Dare o erabu kana? von Shizana (Für wen soll man sich entscheiden?) ================================================================================ Kapitel 2: Zwangsurlaub für ST☆RISH ----------------------------------- Haruka hatte mit ihrer Vermutung recht gehabt. Als sie und Cecil sich im Gemeinschaftsraum einfanden, waren auch Masato, Ren, Natsuki und Syo bereits eingetroffen. Während sie erste Überlegungen aufstellten, wieso man sie hierherbestellt hatte, kamen auch Tokiya und Otoya dazu und somit war ihre Gruppe komplett. Doch von dem Direktor fehlte jede Spur. Masato stand am Fenster und behielt den Vorhof und die Einfahrt im Blick. Für mehrere Minuten tat sich jedoch nichts; kein Wagen fuhr vor, kein Helikopter war zu sehen und bis auf zwei Gärtner rührte sich nichts vor dem Wohnheim. „Aber von uns immer Pünktlichkeit erwarten, tze“, grummelte Syo genervt und kickte halbherzig gegen den Sessel vor ihm, in welchem es sich dieses Mal Nasuki bequem gemacht hatte. Dieser ließ sich von der leichten Erschütterung in seinem Rücken nicht stören und nippte in aller Seelenruhe dieser Welt an seiner Tasse Tee. „Es wird bestimmt gleich jemand kommen“, versuchte Haruka ihn zu besänftigen, worauf sie nur ein weiteres „Tze“ erhielt. Cecil neben ihr blieb stumm, während er ebenfalls zu dem übellaunigen Blondling schaute. „Ich nehme an, wir haben alle dieselbe SMS erhalten?“, fragte Tokiya in die Runde und ließ seinen Blick schweifen. Ren nickte. „‚Starish, versammelt euch im Gemeinschaftsraum.‘  Nicht wahr?“ Auch Haruka nickte bestätigend. Daraufhin wurde es wieder still zwischen ihnen, während sie warteten, dass irgendetwas geschah. Nur hin und wieder wandte sich Ren an seinen Zimmergenossen, ob sich schon etwas tun würde, doch immer folgte ein monotones „Nein“ oder lediglich ein Kopfschütteln. So blieb es für etwa zehn Minuten, bis Masato sich endlich regte und sogleich ein „Da kommt jemand“ verkündete. Nur kurz darauf war ein leises, eiliges Klacken zu vernehmen, welches in den hohen Fluren widerhallte und immer lauter wurde, je näher jener Neuankömmling ihnen kam. Als es laut genug war, dass jene Person jeden Moment den Raum betreten musste, eilte ein „Ich bin schon da, ich komme ja schon!“ dem Ankommenden voraus. „Puh… ich bin da. Bitte verzeiht die Verspätung“, gab sich schließlich Ringo, der Lehrer der A-Class und gleichzeitig einer der Vorsitzenden der Saotome Agentur, zu erkennen und stützte sich erschöpft gegen den Türrahmen, als er den Gemeinschaftsraum erreicht hatte. Er japste hörbar nach Luft, da er sich offensichtlich wirklich beeilt hatte, so schnell es ging zu ihnen zu kommen. Unter seinem rechten Arm hielt er mehrere Hefte, Hefter und sogar eine Plakatrolle an sich gedrückt. „Rin-chan?“, fand Otoya zuerst zu sich und eilte zu dem Idol herüber, um ihm eine helfende Hand zu reichen. „Ist alles in Ordnung?“ „Ja, alles okay. Danke, Oto-chan.“ Der feminine Mann mit den weichen Gesichtszügen – dessen wahres Geschlecht man unter der frühlingshaften One-Shoulder-Bluse, himmelblauer Dreiviertelleggins und dem breiten, silbern glitzernden Taillengürtel niemals vermutet hätte, wäre er eben kein berühmtes Crossdressingidol –  bemühte sich um ein Lächeln, wobei er die Hilfe dankend annahm und sich von dem Rotschopf in das große Zimmer führen ließ. Die ebenso weiß-silbern glitzernden Absatzsandalen begleiteten jeden Schritt mit einem hohen Klacken. „Wieso sollten wir uns hier versammeln?“, kam Tokiya gleich zum Punkt, als ihr Vorsitzender vor ihnen angekommen war und kurz verschnauft hatte. Natsuki hatte ihm ein Glas Wasser angeboten, welches Ringo ebenfalls dankend angenommen hatte und gerade einen großen Schluck davon nahm. „Nicht so forsch bitte, Tokiya-kun. Immer schön langsam und eines nach dem anderen“, mahnte er den Schwarzhaarigen, hob dabei belehrend einen Finger in die Luft, um die Neugierde aller Anwesenden auszubremsen. Gemächlich nahm er noch einen weiteren Schluck aus dem Glas, ehe er es mit einem Lächeln an Natsuki zurückreichte und sich schließlich an die Gruppe wandte. „Ich komme gerade von einem Meeting, deswegen hat es so lange gedauert. Es war eigentlich nicht geplant, aber Shiny hat euch noch während wir im Gespräch waren kontaktiert und mich anschließend losgehetzt, um gleich mit euch zu sprechen.“ Darauf drückte er Masato, welcher noch immer hinter ihm am Fenster stand, das zusammengerollte Plakat in die Hände und Otoya die bunten Hefter. Er selbst nahm die erste Zeitschrift, die auf seinem übrigen Stapel lag, zur Hand und präsentierte es mit einem breiten Lächeln der Gruppe. „Tadaah~!“ „Was ist das?“, wollte Tokiya wissen, während alle neugierig auf das Heft blickten und jene, die zu weit weg waren, um alles zu erkennen, traten näher, um besser sehen zu können. Auf dem bunten Cover war ein Bild ihrer Gruppe zu sehen mit einer dicken, blauen Überschrift, die jedem sofort ins Auge sprang. „Die Kritiken der Medien wurden veröffentlicht. Ihr wurdet von eurem letzten Konzert vor einer Woche in den höchsten Tönen gelobt“, flötete Ringo fröhlich und reichte das Heft an Natsuki weiter, damit es seine Runde machen konnte. Derweil griff er schon zu dem nächsten Magazin und schlug es an einer bestimmten, markierten Stelle auf. „Newcomer des Quartals. Chartsbreaker, der eisern seinen Rang verteidigt. Bereits über 50.000 verkaufte Platten der Hitsingle „Maji Love 1000%“ in ganz Japan und damit die Auszeichnung Silber. Außerdem bereits seit fünf Monaten in Folge in den Top Ten, davon sechs Wochen unangefochten an der Spitze. Meistbeliebteste Newcomer-Band verschiedener Altersgruppen. Haha, herzlichen Glückwunsch!“ „Wow!“, entkam es Otoya, der bei dieser Auflistung über die Schulter des ehemaligen Lehrers einen Blick in die Zeitschrift geworfen hatte. Tatsächlich ließen sich dort jene Statistiken zu ihnen finden, welche dieser soeben vorgelesen hatte. „Das ist ja der Wahnsinn!“ „Silber, hm? Da geht doch noch was“, kommentierte Ren von der Couch aus, konnte sich aber ein zufriedenes Schmunzeln nicht verkneifen. „Ah, das ist ja so aufregend! Ich wusste gar nicht, dass Starish schon so bekannt ist!“, freute sich Natsuki, wobei seine grünen Augen regelrecht strahlten, und er wandte sich fröhlich an seinen besten Freund. „Ist das nicht großartig, Syo-chan?“ „Ich habe nichts anderes erwarten. Es ist immerhin Starish“, kommentierte dieser und rieb sich stolz unter der Nase. Dann machte sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht breit, welches jeglichen Gram von zuvor komplett vertrieb. „Aber es ist wirklich cool, hehe.“ „Silber ist nicht sehr gut, oder?“, gab Cecil zu bedenken und wandte sich dabei fragend an Haruka neben ihm. Diese strahlte ihn an. „Für einen Newcomer ist das eine großartige Leistung! Ich hätte nicht gedacht, dass wir einen so großen Durchbruch in so kurzer Zeit schaffen würden.“ „Aber das gibt uns keinen Grund, uns auf diesen Lorbeeren auszuruhen.“ Masato trat von seinem Platz am Fenster weg und stellte sich an die andere Seite des ehemaligen Lehrers. Nach einem kurzen Blickaustausch unter ihnen, nahm er ihm das Magazin ab, um sich die Zahlen selbst noch einmal zu betrachten. „Genau so ist es, Ma-chan. Und deswegen bin ich hier“, fasste Ringo diesen letzten Kommentar auf, breitete die übrigen mitgebrachten Zeitschriften auf dem niedrigen Tisch vor ihm aus, ehe er betont die Hände in die Hüften stemmte. Mehrere goldene und buntverzierte Armreifen an seinen Handgelenken begleiteten diese Gestik mit einem leisen Klirren und unterstrichen sie somit noch. Sein Blick ging einmal aufmerksam durch die Runde, als er weitersprach: „Die Kritiken sind fürs Erste wirklich sehr gut und ihr habt damit schon einen großen Schritt nach vorn getan. Starish ist längst nicht mehr nur ein kleines Licht am Himmelszelt, sondern im Begriff, hell zu erstrahlen. Aber euch sollte allen bewusst sein, was dies mit sich bringt.“ „Was dies mit sich bringt?“, wiederholte Haruka leise die Worte des Idols, woraufhin Ringo zu ihr blickte. Sie sahen einander für mehrere Sekunden stumm an, bis er wieder von ihr wegblickte, woraufhin Haruka die Schultern nach vorn fallen ließ und ihren Blick zu Boden senkte. Ringo wandte sich derweil wieder an die Gruppe: „Euer Gesang ist gut. Eure Songs kommen sehr gut bei den Leuten an und eure Konzerte und Gastauftritte waren gut besucht. Auch die Fernsehsender, die über euch ausgestrahlt haben, haben uns berichtet, dass die Einschaltquoten deutlich in die Höhe gegangen sind, sobald über Starish berichtet wurde. Die Verkaufszahlen kennt ihr mittlerweile ebenfalls. Nach außen hin gibt es also kaum Kritik an euch zu üben, jedoch…“ An dieser Stelle machte er eine betonte Pause und sah mit strengem Blick von einem zum nächsten. Erst als er sichergestellt hatte, dass acht aufmerksame Augenpaare auf ihm ruhten, fuhr er fort. „Statistiken, Zahlen und Kritiken sind nicht alles. Als Saotome Agentur legen wir nicht nur Wert darauf, dass ihr und eure Musik in der Öffentlichkeit gut ankommt und Chancen auf ein langes Überleben im Showbusiness habt, sondern wir achten auch darauf, wie es um eure eigene Weiterentwicklung bestellt ist. Und was dieses Thema anbelangt, sehen wir uns vor einem großen Problem.“ „Wieso?“, platze es sogleich aus Otoya heraus, welchem die Bedeutung dieser Worte offensichtlich nicht ganz klar war. „Wir tun doch schon alles, was wir können. Wir üben viel und sind viel präsent… Du hast doch selbst gesagt, dass wir gut sind und unsere Songs gut bei den Leuten ankommen.“ „Du hast mir offensichtlich nicht richtig zugehört, Oto-chan.“ „Es geht nicht nur um Zahlen, Statistiken und Kritiken“, korrigierte Tokiya den Freund, ohne dabei die Stimme zu erheben. Sein Blick ruhte nachdenklich auf den verschiedenen Zeitschriften auf dem Tisch vor ihnen. „Ich weiß, was du meinst, Tsukimiya-san, aber ich muss Otoya in dem Punkt beipflichten, dass auch ich nicht ganz dahinterkomme, worauf du hinauswillst. Ich denke, du wirst mir zustimmen, dass wir uns durchaus mit der Zeit weiterentwickelt haben; sowohl als Starish als auch jeder für sich selbst. Aber du willst uns vermutlich sagen, dass uns noch immer etwas Bestimmtes fehlt, habe ich recht?“ Einen Moment lang schwieg das Idol. Erst nach einer quälenden Ewigkeit nickte er. „So ist es.“ „Was ist es? Sag es uns doch einfach“, forderte Ren im ruhigen und respektvollen Ton, obgleich ihm anzusehen war, dass ihm die Geduld auszugehen drohte. Wieder nickte Ringo bestätigend und verschränkte nun betont die Arme vor der Brust. „Wir haben das Gefühl, dass ihr in der letzten Zeit nicht mehr richtig bei der Sache seid. Und wie ihr wisst, ist es nicht das, was die Saotome Agentur vertritt und unterstützt. Wir fordern nicht nur 100% von euch, sondern 1000%, wie Shiny immer so schön zu sagen pflegt.“ „Nicht richtig bei der Sache?“, wiederholte Otoya die Worte überrascht, worauf Syo sofort anschloss. „Soll das heißen, wir seien nur halbherzig bei der Sache?!“ Haruka zuckte innerlich zusammen. Ihre Finger verkrampften sich in dem Saum ihrer weißen Bluse. Das war genau das, was der Direktor auch ihr vorgeworfen hatte, als er ihr letztes Musikstück gelesen hatte. Jene Worte erneut zu hören, schmerzte sie in ihrem Herzen. „So weit wollen wir uns nicht hinauslehnen“, versuchte Ringo die aufkeimenden Wellen zu beschwichtigen. Doch sein Blick blieb ernst. „Aber wir haben bemerkt, dass euch seit einiger Zeit etwas fehlt. ‚Jene gewisse Magie‘, könnte man sagen. Noch ist es nicht so, dass es sich offensichtlich auf eure Songs und eure Performance auswirkt, aber wenn dem nicht Einhalt geboten wird, wird sich das ganz schnell ändern.“ „Aber wieso…?“ Der Rotschopf senkte seinen Blick und ballte die Hände zu Fäusten. Seine roten Augen schienen nach einer Antwort auf dem Parkett zu suchen, doch eine wirkliche Erleuchtung ließ sich so nicht finden. „Ich verstehe es nicht…“ „Wir haben euch beobachtet“, ergriff der Vorsitzende wieder das Wort, um in seinen Ausführungen fortzufahren, „und sind zu dem Schluss gekommen, dass etwas innerhalb eurer Gruppe im Unklaren liegen muss. In diesem Fall können wir euch nicht unter die Arme greifen, sondern es liegt an euch selbst, den Grund für eure mangelnden Leistungen ausfindig zu machen und zu bereinigen.“ Nun war es an der Gruppe, fragende Blicke untereinander auszutauschen. Sie sahen einander an, als erhofften sie, von den anderen die gesuchte Antwort auf diesen schwerwiegenden Verdacht ablesen zu können. Doch ihre Blicke blieben ratlos, was nur dazu führte, dass jeder betreten von dem Rest wegblickte und sich starr auf einen willkürlichen Punkt im Raum fixierte, ohne dass auch nur einer von ihnen ein einziges Wort verlauten ließ. „Deswegen“, durchbrach Ringo die drückende Stille, die über allen waberte, klatschte dabei einmal in die Hände und legte ein breites, professionell-fröhliches Lächeln auf, „haben wir entschieden, euch eine Woche Urlaub einzuräumen. In dieser Zeit könnt ihr euch ein wenig von den Strapazen der letzten Zeit erholen, wieder zu euch finden und klären, was es offensichtlich unter euch zu klären gibt. Wir hoffen, dass sich damit die Steine auf eurem Weg beseitigen lassen und ihr anschließend wieder voll und ganz bei der Sache sein könnt. Wenn ihr in dieser Zeit irgendetwas braucht oder Fragen habt, stehen Ryuya und meine Person euch jederzeit zur Verfügung, um zu helfen.“   Nur wenig später war der ganze Aufruhr vorbei. Aber von einer entspannten Atmosphäre konnte kaum die Rede sein. Niemand zeigte auch nur den geringsten Ansatz, sich über den spontan gewährten Urlaub zu freuen, so wie sie es vielleicht sollten. Es war bereits eine halbe Stunde vergangen, seit Ringo seine Sachen zusammengepackt hatte und gegangen war. Seitdem hatte keiner gesprochen, kaum eine Regung war erfolgt. Jeder saß oder stand noch an demselben Platz wie zuvor. Lediglich Otoya hatte seine Position ein wenig verändert und lehnte nun mit hängendem Kopf über die Couch, auf welcher Tokiya seinen Platz hatte. „Also gut“, war es schließlich Ren, der das betretene Schweigen brach, und er lehnte sich auf der Couch gegenüber zurück. „Wer macht den Anfang?“ „Mit was?“, kam es von Syo zurück, der seinen Hut über seiner Faust kreisen ließ. Er warf dem Schönling einen flüchtigen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Es gibt allem Anschein nach Klärungsbedarf in unserer Gruppe. Ehe wir uns den gesamten Urlaub verderben, sollten wir die Sache schnell auf den Tisch bringen, meint ihr nicht?“ „Das ist nichts, was auf Befehl geht“, bemerkte Masato von der Seite und schloss die Augen. Nur kurz schüttelte er den Kopf. „Wenn es etwas Offensichtliches wäre, was leicht gesagt und zu klären wäre, dann hätte längst schon einer von uns das Gespräch gesucht.“ „Da gebe ich Masa recht.“ Syo warf seinen Hut mit einem Überschlag vor sich in die Höhe, nur um ihn wieder geübt mit der Faust aufzufangen. Dies wiederholte er einige Male, wobei er zu überlegen schien, ob er dem noch etwas hinzufügen wollte. „Sonst sagen wir ja auch gleich, wenn uns etwas nicht passt. Mir jedenfalls fällt gerade nichts ein, was ich sagen sollte.“ „Ich verstehe noch immer nicht, was Rin-chan meint, dass uns etwas fehlt.“ Der Rotschopf stieß ein lautes Seufzen aus, ehe er sich noch etwas weiter auf die Couchlehne stützte. Sein Kopf lag auf seinen Armen und er wirkte selten missmutig, wie er so den Blick zu Ren und Masato herüberschweifen ließ. „Aber wenn es stimmt, dass die Gruppe etwas belastet… dann sollten wir offen zueinander sein und über alles reden, was uns bedrückt.“ „Das ist leichter gesagt als getan“, äußerte sich nun auch Tokiya, dessen Blick noch immer auf den bunten Magazinen haftete, welche Ringo der Gruppe dagelassen hatte. Seine Miene war regungslos, dennoch schien er die verschiedenen Fotos auf den Covern zu studieren, auf welchen Starish überzeugend den Betrachter anlächelte, strahlte und lachte, wie es sich für Profis gehörte. „Außerdem ist es wie Masato gesagt hat: So etwas geht nicht auf Befehl.“ „Wieso nicht?“, wollte Cecil wissen, der die ganze Zeit über stumm neben Haruka gestanden und den Bandmitgliedern aufmerksam zugehört hatte. Seine Frage war durchaus ernst gemeint, das konnte jeder heraushören. „Das hat etwas mit Gefühl zu tun“, erklärte Tokiya trocken und blickte über seine Schulter zu dem Prinzen hinter, „und mit Bewusstsein. Es gibt nichts zu sagen, wenn sich niemand darüber im Klaren ist, was er sagen möchte. Wir müssen abwarten, bis wir wissen, was es eigentlich ist, worüber wir miteinander sprechen sollten.“ „Mh.“ Dem Prinzen war nicht anzusehen, ob ihm diese Worte einleuchteten. Zumindest sagte er nichts mehr darauf und damit war das Thema für Tokiya abgeschlossen. Haruka bedrückte diese Konversation sehr. Sie wagte nicht zu den Jungs aufzusehen und hielt ihren Blick deswegen gesenkt. Gern hätte sie etwas beigetragen, doch ihr Kopf war wie leer gefegt. Nur einzelne Begriffe jagten einander, doch sie war nicht in der Lage, sie aufzufangen und irgendwohin einzusortieren. Selten hatte sie sich so nutzlos gefühlt wie in diesem Augenblick. „Aber so kann es doch auch nicht bleiben“, war es erneut Otoya, der seinen Unmut in einem Seufzen kundtat. Man hätte es dem Rotschopf nicht zugetraut, aber er schaffte es tatsächlich, sich noch kleiner zu machen und mit seinem hängenden Kopf ein Bild abzugeben wie das eines begossenen Pudels. „Wir kommen so nicht weiter.“ Mit diesen Worten begann Natsuki in der Innentasche seiner braun-gestreiften Weste zu kramen. Als er gefunden hatte, wonach er suchte, erhob er sich schließlich von seinem Platz auf dem Sessel und hielt ein bunt bedrucktes Flugblatt vor sich. Ein breites, herzliches Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. „Wir haben doch Urlaub, nicht wahr? Das trifft sich gut! Heute ist der vorletzte Tag für das jährliche Sommerfest. Ich wollte schon die ganze Woche, seit es eröffnet hat, dorthin, aber jetzt können wir ja alle zusammen gehen und ein wenig Spaß haben.“ „Sommerfest? So was wie ein Rummel?“, hakte Syo nach, woraufhin der Freund nickte. „So mit Spiel- und Fressbuden? Attraktionen?“ „Ja“, strahlte der Ältere zurück und wirkte dabei wie ein Kind. „Es wurde viel aufgebaut und dort soll sehr viel los sein. Riesenrad, Achterbahn… es soll sogar eine Musikgruppe da sein und für Stimmung sorgen. Und Clowns, die Lamas spazieren führen und bunte Formluftballons an die Kinder verteilen!“ Der Kleinere zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. „Schießbuden?“ „Ja.“ „Autoscooter?“ „Bestimmt!“ „Wasserbahn?“ – Bei dieser Frage zuckte Cecil unwillkürlich zusammen, was neben Haruka jedoch niemand weiter bemerkte. Natsuki legte nachdenklich einen Finger an die Lippen. „Das weiß ich nicht. Aber wenn es so groß ist wie es auf dem Flyer aussieht, kann es gut sein.“ „Alles klar“, damit erhob sich der Kleine, setzte sich seinen Hut auf den Kopf und zog ihn sich tief ins Gesicht. Kess grinste er in die Runde, ehe er den Arm in die Höhe streckte und über das ganze Gesicht strahlte. „Worauf warten wir dann noch!“ „So plötzlich?“, wunderte sich Otoya, der zumindest den Kopf wieder erhoben hatte und nun etwas planlos dreinblickte. Offensichtlich kam er mit dem unerwarteten Themenwechsel nicht ganz mit. „Das ist eine tolle Idee, Shinomiya-san!“, lobte Haruka und war sichtlich erleichtert, wie sich die Dinge nun dank Natsukis Vorschlag entwickelten. Auch ihr Gesicht zierte ein fröhliches Strahlen. „Lasst uns alle zusammen hingehen, als Gruppe!“ Tokiya und Masato erwiderten nichts darauf. Lediglich ihre bisher angespannten Gesichtszüge lockerten sich jetzt zu einem angedeuteten Schmunzeln. „Als Gruppe? Na, wenn es die Lady so wünscht“, kommentierte Ren in seiner typisch-schmeichelnden Art, wobei er dem Mädchen ein Zwinkern zuwarf. Daraufhin erhob er sich von seinem Platz, um ihren Aufbruch zu unterstreichen. „Im Ernst jetzt? Wir gehen wirklich?“, hakte der Rotschopf erneut nach. Erst als sich auch Tokiya und Masato in Bewegung setzten, schien er zu realisieren, dass dies nicht nur leeres Gerede war. Sofort kehrte das Leben in den jungen Gitarristen zurück, sein breites Grinsen strahlte mit den anderen um die Wette und er streckte sich einmal ausgiebig, als er sich aufrichtete. „Alle zusammen? Als Gruppe? Na dann los!“ „Wir haben lange nichts mehr zusammen unternommen“, bemerkte Haruka leise, woraufhin sich ein leichter Rotschimmer auf ihre Wangen legte. Ihr Herz klopfte wie wild in ihrer Brust und ihr war anzusehen, dass sie sich sehr über die bevorstehende, gemeinsame Zeit freute. „Wir sollten das genießen, so gut wir können. Wir alle, gemeinsam.“ Daraufhin brach ein lautes Gebrabbel in der Gruppe los, als rege Vorstellungen von dem Festplatz ausgetauscht und erste Unternehmungspläne geschmiedet wurden. Vergessen schien, was sie eben noch bedrückt hatte, und man freute sich nur noch auf die kommenden Stunden, die sie alle gemeinsam verbringen wollten. Endlich machte sich eine erste Urlaubsstimmung unter ihnen breit. Kurz darauf rüsteten sie sich und teilten sich auf ihre Zimmer auf, um sich entsprechend umzuziehen und schließlich in einer Stunde gemeinsam aufzubrechen. Nur einer von ihnen blieb in dem Gemeinschaftsraum zurück. Noch immer stand Cecil an seinem Fleck und starrte regungslos in die Richtung, in welche sich die Jungs auf den Jungenflügel verteilt hatten. Ihr Murmeln war leiser geworden, aber noch zu hören; insbesondere der kleine Syo war mit seiner erstaunlich lauten Stimme nicht zu verkennen. Doch Cecil machte keine Anstalten, ihnen zu folgen. Erst als die Stimmen gänzlich verstummt waren, wechselte er die Blickrichtung und sah nun den Flur hinab, der zum Mädchenflügel führte. Dem Flügel, in dem Haruka verschwunden war, um sich ebenfalls zurechtzumachen. „Haruka“, sprach er ihren Namen laut aus und sah weiterhin auf den Flur, als hoffte er, sie würde ihn hören und zu ihm zurückkommen. Natürlich hörte sie ihn nicht. Nach einigen Minuten senkte er seinen Blick, bis er zu dem Platz auf der Couch vor ihm sah, auf welchem Tokiya gesessen hatte. „Es gibt nichts zu sagen, wenn sich niemand darüber im Klaren ist, was er sagen möchte“, hatte er gesagt. Cecil sah den Schwarzhaarigen ganz genau vor sich; hörte seine Stimme deutlich, wie er diese Worte zu ihm gesprochen hatte. Tokiyas Blick war fest gewesen, seine Stimme ruhig, aber ernst. Es hatte keine versteckte Botschaft in diesen Worten gelegen. Nichts, was Cecil dahinter hätte erkennen können. Und doch… „Bewusstsein“, murmelte er leise und trichterte sich damit ein, was Tokiya ihm gesagt hatte. „Darüber im Klaren sein, was man sagen möchte… mh?“ Ein Kopfschütteln folgte. – Nein, das traf nicht auf ihn zu. Auf die anderen vielleicht, aber er wusste bereits, was ihn bedrückte. Doch das ging niemanden außer Haruka etwas an. Entschieden wandte er sich um und setzte sich in Bewegung. Folgte den Schritten, welche die anderen zuvor in Richtung ihrer Zimmer gegangen waren. Er hatte keine Lust auf dieses komische Fest zu gehen, auf das sich alle anderen so sehr freuten. Nicht, weil er es generell nicht wollte. Es war schon oft spaßig, mit den anderen unterwegs zu sein – meistens. Doch er hätte lieber etwas Zeit allein mit Haruka verbracht. Allein. Er konnte sich nicht vorstellen, was an einem Sommerfest so toll sein sollte. Einem „Rummel“, wie Syo es genannt hatte. Was war das überhaupt, ein „Rummel“? War das irgendetwas Besonderes? Nur Haruka zuliebe ging er mit. Weil sie sich so sehr darüber gefreut hatte, etwas mit ihnen zusammen zu unternehmen. Und weil er ihr diese Freude nicht nehmen wollte. Nur deswegen. ‚Ein Fest‘, überlegte er. Bevor die anderen gegangen waren, hatte Syo noch gesagt, dass sich alle „etwas Bequemes“ anziehen sollten, das „ruhig auch dreckig werden kann“. Was bedeutete das im Bezug auf ein japanisches Stadtfest? Mal schauen, vielleicht hatte er noch eine mittelwertig festliche Kurta, die diesen Anforderungen Genüge tun dürfte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)