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Dare o erabu kana?

Für wen soll man sich entscheiden?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Seit über einem Jahr liegt dieses Kapitel nun schon auf meiner Festplatte herum und endlich habe ich es geschafft, es neu zu überarbeiten und in den Upload zu bringen.
Ja, ich habe mich zu "Dare o erabu kana?" zurückgefunden, aber gleich die Entwarnung: Die Pausierung dieser FF wird dadurch noch nicht wieder aufgehoben! Ich kann nicht versprechen, dass es zeitnah weitergeht, jedoch, dass sich hier demnächst etwas tun wird. Es ist schon krass, viel viel sich binnen eines Jahres verändern kann und ich habe das dringende Bedürfnis, "Dare o erabu kana?" einer Überholung zu unterziehen. Auf dass sie mit neueren FFs von mir up to date ist.

Wer immer von euch noch da ist: Vielen Dank, dass du "Dare o erabu kana?" so lange die Treue gehalten hast. Ich habe oft sehr große Sehnsucht nach dieser FF verspürt. Ich hoffe, dass ich sehr bald an ihr weiterarbeiten können werde.

Nun aber viel Spaß mit dem neuen Kapitel. Du musstest wahrlich lange genug darauf warten. Komplett anzeigen

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Bleib du selbst

Die Atmosphäre war gedrückt. Niemand sprach bis auf das Nötigste. Hier und da war das leise Klappern von Geschirr zu hören, sonst nichts. Genauso war es auch während des gemeinsamen Frühstücks gewesen.

Von einem schweren Seufzen begleitet, stapelte Haruka die leeren Teller aufeinander. Ihr auf den Fersen war Natsuki, der das Besteck einsammelte. Syo ihnen gegenüber schnappte sich die drei leeren Kannen vom Tisch und ging mit ihnen voran, um sie hinüber zur Küche zu bringen. Auf der Durchreiche fand alles seinen Platz und wurde von Masato entgegengenommen, der mit rauschendem Wasser den Abwasch bediente. Keiner von ihnen sprach nur ein einziges Wort.

Das Aufräumen der Küche übernahmen Tokiya und Cecil. Wenigstens die beiden brachen gelegentlich das Schweigen, wann immer Tokiya Cecils Fragen beantwortete, wohin er etwas zu räumen hatte. Sie wirkten heiter im Vergleich, während sie die Reste verpackten und im Kühlschrank verstauten, herumstehende Behälter ordneten und in den Schränken einsortierten.

Der Geschirrspüler war Rens Part. Alles, was von Hand zu aufwendig gewesen wäre, fand darin Platz. Indem er im Anschluss das bereits saubere Geschirr abtrocknete und sogleich im Schrank einsortierte, half er Masatos einige Zeit aus. Als die Arbeit am Waschbecken abnahm, legte er das Geschirrtuch beiseite und übernahm den Müll, ohne dass es einer Aufforderung bedurfte. Sein auffallend stilles Verhalten an der Seite seines Zimmermitbewohners war gänzlich untypisch für ihn, doch niemand aus der Gruppe kommentierte es. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun.

„Ich bin fertig“, verkündete Haruka, als sie vom Essbereich in die eigentliche Küche zurückkehrte. Sie war mit dem Abwischen des Tisches fertig und brachte den Lappen zurück, den sie sich dafür geliehen hatte.

Masato warf ihr einen flüchtigen Blick über die Schulter zu. „Gut.“

„Soll ich dir noch bei etwas helfen? Die anderen sind schon gegangen.“

„Ich bin gerade fertig geworden“, erklärte er und ließ im selben Moment das Abwaschwasser ablaufen. „Sofern du nichts mehr findest, was die anderen übersehen haben, kannst du ruhig gehen. Ich mache noch den Rest sauber, dabei brauche ich keine Hilfe.“

„Mhm.“ Sie nickte und ließ ihren Blick durch die Küche schweifen. Alles sah soweit ordentlich aus, die Jungs hatten nichts vergessen. Im Essbereich wusste sie, dass alles ab- und aufgeräumt war, dessen hatte sie sich bereits vergewissert. Demzufolge gab es nichts mehr, was sie tun könnte. „Gut, dann gehe ich jetzt ebenfalls. Gute Arbeit.“ Sie tat eine höfliche Verbeugung, anschließend wandte sie sich ab.

„Nanami.“

Fragend drehte sie sich herum. „Ja?“

Masato stand mit dem Rücken zu ihr und war dem Anschein nach damit beschäftigt, das Waschbecken und die Arbeitsplatten darum zu reinigen. Er machte keinerlei Anstalten, sich ebenfalls nach ihr umzuwenden. „Triff dich bitte in einer Stunde im Übungsraum mit mir. Ich werde dort auf dich warten.“

 

Das leise Klacken ihrer Schritte begleitete Haruka durch den weiten, hohen Korridor auf dem Weg zum Übungssaal. Sie fühlte sich unbehaglich, und das war ihr deutlich anzusehen.

Was könnte Masato von ihr wollen?

Seit sie die Küche verlassen hatte, hatte sie sich diese Frage gestellt. Wieder und wieder. Und ihr kam ein Verdacht, der sie fast dazu veranlasst hätte, sich in ihrem Zimmer zu verschließen und Masatos Bitte feige auszuschlagen. Wenn es das war, was sie vermutete, dann wollte sie nicht gehen. Dann wollte sie ihm nicht gegenübertreten und Rede und Antwort stehen, wie er es wohl von ihr erwarten würde.

Sie war sich nicht sicher, aber sie glaubte, dass er es gewesen war, den sie gestern um ein Haar umgerannt hatte, als sie panisch aus der Küche gestürzt war. Als sie vor der Situation geflohen war, die sich zwischen ihr und Otoya ergeben und mit der sie sich überfordert gefühlt hatte. Sie hatte nicht bemerkt, dass jemand hinzugekommen war und nur am Rande den karierten Wollpullover erkannt, der sich einzig Masato zuordnen ließ. Wenn dem so war, dann hatte er alles mitbekommen, was zwischen ihnen vorgefallen war. Und nun würde er sie zur Rede stellen und in Erfahrung bringen wollen, was die Szene zu bedeuten hatte. – Was sollte sie ihm nur darauf antworten?

In ihren Kopf rumorte es. Sie wollte nicht darüber reden. Nicht mit Masato und auch sonst mit niemandem. Nicht, bevor sie die Gelegenheit gehabt hätte, mit Otoya zu reden und das, was nun zwischen ihnen lag, zu klären. Aber schaffte sie es, die anderen deswegen zurückzuweisen? Sie machten sich doch nur Sorgen um sie und meinten es gut. Das wusste sie, und dennoch …

Aber vielleicht irrte sie sich und es ging um etwas ganz anderes. Das zumindest versuchte sie sich einzureden. Wiederholt schüttelte sie den Kopf, um sich von diesen trüben Gedanken zu lösen. Sie interpretierte zu voreilig. Vielleicht, möglicherweise, war der Grund ein ganz anderer, dass er sie treffen wollte. Allein. Auch, wenn ihr im Moment keiner einfallen wollte.

Sie kam vor der großen Doppeltür zum Stehen. Ein letztes Mal atmete sie tief durch in dem Versuch, ihren Kopf frei zu bekommen und sich zu beruhigen. Ihr wilder Herzschlag schien zu protestieren, doch sie gab sich einen Ruck. Mutig langte sie nach dem vergoldeten Griff, um die Tür vorsichtig aufzuschieben.

„Ich bin da“, sprach sie leise in den großen Saal hinein. Mit den Augen suchte sie nach ihrer Verabredung, bis sie beim Piano fündig wurde. Dort stand er, den Rücken in ihre Richtung gewandt, und doch schien es, als hätte er auf sie gewartet.

Als er ihre Stimme vernahm, die zögerlich an ihn herangedrungen war, drehte sich Masato nach ihr um. Kaum dass er sie entdeckt hatte, entspannte er seine gerade Haltung und schenkte ihr ein dünnes Lächeln. „Ah, Nanami. Gut, dass du gekommen bist.“

Haruka ließ die Tür hinter sich ins Schloss zurückfallen. Langsamen Schrittes durchquerte sie den Raum, bemüht, sich ihre Anspannung nicht anmerken zu lassen. Es war niemand sonst außer ihnen hier, was sie auf seltsame Weise nervös stimmte.

„Wieso wolltest du mich treffen?“ Auf einen Meter Abstand blieb sie stehen und sah unverwandt zu ihm auf. Es erstaunte sie selbst, wie ruhig sie diese Frage über ihre Lippen bekommen hatte, obgleich sie das Gefühl hatte, ihr Herz könne ihr jeden Moment aus der Brust springen.

Masato sah sie an. Für mehrere Sekunden sagte er nichts, während er in ihren Augen zu forschen schien. Ihm war nicht anzumerken, ob er auf etwas wartete; etwa, dass sie den Anfang machte und irgendetwas Bestimmtes sagte oder tat.

Einige Zeit später wandte er den Blick von ihr ab und deutete mit einem Nicken neben sich in Richtung Piano. „Das hast du vergessen.“

Irritiert folgte sie seiner Weisung zur Sitzbank. Auf ihr befand sich eine Tüte, deren blauer Schriftzug auf pinken Untergrund ihr wohlbekannt war. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen: ihre Einkaufstüte von gestern mit dem neu erworbenes Kleid, zu welchem Tomochika ihr bei ihrem Stadtbummel geraten hatte. Schnell eilte sie nach vorn, um das Gut an sich zu nehmen. Sie musste es gestern in der Küche zurückgelassen haben, als sie ihre panische Flucht angetreten war. Ihr wurde erst jetzt bewusst, dass sie es nicht vermisst hatte. Keinen einzigen Gedanken hatte sie an das Kleid verschwendet.

„Danke“, sprach sie erleichtert, die raschelnde Tüte in ihren Armen. Als sie sich nach Masato umdrehte, begegnete sie seinem Blick, der aufmerksam auf ihr ruhte und jedes Tun von ihr beobachtete. Sofort fühlte sie sich unbehaglich. Er stand einfach nur da, prüfte sie eingehend aus seinen tiefblauen Augen und sprach kein einziges Wort.

„Ähm“, zögerte sie mit einem zweiten Anlauf. „Also … danke, dass du sie für mich gefunden und darauf Acht gegeben hast. Ich habe sie wohl … vergessen.“

Sein Schweigen war kaum zu ertragen. Lange Sekunden, die sie mit zunehmender Unsicherheit straften.

„Nicht der Rede wert.“ Einfache Worte, die einen schwerwiegenden Bann zu brechen vermochten. Haruka spürte, wie die Befangenheit von ihr abfiel, als er den Blickkontakt zu ihr löste. „Eigentlich hatte ich sie dir schon früher zurückgeben wollen, doch als ich heute Morgen von deiner Tür stand, hast du nicht auf mein Klopfen reagiert. Du warst vermutlich nicht mehr auf deinem Zimmer gewesen, nehme ich an.“

„Mh“, bestätigte sie mit einem Nicken. „Ich war heute schon sehr zeitig wach und habe früh das Zimmer verlassen. Im Übungsraum habe ich Cecil-san getroffen. Wir sind rausgegangen und haben uns ein wenig unterhalten, während wir auf Syo-kun und Shinomiya-san gewartet haben, die noch Joggen gewesen waren.“ Sie pausierte. Wieso erzählte sie ihm das eigentlich alles?

Ungeachtet dessen fuhr sie fort: „Anschließend sind wir alle zusammen reingegangen und haben den Rest getroffen. Und Ittoki –“

Sie brach ab. Die Erinnerung an das, was im Anschluss passiert war, versetzte ihr einen Stich. Unwillkürlich presste sie sich die Plastiktüte fester an ihre Brust.

„Verstehe.“ Masato klang wie immer ruhig und gefasst, als er das Schweigen durchbrach, welches sich neu zwischen ihnen festgesetzt hatte. „Deswegen also habe ich dich nirgendwo finden können. Ich war immer zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.“

Sie wollte nicken, konnte es jedoch nicht. Ihr Körper fühlte sich schwer an, wie gelähmt. In ihrem Kopf arbeitete es, doch seine Worte drangen nur langsam zu ihr durch.

„Hijirikawa-san, du hast …?“ Die plötzliche Erkenntnis ließ ihren Blick zu ihm hochfahren. Er hatte nach ihr gesucht? Er war bei ihrem Zimmer gewesen, das hatte er gesagt, und im Anschluss? Und das alles, um ihr ihre Einkaufstüte zurückzubringen?

„Hast du dich deswegen …?“ Ihre Stimme wurde leiser. War das möglicherweise der Grund für sein verspätetes Erscheinen beim Frühstück gewesen? Der Gedanke rief Schuldgefühle in ihr hervor.

„Wie ich schon sagte, es ist nicht der Rede wert“, betonte er ruhig. Beiläufig und wohl ohne dass er es selbst bemerkte, strich seine Hand über die glatte Oberfläche des schwarzen Pianoflügels.

„Tut mir leid.“

„Du brauchst dich dafür nicht zu entschuldigen.“

„Dennoch …“ – Dennoch, ihr war danach. Sie hatte das dringende Bedürfnis, es zu tun. Und wenn schon nicht für die Umstände, die er ihr zuliebe auf sich genommen hatte, dann zumindest …

Stille kehrte zwischen ihnen ein.

So sicher und richtig Masato an seinem Platz neben dem Piano wirkte, so verloren und fehl fühlte sich Haruka ihm gegenüber. Sie hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, um die Barrikade zwischen ihnen zu durchbrechen. Doch sie wusste nicht, was und wie. Allein, hier zu sein, kostete sie bereits alles an Kraft und Wille.

„Nanami.“

Sie zuckte unwillkürlich zusammen.

„Was ich dich fragen wollte …“

Ihre Haltung versteifte sich. Jetzt war es also soweit. Sie wusste nicht, ob sie schon bereit dafür war, aber sie nahm sich fest vor, standhaft zu bleiben und nicht vor seiner Frage zurückzuweichen.

Tapfer hob sie ihren Blick, in Erwartung.

Masato verstummte für einen Moment, ehe er seine Frage vervollständigte: „Wie kommst du voran?“

„Eh?“

„Mit dem Song“, half er ihr auf die Sprünge. „Du arbeitest derzeit an einem neuen Stück für uns, richtig?“

„Ähm … ja.“ Betreten senkte sie das Kinn und sah zu Boden. „So eigentlich“, ergänzte sie leise flüsternd.

„Hast du Schwierigkeiten?“

„Ich … also …“ Wie sollte sie das nur erklären? „Es ist … ich fühle mich in letzter Zeit irgendwie überfordert. Also nicht in dem Sinne, dass … Es ist vielmehr so, ähm … es fühlt sich so an, als sei ich von meinem Weg abgekommen. Irgendwann, irgendwie. … Um ehrlich zu sein, ich habe noch nicht wirklich etwas zusammenbekommen, das für ein neues Lied tauglich wäre.“

„Hm.“ Er überdachte ihre Worte für einen Moment. „Belastet dich etwas?“

Sie schwieg.

„Möchtest du darüber reden?“

Die Art, wie sie die Arme fester um ihre Tüte schloss und die Schultern kaum auffällig hob, war ihm Antwort genug. Wenn es etwas in ihm auslöste, dann ließ er es sich zumindest nicht anmerken.

Ohne ein weiteres Wort, ohne weiter nachzubohren, löste er sich von seinem Platz. Indem er hinter Haruka vorüberzog, trat er an das Piano und klappte den Klaviaturdeckel hoch. Ein leises Klicken war zu hören, als er es fixierte.

„Spiel es mir vor.“

Fragend sah sie zu ihm herüber.

„Das Lied, das der Direktor neulich abgelehnt hat.“

„Jetzt?“ Sie zögerte. „Aber ich habe meine Noten nicht dabei.“

„Die sind nicht wichtig“, beschwichtigte er. „Du kennst deine Musik, die du geschrieben hast. Ich bin mir sicher, du weißt auch, wie dieses Stück gespielt wird. Die Noten dienen nur als Hilfsmittel zur Führung, aber du brauchst sie nicht, um deine Musik jederzeit spielen zu können, wenn du es möchtest.“

Das stimmte.

Zaghaft nickte sie und bestätigte dadurch, was er gesagt hatte. Wirklich wohl war ihr dabei jedoch nicht. Sie hatte für diesen Song eine solch niederschmetternde Kritik kassiert, doch welch andere Wahl hatte sie, wenn er sie darum bat? Es war das Mindeste, was sie tun konnte, um ihn nicht gänzlich von sich zu enttäuschen.

Zögerliche trat sie an seine Seite. Ihr Blick ruhte abschätzend auf der makellosen Klaviatur, auf der sie schon so oft gespielt hatte. Nur das Betrachten der schwarz-weißen Tasten weckte Erinnerungen in ihr, die ihr ein Gefühl von Geborgenheit und Wärme gaben. Erinnerungen, die sie verträumt lächeln ließen, jedoch eine Schwere auf ihrem Herzen auslösten.

Entschieden stellte sie die Einkaufstüte auf dem Boden neben dem Instrument ab und nahm Platz auf der schmalen Bank. Masato tat es ihr gleich und setzte sich mit etwas Abstand neben sie. Sie spürte das Gewicht, das er dabei auf die Bank ausübte, beachtete es aber nicht weiter und legte die Hände an die Klaviatur.

„Spiel einfach, woran du dich erinnern kannst“, sprach er ihr sanft von der Seite Mut zu. „Wenn du Passagen aussetzen musst, weil du unsicher bist, tu es einfach und überspring sie. Ich werde bis zum Ende zuhören.“

„In Ordnung.“

Einige Momente vergingen, in denen sich Haruka sammelte. Sie atmete noch einmal tief durch, schon legten sich ihre Finger an die richtigen Tasten und sie begann zu spielen. Jene Melodie, an der sie zuletzt so lange und so voller Hingabe gearbeitet hatte. Jene, in die sie so viel Arbeit und Liebe investiert hatte, und die doch nicht gut genug war, dass irgendjemand jemals zu ihr singen würde. Niemand außer ihr und ihren Nahestehenden würden sie jemals zu hören bekommen.

Masato neben ihr blieb stumm. Wie er es versprochen hatte, war er einfach nur an ihrer Seite und lauschte der Melodie, die Haruka ihm aus sanft-fröhlichen Pianonoten präsentierte. Er störte sich nicht daran, dass sie zwei Mal ins Straucheln kam und falsche Töne erwischte, die nicht in das Stück passen konnten. Sie übersprang jene Sätze, was er in aller Duldsamkeit hinnahm, ohne die leiseste Regung zu zeigen.

Nach fünf Minuten war das Schauspiel vorüber und Haruka beendete ihre Präsentation, indem sie die letzte Fis-Note ausklingen ließ. Warm fand die Melodie ihren Abschluss und hinterließ ein Gefühl von Frohsinn. Überschattet von Schwermut, die Haruka in ihrem Herzen fühlte, jetzt, da das Musikstück ihr vermutlich letztes Ende gefunden hatte.

„Der Direktor meinte, es sei zu viel und zugleich zu wenig“, erklärte sie mit gepresster Stimme, nachdem Masato auch nach einer Minute noch nichts gesagt hatte. „Er sagte, dass es halbherzig sei. Ich verstehe nur nicht, was er damit gemeint hat.“

„Hm“, gab Masato nachdenklichen von sich. Er schien zu überlegen. „Nun, es klingt sehr optimistisch und fröhlich.“

„Ist das schlecht?“, wandte sie sich fragend an ihn. Normal hätte sie eine solche Aussage als Kompliment genommen, da es genau das war, was sie durch ihre Melodien erreichen wollte. Doch die Art, wie er es gesagt hatte, rief Unsicherheit in ihr hervor.

Masatos Gesicht war eben. Es ließ sich nicht darin lesen. Seine dunkelblauen Augen waren auf das Piano gerichtet und schienen doch ins Nichts zu blicken. Es war unmöglich, zu vermuten, woran er in diesem Moment wohl denken mochte.

„Und?“, fand er sich nach einer langen Zeit ins Hier und Jetzt zurück. Ruhig, beherrscht wie immer. „Was hast du nun vor? Wie willst du weitermachen?“

„Ich … also …“ Entmutigt wandte sie den Blick von ihm ab und verkrampfte die Hände in ihrem Schoß. „Ich bin mir … nicht ganz sicher. Erst dachte ich, dass ich nur einzelne Noten umschreibe und die grundliegende Melodieführung beibehalte. Aber es gibt Momente, in denen ich mir unschlüssig bin, ob das genügen würde oder ob ich besser ganz von vorn mit einem neuen Stück beginne. Doch immer, wenn ich darüber nachdenke, was ich schreiben will …“

„Hm.“ In seiner entspannten Körperhaltung streckte er den rechten Arm nach vorn und legte Hand an die Klaviatur. Seine Finger spielten einige der Töne aus dem Stück, welches Haruka ihm vorgetragen hatte und die ihm im Gedächtnis geblieben waren. Es waren frohe Töne überwiegend im Dur der dritten und vierten Oktave. Nach dieser achttaktigen Periode ließ er wieder von der Tastatur ab und stieß ein stummes Seufzen aus.

Haruka verlangte es, ihn nach seinen Gedanken zu fragen, ließ jedoch von diesem Vorhaben ab. Sie wusste, dass Masato eine überlegte Person war. Wenn er Zeit brauchte, um seine Gedanken in Worte zu fassen, dann war es besser, sie ihm zu geben. So schwer es ihr auch fallen mochte.

„Was hast du bisher versucht?“

„Nun …“ Kurz überlegte sie. „Nun, um ehrlich zu sein … sonderlich viel habe ich noch nicht getan. Ich habe oft darüber nachgedacht und versucht, mir eine neue Melodie zu überlegen. Aber ich habe nichts davon niedergeschrieben. Es erschien mir nie das Richtige zu sein, irgendwie.“

„Verstehe.“ Einen Moment lang schloss er die Augen, um ihre Worte auf sich wirken zu lassen. Als er sie das nächste Mal aufschlug, besah er Haruka von der Seite. „Möglicherweise behinderst du dich selbst, indem du zu viel darüber nachdenkst und krampfhaft versuchst, etwas zu komponieren, das jeden zufriedenstellen wird. Beteiligt oder nicht.“

„Ich möchte nicht“, sprach sie nur zögerlich, „dass das nächste Stück ebenfalls abgelehnt wird. Ich möchte nicht, dass der Direktor seinen Glauben in mich verliert und er mir verbietet, weiterhin für Starish zu komponieren. Das wäre … Wenn … wenn ich nicht mehr für euch –“ Ihre Stimme brach und ließ diesen letzten Satz unvollendet. Der Gedanke hatte einen Kloß in ihrer Kehle geformt, der es ihr unmöglich machte, nur ein einziges Wort mehr zu sprechen.

„Starish würde zu keiner anderen Musik singen als zu der, die du für uns geschrieben hast“, erklärte Masato entschieden, um ihre Sorgen zu besänftigen. Zu sehen, wie das Mädchen mit den Tränen kämpfte, machte es ihm schwer, seine übliche Fassung zu wahren. „Darin ist sich die gesamte Gruppe einig, wenigstens in dieser einen Sache. Starish besteht aus acht Personen. Du gehörst genauso dazu wie jeder andere von uns. Du bist unsere Komponistin, Nanami, und niemand sonst. Wir alle haben sehr großes Vertrauen in dich.“

Hoffnung keimte in Haruka auf. Sie spürte, wie ihr Herz an Mut und Kraft gewann. So viele Gedanken und Emotionen wurden in ihr wach, doch sie fand keine Worte, um nur einen Teil davon angemessen zum Ausdruck zu bringen.

„Danke.“

Es war nur ein einziges, einfaches Wort. Nur ein Wort und ein Lächeln, das so aufrichtig und voller Wärme war, dass Masato für einen Moment alles um sich herum vergaß.

Es waren genau diese flüchtigen Momente. Diese kleinen Gesten, die eine gewisse Intimität zwischen ihnen schufen. Sie waren besonders, das wurde ihm just deutlich.

Ein kurzes Räuspern in die Faust war die Folge, als ihm bewusst wurde, wie sich sein Herzschlag beschleunigte hatte. Seine Ohrspitzen fühlten sich unangenehm heiß an, was ein eindeutiges Zeichen war. Er versuchte, sich von alledem nichts anmerken zu lassen, indem er den Kopf zur Seite drehte und die Augen schloss.

„Auf jeden Fall“, wechselte er galant das Thema, „was deine Musik anbelangt: Ich denke, das Wichtigste ist, dass du dabei du selbst bleibst.“

„Ich selbst?“

Er warf ihr einen vorsichtigen Seitenblick zu. „Deine Musik ist besonders“, versuchte er zu erklären. „Du gibst jedem Lied etwas von dir selbst mit. Deine Melodien sind ehrlich, klar und aufrichtig. Das ist der Grund, warum sie in der Lage sind, die Menschen zu berühren. Und warum es uns möglich ist, ebenso aufrichtige Texte dazu zu verfassen und frei heraus zu singen. Deine Musik macht eine Harmonie zwischen den Menschen möglich. Deswegen ist es wichtig, dass du in erster Linie für deine Musik ehrlich zu dir selbst bist.“

„Ehrlich zu mir selbst …“

Das kam ihr seltsam vertraut vor. Was war es gleich noch gewesen, das Cecil ihr vor wenigen Tagen gesagt hatte? Damals auf der Wiese beim Sommerfest?

Es ist nicht richtig.

„Hm?“

„Ah!“ Erschrocken fuhr Haruka aus ihren Gedanken hoch. Ihr war nicht aufgefallen, dass sie diese Worte laut ausgesprochen hatte.

Sofort hob sie die Hände abwehrend vor sich. „Das … das hat mir Cecil-san gesagt. Neulich, auf dem Sommerfestival“, erklärte sie eilig. „Er sagte, dass sich das Lied nicht ‚richtig‘ anfühle und … Er hat etwas Ähnliches zu meiner Musik gesagt wie du eben.“ Eine verlegene Röte legte sich über ihr Gesicht.

Kaum, dass Cecils Name gefallen war, zogen sich Masatos Augenbrauen tiefer. Abermals wandte er den Blick von ihr ab, um zu vermeiden, dass sie sein Missfallen bemerkte. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass seine Stimmlage tiefer als gewöhnlich klang, als er sprach: „Ihr beide verbringt neuerdings wirklich viel Zeit miteinander.“

„Hm?“

„Nichts. Schon gut.“ Er gab ein leises Seufzen frei.

„Hijirikawa-san?“

„Wenn wir schon einmal hier sind“, lenkte er im Thema um, „wie wäre es, wenn du es einfach versuchst?“

„Eh?“

„Eine Melodie zu komponieren. Ganz spontan, was dir gerade in den Sinn kommt. Du hast lange nicht mehr frei gespielt, habe ich recht? Und für den Fall, dass dir etwas einfällt, das du gern verwenden möchtest, hast du hier auch die Möglichkeit, dir entsprechende Notizen zu machen.“ Dabei deutete er auf den Stapel bereitliegender Notenblätter, die auf der Partiturablage unter einer breiten Klammer gehalten wurden.

„Aber … ich weiß nicht, ob mir so spontan etwas einfällt“, gab sie zögerlich zu bedenken.

„Versuch es.“

Sie wagte keine Widerworte. Folgsam rückte sie sich auf ihrem Platz zurecht und legte die Hände abermals an die Klaviatur. … Wo sie verweilten, ohne die geringste Regung, eine Note anzuspielen. Ihr Blick haftete starr auf den Tasten, während sie in ihrem Inneren krampfhaft nach einer Melodie suchte, die sie spielen könnte.

Nach mehreren Minuten, die tonlos verstrichen waren, gab sie das hoffnungslose Unterfangen auf. Langsam zog sie die Hände zurück, um sie auf ihrem Schoß zu platzieren. „Tut mir leid“, flüsterte sie leise, voll tiefstem Bedauern.

„Du musst dich nicht entschuldigen.“

Ein weiteres Mal wurde es still zwischen ihnen. Unangenehm still, bedrückend.

„Ich“, ergriff Haruka hauchzart das Wort, „würde gern auf mein Zimmer zurückkehren. Es gibt da ein paar Dinge, über die ich gern nachdenken möchte.“

Sie erhob sich, ohne ihn anzusehen. Neben der Bank hob sie die kleine Einkaufstüte vom Boden und umschloss sie mit beiden Armen. Anschließend wandte sie sich nach Masato um.

„Hab vielen Dank für alles“, sagte sie, wobei sie ein aufrichtiges Lächeln trug. „Dafür, dass du auf meine Sachen aufgepasst und sie mir wohlbehalten zurückgegeben hast. Und auch für das Gespräch und deine Hilfe. Ich weiß das alles wirklich sehr zu schätzen, auch wenn es vielleicht nicht so herübergekommen ist. Es hat mir wirklich sehr geholfen.“ Sie fiel in eine höfliche Verbeugung vor.

„Nein, das … das ist schon in Ordnung. Kein Grund, so förmlich zu werden.“

„Es hat gut getan, mit dir zu reden“, sprach sie sanft weiter, während sich Masato ebenfalls erhob und daran machte, den Klavierdeckel ordentlich herunterzuklappen. „Ich werde über deine Worte nachdenken und mich mehr bemühen, bald ein neues Lied fertigzustellen, zu dem Starish singen kann. Ich verspreche, nicht aufzugeben und weiterhin mein Bestes zu geben.“

„Ja.“ Auf seinen Lippen spielte ein mildes Lächeln, als er sich ihr im Anschluss zudrehte. Indem er um die Bank herumging, trat er auf sie zu und hob die Hand, um sie ihr zärtlich auf die Wange zu legen. „Ja, ich weiß, dass du das wirst. Und wenn du über irgendetwas reden willst, kannst du jederzeit zu mir kommen.“

Der dezente Rotschimmer auf ihren Wangen betonte das frohe Leuchten ihrer Augen, die ihm unverwandt entgegenblickten. Ihr vorsichtiges Nicken bedeutete Masato, dass sie seine Geste verstanden hatte und er zog in einer Erwiderung seine Hand zurück.

„Ich gehe dann jetzt“, flüsterte sie leise. Erneut verneigte sie sich, schon drehte sie sich herum, um den Übungsraum zu verlassen.

Regungslos verharrte Masato an seiner Stelle. Harukas Schritte hallten durch den Raum, als sie sich entfernte. Er sah ihr nicht nach, seine Aufmerksamkeit lag auf der Innenfläche seiner Hand, die er offen neben sich hielt.

In einem kurzen Moment der Schwäche hatte er die Beherrschung verloren. Hatte er diesem stillen Bedürfnis nachgegeben, sie zu berühren. Ihr Gesicht hatte sich perfekt in seine Hand geschmiegt, ihre Haut so weich. Wenn er sie nur etwas länger auf die Art spüren könnte …

„Nanami!“

Bei der Tür, die Hand bereits am Griff, blieb sie stehen. „Ja?“

„Ich …“

Wenn er ihr nur sagen könnte …

„Hm?“

Ihr offener Blick, wie sie fragend den Kopf zur Seite legte, sprach so viel. Krampfend ballte er die Hand zur Faust, ihre Wärme noch immer spürend.

Zwecklos.

„Ich begleite dich noch ein Stück.“

 

Haruka war kaum durch die Tür nach draußen getreten, als sie eine Stimme vernahm: „Sieh an. Der Tag ist kaum ein paar Stunden alt, und schon geht die Sonne noch ein zweites Mal für mich auf, sobald ich die Lady sehe.“

Überrascht drehte sich Haruka nach rechts, wo sie Ren erkannte, der lässigen Schrittes auf sie zukam. Die Hände entspannt in den Hosentaschen seiner schwarzen Jeans vergraben, aus der das weiße Hemd fahrlässig auf einer Seite heraushing, wirkte er wie auf einem ziellosen Spaziergang durch die Flure des Wohnheims. Er hatte sich das lange, honigblonde Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, aus welchem einzelne Strähnen dem Zwang widerstrebten. Sie rahmten sein Gesicht, als sei es so gewollt, und zierten das charmante Lächeln, das zeigte, dass er inzwischen besserer Laune war als beim Frühstück.

„Jinguji-san!“

„Ist die Lady heute ganz allein unterwegs?“

„Nein, ist sie nicht.“

Haruka trat höflich zur Seite, um Platz zu machen, als Masato hinter ihr aus dem Übungsraum hinaustrat. Er warf Ren einen durchdringenden Blick zu, während er die Tür hinter sich zuzog.

Sein Lächeln wich einer ernsten Miene. Für einen Moment schien er die Situation abzuwägen, bis er zu einem scherzbehafteten Schmunzeln zurückfand. „Oho, heute in seltener Begleitung. Ich sehe schon. Deswegen also warst du nicht auf dem Zimmer. Ich habe mich schon gewundert, wo du wohl abgeblieben bist, Hijirikawa.“

„Mach dich nicht lächerlich“, konterte Masato missbilligend. „Als ob du dich ernsthaft um meine Abwesenheit sorgen würdest.“

„Zumindest habe ich mich gefragt, wie es der Lady wohl gehen mag und was sie in diesem Augenblick tut. Sorgen habe ich mir also durchaus gemacht.“

„Mir geht es gut. Hijirikawa-san hat mir ein wenig Gesellschaft geleistet“, erklärte Haruka, wobei ihr bezeugendes Lächeln Masato zu ihrer Seite galt.

„So? Ich wünschte, ich könnte deswegen beruhigt sein.“

„Wie meinst du das?“ Masatos Stimme klang reserviert, aber gefährlich. Sein Blick verdüsterte sich.

Diese Reaktion schien ihm zu gefallen. Er löste seine Haltung, schloss die Augen und ging auf die beiden zu, wobei er sprach: „Eine junge Lady sollte sich niemals in der Gesellschaft eines Mannes sicher fühlen. Auch unter einem Schafspelz kann sich ein hungriger Wolf verborgen halten. Selbst“, dabei machte er eine betonte Pause und sah mit einem umspielten Grinsen zu Masato auf, „wenn sein Pelz noch so dick erscheint.“

„Wie bitte?“ Sein Flüstern glich mehr einem Zischen. Irgendwo zwischen Entsetzen und Empörung straffte er die Schultern, seine Haltung gespannt.

„Auf der anderen Seite“, winkte Ren seine letzte Bemerkung einfach zur Seite, „dürften wir, was das anbelangt, bei dir unbesorgt sein. Selbst dem Hungertod nahe würdest du keine Fänge entblößen. Ist es nicht so, Hijirikawa?“

„Du …!“ Der abfällige Laut, den Masato ausstieß, rang Ren nur ein müdes Lächeln ab.

„Bei einem Mann wie mir wiederum“, fuhr er in seiner kleinen Spielerei fort, wobei er sich zu Haruka herunterbeugte, „wäre ich mir nicht ganz so sicher. Wenn so ein kleines, scheues Lämmchen vor mir steht, kann es gut sein, dass ich zum bösen Wolf werde.“

Bevor er ihr Gesicht berühren konnte, wurde seine Hand kraftvoll zur Seite geschlagen. Jeder Anflug von Scherzhaftigkeit wich aus Rens gestrafften Gesichtszügen, als er den Blick hob und auf die frostigen Augen Masatos traf. Binnen eines Herzschlags war der Spaß vorbei.

„Geh nicht zu weit“, warnte Masato eindringlich. Seine sonst so ruhige Stimme war von einer Härte gezeichnet, die unüblich für ihn war. Das und seine Worte bauten eine Spannung zwischen ihnen auf, von solch Intensität, dass sie greifbar erschien.

 „Wo-wovon redet ihr beiden da eigentlich?“ Längst hatte Haruka ihrer unterschwelligen Konversation nicht mehr folgen können. Wie verloren stand sie zwischen den Fronten und blickte unsicher zwischen den beiden Männern hin und her. „Wir haben uns nur unterhalten, Hijirikawa-san und ich.“

„Deine Sorge ist unbegründet“, entgegnete Ren an Masato gewandt, wobei er Haruka überging. Noch immer hielt er seinen Blick, seine Worte ruhig und gewogen. „Wenn ich wirklich solche Absichten ihr gegenüber hätte, wäre ich längst in die Offensive gegangen.“

„Das interessiert mich nicht“, warf Masato zurück. Daraus wurde deutlich, dass er kein Interesse verspürte, in seinem Standpunkt zurückzuweichen. „Es interessiert mich genauso wenig, was du mit anderen Mädchen in deiner Freizeit tust. Aber bei Nanami hältst du dich besser zurück.“

„Oh? Sonst was, Hijirikawa? Lass hören, ich bin neugierig.“

„Eine Fortführung dieser Unterhaltung ist sinnlos.“ Damit war das Gespräch für ihn beendet. Verdeutlichend drehte er sich ab. „Ich begleite Nanami noch zu ihrem Zimmer.“

„Hat die Lady etwas gegen zwei Eskorten einzuwenden? Wir haben dieselbe Richtung.“

„Sehr gern!“

Ein geschlagenes Seufzen war Masatos einzige Antwort.

 

„Oh, Haru-chan!“

Auf ihrem Weg zum Wohnflügel passierte das Dreiergespann den Gemeinschaftsraum. Dort trafen sie auf ein weiteres Mitglied ihrer Gruppe, das hinter einem Berg von Töpfen, Schüsseln und Zutaten – gefährlich schwankend auf einem Paar von kräftigen Armen – kaum zu erkennen war.

„Shinomiya-san? Was …?“

Keinem von ihnen war klar, welche Verrenkung Natsuki wohl vollbringen musste, um den Kopf an dem Geschirrberg auf seinen Armen vorbeizubringen. Wie immer zeigte sein Gesicht ein auftuendes Lächeln, das keinerlei Anzeichen davon zeigte, ob er der geringsten Anstrengung unterlag. Weniger verwunderlich war sein Aufzug: in weißer Rüschenschürze, zugehöriger Haube und weiten Kochhandschuhen mit Piyo-Bedruck blieb er seinem Motto treu, dass die Definition von »süß« auch auf den Mann zutreffen durfte. – Obgleich sich in diesem Punkt die Geschmäcker scheiden konnten.

Ren stieß ein anerkennendes Pfeifen aus. „Wird das ein Bankett?“

„Was hast du vor, Shinomiya?“, schloss sich Masato ihm an.

„Ich habe doch erzählt, dass ich neue Rezepte gefunden habe, die ich uuunbedingt ausprobieren möchte“, zeigte Natsuki sein sonnigstes Strahlen. Die Vorfreude war in seinen leuchtenden Augen nicht zu übersehen. „Zitronenfalterkuchen, Walnusskekse, Blätterteigtaschen mit Apfelfüllung und etwas, das in Europa sehr beliebt ist: Tiramisu traditionell. Ich hoffe, dass ich alle Zutaten dafür habe, um sie auszuprobieren.“

„Das klingt toll, Shinomiya-san! Und das willst du alles heute machen?“

„Sofern ich es zeitlich schaffe. Einiges davon benötigt eine lange Vorbereitungszeit“, erklärte er fröhlich. Kurz geriet er in Gedanken, was seine Mundwinkel herabsinken ließ. „Es ist wirklich schade, dass Otoya-kun nun nicht mehr da ist. Er hatte mir eigentlich versprochen, mir zu helfen, wenn ich Neues ausprobieren möchte und Syo-chan keine Zeit hat. Blödes Timing, dass er ausgerechnet heute wegfahren musste.“

Die Worte trafen Haruka mitten ins Herz. Betreten senkte sie den Blick. Ihr wurde just in dem Moment bewusst, dass Otoyas plötzliche Abwesenheit mehr Einfluss auf ihr aller Zusammenleben haben würde, als sie bisher bedacht hatte.

„Womit ist Ochibi-chan denn verhindert, wenn man fragen darf?“

„Er ist vorhin in die Stadt gefahren. Ich glaube, er wollte shoppen gehen. Ich hatte ihm angeboten, ihn zu begleiten und ihm bei schwierigen Entscheidungen zu helfen, aber er meinte, dass er allein gehen will.“

„Vermutlich braucht er einfach etwas Zeit für sich“, schlussfolgerte Masato. „Mach dir darüber keine Gedanken.“

„Hm, schon. Es ist dennoch schade.“ In einer Pause ließ er den Kopf sinken. Als ihm kurz darauf eine Idee kam, wandte er sich voller Enthusiasmus an Haruka. „Ah, aber vielleicht magst du mir ja helfen, Haru-chan? Backen macht so viel Spaß! Und zu zweit geht es sehr viel schneller von der Hand. Na, was meinst du? Ich kann dir alles erklären, was du tun musst. Das wird bestimmt lustig!“

Erschrocken wich sie einen Schritt zurück. Es war weniger Natsukis plötzliche Nähe als das verdächtige Klirren des Geschirrberges auf seinen Armen, das sie um ihre Sicherheit bangen ließ.

„Tut mir leid, Shinomiya-san”, sprach sie leise, wobei sie sich um ein vorsichtiges Lächeln bemühte. „Ich würde dir schon ganz gern helfen, aber im Moment … möchte ich gern ein wenig für mich sein und versuchen, an Starishs neuen Song weiterzuschreiben.“

„Ach so. … Ich verstehe.“ Die Enttäuschung klang deutlich aus seinen Worten heraus. Jeglicher Frohsinn fiel von ihm ab, als er mit gesenkten Schultern einen Schritt zurücktrat und den Blick traurig zu Boden richtete.

„Aber ich freue mich schon sehr darauf, was du für uns zubereiten wirst“, sagte sie schnell, um ihn zu versöhnen.

„Shinomiya“, ergriff Masato das Wort. „Sofern du es möchtest, kann ich mich dir gleich anschließen. Ich bin frei und habe im Moment nichts vor.“

„Mh.“ Nach einem kurzen Zögern nickte er zustimmend, wobei sich sein Gesicht neu erhellte. „Sehr gern. Es wird zwar nicht dasselbe sein wie mit Haru-chan oder Syo-chan, aber mit Masato-kun zusammen macht es sicher auch sehr viel Spaß.“

„Gib mir nur eben noch zehn Minuten. Ich muss mich zuvor umziehen.“

„In Ordnung. Ich werde in der Küche auf dich warten.“

Masato nickte. Darauf setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung, um ihren Weg in Richtung Wohnflügel fortzusetzen.

Stumm blickte Natsuki ihnen nach. Hinter den dünnen Gläsern seiner Brille spielte eine tiefe Schwermut, die jedes Lächeln aus seinen freundlich-grünen Augen verdrängte.



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