Dare o erabu kana? von Shizana (Für wen soll man sich entscheiden?) ================================================================================ Kapitel 4: Hast du nie darüber nachgedacht? ------------------------------------------- Warmer Sonnenschein zur Mittagszeit, fröhlich plaudernde Menschen um einen herum und ein schattiges Plätzchen unter einem bunten Sonnenschirm – was gab es Schöneres an einem Sommertag, wenn man nicht gerade das Meer vor sich oder zumindest einen Pool im Garten hatte? Dazu eine Tasse Latte Macchiato mit extra viel Schaum und zwei Tütchen Zucker, in freudiger Erwartung eines gemischten Früchteeisbechers, der jeden Moment serviert werden würde. „Haruka? Haruka!“ „Eh?“ Für einen Moment hatte sie das Gefühl, ihr würde der Henkel der roten Keramiktasse durch die Finger gleiten. Zum Glück hatte sie richtig eingehakt, so konnte sie ein Unglück vermeiden und entkam der Peinlichkeit, die heiße Flüssigkeit über ihrem weißen Kleid mit dem hellen Blumenmuster zu verschütten. Schnell versuchte sie sich an einem abmildernden Lächeln. „Entschuldige bitte, Tomo-chan, ich war wohl kurz in Gedanken.“ „Moah.“ Die rothaarige Freundin mit der getönten Sonnenbrille auf der Nase seufzte beleidigt. Indem sie die Arme vor dem blauen Top unter der schwarzen Weste verschränkte und ungläubig mit dem Kopf schüttelte, wodurch die zurückgebundenen Ziehlocken kurz wippten, lehnte sie sich in dem Flechtstuhl des Cafés zurück. „Also wirklich“, begann sie ihre Mahnrede, „da sehen wir uns schon nur noch so selten, und dann habe ich trotzdem nichts von dir. Etwas mehr Konzentration, wenn ich bitten darf!“ Haruka hob schuldbewusst die Schultern. „Tut mir leid…“ „Ah, gib mir nicht dieses ‚tut mir leid‘! Du weißt genau, dass ich dann schwach werde.“ Erneut seufzte Tomochika, bevor sie nach ihrer Sonnenbrille griff und sie sich ins Haar zurückschob. „Naja“, zuckte sie mit den Schultern, „was soll’s. Ich sollte es eigentlich mittlerweile gewohnt sein, dass du manchmal mit den Gedanken abdriftest und vor dich hin träumst. Und nach unserem Telefonat gestern kann ich es dir nicht einmal verübeln, denke ich.“ „Mh…“ Nachdenklich führte sich Haruka ihr Getränk an die Lippen und nahm einen zaghaften Schluck. Ja, gestern Abend hatte Tomochika sie noch unerwartet angerufen und schon anhand ihrer Begrüßung bemerkt, dass die Freundin etwas bedrückte. Natürlich hatte sie gleich wissen wollen, was los war, doch auch Haruka hatte heraushören können, dass Tomochika kaum fit genug gewesen war, um wirklich lange Seelsorgegespräche zu führen. So hatte sie ihr nur das Nötigste erzählt, an den Details gespart und es schließlich damit abgetan, dass es eigentlich gar nicht so schlimm sei und sie sich keine Sorgen zu machen brauche.  Doch das hatte der Sängerin gereicht, sie hatte den Redebedarf der Freundin wahrgenommen und so hatten sie sich schließlich für den Folgetag verabredet, um bei Kaffee und Kuchen – oder eben Eis – ausführlicher miteinander zu reden. Und hier waren sie nun, warteten auf ihre Bestellung, und obwohl sich Haruka sehr auf das Wiedersehen mit ihrer besten Freundin gefreut hatte, fühlte sie sich unwohl. Nicht nur, dass ihr der Grund ihres Treffens unangenehm war, Tomochika hatte sich allem Anschein nach auch extra wegen ihr freigenommen und sie dankte es ihr, indem sie nicht richtig bei der Sache war und sich ständig in Gedanken verlor. So hatte sie das nicht beabsichtigt. „Also“, leitete Tomochika ihr Gespräch ein und Haruka ahnte, was kommen würde, „dann erzähl doch nochmal von Anfang an. Gestern bist du ja nicht so wirklich aus dir herausgekommen. Ihr wart also alle zusammen auf dem Sommerfestival?“ „Mhm.“ Sie nickte verhalten. „Ja, und? Wie war’s?“ „Es war toll.“ Um nicht ganz unhöflich zu sein, stellte Haruka ihr Getränk zurück auf die Untertasse. Sie blickte anschließend zu der Rothaarigen herüber und bemühte sich um ein Lächeln. „Es war sehr groß und viele Besucher waren dort. Wir haben uns vieles gemeinsam angesehen und sind mit einigen der Attraktionen mitgefahren. Es war eigentlich sehr ausgelassen, alle waren froh und guter Dinge, obwohl es zugleich etwas stressig war wegen der Fans, die die Jungs erkannt haben. Aber alle hatten Spaß und es war fast wieder wie früher“, erzählte sie. „Mhm“, machte Tomochika und hob eine ihrer feingeschwungenen Augenbrauen. Dann lächelte sie. „Na das ist doch toll. Und das habt ihr euch auch redlich verdient nach all der harten Arbeit in der letzten Zeit. Es ist zwar etwas schade, dass ich nicht dabei war, aber ich freue mich wirklich von Herzen für euch.“ „Ich wusste nicht, ob du arbeiten musst“, erklärte Haruka leise, entschuldigend, „sonst hätte ich dich gefragt, ob du nicht mitkommen möchtest. Wir haben ewig nichts mehr zusammen unternommen.“ „Ist schon okay“, winkte sie ab, bevor sie betont die Arme über ihrem Kopf streckte. „Ich hätte ohnehin nicht gekonnt. Wir sind gestern erst von einer Convention wiedergekommen, bei der ich auftreten durfte. Nichts Großes, nur als Stimmungsmacher, aber es war dennoch lustig. Als ich dich angerufen hatte, war ich gerade erst aus der Dusche raus und wollte anschließend nur noch tot ins Bett fallen.“ „Es scheint nicht einfach zu sein als Solistin. Du arbeitest wirklich hart, Tomo-chan.“ „Ihr doch auch“, entgegnete diese und zwinkerte der Komponistin zu. „Und ich will euch in nichts nachstehen. Immerhin haben wir einmal dieselbe Künstlerschule und Klasse besucht. Es geht gar nicht klar, dass ihr mir jetzt vorauseilt. Das kann ich unmöglich zulassen!“ Ein leises Kichern stahl sich aus Haruka heraus, wurde zu einem Lachen, in das die Freundin mit einstimmte. In dem Moment war alles wieder ganz genauso wie früher, als sie noch zusammen die Saotome Academy besucht und ein Zimmer gemeinsam bezogen hatten, und all der Kummer, mit dem die Komponistin zu diesem Treffen gegangen war, war vergessen. Die ersten Gäste schauten schon zu ihnen herüber, und als Tomochika dies bemerkte, gab sie der Jüngeren einen Wink, dass sie sich wieder beruhigen sollten. So schwer es ihnen auch fiel, aber sie wollten schließlich nicht dem Café verwiesen werden, bevor sie überhaupt ihr Eis bekommen hatten. „Es ist schön, dich wieder einmal lachen zu sehen“, lächelte Tomochika zu Haruka herüber und streckte ihren Arm über die runde Tischplatte nach der Freundin aus, um ihr die Hand auf die ihre zu legen. Schnell wischte sich Haruka noch die Lachtränen aus den Augenwinkeln, ehe sie das Lächeln erwiderte. „Mhm, es tut auch gut, wieder mit dir lachen zu können. Ich habe das sehr vermisst.“ „Ja, ich auch“, bestätigte Tomochika und drückte einmal die Hand der Freundin, um damit zu unterstreichen, dass sie es ehrlich meinte. Dann zog sie sich zurück, verschränkte die Arme auf der Tischplatte und beugte sich nach vorn. „Also, dann wieder zurück zum Thema. Ihr wart also auf diesem Fest und es war toll. Schön, schön. Aber gestern hast du nicht so geklungen, als wäre es der schönste Tag deines Leben gewesen?“ Betreten wandte Haruka ihren Blick ab. Erst nach einigen Sekunden des Schweigens nickte sie zaghaft. „Ist etwas vorgefallen?“, blieb ihre Freundin beharrlich. „Nun erzähl schon, dafür bin ich doch hier.“ „Ich… weiß es nicht genau“, begann sie daraufhin zögerlich. Kurz pausierte sie, um den letzten Tag in ihren Gedanken Revue passieren zu lassen, ehe sie sich ermutigte, fortzufahren: „Es war wirklich toll gewesen. Alle waren so fröhlich und hatten so gute Laune gehabt. Aber… ich glaube, ich habe dann einen Fehler gemacht, der das alles kippen ließ.“ „Einen Fehler?“ In dem Moment trat eine Kellnerin an ihren Tisch heran und brachte ihre Bestellungen. Tomochika musste sich zurücklehnen, damit die junge Frau den großen Kiwieisbecher in dem schlanken Glas mit breitem Mund und Bauch vor ihr abstellen konnte. Flüchtig hob sie ihre Hand in einer dankenden Geste, griff auch schon nach dem langen Löffel und beobachtete, wie auch Haruka ihren bestellten Mischobstbecher in einem eher kleineren, dafür breiteren Glas serviert bekam. Sie nahm das Gespräch wieder auf. „Was kann schon so schlimm sein? Ich glaube, es gibt nicht viel, was dir die Jungs nicht früher oder später verzeihen würden.“ „Es ging dabei auch weniger um mich“, erklärte sie, bedankte sich höflich bei der Kellnerin, welche sich daraufhin knapp verbeugte und sich auch schon abwandte, um die nächsten Gäste zu bedienen. Haruka tat es der Freundin gleich, nahm den bereitliegenden Löffel zur Hand und bemühte sich, eine dünne Apfelscheibe darauf zu balancieren. „Es ist wegen Cecil-san. Ihm wurden die Fahrten irgendwann zu viel und es ging ihm nicht gut, also bin ich bei ihm geblieben, damit ihm nichts zustößt. Er bat dann, sich setzen zu dürfen, weil ihm schwindlig war, aber wir haben nichts in der Nähe gefunden. Also haben wir uns von der Gruppe getrennt, damit er sich in den Schatten setzen konnte.“ „Ich verstehe nicht“, entgegnete Tomochika und schob sich ein Kiwistück in den Mund. „Ich meine“, sprach sie unbeachtet dessen weiter, „was ist Schlimmes daran? Du warst eben um ihn besorgt, das ist doch ganz normal.“ „Schon“, bestätigte Haruka leise. „Aber wir haben keinem Bescheid gesagt. Wir sind einfach gegangen, während die anderen noch in einer Fahrt waren.“ „Ah, jetzt verstehe ich.“ Ein Löffel Eis mit Sahnehaube fand den Weg zwischen ihre rotgeschminkten Lippen. „Und als die anderen dann damit fertig waren, wart ihr verschwunden und sie haben sich Sorgen gemacht.“ Ein stummes Nicken von der Komponistin folgte, was Tomochika mit einem gemurmelten „Das ist natürlich blöd“ kommentierte. „Ich bin in dem Moment auch gar nicht auf die Idee gekommen, einen von ihnen anzurufen oder zumindest eine SMS zu schicken“, erklärte Haruka weiterhin, hörbar ihrer Schuld bewusst. „Als sie uns dann später fanden, waren sie natürlich sauer. Ich kann ihnen das auch nicht verübeln, aber… es war, als würden sie Cecil-san die Schuld daran geben, obwohl er doch gar nichts dafür konnte. Ich habe auch versucht, es ihnen so zu sagen, aber ich hatte das Gefühl, sie würden mir gar nicht zuhören.“ Daraufhin verstummte sie und es wurde bedrückend still zwischen den beiden Freundinnen, nur hin und wieder klirrte es leise, wenn eine ihren Löffel versehentlich gegen das Glas kommen ließ. Tomochika wusste anscheinend keinen angemessenen Kommentar darauf oder sie hielt ihn bewusst zurück, doch ihr leises „Hm“ ermunterte Haruka dennoch, weiterzusprechen. „Sie waren den Rest des Tages so angespannt und distanziert zu Cecil-san gewesen… Das ist es eigentlich, was mich so traurig macht. Es fing so gut an, wir hatten nach so langer Zeit endlich wieder einen schönen Tag zusammen gehabt, und dann überlege ich einmal nicht richtig und mache alles kaputt. Es war wieder wie in den Wochen zuvor gewesen, dabei hatte ich gehofft, wir könnten den Urlaub dafür nutzen, uns alle wieder ein wenig anzunähern. Aber… ich habe das Gefühl, es ist nicht mehr wie damals. Irgendwie.“ Aufmerksam hob Tomochika ihren Blick und musterte die Freundin, die in dem Moment einen Eindruck wie sieben Tage Regenwetter machte. Haruka stocherte lustlos zwischen den Obststückchen herum, war anscheinend in Erinnerungen an bessere Zeiten versunken und ihre Augen wirkten so traurig wie lange nicht mehr. Es tat ihr leid, die junge Komponistin so zu sehen, aber was konnte sie ihr sagen, um sie aufzumuntern? Wortlos schob sie sich ein weiteres Kiwistückchen in den Mund und kaute darauf herum, während sie überlegte. Schließlich legte sie ihren Löffel entschieden beiseite. „Du hast recht“, sprach sie ruhig und fing den fragenden Blick der Freundin auf, als jene zu ihr aufsah. „Es ist nicht mehr wie damals. Viele Dinge haben sich verändert und ich denke, das ist auch normal so. Ich meine, vergleiche doch nur, wo wir vor einem Jahr standen und wo wir heute stehen. Was wir seitdem erreicht und erlebt haben. Damals war natürlich alles anders und auch ohne Frage einfacher, aber ist es nicht genau das, was uns irgendwo ausmacht? Wo stünden wir denn, wenn wir uns nicht weiterentwickeln und dadurch stetig verändern würden?“ Es war mehr eine rhetorische Frage, dennoch öffnete Haruka die Lippen, um etwas zu sagen. Als sie einsah, dass sie keine richtige Antwort darauf wusste, schloss sie diese wieder und senkte ebenfalls den Löffel neben ihren Becher. Eigentlich war es nicht Tomochikas Absicht gewesen, den Kummer ihrer besten Freundin noch schlimmer zu machen, aber anscheinend hatte sie genau das mit ihren Worten getan. Schnell schüttelte sie den Kopf. „Ich meine nur, dass es normal ist, dass sich Menschen verändern. Ich denke nicht, dass es eure Freundschaft betrifft, aber die Jungs… Überleg doch mal, wie lange seid ihr jetzt schon so zusammen? Und wie viel hat sich seitdem verändert? Weißt du, vielleicht ist es auch einfach so, dass ihr alle einen Schritt weitergegangen seid, ohne es bemerkt zu haben, und glaubt, noch immer am selben Fleck wie damals zu stehen. Und nun klammert ihr euch am Damals fest, weil ihr nicht wollt, dass sich etwas verändern könnte. Dabei…“, ein sanftes Lächeln legte sich über ihre Lippen, „… ist es doch gar nichts Schlimmes, wenn man sich weiterentwickelt und einfach mit dem Leben mitgeht.“ Daraufhin sagte Haruka nichts, sie sah ihre Freundin nur schweigend an. Tomochika nahm derweil einen Schluck von ihrem Milchkaffee, griff anschließend wieder zu ihrem Löffel und schaufelte sich eine weitere Portion Eis mit Kiwi in den Mund. Ihr schien daraufhin etwas einzufallen, denn sie wackelte ungeduldig mit dem Besteck in der Luft herum, bis sie geschluckt hatte. „Jedenfalls, was die Jungs anbelangt“, begann sie und spielte ein amüsiertes Grinsen auf. „Wenn du mich fragst, ist da Eifersucht mit im Spiel.“ „Eifersucht?“, wiederholte Haruka ihre Vermutung und blinzelte ungläubig. Die Rothaarige nickte. „Das ist das Naheliegendste, wenn sie beleidigt waren, dass du dich mit Cecil abgekapselt hast und mit ihm allein warst. Ich meine, wäre es nur Sorge gewesen, hätte doch alles wieder okay sein müssen, nachdem ihr euch wiedergefunden hattet? Aber wenn du sagst, sie waren trotzdem noch sauer und haben sich abweisend ihm gegenüber verhalten… Das spricht für mich eine ganz eindeutige Sprache.“ „Aber…“ Eine Pause entstand, als sie den Kopf schüttelte. „Das verstehe ich nicht. Ich bin doch öfter mit einem von ihnen allein, und bisher hat nie jemand den Eindruck gemacht, als würde es ihn stören oder so. Wir sind doch eine Gruppe und ich bevorzuge auch niemanden von ihnen. Wieso sollten sie jetzt auf einmal eifersüchtig aufeinander reagieren?“ „Wie ich schon sagte“, erinnerte Tomochika und hob mahnend den Löffel anstelle ihres Fingers in die Luft, „vielleicht sind die Jungs mittlerweile einen Schritt weitergegangen? Bewusst oder unbewusst, das kann ich nicht sagen, aber weißt du mit Gewissheit, dass sie das genauso sehen wie du?“ „Wie meinst du das, Tomo-chan?“ „Naja, ich meine…“ Kurz überlegte sie, wie sie es am besten formulieren sollte. „Ich meine, ihr seid jetzt schon so lange zusammen. Und du als einziges Mädchen unter so vielen Jungs. Könnte man es ihnen vorwerfen, wenn sie einen Narren an dir gefressen haben und jetzt an einem Punkt angelangt sind, wo sie gern mehr wollen würden?“ „M-mehr?“ Ungewollt errötete sie, sehr zum Vergnügen der Solistin. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht malte Tomochika ein Herz in die Luft. „Looove“, flötete sie vielsagend, mehr brauchte es auch nicht als Erklärung. Haruka verstand den Wink, und sichtlich zufrieden über diese Tatsache schaufelte sich die Sängerin weiteres Eis in den Mund. Als die Komponistin unruhig auf ihrem Stuhl herumzurutschen begann, konnte sie sich ein Auflachen nicht verkneifen. „Wie süß, du wirst ja richtig verlegen, Haruka!“ Und das zu Recht. Auf einmal spielten sich ihr die Bilder des gestrigen Tages wieder auf, in denen sich Cecil zu ihr gebeugt hatte und im Begriff gewesen war, sie zu küssen. Seine Worte, es war eine Liebeserklärung gewesen, nicht wahr? Aber auf der anderen Seite war es auch nicht das erste Mal gewesen, dass er ihr diese Dinge gesagt und eine so intime Annäherung versucht hatte. Eigentlich hatte sie gedacht, dass es „normal“ wäre – für Cecils Verhältnisse gesprochen zumindest, denen sie einräumte, dass der fremdländische Prinz nicht mit den japanischen Sitten vertraut war – und es einfach zu seiner Art gehörte, Sympathie auszudrücken. Aber… steckte da vielleicht doch mehr dahinter und er tat diese Dinge bewusst, um ihre Bedeutung wissend? „D-das glaube ich nicht…“ „Hm?“ „C-Cecil-san hat…“, stammelte sie und senkte den Kopf tiefer zwischen ihre Schultern. Mittlerweile glich ihr Gesicht einer Tomate und vermutlich, würde man Eis auf ihre Wangen legen, würde es davonschmelzen. Dieser Zustand blieb auch Tomochika nicht verborgen. „Oho, jetzt wird’s interessant!“, griente sie schelmisch, wobei sie sich weiter nach vorn beugte, als wollte sie der Freundin ein Geheimnis entlocken. „Jaha, ich bin ganz Ohr? Was ist mit dem guten Cecil? Hat er dir etwa…? Oho! Klingt nach einem Love Interest!“ „A-aber das“, rang sie nach eine plausiblen Erklärung. „D-das hat er bestimmt nicht so gemeint.“ Tomochika zuckte mit den Schultern. „Wer weiß“, entgegnete sie scheinheilig. „Wieso nicht? Was ist so abwegig daran? Vielleicht solltest du anfangen, die Jungs auch als Jungs zu betrachten.“ Auf einen weiteren Löffel Eis überlegte sie kurz. Dann fiel es ihr wohl wie Schuppen von den Augen und sie riss die Augen auf, als sie zu der Freundin herüberblickte und unbeabsichtigt auf der Tischplatte aufschlug. „Eeeh? Jetzt sag mir nicht, du hast wirklich noch nie über diese Möglichkeit nachgedacht!?“ „W-welche?“, wollte Haruka eingeschüchtert wissen. Zur Folge stöhnte die Rothaarige gedehnt auf. „Ich glaube es nicht! Du bist rund um die Uhr von gleich sieben attraktiven Herren umgeben und hast noch nie darüber nachgedacht, ob nicht einer von ihnen für dich in Frage kommen könnte, mehr für dich zu sein als nur ein Gesangspartner? Unfassbar! Weißt du, was andere dafür geben würden, an deiner Stelle zu sein?“ „Ich… habe nie darüber nachgedacht“, gestand sie leise und wandte den Blick betreten ab. ‚Nicht bewusst, glaube ich‘, fügte sie in Gedanken hinzu, was dazu führte, dass sie genau das jetzt tat. In einem Punkt hatte Tomochika ohne Zweifel recht: Die Jungs waren in der Tat gutaussehend. Und dass sie beliebt waren, war selbst ihr anhand der massiven Fanpost nicht entgangen, die jeder Einzelne von ihnen erhielt. Natürlich, sie waren Idole und entsprechend begehrt, aber für sie waren sie nicht nur das, sie waren Freunde. So hatte alles begonnen und so war es bis heute. Das bedeutete ihr sehr viel, warum also hätte sie etwas daran ändern sollen? „Und?“, holte sie Tomochika aus ihrer Gedankenwelt zurück, woraufhin sie kurz zusammenzuckte. „Was ist nun? Gibt es einen unter ihnen, den du etwas mehr als die anderen magst?“, zwinkerte ihr die Freundin vielsagend zu. „Ä-ähm, also… ich…“, stammelte sie erneut, bis ihr ein Gedanke kam, der sie schlagartig ausbremste. Abwehrend schüttelte sie den Kopf. „Und selbst wenn, was ist mit der Regel, die Liebe und Romantik strengstens verbietet? Ich kann die Jungs doch nicht deswegen in Schwierigkeiten bringen.“ „Regel?“ Tomochika blinzelte ungläubig. „Also, eigentlich“, kratzte sie sich nachdenklich am Kopf, „galt diese Regelung nur für die Zeit an der Akademie, streng genommen. Zumindest müsste es der Direktor verpasst haben, mich erneut daran zu erinnern, als ich unter Vertrag genommen wurde. Und sollte der Fehler bei mir liegen…“ Plötzlich legte sich ein Rotschimmer über die Wangen der Solistin. Sie hustete sich räuspernd in die Faust, ehe sie verlegen auflachte. „Naja, also… dann hätte ich wohl ein Problem, schätze ich, haha.“ „Eh?“ Die Solistin zwinkerte geheimnistuerisch. „Hast du meine neue Single noch gar nicht gehört?“ „Eh? Doch, klar!“, beteuerte Haruka. In einer entsinnenden Überlegung legte sie sich die Finger an die Lippen. „Mh… „Kimi To Happy Lucky“ heißt es, richtig?“ „Mhm.“ Kaum merklich seufzte sie, dann stützte sie die Ellenbogen auf den Tisch, bettete den Kopf verträumt auf ihren ineinander verschränkten Fingern und begann leise zu singen: „Kokoro wo kikoeru, shinjitsu wa, kimi wa subete ga soko ni iru*. … Es ist ein Liebeslied“, erklärte sie anschließend und lächelte verlegen zu der Freundin hinüber. „Und zwar an eine bestimmte Person. Derjenige weiß auch, dass er gemeint ist. Das wusstest du nicht, hm?“ Verneinend schüttelte Haruka den Kopf. „Ich wusste, dass der Song erfolgreich ist, und ich höre ihn in letzter Zeit oft im Radio. Aber dass es so persönlich ist, habe ich nicht gewusst.“ „Mir wurde einmal gesagt, dass der Song so erfolgreich sei, weil er ehrlich ist und von Herzen kommt“, überlegte Tomochika. Ungeachtet dessen zuckte sie mit den Schultern. „Naja, wie dem auch sei. Es ist mein größter Erfolg bisher und hat sogar meinen Debütsong übertroffen von den Zahlen her. Aber worauf es wirklich ankommt, sind nicht die Verkaufszahlen, sondern das, was wir aus unserem Herzen wiedergeben, richtig?“ Sie lachte. „Wenn das der Direktor spitz kriegt, schmeißt er mich bestimmt aus der Agentur. Es ist eigentlich Selbstironie, findest du nicht? Dass wir uns ausgerechnet von dem, was doch die größte Rolle in unserer Musik spielt, fernhalten sollen. Es macht eigentlich keinen Sinn, wenn man so darüber nachdenkt, und ist irgendwie heuchlerisch.“ ‚Heuchlerisch‘, wiederholte Haruka in Gedanken und dachte einen Augenblick darüber nach. Ja, irgendwo machte es tatsächlich keinen Sinn, aber sie hatte sich nie daran gestört. Sie hatte dennoch Melodien geschrieben, die ihr Herz ihr vorgegeben hatte, und es war ihr nie falsch vorgekommen. Doch nun… irgendetwas lösten diese Worte ihrer besten Freundin in ihr aus, das sie nicht benennen konnte. „Wenn wir gerade dabei sind“, holte sie Tomochika aus ihren Gedanken, „was macht deine Musik so? Arbeitest du derzeit an einem neuen Song für Starish?“ Sie schob die Schultern vor. „Im Moment nicht“, gab sie kleinlaut zu. „Irgendwie… habe ich Probleme, ein neues Stück zu schreiben.“ „Ein Krea-Tief?“, wunderte sich die Freundin. Ihr war anzusehen, dass sie sich das bei der Komponistin nicht vorstellen konnte. „Mh, nun gut, das kann ja jeden einmal treffen. Ist sicherlich nur halb so wild, das geht wieder vorbei“, bemühte sie sich um Beschwichtigung und winkte das Problem in einer Geste zur Seite. Dabei kam ihr ein Gedanke, der sie stutzen ließ: „Aber sag mal, hattest du mir nicht noch neulich gesagt, du hättest bereits ein neues Stück fertig und wolltest es dem Direktor vorstellen?“ „Ja…“, bestätigte Haruka leise, woraufhin sie betreten den Blick senkte. „Es war nicht gut genug. Er hat es abgelehnt.“ „Oh.“ Das war der Solistin sichtlich unangenehm. Sie kannte es selbst zu gut, wie es sich anfühlte, wenn eine Arbeit als „ungenügend“ abgetan wurde, und sie konnte sich gut vorstellen, wie Shining Saotome in seiner typisch-überdrehten Art der Komponistin zugesetzt haben musste. Es brauchte nicht viel, um zu wissen, dass Haruka ihre Sorgen deswegen kleiner redete als sie wirklich für sie waren. „Ach was“, versuchte Tomochika die bedrückende Stimmung zu unterbinden, „das ist doch halb so wild. Jeder hat mal einen schlechten Lauf, das ist ganz normal. Lass dich davon nicht unterkriegen, ja? Du packst das schon, keine Sorge!“ „Mh.“ Wirklich überzeugt klang das nicht. Zumindest nahm Haruka aber wieder ihren Löffel auf, um an ihrem Eisbecher weiterzuessen. Tomochika nutzte ihre Chance und stibitzte von der Freundin eine Orangenscheibe. Als sie dadurch die Aufmerksamkeit der Freundin auf sich gelenkt hatte, zwinkerte sie ihr aufmunternd zu. „Kopf hoch, Haruka. Ich bin mir sicher, wenn du einfach du selbst bleibst, dann wird dein nächster Song großartig werden. Und wenn dir etwas auf der Seele liegt, sind die Jungs und ich immer für dich da, hörst du? Wir lieben dich, so wie du bist. Vielleicht lässt du dich einfach von dieser Liebe inspirieren?“   Am Ende hatten die beiden Mädchen eine Stunde in dem Café verbracht, ehe sie aufbrachen, um noch eine Runde shoppen zu gehen. Die Zeit mit Tomochika war genau das gewesen, was Haruka gebraucht hatte, um auf andere Gedanken zu kommen, und sie genoss ihre gemeinsame Zeit in vollen Zügen. Es war eine angenehme Gesellschaft, auch wenn die Solistin mit den unmöglichsten Ideen aufwartete, Haruka in neue Outfits und Kleiderkombinationen zu stecken. Gelegentlich war es der Komponistin peinlich, doch Tomochika schaffte es, sie so oft zu überraschen und zum Lachen zu bringen mit ihren kreativen Modeideen, dass sie nicht abstreiten konnte, trotz allem Spaß zu haben. Letztendlich ließ sie sich sogar noch dazu überreden, ein neues, hellblaues Kleid mit dünnen Spaghettiträgern und Rüschenbesatz zu kaufen. Es war erst kurz nach vier, als schließlich Tomochikas Handy klingelte und sie sich daraufhin entschuldigte, noch etwas erledigen zu müssen. Eigentlich hatten sie noch ins Kino gehen wollen, doch daraus wurde nun nichts mehr. „Ist schon okay“, winkte Haruka mit einem Lächeln ab, woraufhin Tomochika entschuldigend die Hände vor dem Gesicht faltete. „Tut mir wirklich leid“, entschuldigte sie sich bereits zum dritten Mal. „Wir holen das nach, versprochen! Und du kommst wirklich allein zurecht?“ „Klar! Ich muss doch nur die Straße runter, in den richtigen Bus einsteigen und dann ist es nicht mehr weit.“ Optimistisch hob sie die Arme in eine Siegerhaltung. „Das schaffe ich schon, nur keine Sorge!“ Skeptisch verzog die Solistin die Augenbrauen. Nie war sie einem orientierungsloseren Menschen als Haruka begegnet, dies rief sie sich in Erinnerung, doch auf der anderen Seite hatte sie wirklich keine Zeit, die Freundin noch bis zum Wohnheim zu begleiten, und ihr Weg führte sie in eine ganz andere Richtung als Haruka. „Hoffentlich hast du recht“, murrte sie zweifelnd, pattete dem Mädchen ermutigend den Kopf, ehe sie sie in eine herzliche Umarmung zog. „Wir telefonieren die Tage wieder. Bis dahin, pass gut auf dich auf, ja?“ „Mhm, mache ich. Du auch auf dich. Und, Tomo-chan?“ Nachdem sie die Umarmung erwidert hatte, drängte sie sich aus ihr zurück, um die Freundin anzusehen. Ein ehrliches Lächeln legte sich über ihr Gesicht. „Hab vielen Dank für alles. Ich hatte wirklich sehr viel Spaß.“ Eine sanfte Kopfnuss war die Antwort, dann verabschiedete sich Tomochika winkend von ihr und machte sich auch schon schnellen Schrittes davon. Bewaffnet mit ihrer weißen Einkaufstüte folgte Haruka ihrem Beispiel und drehte sich ebenfalls um, um die zehn Minuten entfernte Bushaltestelle anzusteuern. Es war unmöglich, sich auf dieser Strecke entlang der Straßengeschäfte zu verlaufen, und als Haruka – dennoch von einem erleichterten Aufseufzen begleitet – wenig später angekommen war und den Fahrplan nach der nächsten Abfahrt überprüfte, hatte sie sogar noch fünf Minuten Zeit. Der Bus war pünktlich und während Haruka aus dem Fenster schaute, die Bilder nur so an sich vorbeirauschen ließ, bedauerte sie es fast, schon wieder zurück zu müssen. Sie hätte wirklich gern noch etwas mehr Zeit mit ihrer besten Freundin verbracht, immerhin wusste sie nie vorher, wann sie sie das nächste Mal wiedersehen würde. Nun aber würde sie sich wieder mit ihren ursprünglichen Problemen auseinandersetzen müssen und fast hoffte sie, keinen der Jungs über den Weg zu laufen, bis sie auf ihrem Zimmer wäre. Sie hatte viel zu überdenken, wollte sich noch einmal in aller Ruhe mit den Worten ihrer Freundin auseinandersetzen, vielleicht käme sie dann der Lösung einen Schritt näher. „Eifersucht“, so hatte Tomochika das gereizte Verhalten der Jungs erklärt. „Love Interest“ war ihre Bezeichnung für Cecil gewesen. Und sie hatte ihr geraten, ihre Sichtweise zu den Jungs zu verändern. War das überhaupt möglich? Sie hatte wirklich noch nie darüber nachgedacht. Aber was, wenn Tomochika einfach zu viel in das Ganze hineininterpretierte und sie aus einem Irrglauben heraus anstachelte? Dass ihre Freundin eine hoffnungslose Romantikerin tief in ihrem Herzen war, wusste Haruka, aber sie selbst war nicht- „Ah! Meine Haltestelle!“, bemerkte sie noch im letzten Moment, gerade als die Ansage verklang und das Fahrzeug bereits zur Seite lenkte, und schnappte sich Täschchen und Tüte, um ihren Ausstieg nicht zu verpassen. Um ein Haar wäre sie zu weit gefahren und dann hätte sie ein großes Problem gehabt. Sie hätte wirklich nicht so in Gedanken versinken dürfen. Erleichtert atmete sie auf, als sie festen Boden unter den Füßen hatte, und sie blickte dem Bus noch nach, wie er gerade wieder losfuhr und der leeren Straße folgte. Wenn sie Tomochika später erzählen würde, dass sie beinahe ihre Haltestelle verschlafen hatte, würde sie sie bestimmt auslachen. „Ich bin eben doch unverbesserlich“, gestand sie sich ein, konnte sich aber ein Kichern nicht verkneifen. Es war eine Wahrheit, die sie sich mittlerweile eingestanden hatte. Aber immerhin: „Sie hat sich vollkommen umsonst Sorgen gemacht. Hier bin ich richtig und jetzt muss ich nur-“ Als sie sich umdrehte und ihren Blick auf die Haltestellentafel heftete, schlug die Erkenntnis ein wie ein Blitz. Mitten im Satz verschlug es ihr die Sprache. Binnen einer Sekunde verlor sie sämtliche Farbe aus dem Gesicht und bekam das leise Poltern kaum mit, als sie Tasche und Tüte aus den Händen verlor. Mit offenstehendem Mund und weit aufgerissenen Augen las sie die Schriftzeichen, die ihr verkündeten: „Naturreservat“. – Sie war zu früh ausgestiegen. Es kostete sie viel Selbstbeherrschung, zu schlucken und ihren Blick durch ihre Umgebung schweifen zu lassen. Hier stand sie also, an einer Bushaltestelle, die nur aus einem Haltestellenschild samt Fahrplantafel bestand, vor ihr eine leere Straße und sonst nichts außer Bäume, Bäume und noch mehr Bäume. Am Rande der Straße führte ein schmaler Weg entlang, dem sie folgen könnte, sonst gab es nur noch einen weiteren Pfad, der in diesen Irrgarten aus Grün hineinführte. Wie konnte ihr das nur passieren? „Was mache ich jetzt nur?“, flüsterte sie eingeschüchtert und hob sich die Hände an die Brust. Eigentlich hatte sie nur zwei Möglichkeiten: Entweder wartete sie auf den nächsten Bus, der laut Fahrplan in einer halben Stunde kommen würde, oder sie versuchte ihr Glück, von selbst zum Wohnheim zurückzufinden. Sie war sich sicher, dass es nicht weit weg war; es grenzte tatsächlich ein Naturreservat an das Grundstück, so viel wusste sie. Vermutlich war sie nur eine Station zu früh ausgestiegen, da sie es nicht mehr gewohnt war, allein mit dem Bus statt mit den anderen in einem Transporter zu fahren. Das konnte passieren, das war noch lange kein Weltuntergang. „Ich schaffe das!“, sprach sie sich selbst Mut zu, hob ihr verlorenes Hab wieder auf und drehte sich in Richtung Straße, die ihr den Weg weisen würde. Erneut schluckte sie, das Herz raste in ihrer Brust. „Ich muss nur der Straße folgen, richtig? Dann kann ich mich nicht verlaufen. Das schaffe ich, das schaffe ich!“ … So waren zumindest ihre Worte, doch ihre Gedanken riefen ganz eindeutig: „Ich bin verirrt. Das wird eine Katastrophe!“     *Lyrikübersetzung, sinngemäß: „Wenn ich meinem Herzen lausche, ist die Wahrheit, Du bist alles, was es gibt.“ (Aus dem Englischen: “When I listen to my heart, the truth is, you are everything there is.”) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)