen wollen, richtete Cecil seine Aufmerksamkeit auf die beiden Rückkehrenden. Die trübe Stimmung, die Haruka eben noch an ihm vermutet hatte, war auf einmal wie weggeblasen und hatte einem munteren Lächeln Platz gemacht. Schon sprang er auf die Beine und winkte eifrig zu den beiden Freunden herüber. „Heeey! Natsuki, Syo, guten Morgen!“

Sie hatte keine Wahl, oder? Es würde komisch aussehen, wenn sie sitzen bliebe und darauf wartete, dass Cecil beenden würde, was er ihr hatte sagen wollen. Das würde er wohl nicht mehr tun, jetzt, da sie Gesellschaft bekommen hatten. Also tat sie es ihm gleich und erhob sich mit einem leisen Seufzen.

„Haru-chan, einen wunderschönen guten Morgen“, flötete Natsuki in bester Laune zu ihr herüber, kaum dass er bei ihnen angekommen war. Es war ungewohnt, ihn in einem Jogginganzug zu sehen – einem richtigen blau-weißen Jogginganzug samt weißen Schweißbändern um Stirn und Handgelenken –, aber es schmeichelte dem hochgewachsenen jungen Mann. Wenn auch die quietschgelben Turnschuhe nicht so recht dazu passen wollten. „Und Cecil-kun, welch eine Freude! Schon so früh auf?“

„‘s sieht dir gar nicht ähnlich“, kommentierte auch Syo, als er nur wenig später zu den Freunden aufgeholt hatte und endlich zum Stehen kam. Erschöpft von dem etwas unfreiwilligen Tempoanzug zum Ende ging er in die Beuge, stützte sich auf den Knien ab und schnappte angestrengt nach Luft. Er gönnte sich nur eine kurze Verschnaufpause, ehe er sich wieder aufrichtete und Cecil misstrauisch beäugte. „Sonst verpennst du sogar das Frühstück und tauchst erst sehr viel später auf. Wie kommt’s? … Hey, es hat doch nichts mit Nanami zu tun?!“

„N-nein“, verteidigte Haruka sofort und hob beschwichtigend die Hände, um einen erneuten Streit zwischen den beiden zu verhindern. „Wir sind uns zufällig über den Weg gelaufen und haben ein wenig Zeit zusammen verbracht, während wir auf euch gewartet haben.“

„Was ist schlimm daran?“, wollte Cecil wissen.

„Tz, man kann dich nicht mir ihr allein lassen, ohne dass du ihr zu dicht auf die Pelle rückst. Du bist schlimmer als Ren und Natsuki zusammen.“

„Eh?“ Natsuki tat einen überraschten Laut und sah fragend zu dem Kleineren. „Wie meinst du das, Syo-chan?“

„Er bedrängt mich nicht“, versicherte Haruka, mutig gegen ihre Verlegenheit ankämpfend.

„Dann soll er mir mal erklären, wie man das sonst neuerdings bezeichnet.“ Syo schnaufte verächtlich. „Ich traue dem Typen nicht weiter als ich schauen kann.“

Während des gesamten Wortaustausches war Cecil still geblieben und auch jetzt dauerte sein Schweigen noch an, was sich unangenehm auf die Gruppe ausweitete. Syo versuchte es wohl zu unterspielen, indem er sich die Hände an seiner Shorts abklopfte und unnötigerweise den Sitz seines Sporthemdes korrigierte. Er vermied peinlich jeglichen Blickkontakt mit dem Prinzen.

Nach nur wenigen, zäh wirkenden Sekunden brach Cecil das Schweigen in der Runde und wandte sich offen Syo zu. „Wieso bist du so gemein zu mir, sobald es um Haruka geht? Ich habe ihr nie etwas getan und werde es auch nie. Bist du möglicherweise eifersüchtig?“

Seine Worte trafen mitten ins Schwarze. Das war zumindest anzunehmen, denn Syos Gesicht gewann mächtig an Farbe, was er nicht hätte verbergen können, und er versteifte sich kurzweilig, bevor er nur umso nervöser wurde.

„W-was sagst du da? Eifersüchtig, ich? W-wie kommst du…? N-niemals würde ich…!“

„Hegst du Gefühle für sie?“

‚Was?‘ Diese direkte Frage verschaffte auch Haruka glühend rote Wangen. Ihre Augen hefteten sich ungläubig auf Syo, der den Eindruck erweckte, ihn habe soeben der Blitz getroffen.

„W-WAS?!“ Sämtliches Blut schien sich in dem Kopf des Kleinsten gesammelt zu haben. Nur ob vor Scham oder Zorn, das ließ sich nicht ganz bestimmen. „Da-das ist doch lächerlich! Mit dir führe ich ganz bestimmt nicht solche Gespräche!“

Damit und mit einem „Natsuki, wir gehen!“ wandte er sich um und stapfte wütend in Richtung Wohngebäude. Er ließ nicht nur Haruka und Cecil, sondern insbesondere Natsuki in Überraschung zurück, welcher im ersten Moment nicht zu wissen schien, wie er reagieren sollte. Unentschlossen schaute er seinem besten Freund nach, wechselte zurück zu Haruka und schließlich zu Cecil, welcher den Blickkontakt erwiderte. Noch einmal schweifte er hinüber zu Haruka und machte für kurz den Anschein, als wollte er etwas sagen, doch stattdessen seufzte er nur leise, bevor er mit einem lauten „Syo-chan, warte doch“ dem Freund nacheilte.

„Cecil-san“, sprach Haruka leise und blickte scheu zu ihm auf, „hast… hast du das eben ernst gemeint?“

Daraufhin drehte sich Cecil zu ihr, schwieg jedoch für einen Moment, in welchem er sie nur ansah. In einer unerwarteten Wandlung lächelte er dann. „Es war ein Scherz.“

„Eh?“ – Stimmte das wirklich oder war es nur eine Fassade? Sie war verwirrt.

„Gehen wir auch“, schlug er vor, von Niedergeschlagenheit keine Spur. „Heute fehle ich nicht beim gemeinsamen Frühstück. Das wird bestimmt toll mit allen zusammen!“

Sie entschied sich, es nicht weiter zu hinterfragen. Es war bekannt, dass sich Syo und Cecil oft wegen Kleinigkeiten in die Haare kriegten. Die beiden waren wie Feuer und Wasser, was ihr jeweiliges Temperament nur noch mehr anstachelte. Vermutlich handelte es sich nur um eine weitere Neckerei, wie sie eben zwischen ihnen üblich war. Mit diesem Gedanken folgte sie Cecil in Richtung Wohnheim.

Syo und Natsuki waren längst außer Sichtweite und auch als sie den langen Korridor betraten, hörte man sie nicht. Es war lange Zeit still, bis sie sich dem Gemeinschaftsraum näherten, wo sich üblicherweise alle versammelten. Das Erste, was sie von dort aus hörte, war Otoyas Stimme: „Es ist nur für ein paar Tage, versprochen. Vor Ende des Urlaubs bin ich wieder da.“

Was?

Harukas Herzschlag beschleunigte sich in einer bösen Vorahnung. Noch ehe sie es sich versah, war sie die letzten Schritte auch schon losgerannt, Cecil neben ihr ganz außer Acht lassend. In ihrer Aufregung wäre sie beinahe gestolpert, als sie endlich die Runde erreichte, wo sich jeder außer ihr und Cecil versammelt hatte. Syo und Natsuki mussten hier auf ihrem Weg zum gemeinsamen Zimmer Halt gemacht, schlussfolgerte sie. Kurzerhand gesellte sie sich an ihre Seite. „Was ist…?“

Fünf Augenpaare richteten sich auf sie. Das war es jedoch nicht, was sie in diesem Moment beunruhigte, sondern vielmehr das, was sie vor sich sah: eine gepackte Reisetasche, darauf eine etwas vergriffene Gitarrentasche und nebendran an dem ganzen Gepäck der Besitzer. Otoya selbst. Fertig angezogen in blauer Jeans, bedrucktem T-Shirt, Turnschuhen und orangener Weste; alles in einem: aufbruchbereit.

„Was ist los?“, vervollständigte sie ihre Frage genau in dem Moment, als auch Cecil neben ihr eintraf, und richtete ihren Blick an den Rotschopf. Eigentlich, das wusste sie, war ihre Frage wohl überflüssig, aber sie musste es von ihm selbst hören.

„Unser Kleiner will für ein paar Tage ausfliegen“, antwortete ihr stattdessen Ren, der seinen üblichen Platz auf der blauen Couch eingenommen hatte. Es lag keinerlei Gefühlszuordnung in seiner Stimme, aber seine abwehrende Haltung mit den überschlagenen Beinen und verschränkten Armen auf dem Schoß sprach für sich. „Sieht so aus, als wollte er keine Zeit mit uns verbringen.“

„So ist das nicht!“, warf Otoya sofort ein, was aufgrund dessen, dass er seine Stimme etwas zu sehr hob, wie ein Misch aus Selbstverteidigung und Verzweiflung klang. „Ehrlich, das stimmt nicht. Ich würde gern Zeit mit euch allen verbringen.“

„Wieso?“, war Harukas nächste Frage, womit sie vielmehr „Wieso dann?“ meinte. Sie war leiser geworden, da sie die Antwort bereits vermutete.

Otoya wandte seinen Blick daraufhin in ihre Richtung. Einen Moment lang schwieg er, dann setzte er ein vorsichtiges Lächeln auf, welches in Harukas Augen traurig wirkte. „Ich möchte meine Familie besuchen“, sprach er belegt. „Nur für ein paar Tage, dann bin ich wieder da.“

„Deine Familie?“ Seine Familie im Waisenhaus, erinnerte sie sich. Sie schaute zu Boden. „Ach so…“

„Aber wieso so plötzlich?“, ergriff nun Natsuki das Wort. „Das ist aber wirklich ungünstig, wo du doch gestern erst für uns einkaufen warst. Ich wollte heute für uns alle backen. Ich habe neue Rezepte gefunden, die ich uuunbedingt ausprobieren möchte, und die Motive sind sooo niedlich.“ Er seufzte zutiefst bedrückt.

„Davon einmal ganz abgesehen“, warf Syo seinen Hut in den Ring und richtete sich damit an den letzten Freund in der Runde, der mucksmäuschenstill auf einem der roten Sesselstühle saß. „Tokiya, hast du davon gewusst? Ihr seid doch Zimmermitbewohner.“

„Auch erst seit heute Morgen“, erklärte dieser ruhig, wobei er erst von Haruka zu Syo neben ihr, dann zu Otoya blickte. Er zuckte beiläufig mit den Schultern. „Ich habe ihn darauf angesprochen, als er zu früher Stunde seine Taschen gepackt hat. Es scheint eine Spontanentscheidung gewesen zu sein, sonst hättest du mir schon früher davon erzählt, oder, Otoya?“

„Es war… recht spontan, ja. Sonst hätte ich euch schon früher darüber informiert, das stimmt.“

‚Wegen mir?‘, schoss es Haruka durch den Kopf, aber diese Frage konnte sie nicht vor all den anderen aussprechen. Vermutlich waren sie und der Vorfall von gestern der Grund für diese Entscheidung, sie hatte so ein Gefühl. Aber wenn das stimmte, was bedeutete es dann?

„Sollten wir nicht lieber etwas zusammen unternehmen?“, war es wieder Natsuki, der sprach. Hoffnung schwang in seiner Stimme mit. „Wir haben nicht oft die Möglichkeit dazu. Wir sind doch auch so etwas wie eine Familie. Nicht wahr, Otoya-kun? Du denkst doch genauso?“

Otoya wich den Blicken der Freunde aus und sah zu Boden. Jeder konnte sehen, dass er einen inneren Konflikt mit sich ausfocht.

„Ja“, sprach er dann leise, bemüht, überhaupt etwas zu sagen. „Ja, ich sehe euch auch als Familie. Aber…“ Seine Stimme brach weg. Sekunden später fiel er in eine tiefe Verbeugung vor. „Tut mir leid. Es tut mir wirklich leid, aber…“ Als er sich wieder aufrichtete, suchten seine Augen bestimmt nach Haruka. Sie konnte offen in ihnen lesen, während er weitersprach, als seien die folgenden Worte nur an sie gerichtet: „Ich möchte sie gern sehen.“

Die Botschaft verstehend, spürte Haruka einen Stich in ihrem Herzen. Sie konnte nicht sagen, dass sie es ihm verübeln konnte, dennoch tat es weh. Die Traurigkeit in seinen Augen und das Wissen, dass sie Schuld daran trug. Dass sie es war, weswegen er diesen Schritt gewählt hatte.

„Ittoki-kun…“ Nur schwer brachte sie seinen Namen über ihre Lippen. Erst im Nachhinein bemerkte sie ihren Fehler und hob sich schnell ihre Hände an den Mund. Das war falsch gewesen, nicht wahr? Hatte sie es soeben schlimmer gemacht, ohne dass sie es gewollt hatte?

Otoyas Mimik veränderte sich. Seine Gesichtszüge hellten sich auf. „Ist schon okay“, beruhigte er sie in ihrer Geheimsprache, deren Hintergrund nur sie beide verstanden. Dennoch, verborgen blieb es in diesem Raum niemandem, und entsprechend ruhten die Blicke der anderen auf ihnen.

„Ich bin nur ein paar Tage weg. Ich melde mich auch, versprochen“, beschwor er noch einmal, dieses Mal an die gesamte Runde gewandt. Er brachte sein ehrlichstes Lächeln hervor, das er in dieser Situation aufbringen konnte.

„Was ist mit der Agentur?“, warf Tokiya weitblickend ein. „Wissen Shining Saotome und die anderen über dein Vorhaben Bescheid?“

Otoya nickte. „Ja, ich habe mit ihnen telefoniert. Es ist alles abgesprochen und abgesegnet.“

„Gut organisiert, der Junge. Alle Achtung“, kommentierte Ren gespielt beeindruckt, aber auch das klang vielmehr wie ein Seitenhieb.

„Otoya-kun…“

„Lass gut sein, Natsuki“, ging Syo seinem Freund dazwischen. Haruka bemerkte, dass er sie noch immer von der Seite musterte, und sie wurde das Gefühl nicht los, dass er einen Verdacht geschöpft hatte, dass etwas zwischen ihr und Otoya in der Luft lag, was niemand aus der Gruppe mitbekommen sollte. Gerade wollte sie etwas weiter in ihm forschen, da brach er den Blickkontakt ab, verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust und wandte sich Otoya zu. Er war ohne Frage verstimmt, mehr noch als zuvor auf dem Hofplatz. „Soll er doch gehen, wenn er unbedingt will. Wir sind in der nächsten Zeit nicht aufeinander angewiesen, also soll er doch.“

„Syo…“ Otoya war hörbar verletzt von den Worten des Freundes, doch er sagte nichts, sondern ließ nur bedrückt die Schultern nach vorn fallen.

„Otoya geht also wirklich weg?“, vergewisserte sich Cecil der Entwicklung, was Haruka einen weiteren Hieb versetzte. Nicht besser machten es Tokiyas anschließende Worte, die klangen, als würden sie es besiegeln: „Pass auf dich auf und komm wohlbehalten zurück.“

„Mhm. Ich melde mich bei euch.“

 

Nur eine halbe Stunde später saßen sie alle am Frühstückstisch. Alle, bis auf Otoya.

Es war seltsam. Heute war es nicht der Platz am rechten Ende des Tisches, der frei blieb, sondern der von Haruka rechts gegenüber. Er hatte sich nur um eine Position entgegen des Uhrzeigersinns verschoben, und doch fiel der freie Stuhl an Natsukis Seite fiel sofort auf. Kam ihr das nur so vor?

Bis sie die Küche betreten und ihre üblichen Plätze eingenommen hatten, war Haruka gar nicht aufgefallen, dass Masato gar nicht bei ihnen im Gemeinschaftsbereich gewesen war. Seine Frage nach Otoya, der sich nur selten zum Essen verspätete, hatte sie im ersten Moment entsprechend überrascht. Die anderen hatten es für sie übernommen, den Freund über Otoyas spontane Abreise aufzuklären, doch entgegen ihrer Erwartung hatte Masato nicht sehr überschwänglich darauf reagiert. Keine Fragen, keine Eigenvermutungen oder gar Einwände – geradeso als hatte er eine solche Entwicklung bereits vermutet oder gar erwartet. Sie fragte sich, was wirklich dahintersteckte.

Das Frühstück verlief ruhig, verhältnismäßig still. Einer aus ihrer Gruppe fehlte, und das merkte man nur zu deutlich. Es war fast schon erschreckend.

„Mach dir keine Sorgen“, waren seine letzten Worte an sie gewesen, bevor er mit seinen geschulterten Taschen vor die Tür getreten war. Sein entschuldigendes Lächeln machte ihr noch immer das Herz schwer. „Ich verspreche dir, dass ich zurückkommen werde. Ehrenwort.“ – Versprochen.

Er hatte es ihr versprochen. Er würde sich auch daran halten, nicht wahr?



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