Tifa Allein Zu Haus ... Oder? von tobiiieee (Halloween-Spezial 2020) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Nachts bei Vollmond zog ein dichter Nebel von der Küste auf, als Tifa sich mit einer Kerze vor das Regal hockte, um sich ein paar passende Filme daraus auszusuchen. Es war sehr kalt geworden im Norden, in den sie zu Urlaubszwecken gefahren waren; Cloud war mit den Kindern über Nacht ausgeflogen, sodass Tifa das zweistöckige Haus für sich hatte. Sie setzte sich mit einer Decke vor den Fernseher, blies die Kerze aus und bereitete sich auf einen langen, dunklen Horrorabend vor. Draußen vor dem Fenster schien der mysteriös strahlende Vollmond auf die aufkommende Nebelwand, die sich langsam landwärts schob; in wabernden Wellen bedeckte sie langsam kahle, geisterartige Bäume, begrub feuchte Wiesen unter sich und nahm funkelnden Fenstern die Sicht. Während das flimmernde Licht des Fernsehers, an dessen Geschehen Tifas Augen gespannt klebten, verschiedentlich zitternde Blau-, Rot- und Weißtöne auf die Wände warf, zogen nun allmählich dicke graue Wolken vor den Vollmond, ein gleichzeitig aufziehender starker Wind zerstreute die Nebelwand und peitschte die ersten Regentropfen gegen das Fensterglas. Tifa riss daraufhin den Blick von ihrem aktuellen Gruselfilm los und schaute nach draußen; die schweren schwarzen Wolken sahen nach einer Menge Regen aus und der Wind war dabei, zu einem regelrechten Sturm anzuwachsen. Sie entschied, den Film kurz allein weiterlaufen zu lassen, sich einen Kräutertee aufzubrühen und eine Weile das Schauspiel draußen zu beobachten. Sie verließ den Fernsehbereich mit der ausladenden Couch in einer Ecke des großzügigen Wohnzimmers und durchquerte den Raum in Richtung der Kücheninsel auf der anderen Seite, ohne dafür extra Licht einzuschalten. Nachdem sie ein wenig in den unbekannten Schränken und Schubläden gekramt und einen Teebeutel gefunden hatte, sah sie sich, während der Wasserkocher langsam das Wasser erhitzte, ein wenig um. Der Großteil des Erdgeschosses bestand aus der Küche, in der sie stand, und dem angrenzenden Wohnbereich, in dem immer noch der Horrorfilm lief, und an dessen Ende eine Tür auf die Terrasse mit einem Garten führte, an den ein Stück Wald anschloss. Eine Waschküche und ein weiterer Zugang zum Haus über eine Garage befanden sich neben der Treppe, die in den oberen Stock mit drei Zimmern und dem Bad führte. Als sie das aufgekochte Wasser über den Teebeutel goss, überlegte sie, dass sie wegen des Sturms wohl besser alle Fenster schließen sollte; allerdings konnte sie sich nicht erinnern, überhaupt eines geöffnet zu haben. Mit der dampfenden Tasse Tee in der Hand ging sie hinüber zur Terrassentür, schob sie vorsichtig auf und lehnte sich in den Türrahmen, den Blick abwechselnd wieder auf den Film und nach draußen gerichtet. Im Fernseher erblickte sie die Gestalt eines kleinen Jungen, der bei dichtem Schnee durch ein Labyrinth jagte. Der kalte Windhauch strich ihr über Gesicht und Haare. Draußen verschwand der helle Mond vollständig hinter einem dicken Band aus dunklen Wolken, der Sturm schwoll an und brachte dicke Regentropfen mit sich, die in dichten Schleiern gen Erde prasselten. Die Kälte kroch langsam ihre Arme hoch; Tifa erschauerte, trat zurück ins Wohnzimmer, schloss sorgfältig die Terrassentür, setzte sich aufs Sofa, schmiegte sich in die Decke und klammerte die Hände fest um die warme Teetasse. Ohne den Vollmond war der Fernseher die einzige Lichtquelle im Raum. Ihr kroch eine Gänsehaut über den Rücken. Ihr kribbelte es im Nacken. Sie sah sich um. Niemand. Dunkelheit. Stille im Haus. Sturm vor der Tür. Kapitel 1: Tifa allein zu Haus? ------------------------------- Der Film endete mit einem im dichten Schnee erfrorenen Mann; Tifa hatten ihren Tee ausgetrunken und konnte sich mit einem Blick auf die Uhr – es war kurz vor Mitternacht – nicht recht zu noch einem Film durchringen. Sie schaltete den Fernseher aus und tastete sich nun durch die Dunkelheit zur Treppe durch, während der Regen weiter laut gegen die Fenster schlug. Sie und Cloud hatten das erste Zimmer auf der linken Seite genommen und den Kindern die weiter hinten liegenden Zimmer überlassen. Sie öffnete die Tür. Wie sie erwartet hatte, war das Fenster gegen den Sturm verschlossen; dahinter war durch den dichten Regen in der Finsternis fast nichts zu erkennen. Sie durchquerte das Zimmer bis zum Bett, nahm ihren dicken Schlafanzug und zog sich für die Nacht um. Sie hörte es, während sie noch auf dem Bett saß und überlegte, ob sie sich eine Jacke überziehen sollte: Ein langes, klägliches Quietschen von unten. Tifa erstarrte. Das Blut gefror in ihren Adern. Sie lauschte angestrengt. Ihr Herz schlug ihr mit einem Mal bis zum Hals. Sie hatte von unten eindeutig ein deutliches Quietschen gehört; nun folgte leises Poltern. Ihre Arme überzog eine Gänsehaut. In ihrem Kopf entstanden sofort tausend Szenen, woher diese Geräusche stammen mochten. Sie konnte sie sich wirklich nicht erklären. Sie hatte alles verschlossen und verriegelt, nachdem Cloud und die Kinder aufgebrochen waren. Niemand außer ihr konnte im Haus sein. Sie schluckte schwer. Sie musste wohl oder übel nachsehen gehen. Ihr Atem ging flach und schnell. Alle Härchen im Nacken und auf den Armen stellten sich ihr auf, die Gänsehaut überzog langsam ihren gesamten starren Körper. Alle ihre Kraft zusammennehmend erhob sie sich vorsichtig vom Bett, der Mund trocken, die Zähne fest zusammengebissen. Sie war drauf und dran, das Zimmer zu verlassen, als sie in der relativen Stille ein anderes Geräusch hörte. Näher. Sehr nah. Irgendetwas war in ihrem Zimmer. Ganz sicher. Sie spürte es mehr, als dass sie es sicher wissen konnte. Doch was oder wer auch immer da war, wusste vielleicht nicht, dass sie auch im Haus war. Tifa kam in der Dunkelheit eine Idee. Sie wollte ihre Position nicht verraten. Das große Licht einzuschalten war daher keine Option. Von unten drangen mehr Geräusche herauf, lauter diesmal, Rütteln, Klappern, mehr Rumpeln. Ihr Herz zersprang bald, ihr Atem setzte beinahe aus, jeder Muskel in ihrem Körper angespannt, bereit, zuzuschlagen, bereit, zu vertreiben, was auch immer da sein mochte. Solange es nur lebendig war. Warm. Fest. Aus Fleisch und Blut. Sie fand den Beistelltisch an der Wand. Sie wusste, darauf stand eine kleine Lampe. Vorsichtig, lautlos bewegte sie den Lichtschalter, das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Sie warf einen Blick in Richtung der Tür. Ein markerschütternder Schrei entrang sich ihrer Kehle. Jemand kam die Treppe hinauf gehastet. Kapitel 2: Mach sie weg, mach sie WEG! -------------------------------------- Cloud fand Tifa zu Boden gestürzt, den panischen Blick fest auf die Wand gerichtet, nur beim Licht der kleinen Lampe auf dem Tisch. Sie zeigte mit einem zitternden Finger, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, auf die Wand direkt neben der Tür. Cloud folgte ihrer Geste mit einem Blick und entdeckte eine enorme schwarze Spinne, die langsam die Wand hochkrabbelte, eines der acht langen Beine vor das andere setzend. Ein befreiender Seufzer entfuhr ihm. Als er durch die Garage mit den Kindern ins Haus gestolpert war und von oben Tifas Schrei gehört hatte, hatte er mit dem Schlimmsten gerechnet. Nun erleichtert und entspannt baute er sich vor Tifa auf und lächelte sie aufmunternd an. „Das ist doch wohl nicht dein Ernst, o große Kriegerin – oder?“, fragte er verschmitzt. „Sie hat mich erschreckt!“, sagte Tifa kleinlaut. „Was du nicht sagst“, meinte Cloud und streckte ihr eine Hand entgegen. Sie ergriff sie und ließ sich auf die Beine ziehen. „Ich dachte nicht, dass ihr zurückkommt“, sagte Tifa beschämt. „Das Wetter“, erklärte Cloud leichthin. Ein Moment beklommenes Schweigen trat ein. „Ich glaub, ich hab unten noch was gehört“, fiel Tifa dann ein. „Und das hast du dir nicht vielleicht eingebildet?“, fragte Cloud skeptisch. „Nein“, sagte Tifa, den Blick fest auf Clouds blaue Augen gerichtet. „Nein, das denk ich nicht. Da war was.“ „Klar“, seufzte Cloud und Tifa sah ihm an, dass er ihr nicht glaubte. „Dann gehen wir eben nachsehen“, bot er ihr trotzdem an. Auf Tifas Gesicht trat ein vorsichtiges dankbares Lächeln. Cloud wandte sich um. Sie hielt ihn zurück. „Was?“ „Zuerst räumst du gefälligst die raus“, sagte sie bestimmt. Cloud seufzte erneut. „Was immer du sagst“, räumte er ergeben ein. Er wandte sich erneut zum Gehen. „Du willst mich doch wohl nicht allein lassen?!“, fragte Tifa schrill. Cloud schaute sie ungläubig an. „Ich kann dich nur entweder gegen die große böse Spinne verteidigen oder irgendwas holen gehen, um sie rauszubringen“, erklärte er ihr sehr ruhig. „Sie ist so groß und schwer, dass ich sie in der Dunkelheit hab gehen hören“, erklärte ihm Tifa. Cloud schloss einen Moment angestrengt die Augen. „Setz du dich doch kurz aufs Bett und warte hier, bin gleich wieder da“, sagte er und ging die Treppe hinunter. Tifa folgte Clouds Vorschlag und beobachtete vom Bett aus gespannt die sich immer noch langsam bewegende Spinne. Tifa kam sie riesig vor, als ob sie anschwellen und mit ihren langen haarigen Beinen den ganzen Raum einnehmen würde, als ob sie sie, nachdem sie sie mit ihren überdimensionierten grausamen schwarzen Augen gemustert hatte, in ihre Greifzangen nehmen und genüsslich verspeisen würde ... Tifa lief ein Schauer nach dem andern über den Rücken; die Bewegungen der Spinne waren ihr zuwider. Sie musste sich allerdings nicht lange mit ihr abgeben, bis Cloud wieder im Raum erschien und die Spinne in einem Gefäß einfing. Er forderte Tifa mit einem Kopfnicken auf, ihm wieder nach unten zu folgen. Mit ein wenig Abstand* ging sie hinter Cloud die dunkle Treppe hinab. Unten war nun etwas Licht in der Küche eingeschaltet. Cloud durchquerte das Wohnzimmer zur Terrassentür, öffnete sie und setzte die Spinne vorsichtig in den Sturm mit dem schweren Regen. Jetzt selbst ein wenig nass, kam er wieder herein und schüttelte den Kopf wie ein Hund, um Wasser loszuwerden. Durch die offene Tür hinter ihm hörte Tifa nichts als den heulenden Wind und den stürmischen Regen. „Wir sollten die Tür verbarrikadieren, sonst kommt sie wieder rein“, schlug sie vor. Während Cloud das Glas in der Küche wegräumte, schloss und verriegelte Tifa die Terrassentür und ließ das außen angebrachte Rollo herunter, was sie mit den anderen Fenstern auf der Seite des Hauses, die zum Wald hin zeigte, wiederholte. Sie hörte Cloud das Sicherheitsschloss an der Eingangstür zuklicken und die Kette einhängen. Sie trafen sich an der Kücheninsel, spärlich beleuchtet von der Lampe über dem Herd. „Also, was hattest du gehört?“, fragte Cloud. „Weiß nicht genau“, sagte Tifa erneut erschauernd, als sie nur daran dachte. „Als ob irgendwas ... rein wollte.“ „Und das können nicht die Kinder und ich gewesen sein?“, fragte Cloud unbeeindruckt. „Nein, das war davor.“ Tifa war sich sicher. „Na gut.“ Cloud gab sich geschlagen. „Hier scheint nichts zu sein, bleibt der Keller.“ Er wies auf eine Tür neben dem Eingangsbereich, die nach unten führte. Sie hatten bei ihrer Ankunft früher am Tag nur aus der Ferne einen kurzen Blick nach unten geworfen. Niemand von ihnen hatte wirklich den Wunsch verspürt, dem Geheimnis des Kellers näher auf die Spur zu gehen. Tifa schaute schicksalsergeben auf die Tür. Ihr Herz machte einen kurzen Aussetzer, ehe es wie wild zu schlagen anfing. „Der Keller also“, sagte sie tonlos. Kapitel 3: DA runter ...? ------------------------- Tifa seufzte ernüchtert. „In dem Keller gibt’s wahrscheinlich noch ‘ne Menge mehr Spinnen“, sagte Cloud verschmitzt. Sie warf ihm einen ganz und gar nicht amüsierten Blick zu. Er sah zumindest aus, als ob es ihm leid täte. Sie machten sich bereit, den Keller zu erkunden. „Dann mal los“, meinte Cloud und führte den Weg an. Als ob Tifas Nerven nicht so schon zum Zerreißen gespannt gewesen wären, musste die Tür beim Öffnen auch noch knarren. Sie schaute Cloud an. War das wirklich ein gutes Omen? Als er die Tür geöffnet hatte, betätigte er den Lichtschalter am oberen Ende der Treppe, die in den Keller führte. Unten leuchtete eine einzelne Glühbirne an einem langen Kabel auf. Von hier oben konnten sie in dem Lichtkegel, den sie warf, nichts entdecken. Tifa schluckte. Sie war sich sicher, dass etwas da unten war. Was, wenn es, sobald sie einmal unten waren, dafür sorgen würde, dass das Licht wieder ausging? Sie bedeutete Cloud zu warten. Beim Kramen in der Küche war sie zuvor auf eine Taschenlampe gestoßen. Nun damit ausgerüstet stieß sie wieder zum Suchtrupp dazu. Sie nickte Cloud entschlossen zu, der langsam die Treppe Stufe für knarrende Stufe hinunterzugehen begann. Tifa folgte ihm atemlos auf den Fuß und sah sich nervös in alle Ecken um. Der Keller glich einer Rumpelkammer, in der alles Mögliche abgestellt war. Direkt neben der Treppe schien unter einer Plane ein Klavier zu stehen. „Wie in ‚Das Schweigen der Lämmer‘“, flüsterte sie Cloud ins Ohr und nickte in Richtung des abgedeckten Klaviers. „Da gab’s ein Klavier?“, fragte er ratlos. Tifa war verunsichert von der Nachfrage. „Ich glaube schon.“ „Du weißt es also nicht“, stellte Cloud trocken fest. Tifa wand sich. „Wissen nicht ... nein ...“ „Großartig“, kommentierte Cloud. Er schien ihr ihre Furcht anzumerken. Er bot ihr eine Hand an, die sie dankbar annahm. Hand in Hand bewegten sie sich weiter die Treppe hinab, Tifa jederzeit erwartend, dass etwas hinter all dem Gerümpel hervorsprang. Sie hörte den Sturm rütteln. Sie suchte mit den Augen nach der Geräuschquelle. „Da“, sagte sie zu Cloud, der kurz vor dem Ende der Treppe erneut stehen blieb. Er schaute in die Richtung, in die sie zeigte. „Ein Fenster ist offen. Ich hab doch gesagt, ich hab was gehört.“ Oben stand eine schmale Klappe offen; es lief ein wenig Regenwasser durch die Öffnung hinein. Einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. „Vielleicht war das der Sturm“, sagte Cloud nachdenklich. „Vielleicht ist die Klappe einfach etwas locker.“ Er ließ Tifas Hand los, ging die letzten Stufen der Treppe hinab und schloss das Fenster. Sie hörten den Sturm immer noch, aber deutlich gedämpft. Obwohl sie nun endlich im Hellen stand, fühlte Tifa sich eingeschlossen; sie warf einen Blick zurück zur Tür, hinter der sie Dunkelheit erkannte. Sie schluckte. Sie konnte es sich nicht erklären, aber sie fühlte sich beobachtet. Plötzlich zuckte sie zusammen. „Hörst du das?“, fragte sie Cloud, jede Faser ihres Seins auf ein neues Geräusch konzentrierend, das sie nicht lokalisieren konnte. „Wahrscheinlich noch mehr Spinnen“, murrte Cloud. „Sch!“, machte Tifa. Das Geräusch wurde lauter. Sie zeigte auf die Geräuschquelle, ein Metallregal hinter mehreren Kartons. Nun auch neugierig, ging Cloud langsam auf den Stapel zu und räumte vorsichtig ein wenig Pappe beiseite. Tifa wartete, auf der Treppe festgefroren, und vergaß zu atmen. Gleich würden sie wissen ... „Aw, schau!“, sagte Cloud nach ein paar Momenten der Spannung. Sein Ton klang fröhlich. Tifa ließ einen Moment ihre Vorsicht fahren und schloss zu ihm auf. Auch ihr entfuhr ein entzücktes Geräusch. Auf dem Metallregal drückte sich zwischen Kerzen und Packungen mit Kräutersamen eine vollkommen durchnässte Katze gegen die Wand. Sie war ganz schwarz und zitterte überall. Tifa griff vorsichtig nach ihr und nahm sie liebevoll in den Arm. „Na, bist du hier reingefallen?“, fragte sie die Katze, als ob sie mit einem kleinen Kind reden würde. Behutsam streichelte sie ihr über den Kopf. „Vielleicht gehört sie hier zu dem Ferienhaus, oben in der Küche gibt es Katzenfutter“, sagte sie zu Cloud. „Ich dachte, das hätten vorige Bewohner mit einer Katze hier vergessen.“ Auch Cloud versuchte, der Katze über den Kopf zu streicheln, doch sie fauchte ihn wütend an. „Ja, sie hat bestimmt Hunger“, sagte er enttäuscht, während er trotzdem den Blick kaum von der Katze abwenden konnte. „Lass uns hochgehen und ihr was geben.“ Die Katze vorsichtig in den Armen haltend, stieg Tifa Cloud voraus wieder die Stufen hoch; Tifa brachte die Katze in die Küche, Cloud hinter ihr verschloss sorgfältig die Kellertür und brachte den Riegel an. „Wir sollten der Katze einen Namen geben“, sagte Tifa, während sie sie in der Küche auf den Boden ließ und die Schubladen auf der Suche nach dem Katzenfutter, das sie zuvor gesehen hatte, öffnete. Als sie es gefunden hatte, tat sie es auf einen Teller und stellte ihn zusammen mit einer Schüssel Wasser für die Katze auf den Boden. „Irgendwelche Vorschläge?“, fragte Cloud. Er stellte sich neben Tifa und sie beobachteten die Katze ein wenig. „Blacky?“, fragte Tifa ratlos. Cloud schaute sie belustigt von der Seite an. „Wenn wir uns mal eigene Kinder anschaffen, sind wir etwas kreativer, hm?“ Tifa sah sich um. Panik schnürte ihr die Kehle zu. Sie waren nicht nach oben gekommen. Unten waren sie auch nicht gewesen. In ihrem Kopf hatte nur noch eine Frage Platz: „Cloud, wo sind die Kinder?!“ Kapitel 4: PANIK ---------------- Cloud stand der Schock ins Gesicht geschrieben. „Sie sind mit mir reingekommen – du hast geschrien – ich – aber – warum sind sie nicht hier?!“ Hektisch schaute er links und rechts. „Sie sollten hier sein“, murmelte er vor sich hin. „Wo ...?“ Panisch stoben sie auseinander, durchsuchten die Küche, das Wohnzimmer, nirgends eine Spur. Im Keller konnten sie nicht sein. Oben war alles dunkel. Sie stürmten den Flur entlang, hinein in die Waschküche, schauten, ob sich die beiden in der Maschine oder dem Trockner versteckten, nirgends, nichts, niemand. Atemlos erreichten sie die Tür zur Garage; gerade als sie den offenen Eingang entdeckten, gabelte sich am Himmel ein Blitz und überflutete für einen kurzen Moment die Szenerie, die bis auf den Mietwagen leere Garage, die offen hängende Tür, Sturm und hagelartiger Regen draußen. Tifa packte blankes Entsetzen; ihr traten Tränen in die Augen. „Sie werden doch wohl nicht bei dem Sturm ...?“, fragte sie, ihre Stimme brüchig und um einige Oktaven höher als sonst. „Sie kennen sich doch hier gar nicht aus!“, rief sie schrill. „Nein“, sagte Cloud und schüttelte den Kopf in dem verzweifelten Versuch, irgendwie Ruhe zu bewahren. „Wir haben nur die Tür nicht richtig zugemacht. Ich schau oben – sie müssen hier irgendwo sein.“ Während Cloud nach oben rannte – sie hörte ihn die Treppe mehrere Stufen auf einmal nehmend erklimmen – stürzte Tifa zum Eingang der Garage. Sie konnte – wollte sich nicht vorstellen, dass die Kinder, vielleicht nur um ihnen einen Streich zu spielen, hinaus in den dichten Regen und den Sturm gegangen waren. Tifa war der festen Überzeugung, dass irgendetwas oder irgendwer hier im Haus sein Unwesen trieb. Sie stürmte aus der Tür unter das Vordach der Garage. Mit zum Zerreißen gespannten Nerven schaute sie die Straße links und rechts auf und ab, in dem Sturm war außer Schemen nichts zu erkennen. Die nächsten Häuser, die sie kaum ausmachen konnte, waren Hunderte Meter entfernt, von ihnen getrennt durch dunkle Waldstücke, in den wer-weiß-was lauern konnte. Sie trug keine Schuhe. Hatte nur ihren Pyjama an. Sollte sie die Straße ablaufen und nach ihren Kindern Ausschau halten? Wenn sie ging, mochte sich etwas oder jemand Zugang zum Haus verschaffen. Aber wenn ihre Babys draußen waren, musste sie sie aufspüren ... Rastlos schaute sie zwischen der verlassenen Straße und der Garage und dem Flur hin und her. Sie hörte nichts. Weder drinnen noch draußen im Regen. Nichts und niemand schien sich zu bewegen. Was ging nur vor? Sollte sie Cloud hinterher? Raus? Oder verharren? Verrückte Axtmörder geisterten ihr durch den Kopf, die Kinder blutüberströmt im Straßengraben oder gefangen genommen von wahnsinnigen Kannibalen, satanische Sekten, die ihre Kinder opfern wollten, Messer, die auf die arglosen Kleinen niedersausten, oder hatten sie sich einfach im Wald verirrt, ohne Brotkrumen, die ihnen den Weg zurück wiesen? Sie spitzte die Ohren. Versuchte angestrengt, in der Dunkelheit auszumachen, was passierte, auch wenn sie es nicht sehen konnte. Hätte sie nicht spüren müssen, wo ihre Kinder waren? Was spürte sie? Was sagte ihr ihr Gefühl? Waren die Kinder oben? Draußen? Am Leben? In Gefahr? Oder ...? Ihr Kopf ließ diesen letzten Gedanken nicht zu. Ihr Herz raste in ihrer Brust, das Blut rauschte ihr in den Ohren, während sie hilflos an Ort und Stelle festgewachsen schien. Endlich hörte sie Geräusche von oben. Schritte auf der Treppe. Von mehreren Fußpaaren. Vorsichtige Erleichterung machte sich in ihr breit. Vielleicht wurde doch alles gut. Sie lief in Richtung Flur, als ihr durch die Tür schon ihre Kinder entgegen kamen. Das Cosmo Canyon, das ihr vom Herzen fiel, musste beinahe zu hören sein. Sie fiel vor Erleichterung auf die Knie und schloss ihre Kinder fest in die Arme. „Was macht ihr denn?“, fragte sie ganz aufgelöst. Die beiden drückten sie ebenso fest zurück. Sie hatten sich aus der Garage nach oben gestohlen, als Tifa und Cloud im Keller gewesen waren. Die Tür hätten sie wohl nicht richtig in Schloss fallen lassen oder vielleicht hätte der Sturm sie aufgedrückt, sagten sie. „Wie das Kellerfenster“, sagte Cloud. Tifa ließ die Kinder los, richtete sich auf und schickte die beiden nach oben ins Bett. „Eine lockere Fensterklappe ist ja das eine“, sagte sie dann an Cloud gewandt. „Aber eine solide Tür?“ Sie beide schauten die Tür an, die nun ganz harmlos schien. „Ich werd sie einfach ordentlich verriegeln“, sagte Cloud schulterzuckend. Tifa ließ ihn machen und ging zurück in die Küche. Sie fand den Teller auf dem Boden, den sie Blacky hingestellt hatte; er war mittlerweile leer, von der Katze keine Spur. Tifa sah sich um und fand Blacky auf der Sofalehne, wo sie anscheinend eingeschlafen war. Sie ging hinüber zum Sofa und wollte die Katze ein wenig streicheln. Doch stattdessen machte sich blanker Horror in ihr breit. Ihre Augen weiteten sich vor purem Entsetzen. Ein Eiskübel war über ihre Eingeweide gekippt worden. Denn als sie Blacky berührt hatte, war die Katze regungslos von der Sofalehne gerollt und ohne eine Spur von Leben in sich liegen geblieben. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, ehe es losschnellte wie noch nie zuvor an diesem Abend. Das Licht ging an. Sie wandte sich um. Vor ihr stand jemand. Doch es war nicht Cloud. Ihre Augen weiteten sich. Mit einem Schlag realisierte sie, dass alle Zugänge zum Haus fest verschlossen waren. Kapitel 5: HORROR ----------------- Sie hatte das grauenvolle Gefühl, dem Teufel persönlich gegenüberzustehen. Wer oder was auch immer da vor ihr stand, sie hatte kaum Zeit, sich einen Eindruck davon zu machen, sie war zu gebannt von seinem scheußlichen Gesicht: Auf Stirn und Wangen sprossen nicht nur Haare, sondern geradezu tierisches Fell, die Haut war rot wie Glut und die Augen – die Augen waren es, die ihr am meisten Angst machten, leuchtend gelb, die Pupillen ein senkrechter Schlitz, die sie sehr genau beobachteten, bis sich der Mund unter ihnen zu seinem Grinsen verzog, das spitze Zähne offenbarte. Eine Bewegung lenkte ihren Blick vom Gesicht des Monstrums ab: Eine klauenartige Hand griff nach dem Messerblock auf der Kücheninsel und zog behände das Beil heraus. „Oh nein“, hörte sie sich selbst sagen. Ein letztes Blitzen des Messers, als plötzlich das Licht ohne Vorwarnung wieder ausging und sie in völliger Finsternis stand. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, konnte sie nicht hören, ob sich das Wesen bewegte; sie wagte es auch nicht, den Atem angehalten, sich vom Fleck zu rühren. Momente verstrichen, als sie ein flimmerndes Licht wahrnahm; in ihrer Überraschung drehte sie sich unüberlegt um: Auf den Fernseher war ein krisseliges Bild getreten; für Sekundenbruchteile meinte sie, menschliche Gesichter zu erkennen, dann eine Hand, die über den Bildschirm griff – nein, aus dem Bildschirm heraus! Tifa schrie vor Entsetzen und was auch immer für ein Wesen am anderen Ende des Raumes auf sie lauerte, sie nahm es lieber mit einer Kreatur aus Fleisch und Blut auf als mit einem Geist aus dem Fernseher! Blind rannte sie in Richtung des Biestes, nun zumindest in Schemen im flackernden Licht erkennbar, bereit zuzuschlagen. Es war größer als sie, größer, als sie gedacht hatte. Das Messer sauste auf sie nieder und sie wusste nicht, wie, doch sie wehrte die Hiebe instinktiv ab; sie spürte die Schneide in ihre Handgelenke fahren, fühlte das Brennen, als die Haut aufriss und Bluttropen hervorquollen, doch sie musste verhindern, dass das Messer in ihren Leib fuhr. All ihre Kraft zusammennehmend, schlug sie dem teuflischen Wesen das Beil aus der Hand und, noch in der Bewegung, drehte sich um die eigene Achse und schickte ihren Gegner mit einem gezielten Tritt zu Boden. Sie keuchte, als sie hörte und auch ansatzweise sah, dass das Biest aufprallte und ein kleines Stück entfernt liegen blieb. Ihr Kopf war wie leergefegt; sie verstand nicht, was vor sich ging, wusste nicht, was sie tun sollte. Sie ging auf die Kreatur zu, sie wollte wissen, was sie war, wer, wo sie herkam, ob sie wirklich bewusstlos war – noch immer keuchend machte Tifa Anstalten, sich über das Vieh zu beugen, als es mit einem Mal seine glühenden Augen öffnete, Tifa schrie erneut, da packte das Wesen sie schraubstockfest am Bein, dass es schmerzte, die Klauen gruben sich in ihr Fleisch, als sie verzweifelt versuchte, sich aus dem Griff zu winden, sie ging zu Boden, die Ausgeburt der Hölle begann, sie zu sich zu ziehen, sie spürte etwas Kaltes unter sich, griff instinktiv danach – und versenkte das Messer in der Brust des Monsters. Für einen Moment röchelte es und fixierte sie mit diesen gelben Augen. Unter Schock hielt sie das Messer weiter fest, hielt das Monster weiterhin unten am Boden, starrte es mit weit aufgerissenen Augen an, unfähig zu verarbeiten, was passierte. Schon in der nächsten Sekunde jedoch schreckte sie zurück, kämpfte sich erst auf die Knie, dann hoch. Das Viech war ein Mal wiedererwacht. Wer sagte, dass es das nicht noch einmal konnte? Zunächst wich sie rückwärts zurück, in Richtung Treppe, dann drehte sie sich um und stürzte los, auf die Treppe zu, die nach oben führte, sie hatte keine Wahl, alle Ausgänge waren versperrt, die Haustür, die Garage, die Terrasse, der Keller – ihr blieb einzig die Flucht nach oben. Am Treppenabsatz betätigte sie den Lichtschalter, wollte sich umsehen, ob die Teufelskreatur noch am Boden log, doch noch ehe sie sich umdrehen konnte, sah sie von oben etwas anrauschen, sie konnte es nicht fassen, riss im Unglauben die Augen auf, wie konnte das passieren? Sie schrie auf, als sie dick und warm eine enorme Welle Blut, die sich die Treppe hinunterbrach, erfasste, sie spürte, wie das Blut an ihr kleben blieb, wie es an ihr hinunterlief, sie war angewidert, war entsetzt, all das überstieg ihren Verstand, die schiere Menge des Blutschwalls drohte sie zu ersticken, sie war darin getränkt, ihre Haare voll Blut, ihre Augen, sie konnte nichts sehen, war geblendet, klebrig, nass, dickflüssig ... Hinter sich hörte sie Bewegung. Ohne nachzudenken kämpfte sie sich die blutüberströmte Treppe nach oben, egal, wie oft sie ausrutschte, egal, dass sie das Geländer nicht richtig zu fassen bekam, mit jeder Stufe brachte sie mehr Abstand zwischen sich und was auch immer da unten. Oben angelangt, verteilte sie rote Spuren auf dem nun trockenen Boden, sie wandte sich nach links, wo noch Licht brannte, lief in ihr Zimmer und rammte die Tür hinter sich zu. Sie lehnte sich gegen die Tür, keuchend, prustend, das Blut lief ihr in den Mund, metallisch, salzig, übelkeiterregend, würde sie sich übergeben müssen? Schwer atmend und zitternd sank sie auf die Knie; das würde ihr gerade noch fehlen. Sie brauchte einen Plan, sie brauchte – Schreie. Ihre fiebrigen Gedanken wurden von Schreien unterbrochen, laute, qualvolle, schmerzerfüllte Schreie von – draußen? Tifa richtete sich langsam auf, den Blick aufs Fenster gerichtet, hinter dem es gar nicht mehr regnete. Langsam, behutsam bewegte sie sich in Richtung des Fensters, wo auch das Bett stand. Sie nahm das Laken zur Hand und während sie sich ein wenig von dem Blut abrieb, schaute sie vorsichtig aus dem Fenster. Die Schreie schienen aus dem Wald zu kommen; es klang, als würde jemand schwer gefoltert werden, Bilder von gezogenen Zähnen oder Nägeln stiegen in ihrem Geist auf, ausgestochene Augen, abgeschnittene Finger ... Im Wald waren die Lichtkegel von Taschenlampen zu erkennen. Sie hatte nicht gewusst, dass jemand da war; sie hatte vorher niemanden gehört. Auch jetzt verstummten die Schreie. Die Taschenlampen hörten auf sich zu bewegen. Dann erlosch ihr Licht. Verstört von allem, was geschehen war, hörte Tifa es in der nun eingetretenen Stille zunächst nicht. Sie hielt es für ihren eigenen Herzschlag, ba-ba-ba-dook-dook-dook. Ihr Kopf fuhr herum. Es war ein Klopfen. Entschlossen, dem Schrecken die Stirn zu bieten, schlich sie zurück zur Tür, bereit, willkommen zu heißen, wer auch immer sich Zugang verschaffen wollte. Sie verharrte direkt hinter der Tür, würde in dem Moment zuschlagen, in dem es den Raum betreten würde. Warum irgendetwas erst klopfen sollte, darüber dachte sie nicht nach. Das nächste Klopfen allerdings ließ sie aus der Haut fahren. Es kam nicht von der Tür. Es kam vom Schrank zwischen Bett und Tür. Sie erstarrte wieder. Welches Monster mochte im Schrank lauern? Langsam drehte sich der Knauf. Die Tür öffnete sich, zuerst einen Spaltbreit. Im Licht der kleinen Tischlampe erspähte sie dicken schwarzen Stoff, der raschelte, wie bei einem Mantel. Im Spalt der Tür erschienen lange Krallen. Das Entsetzen gefror in Tifas Innerem. Mit einer Hand tastete sie hinter sich nach der Tür, doch noch ehe sie die Klinke fand, öffnete sich der Schrank weiter und ein totenkopfartiges grinsendes Gesicht kam zum Vorschein. Tifa riss Augen und Mund auf und stürmte schreiend aus dem Zimmer, knallte die Tür hinter sich zu und stemmte sich dagegen, doch was immer das Wesen im Schrank gewesen war, es versuchte nicht, ihr zu folgen. In dem Treppenlicht, das sie zuvor eingeschaltet hatte, entdeckte Tifa, schwer atmend, zwei Augenpaare am Ende des Flurs, normale Augen, ungefähr auf Bauchhöhe. „Gott sei Dank!“, entfuhr es ihr, als sie in den Gestalten ihre Kinder erkannte. Doch irgendetwas stimmte nicht. Vielleicht war sie in den letzten Minuten paranoid geworden, denn auf den ersten Blick konnte sie nicht feststellen, was nicht stimmte – bildete sie es sich ein? Langsam ging sie auf die beiden zu, atemlos, noch immer blutgetränkt, den Blick fest auf die beiden Kinder gerichtet. Irgendetwas ... irgendetwas ... Synchron hoben die beiden die Arme. Konnte es sein, dass sie sehr blass wirkten? „Spiel mit uns!“, sagten sie und ihr gefror das Blut in den Adern. Dies waren wohl kaum die Stimmen ihrer Kinder. Sie klangen so weit entfernt, längst entrückt ... mit einem sehr dunklen Unterton. „Für immer!“ Tifa blieb wie festgefroren stehen. Lag es an ihr oder war es hier sehr kalt? In der Luft schienen sich Atemwölkchen zu bilden, das Blut zog den Pyjama, der das einzige war, das sie anhatte, schwer nach unten, als sie einen genaueren Blick auf die Kinder warf. Konnte sich ihr Entsetzen noch steigern? Tifa war, als würde ihr das Herz stehen bleiben. Ja, die Kinder sahen sie an, sehr blass waren sie auch. Und gleichzeitig hatten sie ihr den Rücken zugekehrt. Das pure Grauen floss durch ihre Glieder, ihr Gesicht erstarrte in einem Ausdrucks des Schreckens, als die Kinder lachend in der Mitte durchknickten und, rückwärts auf Händen und Füßen krabbelnd, wie Spinnen in der Dunkelheit ihrer Zimmer verschwanden. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, floh Tifa in die andere Richtung, doch die Treppe nach unten konnte sie nicht noch einmal nehmen, also stürzte sie zur Seite, zum Bad, auf dessen Tür plötzlich – das hatte sie vorher nie gemerkt – etwas prangte, aus dem Augenwinkel erkannte sie, als sie die Tür aufriss, eine Zahl, war es 237? Völlig aufgelöst stieß sie die Tür hinter sich zu, schloss ab, nach Atem ringend, und schaute sich um. Warum zum Teufel hatte das Bad kein Fenster? Von hier aus hätte sie sicherlich aufs Vordach klettern und entkommen können. Verzweifelt schoss ihr Blick herum, auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit. Da fiel ihr etwas Hellrotes auf. Verwirrt konzentrierte sie ihren herumirrenden Blick auf das Waschbecken. Lag darin ein Ballon? Wie ferngesteuert ging sie darauf zu. Ohne es zu merken hielt sie den Atem an; sie hörte nur ihren eigenen Herzschlag. Der Ballon oder was es war im Waschbecken pulsierte leicht. Im Rhythmus ihres eigenen Herzens. Stumm betrachtete sie den Ballon. Er hypnotisierte sie. Nach all den Schrecken der Nacht schien er endlich ... harmlos ... Mit einem lauten Knall explodierte der Ballon und verteilte Blut im gesamten Bad. Tifa prustete, als ihr erneut heißes, dickes Blut vom Gesicht tropfte. Mit einem Mal kam sie wieder zur Besinnung; sie machte sich auf und davon, versuchte die Tür zu öffnen, doch sie hatte sie verschlossen, musste erst wieder den Schlüssel drehen, dann riss sie die Tür mit aller Kraft auf, wohin nun? Unten übernatürliche Machenschaften und der Teufel höchstpersönlich, in ihrem Zimmer das Monster aus dem Schrank, die vom Dämon besessenen Kinder in ihren Zimmern, die Treppe voller Blut, das Bad auch, nirgends eine Tür oder ein Fenster offen. Sie hörte Geräusche von unten; was immer sie dort gelassen hatte, schien ihr nun hinterherzukommen. Tifa geriet in blinde Panik, sie sah bereits einen Schatten heraufkommen, sah sich in ihrer Verzweiflung um, sollte sie sich der Bedrohung stellen und irgendwie versuchen, sich den Weg zu einem Fenster freizukämpfen? Ihr Atem ging schnell und flach, ihr Herz schlug, als ob es alle Schläge eines gesamten Lebens in der nächsten Minute absolvieren wollte, ihr brach der Schweiß aus, der ihr erneut das Blut das Gesicht hinablaufen ließ, sie war in Panik, gleichzeitig erstarrt, wohin sollte sie laufen, was sollte sie nur tun? Sie hörte Schritte von links, wandte sich instinktiv nach rechts, wo sie plötzlich eine weitere Treppe nach oben entdeckte, die sie vorher nicht gesehen hatte. Ohne weiter darüber nachzudenken, stürmte sie auf die Treppe zu, nahm zwei Stufen auf einmal, krachte förmlich durch die Tür am Ende und schlug sie mit voller Wucht hinter sich zu, der Schlüssel steckte, sie drehte ihn so schnell wie möglich und verbarrikadierte die Tür mit einem Balken, der glücklicherweise daneben angebracht war. Sie starrte einen Moment auf die Tür. Warum starrte sie auf die Tür? Tifa begann ihren Körper wieder zu spüren. Sekunden später wurde ihr klar, dass sie ein Gefühl von vorsichtiger Sicherheit erreicht hatte. Sie wandte sich um, um zu erkunden, wo sie war. Offensichtlich befand sie sich auf einem weitestgehend leeren Dachboden. Helles silbernes Licht füllte den Großteil des Raumes aus, nur die Ecken waren recht dunkel. Tifa merkte, wie sie sich langsam beruhigte. Soweit sie hörte, schien sich hier auf dem Dachboden nichts zu bewegen. Während sie wieder fast normal atmete, setzte auch ihr Denken langsam wieder ein. Auf dem Dachboden sollte es überhaupt nicht hell sein, es brannte kein Licht. Sie hob den Blick. Was noch? Im Dach klaffte ein großes Loch, durch das der Vollmond in all seiner Pracht hereinschien und die gewaltigen Krähen beleuchtete, die sich am Rand des Lochs sammelten. Irgendetwas am Blick dieser Vögel gefiel ihr ganz und gar nicht. Vorsichtig, behutsam, ohne plötzliche Bewegungen, trat sie langsam Schritt für Schritt zurück in Richtung der Tür – von deren anderer Seite sie im nächsten Moment ein lautes Krachen hörte. Panisch ging ihr Blick hin und her. Offensichtlich versuchte jemand oder etwas, sich Zugang zum Dachboden zu verschaffen. Im Loch im Dach sammelten sich immer mehr Krähen. Sie krächzten sie feindselig an. Der Dachboden verfügte über keine Fenster. Die Tür hinter ihr begann sie splittern. Selbst wenn der Dachboden ein Fenster hätte, würde sie einen Sprung nach draußen vielleicht nicht überleben. Die Vögel verstummten mit einem Mal vollkommen. Tifa wandte sich um. Die Axt, die das Wesen auf der anderen Seite benutzt hatte, war durch die Tür und den Balken durchgebrochen. Unter lautem Geschrei stürzten sich die Vögel mit ihren scharfen Klauen und Schnäbeln auf sie in dem Moment, als in der Tür dieses scheußliche Gesicht von vorher auftauchte, und in einem Sturm von Vögeln begraben hörte sie nur noch die Tür aufgehen und sank niedergestreckt zu Boden ... Epilog: Epilog -------------- Tifa wand sich schwer atmend, als sie eine vertraute Stimme ihren Namen rufen hörte: „Tifa. Tifa! Tifa!“ Sie schlug die Augen auf und zuckte kurz erschrocken zurück. Cloud tat es ihr gleich. „Was?“, fragte er. „Ich ...“ Tifa hatte es die Sprache verschlagen. Wie kam sie wieder auf die Couch vor dem Fernseher? Wie kam Cloud hierher? Ihre Blicke gingen durch das Zimmer. Durch das Fenster sah sie wieder den schweren Regen – hatte sie nicht die Rollos heruntergelassen? Im Fernseher sah sie wieder die Schneelandschaft von vorher – aber der Film war doch zu Ende gewesen! Sie sah an sich hinunter. Sie hatte immer noch Rock und T-Shirt an. Die Uhr neben dem Fernseher zeigte halb zwölf. Langsam dämmerte es ihr. „Ich hab ... nur ... geträumt ...“ „Oh“, machte Cloud. Er setzte sich zu ihr aufs Sofa. „War wohl kein netter Traum?“ „Ganz und gar nicht“, erwiderte Tifa, die es immer noch nicht glauben konnte. Obwohl so absurd, war ihr der Traum gar nicht wie ein solcher vorgekommen. Er hielt sie immer noch fest im Griff. Cloud legte ihr einen Arm um die Schultern. Ihr Herz schlug noch immer heftig. Langsam differenzierte sie zwischen Traum und Realität. Sie hatte sich Cloud und die Kinder wohl so sehr zurückgewünscht, dass sie davon geträumt hatte. Und die zuvor angeschauten Gruselfilme hatten offensichtlich ihren Weg in ihren Traum gefunden. Während sie ihren sehr packenden Albtraum verarbeitete, atmete sie tief durch. Sie schmiegte sich in Clouds Umarmung. „Ihr seid wieder da, ja?“ „Ja, bei dem Wetter hab ich die Kinder lieber mitten in der Nacht wieder zurückgejagt, als sie Sturm und Regen auszusetzen“, erklärte ihr Cloud. „Als Mann wärst du natürlich bei dem Wetter trotzdem verharrt“, scherzte Tifa. „Natürlich“, pflichtete Cloud ihr trocken bei. „Ich hab sie direkt hoch geschickt, es ist spät. Somit wären wir also ...“ – Er schaute ihr tief in die Augen – „... unter uns ...“ Auf Tifas Gesicht stahl sich nach all dem Schrecken endlich wieder ein Lächeln. Sie beugte sich vor, Cloud nahm ihr Gesicht sanft in die Hände, beide schlossen die Augen ... Als Denzel und Marlene lärmend die Treppe heruntergerannt kamen. Cloud und Tifa sprengten auseinander, die Kinder stürmten das Sofa und stürzten sich kuschelnd auf Tifa, die, froh, dass es ihren Babys gut ging, Marlene an ihre Brust drückte, während Denzel Tifas Bauch fest mit beiden Armen umschlang. Tifa herzte ihre Kinder liebevoll und sah aus dem Augenwinkel, dass Cloud sich beeilte, den Film auszuschalten, der wirklich nichts für die beiden war. „Was glaubt ihr eigentlich, was ihr hier noch macht?“, wandte er sich dann an Denzel und Marlene. „Ich hab euch ins Bett geschickt, Schlafenszeit war schon vor Stunden.“ „Och“, wandte Tifa verständnisvoll ein, während die beiden Kinder große bittende Augen machten. „Die beiden freuen sich, wieder im Trockenen zu sein, das ist alles. Und vielleicht können wir ja auch einfach alle zusammen hier auf der Couch schlafen.“ „Ähm, Tifa“, sagte Cloud leise und beugte sich zu ihrem Ohr. „Ich fänd’s schon ganz nett, wenn wir zwei ... allein ...“ Er ließ den Satz unbeendet, aber Tifa verstand schon. Trotzdem fand sie es gerade auch so ganz gemütlich. Gelegenheit für ein bisschen Erwachsenenzeit zu zweit würde es noch zur Genüge geben. Sie warf Cloud einen langen Blick zu, der schließlich einknickte: „Ihr habt ja recht.“ Überglücklich machten es sich die beiden Kinder auf und zwischen ihnen gemütlich, Tifa breitete die Decke über sie alle aus und keine fünf Minuten später waren Denzel und Marlene, um die späte Uhrzeit vollkommen erschöpft, auch schon eingeschlafen. Für Tifa hingegen, die immer noch an den Horror dachte, von dem sie geträumt hatte, war an Schlaf noch nicht zu denken. Sie rückte so nah wie möglich an Cloud heran. „In meinem Traum warst du irgendwie der Böse“, hauchte sie ihm zu. „Wie bist du denn auf so was gekommen?“, fragte Cloud entrüstet. Tifa zuckte die Schultern. „Weiß nicht, vielleicht wegen The Shining.“ „Nein, das war falsch formuliert“, sagte Cloud mit einem gemeinen Grinsen. Tifa spürte wieder leisen Schrecken in sich aufsteigen. Cloud schaute ihr fest in die Augen. „Ich meine, wie bist du dahinter gekommen?“ Tifa erstarrte innerlich. Nicht schon wieder. Nicht jetzt. In der Realität. Oder träumte sie schon wieder? Immer noch? „Oh Gott, Tifa!“, sagte Cloud, den Tifas Reaktion wohl erschreckt hatte. „Ich wollte dich doch nur ein bisschen ärgern! Beruhig dich mal!“ „Oh, du!“, hauchte Tifa. Sie schnaufte vor Wut. Zu Clouds Glück wurde sie vom Gewicht von zwei Kindern zurückgehalten. „Cloud Strife, sobald diese beiden nicht mehr auf mir drauf liegen, bring ich dich so was von um!“ Dass Cloud daraufhin über sie lachte, machte ihre Wut nicht besser. Er strich zärtlich mit einem Finger über ihre Wange. „Tifa, es war ein Traum, beruhig dich. Ich bin hier und pass auf dich auf, auf euch alle drei, du kannst vollkommen beruhigt schlafen, alles ist gut, du bist sicher und“ – Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen leichten Kuss auf die Lippen – „ich liebe dich.“ „Ja“, räumte Tifa ein. Sie schmiegte sich mit den Kindern in die Kissen, während Cloud ihr beruhigend über die Haare strich. Allmählich schloss sie die Augen. Ihr Atem ging ruhig, ihr Herzschlag kam langsam runter; draußen hörte sie einen gleichmäßigen Regen prasseln, der Sturm flaute ab. Sie merkte gar nicht, wie sie langsam in einen ruhigen, traumlosen Schlaf hinüberglitt. Sie waren alle sicher. Alles war gut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)