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Masquerade, Masquerade

Ahh!! It’s Halloween …
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier bin ich wieder! Halloween ist zwar vorbei - aber ich wünsche dennoch viel Spaß mit dem neuen Kapitel! Komplett anzeigen

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Masquerade, Masquerade

Die Gestalten verschwammen zu einer einzigen, quietschbunten, zähflüssigen Masse. Sie zog ihn weiter, an blutüberströmten Gesichtern, ekeligen Fratzen, Vampiren und Kürbisköpfen vorbei in eine einsame Gasse. Das Kopfsteinpflaster war feucht, glitschige Sturzgefahr für ihre hochhackigen Schuhe. Der nasskalte Herbstwind heulte, ließ ihr knielanges Kleid im Gothic-Lolita-Stil um ihre schlanken Beine flattern. Ursprünglich hatte sie als Hexe gehen wollen, aber ihre Verkleidung war letztendlich in ein undefinierbares Mischmasch verschiedener Stile ausgeartet.

Sie bogen um eine weitere Ecke, wo sie ihn neben einer kaputten Straßenlaterne gegen die Wand presste und ihm einen Kuss auf die goldenen Fuchslippen drückte. Er hob apathisch die Arme, betastete die verzierte venezianische Maske auf ihrer Nase und strich über ihr Haar, schweigsam, immer noch schweigsam.

Sie lächelte, fuhr mit den Fingern die breiten Schultern nach, die sie schon in dem Moment beeindruckt hatten, in dem sie ihn gesehen hatte. „Na? Warum so schüchtern?“ Ihr warmer, nach Alkohol riechender Atem wurde von seiner Maske in ihre eigene Nase reflektiert. Kein Atem aus der Mundöffnung des goldenen Gesichts. Er hielt also die Luft an. Dabei hatte sie noch gar nicht angefangen, ihm den Atem zu rauben.

Die Laterne blitzte kurz auf, wurde wieder finster, warf ihre Schatten erneut, während in der Ferne eine Kirchenglocke läutete, doch sie zählte die Schläge nicht. „Findest du nicht, dass das Ding im Weg ist?“ Sie drehte seine Maske ein wenig zur Seite, gerade so weit, dass sie im Dunkel das saubere Weiß seiner Zähne leuchten sah. Sie küsste ihn auf den Mund, fuhr mit der Zunge über seine geöffneten Lippen. Schließlich fand sie seine Zunge, erst leblos wie ein totes Tier, dann träge tastend. Sie kam ihr kühl und rau vor. Er rührte sich immer noch nicht, wie ein schüchterner Schuljunge stand er da, starr wie ein Brett. Sie legte seine Hände auf ihren Hintern und machte sich, ohne den Zungenkuss zu unterbrechen, an seinem Hosenbund zu schaffen.

Ihre Finger waren ungeschickt, der Alkohol forderte seinen Tribut. Sie lächelte entschuldigend. „Weißt du, du könntest mir ruhig helfen“, hauchte sie ihm ins Ohr. Ihr warmer Atem wurde zu weißen Dampfwölkchen im Halbdunkel, kaum sichtbar. Ihr Herz schlug schnell und ihr Blut schien vor Hitze verdampfen zu wollen. Flüssiges Feuer wallte durch ihren Körper, Alkohol und Verlangen.

Die Laterne surrte, das Licht zuckte und flackerte. Immer noch kam keine Reaktion von ihm, keine Antwort, nichts. Er schwieg schon die ganze Zeit, und schwieg und schwieg und schwieg. „Sag mal, bist du aus Stein?“ Ärgerlich hörte sie auf, an seiner Anzughose zu nesteln, und presste sich stattdessen gegen seinen muskulösen Körper, legte die Hände auf seinen breiten Rücken. „Oder einfach nur schüchtern?“, flüsterte sie neckisch.

Seine Maske hing schief, immer noch ließ die kaputte Laterne nichts als Schatten darunter erkennen. Sie warf ihr langes, silbern gefärbtes Haar zurück und drückte ihm einen weiteren Kuss auf die Lippen. Das schien ihn endlich aus seiner Trance zu wecken. Als sie sich von ihm löste, hörte sie seinen Atem wieder, schwer und schnell, und er streckte eine Hand nach ihr aus. Sie schloss ihre Finger um seine und küsste ihn abermals. Langsam erwachte er, wie eine Eidechse in der Sonne nach einer kalten Nacht. Seine freie Hand fuhr ihre Hüften entlang, bis zu ihren Haarspitzen, strich durch die Strähnen, seine Finger tasteten sich bis zu ihrem Kopf entlang.

Den nächsten Kuss erwiderte er fordernd, und das Plastik seiner Maske schlug ihr gegen die Nase. Sie hakte die Finger darunter. „Weg damit“, schnurrte sie. „Ich will dein Gesicht sehen.“ Damit riss sie ihm die goldene Fuchsmaske vom Kopf, gleichzeitig auch ihre eigene. Und im selben Moment, in dem sie in das Gesicht darunter starrte, sah sie, wie es sich verzerrte, zornig, verzweifelt, traurig, hasserfüllt. Seine Hand schnellte vor, Finger wie Krallen stießen in ihr Gesicht, Zeige- und Mittelfinger bohrten sich in ihre Augenhöhlen, der Daumen in ihren Mund, und er brach ihr mit einem solchen Ruck das Genick, dass das Knacken in der leeren Gasse widerhallte.

Schließlich setzte er seine Maske wieder auf und bedachte die Leiche mit keinem Blick, keinem Gedanken mehr, als er zur Straße zurückging. Er tauchte in der Menge unter, verschmolz mit den anderen grausigen Schemen, die die Straßen bevölkerten.

Denn es war Halloween, und das wahre Blutvergießen stand erst bevor.

Grab your mask and don’t be late!

So schrill und laut kreischte die Türklingel für gewöhnlich nicht. Es war ein Kreischen, das durch Mark und Bein fuhr, jede Faser seines Körpers vibrieren ließ und seine Zähne zum Jucken brachte. Obwohl er das Geräusch erwartet hatte. Obwohl er vorbereitet war. Und obwohl er das hier eigentlich nur schnell hinter sich bringen wollte.

Wieder kreischte es, ein atemloser, mechanischer, gequälter Ruf, der nicht eher nachgeben würde, ehe er Antwort erhielt. Für gewöhnlich kreischte die Türklingel nicht so schrill. Für gewöhnlich läuteten aber auch keine kleinen Geister Sturm.

Er gab ihrem Drängen nach und drückte die kühle Klinke nach unten. Drei halb gefüllte Körbe sprangen ihm entgegen. „Süßes oder Saures!“

„Ich hätte lieber Süßes, aber ich nehm‘ gern beides“, sagte Tai grinsend.

Die drei Kinder waren verdutzt über diese Antwort. Ohne etwas zu erwidern, streckten sie ihm nur drängend ihre Süßigkeitenkörbe entgegen. Eines steckte in einem putzigen Ganzkörper-Wolfskostüm, das zweite hatte einen Kürbiskopf und das dritte versuchte unter einem bleichen Laken einen Geist zu imitieren.

„Darf ich mir aussuchen, was ich davon haben will?“, fragte Tai.

„Nein“, quietschte der Geist. Ein Mädchen, vermutete er. „Du musst uns was geben!“

„Was Saures?“

„Was Süßes!“ Die anderen gaben zustimmendes Gemurmel von sich.

Tai erkannte, dass er genug herumgespielt hatte. „Hier“, meinte er gutmütig und verteilte eine Handvoll Karamellbonbons auf die Körbe. Die drei bedankten sich und huschten zur nächsten Tür. Eigentlich war dieser Brauch ja ganz niedlich.

Sein Handy blinkte, als er ins Wohnzimmer zurückging. Eine SMS von Matt. Zehn Minuten. Zeit, das Kostüm anzulegen.

Als es erneut an der Tür klingelte – besonnener diesmal – starrte Tai ein aufgedunsenes, mit Klopapier umwickeltes Gesicht aus dem Spiegel entgegen. Eine billige Verkleidung, aber aus der Ferne sah sie nicht schlecht aus. Er wickelte die Bandagen um seinen Oberkörper und befestigte sie am Gürtel.

„Ich mach auf!“ Kari hatte natürlich viel länger gebraucht, um sich fertig zu machen, darum war es an ihm hängen geblieben, die Halloweengeschenke zu verteilen. Als er zur Tür kam, hörte er bereits ihr helles Lachen.

Wieder standen drei Personen vor der Tür. Das Licht aus dem Flur pustete ihnen die Schatten aus dem Gesicht, die sich hinter ihnen in stockdunkler Nacht sammelten. Ein Werwolf, ein Vampir, ein Mensch … woran erinnerte ihn das nur?

Am gruseligsten sah Sora aus. Im fahlen Licht schimmerte ihre Haut weiß. Tiefe Ringe zogen sich unter ihren Augen, denen rote Kontaktlinsen einen blutigen Glanz verliehen. Die Lippen waren ebenso rot, und eine Blutspur lief aus ihrem Mundwinkel zu ihrem Kinn, wo sie in einem täuschend echt aussehenden Tropfen endete. Ihre Kleidung bestand vornehmlich aus schwarzen Fetzen und einem langen, schwarzroten Cape mit hohem Kragen. Einzig das Lächeln, das sie Tai schenkte, passte nicht zu dem blutrünstigen Ungeheuer, das sie darstellen wollte.

T.K. war der Werwolf. Ein zotteliger, schmutzig brauner Pelz überzog seinen Körper und verströmte muffigen Geruch. Eine Kapuze rahmte seinen blonden Haarschopf ein, der Oberkiefer des Wolfes ragte über seine Nase. Zähne aus Plastik senkten sich vor seine Augen, unter einer knubbeligen, schwarzen Nase. Und dann war da noch sein Bruder.

„Woah, Matt“, stieß Tai hervor. „Hast du mich erschreckt. Deine Verkleidung ist die furchterregendste, die ich heute gesehen habe.“

„Halt die Luft an“, murrte Matt. „Wenn ihr euch unbedingt zum Affen machen wollt, bitte, aber ohne mich.“ Er trug kein Kostüm, war einfach er selbst; schwarze Jacke, schwarze Hose, beides aus Leder, dazu sportliche Sneakers. Ein einzelner, diamantförmiger Ohrring wurde sichtbar, als ein Windstoß sein schulterlanges Haar zerwühlte.

„Musst du so langweilig sein?“, maulte Tai.

„Hör auf, Tai“, mischte sich Kari ein und lächelte Matt an. „Danke, dass du trotzdem mitkommen willst.“

Matt brummte irgendwas und Tai sah sich die Verkleidung seiner Schwester an. Sie war ohne Zweifel die kunstvollste von allen. Kari trug hochgeschlossene Stiefel und über ihren Leggins einen bunten, ausgefransten Rock, der nur bis knapp über die Knie reichte. Ein zerfledderter Mantel umklammerte ihre Schultern und auf ihrem Kopf thronte ein gewaltiger Hexenhut mit krummer Spitze und breiter Krempe, um den eine braune Lederschnalle geschlossen war. Sogar einen Besen hielt sie in der Hand, alt und zerkratzt und mit mystischen Runen verziert. Neben ihr kam sich Tai in seinem behelfsmäßigen Mumienkostüm schäbig vor.

„Können wir dann?“, fragte T.K. ungeduldig.

„Klar.“ Die Geschwister nickten, Tai schloss die Tür ab. Heute würden keine Geister mehr Süßigkeiten von ihnen bekommen. Von jetzt an waren sie die Geister.

Die fünf glitten in der Dunkelheit davon, in eine Nacht, die nach Streichen und Geheimnissen, Angst und Spaß, mottenzerfressenen Verkleidungen und Oktoberkälte duftete.

 

Halloween zu feiern war in Japan eigentlich kaum üblich. Der Tanz der Geister, Hexen und Ungeheuer umklammerte den Westen mit seiner Magie, nach Tokio hatte er seine Klauen aber noch nicht ausgestreckt – und wenn, dann nur den kleinen Finger. Wie um das zu ändern, wurde heute erstmals eine Kostümparty nie dagewesenen Ausmaßes gefeiert – schaurige Gestalten drängten sich von einem Kuriositätenstand zum nächsten, besuchten Wahrsagerzelte, Geisterbahnen, Exorzismusschauspiele und Monsterparaden. Die Stadtverwaltung hatte keine Kosten und Mühen gescheut, diese Attraktionen, anderthalb Kilometer langes Halloweenvergnügen, zu inszenieren, und Werbung dafür hatte man schon zum Ende des Sommers an Plakatwänden prangen oder im Fernsehen aufblitzen sehen.

Und welcher Ort wäre wohl passender für ein Spektakel, das die Grenzen der Wirklichkeit mit dem Geisterhaften verschwimmen ließ, als das Westend-Viertel? Fast war es, als versuchte man die Monster, die vor Jahren hier aufgetaucht waren, durch das Antanzen anderer, längst nicht so erschreckender, dafür weit zahlreicherer Monster davon abzuhalten, jemals zurückzukehren.

„Wann darf man eigentlich mit Davis und den anderen rechnen?“, fragte Tai, als sie nach einer U-Bahnfahrt inmitten kichernder Geister und genervter Angestellter auf dem Heimweg von ihren Überstunden den Anfang der Halloween-Meile erreicht hatten. Die Straße war ein einziger, quietschbunter Teppich, wenn auch schattenhafte Farben vorherrschten. Es war kurz nach zehn; die kleineren, kindlichen Gestalten wurden bereits weniger. Dafür boomten die Stände, die Glühwein und Punsch verkauften. Schnatternde Gestalten hielten dampfende Plastikbecher in den Händen, viele wussten nicht, wie sie mit ihren Masken trinken sollten. Die Straße war für die heutige Nacht gesperrt worden, und man hatte Feuerkörbe und verrußte Kohleöfen hergeschafft, an denen die Geister Zuflucht vor der schneidenden Nachtluft suchen konnten.

„Yoleis Kostüm ist nicht rechtzeitig fertig geworden“, sagte T.K. mit einiger Verspätung. Er hatte beobachtet, wie jemand mit sich bauschendem Umhang lachend an ihnen vorbeigerauscht war, verfolgt von einem Zombie, der gurgelnde Schreie ausstieß. „Sobald die letzten Fäden drin sind, kommen sie nach.“

„Ich bin schon gespannt, wie sie aussehen wird“, meinte Kari. „Sie hat sich so viel Mühe gegeben, und niemand darf das Kostüm sehen, ehe es fertig ist, hat sie gesagt.“

„Seht mal, dort drüben! Die haben ja echt einen Heidenaufwand getrieben!“ Tais Finger deutete auf eine Seitengasse – zumindest war sie vermutlich mal eine Gasse gewesen. Jetzt war dort nur ein riesiges Maul aus karmesinrotem Stoff zu sehen, mit wirklich gut gemachten, geifernden Zähnen. Zwei Stränge eiserner Schienen verschwanden darin, und auf der Hauswand daneben prangte über einem Pfeil die Neonschrift: Highway to Hell. Etwas unpassend für ein riesiges Maul, in dem hin und wieder kleine Waggons verschwanden, die aussahen, als hätte man zu klein geratene Draisinen mit Papp- und Holzwänden aufpeppen wollen.

Ein halbes Dutzend verkleideter Gestalten standen sich vor dem Maul die Beine in den Bauch. „Eine ganze Gasse als Geisterbahn“, sagte Kari staunend.

„Wahrscheinlich hätten sie anderswo den Ständen den Platz weggenommen“, kommentierte Matt trocken.

Tai war schon auf halbem Weg zu der Menschenschlange. „Wie sieht’s aus, fahren wir eine Runde?“

„Das Ding ist mehr schlecht als recht zusammengebastelt. Wie gruselig kann das schon sein?“, fragte Matt und deutete auf das Preisschild. „Dafür sind mir tausend Yen echt zu schade.“

„Spaßbremse“, murrte Tai. „Sora, du fährst mit, oder?“

„Ich … ich weiß nicht so recht“, murmelte die frischgebackene Vampirin.

„Ach, komm schon, das wird ein Heidenspaß! Und man kann zu zweit fahren. Das ist der erste Halloween-Umzug im Westendviertel, also habt euch nicht so.“

„Du bist wie ein kleines Kind“, schnaubte Matt. „Wenn du mit der Geisterbahn fahren willst, dann irgendwo in einer richtigen in einem Vergnügungspark.“

Da sie mit Tai Schritt halten mussten, hatten sie das hintere Ende der Schlange erreicht. Ein bärtiger Mann, dessen Verkleidung ihn wohl zu Frankensteins Monster machen sollte, nahm eben von einem jungen Pärchen Geld entgegen, hieß sie in den nächsten Wagen einsteigen und sah zu, wie sie in dem finsteren Monstermaul verschwanden, das mit schwarzen Stoffstreifen verhängt war. Wenige Sekunden später kam ein leerer Wagen auf dem anderen Schienenstrang wieder heraus. Der Anblick hatte tatsächlich etwas Unheimliches, fand T.K. In einer gewöhnlichen Geisterbahn sah man normalerweise, wie die Leute wohlbehalten zurückkamen.

„Als ob es sie wirklich gefressen hat“, murmelte Sora. Es klang ein wenig unbehaglich.

„Keine Sorge, was soll dir schon passieren?“, fragte Tai großspurig. „Du hast gegen Apocalymon und Myotismon gekämpft – eigentlich müsstest du abgehärtet sein.“

„Umso mehr überrascht es mich, dass du für solche Kindereien zu haben bist“, sagte Matt.

Tai funkelte ihn an. „Nur weil Mister Ich-bin-zu-cool-um-Spaß-zu-haben nicht mal an einem Tag wie heute den Stock aus dem Arsch kriegt, heißt das nicht, dass ich …“

T.K. hörte nicht, was er noch sagte. Aus einer vorbeischlendernden Menschentraube drang Lachen an sein Ohr, dann wurde er plötzlich von jemandem so heftig angerempelt, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Er machte einen raschen Schritt und drehte sich leicht verärgert um – und starrte in eine Maske, die nicht so recht zu Halloween passen wollte.

Der andere war ebenfalls getaumelt, seiner Körperhaltung nach. Er rückte sich das mattgoldene Fuchsgesicht zurecht, das ein wenig verrutscht war. „Oh“, sagte er. „‘tschuldige, Mann.“

Der Stimme nach steckte unter der Maske ein junger Mann, und er überragte T.K. um einen guten Kopf. Seine Kleidung war so schwarz wie Matts, aber über und über mit silbernen Kettchen behangen. Seine Stiefel klangen schwer auf dem Asphalt.

„Schon okay“, erwiderte T.K. mit einiger Verspätung, die Stirn noch immer gerunzelt. Der Blick aus den schmalen Fuchsaugen hatte sich aber bereits von seinem Wolfskostüm gelöst und glitt über die anderen. An Matt blieb er hängen.

„Hey, bist du nicht der Sänger der Wolves?“ Er schob sich an T.K. vorbei und trat auf seinen Bruder zu. „Krass. Ich bin dein größter Fan, Mann.“

„Das höre ich öfters“, sagte Matt nüchtern. Er war heute wohl wirklich nicht bester Stimmung. Wahrscheinlich bereute er es gerade, sich nicht doch verkleidet zu haben.

„Ja? Kann ich mir vorstellen.“ Der andere lachte gackernd. „Ich bin Takumi. Freut mich, dich mal live zu sehen. Also ich meine, live, von Angesicht zu Angesicht.“

„Eher von Angesicht zu Maske“, entgegnete Matt.

Takumi lachte nur wieder, machte aber keine Anstalten, der versteckten Aufforderung nachzukommen. Das Fuchsgesicht blieb, wo es war. „So kann man’s auch sagen. Steht ihr hier etwa beim Highway to Hell an? Der ist echt krass.“

„Theoretisch ja“, mischte sich Tai missmutig ein. „Nur kann ein gewisser Rocksänger scheinbar keine tausend Yen dafür aufbringen.“

„Hm“, machte Takumi. Offenbar wusste er nicht, ob er sich auf die Seite seines Idols schlagen oder Werbung für diese ach so krasse Geisterbahn machen sollte. „Die ist länger, als sie aussieht. Führt nicht nur diese Gasse da entlang, sondern macht drinnen noch eine Schleife auf einem Innenhof. Aber ganz ehrlich, tausend zu blechen ist schon ein bisschen viel. Aber wartet mal ‘ne Minute.“ Er winkte dem dicken Frankenstein bei den Schienen zu. „Hey, Ikki! Die Typen da gehören zu mir! Mach ihnen ‘nen netten Preis, ja?“ Als er sich wieder umdrehte, grinste er unüberhörbar. „Alles geklärt. Ihr könnt gratis fahren.“

„Du kennst den Mann?“, fragte Sora.

„Einer meiner besten Kumpels.“

„Klasse, danke.“ Tai knuffte Takumi freundschaftlich gegen den Arm.

„Nichts zu danken.“

„Ich denke trotzdem nicht, dass ich mitfahre“, entschied Matt und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Tai rollte die Augen.

„Ich würde fahren.“ Kari sah T.K. fragend an. Dieser zuckte mit den Schultern.

„Wenn’s wirklich gratis ist …“

„Dann fahre ich eben alleine im Wagen“, seufzte Tai. Dabei glitt sein Blick erwartungsvoll zu Sora, die schließlich auch seufzte.

„Okay. Ich bin auch dabei.“

„Ihr werdet’s nicht bereuen. Viel Spaß“, sagte Takumi.

„Fährst du etwa selbst nicht mit?“, fragte Matt leicht genervt.

Der Fuchskopf winkte ab. „Ich war vor zwei Stunden schon mal drin. Ein zweites Mal ist irgendwie witzlos, meint ihr nicht? Aber ich weiß, wo die Wagen wieder rauskommen. Wir können ja ganz gemütlich dorthin schlendern und auf euch warten.“ Bei diesen Worten sah er Matt an und T.K. kam Takumi plötzlich wie einer von Matts Groupies vor. „Unterwegs können wir über Musik reden, was meinst du? Ich spiel übrigens auch in einer Band.“

Matt zuckte mit den Schultern. „Von mir aus. Dann muss ich sie wenigstens nicht suchen.“

„Also dann.“ Takumi machte irgendeine nicht zu identifizierende Geste in T.K.s, Soras, Karis und Tais Richtung und marschierte dann los. Matt folgte ihm.

„Bis dann, und viel Spaß!“, rief Tai ihm sarkastisch hinterher. T.K. wusste nicht, warum, aber als sein Bruder und der andere in der Menschenmenge untertauchten, hatte er irgendwie ein mieses Gefühl dabei.

 

Der Mann, den Takumi vorhin Ikki genannt hatte, verlangte tatsächlich kein Geld von ihnen, wirkte aber sichtlich unglücklich dabei. Sie waren vorerst die Letzten in der Schlange, und vielleicht lief die behelfsmäßige Geisterbahn zwischen all den anderen bunten Ständen auch gar nicht so gut, wie man meinen könnte. Dabei musste es eine Menge Geld gekostet haben, sie hier aufzubauen. Die Wagen waren allesamt fest mit den Gleisen verbunden und wurden wohl elektrisch angetrieben. Und hinter dem gierigen Maul war eine dunkle Röhre aus Stoff zu sehen, die die Gasse völlig ausfüllte.

Sora setzte sich neben Tai in den Wagen. Ein zweiter kam eben zurück; so würden T.K. und Kari kurz nach ihnen starten können. Sora wollte es nicht zugeben, aber ein wenig flau war ihr schon im Bauch. Tai scherzte indessen bereits über den Zustand der Gleise und Wagen und das Grinsen in seinem von Klopapier umwickelten Gesicht wirkte etwas gezwungen.

Mit einem Ruck, der ruhig sanfter hätte sein können, setzte sich ihr Waggon in Bewegung und Soras Herz machte im selben Moment einen Satz. Sie hasste Geisterbahnen. Ob sie es bereuen würde, Tai eine Freude machen zu wollen?

Tai johlte, als sie langsam auf das Maul zufuhren. Die Stoffstreifen glitten rau über Soras Gesicht, dann fanden sie sich in fast völliger Schwärze wieder. Sie wünschte sich, ihr Freund würde weiterlachen, doch er verstummte – als wäre er plötzlich verschwunden und sie allein in einer fremden Dimension gefangen. Dass sie aus Erfahrung wusste, dass andere Dimensionen existierten, trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei.

Der Waggon bewegte sich vollkommen lautlos. Fast war es, als stünde er still … Wie ein Wagen auf der höchsten Spitze einer Achterbahn, kurz bevor er sich ins Tal stürzte. Soras Hände umklammerten den Rahmen des Waggons fester. Sie hätte bei Matt und Takumi bleiben sollen!

Ein Kreischen rechts von ihr ließ sie zusammenfahren. Plötzlich war dort ein blutroter Lichttropfen, hinter einem vergitterten Fenster … gehörte das schon zur Geisterbahn? Oder war das ein ganz normales Fenster von einem der Gebäude hier in der Gasse und jemand hatte eine Kerze oder etwas anderes dahinter angezündet?

Richtig, sie war in einer Gasse. In einer ganz normalen Seitengasse im Westend-Viertel. Hier irgendwo in der Nähe hatten sie mal gegen ein Mammothmon gekämpft und waren da gerade mal elf Jahre alt gewesen – warum hatte sie dann nur solches Herzrasen?

Das Leuchten verglomm hinter ihr. Also bewegten sie sich tatsächlich langsam die Gasse entlang. Ein zweites Irrlicht erschien auf der linken Seite. Als ihr Blick wie magisch davon angezogen wurde, streifte er auch ein halb im Schatten liegendes … Etwas. Es wirkte wie eine dunkle, in Fetzen gehüllte Puppe, die jemand an die Wand genagelt hatte … Wahrscheinlich war es genau das.

Dann bewegte sich das Ding plötzlich. Etwas wie ein dürrer Arm deutete auf Sora.

Sie spürte, wie Tai neben ihr zusammenzuckte. Gegen ihren Willen musste sie lächeln. Er war also noch da. Natürlich. Er hatte sie nicht alleingelassen. Ihre Fantasie drohte nur gerade mit ihr durchzugehen, nichts weiter. Vorsichtig griff sie nach seiner Hand, die wie ihre die metallene Brüstung umklammerte. Sie fühlte Kälte unter ihren Fingern, aber es war ja schließlich Ende Oktober.

„Wenn wir weiter so dahinkriechen, dauert es ja ewig, bis wir drüben sind“, murmelte er.

Hauptsache, wir kommen überhaupt an … Sora schüttelte energisch den Kopf. Wo kam dieser Gedanke her? Sie machte sich doch lächerlich!

Doch der Wagen kroch tatsächlich so langsam über die Schienen, als müsste er gegen zähen Schleim ankämpfen, der den Boden bedeckte … einen Sumpf, unter dem alles Mögliche lauern konnte … und hatten die eisernen Räder nicht gerade so geruckelt, als wären sie über etwas Weiches gefahren?

Völlige Finsternis, ein leichter Luftzug. Sora hörte nur das Blut in ihren Ohren rauschen. Wo war der Lärm des Halloween-Umzugs? Ganz in der Nähe fand doch eine Party statt! Als hätte sie tatsächlich ein Monster geschluckt … Plötzlich hielt sie es nicht mehr aus. Die Stille, die Finsternis – sie konnte nicht mal mehr Tais Gesicht sehen, und die Hand unter ihren Fingern wirkte nach wie vor so kalt und leblos, als gehörte sie gar nicht ihm … Nein, sie musste sich umdrehen, nach den rötlichen Irrlichtern sehen, die ihr wenigstens die Gewissheit gaben, dass noch irgendetwas in dieser Gasse existierte außer der harten Sitzbank unter ihr …

Sie verrenkte sich fast den Nacken, als sie mit dem Blick hinter sich stocherte. Im nächsten Moment wünschte sie sich, es nicht getan zu haben. Sie sah tatsächlich noch eines der Irrlichter, aber gleich daneben … Aus einer Nische glühte noch etwas anderes, Grünes, das verdächtig nach glotzenden, verdrehten Augen aussah. Sora lief ein weiterer Schauer über ihr Rückgrat. So sehr sie sich vorher über die plötzliche Bewegung der Puppe erschrocken hatte, so unheimlich war ihr die absolute Reglosigkeit der Kreatur in der Nische. Ein beängstigender Gedanke drängte sich ihr auf. Wenn doch die Puppen in einer Geisterbahn für gewöhnlich heulten und zappelten und wackelten, was machte dann ein Wesen hier, das augenscheinlich auf etwas lauerte? Noch dazu in einer Falte in dem schwarzen Stoff, mit dem die Gasse tapeziert war, sodass man es gar nicht sah, es sei denn, man drehte sich um? Das Ding dort konnte doch gar nicht zur Geisterbahn gehören, oder? Es war hinter ihnen, als würde es sich langsam an die zäh dahinrollenden Wagen anpirschen, als hätte Sora es dabei ertappt, und als würde es sich auf sie stürzen, sobald sie es aus den Augen ließ …

Reiß dich mal zusammen, schalt sie sich. Die Leute, die die Geisterbahn hier gebaut haben, waren einfach schlau. Sie wussten, dass man sich in dieser Dunkelheit umsehen würde, darum ist das Ding hinter uns. Sora zwang sich, wieder nach vorn zu schauen. Ein blutroter Lichtschimmer glomm dort eben auf. „Tai?“, wisperte sie. Es kam keine Antwort. Die Hand unter ihren Fingern war eiskalt und leblos. „Tai?“, fragte sie lauter. Ihre Stimme klang hoch und heiser. Er regte sich nicht.

Unter den Rädern ruckte es und sie spürte, wie die Schienenstrecke nach rechts führte. Das Licht kam näher; bald sollte sie wieder Tais Umrisse erkennen können. Was würde sie sehen …? Nichts. Einfach nur Tai, wie er die Geister anstarrt, redete sie sich ein – aber es war die Stimme der Vernunft, die das sagte. Und Vernunft hatte noch in keinem Horrorfilm geholfen, und erst recht half ihr Vernunft nicht in einer abgekapselten Dimension, in der womöglich andere Gesetze galten als in der Realität.

Etwas Kaltes tropfte auf ihre Schulter, wie ein Stich von einem Eiskristall. Sora zuckte zusammen und stieß einen kleinen Schrei aus. Etwas saugte sich in den Stoff ihres Capes, nass und eklig.

Tai fuhr neben ihr zusammen. „Boah, spinnst du?“, zischte er. „Kannst du mir mal verraten, warum du plötzlich kreischst?“

„Da ist was auf mich runtergetropft“, verteidigte sie sich gereizt, war aber heilfroh, ihn wieder neben sich zu wissen. Selbst seine Hand schien wieder wärmer zu sein als noch vor einer Sekunde. „Warum hast du vorhin nicht geantwortet?“

Sie hörte ihn schnauben. „Wozu? Du klammerst dich ja eh an mich.“

Sie setzte zu einer scharfen Erwiderung an, doch der Wagen fuhr um eine Ecke und die Worte blieben ihr im Hals stecken.

Das hier musste der Innenhof sein, von dem dieser Takumi gesprochen hatte. Die Gleise beschrieben eine Schleife nach rechts, und hier war wohl das Highlight der Geisterbahn zu bestaunen. Das rote Licht kam von einem unangenehm organisch aussehenden, pulsierenden Klumpen, der an einer Hauswand klebte … als würde dort ein schlagendes Herz vor sich hin pumpen. Daneben strömte grünlicher Rauch direkt aus den Gleisen, und dahinter war eine riesige Dämonenfratze zu sehen, die die Schienen verschlang, noch viel elaborierter als das Maul am Eingang. Es musste sich um eine Konstruktion aus Holz und Eisenstangen handeln. Von gelben Zähnen tropfte zäher Speichel.

Der grüne Nebel hüllte sie ein. Er war kalt und roch auch so; Sora spürte ihre Gänsehaut wieder. Sie zogen die Köpfe ein, als das Dämonenmaul auf sie herab geiferte. „Die haben sich das echt was kosten lassen“, murmelte Tai. „Ich meine, die müssen den Sabber ja auch wieder nach oben pumpen.“ Sora war dankbar, dass er die Situation so gelassen und vor allem realistisch analysierte.

Nach dem Maul neigten sich die Schienen wieder nach links und führten dicht an der Hausmauer vorbei. Dort zeigte sich, nun von Nebel befreit und von blutigem Licht erhellt, das wohl grausigste Schauspiel, das die Geisterbahn zu bieten hatte. „Oh mein Gott“, hauchte Sora, als ihr Blick die Wand streifte. Ihr wurde übel, doch irgendwie schaffte sie es nicht, den Blick abzuwenden. Etwas Ziehendes klammerte sich von innen an ihre Kehle, glitt hoch in ihre Nase und ließ ihre Augen tränen, als sie mehr und mehr von dieser Schrecklichkeit in sich aufsaugten.

„Scheiße“, murmelte Tai. „Das sieht verdammt echt aus …“

Sora brachte kein Wort mehr heraus. Ihre Hand krallte sich wie von alleine in seinen Oberarm und sie drückte sich an ihn, als der Waggon nahe an dem grässlichen Muster vorbeiglitt, das das herablaufende Blut auf die Mauer malte. Glänzendes, nasses Rot fraß sich in die Ritzen der Hauswand und sickerte durch das poröse Mauerwerk, und es sah fast so aus, als würde das Haus selbst bluten, als pumpte das monströse Herz von vorhin seinen Lebenssaft ins Leere. Allerdings kamen die Rinnsale eindeutig von oben, hatten ihren Ursprung in dem menschlich erscheinenden Körper, der mitten in einem gigantischen Spinnennetz hing, etwa vier Meter über dem Boden. Kopfüber hing die Puppe da, totenbleich in einem blauen Overall, klebte fest auf knochenweißen, fast armdicken Strängen. Arme und Beine waren zum Teil in Spinnenfäden eingewickelt – teilweise in einigem Abstand zum Körper.

Sora hatte im ersten Moment geglaubt, sie würde sich täuschen, doch leider war dem nicht so. Ein Arm des Körpers war knapp über dem Ellbogen abgetrennt; ein Bein baumelte, nur von ein paar dünnen Fäden gehalten, direkt über ihnen und sah aus, als würde der kleinste Windstoß es herunterreißen … Je länger Sora diesen Albtraum betrachtete, desto mehr schreckliche Details machte sie aus. Die Wundränder der abgerissenen Gliedmaßen wirkten zermatscht, ausgefranst, als hätte jemand daran geknabbert, das gigantische Maul vielleicht, durch das sie vorhin gefahren waren, vielleicht hatte einer der vorherigen Gäste der Geisterbahn Pech gehabt und der Dämon hatte sich entschieden, auf ihm herumzukauen … Auch die Hüfte der Puppe machte den Eindruck, als fehlte einfach ein Stück, rohes Fleisch lag in dem infernalischen Licht blank, die letzten Rippenbogen blitzten knöchern und rotverschmiert auf …

Tai hatte recht. Was auch immer diese Geisterbahn gekostet haben mochte, dieser Teil hier war so detailliert – von Leuten mit grausamem Geschmack – gebastelt worden, dass man sicher ein Vermögen dafür hatte ausgeben müssen.

Der Waggon wurde scheinbar noch langsamer, als sie direkt unter dem Spinnennetz waren. Was, wenn er ganz anhielt? Sora konnte den Anblick nicht mehr ertragen … und dennoch wurde ihr Blick davon angezogen wie die Zunge von einer Zahnlücke. Auch Tai starrte immer noch nach oben. „Als könnte er im nächsten Moment die Augen aufschlagen“, flüsterte er.

„Sag so was nicht!“, sagte sie inbrünstig, und noch ehe sie ausgeredet hatte, tat die Puppe genau das.

Ein Ruck ging durch den Körper, die Lider öffneten sich. Gelbe, blutunterlaufene Augen starrten in ihre Richtung, blank wie Glasperlen. Das Gurgeln, das folgte, würde sie bis in ihre Träume begleiten. Die Puppe würgte einen schmalen Faden Blut aus, der ihr aus dem Mundwinkel lief und ihre Wange verunzierte.

Sora stieß einen Schrei aus und kauerte sich auf die Sitzbank, machte sich so klein wie nur irgend möglich. Sie umklammerte ihren Kopf mit den Händen, lauschte dem Blut, das durch ihre Ohren rauschte, und kämpfte gegen das immer stärker werdende Gefühl der Übelkeit an. Bittere Galle breitete sich auf ihrer Zunge aus. Warum bin ich nur mitgefahren?, dachte sie. Ich hätte bei Matt bleiben sollen! Soll Tai sich doch allein zu Tode gruseln, wenn ihn das glücklich macht! Sie hatte das Gefühl, dass sie nie wieder würde schlafen können. Selbst wenn sie die Lider aufeinander presste, erschien der schreckliche, groteske Anblick der Spinnennetzpuppe vor ihrem inneren Auge.

„Sora! Hey, Sora!“

Sie hörte Tais Stimme kaum. Erst als er sie an der Schulter rüttelte, begriff sie, dass sie gemeint war. Zögerlich nahm sie die Arme vor ihrem Gesicht weg und hob den Kopf, um ihn anzusehen.

Tais Gesicht hing in Fetzen.

Seine Augen waren groß, die Pupillen riesig; seine Wangen eine Kraterlandschaft aus nässenden Wunden und rohem Fleisch und der Mund nichts als ein dunkles Loch …

Soras Schrei klirrte in ihren eigenen Ohren, sie zuckte vor ihm zurück, prallte mit den Rippen schmerzhaft gegen den Haltegriff. Der Waggon wippte bedrohlich, aber wäre sie plötzlich aus dieser Bahn gestürzt, wäre ihr das ganz recht gewesen. Alles war besser, als weiterhin in diesem Albtraum herumzufahren. Aber ihr Wunsch wurde ihr nicht erfüllt. Stattdessen griffen kalte Hände nach ihren Handgelenken, hielten sie fest, zwangen sie, ruhig zu sein … Wann hatte sie begonnen, um sich zu schlagen?

„Sora! Verdammt, Sora!“

Das pulsierende Licht des schlagenden Herzens erlosch für eine halbe Sekunde, flammte wieder auf, erlosch wieder. Die grässlichen Verunstaltungen in Tais Gesicht wurden wieder zu dem, was sie waren: ein sinnesverwirrendes Spiel zwischen Schatten und blutigem Licht. Die Hautfetzen verwandelten sich in lose hängende Mumienbandagen, im Loch in seinem Kiefer waren wieder Zähne zu erkennen, die Wundränder wurden wieder zu Lippen – das ganz normale Öffnen seines Mundes, als er wiederholt ihren Namen rief. Erst jetzt merkte sie, dass sie immer noch wie am Spieß brüllte.

Beschämt sank sie in sich zusammen. „Tut … tut mir leid …“, sagte sie heiser. „Für einen Moment …“ Sie brach ab. Er sah sie fragend an, drang aber nicht weiter in sie.

Sie waren die Schleife zu Ende gefahren und passierten die Herzattrappe eben ein zweites Mal. Ein anderer Wagen kam von links, gerade als sich ihrer nach rechts drehte. Darin saßen ein Werwolf und eine Hexe. T.K. und Kari winkten ihnen zu, ehe auch sie in den Innenhof fuhren.

„Viel Spaß da drin!“, rief Tai. „Macht besser die Augen zu!“

Sora hörte ihn kaum, und auch die Antwort konnte sie nicht verstehen. Sie fühlte sich seltsam apathisch … als wäre ein Teil von ihr dort drin in diesem Schlachthaus von Innenhof zurückgeblieben.

Der Rest der Fahrt glitt an ihr vorbei wie das leise plätschernde, schwarze Wasser eines nächtlichen Baches. Sie bekam kaum mit, wie ihr Wagen abermals über etwas Ekliges rumpelte und ein geisterhafter Fetzen über ihre Köpfe hinweghuschte. Selbst als beim Ausgang feuchte Stofftentakel über ihr Gesicht peitschten und Tai heftig davon zusammenzuckte, rang ihr das kaum noch eine Emotion ab. Sie wusste nur, dass sie nie wieder mit einer Geisterbahn fahren würde. Nie wieder.

Get out well disguised!

Izzy konnte diesem ganzen Halloween-Wahn nach wie vor nichts abgewinnen. Er verstand nicht, warum man dieses zweifelhafte Fest unbedingt aus dem Westen herschleppen musste, wo es doch genügend althergebrachte japanische Festivitäten gab, die immerhin Tradition hatten. Nicht, dass ihm Tradition wichtig gewesen wäre. Er griff nur bereitwillig nach jedem Strohhalm, mit dem er die Geisternacht verunglimpfen konnte. Ob es ihn in Wahrheit einfach nur gruselte? Mimi hatte ihm diese Frage gestellt, als er mit müdem Gesicht bei ihr geklingelt hatte.

„Und obwohl du nicht auf den Umzug gehen willst, drängelst du jetzt“, hatte sie fröhlich gemeint und war wieder im Badezimmer verschwunden, während Izzy seufzend gewartet hatte.

Halloween, Zeit der Geister, für Kinder eine Fundgrube für Süßigkeiten, die sicher zumeist abgelaufen waren. Für Mimi ein willkommenes Event, um mal wieder Party zu machen. Und es erinnerte sie an ihre Zeit in den USA. Von ihnen allen war sie wohl am glücklichsten gewesen, als es hieß, dass im Westend-Viertel ein nie dagewesenes Halloween-Spektakel stattfinden würde.

Natürlich musste Mimi das Fest voll auskosten, darum war es für sie fast schon eine Pflicht, sich zu verkleiden. Mimi wäre allerdings nicht Mimi gewesen, hätte sie zugelassen, dass sie in ihrem Kostüm irgendwie hässlich aussah. Gruselig, aber schick. Izzys Seufzer auf diese Ankündigung hin war nur einer von vielen gewesen. So war er lange nach der vereinbarten Zeit zu ihr gefahren und hatte geklingelt, um nachzusehen, wo sie so lange blieb. Der Feinschliff stand noch aus, und Izzy stellte sich auf eine Wartezeit von weiteren dreißig Minuten ein. Mimis Kostüm würde wohl einzigartig ein: Sie wollte als Lillymon gehen. Izzy wollte sich gar nicht vorstellen, wie lange sie schon an der Verkleidung gebastelt hatte. Eben richtete sie sich noch den blütenförmigen Hut.

„Wie passt Lillymon denn zu einem Halloween-Festival?“, hörte Izzy sich fragen.

„Na, Digimon sind ja digitale Monster“, antwortete Mimi aus dem Badezimmer, und damit schien wohl alles gesagt.

Als sie endlich strahlend aus dem Bad kam, starrte sie ihn an, als sähe sie ihn heute zum ersten Mal. „Und?“, fragte sie.

„Und was?“, fragte er verwirrt.

„Wo ist dein Kostüm? Oder setzt du nur eine Maske auf?“

„Weder noch“, sagte er.

„Aber du brauchst doch eine Verkleidung!“

„Muss das sein?“, fragte er halbherzig, als sie kurzerhand ihre Schminkutensilien vor ihm ausbreitete und ihn zwang, sich auf einen Stuhl zu setzen.

„Keine Widerrede! Du kannst nicht zu einem Halloween-Umzug gehen und dann der Einzige sein, der nicht verkleidet ist.“

Izzy verzichtete darauf, ihr von seiner Vermutung zu erzählen, dass er sicherlich nicht der Einzige wäre. Es half ja doch nichts. Unbeirrbar verpasste sie ihm ein weißes Zombiegesicht mit Nähten. „Fertig.“

„Toll. Danke“, murmelte er. „Können wir dann?“

Sora hatte ihnen vor einer halben Ewigkeit geschrieben, dass sie jetzt gleich bei Tai wären. Sie hatten sich keinen bestimmten Treffpunkt ausgemacht – Izzy fragte sich, wie er seine Freunde finden sollte, verkleidet und in einer Riesenmenge aus falschen Geistern.

Selbst die U-Bahn war proppenvoll.

„Ich bin schon so aufgeregt“, plapperte Mimi fröhlich vor sich hin. „Was meinst du, als was haben sich die anderen verkleidet? Kari ist sicher mega-niedlich! Oh, und erst Sora! Sie macht ja viel mit Klamotten, sie hat sicher das beste Kostüm von allen!“

„Ich glaube, am meisten Arbeit hast trotzdem du dir gemacht.“

Er hatte es gar nicht als Kompliment gemeint, aber sie starrte ihn mit großen Augen an. „Meinst du echt? Also gefällt es dir?“

„Klar.“ Und das war tatsächlich so gemeint.

Die U-Bahn wurde noch voller, je näher sie dem Westend-Viertel kamen, diesem Ort der Erinnerungen … Dort hatte damals alles seinen Anfang genommen, die Abenteuer mit den Digimon in der DigiWelt … Plötzlich setzte Izzy sich kerzengerade hin. „Mist!“

„Was hast du?“, fragte Mimi.

„Ich hab … Ich hab was vergessen.“

„Was vergessen? Du meinst jetzt nicht zufällig deine Verkleidung, oder?“

„Ich hab meiner Mutter versprochen, das Abendprogramm einzuprogrammieren.“ Seine Eltern feierten heute den Tag, an dem sie einander kennengelernt hatten. Zufällig war es der einunddreißigste Oktober, und da dieser Tag für sie so etwas wie ein zweiter Hochzeitstag war, gingen sie traditionsgemäß vornehm essen und besuchten dann das Lokal, in dem sich ihre Blicke zum ersten Mal gekreuzt hatten. Vor Mitternacht würden sie nicht zurückkehren, und in der Innenstadt würden sie vom Halloween-Fieber auch wenig mitbekommen. Seine Mutter hatte Izzy gebeten, die Live-Übertragung des Umzugs aus dem Westend-Viertel mit dem Videorekorder aufzunehmen. Das war gestern gewesen – und heute hatte er über seinen Ärger wegen eben jenem Fest völlig darauf vergessen, den Rekorder entsprechend zu programmieren.

„Ach, komm schon“, stöhnte Mimi, als er ihr davon erzählte. „Ist das jetzt so wichtig? Wir gehen ja sowieso zu diesem Umzug. Erzähl deiner Mutter eben morgen, wie es war.“

„Etwas erzählt zu bekommen und etwas selbst zu sehen sind zwei verschiedene Dinge“, sagte er. „Außerdem hab ich’s versprochen.“ Er studierte die Karte des U-Bahn-Netzes. „Wenn ich hier aussteige und die Straßenbahn nehme, ist es nur ein kleiner Umweg. Du kannst ja schon mal vorfahren, ich komme nach.“

Die Bahn hielt, die Türen öffneten sich. Izzy machte sich daran, auszusteigen, als Mimi sich plötzlich bei ihm unterhakte. Überrascht ob ihrer plötzlichen Nähe verkrampfte er sich ein wenig. „Vergiss es“, grinste sie. „Wenn ich dich jetzt allein gehen lasse, kommst du gar nicht mehr. Ich gehe mit dir und überprüfe, ob es nicht nur eine dumme Ausrede ist, ja? Und wenn es so ist, kannst du was erleben!“

Izzy lächelte leidend, doch es gab keine Möglichkeit, wie er hätte Nein sagen können.

 

Dieser Takumi war ein fröhlicher Zeitgenosse, zumindest soweit Matt das nach den paar Minuten beurteilen konnte. Sie quetschten sich durch die glibbrige, bunte Masse, die die Geister auf der Hauptstraße darstellten, und Matt war froh, dass Takumi die meiste Zeit von selbst redete, ohne mehr als ein Nicken als Erwiderung zu erwarten. Ehe sie die nächste Gasse erreichten und in die gekrümmte Häuserschlucht mit dem Kopfsteinpflaster abzweigten, wusste Matt die Namen aller Bandmitglieder von Takumi und aller Songs, die sie je geschrieben hatten – das heißt, er hätte sie gewusst, hätte er sich die Mühe gemacht, den verbalen Wasserfall des Jungen im Gedächtnis festzuhalten.

Die Gasse war schmal und verlassen. Es war unmöglich sich vorzustellen, dass gleich nebenan alle Arten von Geistern, Untoten und Monstern hin- und herwogten. Ein verkleidetes Pärchen knutschte neben einer rissigen Regenrinne, ansonsten wirkte das Gässchen wie ein Mordschauplatz aus einem schlechten Horrorfilm. „Wie lange braucht die Geisterbahn von einem Ende zum anderen?“, fragte Matt, als Takumi einmal Luft holte.

„Schwer zu sagen, Mann. Man erhält sich nicht wirklich das Zeitgefühl, weißt du? Aber die Waggons trödeln ziemlich rum. Wir werden sicher ein paar Minuten warten müssen.“

Die Gasse mündete in einer kleinen Straße. Hier war immerhin mehr los. Sie marschierten in die andere Richtung als zuvor. Schon kam das hintere Ende des schwarzen Schlauchs in Sicht, der die Geisterbahn war. Auch hier stand ein korpulenter Mann in blauem Overall. Die Gleise kamen unter einem Stoffvorhang zum Vorschein, beschrieben eine weite Kurve und krochen wieder in den Schlund zurück, um neue Opfer für ihre Fahrt durch die Hölle aufzunehmen.

„Sie sind noch nicht hier“, stellte Takumi überflüssigerweise fest. „Warten wir ein wenig.“

Matt sah sich nach irgendwelchen Ständen um, die Heißgetränke oder Maroni oder etwas anderes verkauften, das seine Langeweile tilgen könnte. In einiger Entfernung bot tatsächlich jemand aus einem kleinen Kasten seine Ware feil, aber das konnte alles Mögliche sein. So weit wollte Matt nicht gehen.

Es war kalt geworden. Er unterdrückte den Impuls, sich die Gänsehaut von den Armen zu rubbeln. Es war Mitte Herbst, und er lief herum wie im Spätsommer … Manchmal war Coolness trotz allem etwas Unangenehmes. „Kennst du den Typen da auch?“, fragte er Takumi und deutete auf den bulligen Geisterbahnmitarbeiter.

„Vom Sehen her vielleicht. Er war mal mit Ikki nach Feierabend was trinken, glaub ich … So oft sehen wir uns nicht.“

„Aha.“

„Hör mal, mir fällt gerade was auf.“ Es war unter der Fuchsmaske unmöglich zu sagen, aber Matt spürte, dass Takumi unverschämt grinste. „Ich hab dich die ganze Zeit vollgeschwafelt, aber du hast kaum was gesagt. Wie läuft’s in deiner Band? Plant ihr ein neues Album? Habt ihr mal wieder einen Gig hier in der Gegend? Wie macht sich euer neuer Bassist?“

„Und welche Frage soll ich jetzt zuerst beantworten?“, fragte Matt trocken.

Takumi lachte. „Sorry, Mann. Okay, das Wichtigste zuerst. Gibst du mir ein Autogramm?“

„Würde ich, wenn ich was zum Schreiben hätte.“ Obwohl Matt diese Quasselstrippe nicht leiden konnte, war Takumi doch ein Fan. Wenn schon zu nichts anderem, so war er doch zu höheren Absatzzahlen gut.

„Kein Problem, Mann, hier.“ Er deutete auf einen der Bandsticker, die auf seinem Oberarm klebten. Matt bemerkte ihn erst jetzt, und auch, dass es offenbar ein Sticker der Wolves war. „Mal deine drei Kreuze einfach da rauf.“

„Stift?“, fragte Matt erwartungsvoll.

„Kriegst du.“ Takumi fischte etwas Langes, Metallisches aus der Hosentasche. Matt spürte wieder sein Grinsen. Perplex starrte er auf etwas, das verdächtig nach einer blutigen Messerklinge aussah.

 

Hoffentlich fragte sich heute niemand, warum ein zusammengenähter Zombie in ganz normalen Alltagsklamotten und ein Pflanzendigimon, das die wenigsten erkennen würden, Izzys Appartementkomplex betraten.

Seine Eltern und er waren vor einem Jahr umgezogen und besaßen nun eine geräumigere Wohnung – allerdings im achten Stock, und ausgerechnet heute funktionierte der Fahrstuhl nicht. So fügte Izzy seiner mentalen Liste der heute mühsamen Dinge einen weiteren Punkt hinzu und erklomm mit Mimi Etage um Etage des Stiegenhauses. Mit seiner generell eher schlechten Kondition atmete er schwer, als sie endlich im richtigen Stockwerk ankamen.

„Mir fällt gerade ein, dass ich noch gar nie bei dir war, seit du hier wohnst“, sagte Mimi, als er die Wohnungstür aufschloss. Der Schlüssel drehte sich mit einem metallischen Geräusch.

„Kann schon sein …“ Er drückte die Tür auf, langte nach dem Lichtschalter … und stutzte.

Ein kurzer Flur führte an seinem Zimmer und dem Schlafzimmer seiner Eltern vorbei ins Wohnzimmer. Eigentlich müsste der Gang in Schatten daliegen – doch hinter dem offenen Türrahmen des Wohnzimmers sah er das Licht brennen. Waren seine Eltern etwa doch schon wieder zuhause? Dann hätte er den Weg umsonst auf sich genommen.

„Was hast du denn?“ Mimi beugte sich neugierig vor. „Ah – hast du das Licht brennen lassen?“

„Ich hätte schwören können, dass ich es ausgeschaltet habe“, murmelte er.

„Naja, so ist das mit diesen alltäglichen Dingen“, meinte Mimi schulterzuckend. „Programmier deinen Videorekorder und dann lass uns endlich ins Westend-Viertel fahren.“

Sie zogen die Schuhe an der Garderobe aus und gingen ins Wohnzimmer. Izzy rief nach seinen Eltern, aber es kam keine Antwort. Also waren sie tatsächlich noch unterwegs, und er hatte einfach auf das Licht vergessen, genauso wie er auf den Rekorder vergessen hatte … Ein unangenehmes Gefühl blieb. Er war eigentlich niemand, dem solche kleinen Fehler unterliefen. Hatte er wirklich das Licht angelassen?

Mit einigen wenigen Handgriffen programmierte Izzy den Videorekorder so, dass er die Halloween-Parade aufnehmen würde, die in knapp zwanzig Minuten im Westend-Viertel begann. Mimi sah sich einstweilen in der Wohnung um und setzte sich dann prüfend auf die nagelneue Couch. „Hübsch. Und wo ist dein Zimmer?“

„Willst du das auch noch sehen, oder machen wir, dass wir in die Gänge kommen?“

„Bist du denn schon fertig?“

„War ein Klacks.“ Er schaltete den Rekorder auf Standby. „Komm, die anderen warten sicher schon auf uns.“

Er folgte ihr in den Flur und achtete diesmal darauf, das Licht im Wohnzimmer tatsächlich abzuschalten. Mimi zog sich ihre dünne Herbstjacke, er seinen Mantel über und die kalte Oktoberluft empfing sie wieder. Izzy sperrte ab und wollte sich gerade auf dem Weg zum Treppenhaus machen, als Mimi ihn zurückhielt.

„Warte mal.“

„Was ist?“

„Mein Handy ist weg.“ Sie betastete ihre Handtasche, klopfte sogar das knielange Lillymon-Kostüm ab, in dem ihr eigentlich ziemlich kalt sein musste, wenn Izzy es sich recht überlegte. „Ich wollte gerade Sora schreiben, dass wir jetzt auf dem Weg sind … Ich muss es wohl, als ich …“ Sie fing neu an. „Ich meine, es muss noch in deiner Wohnung sein.“

Izzy runzelte die Stirn. „Und es ist in der Wohnung aus deiner Tasche gefallen? Ich hätte nicht gedacht, dass du so unachtsam bist.“

„Kann doch passieren, oder?“ Sie wollte eindeutig schnippisch klingen, aber irgendwie malte sich ein verlegenes Grinsen auf ihr Gesicht, das Izzy sofort verdächtig vorkam.

„Hier ist der Schlüssel“, sagte er bedeutsam und hob das klimpernde Metallteil vor ihre Nase, „aber ich schließe erst wieder auf, wenn du mir sagst, warum du dein Handy in meiner Wohnung benutzt hast.“ Mimi war nicht der Typ Mensch, der sich innerhalb von fünf Minuten Wartezeit so sehr langweilte, dass er irgendwelche Spiele auf dem Mobiltelefon spielte. Und er kannte Mimi gut genug, um zu wissen, dass etwas im Busch war.

„Ich hab nur eine SMS geschrieben“, meinte sie.

„Wem?“

„Ist das jetzt so wichtig?“

Ja.

Mimi stöhnte auf. „Also schön. Sora. Ich meine …“

„Du meinst jene Sora, die du gerade jetzt anschreiben wolltest?“, unterbrach er sie. „Mimi, du hast Fotos geschossen, oder?“

Sie hob entwaffnend die Hände. „Okay, erwischt“, seufzte sie. „Ich wollte ein Foto von dir und deiner neuen Wohnung haben, zufrieden? Du hast sie mir ja ewig lang nicht gezeigt. Können wir das Kreuzverhör jetzt einstellen?“

Ja, er war ein wenig zufrieden. Vermutlich war auf dem Foto sein Hinterkopf zu sehen, während er den Videorekorder bearbeitete, und Mimi grinste seitlich ins Bild. Oder so ähnlich. Dabei mochte er es gar nicht, wenn jemand ihn fotografierte, und schon gar nicht heimlich.

Resigniert stieß er den Schlüssel wieder ins Schloss.

„Mach nicht gleich so ein Drama draus“, wiegelte Mimi die Sache ab. „Du bist nicht so unfotogen, wie du immer tust. Dein roter Wuschelkopf sieht manchmal richtig süß aus. Und deine Wohnung ist auch schick.“

„Wie schön.“ Wahrscheinlich kursierte das Bild in spätestens zehn Minuten in allen sozialen Netzwerken, in denen Mimi ihre digitalen Fußspuren hinterließ – und das waren eine ganze Menge, wie er wusste. Der Tag heute hielt wirklich nur unangenehme Ereignisse für ihn bereit.

Er zog die Wohnungstür auf – und erstarrte.

Es war wie ein Déjà-vu. Vor kurzem erst war er perplex an der Schwelle gestanden und Mimi hatte neugierig über seine Schulter in die Wohnung gespäht – wie auch jetzt.

Das Licht im Wohnzimmer brannte. Obwohl er es ausgemacht hatte, ganz sicher diesmal! Was war hier los? Es war doch wohl kein Halloween-Streich von seinen Eltern, die sich im Schlafzimmer versteckt hielten und darauf warteten, dass er vielleicht nochmal nachhause kam, nur um ihm dann einen Schrecken einzujagen, oder?

„Sag mal, hat der Lichtschalter vielleicht einen Wackelkontakt oder so?“, fragte Mimi.

Richtig, das musste es sein. Über was für abstruse Szenarien machte er sich hier eigentlich Gedanken? Das Halloween-Fieber hatte ihn wohl auch schon infiziert.

Energisch marschierte er ins Wohnzimmer und fand Mimis Handy sofort in der Spalte zwischen den Sitzbezügen der Couch liegen. Ehe er die Hand ausstrecken konnte, hatte sie es sich schon geschnappt. „Da sind auch private Fotos drauf“, erklärte sie zwinkernd. „Aber wenn du ganz lieb bittest, zeige ich dir das von vorhin.“

Izzy hörte nur mit einem Ohr zu. Irgendetwas stimmte hier nicht. Mit der Wohnung. Mit allem.

Es war nicht einfach nur das Licht, das plötzlich wieder angegangen war. Je länger er sich im Wohnzimmer umsah, desto mehr Einzelheiten fielen ihm auf, die … anders waren als sonst. Anders als noch vor fünf Minuten. Wann war der Teppich vor dem Fernseher verrutscht? Als er sich mit dem Rekorder beschäftigt hatte? Und war der Vorhang nicht gerade vorhin noch ganz zugezogen gewesen? Nun sah man einen Spalt des Fensters.

Als er darauf zutrat, sah er seine Reflexion auf dem nachtdunklen Glas. Fast hatte er vergessen, dass Mimi ihn zum Zombie geschminkt hatte.

Dann sah er noch etwas in der gespiegelten Wohnung. Das Bild über dem Abstelltisch hing schief. Dabei achtete seine Mutter immer pedantisch darauf, dass es akkurat ausgerichtet war … Nein, er machte sich hier nur verrückt. Das war alles nur Zufall. Er hatte das Zimmer einfach falsch in Erinnerung.

Izzy zog den Vorhang wieder an seinen Platz und drehte sich um. Mimi stand neben der Couch und sah ihn fragend an. Eher zufällig glitt sein Blick zur gegenüberliegenden Wand …

Das Bild hing wieder gerade.

Izzy prickelte ein eisiger Schauer über den Rücken, wie eine Spinne mit langen, haarigen Beinen. Das war doch wohl unmöglich …

Aus einem Impuls heraus riss er den Vorhang wieder zur Seite. Der Rahmen hing diesmal auch im Spiegelbild wieder richtig. Eindeutig, seine Fantasie ging mit ihm durch … Nur was genau hatte jetzt seine Fantasie hervorgebracht, und was war die Realität?

„Hast du was?“, fragte Mimi, als er mit eckigen Schritten auf sie zuging. Wann hatten seine Glieder so zu schlottern begonnen? Hoffentlich bemerkte sie es nicht. Es war ihm schon vor sich selbst peinlich.

„Mimi, fällt dir hier was auf?“, fragte er beklommen und hasste sich dafür, dass seine Stimme so hoch klang.

„Was soll mir auffallen?“

„So … Kleinigkeiten.“ Er suchte den Raum ab. „Da! Das Telefon, siehst du?“ Das Schnurlostelefon auf der kleinen Kommode. Üblicherweise steckte es immer in der Ladestation, aber heute … Nein, nicht heute, dachte er. Es liegt garantiert erst seit gerade eben dort!

„Was soll mit dem Telefon sein?“, fragte Mimi irritiert. „Kommst du jetzt? Der Umzug ist vorbei, ehe wir in die Gänge kommen.“

Doch Izzy drehte sich nur um die eigene Achse, prüfte jeden Winkel des Raumes, und er meinte überall kleine Unstimmigkeiten zu sehen, Gegebenheiten, die so nicht existieren dürften. Drehte er jetzt durch? Oder erlaubte sich hier tatsächlich jemand einen Scherz? Aber wer?

„Das Foto!“, rief er aus. „Das Foto, das du von mir gemacht hast, zeig es her!“

Sie wackelte grinsend mit dem Zeigefinger. „Schon vergessen? Du kriegst es nur zu sehen, wenn du ganz lieb bittest.“

„Verdammt nochmal, Mimi, ich mein’s ernst!“ Er hatte es viel lauter gesagt als beabsichtigt. Mimis Miene versteinerte, dann reichte sie ihm widerstandslos ihr Handy.

Fachmännisch drückte er ein paar Tasten und öffnete das Fotoalbum. Mimi beugte sich vor, um ebenfalls auf das winzige Display zu sehen. Wie erwartet zeigte das Foto ihn beim Programmieren des Videorekorders, von hinten, mit einer feuerroten Frisur, die ungeordneter war, als er gehofft hatte. Seine Finger zitterten, als er den Bildrand absuchte. Er spürte sein Herz pochen, dass sein ganzer Brustkorb vibrierte. Wenn irgendetwas auf dem Foto nicht stimmte … wenn es anders war als jetzt, wenn es anders war, als es üblicherweise war …

Das eine Ende des Vorhangs war dort, wo es sein sollte. In einer Ecke sah man das Regal, in dem seine Familie Zeitschriften und dergleichen aufbewahrte. Keine Besonderheit, obwohl es eine gute Anlaufstelle für Unordnung wäre. Kein Magazin fehlte, sie lagen genauso da wie in diesem Moment. Izzy kniete in dem Bild auf dem Teppich; es ließ sich nicht sagen, ob er da schon verrutscht war … Wonach genau suchte er überhaupt? Er ging sogar so weit und überprüfte seine eigene Kleidung auf etwaige Absonderlichkeiten. Nichts. Lächelnd atmete er auf. Also wirklich, was hatte er auch erwartet? Jetzt hatte er sich mit seiner Hysterie vor Mimi blamiert.

„Warum ist der Bildschirm schwarz?“

Izzys Lächeln blieb, bis Mimis Worte in seinen Verstand gesickert waren. Er musste wie ein Idiot aussehen, als er einen erneuten Blick auf das Foto warf.

Es war, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Er hatte sich so auf die kleinen Dinge am Rand des Bildes konzentriert, dass ihm der Fernsehbildschirm gar nicht ins Auge gefallen war. Und er war ja auch gar nicht auffällig. Er sah aus wie immer. Wenn er ausgeschaltet war. Was definitiv nicht der Fall gewesen war: Izzy hatte ihn für die Aufnahme eingerichtet – wie sollte das funktionieren? Es müsste das Menü des Rekorders zu sehen gewesen sein! Wie hätte er das Halloween-Event einprogrammieren sollen, wenn die entsprechenden Geräte ausgeschaltet waren?

Abwechselnd wurde ihm heiß und kalt. Der Herbstmantel, den er noch trug, war plötzlich unerträglich warm und der Kragen juckte ihn am Hals. „Was … was hat das zu bedeuten?“, fragte er hilflos. „Mimi … was hast du da fotografiert?“

„Dich, das siehst du doch.“

„Aber der Monitor!“ Mittlerweile war seine Stimme nur noch ein Hauchen. War das vielleicht nur ein Traum? In einem Traum konnte so etwas Verrücktes passieren. Er hätte sich vielleicht gar nicht solche Gedanken gemacht, wären es nur die Unstimmigkeiten in seiner Erinnerung gewesen. Ein schiefes Bild, ein nicht ganz zugezogener Vorhang? Warum nicht? Aber die Welt der Technik war sein Zuhause. Ein Rekorder, ein Handy, ein Foto auf einer handelsüblichen SD-Karte – das war etwas Absolutes. Dass damit plötzlich etwas nicht in Ordnung war, war wie ein Angriff auf Izzys Grundsätze. Die Erinnerung konnte trügen, ein Computerspeicher nicht.

„Dann ist er halt schwarz, na und?“, meinte Mimi ungeduldig. „Liegt sicher an der Kamera. Ich weiß noch, wir hatten früher mal eine Videokamera, und wenn man damit einen Computerbildschirm gefilmt hat, waren auf dem Video lauter Streifen zu sehen und es kam allgemein nichts Brauchbares dabei raus. Kann es bei der Handykamera nicht auch so sein?“

„Dein Handy ist aber brandneu“, erinnerte sie Izzy.

„Dann ist es vielleicht ein Herstellerfehler, und die Kamera gibt den Geist auf“, meinte sie achselzuckend, aber auch in ihrer Miene zeigte sich erste Unsicherheit. „Warte mal, sehen wir uns das andere Foto an.“

„Das andere?“

„Ich hab zwei gemacht. Das von dir, und eines von mir und deiner Wohnung.“ Sie rief das vorletzte Bild im Speicher ab. Man sah Mimi, auf der Couch sitzend. Sie grinste in die Kamera, die eine Hand mit dem Handy von sich gestreckt, die andere zum Victory-Zeichen erhoben.

Und hinter ihr, wo eigentlich neben der Durchgangstür in den Flur die helle Wand sein sollte, schob sich ein langer, dünner Schatten in die Höhe, und wenn man genau hinsah, konnte man an seiner Spitze etwas wie kleine, wulstige Finger erkennen.

Mimi zuckte wie von der Tarantel gestochen zurück und stieß einen spitzen Schrei aus. Das Handy entglitt ihren Fingern und sie konnte gerade noch ungeschickt verhindern, dass es zu Boden polterte. In Izzys Nacken kribbelte es, als würden tausend Insekten darauf herumkrabbeln. Obwohl ihm so heiß war, dass er unter seinem Mantel fast erstickte, spürte er, wie sich sämtliche Härchen auf seinen Armen aufgerichtet hatten.

Mimis Blick huschte in dem Zimmer umher. „Da … da ist nichts, oder? Das muss eine optische Täuschung sein oder so! Oder?“

Auch Izzy wankte durch den Raum, spähte in jeden Winkel … und wieder kam ihm alles, was er sah, sonderbar falsch vor. Er wurde fast wahnsinnig. Etwas Schleimiges, Knotiges hockte in seinem Hals und ließ seine Antwort zu einem Krächzen verkümmern. Er schluckte, hart und eklig. „Lass … lass uns gehen“, brachte er hervor.

Mimi nickte, leichenblass.

Izzy dachte gar nicht darüber nach, was es für ihn bedeutete, wenn es in seinen eigenen vier Wänden spukte. Fluchtartig traten sie in den Flur, und einmal mehr knipste er das Licht im Wohnzimmer aus.

Diesmal wurde es überhaupt nicht ganz finster.

Er sah es aus den Augenwinkeln. Einen sanften, orangeroten Schimmer. Konnte es eigentlich noch schlimmer werden? Er wollte gar nicht wissen, woher der Lichtschein plötzlich kam. Stattdessen drehte er sich in Mimis Richtung – und bereute es sofort.

Seine Freundin war mutiger gewesen und hatte sich sofort nach der Lichtquelle umgedreht. Was er in ihren Augen las, gefiel ihm gar nicht. Sie waren weit aufgerissen; ihre Nase malte einen unheimlichen Schatten auf Mimis Gesicht. In ihren Pupillen glühte etwas Orangefarbenes, als sie die Lichtquelle reflektierten.

Izzy fuhr herum, stürmte zurück ins Wohnzimmer, von wo der Lichtschein kam. Jemand wollte ihn da veralbern, eindeutig! Das war seine Wohnung, nur er und seine Eltern hatten den Schlüssel, wer konnte es da wagen, hier einzudringen und ihn an seinem Verstand zweifeln zu lassen? Plötzlich fühlte er sich mutig.

Jedenfalls so lange, bis er die Kerze vor dem Zeitschriftenregal stehen sah. Das war der Grund für den Lichtschein. Eine simple Kerze, pfeilgerade, mit ruhiger, warmer Flamme. Er sackte vor ihr in die Knie. „Das gibt’s doch nicht!“, rief er aus und raufte sich den Kopf.

„Eine Kerze?“, fragte Mimi mit zitternder Stimme. „Stand die vorher auch schon …“

„Nein!“, rief er stöhnend aus. „Und sieh sie dir an! Sie ist noch ganz frisch! Da ist kaum Wachs verbraucht! Als ob sie jemand angezündet hätte, gerade als ich das Licht ausgemacht habe!“

Er spürte, wie Mimis Finger sich in seine Jacke krallten. „Lass uns jetzt gehen, Izzy“, flüsterte sie. „Bitte.“

Er schüttelte ihre Hand ab. „Ist da jemand?“, rief er, nicht so laut, wie er gewollt hatte. Als wüssten seine Stimmbänder, dass sie etwas wecken könnten, das man besser weiterschlafen ließ. „Hören Sie auf mit diesem Hokuspokus und zeigen Sie sich! Wie kommen Sie hier rein?“

„Da ist niemand“, flüsterte Mimi.

„Da muss aber jemand sein!“ Der nächste Schauer tat schon fast weh.

Mimi starrte ihn noch einen Herzschlag lang an, dann straffte sie grimmig die Schultern und pustete die Kerze aus.

Im selben Moment, in dem die Flamme erlosch, glomm ein weiterer Funken neben dem Fernseher auf. Eine weitere Kerze. Mimi stieß einen heiseren Schrei aus, lief kurzerhand dorthin und löschte auch dieses Licht, obwohl Izzy plötzlich nichts lieber gewesen wäre als strahlende Helligkeit.

Eine dritte Kerze erschien, und sie musste buchstäblich aus dem Nichts kommen, denn sie stand auf der Kommode neben dem Schnurlostelefon. Mimi stürzte sich energisch auf sie, als verfolgte sie eine Kakerlake, die sie unbedingt zertreten wollte. Es half nichts. Die nächste Flamme tauchte vor der Couch auf – und plötzlich entflammte sich auch der Docht der Kerze zu Izzys Füßen wieder, als wäre es eine dieser Spaßkerzen auf einer Geburtstagstorte, mit denen man das Geburtstagskind foppen konnte.

Etwas in dem Raum stöhnte. Izzy konnte nicht sagen, ob es die Bodendielen waren oder etwas ganz anderes. Es klang fast lebendig …

„Izzy!“, schrie Mimi verzweifelt. Als er aufblickte, schien jemand die Wohnung in Brand gesteckt zu haben: Überall glommen Kerzenflammen, auf dem Tischchen, auf dem Boden, auf dem Fernsehbildschirm, auf der Kommode sogar mehrere.

Er wusste nicht mehr, was hier vor ging. Er wusste nur, dass er nun endlich Gewissheit hatte: Entweder spukte es in dieser Wohnung, oder etwas anderes, Unerklärliches ging hier vor, und er würde den Teufel tun und warten, bis ihm oder Mimi ebenfalls etwas Unerklärliches zustieß. Seine Fantasie pinselte ein Bild seiner Eltern in seine Gedanken, auf dem sie sich fragten, ob ihr Sohn eigentlich schon immer ein von Brandwunden entstelltes Gesicht gehabt hatte … Er sprang auf die Füße, packte Mimi an der Hand und stürmte in den Flur. Auf dem Weg stieß er eine der Kerzen um – ehe sie auf den Teppich fiel, erlosch sie gnädigerweise. Er hatte keine Zeit, weiter über dieses Wunder nachzudenken. Mit wenigen Schritten erreichten die beiden den Flur.

Es war wie ein Schritt in eine andere Welt. Hinter ihnen das orangegelbe Licht, das nun genausogut auch aus einem Brennofen stammen könnte, vor ihnen der Flur, der kühl und dunkel dalag, nur ihre Silhouetten tanzten über die Wände, von hinten beleuchtet durch die Kerzenflammen, lang gestreckt und dünn … und war da nicht noch ein anderer Schatten, einer, der nicht zu ihnen beiden gehörte, der nicht mit ihren Bewegungen übereinstimmte? Ein langer, dünner Schatten, der da aufragte und nach ihnen greifen wollte …?

Aus Izzys Kehle barst ein Schrei. Er warf sich regelrecht gegen die Wohnungstür. Mimi stürzte nach ihm in die kalte Nacht hinaus. Mit aller Kraft warf er die Tür hinter sich zu, schaffte es mit zittrigen Händen erst beim vierten Versuch, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen und herumzudrehen. Dann ließ er sich erschöpft zu Boden sinken.

 

„Sehr witzig, wirklich“, knurrte Matt.

Takumis Gesicht war unter der Maske nicht zu erkennen, aber zweifellos grinste er noch immer. „Was denn? Ist doch ein cooles Accessoire für die Halloween-Nacht, oder?“

„Wie man’s nimmt. Unter cool stell ich mir was anderes vor“, sagte Matt trocken. Dennoch griff er nach dem makabren Füller, der nach oben hin wie eine blutbeschmierte Messerklinge aussah. Sie war aus Plastik, aber im schlechten Licht hatte sie teuflisch echt gewirkt. Er kritzelte schwungvoll seinen Namen auf den Sticker auf Takumis Oberarm.

„Tausend Dank.“ Sein Fan ließ den Füller wieder in seiner Tasche verschwinden. „Eigentlich sollten jetzt bald – ah, wenn man vom Teufel spricht, da kommen sie schon.“

Matt wandte den Kopf. Ganz leise hörte man herannahende Geräusche aus der Geisterbahn. Der Mann im blauen Overall schnappte sich etwas wie einen schwarzen Wischmopp und stellte sich neben den Gleisen auf. Der Vorhang kam in Wallung, dann kam darunter der Waggon mit Sora und Tai zum Vorschein. Der Mitarbeiter wischte mit dem Mopp gerade so über ihre Köpfe, dass er ihre Haare streifte. Matt sah Tai mit einem überraschten „Woah!“ zusammenzucken. Er nahm sich vor, ihn damit aufzuziehen, falls es wieder einmal notwendig sein sollte.

Der Wagen hielt in der Kehre an. „Endstation“, nuschelte der Geisterbahnmitarbeiter.

Tai stieg als Erstes aus. Sora machte keine Anstalten, sich zu rühren, sie hockte zusammengekauert im Waggon und starrte den Haltegriff vor sich an.

„Sora? Sora, wir sind draußen“, sagte Tai.

„Ist alles okay bei dir?“, erkundigte sich Matt, indem er auf sie zutrat.

Tai sah ihn hilflos an und zuckte mit den Schultern. „Hey, Erde an Sora!“ Er berührte Soras Arm, und als wäre damit ein Bann gebrochen, zuckte sie zurück.

„Jaja, ich hab’s ja verstanden!“ Mit fahrigen Bewegungen stieg sie aus, ehe der Wagen wieder in der Geisterbahn verschwand.

„Alles in Ordnung?“, fragte Tai misstrauisch. Auch Matt sah, dass etwas mit ihr nicht stimmte.

Soras Gesicht war gerötet, ihre Augen huschten hin und her, als fürchtete sie, etwas könnte sich an sie heranschleichen, und sie zitterte. „Ja, alles bestens!“, zischte sie. „Außer dass ich mich nie wieder von dir in sowas reinzerren lasse, klar? Ich hoffe, du hattest wenigstens Spaß da drin!“

„Ich hab dich doch nicht gezwungen, mitzukommen“, verteidigte sich Tai.

„Was war denn los?“, fragte Matt. Eigentlich war Sora nicht unbedingt ängstlich. Im Gegenteil, die Abenteuer in der DigiWelt müssten sie eigentlich gegen allerlei Monster und dergleichen abgehärtet haben. Vielleicht mochte sie Geisterbahnen auch einfach nicht.

„Nichts“, schnaubte sein Freund. „Die Bahn war ein wenig heftig, mein Gott!“

„Nicht wahr?“, mischte sich Takumi gut gelaunt ein. „Sie ist klasse.“

„Halt du dich bitte da raus“, sagte Matt kühl.

Der Mann im blauen Overall putzte sich geräuschvoll die Nase und hatte schon wieder den Mopp in der Hand. Leises Rumpeln kündigte T.K.s und Karis Wagen an. Matt war schon gespannt, was sie wohl zu der Bahn sagen würden.

Der Vorhang bewegte sich, der Schlauch spuckte den Waggon aus und der Mitarbeiter wischte wieder mit seinem Mopp darüber – und dann erst sah Matt, dass gar niemand darin saß.

Verdutzt starrten die vier auf den Wagen, als er beim Haltepunkt ankam und kurz gestoppt wurde. „Waren T.K. und Kari nicht genau hinter euch?“, fragte Matt.

„Äh, ja … Also, ich denke schon“, murmelte Tai.

Waren sie etwa schon drinnen abgesprungen, um ihnen jetzt einen Schreck einzujagen? Wenn die beiden zusammen waren, konnten sie unglaublich kindisch sein.

Plötzlich sog Sora scharf die Luft ein und packte Tai am Ärmel. Mit zitterndem Finger deutete sie auf den Haltegriff des leeren Waggons.

Auf der rohen Metallstange, die die Gäste der Geisterbahn in ihrer Furcht fest umklammern durften, prangte ein frischer, glänzender Blutfleck.

Heat and fever in the air tonight

Yolei starrte mit offenem Mund auf all die Kostüme, die sich ihren Augen boten. Viele waren unglaublich fantasievoll und detailliert gemacht. Das Halloween-Fest war ein Hit. Die Herzen vieler Cosplayer schlugen wahrscheinlich höher – in der Tat waren einige Leute auch als düstere Anime- und Mangafiguren verkleidet. Es war schon seltsam – üblicherweise gab es neben all diesen Bösewichtern immer auch ein paar Helden, sodass das Kräfteverhältnis annähernd ausgeglichen war. Heute überwogen eindeutig die hässlichen, furchteinflößenden, zweifellos bösartigen Ungeheuer.

„Leute, die ist proppenvoll“, stöhnte sie, als die nächste Straßenbahn die Haltestelle erreichte.

„Stell dich nicht so an, war doch klar, dass heute einiges los ist“, sagte  das hässliche, furchteinflößende, zweifellos bösartige Ungeheuer neben ihr. Was genau Davis darstellte, wusste er wohl selbst nicht so genau. Jedenfalls musste er unter der zotteligen Fellbekleidung furchtbar schwitzen. Die Maske mit der Monsterfratze hatte er auf die Stirn geschoben, und die beiden gewaltigen Hörner standen nun in komischem Winkel von seinem Kopf ab. Aus seinem Rücken – zu hoch, um realistisch zu wirken – wuchs ein Schwanz wie von einer Kuh; wie ein nasser Lappen schleifte er über den Asphalt.

„Wir könnten auch einfach zu Fuß gehen. So weit ist es ja nicht mehr, und die anderen wissen, dass wir später kommen“, schlug Ken vor. Er hatte ein recht stilvolles Kostüm, fand Yolei, wenn auch das einfachste von ihnen dreien: einen grauen Mantel, bestickt mit Spinnennetzen. Schwarze Spinnennetzmuster in Kens Gesicht rundeten das Ganze ab.

„Kommt schon, wollt ihr wirklich bis zur Hauptstraße latschen?“, stöhnte Davis.

„Du würdest in der Hitze da drin sowieso gebraten werden“, sagte Yolei. Sie beobachteten, wie die Straßenbahn abfuhr, mit Massen von Leuten, die von innen gegen die Scheiben gepresst werden.

„Es war nur ein Vorschlag“, meinte Ken. „Andererseits könnten unsere Kostüme schmutzig werden.“

„Das werden sie doch sowieso. Also – auf geht’s, Gruseltrio! Gehen wir!“, kommandierte Yolei, und auch Davis fügte sich seufzend.

Kens Sorge um ihre Kostüme war eindeutig Yolei geschuldet gewesen. Sie hatte sich irre Mühe mit ihrer Verkleidung gegeben und obwohl sie nicht die Geschickteste im Nähen war, hatte sie alles selbst gemacht. So kreativ und gut die Kostüme der anderen Leute ausgefallen waren, sie sah sich selbst als die Königin des Halloween-Spektakels – oder eher, als die Hexenkönigin. Denn das war sie: eine Hexe mit breitkrempigem, spitzem Hut, einem schicken, engen Kleid – das nun zugegeben nicht ganz so hexenhaft aussah, aber dafür unglaublich cool –, hochhackigen Stiefeln – dank derer sie mühelos auf beide Jungs herabsehen konnte – und einer magischen Brille – dem einzigen zugekauften Accessoire –, durch die sie alles in wundersamen Farben schillern sah. Die Krönung ihres Outfits waren ihre Haare, die sie sich extra für heute gebleicht hatte, sodass sie fast greisinnenweiß waren. Sie fand, sie passten gut zu Kens schwarzem Haarschopf.

Während sie also durch die lichterverwaschenen Straßen stapften, sinnierten sie schon über die Verkleidungen der anderen nach. Tai, Sora, Matt, Kari und T.K. würden gemeinsam unterwegs sein, Izzy und Mimi würden auch irgendwann zu ihnen stoßen. Joe hatte leider mal wieder Besseres zu tun – Lernen – und Cody war sogar außer Landes.

„Seht mal.“ Sie waren bereits nah der Hauptstraße, auf der in Kürze das Hauptevent starten würde, und Davis deutete auf die Menschentraube, die sich vor einer Seitengasse gebildet hatte. Das Blaulichtblitzen war ihnen schon von Weitem aufgefallen, aber hier wurde es dank Yoleis Falschfarbenbrille richtig verstörend. Zwei Polizeiwagen standen neben der Gasse, ein Beamter bewachte grimmig die Absperrbänder, die den Zutritt in die schmale Häuserschlucht verunmöglichten. Kürbisköpfe, Geister und Vampire verrenkten sich schier die Hälse, um einen Blick in die Gasse werfen zu können, aber nicht einmal Yolei konnte von ihrer heute etwas höheren Warte aus Einzelheiten erkennen. Das Blaulicht flackerte gespenstisch über die Hausmauern.

Unbewusst waren sie stehen geblieben. „Was da wohl los ist?“, überlegte Ken.

„Was wird schon los sein – eine Alkoleiche, oder da vorn haben sich ein paar Betrunkene geprügelt“, meinte Yolei. „Heut‘ ist schließlich Ausnahmezustand.“

„Würden sie dann die ganze Gasse absperren?“, hielt Ken dagegen. Darauf wusste Yolei keine Antwort.

„Da ist sicher ein echter Geist aufgetaucht und hat alle Leute erschreckt“, witzelte Davis. „Und jetzt stehen die Bullen vor einem unerklärlichen Fall. Oder ein Werwolf hat sich dort sein Abendessen geholt!“ Er begleitete seine Fantasien mit einem schaurigen Heulen und hob die Arme, als wollte er über Ken herfallen.

Yolei fand die Sache nicht so witzig. Diese Absperrbänder erinnerten sie stark an die, mit denen in Krimis immer Mordschauplätze abgeriegelt wurden.

 

Weder Mimi noch Izzy sagten ein Wort.

In ihrem Kopf drehte sich alles. Was war denn da gerade passiert? Sie waren in Izzys Wohnung gewesen, einer ganz normalen Wohnung, in der er seit einiger Zeit jeden Tag war – und auf einmal waren überall Kerzen aufgetaucht, und vorher waren auch merkwürdige Sachen passiert … Der vernünftig denkende Teil ihres Bewusstseins stand vor einem Rätsel, während der andere es mit einem Schulterzucken abzutun versuchte. Vergiss es, flüsterte er ihr zu. Heute ist Halloween, da ist sowas ganz normal …

„Izzy, nur damit wir uns richtig verstehen“, sagte sie, ihr Stimme immer noch ein Keuchen.

„Hm?“, machte er mit einiger Verspätung, und auch sie ließ sich mit ihren nächsten Worten Zeit.

„Das da drin war kein Scherz von dir, oder?“

„Hm.“

„Was, hm? Sag schon, war es ein Scherz oder nicht?“, fragte sie heftig.

„Natürlich nicht!“

„Und auch nicht von jemand anderem? Ich meine, deine Eltern sind doch fort, oder? Und die würden so etwas auch nicht machen?“

„Ich weiß es nicht!“ Er raufte sich die Haare. „Wie könnte irgendjemand einfach Kerzen in die Wohnung zaubern, die vorher nicht da waren? Und anzünden, während wir nicht hinschauen?“

Mimi schwieg. Das wäre ihre nächste Frage gewesen: ob sie sich diese Kerzen nicht nur eingebildet hätte. „Meinst du, da steckt ein … Digimon dahinter?“

Izzy starrte sie an, als hätte er noch gar nicht darüber nachgedacht – ausgerechnet er. „Das … Nein, wieso sollte ein Digimon so etwas tun?“

„Wieso nicht?“, versetzte sie. „In der DigiWelt haben wir doch einige merkwürdige Erlebnisse gehabt, oder?“

„Das war in der DigiWelt. Hier ist das was ganz was anderes …“

„Und wieso? Vielleicht huscht ja ein Bakemon durch die Wohnungen in diesem Block. Wer kann das schon wissen?“

Izzy zögerte, dann holte er sein Handy aus der Hosentasche, und sein DigiVice. Mit einem Kabel, das er wohl selbst gebastelt hatte, verband er die beiden Geräte. Prüfend schwenkte er das DigiVice durch die Luft.

„Was tust du da?“

„Ich versuche, das Digimon zu orten.“

Sowas kannst du?“

„Ich hab ein wenig mit den Funktionen des DigiVices rumgespielt und es mit meinem Handy verbunden.“ Stirnrunzelnd musterte er das Display. „DigiVices speichern die Daten der Digimon, denen wir begegnen, und mit dem Handy suche ich einerseits ihre Signale und visualisiere andererseits, was das DigiVice dazu ausspuckt … Hier ist nichts.“

„Vielleicht ist es schon wieder weg“, murmelte sie. Izzy streckte die Hand nach der Türklinke aus. „Bloß nicht!“, herrschte sie ihn an.

„Das ist meine Wohnung!“, meinte er verzweifelt. „Soll ich mich etwa davor fürchten, in meine eigene Wohnung zu gehen?“

Sie packte sein Handgelenk. „Mach dir darüber später Sorgen, ja? Komm, wir bringen uns auf andere Gedanken. Gehen wir zum Festival. Vielleicht wissen ja sogar die anderen Rat.“

„Ich hab eigentlich die Nase voll von Geistern.“ Er lächelte gequält.

„Ich auch“, gab sie zu, „aber selbst wenn das hier echte Geister waren, bei dem Umzug kannst du dir sicher sein, dass nur falsche Geister herumlaufen. Garantiert.“

Schließlich gab er nach.

 

Was war passiert? Wo war er?

In seinem Mund hatte sich Blut gesammelt, der metallische Geschmack zog sich quer über seinen Gaumen. Er hustete und spuckte es aus.

Sein Kopf dröhnte. Es fühlte sich an, als hätte er einen kleinen, teuflischen Kobold an der Stirn kleben, der im Rhythmus seines Herzschlags gegen seinen Schädel klopfte. Stöhnend wollte er die Hand heben und die Stelle betasten. Es ging nicht. Er lag auf seinem Arm.

Unter größter Anstrengung wälzte er sich herum. Eisiger, feuchter Stein unter ihm, regelmäßige, glatte Rillen. Kopfsteinpflaster. Wo war er?

Nun erreichten seine Finger seine Stirn, befühlten den Stoff des Wolfskopfes, den er immer noch aufhatte. Der Stoff war feucht. Er zog die Kapuze in den Nacken und betastete die wunde Haut, die langsam anschwoll. Auch etwas Nasses fühlte er. Blut.

Da wusste es T.K. wieder. Ein Bild blitzte vor seinem inneren Auge auf, von dem eisernen Haltegriff, der auf ihn zugesaust kam. Und dann war da der Druck in seinem Nacken gewesen, den er durch seine Wolfskapuze hindurch gespürt hatte … die Erinnerung kam in umgekehrter Reihenfolge zurück. Plötzlich war etwas hinter ihnen gewesen, jemand hatte ihn gepackt und mit dem Gesicht voraus gegen den Griff gedonnert, und Kari …

Er fuhr in die Höhe. Ein stechender Schmerz fuhr durch seine Schädeldecke, als würde ein Speer darin stecken. „Kari!“, schrie er krächzend.

Es war finster.

Leise hörte er das Rattern von Rädern. War es ihr eigener Geisterbahnwaggon? Oder der von Sora und Tai, der auf dem Rückweg war? Als er sich um seine eigene Achse drehte, fühlte er sich nicht mehr wie in einer engen Gasse. Eher wie in einer riesigen, weitläufigen Gegend, in der nichts war außer purer Schwärze … einer Wüste aus quellender Dunkelheit. Ich hasse die Dunkelheit. „Kari!“, rief er erneut. Sein Atem ging rasch und stoßweise. Der Kopfschmerz war so durchdringend, dass ihn schwindelte.

Sie konnte doch nicht verschwunden sein! Vielleicht lag sie nur einen Schritt neben ihm, schwer verletzt und bewusstlos oder … Nein, er durfte nicht daran denken! Fieberhaft versuchte er zu begreifen, warum er plötzlich neben den Gleisen aufgewacht war. Jemand hatte sie beide angegriffen, ohne Zweifel …

Zu dem Schlägen, mit denen der Kobold in seinem Kopf ihn traktierte, gesellte sich etwas anderes: das Gefühl, plötzlich nicht mehr allein zu sein in dieser gähnenden Leere. T.K. hielt den Atem an. Da war ein schleifendes Geräusch, ganz in der Nähe … und knirschte da nicht etwas? Als würden scharfe Krallen über den Boden gezogen … „Wer ist da?“, fragte er laut und erkannte seine Stimme kaum wieder. War es das fehlende Echo in dieser unendlichen Wüste, das sie so hoch und substanzlos klingen ließ?

Als Antwort spürte er einen warmen, feuchten Atemstoß im Nacken. Erneut fuhr er herum. Das Gefühl, etwas Großes, Schreckliches wäre direkt vor ihm, wurde unerträglich.

Etwas sauste durch die Luft, traf seine Schulter. T.K. schrie auf, glaubte sein Schlüsselbein knacken zu spüren. Hart landete er auf dem Boden, diesmal stieß er sich den Hinterkopf. Etwas packte ihn am Knöchel, die dicken, wulstigen Finger einer übermenschlich starken Hand. Ehe er sich’s versah, wurde er über den Boden geschleift, fühlte die Fugen der Steine über seinen Hinterkopf wandern. Der Stoff seiner Kapuze bildete ein Geschwulst in seinem Nacken. Laut brüllend trat T.K. nach dem Schatten, der ihn hinter sich her zerrte, sein Stiefel prallte gegen etwas, das hart war wie Holz.

Es wurde beständig heller, denn er wurde in Richtung Innenhof gezerrt. Im infernalischen Licht des schlagenden Herzens sah er wieder die Gleise, das Dämonenmaul darüber, die mit Stoff verkleideten Häuserwände. Er war immer noch in der Geisterbahn, aber er konnte sich darüber nicht freuen.

Das Spinnennetz mit der zerstückelten Puppe kam in Sicht und zog seinen Blick wie magisch an, aber obwohl sich dort oben noch etwas anderes, Dickes, Schwarzes zu bewegen schien, zwang er sich, nicht hinzusehen. Er wäre am Ende nur in Panik geraten, und das konnte er sich nicht leisten. Denn er hatte Kari entdeckt.

Sie lehnte an den Holzstreben, die das große Maul formten. Ihr einst so farbenfrohes Hexenkostüm war von dem düsteren Licht zu einem schmutzig-grauen Fetzen ausgewaschen worden. „Kari!“, schrie T.K. aus Leibeskräften und erreichte damit, dass ihre Gestalt zusammenzuckte. Der breitkrempige Hexenhut fuhr in die Höhe und ruckte dann herum, als hätte er sie aus einem tiefen Schlaf befreit.

„T.K!“, keuchte sie.

Das Wesen vor ihm grunzte und ließ seinen Fuß los. T.K.s Rutschpartie endete abrupt. Er stolperte bei dem Versuch, auf die Beine zu kommen, aber beim zweiten Mal klappte es. Mit weit ausholenden Schritten hastete er an dem großen, haarigen Schatten vorbei, den er mittlerweile vor sich ausmachen konnte, und auf Kari zu.

„Kari! Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Was ist passiert?“ Sie streckte ihm verwirrt die Hände entgegen, verschränkte ihre Finger mit seinen. Er zog sie in die Höhe, versuchte zu erkennen, ob sie ebenfalls verletzt war, doch die Finsternis ließ ihn nur ihr blasses Gesicht klar erkennen.

Wie nett, dasss du mir die beiden sssogar herbringssst. Ich war etwasss beschäftigt.

Die Stimme ertönte so plötzlich, dass ihm das Blut in den Adern gefror. Sie kam von schräg oben und war eindeutig nicht menschlich, eher ein markdurchdringendes Fauchen, sodass T.K. erst einen Moment später begriff, dass sie tatsächlich Worte gebildet hatte.

Er und Kari hoben die Köpfe und blickten mitten in das gigantische Netz, in dem nun eine riesige, fette Spinne hockte. Ihr behaarter Leib verdeckte die blaugewandete Puppe zur Hälfte, und ihre teuflischen Beißwerkzeuge waren in dem Dämmerlicht nur allzu gut auszumachen. Zwei Reihen glühender Augen starrten auf sie herab.

„T.K, ist das …“, hauchte Kari.

Ihm war derselbe Gedanke gekommen, doch ehe er antworten konnte, stöhnte die Puppe im Spinnennetz leise auf und drehte den Kopf. Und mit einem heißkalten Schauer, der über seinen ganzen Körper lief, wurde T.K. klar, dass es gar keine Puppe war. Galle brodelte in seiner Kehle hoch. Er presste die Hand vor den Mund und zwang sein Abendessen wieder nach unten. Vielleicht hatte es Kari noch nicht bemerkt, vielleicht hatte sie nur die Spinne angesehen … Bitte, mach, dass es so ist!

„Hä? Was soll das heißen?“, grunzte eine zweite Stimme. Die menschenähnliche Gestalt, die T.K. mit sich geschleift hatte, war nähergetreten. T.K. wich mit Kari rückwärts unter das Dämonenmaul zurück und versuchte gleichzeitig, sie hinter sich zu manövrieren. Nun, da das Licht das Ungeheuer von vorn beleuchtete, erkannte er es.

Das heißt, er erahnte immerhin, worum es sich handelte. Die gebückte Statur, die gewölbten Muskeln, die langen Hauer und die zottelige Haarmähne – er würde nie das Aussehen jener Kreatur vergessen, die ihm als Allererstes aus freien Stücken den Tod versprochen hatte, und die sich am Ende sogar auf seiner Seite wiedergefunden hatte. Was das Wesen vor ihm jedoch von Ogremon unterschied, war die Hautfarbe, die von einem brachialen Karmesinrot war. Doch das ließ das Digimon in ihrer gegenwärtigen Lage nur umso furchterregender erscheinen.

„Wasss wohl?“, zischelte die Spinne. „Die beiden sssind meine Beute, Fugamon!“

T.K.s Pelzkostüm juckte ihn am ganzen Körper. Kalter Schweiß war ihm ausgebrochen. Das Spinnennetz raschelte, als das Dokugumon mit langen Beinen darüber stakte. „Digimon“, murmelte Kari. „Hier sind Digimon aufgetaucht!“

 

„Hör auf mit dem Scheiß! Du lässt uns sofort da rein!“, knurrte Matt.

„Bedaure“, sagte der Mann nasal und zog geräuschvoll die Nase hoch. „Wer fahren will, muss vorne rein.“

„Wir wollen verdammt nochmal nicht fahren!“ Tai packte den Geisterbahnmitarbeiter an seinem blauen Overall und zog ihn zu sich herab. Der Mann war über einen Kopf größer als er, aber Tai war so in Rage, dass er sich davon nicht einschüchtern ließ. „Meine kleine Schwester war genau hinter mir, und auf einmal kommt ihr Wagen leer heraus, mit einem verdammten Blutfleck darauf!“

Sora versuchte fieberhaft in den dunklen Schlund der Geisterbahn zu spähen. Ihre Gedanken rasten. Jede Sekunde war kostbar, so schien ihr, aber dieser Kerl stieß die beiden Brüder jedes Mal einfach zurück, wenn sie in die Bahn laufen wollten.

„Kein Grund, sich so aufzuregen, es ist alles in Ordnung“, sagte der Mann zum wiederholten Male und schien nicht im Mindesten schockiert. „Es ist schließlich eine Geisterbahn.“

Gar nichts ist in Ordnung, verdammt!“, schrie ihn Tai an.

Während er ihn noch gepackt hielt, wollte Matt sich an ihm vorbeischieben, aber mit seiner schaufelartigen Pranke schob der Mann ihn zurück. „Lass mich sofort durch!“, zischte er.

„Bedaure.“

„Du verfluchter …“ Tai holte aus und verpasste ihm einen mächtigen Schlag auf die Nase. Sora zuckte zusammen, doch der Mann zeigte gar keine Regung. Er war der perfekte Türsteher für ein Tor, das direkt aus der Hölle führte.

„Hey, wir können das sicher ganz friedlich lösen, und es gibt sicher auch eine ganz logische Erklärung für das Verschwinden der beiden“, mischte sich Takumi diplomatisch ein.

„Du hältst den Mund“, fuhr Matt ihn.

„Ich mein‘ ja nur. Vielleicht wollen sie euch ein bisschen erschrecken? Und der Blutfleck könnte eine Show sein, die die Betreiber hier abziehen. Kein Grund, sich so aufzuregen.“

Soras Kiefer schmerzte. Sie hatte die ganze Zeit über die Zähne zusammengebissen. Das klammernde Gefühl um ihren Brustkorb, das sie seit dem Verlassen der Geisterbahn verspürt hatte, ließ langsam nach, und je mehr der Nebel aus Panik und Furcht aus ihren Gedanken wich, desto sicherer war sie, dass sie hier einen großen Fehler begingen. Tai und Matt waren zu aufgebracht, um es zu bemerken, und Takumi einfach zu sorglos, aber eigentlich war es doch so offensichtlich …

Ein Schrei ertönte aus der Geisterbahn und riss den flüchtigen Gedanken erneut auseinander. T.K.s Stimme …

„Geh – zur – Seite!“ Tai ließ weitere Schläge folgen, und der letzte brach dem Typen knirschend die Nase. Obwohl ihm Blut über die Lippen lief, verzerrte er das Gesicht zu einem tückischen Grinsen.

„Bedaure. Ich sage doch, es ist alles in Ordnung.“ Seine Zähne waren hässlich von seinem eigenen Blut beschmiert.

Tai stieß ein animalisches Knurren aus, als Sora schrie: „Tai, geh weg von ihm! Siehst du nicht, dass mit ihm etwas nicht stimmt?“

Ihr Freund wirkte, als erwache er aus einer Trance. Er schaffte es noch, ein tonloses „Hä?“ auszustoßen, ehe ihn plötzlich zwei Hände an den Schultern packten, von denen niemand gesehen hatte, woher sie gekommen waren. Das Grinsen des Geisterbahnmitarbeiters wurde noch breiter, breiter als eigentlich möglich war, und das blutige Rot wurde zu hässlichem, faulendem Zahnfleisch.

Matt prallte zurück, als hätte ein Hammerschlag ihn getroffen. Takumi stieß einen Schrei aus und landete auf dem Hosenboden. „Wa-was ist das?“, rief er zitternd.

Der blaue Overall zerrann vor ihren Augen wie Wasser in einem Farbkübel. Ein zerfetzter, weißer Lakenkörper wurde sichtbar, die Beine des Mannes verschwanden komplett. Riesige Augen glotzten Tai an, während sich das Fleisch auf den Händen, die ihn gepackt hielten, auflöste und nur blaue, glatte Muskeln übrigblieben.

„Alles in Ordnung. Und jetzt bin ich dran“, verkündete der wohl realistischste Geist der gesamten Halloween-Parade.

Tai stöhnte auf, als sich blaue Krallen in seine Schultern bohrten und sich sein Papierkostüm mit seinem Blut vollsog, doch es war das Stöhnen eines verwundeten Tiers, das sein Rudel zu verteidigen hatte. Obwohl seine Arme vor Schmerzen schier in Flammen stehen mussten, packte er die Geisterarme und versuchte, die Klauen aus seinem Fleisch zu reißen.

Mit einem Fluch sprang Matt heran und hämmerte dem Bakemon den Ellbogen in sein Geistergrinsen. Der Lakenkörper war weich und gab einige Zentimeter nach, doch dem Digimon schien der Stoß nichts auszumachen, es hielt Tai weiter eisern fest.

Sora kam ihre erste Begegnung mit den Bakemon in Erinnerung. Ein Sutra, damit könnten sie es vielleicht bezwingen … Doch es war zum Wahnsinnigwerden, ihr Kopf war wie leergefegt.

Tai schlug und trat um sich, als das Digimon ihn höhnisch grinsend einfach hochhob. „Du bist der Erste“, sagte es nasal.

Matt schlug indessen auf die blauen Arme ein und keuchte auf, als er wie auf Stein traf. Und damit nicht genug, ließ Bakemons rechter Arm Tais Schulter plötzlich los – nur um sich anschließend um seine Kehle zu klammern. Sora kreischte laut seinen Namen.

 

„Ich hab mich wohl verhört“, schnarrte das rothäutige Ogremon und wiegte eine Knochenkeule in der Hand. Fugamon hatte das Dokugumon es genannt. „Ich bin dran!“

„Du hast den vorletzzzten Wagen bekommen“, säuselte Dokugumon und schüttelte seine Mähne. Kari brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass es in eine bestimmte Richtung nickte. Dort war nichts als quellende Schatten zu sehen, eine schwarze Wand … aber was bedeutete das schon? Hier in dieser Geisterbahn, in der sogar Digimon aufgetaucht waren, konnte alles Mögliche versteckt herumliegen … Sie selbst war auch plötzlich an diese Holzkonstruktion gelehnt aufgewacht, nachdem jemand sie brutal aus dem Wagen gerissen hatte. Vielleicht lehnte dort in der Finsternis noch ein Körper? Aber warum würden diese Digimon … Und worüber stritten sie überhaupt?

Noch war ihr Verstand ganz neblig. Fürs Erste war sie froh, T.K. dicht bei sich zu haben, das struppige Fell seines Kostüms zu spüren. Sogar sein leicht muffiger Geruch war irgendwie beruhigend. Es waren keine Geister, die sie bedrohten … Es waren Digimon, und damit hatten sie eine ganze Menge Erfahrung.

„Einer für dich, einer für Bakemon, einer für mich. Dasss war die Abmachung“, fuhr Dokugumon fort. Es war mittlerweile die Wand heruntergeklettert. Kari musste schlucken, als sie seine Größe sah. Sie hatte noch nie ein so riesiges Dokugumon gesehen. Der Hinterleib allein stellte jeden Minivan in den Schatten. „Die letzzzten zzzwei waren für Bakemon, die hier sssind wieder für mich!“

„Zum Teufel, du hast doch das allererste Opfer gekriegt!“, greinte Fugamon und nickte hektisch auf die Gestalt im Spinnennetz. Jetzt erst fiel Kari die unheimliche Ähnlichkeit der Puppe mit den blau uniformierten Mitarbeitern der Geisterbahn auf … Sie sog erschrocken die Luft ein und suchte T.K.s Blick. Er wusste Bescheid.

Ihre Knie gaben nach und sie sackte zu Boden. „Nein“, hauchte sie. „Das kann doch nicht … Sie können doch nicht …“

„An dem issst nichtsss dran“, zischelte Dokugumon. „Ich hab ihn nur verwahrt, damit Bakemon seinen Platzzz einnehmen kann! Aussserdem habt ihr beide zzzwei auf einmal bekommen! Dasss issst nicht fair!“

„Erzähl mir nichts von fair! Wessen Idee war’s denn, nach Waggons aufzuteilen, hä?“

T.K. rüttelte Kari an der Schulter, die sich so benommen fühlte, als hätte man sie eben aus einem jahrelangen Schlaf geweckt. „Kari, schnell“, wisperte er. „Das ist unsere Chance, lass uns verschwinden, solange sie streiten!“

„T.K, sie haben … Sie haben diesen armen Menschen …“, hörte sie sich sagen.

„Ich weiß, aber komm endlich! Wir können nichts mehr für ihn tun!“

„Nein“, murmelte sie. „Nein! Wir müssen ihm helfen!“ Die letzten Worte waren auch für die beiden Digimon gut hörbar.

„Ich stopf mal eben dem Fressen das Maul“, sagte Fugamon und lachte, als hätte es einen besonders lustigen Scherz gemacht. Es stapfte auf sie zu und wackelte dabei bedrohlich mit der Keule.

„Kari!“, schrie T.K. und riss sie in die Höhe, doch sie machte sich los und rannte direkt zu dem Spinnennetz. Sie wusste selbst, dass für den Mann wahrscheinlich jede Hilfe zu spät kam, doch sie konnte es nicht ertragen, ihn hier zurückzulassen.

„Ssso issst’sss brav, nur weiter“, zischelte Dokugumon, als sie prüfend an den Strängen des Netzes zog. Sie waren so klebrig, dass sie die Hände regelrecht davon fortreißen musste, und es tat ähnlich weh, wie sich ein Pflaster von der Haut zu reißen. Ob sie nach oben klettern und den Mann losmachen konnte? Glasige, blutunterlaufene Augen musterten sie, das Gesicht rot von dem Blut, das ihm in den Kopf gestiegen war. Sein abgerissenes Bein baumelte direkt über ihr … Kari drehte sich der Magen um. Sie beugte sich vornüber, heiße Flüssigkeit schoss ihre Kehle hoch und spritzte gleich darauf über die Kopfsteine.

„Kari!“, hörte sie T.K. erneut rufen. Fugamon und Dokugumon mussten ganz in der Nähe sein. Schwer atmend, aber entschlossen zog sie an den Spinnenfäden.

„Oh nein, du kommst in meine Sammlung!“, grollte Fugamon. Die Knochenkeule sauste rotierend heran und prallte so knapp vor Kari gegen die Wand, dass sie mit einem Aufschrei zurückzuckte. Schnalzend rissen die Fäden, nach denen sie eben hatte greifen wollen.

Jemand packte sie am Arm. „Komm schon!“, keuchte T.K. in ihr Ohr. Sie versuchte sich zu wehren.

Ein roter Schatten sprang meterweit durch die Luft. Fugamon krallte sich in den unteren Teil des Netzes, sein Schwung zerriss weitere Fäden. Dann ließ es sich direkt vor Kari zu Boden fallen. Schmutzig grüne Augen starrten sie an. „Du siehst aus, als würdest du gut schmecken“, stellte es fest.

„Wasss fällt dir ein!“ Acht Beine raschelten über den Pflasterboden. Kari war so erstarrt von Fugamons Anblick, dass es T.K. endlich gelang, sie mit sich zu reißen. Ihr Hexenhut flog ihr vom Kopf, und als sie sich instinktiv herumdrehte, sah sie, wie Dokugumon gegen Fugamon prallte und es gegen die Wand stieß.

„Nein!“, schrie sie, mit Tränen in den Augen. „T.K! Er lebt noch! Wir müssen ihm helfen!“

Ihr Freund antwortete nicht, sah nicht einmal in ihre Richtung. So schnell, dass sie beide stolpern würden, sollte sie nicht aufpassen, und mit einem Griff, hart wie ein Schraubstock, zog er sie mit sich, dem Ausgang entgegen.

 

In Tais Blickfeld kämpften schwarze Flecken um die Vorherrschaft. Die eisig kalten Krallen des Bakemons schienen ihn gleichermaßen in eine Bewusstlosigkeit und in einen Kältetod katapultieren zu wollen, denn wo sie seine Haut berührten, schien Raureif darüber zu kriechen. Seine Lungen lechzten nach Luft, schrumpften schier zusammen auf die Größe von Kidney-Bohnen. Weit entfernt hörte er Sora rufen, dumpf spürte er Matts Schläge auf den Geisterkrallen. Seine Beine berührten den Boden nicht mehr, hilflos baumelten sie in der Luft, doch selbst zu strampeln wurde zu anstrengend. Sein ganzer Brustkorb brannte indessen, als wäre er mit flüssigem Feuer gefüllt.

Schließlich ein etwas heftigerer Schlag, dann noch einer. Ein schwarzer Schemen flog durch Tais körnige Sicht. Noch ein Schlag. Noch einer. Dann ein Fauchen, ein Schaben und Splittern, und der Griff um seine Kehle lockerte sich. Tai plumpste zu Boden und begriff im ersten Moment gar nicht, dass er nun frei war. Erst als er sich die Ellenbogen auf dem Asphalt aufschürfte und kleine Steinchen in seine Haut stachen, erinnerte er sich, dass er atmen wollte, seit Minuten schon, wie es ihm vorkam. Das erste Luftholen war schmerzhafter, als er es sich je erträumt hatte. Röchelnd ließ er eisige Oktoberluft in seine Kehle strömen, seine Lungen schienen sich erst wieder zu ihrer vollen Größe entfalten zu müssen. Tai hustete qualvoll.

Die tanzenden Flecken vor seinen Augen wurden im ersten Moment mehr statt weniger. Als er wieder etwas erkennen konnte, sah er Takumi, den Jungen mit der Fuchsmaske. Er hatte den Mopp des Geisterbahnmitarbeiters in der Hand und den Stiel direkt in das geifernde Maul des Bakemons gerammt. Dessen scharfe Zähne hatten sich in das harte Holz gegraben wie eine Säge und es splittern lassen, doch die zahllosen Späne schienen dem Bakemon nun doch Schmerzen bereitet zu haben – entweder das, oder es war einfach unangenehm, den Mund voller Sägemehl zu haben, während man seine eigentlich Mahlzeit noch zu erwürgen versuchte.

Erst jetzt bemerkte Tai, dass Sora zu ihm gestürzt war und ihn an beiden Schultern gepackt hielt. Ihre Finger lagen auf den Wunden, die Bakemons Krallen ihm zugefügt hatten, doch sie schien es gar nicht zu bemerken. Sie redete auf ihn ein, aber es klang wirr. Irgendetwas davon, ob es ihm gut ginge, durchsetzt mit schockierten Ausrufen … Dann sagte Matt etwas, und seine Worte klangen genauso wirr, also musste es an Tais Verstand liegen, der momentan nicht voll funktionstüchtig war. Irgendwo läutete ein Handy, oder bildete er sich das auch nur ein?

Eine blaue Faust traf Takumis Magengrube und er ging ächzend in die Knie. Bakemon spuckte Holzsplitter und spreizte in einer eindeutig wütenden Geste die Krallen. Tai hustete immer noch und zog sich instinktiv an Soras Schulter in die Höhe. Er konnte kaum aufrecht stehen, so sehr hatte sich seine Lunge verkrampft.

„Verdammt, wir müssen an ihm vorbei!“, knurrte Matt.

In dem Moment ertönte ein markerschütterndes Brüllen aus der Geisterbahn. Die Stoffstreifen vor dem Schlauch flatterten in einem plötzlichen Luftstoß, glitzernde Silberfunken wehten darunter hervor. Dahinter waren undeutlich zwei Schatten zu erkennen. Im nächsten Moment stürmten Kari und T.K. aus der Geisterbahn, mit springenden, holprigen Schritten. Seiner Schwester schien es gut zu gehen. Tai fiel ein Stein vom Herzen.

Das verdutzte Bakemon reagierte zu langsam. Die Szene hatte eine gewisse Komik, als die beiden ihre Hände losließen und links und rechts an dem Geistdigimon vorbeiliefen, als wäre es eine Straßenlaterne. Jetzt erst bemerkte Tai den Terror, der in ihre Gesichter geschnitzt war. „Lauft!“, brüllte T.K. aus Leibeskräften.

Im nächsten Moment wallten die Stoffstreifen wieder auseinander, und als wollte ein Dämon die Flüchtenden knapp hinter dem Höllentor aufhalten, sauste das größte Dokugumon hervor, das Tai je gesehen hatte.

Und trotz seiner Masse war es unglaublich schnell.

Bakemon wandte sich nun nach ihm um, als es sein Fauchen hörte, und wurde von der Riesenspinne einfach davongestoßen. Im nächsten Augenblick war das Dokugumon direkt über den beiden Flüchtenden, die ihre Freunde fast erreicht hatten.

Mit einem grässlichen Fauchen schnappten seine weiten, zähnebewehrten Insektenkiefer zu.

 

Von dem Moment an, als sie den Windhauch in ihrem Nacken spürte, erlebte Kari alles wie in Zeitlupe. Sie erinnerte sich hinterher daran, wie T.K. ihre Hand losgelassen hatte, als vor ihnen etwas Helles aufgetaucht war, ein Hindernis – ein Bakemon, wie sie erst später erkannte. Sie erinnerte sich daran, die Gesichter von Sora, Matt und Tai vor sich zu sehen, deren Augen sich erschrocken weiteten.

Und dann war da der Windhauch, und das Biest, das ihn erzeugt hatte. Dokugumon rauschte in einem gewaltigen Sprung heran, war in einer Sekunde direkt neben ihr. Sie sah, wie T.K. den Mund zu einem Schrei aufriss, wie sein Oberkörper kippte, wie seine ausgestreckte Hand ins Leere griff, zu weit von Kari entfernt, als dass sie sie hätte erreichen können. Dann hatte Dokugumon die Zähne um seine Hüfte geschlossen und katapultierte sich mit einem gewaltigen, achtbeinigen Sprung auf die nahe Hauswand.

Kari bekam gar nicht mit, wie sich ihre Beine verhedderten. Sie hatte entsetzt den Kopf in Richtung des grausigen Spinnenungetüms gedreht und zahlte nun den Tribut dafür. Selbst ihr Sturz schien ewig lange zu dauern, während Dokugumon über die Häuserfront krabbelte, T.K. im Maul wie eine leblose Puppe mit schlenkernden Gliedmaßen.

Der haarige Spinnenleib huschte über die Dachkante, fünf oder sechs Stockwerke über ihr, und Kari prallte hart auf dem Asphalt auf. Sie schrie, doch auch wenn ihre Lippen seinen Namen formten, verließ nur ein undefinierbares Krächzen ihre Kehle.

In the streets on Halloween … there’s something going on

„Komisch, warum heben die nicht ab?“ Mimi ließ genervt ihr Handy sinken. Sie klemmte mit Izzy in der Straßenbahn und versuchte, ihre Freunde zu erreichen. Nacheinander hatte sie nun Sora, Tai und Kari angerufen, aber niemand war rangegangen. Bei Kari war überhaupt sofort die Mailbox gekommen.

„Vielleicht gibt es irgendwo laute Musik und sie hören ihre Handys nicht“, schlug Izzy vor, der die ganze Zeit nur nachdenklich aus dem Fenster gestarrt hatte. Ihm ging immer noch nicht aus dem Kopf, was er zuhause erlebt hatte, allerdings kam es ihm mit jedem Meter, den die Straßenbahn zurücklegte, mehr wie ein Traum vor. Oder eine Illusion oder ein Hirngespinst.

Mimi seufzte genervt und wählte einen weiteren Kontakt aus. Diesmal meldete sich jemand. „Hallo? Yolei? Endlich erwische ich mal wen“, rief sie aus. „Wo seid ihr? … Nein, wir sind noch in der Straßenbahn … Ja, in ein paar Minuten … Okay, bis dann!“ Sie klappte ihr Handy geräuschvoll zu und sah Izzy mit einem Ausdruck in den Augen an, den er nur als grimmige Zufriedenheit deuten konnte. „Sie sind am Anfang der Halloween-Meile und warten, dass der Geisterumzug losgeht. Anscheinend verzögert er sich wegen irgendwas. Vielleicht kommen wir sogar noch rechtzeitig hin!“

„Sind Tai und die anderen auch dort?“

„Wie es aussieht, nur Yolei, Ken und Davis“, meinte Mimi achselzuckend.

Izzy wollte etwas sagen, aber eben rempelte ihn ein Fahrgast an, der aussteigen wollte. Er musste sich am Haltegriff festhalten, um nicht von den schiebenden Leibern aus der Straßenbahn gedrängt zu werden. Es war echt irre viel los heute.

„He, Kleine“, hörte er plötzlich eine raue Stimme dicht neben seinem Ohr. Verwirrt drehte er sich um. Als sich die Wand aus Fahrgästen neben ihm verschoben hatte, war ein grell geschminkter Typ in Punker-Klamotten zwischen ihm und Mimi aufgetaucht und maß interessiert ihr Kostüm. „Ganz allein unterwegs?“

Das war wohl in dieser vollgestopften Straßenbahn der dümmste Anmachspruch, den man bringen konnte. Außerdem schien der Kerl Izzy ganz einfach zu übersehen. In dieser Nacht fiel er mit seinem Zombiegesicht zwar nicht besonders auf, aber er war auch nicht so unscheinbar wie sonst. Vielleicht wollte ihn der Punker auch einfach übersehen – er drängte sich mit der Schulter so zwischen ihn und Mimi, als versuchte er sie bewusst voneinander zu trennen.

Mimi besah sich mit einem abfälligen Gesichtsausdruck die zahllosen Ketten und Spinnennetzaufnäher auf seiner Lederkluft. „Hast du ein Problem?“, fragte sie kühl.

„Nö. Jetzt nicht mehr, nachdem ich dich gesehen hab.“

„Du könntest aber bald ein Problem kriegen“, sagte sie unwirsch.

„Ach komm, sei doch nicht so.“ Er gab sich sichtlich Mühe, wie eine Katze zu schnurren. Sein Atem roch sauer nach Alkohol, das bemerkte sogar Izzy.

Er fühlte sich verpflichtet, etwas zu sagen, aber ihm fiel auf die Schnelle nichts ein. Er räusperte sich, so laut er konnte, aber die Leute in der Straßenbahn schnatterten so sehr, dass er sich selbst kaum hörte. „Äh …“, machte er, doch der Punker sah nicht mal in seine Richtung, so als wäre er Luft.

„Hör mal, ein paar Kumpels von mir haben eine Wohnung ganz in der Nähe. Die machen dort ordentlich Stimmung, und wenn die Parade losgeht, können wir sie durchs Fenster anschauen.“ Er beugte sich näher zu ihr. Sonst schien sein Gebaren niemandem in der Bahn aufzufallen – oder sie wollten einfach in nichts verwickelt werden, denn Izzy war sicher, ein paar Blicke in ihre Richtung zucken zu sehen.

„Schön für euch“, sagte Mimi. „Sonst noch was?“

„Alter, checkst du’s nicht? Ich lad dich ein, mit uns zu feiern!“

„Nein, dieser Alte checkt das nicht. Ich sehe mir mit meinen Freunden die Parade an, und wir werden einen Riesenspaß haben. Dazu brauchen wir dich und deine Kumpels nicht.“

Er verzog das Gesicht. „Jetzt hör mal zu, Prinzessin“, knurrte er und beugte sich noch weiter vor. Mimi wich vor ihm zurück, aber das Plexiglas des Fensters war direkt hinter ihr. „Ich red hier von ‘nem einmaligen Angebot, klar? Du hast noch nie so viel Spaß gehabt, ich versprech’s dir.“

Izzy leckte sich über die Lippen und brachte es über sich, den Punker an der Schulter anzutippen. Wenn er erst mal Augenkontakt herstellte, würde er vielleicht irgendwie mit ihm reden können – zumindest dachte er das. Aber der junge Mann gab sich weiterhin redlich Mühe, ihn zu ignorieren.

„Danke, aber ich verzichte“, sagte Mimi stur. „Bist du jetzt fertig? Du riechst aus dem Mund.“

„Scheiße, was ist los mit dir?“, rief er zornig aus. „Vor dir steht der coolste Typ des Westendviertels und du führst dich auf wie die Zicke vom Dienst!“ Izzy klopfte ihm fester auf die Schulter, und diesmal fuhr er herum. „Was willst du, Pisser?“

„Wir … wir werden gleich aussteigen. Kommst du, Mimi?“, fragte er und hielt ihr die Hand hin. Die nächste Station war gleich um die Ecke, wie er wusste. Sie würden dann noch ein Stück zu Fuß gehen müssen, aber die Ausrede kam wie gerufen.

„Gerne“, erwiderte Mimi mit einem zornsprühenden Blick auf den Punker und wollte sich an ihm vorbeischieben, doch der Kerl schlug einfach Izzys Hand zur Seite und versperrte ihr den Weg. Mimi holte eben Luft für eine empörte Schimpftirade, als ein plötzlicher Ruck die Menschen in der Straßenbahn straucheln ließ. Izzy prallte gegen den Punker, ehe er sich an einer Griffstande festhalten konnte.

„Was ist denn los?“, fragte irgendjemand.

„So ein Spinner“, hörte man dann einen anderen Fahrgast murmeln, der weiter vorne am Fenster stand. „Steht einfach mitten auf der Straße rum.“

Die Bahn setzte sich wieder in Bewegung, ohne dass Izzy den Grund für das abrupte Anhalten ausmachen konnte, und blieb keine zehn Meter weiter an der Station wieder stehen. Er nützte die Ablenkung – der Punker war durch den plötzlichen Stoß etwas auf Abstand geraten –, packte Mimi an der Hand und zog sie zur Tür.

„Hey!“, rief der betrunkene Kerl ihnen hinterher, als sie auf die Straße schlüpften, wo sie im Vergleich zum stickigen Inneren der Bahn kalte Herbstluft empfing.

„So ein Idiot“, zischte Mimi und stiefelte hastig neben Izzy den Bürgersteig entlang.

„Hey! Warte mal, Prinzesschen!“

Izzy warf einen Blick hinter sich und stellte mit Erschrecken fest, dass der Punker ihnen folgte. „Mann, ist der hartnäckig“, stellte er fest.

„He! He du! Ich muss dir noch was sagen!“

„Ja, sicher“, sagte Mimi säuerlich, beschleunigte ihre Schritte und Izzy musste sich anstrengen, nicht zurückzufallen – was dadurch erschwert wurde, dass ihm plötzlich ein maskierter Mann in den Weg lief, der direkt von den Schienen der Straßenbahn heranwankte. Izzy wich ihm im großen Bogen aus – sicher noch ein Betrunkener –, als auch er Mimi interessiert hinterhersah.

Der Punker ließ keinen solchen Respekt walten. Rücksichtslos wollte er den Mann aus dem Weg rempeln, obwohl ihn dieser um mindestens einen halben Kopf überragte. Er prallte mit der Schulter gegen seinen Brustkorb und – etwas war seltsam. Izzy würde sich nicht als Physikgenie bezeichnen, aber er hatte doch ziemlich viel Ahnung von solchen Sachen, und gesunder Menschenverstand allein hätte gereicht um zu wissen, dass ein menschlicher Körper von einer solchen Wucht zumindest ein wenig ins Stolpern gebracht werden müsste. Aber der Maskierte wankte nicht. Keinen Zentimeter. Es war, als wäre der Punker gegen eine Betonsäule gelaufen.

Während die beiden langsam hinter Izzy und Mimi zurückfielen, sah er, wie der lästige Macho blinzelnd den Blick hob, um zornig die goldene Fuchsmaske anzustarren, die ihm entgegenglotzte. „Hey, mach gefälligst den Weg frei, du Wichser“, knurrte er. „Ich hab gerade echt beschissene Laune, also komm mir nicht krumm!“

Ein heiseres Lachen ließ ihn herumfahren. „Was ist denn hier los? Macht diese Witzfigur Ärger?“

Ein weiterer verkleideter Mann trat hinzu und im ersten Moment wusste Izzy nicht, ob er nun zu dem Maskierten oder zu dem Punker gehörte. Er trug selbst eine Art Wolfsmaske, einen geschmückten Nadelstreifenanzug und zwei aufgeklebte Dämonenflügel am Rücken und war zudem an die zwei Meter groß. In seiner Begleitung war eine blonde Frau mit einem schelmischen Gesichtsausdruck und einem Hexenkostüm, das ganz in Rot gehalten war.

Der Punker starrte die beiden einen Moment lang an, dann tat er mit dem Nadelstreifenmann das, was er zuvor schon mit Izzy getan hatte: Er übersah ihn einfach und wandte sich stattdessen an die Frau. „Na, Puppe, ganz schön kalt heute Abend, oder? Wie wär’s, wenn wir zusammen bei meinen Kumpels rumhängen?“

„Komm endlich!“, zischte Mimi ungehalten und zerrte Izzy um die nächste Hausecke. Die Szene mit den schrillen Gestalten verschwand aus seinem Blickfeld.

Etwas verloren lief er neben seiner immer noch schäumenden Freundin her. Die bunten Figuren mehrten sich, je näher sie dem Anfang der Halloween-Meile kamen, und ebenso mehrten sich seine Gewissensbisse. Er hätte etwas sagen sollen, als der Kerl Mimi angemacht hatte. Sie hatte ihn ganz allein abwimmeln müssen, als wäre Izzy tatsächlich nicht da gewesen. Ihm ging durch den Kopf, dass er sich richtig feige verhalten hatte. Zu wenig energisch, zu vorsichtig.

Mimi zog ihn immer noch mit sich und starrte dabei stur geradeaus. Ihre Brauen waren unheilvoll zusammengezogen. Sie sagte kein Wort mehr, bis sie auf ihre Freunde trafen, und trotzdem wäre es Izzy lieber gewesen, sie hätte ihm Vorwürfe gemacht.

 

„T.K. … Es hat T.K. geschnappt … Wir müssen … Wir müssen …“, keuchte Kari, während das harte Trampeln auf Pflastersteinen sie auf Tais Rücken durchschüttelte. Sie war nicht ganz bei sich, stammelte immer wieder dieselben Worte und schien unfähig, sich zu bewegen. Also hatte er sie ganz einfach Huckepack genommen, dann waren sie getürmt. Das Bakemon, das Tai so übel mitgespielt hatte, war noch benommen, aber es würde sicher wieder Jagd auf sie machen.

Matt lief zuvorderst, seine Gedanken rasten. Er mochte sich gar nicht vorstellen, was im Moment mit T.K. passierte … oder schon passiert war. Er musste seine Sorge unbedingt unter Kontrolle behalten, unterhalb des Levels, auf dem sie seine Entscheidungsfähigkeit trüben würde. Während sie von der Geisterbahn fortliefen, dieselbe Straße entlang, der er zuvor mit Takumi gefolgt war, sah er sich hektisch um. Er musste auf das Dach des sechsstöckigen Wohnblocks kommen! Als hinter einer defekten Straßenlaterne eine Haustür aus der Dunkelheit auftauchte, stürzte er darauf zu und rüttelte knurrend an dem Türknauf. Dann drückte er nacheinander alle Klingelknöpfe, die er vorfand.

„Das bringt doch nichts“, keuchte Tai. „Lass uns eine Feuerleiter oder so suchen!“

Wütend schlug Matt mit der Faust gegen das Klingelbrett. Wahrscheinlich waren die Leute im Westendviertel es mittlerweile gewöhnt, dass kleine Geister an ihren Türen lärmten.

Er stürmte weiter, fand ein gekipptes Fenster im Erdgeschoss. „He!“, brüllte er. „Machen Sie uns auf!“ Eine achtlos weggeworfene Glasflasche brachte ihn auf eine Idee. Er hob sie auf, holte aus, und ehe Sora ihm in den Arm fallen konnte, hatte er das Fenster damit zerschmettert.

„Matt, nicht!“, rief seine Freundin, als er sich schon am Fensterbrett hochziehen wollte. „Du wirst dich verletzen!“

Er hörte nicht auf sie, sondern schlug mit der Faust lockere Scherben aus dem Fenster, ehe er sich in die Wohnung zog. Scharfkantige Glassplitter gruben blutige Furchen in seine Haut, und als er es endlich in das Zimmer geschafft hatte, fiel er ungelenk zu Boden und schlitzte sich dabei noch einmal den Unterschenkel auf. Der Schnitt ging so tief, dass er spürte, wie sich sein Hosenbein mit warmem Blut vollsog. Stöhnend kämpfte er sich auf die Beine.

Der Raum, in dem er sich befand, war völlig finster, aber er konnte die Umrisse von uralten Polstermöbeln erkennen. Ein Wohnzimmer? Das Gebäude musste irgendein Altbau sein. Halb erwartete er, eine der angrenzenden Türen auffliegen zu sehen, als Reaktion auf seinen offensichtlichen Einbruch, aber alles blieb still. Unnatürlich still … als würde das zerstörte Fenster immer noch alle Geräusche von draußen dämpfen. Es roch muffig und nach altem Stoff und Staub.

Nichts regte sich, aber … War er wirklich allein hier drin …?

„Wie sieht es da drinnen aus?“, hörte er Tai rufen und der unheimliche Moment verschwand.

Matt antwortete nicht, sondern humpelte zur nächstbesten Tür. Dabei stieß er gegen ein Möbelstück und taumelte. Die Schmerznerven in seinem verletzten Bein brüllten auf und er konnte nur mit Mühe ein weiteres Stöhnen unterdrücken. Die Tür war direkt vor ihm.

„Matt! Sag was!“, rief Sora. „Bist du okay?“

„Sieh nach, ob du uns die Eingangstür aufmachen kannst!“ Takumis Stimme. Was für eine dämliche Idee. Er würde schnurstracks aufs Dach laufen, um T.K. zu retten – wenn sie ihm unbedingt folgen wollten, sollten sie doch auch durchs Fenster klettern! Und insgeheim hoffte er, dass seine Freunde genau das taten.

Die Tür bestand aus schwerem, dunklem Holz und war abgeschlossen. „Verdammt!“, stieß Matt aus und schlug mit der Faust dagegen, als sich die Klinke wie im Leerlauf bewegte. Dann lehnte er die Stirn gegen das kühle Holz. Eine Welle der Erschöpfung schwappte über ihn herein. T.K. … Sein Bein pochte schlimmer, als wollte es ihn zum Weitermachen zwingen.

„Matt, alles klar?“ Er hörte etwas klirren, dann ein dumpfes Fluchen, und Tais Umrisse traten auf ihn zu.

„Nein“, knurrte er. „Die verdammte Tür geht nicht auf!“

Tai sah sich um und hockte sich dann vor einen Couchsessel, riss den staubigen Überwurf herunter und schwang den Sessel wie eine Keule gegen die Tür. Die ersten paar Schläge waren dumpf, der nächste ließ ein Knarzen hören, als würde etwas brechen, aber es war wohl eher ein Teil des Sessels.

„Verdammt nochmal!“, rief Matt und rüttelte wie von Sinnen an der Türklinke. „T.K!

„Hier ist noch eine Tür!“, meldete plötzlich Sora, die ihnen in die Wohnung gefolgt sein musste. Matt konnte sie gar nicht ausmachen, aber ihre Stimme kam aus der gegenüberliegenden Ecke.

Sofort stürzte Matt zu ihr, riss Stühle um und prallte ein paar Mal schmerzhaft gegen Hindernisse, dann gegen Sora selbst, die einen erstickten Schrei ausstieß. Es war stockdunkel in dieser Ecke des Zimmers, auch weil die Straßenlaterne draußen ausgefallen war.

„Wo?“, fragte Matt mit rauer Stimme.

Sora führte seine Finger zu einer glatten Holzfläche … oder nein, war das Kunststoff? Eine billige Plastiktür? Er fand die Klinke; auch diese Tür war verschlossen.

„Warte.“ Das Display von Soras Handy glomm plötzlich geisterhaft vor ihm. In seiner Kopflosigkeit hatte er gar nicht daran gedacht, dass er mit seinem Mobiltelefon Licht machen könnte.

Die Tür sah tatsächlich schäbig und dünn aus. „Geh zur Seite“, murmelte Matt, nahm Anlauf und warf sich mit voller Wucht dagegen.

Der Aufprall schien seine Schulterknochen in Stücke zu reißen. Ein Schmerzblitz ästelte sich bis zu seinem Ellbogen entlang und ihm blieb die Luft weg. Trotzdem, die Tür hatte nachgegeben. Das gab ihm einen Funken Hoffnung. Er biss die Zähne zusammen, versuchte es erneut und schaffte es tatsächlich, die altersschwache Tür aufzusprengen. Mit den Händen voraus stolperte er auf einen schmalen Flur. Soras Handylicht beleuchtete einen Kreis aus hellen Kacheln, dann den ganzen Korridor, als sie ihm folgte. Das Haus musste tatsächlich leer stehen. Die Kacheln verzierten Wände und Boden im vorsintflutlichen Stil; schwarze Schimmelflecken hatten die Ecken der Fliesen erobert und ließen sie stumpf und irgendwie modrig wirken. Verwaiste Spinnweben klebten dich unter dem Plafond, und Matt meinte allerlei Krabbelgetier vor Soras Licht Reißaus nehmen zu sehen.

Mehrere Türen zweigen vom Flur ab. Eine Treppe nach oben war nirgends zu entdecken. „Wohin jetzt?“, wisperte Sora und zuckte zusammen, als auf der anderen Seite des Gange ein schabendes Geräusch ertönte. Das blasse Displaylicht schwenkte herum und verlor sich auf dem Weg zum Ende des Korridors, sodass es aussah, als starrten sie in ein dunkles, gähnendes Loch.

„Irgendwohin“, murmelte Matt. Er würde so viele Türen aufbrechen wie nötig, um seinen Bruder zu retten!

Auch Tai stolperte nun auf den Gang. Matt fiel erst jetzt auf, dass er Kari nicht mehr auf den Schultern hatte, und er hörte leise Takumi in dem finsteren Wohnzimmer reden. Wahrscheinlich versteckten sich die beiden da drin, vielleicht sogar auf Tais Anweisung hin.

Schluckend fischte Matt sein eigenes Handy aus der Hosentasche. Beiläufig fiel ihm auf, dass er einen entgangenen Anruf und zwei SMS hatte. Das Displaylicht verstärkte Soras, konnte die Finsternis aber immer noch nicht durchdringen.

„Da hat gerade irgendwas ein Geräusch gemacht“, flüsterte Sora unbehaglich. Und wir können es nicht sehen!, sagte der zitternde Unterton in ihrer Stimme. Tatsächlich schien es, als versteckte sich dort hinten etwas und versuchte mit aller Macht, die Schatten über sich zusammenzuziehen wie einen Mantel.

„Vielleicht nur eine Maus“, murmelte Tai, als sich das Schaben wiederholte. Diesmal dauerte es länger, bis es verklang.

„Zum Teufel noch mal“, zischte Matt gedämpft und lief einfach den Gang entlang. Vielleicht lauerte dort hinten ein Feind, ein Digimon oder ein Geist oder sonst was, vielleicht gab es dort aber auch eine Treppe.

Mit zwei Dingen hatte er recht. Mit dem dritten leider nicht.

Das grässliche Grinsen des Bakemon schälte sich aus der Dunkelheit. Seine funkelnden schwarzen Augen reflektierten das fahle Licht. Seine blauen Krallen kratzten über die gelben Fliesen. „Na, hab ich euch Angst eingejagt?“, fragte es mit seiner typischen, hohlen Stimme, aus der jedoch Vorfreude troff wie Sabber. „Macht mal das Licht aus.“

Die zwei blauen Krallenhände schnellten unter seinem Laken hervor, und ehe Matt reagieren konnte, schloss sich eine davon um die Hand, die sein Mobiltelefon hielt. Er hörte erst das Knirschen der Kunststoffhülle, dann fühlte er das Knirschen seiner Knochen. Im ersten Moment war er zu verdutzt, um den Schmerz zu spüren. Gleichzeitig erlosch auch das Licht in Soras Hand, und sie befanden sich wieder in völliger Dunkelheit, Auge in Auge mit einem Geistdigimon.

 

„Mensch, die sollen endlich anfangen“, nörgelte Davis. Seit einer zähen Viertelstunde standen sie sich nun schon die Beine in den Bauch. Auf der Hauptstraße warteten die Schaulustigen dicht gedrängt; auch relativ viele Nicht-verkleidete hatten sich eingefunden, um die Parade zu sehen. Selbst das Fernsehen war hier, dazu eine Menge Fotografen und Hobbykameraleute, die diesen einmaligen Moment auf Film bannen wollten. Es war praktisch unmöglich, niemandem ins Bild zu laufen.

Die Mitte der Straße war mit farbigen Holzbarrikaden abgeriegelt und allein den Paradegängern vorbehalten. Um den Effekt zu erhöhen, hatte man ein großes, langgezogenes, schwarzes Stoffzelt aufgebaut, aus dem die Halloweengruppen kommen würden, um auf ihrem Marsch über die Halloween-Meile die Zuschauer zu gruseln. Eigentlich war die Parade für halb elf geplant gewesen, aber der Beginn war schon zehn Minuten überfällig.

„Das ist doch immer so bei großen Veranstaltungen“, versuchte Ken seinen Freund zu beschwichtigen. „Mit so einer kleinen Cum-tempore-Verspätung muss man rechnen. Sieh es als kleines Kavaliersdelikt.“

„Ich kann Kavaliere nicht ausstehen“, brummte Davis, einfach um seinen Ärger an die Luft zu lassen. Er suchte zum wiederholten Male die Menge ab auf der Suche nach dem Moderator, dessen Stimme vor ein paar Minuten über die Lautsprecher ertönt war. Da hatte er nur verkündet, dass sie bald starten würden. Dabei hatte er natürlich mit der Information gespart, wann bald sein sollte.

„Ratet mal, was ich da gerade sehe“, rief Yolei plötzlich, die sich umgedreht hatte und jemandem in der Menge zuwinkte. „Einen Zombie und ein Digimon!“

„Echt jetzt?“ Davis drehte sich um. Er sah Mimis Lillymonkostüm auch schon von weitem – es besaß einen wesentlich freundlicheren Farbton als das Gros der hier zur Schau getragenen Verkleidungen, an dem auch die kalten LED-Scheinwerfer, die an allen Ecken der Straße glommen, nichts rütteln konnten.

„Hallo! Wir sind hier!“, schrie Yolei und winke hektischer, damit das Lillymon und der rothaarige Zombie-Frankenstein zu ihnen fanden. „Lillymon ahoi!“

„Hey!“, begrüßte Mimi sie, als sie sich durch eine schauderhafte Geisterhorde gekämpft hatten. Sie war leicht außer Atem, als sie die drei nacheinander umarmte. Izzy keuchte noch mehr, und Davis war sicher, dass seine Wangen unter der weißen Schminke einen ähnlichen Farbton angenommen hatten wie seine Haare. „Kommen wir zu spät?“

„Nein, die haben noch gar nicht angefangen“, erklärte Yolei.

„Werden die bestimmt heute auch nicht mehr“, brummte Davis.

„Boah, jetzt reiß dich endlich mal zusammen, ich kann’s nicht mehr hören!“, stöhnte die Hexe im Bunde.

„Dann hör halt nicht hin.“

„Ist von den anderen schon jemand aufgetaucht?“, erkundigte sich Izzy.

„Nein“, sagte Ken und klang besorgt. „Dabei haben wir fest damit gerechnet, dass wir die Letzten sein würden.“

„Wo wart ihr überhaupt so lange?“, fragte Yolei.

„Wir sind nochmal zu Izzy gefahren – Gott, das müsst ihr euch anhören!“ Mimis Augen zeigten plötzlich einen Ausdruck, als müsste sie ihnen gleich das Ende der Welt verkünden. „Wir haben was total Irres erlebt. Das war richtig … gruselig.“

„Haben euch Geister erschreckt?“, konnte sich Davis nicht verkneifen zu stänkern. „Du weißt schon, dass heute Halloween ist, oder?“

„Das hatte mit Halloween überhaupt nichts zu tun!“, sagte Mimi beschwörend. „Bei Izzy zuhause – da stimmt etwas nicht!“

Die Lautsprecher krachten, dann ertönte düstere, epische Musik. Die Parade begann. Endlich. Davis wandte seine Aufmerksamkeit dem Zelteingang zu. Plötzlich sog Yolei neben ihm scharf die Luft ein und packte ihn am Arm. „Hier stimmt auch was nicht!“, flüsterte sie so leise, dass er sie über die Musik kaum verstand. Ihr ausgestreckter Finger zeigte in die Zuschauermenge ein paar dutzend Meter von ihnen entfernt.

„Ist das … Ist das etwa …“, brachte Ken heraus.

„Ja! Aber das kann doch nicht sein!“ Yolei senkte ihre Stimme zu einem Flüstern.

Davis erkannte das Wesen sofort, obwohl er es nur aus den Erzählungen von Kari und Yolei kannte. „Ist das ein LadyDevimon?“ Dann fiel ihm etwas ein. „Aber habt ihr nicht gesagt, LadyDevimon wären schwarz?“

„Sind sie auch“, murmelte Izzy. „Aber offenbar gibt es sie auch in Rot.“

Mitten unter den Schaulustigen stand tatsächlich ein LadyDevimon in blutroter Montur und gab sich Mühe, wie ein ganz normaler verkleideter Mensch zu wirken … Aber Davis hatte das Gefühl, dass das nicht lange so bleiben würde. Plötzlich wurde ihm schwindlig, und das lag nicht an seinem Kostüm, unter dem es bestialisch heiß war. Es waren also wieder Digimon im Westendviertel aufgetaucht … Was hatte das zu bedeuten?

 

Sora wusste nicht, wie ihr geschah. Erst fühlte sie, wie ihr das Handy aus der Hand geschlagen wurde und an der Wand neben ihr zerdepperte. Dann ließ Matt ein ersticktes Stöhnen hören. Die Luft, die ihre Lungen füllte, schmeckte von Sekunde zu Sekunde mehr nach Moder – war das der Atem von Bakemon, das immer näher kam?

Instinktiv wollte sie zurückweichen, prallte in völliger Finsternis aber gegen Tai, der sich im Gegenteil an ihr vorbeizuschieben versuchte. Auch in seiner Hand erglomm nun ein schales Licht – sein eigenes Handy. Sora wünschte sich, er hätte es nicht aufgeklappt. Keinen Meter vor ihr schwebte die Geisterfratze Bakemons, riesig groß, mit Augen wie schwarze Löcher und entblößtem, fauligem Zahnfleisch. Mit einer Hand hielt es Matts Faust gepackt, die andere öffnete sich eben für Sora.

„Ich hab doch gesagt, Licht aus“, näselte es und versuchte, nach Tais Handy zu grapschen.

„Dann zeig mal, ob du mich erwischst!“, knurrte er angriffslustig. „Ich hab mit dir eh noch eine Rechnung offen!“

In dem Moment kam Sora eine Idee. „DigiVice!“, platzte sie heraus. „Hat den keiner von euch sein DigiVice dabei?“ Ihr eigenes lag friedlich zuhause in ihrer Schreibtischschublade. Da sie seit Ewigkeiten nicht mehr von Digimon bedroht worden waren und selbstredend auch keine Tore mehr öffnen konnten, hatten die DigiRitter irgendwann aufgehört, die kleinen Artefakte mit sich herumzuschleppen. Matts und Tais Schweigen machte klar, dass auch sie da keine Ausnahme bildeten.

Bakemon erwischte Tais Arm beim zweiten Versuch – es war einfach viel zu schnell und in dem engen Flur gab es keine Möglichkeit, groß auszuweichen. „Menschen fürchten sich im Dunkeln, oder?“, fragte es. „Also machen wir es finster.“ Seine Krallen gruben sich in Tais Unterarm und glitten von dort bis zu seiner Hand, als wollte es ihm die Haut abschälen. Tai schrie gepeinigt auf, das Handy polterte zu Boden, wo es die blaue Faust zermalmte.

Es war wieder völlig finster. „So“, sagte Bakemon. „Aber jetzt. Ich habe Hunger.“

Und als hätte der zaghafte Lichterschein der Handydisplays das wahre, echte Licht erst auf den Geschmack bringen müssen, erstrahlte plötzlich von weiter hinten im Flur ein gleißender Lichtstrahl und tauchte selbst die schmutzigsten Kacheln in steriles Weiß.

Bakemon stieß ein schauriges Heulen aus, wie man es wohl nur von einem Geist erwarten konnte. Es ließ Matt los und schwebte rückwärts, die Augen mit der Hand bedeckend.

„Kari“, keuchte Tai. Sora versuchte geblendet die Lichtquelle auszumachen, doch sie konnte nur annehmen, dass es Kari war, die als Einzige ihr DigiVice dabeihatte. Sie schien sich weit genug gefasst zu haben, um ihn den Korridor zu treten.

„Schnell, wir brauchen irgendeine Waffe, solange es abgelenkt ist“, sagte Matt gepresst und hielt sein Handgelenk umklammert. Sora war sich fast sicher, dass das grelle Licht schon reichte, aber sie sollten wohl besser kein Risiko eingehen.

„Und kannst du mir mal verraten, wo wir hier eine Waffe herkriegen? Ist das das Haus der Ghostbusters oder wie?“, fragte Tai gereizt, stürzte aber schon zur nächstbesten Tür. „Mist! Auch abgeschlossen!“

„Hier muss es doch irgendwas geben!“, rief Sora und rannte selbst los. Wo das Bakemon sich in die Ecke kauerte, endete der Flur in einer Sackgasse, aber vielleicht hatte sie in der anderen Richtung Glück … Sie kam an Kari vorbei, die mit konzentrierter Miene immer noch ihr D3-DigiVice auf Bakemon gerichtet hielt, und lächelte ihr kurz dankbar zu.

Am anderen Ende des Flurs lag eine Abstellkammer wie aus der Wand gehauen. Sie war durch einen simplen Türrahmen zu erreichen und bis obenhin mit Gerümpel vollgestopft, mit Kisten und gesprungenen Bilderrahmen und rohen Holzmöbeln und staubigen Stickarbeiten und alten, bleichen elektronischen Geräten. Sora fegte ein paar spinnwebenbesetzte Hocker von dem Gerümpelhaufen und atmete tief durch. Dort. Dort war etwas, dass sie vielleicht, aber nur vielleicht, retten konnte. Zwei Computertastaturen schob sie noch aus dem Weg, dann drückte sie auf den Einschaltknopf des alten Röhrenmonitors. Natürlich passierte nichts – warum sollte das Ding auch Strom haben? Sora kroch halb unter einem alten Sessel hindurch, um das Kabel zu erwischen. Von draußen hörte sie wieder das Bakemon heulen. Schweiß trat ihr auf die Stirn. Wie viel Zeit hatte sie noch?

Es war wie ein kleines Wunder, dass sie tatsächlich eine rissige Steckdosenleiste in der Wand entdeckte, gleich neben dem Durchgang. „Bitte, bitte funktioniere“, flüsterte Sora und rammte den Stecker hinein. Ein Lämpchen am Bildschirm entflammte, das Bild selbst blieb finster. Sora hätte sich am liebsten gegen die Stirn geklatscht – ein Bildschirm war schön und gut, aber ohne einen Computer brachte das überhaupt nichts!

Fiebrig suchte sie in dem Gerümpelhaufen. Das Licht, das aus dem Flur fiel, reichte nicht aus, um jeden Winkel zu erkennen, also tastete sie größtenteils auf gut Glück.

Und das Glück war ihr hold. Endlich, zum allerersten Mal an diesem verrückten Abend, war ihr das Glück wirklich hold! Sie zerrte das schwere Gehäuse nach vorn zum Monitor, fand einen passenden Stecker, schloss auch den Computer ans Stromnetz an und verband das Bildschirmkabel dann damit. Ihre Finger glitten über das staubige Blech, bis sie den Einschaltknopf fand. Dann betete sie.

Ein Betriebssystem startete, das sie nicht kannte, aber es würde seinen Dienst schon tun. „Schnell!“, rief sie atemlos. „Kommt alle her! Ich hab einen Computer zum Laufen gebracht!“

Die anderen trampelten in die schmale Kammer, verschwitzt und aufgelöst. Takumi fehlte.

Tais Miene hellte sich auf. „Wow! Super, Sora!“

Kari kam als Letzes, das Licht in ihrer Hand schaukelte. „Aber ich kann vom Westendviertel aus kein Tor öffnen“, rief sie.

„Versuch es einfach, los!“, drängte Tai.

Das Licht erlosch, allein der Monitor schimmerte nun in strengem Blau. Kari hielt ihr DigiVice davor – und das altbekannte Interface erschien.

Bakemons Heulen hatte eine wütende Note angenommen, als es unter dem Türrahmen hereinrauschte. „Ihr! Na wartet! Ich werde mir euch so gut schmecken lassen wie noch niemals etwas zuvor!“

„Friss erst mal das!“, rief Tai, der den Monitor in die Höhe gewuchtet hatte und auf Bakemon warf. Das Kabel war kurz, aber es reichte. Als das Digimon in die Nähe des Tores kam, verwandelte es sich in blauen Staub, der von dem Bildschirm regelrecht gefressen wurde. Kein Laut verließ mehr seine Lippen. Das Nächste, was man hörte, war das Poltern des Monitors auf dem Boden, und dann das erleichterte Aufseufzen von vier erschöpften DigiRittern.

 

Es geriet Bewegung in die Zuschauermasse, als alle nach vorn zu den Absperrungen drängten. Jeder wollte die erste Truppe des Halloween-Umzugs sehen, die eben aus dem Zelt kam. Es handelte sich um etwa zwanzig Frauen und Männer in schwarzem Leder, die sich die Haut rot bemalt hatten, mit brennenden Fackeln jonglierten oder so etwas wie Jo-Jos schwangen, aus denen Flammen spritzten. Feuerspucker ließen den einen oder anderen erstaunten Ruf aus dem Publikum ertönen. Mimi verlor das LadyDevimon aus dem Blick – nein, das war es nicht. Es war einfach verschwunden. Eben überlegte sie nervös, ob es sie wohl in ihrer Verkleidung für ein echtes Lillymon – oder zumindest für einen DigiRitter – halten würde, als es geschah.

Da die ganze Zeit schon Feuerwolken von der Parade aufstiegen, nahm den ersten Schuss wohl niemand als solchen wahr. Selbst als eine wahre Salve ertönte, schienen die Leute unschlüssig, ob das nicht zur Show gehörte.

Dann jedoch zersprang klirrend ein Fenster im ersten Stock eines der angrenzenden Gebäude. Scherben regneten auf die kreischende Menschenmasse herab, gefolgt von etwas Dunklem, das dumpf auf den Asphalt klatschte.

„Was ist da los?“, rief Yolei entsetzt aus, als weitere Schüsse das Zimmer hinter dem Fenster erhellten. Ein Schrei gellte über die Straße und erstarb abrupt. Auf der Straße brach Chaos aus; die Leute begriffen, dass dort tatsächlich jemand schoss. Plötzlich war überall Gerempel. Izzy, der gerade den Mund aufgemacht hatte, wurde regelrecht von seinen Freunden weggestoßen, Davis brüllte etwas, doch Mimi hatte nur Augen für das zerschossene Fenster.

Sie dachte an den Punker von vorhin. Der jedem einigermaßen hübschen Mädchen angeboten hatte, bei ihm und seinen Kumpeln in einer Wohnung mit Blick auf den Geisterumzug zu feiern.

No way to escape the power unknown

Warum war es so finster? Hatte er vergessen, das Licht anzumachen? Nein, das war es nicht … Hatte er die Augen geschlossen?

Seine Finger ließen sich kaum bewegen, es war, als müssten sie sich gegen zähes Gelee kämpfen. Als er die rechte Hand hob, quietschte etwas. Er zuckte zusammen.

„Ha… Hallo?“ Seine Kehle war trocken, und so war das Wort nur ein Krächzen.

Es kam keine Antwort. Obwohl er fast sicher war, dass er nicht allein hier war, in diesem Raum … Schlich dort nicht etwas über trockenes Laub? Oder über zerknülltes Papier? Es raschelte … Oder bildete er sich das ein?

Nein, er machte sich nur verrückt. Da war nichts. Er war allein. Vollkommen allein. Er mochte die Einsamkeit nicht, nicht diese Art von Einsamkeit, aber im Moment wäre es ihm lieber, wenn er allein wäre, hier in dieser schmierigen, zähflüssigen Dunkelheit …

Da! Etwas hatte seine Füße berührt! Etwas wie eine Katze war um seine Beine gestrichen … nur dass es nicht warm und haarig gewesen war. Eher kalt und glatt. Und das Befremdlichste an der Berührung war, dass er sich nicht erinnern konnte, seine Beine vorher gespürt zu haben. Als hätte erst dieses Etwas die Nerven darin aktiviert … Er hatte bisher nicht einmal sagen können, ob er saß oder stand.

Erneut bewegte er die Hände. Nach einiger Zeit war dort wieder dieses Geräusch, leiser diesmal, aber trotzdem schmerzte es in den Ohren. Ein Windstoß ließ ihn frösteln.

Seine Finger berührten endlich seine Augenlider. Sie waren geöffnet.  Nicht einmal dessen war er sich sicher gewesen. Das hieß aber, dass diese vollkommene Dunkelheit real war …

Er drehte vorsichtig den Kopf. Sein Nacken war verspannt. Nicht, dass er schmerzte – er fühlte ihn kaum, und allein den Kopf zu bewegen war so anstrengend, wie den Korken aus einer Flasche zu ziehen. Es ging nur in ruckartigen, kleinen Bewegungen, sonst schien er gegen irgendeinen Widerstand zu stoßen. Ein wenig nach links drücken, ein wenig nach rechts … Der Widerstand lockerte sich, und ein scheußliches Knarzen wurde laut, als öffnete er tatsächlich eine widerspenstige Flasche. Er nahm die Hände zu Hilfe, legte sie auf seine Schläfen – Unsinn, sie packten den Korken, sonst hätte er ja wohl Haut gefühlt, und Ohren und Haare. Er musste diese Flasche aufkriegen. Er hatte schon dutzende Male Flaschen geöffnet, warum sollte die hier so etwas Besonderes sein?

Noch einmal dran ruckeln, noch ein bisschen mehr drehen, noch ein klein wenig drücken – es machte plopp und sein Kopf löste sich von seinem Hals, kullerte über seine Schulter nach unten und fiel zu Boden, und kurz schien Bewegung in die Dunkelheit zu kommen, und …

Er zuckte zusammen.

Immer noch stand er in der Schwärze, die Augen geöffnet, starr geradeaus blickend. Atemlos tastete er nach seinem Hals, dann nach dem Kinn. Es war noch da. Sein Kopf saß dort, wo er hingehörte, auch wenn sämtliche Muskeln in seinem Gesicht angespannt und hart waren und die Haut eiskalt.

Was war mit ihm los? Er verlor doch jetzt nicht etwa den Verstand, oder?

Er musste den Lichtschalter finden. Die Finsternis machte ihn noch wahnsinnig. Als er einen Fuß vor den anderen setzte, musste er sich wieder so sehr anstrengen, dass ihm fast der Schweiß ausbrach. Es war, als hätte er sich seit Ewigkeiten nicht bewegt. Seine Schritte hallten laut auf dem Boden wider.

Auf dem Weg zum Licht versuchte er sich zu erinnern. Was war das Letzte, das er noch wusste? Wie war er hierhergekommen? Er konnte es nicht sagen.

Das Rascheln in der Ecke wurde wieder laut, hervorgerufen durch den Luftzug. Er verharrte im Schritt. Nein, es hatte keinen Sinn, sich verrückt zu machen. Wenn er Licht machte, würde er sofort sehen, was dort hinten war, und es war ganz sicher etwas völlig Banales.

Hoffentlich.

Als er sich wieder auf den Weg machte, hörte er erneut dieses Quietschen. Diesmal schien es, als ertönte es direkt unter ihm. War er auf etwas Metallisches getreten? Seine Füße waren immer noch gefühllos, als wären sie ihm eingeschlafen, und fühlten sich an wie taube Klumpen. Was immer es war, er wollte nicht riskieren, auszurutschen oder gegen etwas zu stoßen, also hob er vorsichtig ein Bein und machte einen möglichst großen Schritt. Als er den zweiten Fuß nachzog, hörte er es kurz wieder, dieses Geräusch, als gehörten die Angeln einer alten Tür mal wieder geölt. Immerhin erklang es nun definitiv hinter ihm. Das metallische Ding musste er also überwunden haben.

Der Wind frischte auf und klatschte ihm etwas Langes, Dünnes gegen die Schläfe. Instinktiv hob er die Hand, um es fortzuwischen – das unangenehme Gefühl, in ein Spinnennetz getreten zu sein, drängte sich ihm auf. Seine Finger ertasteten etwas Weiches, ein dünnes Seil oder etwas in der Art, und fegten es weg. Es schlenkerte zurück und streifte seine Wange. Unheimlich. Er schüttelte sich.

Erneut berührte er das Ding, folgte ihm mit den Fingerspitzen. Es verlor sich irgendwo hinter ihm außer Griffweite. Vorsichtig ging er weiter, hielt das Seil fest. Es spannte sich weder, noch entglitt es ihm.

Verwirrt blieb er abermals stehen. Was hatte das zu bedeuten? Er konnte sich keinen Reim auf dieses seltsame Ding machen. War er irgendwo festgebunden? Das konnte sein … Ein langes Seil, das ihm viel Spielraum ließ. Wie weit würde er kommen? Und wo war es festgemacht? Konnte er sich befreien? Gerade, als er das dachte, hielt etwas ruckartig seine Arme davon ab, sich abzutasten. Dicke Schnüre banden ihn plötzlich. Er konnte auch nicht mehr dorthin zurück, von wo er gekommen war … Er war tatsächlich gefangen – ganz plötzlich, von einem Moment auf den anderen!

Vielleicht war das wirklich wie ein Spinnennetz. Spinnen ließen sich an ihren Fäden ja einfach so durch die Lüfte treiben, um ihr Netz zu beginnen. Vielleicht hatte der letzte Windhauch eine Spinne an ihm vorbeigeweht, und ihr Faden hatte sich zufällig über ihn gelegt? Kaum war der Gedanke gedacht, wurden die Schnüre auch schon dünner, bis sie so seidig dünn waren wie echte Spinnenfäden.

Dann war es doch hoffentlich kein Problem. Spinnennetze zerrissen bekanntlich bei der kleinsten Bewegung. Er warf sich nochmal mit aller Kraft gegen seine Fesseln. Die Fäden waren immer noch ziemlich stabil, wie Gitarrensaiten, und kurz fragte er sich, was ihm eigentlich versicherte, dass nicht er zerreißen würde, wenn er nicht vorsichtig war?

Seine Gebete wurden erhört. Es gab ein schnalzendes, peitschendes Geräusch, und seine Gliedmaßen barsten wie Streichhölzer und er klappte in sich zusammen, bis er nichts als ein kleines Häufchen war, das endlich frei von dem Netz war …

Keuchend spürte er wieder festen Boden unter den Füßen. Schon wieder, ging ihm durch den Kopf. Es war schon wieder passiert. Ein flüchtiger Gedanke von ihm, eine simple Allegorie hatte sich in Realität verwandelt. Seine Arme und Beine waren noch dran, die Schnüre weg, aber er wagte es nicht, hinter sich zu tasten, aus Angst, sie dort wieder vorzufinden, lauernd, ihn ein zweites Mal zu zerschneiden … Er schüttelte heftig den Kopf. Schluss mit diesen Gedanken! Der Lichtschalter, wo war der verdammte Lichtschalter? Konnte er ihn nicht auch durch seine Hirngespinste zum Vorschein bringen?

Eben stellte er sich mit aller Macht einen großen, elektrischen Lichtschalter vor, als es geschah. Das trockene Rascheln war wieder da, direkt vor ihm, gefolgt von einem erstickten Keuchen und einem dumpfen Schlag, als wäre etwas zu Boden gepoltert. Etwas … oder jemand.

Er riss die Augen so weit auf, wie er konnte, als ob es etwas helfen würde. Deutlich hörte er jetzt die Atemzüge, flach und schnell … Er meinte sogar, so etwas wie ein Herz schlagen zu hören, bum-bum-bum-bum … Oder war das sein eigenes?

Ohne recht zu wissen, was er tat, legte er die Hand auf seine Brust. Ja, sein Herz schlug rasch, was kein Wunder war, tick-tick-tick-tick … Das Pochen erklang von dort drüben, wo etwas gestürzt war. Das Klackern in seiner Brust war so, wie es sein sollte, und …

Die Erkenntnis traf ihn eiskalt. Was zum Teufel war hier los? Drehte er jetzt völlig durch? Und wer war das dort in der Ecke? „Wer ist da?“, brachte er angstvoll über die Lippen. Seine Stimme klang fremd für ihn.

Wer auch immer noch in diesem Raum war, er hörte ihn. Das Atmen veränderte seinen Rhythmus.

„He! Sag schon, wer du bist!“, rief er. „Was ist hier los? Wo sind wir? Warum ist alles dunkel?“

Wieder das Rascheln. Jemand kroch über den Boden. Auf ihn zu, oder von ihm weg? Verdammt, er konnte es einfach nicht abschätzen! Seine Sinne waren wie mit Eis überzogen.

Rückwärts bewegte er sich von dem anderen weg, bis er dumpf gegen etwas stieß. Die Wand? Bitte, mach, dass es die Wand ist! Und mach, dass ich dort endlich Licht machen kann!

Tatsächlich fanden seine Finger fast sofort einen Schalter. Diese leichte Berührung reichte aus, und endlich flammte direkt über ihm kaltes blaues Licht auf. Er wollte schon erleichtert aufatmen, als er seinen ausgestreckten Arm sah.

Nun war ihm klar, warum er ihn nur mit solcher Mühe hatte bewegen können. Seine Gelenke, die unter Haut und Muskeln ihre gewohnte Arbeit tun sollten, lagen bar. Begleitet von wachsendem Entsetzen glitt sein Blick über die rostigen Eisenscharniere, die sein Hand- und Ellenbogengelenk und seine Knöchel ersetzten. Dazwischen war seine Haut zu grauem Holz geworden, das sperrig und hart seine Bewegungen einschränkte. Ein Blick nach unten, und er erkannte, dass dasselbe auf seine Beine zutraf: klobige Holzschenkel, unterbrochen von eisernen Gelenken. Als wäre er nicht mehr als eine Puppe, die ein künstlerischer Vater seinem Kind geschnitzt hatte … Als er den anderen Arm hob und dann seitlich an sich hinabblickte, quietschten die alten Scharniere erneut.

Ein zaghaftes Tapsen ließ ihn herumfahren. Erneut Gequietsche, wieder prallte etwas Weiches gegen sein Gesicht, aber es war so schnell wieder fort, dass er es nicht erkennen konnte. Er wusste, dass er die andere Person nun sehen würde, er musste sie fragen, was los war, was mit ihm geschehen war, warum sich sein Körper in diesem Zustand befand … Aber alles, was er sagen wollte, blieb ihm im Hals stecken.

Ein Kind war mit ihm im Raum. Ein Junge von höchstens acht Jahren, mit pausbäckigem Gesicht und zerzaustem blondem Haar, der sich angstvoll vor ihm duckte. Große, schimmernde Augen folgten jeder seiner schwerfälligen Bewegungen. Den Boden zu seinen Füßen bedeckte eine Mischung aus Holzspänen und glitzerndem Staub.

Das Kind starrte ängstlich auf seine Hand, die er nun hob. Wieder quietschten seine Gelenke. „Da bist du“, sagte er zu dem blonden Kleinen. „Du hast dich ja gut versteckt. Willst du gar nicht mehr weglaufen?“ Der Revolver in seiner Hand war schwer, aber es war ein Leichtes, ein unbewegliches Ziel zu treffen. Sein Finger krümmte sich, Holz knirschte, als er den Abzug betätigte. Der Schuss traf das Kind in die Brust, bespritzte die Wand hinter ihm mit einem Schwall Blut, gleichzeitig fühlte er sich, als hätte man ihm das Herz aus der Brust gerissen, er taumelte rückwärts und prallte gegen die Wand in seinem Rücken, etwas Heißes quoll seinen Hals hoch, drang in seine Mundhöhle und von dort nach draußen, und für einen Moment glaubte er eine hölzerne Gestalt zu sehen, die mit einem irren Glitzern in den Augen mit einer Waffe auf ihn zielte, dann brach er kraftlos zusammen und stand im nächsten Moment wieder auf seinen eigenen Füßen und keuchte und ihm war kalt und das blaue Licht schien eine aggressivere Note anzunehmen und selbst das Blut an der Wand wurde bleich und blau und er hob den Kopf und über ihm schwebte ein Wolf, ganz aus Metall, und neben dem Wolf stand Matt und maß ihn mit kaltem Blick und er bat die beiden ihm zu helfen, nein, er befahl es ihnen, und Matt verkündete, dass er das nicht tun werde, und der Wolf öffnete sein Maul und das Licht wurde heller und Matt stand nur daneben, sein eigener Bruder war damit einverstanden, ihn zu töten, und T.K. riss das hölzerne Kreuz von seinem Rücken und die Schnüre daran lösten sich in Nichts auf und er sprang und MetallGarurumon tauchte ihn in eine Woge flüssigen Eises und die Kälte ließ das Rattern in seiner Brust langsam verstummen … Matt … Warum hilfst du mir nicht?

 

Es war schwer zu sagen, ob den Schüssen noch weitere folgten. Das Chaos, das unter den Leuten in der Straße ausbrach, war unbeschreiblich. Kopflos stürmten sie herum, und wenn Ken das Feuer nicht hinter den Fenstern gesehen hätte, hätte er fast glauben mögen, die Schießerei habe auf offener Straße stattgefunden.

Frankensteins Monster prallte gegen ihn, mit Schultern, breit wie eine Baggerschaufel. Eine Horde kleinwüchsiger Geister stürmte kreischend an ihm vorbei und machte dabei solchen Lärm wie sicher noch nie zuvor in dieser Nacht. Kaum hatte er sich’s versehen, war Ken von seinen Freunden getrennt.

Das Ladydevimon, das sie vorhin in der Menge gesehen hatten, war nirgends mehr zu entdecken, aber das war kein Wunder: Ken sah ja nicht mal seine Freunde noch in all dem quietschebunten und düstergrauen Knäuel flüchtender Menschen. Die meisten wollten einfach nur weg von der Straße, drängten sich in die Gassen, die davon wegführten, und verstopften sie hoffnungslos. Nur wenige behielten einen klaren Kopf und liefen einfach die Straße entlang, wo im abgesperrten Bereich der Parade genug Platz war. Die Feuerspucker waren die Ersten, die diese Chance ergriffen; einige von ihnen liefen aber auch wieder zu dem großen Zelt zurück und stießen dort prompt mit weiteren verkleideten Artisten zusammen, die die Schüsse gehört hatten und von dem Geschrei auf der Straße nervös geworden waren.

Ken rief Davis‘ Namen, dann Yoleis, aber seine Stimme ging in dem Gekreische unter. Polizeisirenen ertönten und die Straße runter blitzte Blaulicht auf. Ken erinnerte sich, dass Polizisten in der Nähe gewesen waren – und ein so großes Event blieb sowieso nicht unbeaufsichtigt.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter und drehte ihn herum. Ein rothaariger Zombie stand hinter ihm. „Izzy“, seufzte er. „Wenigstens einer ist mir nicht abhanden gekommen.“

„Wir sollten hier nicht stehen bleiben“, sagte Izzy. Während sie sprachen, wurden sie von dutzenden Schultern angerempelt, als die Fliehenden gar nicht zu merken schienen, dass jemand in ihrem Weg stand.

Ken bekam einen Ellbogen ins Gesicht, gerade als er nicken wollte. Er folgte Izzy in Richtung der Polizeiwagen, die bei dieser Geister-Völkerwanderung stecken geblieben waren. Uniformierte Beamte sprangen heraus, fürs Erste nur drei oder vier, fingen wahllos Menschen aus dem Strom und riefen ihnen herrische Worte zu. Zweifellos wollten sie wissen, was genau eigentlich passiert war oder woher die Gefahr kam.

Die Gefahr machte jedoch selbst auf sich aufmerksam. Ein blonder Haarschopf erschien in dem zersplitterten Fenster, bedeckt von einem roten Hexenhut. Das Gesicht darunter sagte  etwas, und dann glitt die Frau unter den ungläubigen Blicken aller, die noch den Nerv besaßen, sich umzuschauen, aus dem Rahmen und flog auf einem Besen über ihre Köpfe hinweg – als wäre sie eine leibhaftige Hexe.

„Ist das auch ein Digimon?“, fragte Ken das Erste, was ihm durch den Kopf ging.

„Keines, das ich kenne“, keuchte Izzy. Sie kämpften sich durch das Meer aus Leibern. Ken meinte, dort vorne Yoleis Hut zu sehen.

Die Polizeilautsprecher donnerten über die Straße, aber nicht einmal diese Worte konnte Ken klar verstehen. Er sah einen Polizisten auf dem Dach seines Autos mit der Waffe auf die Hexe zielen. Wahrscheinlich begann es gerade, richtig ernst zu werden.

„Wir müssen irgendwie auf einen Aussichtspunkt“, beschloss Ken. „Von dort sehen wir die anderen besser.“

Izzy sah ihn mit zweifelndem Blick an, als hielte er das nicht gerade für die beste Idee. Ken blickte sich bereits um. Ganz in der Nähe ragte ein alter Backsteinbau in die Höhe, und er sah eine Feuerleiter, die sich um die Fassade wand. Er hielt darauf zu, Izzy folgte ihm. Irgendwo hinter ihnen schoss wieder jemand, aber ob es nun ein Polizist war, der ob einer fliegenden Hexe und einer Massenpanik die Nerven verloren hatte, oder ob es sich um die Waffe von vorhin handelte, war schwer zu sagen.

 

Der kleine Toshi öffnete nichtsahnend die Tür, obwohl seine Eltern es ihm untersagt hatten. Er war neugierig auf die Verkleidungen der Kinder, die jetzt wieder klingelten. Seine Großmutter hatte ihm erzählt, dass heute wohl noch viele andere vor der Tür stehen würden, die als Monster verkleidet waren, und dass er sich wahrscheinlich fürchten würde. Aber Toshi war der mutigste Junge im Kindergarten, und um diesem Ruf gerecht zu werden, sah er immer genau hin und versuchte das gruseligste aller Kostüme zu sehen, das es gab. Dann konnte er vor seinen Freunden demnächst angeben, wie wenig es ihn erschrocken hatte!

Seine Eltern waren schon genervt von all dem Besuch, den ihre kleine Wohnung hier an der Hauptstraße heute abbekam. Irgendetwas an dem Brauch schien Toshi noch nicht ganz zu verstehen, denn sie gaben den Geistern immer irgendetwas in ihre Säcke oder Körbe, versteckt, als befürchteten sie, Toshi könnte auch so etwas wollen. Das machte ihn natürlich neugierig, und umso mehr freute er sich auf die Nächsten, die klingelten – vielleicht konnte er einen Blick auf deren Beute erhaschen und erfahren, was es war!

Dann war sein Bruder heimgekommen und hatte kurzerhand die Haustür abgeschlossen, die ins Stiegenhaus führte. Damit sie keiner mehr störte, hatte er gesagt. Es wäre jetzt genug mit diesem Brauch, und seine Großmutter hatte ihm da lautstark zugestimmt. Geklingelt hatten die Leute trotzdem, unten auf der Straße, aber es war kein Monster mehr bis vor ihre Wohnungstür im vierten Stock gekommen.

Bis jetzt – und Toshi sah die beiden Gestalten, die nun vor der Tür standen, mit großen Augen an. Der eine war eine Mumie, aber eine billige. Toshi hatte heute schon furchterregendere gesehen. Immerhin war die hier so in zerrissenes Papier eingewickelt, dass nur die Augen und einige Büschel struppiger Haare hervorlugten. Der Zweite war ganz schwarz und hatte eine goldene Maske auf, die sein Gesicht ebenfalls verdeckte. Am interessantesten an den beiden war, und deswegen wurde Toshi auch mit dem Starren nicht fertig, dass sie wesentlich größer waren als die ganzen Kinder, die heute schon hier gewesen waren.

„Hallo, Kleiner“, sagte die Mumie und klang dabei außer Atem. „Habt ihr einen Laptop im Haus?“

„Toshi, bist du an der Tür?“, fragte seine  Mutter aus dem Wohnzimmer. Schritte kamen näher, er erkannte sie als die seines Bruders.

Toshi antwortete nicht, sondern starrte nur weiter die beiden Monster an und versuchte, sich einen Reim auf ihre Worte zu machen. Einen Laptop? Hatten seine Eltern an die ganzen Geister etwa Laptops ausgeteilt? So kleine Laptops hatten sie doch gar nicht, und so viele auch nicht – er kannte nur den Laptop von seinem Bruder, und den konnte man nicht in der flachen Hand verstecken.

„Heute gibt es nichts mehr“, sagte sein Bruder Hideki, der hinter ihm in den Flur trat. „Haut ab.“

Hideki hatte natürlich auch keine Angst vor den Monstern. Er war fast sechzehn und groß und stark und hatte vor gar nichts Angst. Obwohl die beiden größer aussahen als er, Hideki würde sich nicht einschüchtern lassen.

Die beiden Monster wandten ihm sofort ihre Aufmerksamkeit zu. „Sorry, wir brauchen ganz dringend einen Laptop oder was Vergleichbares“, sagte der mit der Maske.

Hideki starrte sie an. „Macht ihr Witze?“

„Mir ist echt nicht nach Witzen zumute“, knurrte die Mumie und drängte sich in die Wohnung. Das Papier um ihre Kiefer kräuselte sich, als verzöge sie den Mund. „Wir brauchen unbedingt einen Laptop, bitte. Es geht um Leben und Tod, wirklich.“

„Ja klar“, schnaubte Hideki. „Verschwindet, ihr jagt meinem Bruder Angst ein.“

„Stimmt gar nicht!“, ereiferte sich Toshi.

Hinter der Fuchsmaske seufzte es. „Alter, du verstehst nicht. Es geht wirklich um Leben und Tod.“

„Hast du jetzt einen Laptop oder nicht?“, schnauzte die Mumie Hideki an.

„Ich werde euch doch verdammt nochmal nicht einfach meinen Laptop geben! Habt ihr sie noch alle?“

„Doch, wirst du. Scheiße nochmal“, murmelte der mit der Maske und zog etwas aus seiner Tasche, ein blutiges Messer. Toshi riss seine Augen noch weiter auf und stieß dann einen schrillen Schrei aus, als der Mann Hideki damit bedrohte.

„Ich tu das wirklich nur ungern. Her mit dem Ding, du kriegst es in zehn Minuten zurück! Und wir sind echt verzweifelt, glaub mir!“

Hideko war sprachlos. Er starrte das Messer nur an und war so bleich geworden wie einer der kleinen Geister, die heute schon hier waren.

„Toshi, wir haben dir doch gesagt, du sollst dir keine Geister mehr …“ Die verständnisvollen Worte seiner Mutter verstummten, als sie in den Flur schlurfte und die Szene sah, die sich ihren Augen bot. Dann stieß auch sie einen Schrei aus, und im Wohnzimmer schrammte der Couchsessel über den Boden, in dem Toshis Vater normalerweise saß.

Die Mumie fluchte, stieß Hideki grob aus dem Weg, und unter einem weiteren Schrei von Toshis zurückweichender Mutter riss der Mann die nächstbeste Tür im Flur auf – die zu Hidekis Zimmer.

„Ihr … ihr spinnt doch!“, keuchte Hideki.

„Liebling, ruf die Polizei!“, rief Toshis Mutter, doch sein Vater kam mit hochrotem Kopf in den Flur gestürmt, eine Glasflasche in der Hand wie eine Keule.

„Keine Bewegung“, sagte der Mann mit der Maske, packte den sonst so starken Hideki und setzte ihm unbeholfen das Messer an den Hals.

Einen Moment erstarrten alle zur Salzsäule. Dann sagte Hideki plötzlich: „Ist das … ein Füller?“

Eine weitere Schocksekunde folgte. „Scheiße“, fluchte der Maskierte. „Alter, beeil dich! Sie haben’s rausgefunden!“

Knurrend wie ein wildes Tier wollte sich Toshis Vater auf dem Mann stürzen, als die Mumie hinter ihm auftauchte wie in einem Film, den Toshi höchstens heimlich sehen durfte. Sie warf sich gegen seinen Vater und ließ ihn gegen den Spiegel in der Garderobe taumeln, der bedrohlich wackelte.

„Komm“, keuchte die Mumie; in der Hand hielt sie Hidekis Notebook. Der mit der Fuchsmaske stieß Toshis Bruder grob von sich.

„Hideki! Liebling!“ Seine Mutter schien nicht zu wissen, zu wem von den beiden sie zuerst laufen sollte. Sein Vater fing sich schnell, wollte den Monstern hinterherstürmen, stieß dabei halb mit dem im Weg stehenden Toshi zusammen und stolperte dann über Mutters schwere Winterstiefel, die vor der Garderobe standen. Die Flasche flog in hohem Bogen davon und zerbrach klirrend an der Wand.

„Zehn Minuten! Versprochen!“, rief die Mumie noch. Dann waren die beiden im Treppenhaus verschwunden und knallten die Tür zu, und Toshi versuchte zu verstehen, warum die Geister an Halloween Laptops klauten.

 

„Wir haben einen!“, rief Tai und riss sich das nervige Toilettenpapier aus dem Gesicht. Er schwenkte den Laptop, den Takumi und er erbeutet hatten. Sie trampelten laut das Stiegenhaus hinauf.

Am oberen Treppenabsatz erschien Matts Kopf. „Warum hat das so lange gedauert?“, rief er angespannt.

„Als hätte ich Erfahrung damit, Leute auszurauben! Nochmal mach ich sowas nicht“, versetzte Tai. Obwohl er eine gute Kondition hat, waren seine Papierbandagen feuchtgeschwitzt und er selbst außer Atem, als sie im obersten Stock ankamen.

Nachdem sie das Bakemon in die DigiWelt zurückgeschickt hatten, hatten sie eine weitere Tür aufgebrochen und schließlich den Eingangsbereich der alten Wohnung gefunden. Die Tür dort war stabiler, aber beschädigt gewesen wie von einem vergangenen Einbruchsversuch. Sie waren ins Treppenhaus des Altbaus gekommen, an dem Matt vorher verzweifelt geklingelt hatte. Hinauf und hinauf und immer im Kreis hatten sie die Treppe erklommen. T.K. war hoffentlich noch am Leben und auf dem Dach … Kari und Matt und auch Tai wären einfach hinaufgestürmt, aber Sora war eingefallen, dass sie keine Möglichkeit hatten, das Dokugumon zu besiegen, das ihn geschnappt hatte.

„Wir brauchen einen Laptop, dann können wir es auch in die DigiWelt zurückschicken“, hatte sie gesagt.

„Hast du sie noch alle?“, hatte Tai gerufen. „Wo sollen wir so schnell einen Laptop herkriegen?“

„Das ist vielleicht eine völlig bescheuerte Idee“, hatte Takumi gesagt, „aber wir sind hier doch in einem Wohnhaus, richtig?“

Sie hatten ihn angestarrt, und der total verrückte Plan war geboren worden. Tai und Takumi, die sich von ihnen allen am besten vermummen konnten, sollten sich Zugang zu einer Wohnung verschaffen und einen tragbaren Computer erbeuten. Ihm drehte sich noch der Kopf bei dem Gedanken daran, was sie eben getan hatten.

„Ich hoffe mal, der ist nicht gesperrt“, knurrte Matt. Schweiß stand auf seiner Stirn und Tai sah ihm an, dass er die paar Minuten, die sie für ihre Missetat gebraucht hatten, rastlos herumgewandert war. Unten im Stiegenhaus schrie jemand das halbe Haus zusammen. Da war ihnen wohl bald jemand auf den Fersen.

„Hab ihn nicht zugeklappt. Siehst du?“ Tai präsentierte das schlanke Aluminiumding.

„Dann los“, knurrte Matt und stürmte auf die schwere Sicherheitstür zu, die den Ausgang zum Dach blockierte. Sie hatten auch überlegt, in die DigiWelt zu gehen und ihre Digimon zu suchen – mit ihnen an der Seite hätten sie sich auch mit weit stärkeren Digimon als einem Dokugumon anlegen können. Aber die DigiWelt war riesig, und ihre Freunde rechneten gewiss nicht damit, dass sie plötzlich gebraucht wurden. Sie zu finden würde dauern – und Zeit war das eine Ding, das sie nicht hatten.

Der Schlüssel steckte innen an der Tür. Sora drehte ihn herum, dann stießen sie gemeinsam die Tür auf und erreichten eine graue, trostlose Dachterrasse unter dem samtschwarzen Nachthimmel. Ein eisiger Luftschwall ließ Tai in seinen feuchten Bandagen frösteln.

Einige Meter entfernt schluckte ein dichter Nebelvorhang das Dach, obwohl die Nacht bisher eigentlich klar gewesen war. Die DigiRitter sahen einander an. Sie alle dachten dasselbe. Der Nebel konnte zwar aus winzigen Wassertropfen bestehen, ebenso gut aber aus etwas wie verdampftem Spinnensekret – zumindest wenn man nach der Farbe ging. Leise, schmatzende Geräusche wehten an ihr Ohr, und wiederholt ein leises Reißen wie von einem Klettverschluss.

Matt fluchte und lief als Erster los, die anderen folgten ihm stumm. Als sie in den Nebel eindrangen, fühlte Tai zusätzlich zu seinem Schweiß etwas Ekliges, Klebriges, das in der Luft hing. Vielleicht war das mit dem Spinnensekret ja wirklich kein reines Hirngespinst …

Als die Umrisse vor ihnen allmählich schärfer wurden, hatten sie die Mitte der Dachterrasse erreicht. Tai verschlug es endgültig den Atem, als er sah, was sie vor sich hatten. Zwischen zwei schlampig verputzten Schornsteinen und der relativ modern anmutenden, von Rohren umwundenen Aufbaut des Belüftungssystems hing ein gewaltiges Knäuel aus Spinnweben, in allen Schattierungen von Papierweiß bis Schmutzgrau. Es war auch auf dem Boden befestigt, dreieckige Tücher aus dem weißen Klebezeug spannten sich über die grauen Steinplatten, als hätte ein hässliches Ei Klauen ausgefahren, um sich abzustützen. Das Netz machte den Eindruck, als könnte es ein Truck rammen und doch nicht zum Zerreißen bringen. Dräuend und leicht zitternd hing es da, als würde etwas darin ausgebrütet. Aus dem klebrigen Gewirr von Fäden ragte T.K.s Arm.

„T.K!“, kreischte Kari, als sie den zerrissenen Ärmel des Wolfskostüms sah. Die Haut, die darunter sichtbar war, war milchig weiß.

Das Spinnennetz erbebte, und der haarige Schatten Dokugumons schob sich an dessen Hinterseite in die Höhe. Acht grüne Augen glühten im Nebel. „Hat man denn nie Ruhe?“, zischelte es. „Wollt ihr unbedingt auch in meiner Vorratssskammer landen?“

„Du Mistvieh“, knurrte Matt. „Lass sofort T.K. frei!“

Dokugumon klapperte mit den Kieferzangen. Tai brauchte einen Moment, bis er begriff, dass das das spinnische Äquivalent eines Lachens war. „Komm doch und hol ihn dir“, säuselte es und krabbelte über das Knäuel. Aus seinem pulsierenden Hinterleib pumpte es weitere, dicke Fäden, die sich langsam, aber sicher über den Rest spannten, der von T.K. zu sehen war.

„Kari“, murmelte Tai und hielt seiner Schwester den Laptop hin. Sie hob ihr DigiVice, öffnete das Tor und nickte ihm zu.

„Das werd ich, verdammt nochmal.“ Matt trat zu einem der vorhangähnlichen Auswürfe und trat heftig dagegen. „Wie ist das, Spinnen spüren, wenn etwas ihr Netz berührt? Mal sehen, wie angenehm du das findest!“ Er packte das klebrige Zeug und rüttelte mit aller Macht daran. Das Knäuel bewegte sich kaum, so sehr war es stabilisiert, doch die Haare an Dokugumons Beinen zuckten dennoch.

„Lasss dasss“, zischte es.

„Lass T.K. frei!“

Tai drückte Sora den Laptop in die Hand, stürzte zu einem anderen Teil des Netzes und versuchte ebenfalls nach Kräften, es zum Zerreißen zu bringen.

„Ihr habt esss ssso gewollt!“, fauchte Dokugumon. Als es sprang, schwang das Knäuel hin und her. Seine Kauwerkzeuge schnappten nach Matt.

Sora sprang ihm in letzter Sekunde in den Weg, den Laptop von sich gestreckt und die Augen zugekniffen. Dokugumons Sprung katapultierte das Digimon regelrecht in den Bildschirm, der kurz aufglühte – und dann war es vorbei. Soras Knie gaben nach und mit einem Seufzer der Erleichterung sank sie zu Boden.

„T.K!“ Kari war mit wenigen Schritten bei dem Knäuel, während Matt und Tai noch versuchten, sich von den Spinnfäden loszumachen. Verflucht, das Zeug klebte so fest, dass einem fast die Haut abging!

Kari machte sich daran, mit bloßen Händen T.K.s Arm freizulegen. Das Netz gab bei der Berührung nach, aber es schien dennoch fest wie Beton.

„Hast du ein Feuerzeug?“, fragte Tai Matt.

„Ihr wollt das Netz doch wohl nicht abfackeln?“, rief Kai schrill. „Helft mir lieber!“

Sora stieß wieder einmal auf das rettende Hilfsmittel. Der Stapel Holzlatten, den sie auf der anderen Seite des Daches fand, war halb vermodert, aber darin steckten hier und da rostige, schiefe Nägel. Die Freunde klemmten sie sich wie behelfsmäßige Krallen zwischen die Knöchel und kratzten die Spinnweben Schicht für Schicht weg. Tai sah sich dabei wiederholt nach Takumi um, doch der junge Mann war nirgends zu entdecken. Hatte er sie in der Stunde der Not doch im Stich gelassen?

 

Es dauerte eine atemlose Ewigkeit, bis sie T.K.s Körper im Inneren des Knäuels sehen konnten, und noch länger, ehe sie ihn ins Freie gezerrt hatten. Weiße Spinnweben klebten an seinem ganzen Körper wie Raureif.

„Er atmet nicht“, stellte Kari mit einem Hauchen fest und schlug sich die Hand vor den Mund. „Tai … er atmet nicht!“

In Matt gefror etwas zu Eis. „T.K!“ Er brüllte seinen Bruder an, zerfetzte die weiße Spinnenhaut, die immer noch seinen Körper bedeckte. „Komm schon, reiß dich zusammen!“ Er rüttelte ihn an der Schulter, verpasste ihm eine Ohrfeige. T.K.s Haut fühlte sich kalt an und sah aus wie die einer Porzellanpuppe. Fast erwartete er, sie würde Risse bekommen. Die Lippen waren bläulich angelaufen, und wie durch Wachs waren die Adern in seinen geschlossenen Lidern zu erkennen.

Matt zog T.K.s Kopf zurück, was nur mit einigem Widerstand ging, so als hätten sich all seine Muskeln verkrampft. Mit pochendem Herzen hielt er sein Ohr vor T.K.s Nase, in der Hoffnung, einen Luftzug zu spüren. Nein, da war nichts, verdammt, er war … Da! Er hatte einen Atemzug gespürt, ganz schwach, er hatte ihn gespürt!

Ohne auf die Stimme in seinem Kopf zu hören, die ihm zuflüsterte, dass er sich geirrt hatte und sich nur falsche Hoffnungen machte, schrie er noch einmal T.K.s Namen, schüttelte ihn kräftig und warf sich dann auf seine Brust, um mit einer Herzdruckmassage zu beginnen. Er hatte keine Ahnung, ob das helfen würde, aber er musste irgendwas tun! Die anderen riefen ihm etwas zu, aber er hörte sie nur wie aus weiter Ferne. Er konnte tausendmal der coole, unnahbare Matt sein, der schon so viel erlebt und so viel erreicht hatte – es ging hier um seinen Bruder, und ihn in Gefahr zu sehen, machte ihn nach wie vor ganz krank, und ihn bei seinem Todeskampf zu beobachten, zerriss ihm das Herz und den Verstand.

Zehnmal presste er seine Hände gegen T.K.s Rippen, als er seinem Bruder ein kleines Husten abrang. Matt hielt inne. „T.K?“, flüsterte er leise und hatte plötzlich Tränen in den Augen. Dem Husten folgte ein langsamer, tiefer Atemzug, dann wieder ein Husten, dann flatterten T.K.s Lider und offenbarten glasige Augen, so als hätte er nur aus einem tiefen Schlaf geweckt werden müssen.

„T.K! Geht es dir gut?“ Was für eine dämliche Frage, schalt er sich sofort. „Erkennst du mich? Kannst du dich bewegen?“

„Matt“, kam es schwach über T.K.s Lippen. Eine Woge der Erleichterung durchspülte Matt.

Doch dann erkannte er, dass T.K. geradewegs durch ihn hindurch starrte, den Blick weit in der Ferne. „Matt …“, seufzte er. „Warum hilfst du mir nicht?“

The spirits will arise

Keuchend und schwitzend erreichten Ken und Izzy die Mauer des Gebäudes, das sie ins Auge gefasst hatten. Die Feuerleiter wand sich erst etwa im dritten Stock um die Front und begann in Wahrheit irgendwo in der Gasse daneben. Die beiden DigiRitter schoben sich an den letzten kopflos herumrennenden Geistern vorbei und taumelten in die Häuserschlucht. „Da vorne“, sagte Ken und steuerte die rostige Eisentreppe an, die hinter ein paar Mülltonnen den Boden erreichte.

„Wenn wir da oben sind, sind wir ein leichtes Ziel“, keuchte Izzy, der eine viel schlechtere Kondition als der ehemalige Fußballspieler hatte.

„Du meinst, sie schießen auf uns?“

„Wir sollten zurückgehen und die anderen in der Menge suchen!“

„Ich glaube nicht, dass wir sie so einfach finden.“ Ken war schon halb an den Mülltonnen vorbei. Izzy mochte vielleicht recht haben, aber er machte sich große Sorgen um die anderen – und nicht, weil ein offensichtlich Wahnsinniger in der Gegend herum ballerte. Der hatte schließlich hundert andere Ziele, auf die er schießen konnte, und er war vielleicht immer noch in dem Gebäude gegenüber und würde sie vielleicht gar nicht sehen, wenn sie hoch oben auf der Feuerleiter waren. Nein, gefährlicher war das LadyDevimon. Yolei und Kari hatten damals gegen eines gekämpft, und Yolei hatte die Sache ziemlich aufgewühlt. Es war der schlimmste Digimonkampf ihres Lebens gewesen, hatte sie gesagt, als sie ihm die Geschehnisse einmal in aller Ausführlichkeit beschrieben hatte. Er wusste nicht, ob dieses rote LadyDevimon hier so grausam war wie seine schwarze Artgenossin, aber es würde sicher ein Lillymon erkennen, wenn es eines sah. Ken hatte das Gefühl, dass Mimi wie auf dem Präsentierteller lag, denn dass sich LadyDevimon gemeinhin gut mit Lillymon verstanden, wagte er zu bezweifeln.

„Ken, warte! Mimi und die anderen haben sicher die Nerven behalten. Sie sind bestimmt die Straße runter und dann weg von der Hauptstraße!“ Izzy hatte ihn eingeholt, als er die unterste Stufe der Feuerleiter auf ihre Stabilität prüfte. Etwa auf Augenhöhe saß eine schwarze Katze und sah ihn mit Karfunkelaugen an, aber ob das alte Ding auch einen Menschen tragen würde …

„In Ordnung“, räumte Ken ein. „Nur einen kurzen Blick. Wir sehen nach, ob wir sie in dem Getümmel erkennen können, sonst rufen wir sie …“ Er hätte sich ohrfeigen können. Warum hatte er nicht gleich daran gedacht, Davis oder Yolei einfach anzurufen? Bei all dem Lärm konnte er wohl nicht verstehen, was sie zu ihm sagten, aber wenn sie abhoben, bedeutete das, dass es ihnen gut ging … Allerdings müssten sie ihre Handys dazu erst mal klingeln hören … oder sie spürten sie vibrieren. Aber wie konnten sie ihnen dann ihren Standort mitteilen? Es sei denn, sie waren schon weit weg aus der Gefahrenzone, aber dann brauchte er sich ohnehin keine Sorgen zu machen …

Kens Gedanken waren ein Schlachtfeld. Er hasste den nicht gerade klein geratenen, rationalen Teil seines Denkens, der ihn alle möglichen Szenarien durchleben ließ, im Moment sehr – er hielt ihn vom Handeln ab! Entschlossen packte er das Geländer der Feuerleiter. Er musste da hoch! Dann konnten sie weitersehen.

Izzy gab sich schließlich mit einem Murmeln geschlagen, und Ken erklomm die Leiter als Erstes. Die große, schwarze Streunerkatze hatte sich mitten auf einer Stufe zusammengerollt, sodass er den Fuß hob, um über sie hinwegzusteigen – und erschrocken zusammenzuckte, als sie einen Buckel machte und ihn anfauchte.

„Was ist?“, fragte Izzy. Ken wollte eben antworten, als ihn ein plötzlicher Windstoß erfasste und mit einem Ruck die Stufen hinunterkatapultierte. Er prallte gegen Izzy, dessen Ächzen wie der abschließende Takt seines eigenen Schreis war, und sie gingen beide zu Boden.

Stöhnend rappelte Ken sich wieder auf und hielt sich die schmerzende Schulter. Was war das eben gewesen?

Ein Kichern ließ ihn auffahren. Wie aus dem Nichts war eine Gestalt auf der Treppe erschienen: eine rotgewandete Hexe mit blondem Haar. „Nanunana, du wolltest doch wohl nicht gerade auf meine kleine Mauzimauz treten, oder?“

Während Ken die Frau noch verblüfft anstarrte und als die fliegende Hexe von vorhin erkannte, huschte die Katze an ihrem Kostüm hoch und hockte sich schnurrend auf ihre Schulter, wo sie von einer riesigen, behandschuhten Hand getätschelt wurde.

„Wer bist du?“, fragte er. „Bist du für die Schießerei verantwortlich?“

Die Gestalt ließ ein kristallenes Lachen hören und trommelte mit dem Ende ihres Besens auf die Metalltreppe. Die Katze miaute genüsslich.

„Ken“, murmelte Izzy. Er hatte sein Handy und sein DigiVice mit einem Kabel verbunden. „Das ist ein Digimon. Witchmon.“

„Jetzt hat der kleine Rotschopf es herausgefunden, wie drollig“, säuselte Witchmon. Seine Augen funkelten gefährlich. „Ihr wisst also Bescheid, ihr zwei Hübschen. Aber das macht ja nichts, nicht? Ist das nicht nett, meine kleine Mauzimauz? Ein roter und ein schwarzer Junge, das gibt ein richtig feines Happihappi.“

„Was machst du hier?“, platzte Ken heraus. „Wie kommst du in unsere Welt?“

„Ja, wie wohl?“, grinste das Digimon. „Wie komme ich wohl hier her? Das zu erklären ist mir zu langwierig. Aber was ich hier mache, sag ich dir gern. Wir haben einen Riesenspaß hier, Asta-Asta und ich. Menschen erschrecken, ein paar davon abmurksen. Wusstet ihr, dass Menschen gar nicht zu Staub zerfallen, wenn sie sterben? Sicher wisst ihr das, oder? Digimon werden immer zu so einem hübschen Glitzer-Glitzer, aber Menschen bleiben liegen mit dem ganzen Zeug, das vorher aus ihnen herausgespritzt ist – das sieht richtig witzig aus.“

„Du … Du bist ja verrückt!“, keuchte Ken. Er hatte noch nie ein dermaßen krankes Digimon getroffen, dabei wirkte es tatsächlich wie ein Kleinkind, das einen Heidenspaß hatte.

„Asta-Asta und ich haben übrigens eine Wette am Laufen“, erklärte Witchmon süffisant und richtete seinen Besen auf die beiden. „Wer zuerst einen Menschen findet, der nicht rot blutet, hat gewonnen.“

„Ken, dein DigiVice!“, rief Izzy plötzlich. Im nächsten Moment schwang Witchmon den Besen und eine heftige Böe erfasste sie beide und schleuderte sie gegen die Backsteinwand. Aus Kens Lungen wurde sämtliche Luft gepresst, und der schneidende Sturm verunmöglichte ihm das Atmen. Er fühlte, wie der Wind mit feinen Klingen in seine Wangen schnitt. Warmes Blut sickerte aus den Wunden, als der Sturm nachließ.

„Schade, sogar der schwarzhaarige Junge hat rotes Blut“, meinte Witchmon enttäuscht, dann hellte sich sein Gesicht auf. „Ah! Vielleicht muss ich einfach tiefer schürfen!“

„Ken, schnell“, ächzte Izzy, der sich an der Wand abstützte. „Dein DigiVice! Öffne das Tor!“

„Was für ein Tor?“, rief Ken kurzatmig, als Izzy mit dem Handy vor seinem Gesicht herumfuchtelte.

Das hier! Das Tor in meinem Handy! Schnell!“

„Du hast ein Tor in deinem …“

„Ja doch! Mach schon!“

„Schsch, nicht so laut schreien, am Ende hören uns diese lästigen Leute mit ihren Blinkeblinke-Lichtern und den Bumstibums-Pistolen“, gluckste Witchmon und holte erneut mit dem Besen aus, weiter diesmal.

Ken blieb nichts anderes übrig, als Izzy zu vertrauen. Er fischte sein schwarzes DigiVice, das er immer bei sich trug, aus der Hosentasche, richtete es auf Izzys Handydisplay und betete inständig, dass etwas geschah – am besten, dass wirklich ein Tor aufging und sie von Witchmon erlöste.

Ein sanfter Ton erklang und Izzys Handy begann in einem Licht zu strahlen, das das kleine Ding niemals selbst erzeugt haben konnte. Witchmon hielt in der Bewegung inne und starrte die beiden Jungen an. „Ihr könnt doch nicht wirklich …“

Izzy sprang das Digimon regelrecht an, das Handy von sich gereckt. Witchmon stieß einen kurztatmigen Schrei aus, dann wurde es samt der schwarzen Katze dünn wie eine Bandnudel und verschwand in dem Licht. Izzy tippte eine Taste und seufzte dann schwer. „Geschafft.“

„Was … war das gerade? Haben wir es zurückbefördert?“

„Ja“, seufzte Izzy erneut. „Es ist wieder in der DigiWelt. Ich hab ein wenig an dem Handy und meinem DigiVice herumgespielt. Ich dachte mir, wenn man von Computern und Laptops aus ein Tor zur DigiWelt öffnen kann, warum soll es dann mit einem Mobiltelefon nicht auch gehen? Das war zwar erst die Alpha-Version von dem Tor, aber es hat funktioniert.“

Ken starrte auf die Stelle, wo Witchmon gestanden war. Es hätte ein verschrobener Traum sein können, wäre da nicht das Blut, das ihm aus vielen kleinen Schnitten im Gesicht lief. „Ich frage mich eher, warum das Tor überhaupt aufgegangen ist“, murmelte er. „BlackWarGreymon hat das Tor im Westendviertel doch damals komplett versiegelt? Und wir wissen, dass es seither nicht mehr aufgegangen ist. Wie kommen die Digimon also in unsere Welt? Und warum haben wir Witchmon wieder zurückschicken können?“ Nicht, dass er sich beschweren wollte.

Izzy sah auch einen Moment ratlos drein, dann klingelte plötzlich das Handy, das er immer noch in Händen hielt. Vor Schreck hätte er es beinahe fallengelassen. Kens Magen zog sich zusammen, als er den Anruf entgegennahm – irgendwie erwartete er, Witchmon könnte wieder aus dem kleinen Ding hervorbrechen, kaum dass er es ans Ohr hielt.

„Mimi? Gottseidank, wo seid ihr? Was? Nein, wir sind in einer Gasse … Ja, ich weiß, dass wir so schnell wie möglich … Nun hör mal auf, wir haben uns auch Sorgen gemacht! Ja, Ken ist bei mir. Okay. Stell dir vor, hier ist ein  … Was? Davis? Ja, ist gut. Wir treffen uns dort.“

Izzy legte auf und atmete tief durch. „Also, das war Mimi. Ihnen ist nichts passiert. Sie sind ein paar Blocks weiter bei einem kleinen Platz mit einem Denkmalbrunnen – der sollte nicht schwer zu finden sein. Und Davis ist losgelaufen, um uns zu suchen. Mimi ruft ihn an und sagt ihm, wo wir sind. Wir sollen von hier weg und uns auf der nächsten Straße mit ihm treffen.“

Auch Ken atmete nun erleichtert auf. Eine Nacht wie heute hatte er schon lange nicht mehr erlebt – oder überhaupt noch nicht. Nur ein paar Straßen weiter war vielleicht etwas Schlimmes im Gange, das sie selbst als DigiRitter nicht bereinigen konnten – das konnte nur die Polizei. Man hörte keine Schüsse mehr, aber immer noch Rufe und anderen Lärm. Und hier standen sie, allein in einer Gasse, versuchten aus einer Gefahrenzone zu gelangen, von der sie nicht wussten, wo sie begann und wo sie endete, und liefen mit jedem Schritt Gefahr, mit irgendjemandem – oder irgendetwas – zusammenzustoßen. Wer sagte schließlich, dass es nicht doch auf der Hauptstraße sicherer war? Ihn fröstelte.

„Was meinst du, warum tauchen plötzlich wieder Digimon auf?“, fragte er Izzy, um sich abzulenken. Nun war es vielleicht wieder ganz nützlich, rational zu denken.

„Ich weiß es nicht. Ich stehe da vor einem Rätsel, genau wie du.“

„Meinst du … es hängt mit Halloween zusammen?“

Izzy runzelte die Stirn. „Wie kommst du darauf?“

„Das ist nur eine wilde Idee“, sagte Ken, „aber ich habe erst kürzlich etwas über Halloween gelesen. Warum es gerade Ende Oktober gefeiert wird und was der ursprüngliche Zweck davon war.“

„Hat es nicht damit zu tun, dass die Kelten früher Geister vertreiben wollten und sich deshalb selbst als Geister verkleidet haben?“

„Schon, aber es gibt einen Grund, warum sie das gerade um diese Zeit des Jahres gemacht haben. Sie haben daran geglaubt, dass neben dieser Welt noch eine Anderswelt existiert, eine Geisterwelt, in der die Seelen der Verstorbenen eingegangen sind oder die von bösen Wesen bewohnt wird. Die Welten werden von einer Art Schleier voneinander getrennt, sodass die Geister der Toten und die Fabelwesen keine Macht über die Lebenden haben. Zwischen der Tagnachtgleiche im September und der Wintersonnenwende, also wenn die Nächte länger sind als die Tage, wird der Schleier zwischen den Welten besonders dünn. In der Nacht auf den ersten November ist er fast durchlässig, und die Geister können unter den Lebenden wandeln. Und darum wird um diese Zeit Halloween gefeiert.“

Izzy legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Mehrere Welten, die nebeneinander existieren … Das erinnert mich doch an etwas.“

„Meinst du, die alten Kelten hatten recht?“

„Im Moment kommt mir das gar nicht so unwahrscheinlich vor“, murmelte Izzy.

„Wenn die Grenzen zwischen unserer Welt und irgendeiner Geisterwelt verschwimmen, warum dann nicht auch die Grenze zur DigiWelt?“, führte Ken seinen Gedankengang weiter aus. „Vielleicht brauchen die Digimon an Halloween gar kein Tor mehr, das sie herüberbringt. Vielleicht wandern sie einfach in unsere Welt, wie wir unter einem leeren Türsturz hindurchgehen würden?“

„Das wäre eine Katastrophe“, sagte Izzy beunruhigt. „Aber das ist doch noch nie zuvor passiert, oder? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es so einfach sein soll.“

„Hoffentlich hast du recht“, meinte Ken kleinlaut. „Wie gesagt, es ist nur eine Theorie.“ Die er trotzdem mit jeder Minute, die verstrich, mehr glaubte. „Wollen wir?“

Izzy nickte. Sie folgten der Gasse von der Hauptstraße weg, zwei zerschlagene Gestalten im Dunkel der Nacht. Das Licht der Laternen blieb hinter ihnen zurück. Direkt vor ihnen lag ein Bereich von gut fünf Metern, der in tintenschwarzen Schatten versunken dalag, als hätte sich die Finsternis wie Ausschlag auf den Boden und die Hauswände gesetzt. Weiter vorne lockte das Licht der Lampen aus der nächsten Straße, aber die beiden DigiRitter blieben unbehaglich stehen. Keiner wollten diesen schwarzen Bereich betreten. Es schien, als gäbe es gar keinen Boden dort – als wäre hier ein unendlich tiefer, saugender Sumpf, der sie verschlucken würde, sobald sie den Fehler machten, ihn zu betreten. In dieser unheimlichen Nacht hatte Ken das Gefühl, als würde dort etwas lauern, das allen irdischen Gesetzen widersprach. Als würde Logik dort nicht gelten, als könnte absolut alles dort passieren …

In dem Versuch, Licht zu machen, zog Izzy sein Handy wieder hervor. Das Display leuchtete so matt, dass man es kaum wahrnahm. „Fast kein Akku mehr“, sagte er. Seine Stimme klang rau, als knirschten Kieselsteine in seiner Kehle. „Wenn wir noch einem Digimon begegnen, ist mein Handy unsere einzige Chance. Was ist mit deinem?“

Ken tastete nach seinem eigenen Mobiltelefon und weckte es aus dem Standby-Modus. Stirnrunzelnd betrachtete er die Anzeige. „Seltsam. Es bleibt finster. Ich habe es doch erst heute Nachmittag aufgeladen.“ Er tippte auf den Tasten herum. Das Gerät gab ein leichtes Vibrieren von sich, war also eingeschaltet. War das Display kaputt?

Als er aufsah, bemerkte er etwas aus den Augenwinkeln. Ein sanftes Licht schwebte neben ihnen, von dem er nicht sicher war, ob es vorher schon da gewesen war. Es kam vom Deckel einer alten Mülltonne. Schließlich erkannte er, was das war. „Die kommt wie gerufen. Sie ist zwar nicht sonderlich hell, aber besser als nichts. Ich hätte mir nie gedacht, mal mit einer Kerze durch die Gassen im Westendviertel zu laufen. Hast du sie im Müll gefunden?“

Ken nahm an, dass Izzy die Kerze entzündet hatte, da er direkt daneben stand. Aber als er das Gesicht seines Freundes sah, erkannte er maßloses Entsetzen in dessen Augen.

„Izzy?“

 

Sie alle fühlten sich erschöpft wie schon lange nicht mehr. Tai saß auf dem Boden und brütete schweigend vor sich hin. Matt kauerte an dem Schornstein, an den er T.K. gelehnt hatte. Kari saß neben ihm, und die beiden hielten ihn fest, als versuchten sie ihn daran zu hindern, in irgendeine Parallelwelt abzudriften. Kari fürchtete, dass tatsächlich etwas an T.K.s Bewusstsein zog – etwas, das ihn ihnen wieder entreißen wollte. Er schien im Halbschlaf, aber sie bildete sich ein, dass immerhin sein Gesicht wieder an Farbe gewann. Ab und zu murmelte er Worte vor sich hin, die niemand von ihnen verstand.

Nur Sora konnte ihre Füße nicht stillhalten. Leise klackerten ihre Vampirstiefel über die Dachterrasse, vor und zurück, links und rechts. Immer wieder bedachte sie Matt mit einem langen Blick. Sie hatte vorgeschlagen, einen Krankenwagen zu rufen. Tai hatte dagegengeredet. „Und was sollen wir den Sanitätern sagen?“, hatte er gefragt. „Dass eine Riesenspinne ihn gebissen hat? Die liefern uns eher in die Klapse ein.“

„Dann sagen wir, dass wir nicht wissen, was mit ihm los ist!“, hatte Sora vorgeschlagen.

„Und jedes heutige Krankenhaus hat was gegen Dokugumon-Gift. Schon klar.“

„Seid doch mal ruhig“, hatte Matt da gesagt. „Ich glaube, er versucht noch etwas zu sagen.“

T.K. hatte nur einige Silben gebrabbelt, aber es war offensichtlich, dass es ihm besser ging. Stillschweigend hatten sie sich darauf geeinigt, dass die einzige Gefahr, die ihm noch drohte, nicht von dieser Welt war und somit nichts, was sich mit einem Krankenwagen lösen ließ. Kari kam fast um vor Sorge, und Matt musste es genauso gehen – dennoch war es vielleicht besser, einfach ein paar Minuten zu warten.

Schließlich stand Tai auf und ging wie Sora auf und ab. „Dieser dämliche Nebel“, schimpfte er. „Man sieht nicht mal zurück zum Treppenhaus. Und den Laptop müssen wir auch noch zurückbringen.“ Er fuhr sich seufzend durch das Haar. „Mann, was für eine Nacht.“ Kari kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er einfach nur vor sich her plapperte, um sich abzulenken.

Gerade, als T.K. wieder etwas an seinen Bruder gerichtet murmelte, hörte sie es. Das Rauschen. Das Rauschen eines Meeres.

Wie von einer glühenden Nadel gestochen stand sie auf. Nein … bitte nicht … Wie von selbst führten ihre Beine sie an den Rand der Dachterrasse, wo eine schulterhohe Brüstung Unvorsichtige vor dem Fallen bewahrte. Die fragenden Blicke der anderen nahm sie kaum wahr. Der Nebel hier war nicht so dicht, und unter ihr lagen Straßen mit weichen Lichtern und vielen bunten Menschen, die noch nichts vom Albtraum dieser Nacht mitbekommen hatten … Und dann schwappten riesige Wellen über die Gebäude herein, schaumiges schwarzes Wasser spülte durch die Häuserschluchten, bedeckte Menschen und Laternen und Stände und Fahrzeuge und Straßenschilder und Telefonzellen und …

Karis Hände schlossen sich fest um die obere Kante der Brüstung. Sie blinzelte, um die Szenen vor ihren Augen fortzuwischen. Es gelang ihr – allerdings nicht so, wie sie es gewollt hatte. Denn was verschwand, war die Stadt. Das Meer der Dunkelheit blieb.

„Bitte nicht … Was willst du schon wieder von mir?“, flüsterte sie. Sie fühlte die Tränen erst, als sie kalte Spuren über ihre Wangen zogen. Kari fröstelte.

„Kari? Was ist los?“, fragte Tai neben ihr. Er schien nichts von den Wellen zu bemerken … natürlich nicht. Es war doch immer nur sie, die von dem Meer angezogen wurde.

Die Angst unterdrückend, die sie schon so lange nicht mehr hatte fühlen müssen, ergriff sie seine Hand. „Halt mich fest, bitte“, murmelte sie. „Sonst werde ich von hier fortgezogen …“

Er packte sie so fest, dass ihre Knöchel schmerzten. „Keine Sorge, das wird nicht geschehen. Ist es wieder das Meer der Dunkelheit? Siehst du es dort unten?“

Kari nickte zittrig. Sie hatte die Angst eigentlich schon besiegt, damals … Sie hoffte, dass es nur ein kleines Aufflackern von Panik war, das schnell wieder ersticken würde.

„Dachte ich’s mir doch“, sagte er grimmig.

„Was?“

Er lächelte schief. „Ich glaube, ich kann es rauschen hören.“

„Wirklich?“

„Na komm.“ Mit sanfter Gewalt zog er sie von der Brüstung weg und drehte sie herum.

„Aber vielleicht bedeutet es etwas, dass ich es wieder sehe“, protestierte sie schwach, als er sie zu den anderen zurückzerren wollte. „Vielleicht will es mir etwas sagen …“

„Das Einzige, was uns das Meer sagt, ist, dass heute Nacht etwas nicht stimmt. Und das haben wir vorher auch schon gewusst.“

Als Kari sich noch einmal zu der Brüstung zurückdrehte, stellte sie fest, dass das Meer fürs Erste wieder verschwunden war.

 

„Wir gehen“, sagte Tai, als er und Kari zurückkamen. Etwas an seiner Tonlage hatte sich verändert – Sora spürte, dass er sich nun auch noch um Kari Sorgen machte. Auch sie selbst fand es hier mehr als unheimlich, mit dem gigantischen Spinnennetz als ständige Erinnerung an die gespenstischen Vorkommnisse dieser Nacht.

Matt bedachte ihn mit einem finsteren Blick. „Er kann noch nicht wieder gehen.“

„Dann stützen wir ihn. Willst du noch ein paar Stunden hier hocken bleiben? Glaubst du, das bekommt ihm gut?“

Matt stierte ihn noch einen Moment aus purem Trotz an, dann seufzte er. „Du hast ja recht. Tut mir leid. Es ist sicher besser, wenn wir ihn hier fortschaffen.“

Er und Tai halfen T.K. in die Höhe. Wie durch ein Wunder flatterten dadurch erneut seine Lider und es wirkte, als würde er sich umsehen. „Komm, Bruderherz“, sagte Matt leise. „Wir gehen nachhause.“

Sora verkniff es sich, noch einmal auf das Krankenhaus hinzuweisen. Menschliche Ärzte hatten noch nie geholfen, wenn es um die Missetaten von Digimon ging.

Als sich die Tür zum Stiegenhaus aus den letzten Nebelschwaden schälte, sahen die Freunde Takumi wieder. Er stand vor der offen stehenden Tür und schien auf sie zu warten. Sein Gesichtsausdruck ließ sich nicht deuten, weil er immer noch seine goldene Fuchsmaske aufhatte, aber er schien ihnen gar nicht richtig aufs Dach gefolgt zu sein. Hatte er vielleicht eine Spinnenphobie?

„Na, auch noch da?“, rief Tai ihm zu. „Was ist los, hast du dir plötzlich in die Hosen gemacht oder was?“

„Tai“, zischte Sora ihm warnend zu. Im Grunde hatte ihnen Takumi schon mehr geholfen, als es ein Durchschnittsmensch vermutlich getan hätte. Sie sollten lieber dankbar dafür sein.

Takumi antwortete nicht, was Tai als Vorwurf auffasste. „Okay, sorry. War nicht so gemeint“, brummte er.

„Ist … alles in Ordnung, Takumi?“, fragte Kari, als der junge Mann weiterhin nichts sagte.

„Wartet“, sagte Matt und blieb stehen. „Irgendwas stimmt mit ihm nicht.“

Sie hielten inne. Der Wind blies ein paar Nebelfetzen vorbei. Takumi stand stumm da, kerzengerade, ganz schwarz bis auf die goldene Maske, die matt im Mondlicht glänzte.

„Hey, hast du deine Zunge …“ Tai kam nicht dazu, auszureden.

Takumi regte sich wieder. Im ersten Moment sah es aus, als beugte er sich zurück wie jemand, der sich strecken wollte. Dann aber erkannte Sora, dass sich sein Bauch aufblähte. Sie schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. Takumis Hände zuckten, als versuchte er nach etwas zu greifen, sein Kopf sank in den Nacken – seine Lederjacke platzte auf und etwas Schwarzes, Zappelndes quoll aus seiner Bauchgegend. Sora schrie; die anderen ebenfalls. Tai, der ihm am Nächsten gestanden war, landete auf seinen vier Buchstaben. Die dunkle Wolke wuselte und schnappte in ihre Richtung, und Sora konnte erst auf den zweiten Blick feststellen, dass sie aus vielen kleinen, hektischen Tieren bestand. Plötzlich wurde ihr speiübel.

Unter Takumis Maske ergoss sich ein Bach aus hellrotem Blut, während er langsam, wie in Zeitlupe, nach hinten sackte, dann fing etwas seinen Sturz ruckartig auf und hob ihn wieder hoch.

Entweder der drehende Wind oder die peitschenden Flügel der kleinen Wesen, die nur Fledermäuse sein konnten – auch wenn sie kein Gesicht hatten und nur aus Umrissen zu bestehen schienen –, reichten aus, um die letzten Nebelschleier zu zerreißen. Nun wurde die Gestalt sichtbar, die hinter Takumi im Schatten des Türsturzes stand und ihn an nur einem Arm in die Höhe streckte. „Köstlich“, erklang eine weibliche Stimme, triefend vor Bosheit. „Als ich gespürt habe, dass sich hier ein Tor zur DigiWelt geöffnet hat, war ich einfach nur neugierig, ob wir noch mehr Gesellschaft bekommen haben. Aber was sehe ich da? Es waren Menschen, die das Tor geöffnet haben. Und hier ist ein Dokugumon-Nest ohne Dokugumon.“

Das Gesicht, das neben Takumis Körper vorbeispähte, trug einen zinnoberroten Helm und eine gleichfarbige, zerrissene Montur. Ein rotes LadyDevimon!

„Der hier hat regelrecht auf mich gewartet. Wirklich nicht übel. Ich mag Blut, wisst ihr? Und ich habe wohl meine Vorliebe für Menschenblut entdeckt.“

Keiner von ihnen brachte vor Entsetzen auch nur ein Wort heraus. Takumi hing schlaff in LadyDevimons Armen, seine Magengegend nur ein schwarzes Loch, aus dem noch dann und wann Fledermausflügel peitschten. Etwas Dunkles, Zähflüssiges tropfte auf den Boden, aber obwohl Sora es erwartet hatte, sah sie kein Blut.

Überraschenderweise war es gerade T.K, der als Erstes reagierte. „Du …“, hauchte er. „Du bist …“

„Ja, ja“, sagte LadyDevimon süffisant. „Und du bist nur knapp Dokugumons Speisekammer entronnen, nicht wahr?“

„Du verdammtes Miststück“, knurrte Tai und ballte die Fäuste. „Ich bring dich um!“

„Was denn, wegen dem hier?“ Das Digimon schüttelte Takumi wie eine Puppe. „Ich gebe zu, ich bin außer Übung. Sonst hätten meine kleinen Biester ihn viel schneller leergesaugt. Ein wenig Blut kann ich sicher noch aus ihm rausbekommen.“

„Du Monster!“ Tai fegte sich T.K.s Arm von der Schulter und wollte sich auf LadyDevimon stürzen.

„Tai!“, rief Kari erschrocken.

„Nicht, Tai!“, fiel auch Sora in den Chor der Schreie mit ein, den Tai wohl am meisten verstärkte: Mit wildem Kampfgebrüll schlug er mit der Faust nach der Dämonenfrau.

Er hatte LadyDevimons Fledermäuse nicht bedacht. Ehe er es erwischen konnte, traf ihn die schwarzrote Wolke mit der Wucht eines Hammerschlags und schleuderte ihn meterweit nach links über das Dach. Kari kreischte seinen Namen, LadyDevimon lachte.

„Dein Blut ist sicher auch köstlich, heiß und hell. Aber fürs Erste mach ich mich wohl besser mit meiner Beute aus dem Staub.“ Die dunkelroten Flügel, die wie schlaffe Pfauenfedern von den Schultern des Digimon hingen, richteten sich auf und es schwebte in den Nachthimmel hinauf, die große, krallenbewehrte Hand um Takumis Brustkorb geschlungen. „Wenn ich die Szene hier nämlich richtig einschätze, seid ihr es gewesen, die Dokugumon in die DigiWelt zurückgeschickt haben – und darauf habe ich im Moment noch gar keine Lust“, rief es zu ihnen herab.

Kari lief zu ihrem Bruder. Sora gelang es immer noch nicht, den Blick von Takumi abzuwenden. Ob er noch lebte? Es war schwer vorstellbar, oder?

LadyDevimon schien ihre Gedanken gelesen zu haben. „Und wenn ich die Szene hier wirklich richtig einschätze, würde ich sagen, ihr seid alle hier hochgekommen, um euren blonden Freund aus Dokugumons Netz zu befreien. Damit ihr nicht auf die Idee kommt, mir zu folgen und den hier zu retten, zeige ich euch, dass es vergeblich wäre.“

Unter dem Nachthimmel ertönte ein schreckliches, reißendes Geräusch, das Sora in all ihre Albträume verfolgen würde. Dann ertönte ein dumpfes Poltern, als Takumis Kopf auf dem Dach aufschlug und ihr direkt vor die Füße rollte. Während Sora schwarz vor Augen wurde und die bittere Galle auf ihrer Zunge sie würgen ließ, entschwand LadyDevimon mit einem grausamen Lachen am Nachthimmel.

 

In Izzys Kopf drehte sich alles. Konnte es sein, dass er sich täuschte? Dass das hier nur eine ganz normale Kerze war? Eine Spaßkerze, mit der man kleinen Kindern auf der Geburtstagstorte ein Lachen entlockte, weil sie sich wieder entzündete, sobald man sie ausblies? Konnte das sein? Sein Verstand versuchte krampfhaft eine Lösung für dieses Problem zu finden, als wäre es wie eine mathematische Gleichung dazu gemacht worden, gelöst zu werden.

Aber das hier war nichts dergleichen. Es war wie eine Gleichung ohne jegliches Rechenzeichen, einfach nur eine Ansammlung von Zahlen und Buchstaben, die alles und nichts bedeuten konnten, und tief im Inneren wusste er das.

„Izzy? Was hast du?“, hörte er Ken wie durch Watte. Die Erinnerungen an das, was er heute in seiner neuen Wohnung erlebt hatte, kamen an die Oberfläche wie Blasen mit Giftgas aus einem Sumpf und legten sein Denken lahm. Stück für Stück eroberte die Angst sein Gehirn.

„Wir … wir müssen hier weg“, erklärte er mit klammer Stimme.

„Was? Wieso?“

War Ken denn so schwer von Begriff? „Die Kerze hat niemand von uns hier hingestellt, geschweige denn angezündet!“, sage er und seine Stimme klang schrill. „Sie war einfach nicht da!“

Ken zuckte mit den Achseln. „Merkwürdig ist es schon“, räumte er ein, „aber vielleicht irren wir uns einfach.“

„Nein.“ Izzy schluckte hart. „Ich hab so etwas heute schon mal erlebt … Komm einfach mit.“ Er schickte sich an, durch den Streifen aus purer Schwärze zu treten, der sie von der nächsten Straße trennte. Kurz überlegte er sogar, zurück zur Hauptstraße zu gehen, aber so sehr hatte die Panik ihn noch nicht im Griff.

Ken folgte ihm argwöhnisch. Die beiden wateten durch die Schwärze, die nicht ganz so finster schien, wenn man mittendrin war. Dennoch schien sie sich in die Länge zu ziehen wie Gummi, das Licht am anderen Ende war ewig weit entfernt …

Und dann, direkt neben ihnen! Ein Licht flammte auf, wieder einen Kerzenflamme, und auf der anderen Seite der Gasse auch. Izzy unterdrückte ein entsetztes Stöhnen und beschleunigte seine Schritte. Als würden die Flammen einen Spalier bilden, erschienen sie immer gerade neben ihm, erhellten die bodenlose Schwärze zu seinen Füßen, aber dennoch waren sie weit davon entfernt, ihm in irgendeiner Form Erleichterung zu bringen. Kens Schritte hinter ihm wurden ebenfalls schneller.

Dann lag der schwarze Bereich endgültig hinter ihm und nur noch ein paar Meter trennten ihn vom Ende der Gasse, von der richtigen Straße mit ihren warmen Lichtern und dem pulsierenden Leben und von Davis und den Mädchen … Dort vorn war die Welt wieder in Ordnung, Schießereien und Digimon hin oder her.

Er warf einen Blick über die Schulter. Ken war dicht hinter ihm. Da stieß Izzy mit dem Fuß gegen etwas und kam ins Straucheln. Er fing sich schnell wieder, und dabei streifte sein Blick wieder den Boden unter seinen Füßen.

Die sumpfige Schwärze war wieder da.

Izzy traute seinen Augen nicht. Er hatte den finsteren Bereich doch schon verlassen! Direkt unter ihm befand sich wieder ein undurchdringlicher Schatten, der ihn nicht einmal die Pflastersteine erkennen ließ! Die Kerzen waren plötzlich wieder alle verschwunden. Der Schatten schien dick und zäh.

Izzy biss die Zähne zusammen und rannte los, das Ende des finsteren Kreises im Auge behaltend – und tatsächlich! Der Schatten folgte ihm, als klebte er an seinen Fußsohlen! Als würde Izzy etwas von oben beleuchten und seinen eigenen Schatten irgendwie riesengroß auf den Boden projizieren … Mit einem ohnmächtigen, verzweifelten Schrei legte er noch einen Zahn zu.

Der Schatten hielt nicht nur Schritt, er überholte ihn sogar. Kurz bevor er das Ende der Gasse erreichte, huschte er vor ihm davon, tauchte die Häuserwände kurz in Tintenschwärze und legte sich dann wie eine dunkle Folie über das Licht, das von der Straße her drang. Sofort wurde es noch dunkler in der Gasse. Izzy blieb abrupt stehen und Ken stolperte gegen ihn.

„Was ist das?“, flüsterte Ken unbehaglich.

„Wenn ich das wüsste …“

„Sieh nach, ob es ein Digimon ist.“

„Das hab ich schon mal! Es ist keines!“ Izzy holte Handy und DigiVice heraus und richtete es auf den zuckenden Schatten. „Siehst du?“

„Aber was ist es dann?“, fragte Ken kleinlaut. „Willst du mir etwa sagen, dass es ein Geist ist?“

Das Wort Geist ließ einen sichtbaren Schauer über den Schatten wandern, wie Wellen auf einem Teich. Täuschte sich Izzy, oder kam er näher, jetzt, da er ihnen den Weg abgeschnitten hatte?

„Hier rein, komm!“ Er zerrte Ken unter einem gemauerten Rundbogen hindurch, der einen kleinen Hinterhof mit ihrer Gasse verband. Er war nicht asphaltiert oder gepflastert, stattdessen bedeckten Erde und borstiges, ungesundes Gras die drei mal drei Meter messende Fläche. Eine stabil aussehende Tür führte in den Keller eines Gebäudes, ansonsten gab es hier noch ein niedriges Baugerüst, das entweder nicht fertig aufgestellt oder nicht fertig wieder abgebaut worden war. Ein von der Nacht feuchter Erdhaufen döste daneben.

„Und wohin jetzt?“, fragte Ken.

Izzy rüttelte an der Türklinke, doch ohne einen Schlüssel sah er schwarz. Ken inspizierte hektisch das Gerüst. „Vielleicht können wir ein Fenster einschlagen und über das Gerüst hineinklettern“, überlegte Izzy.

Ken biss sich auf die Unterlippe und sah absolut nicht begeistert aus. Hier standen sie nun, planlos und in der Falle, und sie beide waren eher passive Typen und alles andere als kurzentschlossen. Wäre Tai hier gewesen, hätte er längst entschieden, was zu tun wäre. Izzy grübelte zu lange über alle möglichen Probleme nach und kam zu keiner Lösung …

Eine weitere Erinnerung von heute wühlte ihn auf. Der Typ in der Straßenbahn, der Mimi angemacht hatte. Auch da hatte er einfach nicht energisch genug reagiert. Das war nicht einfach nur eine Frage von Passivität oder Spontanität! Sein voriger Gedanke kam ihm plötzlich wie eine Ausrede vor. Er brauchte doch Tai nicht, um sich aus dieser Situation zu winden! Er hatte etwas, das er tun wollte – von hier fliehen –, und alles, was er tun musste, war zu handeln. Denk nach, zum Kuckuck! Was kannst du tun? Izzy war der Typ, der gern Für und Wider abwog, also würde seine Entscheidung davon beeinflusst werden, aber wieso sollte das ein Problem sein? Er musste sich nur beeilen.

Die Tür aufbrechen? Das würde nicht funktionieren, dazu war sie zu massiv. Auf das Gerüst klettern und ein Fenster einschlagen? Dazu bräuchten sie ein Werkzeug. Auch wenn sie nicht so aussahen, entlang der Hauptstraße des Westend-Viertels waren die Gebäude gut in Schuss und auch die Fenster modern genug, einem einfachen Schlag mit einem Schuh oder etwas Ähnlichem zu widerstehen. In die DigiWelt fliehen? Das wäre vielleicht eine Option – aber keine gute. Wer wusste schon, wie sie wieder zurückkämen, und ohne ihre Partner lauerten da vielleicht noch ganz andere Gefahren … Nach dem Ausschlussverfahren blieb ihnen nur eine einzige Wahl.

„Ken“, sagte Izzy mit leicht zittriger Stimme. „Wir stellen uns ihm.“

Er starrte ihn entgeistert an. „Bist du sicher? Wir wissen nicht, was das ist.“

„Eben. Es hat uns bisher Angst eingejagt, aber noch nicht angegriffen. Vielleicht können wir mit ihm reden. Furcht entsteht aus Mangel an Informationen; wenn wir wissen, was es ist, brauchen wir vielleicht gar nicht mehr zu fliehen.“

Ken verstand. Die beiden standen mitten in dem Innenhof, als der Schatten hereinraste, ihnen auf den Fersen.

Es war wie ein Tornado aus purer Schwärze, die durch den Torbogen quoll. Die Finsternis verdickte sich und ergoss sich schließlich auch auf das Gras und die Erde. Der Schatten floss über ihre Schuhe und Izzy musste sich zwingen, nicht davonzuspringen. Er erwartete, die Berührung zu spüren, doch dem war nicht so. Einzelne Schattententakel waberten die Hauswände hoch, und überall vor den Fenstern glommen Funken auf: Auf den Fensterbrettern waren Kerzen erschienen. Nach wenigen Sekunden verschwanden sie wieder und das Dunkel kroch wieder in die Tiefe, umrundete die beiden.

Izzy und Ken standen Rücken an Rücken und machten sich so schmal wie möglich. Es sah aus, als würde der Schatten sie irgendwie einzuschätzen versuchen, schneller und schneller umkreiste er sie. Ein Blitzschlag erhellte die Nacht, obwohl der Himmel kaum bewölkt war. Für einen kurzen Moment wurden die Konturen des Schattens noch schärfer, obwohl das Licht ihn eigentlich vertreiben müsste. Donner folgte.

Dann hielt das Gespenst direkt vor Izzys Füßen inne und schien zitternd auf etwas zu warten. Wieder erglomm eine winzige Flamme, die dann in einem blauen, elektrischen Zucken verging – dann war das blaue Licht überall, als hätte es die Flammen abgelöst. Izzy kniff die Augen zusammen, als ihn das Geblitze fast wahnsinnig machte – es musste schlimmer sein als jede Discobeleuchtung.

Donner krachte, leiser als gewöhnlich, dann hörte er Ken flüstern: „Izzy, ist das nicht doch ein Digimon?“

Er riss die Augen auf und schnappte nach Luft. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er den Atem angehalten hatte.

Ken spähte über seine Schulter. Das Ding vor ihm hatte sich verändert – genauer gesagt hatte es den Körper, der ihm gefehlt hatte, nun erhalten und dafür seinen Schatten eingetauscht. Bleich und durchscheinend schwebte eine kleingewachsene Gestalt vor ihnen, in weiten Pluderhosen, zerrissenem Mantel mit hochgeschlagenem Kragen und mit einem riesigen Hexenhut, unter dem ihn zwei große, durchdringende Augen anstarrten.

Wizardmon.

You’ll be missing the day

Davis kannte sich nicht allzu gut im Westend-Viertel aus, aber nachdem ihm Mimi per Anruf mitgeteilt hatte, wo in etwa er Ken und Izzy suchen musste, hatte er immerhin eine ungefähre Vorstellung davon, welche Route ihn am schnellsten zu ihnen führte. Nur wurde eben diese Route von nichts Geringerem blockiert als der Polizei.

Zwei Wagen mit eingeschaltetem Blaulicht versperrten halb den Weg in die breite Gasse, die er sich zum Ziel genommen hatte, und als sich Davis nichtsdestotrotz daran vorbeizwängen wollte, wurde er von einem dicken Polizisten abgefangen. „He, Junge“, rief er. „Hier kein Durchgang.“

Davis hatte keine Lust, sich mit sowas herumzuschlagen. „Wieso? Wegen der Schießerei?“ Sicherlich hatte man die Gasse deswegen abgesperrt. Wenn das auch auf andere mögliche Wege zur Hauptstraße zutraf, kam er nie bei seinen Freunden an.

Der Beamte warf einen unglücklichen Blick hinter sich, wo seine Kollegen am Werk waren und mit hellen Lampen etwas untersuchten, das am Boden lag. „Besser, du gehst nachhause, Junge.“

„Tut mir ja leid, aber ich muss da durch! Ich suche meine Freunde!“

Plötzlich wurde der Blick des Polizisten mitleidig – Davis‘ Herz schlug schneller. Was sollte das bedeuten? „Geh nachhause“, wiederholte er. „Am besten sofort ins Bett. Hier auf den Straßen ist es momentan nicht sicher.“

„Was ist dort hinten, verdammt?“, rief Davis, dem der Schweiß ausbrach. Ihm schien, der Beamte wollte ihn vor irgendetwas schonen – und das gefiel ihm in dieser chaotischen Nacht ganz und gar nicht! „Haben Sie meine Freunde gefunden? Ist was mit ihnen?“

Eine Mischung aus Seufzen und Brummen deutete an, dass sein Gegenüber kapitulierte. „Wer sind deine Freunde? Wie sehen sie aus?“

„Es sind ein Junge in meinem Alter mit schwarzen Haaren und ein etwas älterer mit roten Haaren und einer Zombiemaske!“, sagte Davis eifrig.

Jede Gefühlsregung war überdeutlich auf dem Gesicht des Polizisten abzulesen – vielleicht weil er die erste Person seit langem war, die Davis ohne Maske oder Schminke im Gesicht sah. Der Mann war eindeutig erleichtert. „Dann hat es nichts mit deinen Freunden zu tun. Lass uns jetzt unsere Arbeit tun, Junge.“

Das ewige Junge hing ihm bereits zum Hals raus. Nun wieder mutiger, knurrte er trotzig: „Und mit wem hat es dann zu tun?“

„Das geht dich nichts an.“

„Ich will aber hier durch! Sie bekommen mich erst weg, wenn Sie mir sagen, warum ich da nicht lang darf!“ Hätte er auf die Schnelle eine Alternativroute parat, hätte er keine Zeit verloren – aber die verlassene Straße, auf der er stand, wand sich regelrecht durch die Häuserschluchten, und die nächste Gelegenheit, näher an Ken und Izzy heranzukommen, war mindestens zwei Blocks entfernt. Das hier wäre die perfekte Abkürzung, wäre dieser dicke Polizist nicht!

„Hör zu, ich habe momentan wirklich nicht die Nerven, um zu diskutieren“, brummte der Mann übellaunig.

„Dann sagen Sie’s mir doch!“

„Na schön“, schnaubte er. „Wir haben in der Gasse zwei Frauenleichen gefunden.“

„Zwei Leichen?“, entfuhr es Davis.

„Mutter und Tochter, wie es aussieht. Ganz sicher sind wir uns noch nicht, weil sie beide verkleidet und geschminkt sind und keine Ausweise dabeihaben. Jemand hat sie ziemlich übel zugerichtet – reicht dir das als Grund, nicht unseren Tatort zu stürmen?“

Davis schluckte. „Ich, es … tut mir leid.“ Sein Hals war ganz trocken. Ein Bild blitzte vor seinem inneren Auge auf, von Polizeiautos und Absperrbändern. Und sie hatten noch Scherze darüber gemacht … „So was ist doch heute schon mal passiert, oder?“

Der Polizist nickte. „Allerdings. Das ist der dritte Fall in zwei Stunden. Die Kollegen haben erst vor ein paar Minuten noch eine Leiche entdeckt. Stranguliert mit der eigenen Perücke – ziemlich stabil, diese Kunsthaare. Das Mädel hatte silbernes Glitzerzeug am ganzen Hals, sah angeblich richtig komisch aus. Willst du noch mehr Einzelheiten oder verschwindest du jetzt endlich, Junge?“

„Ich … danke, ich geh ja schon“, nuschelte Davis und wandte sich um auf der Suche nach dem Weg, den er nun nehmen sollte.

„Ist besser so. Und beeil dich. Mittlerweile sind wir uns sicher, dass hier ein Serienkiller herumläuft. Und dann hat es auch noch diese Schießerei gegeben. Die Party ist aus, Junge, die Kollegen sind gerade dabei, die Hauptstraße zu räumen. Also geh wirklich nachhause, das ist gesünder für dich.“

Davis hörte ihm kaum mehr zu. Er rannte los, so schnell seine Beine ihn trugen. Ein Serienkiller hier im Westend-Viertel, ein paar schießwütige Irre, ein LadyDevimon auf der Hauptstraße … und seine Freunde saßen schutzlos irgendwo in dem Gassenlabyrinth des Viertels fest!

 

„Wizardmon“, murmelte Izzy.

„Du kennst es?“, fragte Ken.

Wizardmon – oder eher, der Geist, der einmal das lebendige Wizardmon gewesen war – zeigte kaum eine Regung, während es sprach. „Es ist gut, dass ich nun endlich mit euch sprechen kann, DigiRitter. Ich habe es den ganzen Abend lang versucht.“

„Heißt das, du warst das alles?“, fragte Izzy verwirrt. „Der ganze Hokuspokus in meiner Wohnung und die Kerzen? Du hast uns echt einen Heidenschreck eingejagt.“

Wizardmon schlug die Augen nieder. „Tut mir leid. Es war nicht einfach, mich bemerkbar zu machen. Ich musste den Ort verlassen, an dem ich gestorben bin, um einen von euch zu finden. Das warst du mit deinen vielen Geräten, die sich in dieser Welt am ehesten noch nach der DigiWelt anfühlen. Doch ich war schwach und konnte nicht bewusst Kontakt zu dir aufnehmen. Allein dass ich hier vor dir stehe, verdanke ich der Tatsache, dass meine Kräfte langsam zurückkehren. Dennoch bleibt mir nicht viel Zeit.“

„Also hatten diese Blitze gerade eben mit deinen Fähigkeiten als Digimon zu tun, richtig? Warum die Kerzen? Was hat es damit auf sich?“ Bei dem Gedanken an die Geschehnisse in seiner Wohnung bekam er immer noch eine Gänsehaut.

„Das kann ich dir nicht beantworten“, erwiderte der Geist. „Wie ich bereits sagte, ich konnte nicht bewusst mit dieser Welt interagieren.“

„Candlemon“, sagte Ken plötzlich und wie aus dem Zusammenhang gerissen. „Eine Vorstufe zu Wizardmon ist Candlemon, und das ist im Grunde nichts anderes als eine Kerze mit Gesicht und Armen. Vielleicht sind deswegen Kerzenflammen aufgetaucht, als Wizardmons Kräfte noch schwach waren.“

„Das wäre eine Erklärung“, sagte Wizardmon.

„Das letzte Mal, dass du dich uns gezeigt hast, war am Jahrestag deines Todes im Fernsehturm“, erinnerte sich Izzy. „Ich kann mir irgendwie vorstellen, dass ein Geist so etwas tun könnte – aber warum erscheinst du uns gerade jetzt wieder? Hat es damit zu tun, dass Halloween ist?“ Seine Angst flaute nach und nach ab, langsamer als erwartet, aber vor Wizardmon brauchten sie sich nicht zu fürchten. Nun verlangte der Wissensdurst in ihm Antworten, ob seine Theorien von vorhin stimmten.

„Das hat es“, sagte Wizardmon. „Dieser Tage sind die Grenzen zwischen eurer Welt und der DigiWelt kaum mehr zu spüren, und auch ich als Geist kann meine Präsenz hier stärker ausbauen als üblich. Alle Welten sind näher zusammengerückt, und das hat ein Problem geschaffen, das die Menschen in Gefahr bringt.“

Also wirklich! „Wenn ich das richtig verstehe, dann gibt es also so etwas wie eine eigene Geisterwelt für Digimon?“, fragte Izzy.

„Vielleicht kann man es so nennen. Es ist die Ebene, auf der ich noch existiere.“

„Du hast gesagt, du wolltest mit uns Kontakt aufnehmen“, sagte Ken. „Warum?“

Nun bedachte Wizardmon ihn mit seinem beunruhigenden Blick. Damals hatte es ihnen einen Tipp gegeben, wie Ken als DigimonKaiser zu besiegen wäre. Falls es nun wusste, wen es vor sich hatte, so ließ es sich nichts anmerken. „Eure Welt ist erneut in Gefahr, und vielleicht habt ihr es auch schon selbst gemerkt“, sagte es fast feierlich.

„Die Digimon, die hier aufgetaucht sind“, murmelte Ken düster. „Trotz des versiegelten Tores.“

Wizardmon nickte. „Die Grenzen zwischen den Welten sind momentan so dünn, dass sie kaum mehr vorhanden sind. Etwas hat nach den Digimon gerufen, und allein das hat ausgereicht, um sie in diese Welt zu holen.“

„Etwas? Was ist dieses Etwas?“, fragte Izzy. „Wer oder was hat das getan?“

„Ist es ein Digimon?“, fragte Ken.

Wizardmon schüttelte den Kopf, langsam und bedächtig. „Das stimmt nicht ganz. Dieses Wesen ist etwas wie ich selbst. Ein Geist, der irgendwo zwischen den Welten lebt. Auf dieser Ebene, die du vielleicht Geisterwelt nennen könntest.“

„Etwas wie du? War es denn auch früher mal ein Digimon?“, fragte Izzy.

Wieder verneinte Wizardmon, wenn auch nach kurzem Zögern. „Es ist schwierig für mich, es zu erklären, aber auch das ist nicht ganz richtig.“

„Was heißt das, es ist schwierig? Wie sieht das Wesen denn aus?“, wollte Ken wissen.

„Ich kann es nicht sagen. Tut mir leid. In meinem gegenwärtigen Zustand besitze ich andere Sinne als Digimon oder Menschen. Ich spüre es nur. Ich weiß, dass es in der Nähe ist, und dass es seine Präsenz schon wesentlich stärker ausgebaut hat als ich meine. Ich glaube, starke Gefühle treiben es an, aber ich habe es noch nicht gesehen.“

„Verstehe“, murmelte Izzy, obwohl er kaum etwas verstand.

„Ich habe jedoch noch etwas für euch, DigiRitter“, sagte Wizardmon. „Eine neue Prophezeiung, die euch helfen könnte. Ich habe gemeinsam mit der anderen von ihr erfahren, aber bis heute wusste ich nicht, wann und warum sie von Bedeutung sein könnte.“

Die beiden Jungen waren ganz Ohr. Izzy bedeutete dem Digimon-Geist, fortzufahren.

„Die Saat des ersten Mannes ist es, die den Schleier zerreißt“, sagte Wizardmon.

Izzy wartete vergeblich darauf, dass es weitersprach. „Das ist alles? Die Saat des ersten Mannes zerreißt den Schleier?“

„Ich bin mir sicher, dass der Schleier zwischen den Welten damit gemeint ist, den das Wesen zerstört hat“, sagte Wizardmon.

„So weit ist es ja recht einfach“, murmelte Ken. „Aber was soll das sein? Die Saat es ersten Mannes?“

„Auch das kann ich euch leider nicht sagen“, erwiderte Wizardmon bedauernd. „Aber ich denke, die Antwort auf diese Frage führt euch zur Identität des Wesens, das für die Vorkommnisse heute Nacht verantwortlich ist.“ Es seufzte. „Das ist alles, was ich tun kann, um euch zu helfen. Es ist anstrengend, diese Form anzunehmen. Ich werde mich bald wieder auf den Weg machen müssen.“

Erst jetzt wurde Izzy bewusst, dass es während ihres ganzen Gesprächs immer durchscheinender geworden war. Nun war es so blass, dass es fast mit der Wand hinter ihm verschmolz. „Danke, Wizardmon. Wir werden an deine Worte denken.“

Wizardmons Blick wurde mit einem Mal weich. „Bevor ich gehe, sagt mir bitte: Wie geht es Kari und Gatomon?“

Izzy zögerte. „Gut … denke ich.“ Tatsache war, dass er Kari heute Abend noch nicht gesehen, ja noch nicht mal von ihr gehört hatte. „Die Digimon und wir haben uns lange nicht gesehen, aber wir DigiRitter unternehmen immer noch viel miteinander.“

„Das freut mich zu hören“, sagte Wizardmon. „Ich finde es schade, dass Kari nicht auch bei euch war und mit mir sprechen konnte. Richtet ihr bitte Grüße aus.“

Die beiden nickten. „Werden wir.“

„Ich wünsche euch viel Erfolg, was auch immer ihr nun zu tun gedenkt.“ Damit löste sich Wizardmon endgültig in Nichts auf. Der Spuk war nun vorbei, und das Absurde war, dass er Izzys Meinung nach plötzlich ruhig länger hätte dauern können.

„Die Saat des ersten Mannes also? Was hat das zu bedeuten?“, überlegte Ken laut.

„Ich habe keine Ahnung“, murmelte Izzy. „Aber es ist sicher wichtig.“

„Vielleicht hat es mit Adam und Eva zu tun? Oder mit der Saat der Finsternis?“

„Wenn es Adam und Eva sind, könnten mit ihrer Saat vielleicht ihre Kinder gemeint sein?“ Izzy bereute einmal mehr, ohne seinen Laptop außer Haus gegangen zu sein und sein Handy nicht weiter aufgeladen zu haben. Zu gern hätte er nun nach den Sprösslingen der biblischen ersten Menschen gegoogelt.

„Das sind dann Kain und Abel, glaube ich“, sagte Ken. „Aber wie soll uns das weiterhelfen?“

Izzy schüttelte langsam den Kopf. „Keine Ahnung. Vielleicht ist es auch etwas völlig anderes.“

„Hat euch Wizardmon schon mal so eine Prophezeiung gegeben? Irgendwie hat es sich danach angehört.“

Er sah Ken überrascht an. „Hat dir das noch niemand erzählt?“

„Nein. Was denn?“

„Damals, also du weißt schon, als du der DigimonKaiser warst, da ist uns Wizardmon im Fernsehsender erschienen, ungefähr dort, wo es von Myotismon umgebracht worden war. Freundlichkeit entsendet goldenes Licht, hat es gesagt. Wir wussten damals auch nicht wirklich, was das bedeutet, aber letztlich hat es auf dein Wappen angespielt, das zu einem goldenen DigiArmorEi geworden war.“

„Und mit dem habt ihr den DigimonKaiser letztendlich besiegt“, sagte Ken. „Verstehe. Aber ihr habt damals nichts Besonderes getan, um die Prophezeiung wahr werden zu lassen, oder? Vielleicht renkt sich heute auch alles wieder ein – von allein, quasi.“

„Ich hoffe es“, murmelte Izzy. „Es sei denn, uns streift noch ein Geistesblitz und wir finden diesmal vorher heraus, was Wizardmon gemeint hat.“

Sie entschieden, dass es oberste Priorität hatte, sich mit den anderen zu treffen. Sie folgten der Gasse von vorhin und stießen auf der nächsten Straße regelrecht mit Davis zusammen, der mit hochrotem Kopf und in seinem Perchtenfell furchtbar schwitzend erleichtert aufatmete. Für Izzy war ihn wiederzusehen das Erfreulichste, was seit Einbruch der Dunkelheit passiert war.

„Endlich hab ich euch“, seufzte Davis. „Was habt ihr gemacht – euch da drin versteckt? Wolltet ihr mir nicht entgegenlaufen?“

„Wir wurden aufgehalten“, sagte Izzy zögerlich. „Von einem alten Bekannten.“

„Ist ja auch egal, kommt. Hier ist überall die Hölle los. Ich hab da eben ein paar ziemlich ungemütliche Sachen gehört.“

„Wir auch“, murmelte Ken.

 

Tai hatte die Fäuste geballt und wandte ihnen den Rücken zu. Matt sah nur, dass er den Kopf gesenkt hatte wie ein angriffslustiger Stier. Seine Schultern bebten, aber Matt kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht weinte, sondern vor Wut überkochte.

Sora war nur ein paar Sekunden ohnmächtig gewesen. Nun lag sie in seinen Armen und starrte mit leerem Blick überallhin, nur nicht auf Takumis Kopf, der seine Maske verloren hatte und die DigiRitter vorwurfsvoll anzustarren schien. T.K. hockte an Matts anderer Seite, Kari im Rücken, da er allein wahrscheinlich wieder umgefallen wäre. Sora und T.K. sahen beide völlig zerstört aus … und Tai hatte nicht einmal einen Blick für sie übrig.

„Ich krieg sie“, zischte er. „Ich kriege dieses verdammte Biest!“

„Lass es“, sagte Matt leise. „Komm lieber her und …“

„Nein!“ Tais Faust knallte gegen den Türrahmen, so heftig, dass seine Knöchel aufplatzten. „Dieses verdammte LadyDevimon! Ich finde es, ich schwör’s euch, ich jage dieses Monster meinetwegen durch ganz Japan, und dann schlag ich ihm den Schädel sein!“

„Du solltest dich mal reden hören“, höhnte Matt, vergewisserte sich, dass sich Sora von selbst aufsetzen konnte, und stand auf. „Du, allein gegen ein Ultra-Digimon?“

„Es ist mir scheißegal, ob es ein Digimon ist!“, knurrte Tai. „Von mir aus kann es auf dem Mega-Level sein, ich dreh ihm den Hals um!“

„Tai, lass es gut sein.“ Er legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. Tai schüttelte sie wütend ab. Als er zu Matt herumfuhr, sah der blanken Hass in seinen Augen funkeln. Von seinem Mumienkostüm waren nach seiner Rutschpartie über die rauen Bodenfliesen nur noch Fetzen übrig. Tai hatte plötzlich nichts Lächerliches mehr an sich – eher etwas Wildes und Gefährliches.

Es ist nicht gut!“, presste Tai durch die Zähne. „Dieses Ungeheuer hat Takumi umgebracht und es hat es genossen!“

„Ich weiß“, murmelte Matt, der sich zwang, vernünftig zu bleiben. Zu behaupten, dass ihm der Tod des jungen Mannes nicht naheging, wäre eine haarsträubende Lüge gewesen. „Es gibt Digimon, die sich am Leid anderer ergötzen. Wir wissen, dass LadyDevimon nicht gerade …“

„Halt doch den Mund“, fiel Tai ihm ins Wort. „Soll das heißen, es ist okay, weil es ein böses Digimon war? Ich hab mir diese Horror-Nacht lange genug von der Verliererseite gegeben. Wird Zeit, dass ich auch mal austeile!“

„Welche Chancen rechnest du dir denn aus?“ Matt schaffte es nicht mehr, ruhig zu sprechen. „Dieses Ding bringt dich genauso um, wie es Takumi umgebracht hat!“

„Ist mir egal“, schnaubte Tai und wandte sich schon zum Gehen, „ich drücke ihm meine Faust ins Gesicht, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.“

„Jetzt mach aber mal ‘nen Punkt!“ Matt riss ihn zu sich herum und brüllte ihm ins Gesicht. „Willst du wirklich sterben? Willst du das? Denkst du überhaupt ein kleines bisschen nach? Glaubst du, uns ist es egal, was mit dir passiert? Glaubst du, wir sind nicht auch entsetzt?“

„Tja, ihr tut den ganzen Tag schon nichts anderes, als entsetzt zu sein“, hatte Tai die Dreistigkeit zu erwidern. „Ich lasse das jetzt hinter mir. Ich schlage zurück!“

„Hört doch bitte auf zu streiten“, seufzte Sora schwach.

„Sie hat recht. Ihr beruhigt euch wieder und dann denken wir vernünftig darüber nach.“ Kari versuchte sie zu trennen, aber Matt sah, wie ihre Augen feucht schimmerten. Auch sie war zu Tode erschrocken. Sie zwang sich, stark zu sein, für ihren Bruder und dessen wahnwitzige Ideen. Das brachte Matt zur Weißglut.

„Wenn du nicht freiwillig bei uns bleibst, finde ich irgendein verdammtes Seil und binde dich hier am Dach fest. Das meine ich ernst. Merkst du nicht, dass du hier alle noch ganz verrückt machst?“

„Das Dach, gute Idee!“, rief Tai aus. „Willst du dich nicht auch lieber hier verstecken? Ich seh’s dir an, du hast Schiss vor diesem LadyDevimon!“

„Ja, vielleicht hab ich Schiss“, knurrte Matt. „Du bist ja anscheinend zu blöd dazu! Dieses Digimon zerreißt dich in der Luft, wenn du ihm allein zu nahe kommst!“

„Werden wir ja sehen“, gab Tai unbeeindruckt zurück. „Dieses Biest wird sich noch wundern!“

„Verdammt, du bist völlig daneben!“ Matt fürchtete einen Moment lang tatsächlich, sein Freund könnte ob des konstanten Schreckens dieser Nacht den Verstand verloren haben. „Komm mal wieder runter und denk nach!“

„Ich habe schon nachgedacht. Ich bring dieses Weib um und lass es dabei noch in Takumis Augen sehen!“

Matt konnte sich nicht mehr halten. Seine Faust ballte sich wie von allein, sein Arm fuhr herab. Eigentlich hatten sie diese gewalttätige Phase hinter sich gelassen, doch vielleicht war es wieder mal notwendig, dass sie sich prügelten. Das hatte Tai schließlich schon mehr als einmal zur Vernunft gebracht.

Doch Tai fing seinen Kinnhaken mit der flachen Hand auf. „Diesmal nicht“, zischte er Matt mit vor Wut glühenden Augen zu. Dann grub sich seine eigene Faust in Matts Magengegend und ließ ihn stöhnend rückwärtstaumeln.

„Matt!“ Sora war sofort bei ihm. Kari starrte ihn entgeistert an, dann stellte sie sich zwischen ihn und seinen Bruder.

„Hast du völlig den Verstand verloren?“, schrie sie.

„Bleibt doch alle schön beisammen und dreht Däumchen, während ich Takumi räche“, knurrte Tai. Dann, kurz, wurde sein Blick leidend, verzweifelt. Dennoch wirbelte er herum und verschwand im Dunkel des Treppenhauses.

„Verdammt“, ächzte Matt und kniff ein Auge zusammen. Tais Schlag hatte gesessen. „Der Kerl hat echt ein Rad ab. Der bringt sich noch um.“

„Er ist einfach schrecklich aufgebracht über … ihr wisst schon“, murmelte Kari. „Er hat einfach einen Schock bekommen … Er wird sich schon wieder einkriegen.“

„Trotzdem … Glaubt er denn, wir verstehen ihn nicht?“ Gerade seine Freunde verstanden am besten, was in ihm vorging. Jeder ging mit dem Schrecken anders um, aber dass Tai plötzlich einen auf Einzelgänger machen wollte, verletzte sie mehr, als er vielleicht glaubte. Matt warf T.K. einen Blick zu. Er schien nicht viel von seiner Umgebung mitzubekommen, aber er war wach. „Wir sollten uns beeilen und ihm folgen.“ Er deutete auf den Laptop, der noch am Boden herumlag. „Und den werden wir uns wohl zur Sicherheit noch ein bisschen länger ausleihen.“

 

Yolei und Mimi hockten am Rand des Denkmalbrunnens, der leise plätschernde Wasserfontänen versprühte, und versuchten jede für sich mit der Nervosität fertigzuwerden. Yolei hatte begonnen, auf ihren Handschuhen herumzukauen; Mimi tippte ungeduldig mit ihren Absätzen auf den Boden. In der Ferne sah man Blaulicht wetterleuchten; ab und zu wehten sogar Rufe oder Sirenen zu ihnen herüber. Hier auf dem Denkmalplatz war es geradezu abartig ruhig, zahlreiche Laternen rund um den Brunnen tauchten alles in bleiches Licht, aber die Stille verschlimmerte die Situation nur.

„Verdammt, ich halt’s nicht mehr aus!“ Yolei sprang auf und begann auf und ab zu gehen wie eine Tigerin im Käfig. „Da sind irgendwelche Psychos mit Waffen unterwegs und ein LadyDevimon auch noch und unsere Freunde laufen durch irgendwelche Gassen und finden nicht zu uns!“

„Sicher finden sie zu uns – Davis weiß, wo wir warten“, sagte Mimi gereizt. Sie konnte auch kaum noch stillsitzen, aber Yoleis Zappeligkeit war nicht auszuhalten.

„Ruf Izzy nochmal an und frag ihn, wo sie sind“, drängte Yolei.

Das hatte Mimi in den letzten paar Minuten bereits mehrmals versucht, aber es war sofort die Mailbox rangegangen. Was den Grund dafür betraf … Sie zwang sich, sich keinen Horrorfantasien hinzugeben. „Er würde eh nur sagen, dass sie irgendwo in den Straßen unterwegs sind“, sagte sie.

Yolei schien ihr gar nicht zugehört zu haben. „Mir reicht’s, ich rufe Ken an!“ Energisch tippte sie auf ihrem Handy herum.

„Und das fällt dir erst jetzt ein?“, zickte Mimi herum.

„Ich hab’s vorhin schon mal probiert, da bin ich nicht durchgekommen.“

Mimi verdrehte die Augen. „Ah ja. Hauptsache, du sagst mir alle zwei Minuten, ich soll Izzy anrufen.“

„Ken hat sein Handy meistens auf lautlos gestellt. Ich hab erwartet, dass er mich zurückruft, wenn er merkt, dass ich ihn angerufen habe“, verteidigte sich Yolei, ihr Mobiltelefon schon am Ohr. Plötzlich hellte sich ihre Miene auf. „Ken? Na endlich, wo seid ihr? Was? Ja, wir sind noch immer bei dem Brunnen.“

„Wo sind sie?“, zischte Mimi neugierig.

„Psst!“, zischte Yolei. „Ich wusste es! Okay, wir sind vorsichtig. Ja, wir warten. Okay. Kommt schnell, wir … Ich … Ach, beeilt euch einfach!“ Sie sah aus, als hätte sie eigentlich etwas anderes sagen wollen, legte dann aber resolut auf und sah plötzlich wieder zornig aus, als hätte der Anruf sie irgendwie aus der Reserve gelockt. „Die haben vielleicht Nerven! Trödeln rum, während hier Digimon Amok laufen.“

„Heißt das, sie haben noch andere Digimon gesehen?“, fragte Mimi besorgt. Sie hatte keine Lust, dass sich das Theater von bösen Digimon und von Welten, die in Gefahr waren, wiederholte. Auch wenn sie ahnte, dass genau das der Fall war.

Yolei atmete tief durch. „Eines. Und Wizardmon.“

Wizardmon?“

„Mehr hat Ken nicht gesagt. Aber sie sind in ein paar Minuten hier.“ Nun etwas ruhiger, schlenderte Yolei wieder zum Brunnenrand und setzte sich hin. „Und wir sollen vorsichtig sein.“

„Klar.“

„Ken hat gemeint, deine Verkleidung könnte die Digimon auf dich aufmerksam machen.“

„Stell dir vor, daran hab ich auch schon gedacht“, sagte Mimi spitz. In dem Moment klingelte ihr eigenes Handy. Es war T.K.s Nummer, aber als sie abhob, hörte sie Matt.

„Hey, ich bin’s. Wo seid ihr?“

„Ähm …“ Sie blickte noch einmal auf das Schild, das den Platz betitelte, und nannte ihm die Adresse. „Yolei und ich sind beim Brunnen. Die anderen sind auf dem Weg hierher.“

Ein tiefer Seufzer. „Okay, das ist nicht allzu weit weg. Wir werden versuchen, irgendwie in eure Richtung zu kommen.“

„Was soll das heißen, irgendwie?“

„Passt auf euch auf, versteckt euch am besten irgendwo, von wo ihr schnell fliehen könnt. Es sind Digimon in der Stadt.“

„Wissen wir. Sag mal, ist alles in Ordnung? Du klingst so … seltsam.“ Es war mehr ein Gefühl, aber Matts Stimme hatte einen gehetzten, bitteren Unterton angenommen.

„Alles klar“, sagte er, und die Art, wie er es sagte, ließ sie die Lüge sofort durchschauen. „Gebt einfach auf euch acht. Versucht, an einen Laptop ranzukommen, damit könnt ihr die Digimon zurückschicken, wenn ihr auf welche trefft.“ Damit legte er auf.

„Irgendwas Schlimmes muss passiert sein“, murmelte Mimi. Yolei schwieg. Irritiert warf sie ihrer Freundin einen Blick zu und sah, wie diese den Mund aufgerissen hatte und in eine der vier engen Straßen deutete, die zu dem Gedenkplatz führten.

Ein roter Schatten stand dort und sah zu ihnen herüber. Hinter ihm lag eine dunkle Gestalt an die Wand gelehnt, die irgendwie … seltsam aussah. Das rote LadyDevimon kam näher und Mimi sah im Licht der Laternen, wie es sich über blutige Lippen leckte.

 

Davis, Izzy und Ken waren in Joggingtempo verfallen und hatten sich gegenseitig auf den neusten Stand gebracht. Die Dinge standen echt nicht gut für sie: Sie waren in mindestens drei Gruppen getrennt, während Digimon durch das Westendviertel streunten, schießwütige Irre frei herumliefen, ein psychopathischer Killer Frauen ermordete und irgendein unheimliches Wesen offenbar eine Art Tor zwischen Menschen- und DigiWelt öffnen konnte. Und auch Davis hatte keine Ahnung gehabt, was die Saat des ersten Mannes sein könnte. Immerhin waren sie nur noch ein paar Gassen von Mimi und Yolei entfernt.

Durch die Häuserschluchten sahen sie zu einer belebteren Straße, wo Menschentrauben in bunten Kostümen beisammenstanden. Ein Polizeiwagen mit Blaulicht fuhr soeben an ihnen vorbei – zum Glück in die andere Richtung. Ob die Gewalttaten auf der Hauptstraße schon beigelegt waren? Das Viertel schien von Sekunde zu Sekunde mehr im Chaos zu versinken.

Die drei beschleunigten ihre Schritte, je näher sie dem Gedenkplatz kamen, als könnte ihnen etwas die beiden Mädchen vor der Nase wegschnappen. Selbst Davis, der recht gut in Form war, bekam gegen Ende vor lauter Aufregung Seitenstechen. Seine Lungen brannten von der kalten Nachtluft.

Dennoch waren sie nicht schnell genug.

Als sie den Platz erreichten, an dem der Brunnen fröhlich vor sich hin sprudelte, war er verwaist. Nichts deutete darauf hin, dass hier vor kurzem jemand gewartet haben sollte …

„Ist es hier?“, keuchte Ken, als sie ratlos vor dem Brunnen stehen blieben.

„Ich bin mir sicher“, murmelte Davis und formte die Hände zu einem Trichter. „Yolei! Mimi!“

Die anderen sahen sich um, aber von den beiden Mädchen fehlte jede Spur.

„Na, da scheine ich wohl ein wenig zu spät zu kommen“, sagte plötzlich eine Stimme. Eine hochgewachsene Gestalt schlenderte aus der Gasse, die im rechten Winkel zu der lag, aus der sie selbst gekommen waren. Breitbeinig stieg sie über eine leblose Gestalt am Boden, die Davis erst jetzt bemerkte. Ihr schien der Kopf zu fehlen. Plötzlich wurde ihm speiübel, doch er schluckte die bitter Galle hinunter, die sich auf seiner Zunge sammelte.

„Wer bist du? Was hast du mit Yolei und Mimi gemacht?“, rief er.

„Wer soll das sein? Ich bin nach euch hier angekommen.“ Der Mann – zumindest sah er nach einem Mann aus – trug einen edlen Nadelstreifenanzug. Aus seinem Rücken sprossen violette Dämonenflügel. Und unter der Wolfsmaske, die bis über seine Nase reichte, grinste er hämisch.

„Den habe ich heute schon mal gesehen“, murmelte Izzy, während sie instinktiv zurückwichen. „Das hätte ich fast vergessen … Er  war bei Witchmon, als Mimi und ich nach euch gesucht haben. Er ist sicher auch ein Digimon.“

„Das ist ein Astamon“, sagte Ken tonlos, der in seiner Zeit als DigimonKaiser ziemlich viele verschiedene Digimon gesehen hatte.

„Korrekt, Kleiner“, sagte Astamon und zog unter seinem Sakko ein altmodisches Gewehr hervor, wie Davis es aus amerikanischen Mafia-Filmen kannte.

„Scheiße“, entfuhr es ihm, als er in die Mündung der Waffe blickte. Steckte dieses Digimon vielleicht hinter der Schießerei auf der Hauptstraße? „Hier waren zwei Freundinnen von uns! Was hast du mit ihnen gemacht?“

„Ich hab doch schon gesagt, ich weiß nichts von irgendwelchen Freundinnen“, knurrte das Digimon. Davis wagte wieder zu hoffen. Vielleicht hatten Mimi und Yolei die Leiche in der Gasse entdeckt und waren davongelaufen. Oder sie hatten dieses Digimon schon aus der Ferne gesehen.

„Izzy, schnell“, murmelte Ken und sagte dann laut: „Wir haben keinen Streit mit dir. Und wir wollen auch nicht gegen dich kämpfen.“

„Macht nichts. Ich will nur einen Blick in euer Inneres werfen.“ Astamon lachte.

„Das wollte Witchmon auch, und es ist ihm nicht gut bekommen“, sagte Ken.

Astamon stutzte kurz, und Izzy nutzte den Moment, um sein Handy aus der Tasche zu nesteln. Er warf einen Blick darauf und wurde kreidebleich. „Mist! Kein Akku mehr! Das Ding ist leer!“

Davis fühlte sich, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Das Tor in Izzys Handy war ihre letzte Chance gewesen.

Astamon trat weiter auf sie zu und grinste wieder schief. „Soso, ich habe mich schon gefragt, wo Witchmon so lange bleibt. Dann hat es also noch eine Rechnung mit euch offen, ja? Gefällt mir.“

Das Gewehr schwang herum und richtete sich erneut auf die drei hilflosen DigiRitter.

… and you scream …

Als er die Haustür, an der sie vor scheinbar ewig langer Zeit Sturm geläutet hatten, von innen öffnete und auf die Straße lief, hatte sich Tai bereits wieder etwas beruhigt. Sein Stampfen auf den Treppenstufen hatte auch irgendwie wieder kühlere Gedanken in seinen Kopf geprügelt, und er sah die Dinge nun klarer. Das Adrenalin, das durch seine Adern rauschte, löste sich langsam auf. Mit jeder Sekunde schien ihm sein Vorhaben, LadyDevimon zur Rechenschaft zu ziehen, aussichtsloser.

Und das schmeckte ihm nicht.

Wenn er seinen Antrieb verlor, war er aufgeschmissen. Er würde zusammenbrechen, sich in eine dunkle Gasse verkriechen, den Kopf zwischen die Hände nehmen und heulen. Er fragte sich, wie Matt, Sora und Kari diese Nacht aushielten, ohne verrückt zu werden. Seine eigene Schwester hatte mehr Nervenstärke als er! Nein, wenn er stillhielt, würde er seinen Kampfgeist verlieren. Und das war fatal in einer Nacht wie dieser, davon war er überzeugt.

Er hielt an der kaputten Straßenlaterne an und vergegenwärtigte sich Takumis letzte Momente, vergegenwärtigte sich, was LadyDevimon mit ihm angestellt hatte. Sofort kochte wieder heiße Wut in ihm hoch. Verdammt, Takumi war einfach nur ein Unbeteiligter gewesen, der nie mit der DigiWelt zu tun gehabt und sein ganz normales Leben dadurch aufgepeppt hatte, dass er zu diesem Halloweenumzug ging, und dort hatte er sein großes Idol, Matt, getroffen, und das war der größte und letzte Fehler seines Lebens gewesen! Er hatte ihnen allen geholfen, hatte ihnen gewiss auch das Leben gerettet und trotz all der für ihn garantiert unerklärlichen Dinge die Nerven behalten. Nun war er Futter für die Fledermäuse geworden. Und dieses grässliche Digimon hatte seinen kopflosen Leichnam wie eine Trophäe mitgenommen!

Tai wusste nicht, in welche Richtung er laufen sollte. Er meinte, dass LadyDevimon ungefähr in Richtung Hauptstraße davongeflogen war, wo der Umzug sicher längst begonnen hatte. Dorthin musste er. … und vielleicht ist es besser, wenn ich LadyDevimon nicht finde.

Beiläufig registrierte er, dass kaum noch jemand auf der Straße war. Das Dokugumon musste die Leute verschreckt haben. Die Geisterbahn in seinem Rücken hatte auch verlassen gewirkt – wahrscheinlich würde es hier bald nur so vor Polizeikräften wimmeln. Für eine irrsinnige Sekunde fragte er sich, ob ein Schuss aus einer Dienstwaffe ein LadyDevimon töten konnte, und wo er eine solche herbekommen konnte.

Dann kam ihm ein anderer Gedanke.

Hoffentlich folgten ihm die anderen nicht. Wenn sie wegen seiner Dummheit getötet wurden, könnte er sich das nie verzeihen. Rasch bog er in eine Seitengasse ein, hoffend, dass sie seine Spur verlieren würden. Er hastete mit unregelmäßigen Atemzügen winzige Gässchen entlang, kreuz und quer, fast die Orientierung verlierend, bis vor seinen Augen die Umgebung verschwamm und sein Brustkorb sich wie mit Nadeln gespickt anfühlte.

Als er nicht weit entfernt eine Salve von Schüssen hörte, erschrak er, kam aus dem Tritt und wäre beinahe gestürzt. Gehetzt sah er sich um. Da hatte jemand geschossen … Die Polizei? Wahrscheinlich.

Die Rennerei hatte seine Gedanken endgültig geklärt. Allein konnte er kein Digimon besiegen. Nicht ohne Agumon.

Vielleicht wäre ein wenig uniformierte Unterstützung ganz gut. Er wandte sich um und rannte die nächste Gasse entlang.

Du machst eine Riesendummheit, wenn du jetzt dorthin läufst, wo ein Schusswechsel stattfindet, sagte seine innere Stimme.

Ist doch egal. Matt nennt mich sowieso gern einen Trottel. Dann hat er wenigstens einen Grund dazu. Und manchmal gibt es eben kaum einen Unterschied zwischen Dummheit und Mut.

Vielleicht vermisste er es nach all der Zeit, mal wieder den Helden zu spielen. Und vielleicht war es ja wahrer Heldenmut, eine riesige Dummheit bis zum Ende durchzuziehen.

 

„Ihr dürft davonlaufen“, erklärte Astamon. „Sonst macht es ja keinen Spaß, euch zu jagen.“

Das ließen sich die drei nicht zweimal sagen. Sofort stürmten sie los, ohne sich vorher abzusprechen. Izzy und Davis prallten gegeneinander und taumelten; nur Ken sprintete davon in Richtung des Brunnens. Ihn nahm Astamon aufs Korn. Mit einem ohrenbetäubenden Knattern füllte sich die Luft mit Rauch und Blei, als die Kugeln direkt hinter seinen Füßen Löcher in den Boden stanzten.

„Ken!“, brüllte Davis, als es aussah, als wäre sein Freund getroffen worden, doch er war mit einem Hechtsprung hinter den Springbrunnen getaucht.

Astamon fuhr zu ihm und Izzy herum. Letzterer war von dem Zusammenprall zu Boden gegangen und rappelte sich eben auf. Das Digimon lachte. „Ihr dürft es mir auch ruhig schwerer machen.“

Sein Finger presste sich gegen den Abzug, aber nur ein Klicken ertönte. „Hoppla“, kommentierte Astamon, riss das Rad mit der Munition aus seiner Thompson und zog ein neues aus seiner Manteltasche. Mit einem Klicken rastete es ein.

„Schnell, jetzt!“ Davis packte Izzy am Arm und zerrte ihn hinter sich her. Es gelang ihnen gerade so, neben Ken in Deckung zu gehen, als das Digimon wieder das Feuer auf sie eröffnete. Das Wasser im Springbrunnenbecken spritzte auf, die Statue obenauf wurde getroffen und in einer Wolke aus Steinmehl sprang ihr der Kopf von den Schultern und zersprang neben Izzys Ohr, der sich zu Boden kauerte und so klein wie möglich machte.

„Scheiße!“, schrie Davis, als erneut eine Feuerpause folgte. „Tut doch was!“

„Was denn?“, gab Ken zurück.

Schritte näherten sich. Astamon kam gemächlich um den Brunnen herum. „Also wirklich. Ihr seid langweilige Beute. Die in dieser heruntergekommenen Bude waren viel lebhafter.“

„Wir können dir sagen, wo Witchmon ist!“, rief Ken plötzlich. „Wir können dich zu ihm bringen! Dann könnt ihr eure Wette fortführen! Oder willst du allein bleiben?“

Astamon schnalzte mit der Zunge. „Ist mir eigentlich ziemlich egal. Witchmon konnte richtig unausstehlich sein. Wir wurden nur zufällig gemeinsam in diese Welt gezogen. Ich kenne es eigentlich kaum.“

„Dann bist du nicht freiwillig hier?“, versuchte es Ken weiter und hob vorsichtig den Kopf. „Warum gehst du nicht zurück in die DigiWelt?“

„Mach ich, wenn mir hier langweilig wird. Hör jetzt auf zu labern, das kann ich gar nicht leiden.“ Ein einzelner Schuss ließ Ken den Kopf wieder einziehen.

„Was machen wir jetzt?“, wisperte Izzy. Er war mit seinem Latein am Ende. Astamon hatte den Brunnen fast umrundet. „Warte! Astamon!“, rief er plötzlich.

„Was?“, fragte das Digimon genervt. „Ihr seid gleich in meiner Schusslinie, also mach’s kurz.“

„Was ist die Saat des ersten Mannes?“

Astamon blieb stehen. „Hä?“

„Der Grund, warum du hier bist! Das Wesen, das dich gerufen hat! Wir wollen herausfinden, wer es ist! Bist du nicht auch neugierig?“

Astamon schnaubte. „Nö. Ich kann euch von hier übrigens wieder wunderbar ins Visier nehmen.“

„Klar, es ist eben nicht jeder so neugierig wie du“, zischte Davis. „Du hast unsere letzte Chance verplempert.“

Izzy hob endlich den Kopf. Astamon war verwaschen durch die Springbrunnenfontäne zu sehen.

„Ich gebe euch drei Sekunden“, sagte das Digimon. „Lauft, so weit ihr könnt. Ich wette, ich erwische euch alle drei noch hier auf dem Platz.“

„Scheiße.“ Davis sprintete als Erster los. „Kommt schon!“

Izzy und Ken folgten.

„Eins.“

Ihre Schritte klapperten hart auf dem Pflasterboden. Izzy rannte wie nie zuvor in seinem Leben.

„Zwei.“

Die nächste Gasse war noch so weit entfernt, sie würden es nie schaffen!

„Drei.“

Die Thompson ratterte wieder unheilverkündend. „Runter!“, rief Ken und riss Izzy gleich mit zu Boden. Er biss sich auf die Zunge, als er hart aufprallte, und ein metallischer Geschmack machte sich in seinem Mund breit. Jeden Moment erwartete er, erschossen zu werden. Doch sogar Davis, der einfach weiterrannte, blieb unverletzt und erreichte die Gasse.

Verwirrt sah Izzy über seine Schulter und wurde mit einem Anblick belohnt, mit dem er nie und nimmer gerechnet hätte.

Astamon stand noch dort neben dem Brunnen, in der Hand die Thompson, aber es waren nicht nur seine beiden Hände, die die Waffe umklammert hielten. Zwei weitere hatten sich unter seinen Achseln durchgeschoben und die Waffe gepackt. Jemand stand hinter Astamon, und Izzy erhaschte nur den Eindruck von einer wirren, braunen Haarmähne.

„Was dagegen, wenn ich mir das ausleihe?“, fragte Tai und stemmte dem Digimon den Fuß ins Kreuz. Mit einer heftigen Bewegung, bei der sich weitere Schüsse lösten, die in die Luft gingen, riss er das Gewehr an sich.

Astamon wirbelte mit gespreizten Flügeln herum. „Allerdings“, knurrte es.

„Tai!“, rief Davis.

„Verdammter Scheißkerl“, fauchte Tai Astamon entgegen. „Was wolltest du da eben mit meinen Freunden machen?“

Die Szene hatte etwas Absurdes an sich: der gute, alte Tai, der mit einem Gewehr aus den zwanziger Jahren ein Digimon bedrohte, das gut zwei Köpfe größer war als er.

„Tai! Lauf weg!“, schrie Izzy.

„Ich bin lang genug weggelaufen“, knurrte Tai aggressiv und legte an. Seine Finger fanden den Abzug nicht gleich und als er endlich abdrückte, verlor er das Gewehr beinahe aus den Händen, so sehr erschütterte ihn der Rückstoß.

Astamon riss in der Sekunde, die Tai zum Zielen brauchte, die Arme hoch und faltete die Flügel vor dem Oberkörper. Die Kugeln ratterten in seinen Leib, doch das Digimon zuckte nur. Als das Magazin abermals leergeschossen war, ließ Tai schluckend die Waffe sinken.

Die Löcher in Astamons Armen und seiner Bauchgegend rauchten, doch seine Wunden schienen ihm nichts auszumachen. „Als ob ich so einfach durch meine eigene Waffe zu töten wäre“, sagte das dämonische Digimon.

„Tai!“, brüllte Davis. „Hau ab!“

Astamon holte tief Luft und führte seltsame Handbewegungen aus. Zweifellos sammelte es Energie für irgendeine Attacke. Tai biss die Zähne zusammen, trat einen Schritt zurück – nahm dann aber Anlauf und schmetterte dem Digimon das Gewehr an den Schädel. Dieses war davon so überrumpelt, dass es den Schlag nicht einmal abwehrte. Erst danach fing es den Lauf der Thompson mit der Hand und entriss sie Tai. „Das reicht langsam, du Nervensäge!“

„Hier lang!“

Matt stürmte plötzlich aus einer der Gassen, dicht auf seinen Fersen Kari. Sie mussten Davis schreien gehört haben. „Schnell“, keuchte der Blondschopf. Er trug einen Laptop in Händen. Unendliche Erleichterung durchströmte Izzy. Sie hatten noch eine Chance.

Kari öffnete das Tor zur DigiWelt mit ihrem DigiVice, und Matt stand kurz darauf neben Tai und nickte ihm zu. Tai nickte dankbar zurück.

„Hier scheint es wo ein Nest von eurer Sorte zu geben“, stellte Astamon amüsiert fest, während es ein neues Rad mit Munition in die Thompson steckte. „Wartet mal, habt ihr etwa gerade ein Tor geöffnet? Ist es das, was ich spüre?“

„Allerdings“, sagte Tai finster. „Wir schicken dich in die DigiWelt zurück. Und auf eins kannst du Gift nehmen, irgendwann kommen wir nach. Dann lernst du unsere Digimon kennen, und dann rechnen wir ab!“

„Ich hab jetzt schon Angst“, sagte Astamon abfällig und zuckte mit den Schultern. „Ihr könnt es ja versuchen. Schickt mich zurück. Es braucht nicht mehr als einen einzigen Ruf, dann sind wir wieder da – ich und die anderen.“

„Was für einen Ruf?“, fragte Kari. „Was meinst du?“

Astamon musterte sie ausdruckslos. „Das Wesen, das uns hierher gebracht hat. Ein Ruf von ihm genügt, und wir stehen wieder vor euch. Solange es das noch diese Nacht tut, wenn die Weltengrenzen durchlässig sind.“

„Was kannst du uns über dieses Wesen sagen?“, fragte Ken und kam hinter seiner Deckung hervor. Izzy folgte ihm zögerlich. Sie umkreisten Astamon, das zumindest im Moment keine Anstalten machte, sie wieder anzugreifen. „Wenn du uns verrätst, wer es ist, sehen wir davon ab, uns später an dir zu rächen.“

Tai machte den Mund auf, doch Matt stieß ihn in die Seite. „Unsere Digimon können bis aufs Mega-Level digitieren“, sagte er. „Es wäre keine angenehme Begegnung für dich, glaub mir.“

Astamon lachte. „Ihr droht mir? Umsonst. Ich weiß nicht, was das dieses Wesen ist, das das Tor geöffnet hat. Ich bin ihm dankbar für den Ausflug hierher, darum behandle ich es mit Respekt. Aber es scheint eine ziemlich traurige Gestalt zu sein.“

„Inwiefern?“, fragte Matt.

Das Digimon grinste. „Der Ruf, der uns in der DigiWelt ereilt hat, klang weinerlich. Und verzweifelt. Wo bist du?, hat es gerufen. Ich glaube, es sucht irgendein Digimon. Naja, das ist wohl nicht aufgetaucht. Dafür sind wir seiner Stimme gefolgt – und schon waren wir in dieser Welt.“

„Wo ist dieses seltsame Wesen jetzt?“, fragte Kari.

„Keine Ahnung. Es sitzt wahrscheinlich apathisch irgendwo herum. Das letzte Mal, als ich es gesehen habe, ist es ziellos durch die Gegend geschlendert.“ Astamon warf gekonnt seine Waffe in die Luft und fing sie wieder. „War’s das mit der Fragerei? Mir ist nämlich was eingefallen. Wenn ihr alle tot seid, muss ich mich auch vor keinen Mega-Digimon verantworten.“

Diesmal waren es Ken und Davis, die blitzschnell reagierten und ihnen wahrscheinlich das Leben retteten. Ohne sich vorher abgesprochen zu haben, warfen sie sich gleichzeitig von hinten gegen Astamon. Matt riss den Laptop hoch. Ein einzelner Schuss aus der Thompson ging in die Luft, dann wurde das Dämonendigimon von glühendem Licht umhüllt und in die DigiWelt gezogen. Matt klappte den Laptop zu.

Die DigiRitter seufzten kollektiv auf. Izzy sah, wie Sora, die T.K. stützte, aus dem Schatten der Gasse trat. Der Junge sah gar nicht gut aus. „Um Himmels willen, was ist mit ihm los?“, fragte Izzy.

„Ist eine lange Geschichte“, wehrte Matt ab und legte Tai die Hand auf die Schulter, als dieser mit den Zähnen knirschte. Der Blondschopf seufzte. „Ich hab gerade echt Lust auf ‘ne Zigarette. Bei euch alles okay?“

„Yolei!“, rief Davis plötzlich. „Yolei und Mimi!“

Die anderen zuckten alarmiert zusammen. „Was ist mit ihnen?“, fragte Sora.

„Sie waren … Sie müssen noch hier in der Nähe sein, hoffentlich“, stammelte Izzy. „Ich glaube, sie haben sich vor Astamon versteckt. Sie können nicht weit sein.“

„Dann hoffe ich mal, dass sie in Sicherheit sind“, brummte Tai. „Ich kann’s kaum erwarten, bis wir endlich alle versammelt sind.“

 

Mimi und Yolei rannten wie nie zuvor in ihrem Leben. Das Blut rauschte in ihren Ohren, und es tropfte aus der Wunde an Mimis Oberarm, wo die Kralle des roten LadyDevimons sie erwischt hatte. Der Schnitt pochte und brannte wie Feuer und sie presste fest die Hand darauf.

„Schneller, schneller!“, kommandierte Yolei unentwegt, die ein paar Schritte Vorsprung hatte. Mit Mimis Ausdauer war es nicht allzu weit her, und so fiel sie mehr und mehr zurück, keuchend, taumelnd. Hinter ihnen rauschte der roten Schatten auf zerfetzten Schwingen heran. Das schrille Kichern des Digimons verfolgte sie, seit vom den Gedenkplatz geflohen waren.

„Mimi, beeil dich!“

Mimi konnte nicht antworten. Sie biss nur die Zähne zusammen und sog die Luft dazwischen ein. Ihr Kopf musste glühen wie eine frische Tomate. Wenn sie auch nur ein Wort von sich gab, bekam sie mit Sicherheit Seitenstechen. Und wenn Yolei weiterhin so herumschrie, blühte ihr dasselbe Schicksal. Das Mädchen im Hexenkostüm winkte sie weiter in die nächste Gasse. Das hier war das reinste Labyrinth. Wenn sie nur irgendwie eine belebte Straße erreichen würden …

Ja, was dann? Würde LadyDevimon dann auch auf harmlose Passanten losgehen?

Nach Atem ringend stolperte Mimi um die Ecke. LadyDevimon schien ebenfalls langsamer zu werden – hatte es sein perverses Vergnügen dabei, sie zu jagen, bis sie zusammenbrachen?

Sie folgte Yolei um die nächste Ecke – und prallte plötzlich mit ihr zusammen, so heftig, dass sie Sterne sah. Eine Strähne von Yoleis weiß gebleichtem Haar schlug ihr ins Gesicht und in den Mund. Mimi spuckte die Haare aus und wich einen Schritt zurück. „Was ist los?“, fragte sie. Ihre Stimme klang so schwach, als wäre sie nur ein ätherisches Lüftchen. Dunkle Flecken vor ihren Augen raubten ihr die Sicht.

„Sackgasse“ murmelte Yolei und drehte sich zu Mimi um. Furcht stand in ihren Augen, das konnte Mimi sogar durch die bunt getönte Brille hindurch sehen.

Vor ihnen versperrte eine drei Meter hohe Betonwand den Weg. Bis auf einen Gully und einen verwahrlosten, leeren Müllcontainer gab es nichts in dieser Gasse.

Das Flappen tausender, winziger Flügel wurde hinter ihnen laut. Gemächlich trat das rotgewandete Digimon in die Gasse. „Ach, ist das Spiel schon zu Ende?“, fragte LadyDevimon zuckersüß. „Wie auch immer. Euer Blut schmeckt jetzt sicher besser, nachdem es ein wenig in Wallung gekommen ist.“

 

„Ein rotes LadyDevimon?“, fragte Ken. „Wir haben eines gesehen. Auf der Hauptstraße, kurz bevor Astamon und Witchmon losgeschlagen haben.“

Sie hatten versucht, die beiden Mädchen anzurufen, aber sie gingen nicht an ihre Handys. Irgendwie war der Versuch zu telefonieren in dieser Nacht stets vergeudete Liebesmüh.

„Ich hab versucht, es zu verfolgen, aber ich glaube, es ist mir entwischt“, sagte Tai finster. Etwas wie Reue zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Es fliegt sicher noch irgendwo herum, wo es viele Leute abschlachten kann. Dieses verdammte Ungeheuer ist scharf auf Blut.“

Sie kamen an eine Weggabelung. „Und jetzt?“, fragte Sora.

„Ich glaube, da vorn geht es zu einer Straße“, sagte Davis. „Hört ihr das?“ Nicht allzu weit von ihnen entfernt brauste ein Wagen mit Folgetonhorn vorbei. Ken meinte die Sirene eines Rettungswagens zu erkennen.

„Wir sollten uns Unterstützung von der Polizei oder etwas in der Art holen“, murmelte Matt, der mit Kari noch immer T.K. stützen musste und nur schwer mit den anderen Schritt halten konnte. „Und es würde mich nicht stören, wenn ich T.K. irgendwohin bringen kann, wo er sich erholen kann.“

„Erst suchen wir Mimi und Yolei“, sagte Tai. „Das hat Priorität.“

Sie kamen zu dem Entschluss, dass sie auf der Straße bessere Chancen hatten. Wiederholt riefen sie Yoleis und Mimis Namen. Kens Besorgnis wuchs mit jeder Minute.

 

Langsam kam das rote LadyDevimon näher. Es weidete sich eindeutig an ihrer Angst, also beschloss Yolei, ihm keine zu zeigen. Sie baute sich vor Mimi auf, die sich in die Ecke der Sackgasse kauerte und ihren verletzten Arm hielt.

„Verschwinde!“, rief Yolei. Ihr Herz pochte ihr schmerzhaft bis zum Hals. „Was willst du von uns? Wir haben dir gar nichts getan! Warum kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen?“

„Weil ich gerade großen Durst habe. Und Lust, euer Inneres nach außen zu kehren“, erklärte LadyDevimon lächelnd. „Oder glaubt ihr, dem Ruf eines Geistes würden freundliche Plüsch-Digimon folgen? Verzweiflung und Hass locken nur noch mehr Hass an!“

Yolei konnte sich keinen Reim auf diese Worte machen, aber sie beschloss Zeit zu schinden. „Wir haben einmal eure ganze Welt gerettet! Wenn du uns tötest, würdest du alle Digimon … Also … Du wärst eine Schande für eure Welt!“

„Ich werde es überleben. Ihr allerdings nicht.“ Das Grinsen des Digimons wurde noch bösartiger, sofern das überhaupt möglich war. Es öffnete die Arme und rief einen Schwarm schwarzroter Fledermäuse herbei, eine wuselnde Kugel, die die beiden Mädchen einhüllte.

Mimi kreischte. Yolei versuchte, die kleinen Biester mit den Fäusten aus der Luft zu holen, aber jede Berührung ließ einen brennenden Schmerz über ihre Haut wandern. „Hau ab! Lass uns in Ruhe!“, brüllte sie.

Kichern. Die Wand aus Fledermäusen teilte sich und der rote Helm von LadyDevimon tauchte direkt vor Yoleis Gesicht auf. In den rubinfarbenen Augen spiegelte sich ihr eigenes Gesicht. Yolei hätte sich fast gar nicht selbst erkannt – und das lag nicht an ihrer Kostümierung. Etwas hatte sich in ihre Züge gegraben, das sie nur als Todesangst bezeichnen konnte.

Der Gedanke machte sie wütend. Wie oft war sie schon gefährlichen Digimon gegenübergestanden? Nur weil heute Halloween war und Hawkmon nicht an ihrer Seite war, musste sie sich doch nicht gleich in die Hosen machen! Sie war Yolei, sie war ein DigiRitter, und sie würde bis zum Schluss kämpfen!

„Dann komm doch her!“, sagte sie kämpferisch. „Ich verprügle gerne LadyDevimon, weißt du?“

Das Digimon legte den Kopf schief. Die Fledermauswolke lichtete sich ein wenig. „Ich mag keine rebellischen Opfer“, sagte es. „Mit deiner Freundin habe ich hoffentlich mehr Spaß.“

LadyDevimons Hand verwandelte sich in einen tiefroten, glänzenden Stachel. Mit einem schrillen Lachen stieß es zu.

 

Als sie die Straße erreichten, war es schwer sich vorzustellen, dass das ganze Viertel noch vor kurzer Zeit im Halloween-Fieber gewesen war. Maroni- und Glühweinstände waren abgebrochen worden, Abfall und halb gegessene Snacks lagen herum. Kaum noch jemand war auf den Straßen. Es war, als wäre ein Sturm über das Westend-Viertel gefegt und hätte den Großteil der Besucher einfach fortgeweht. Keine Kinder mehr, die einander in schaurigen Kostümen jagten, keine Schausteller und Attraktionen. Keine Musik trällerte mehr durch die Nacht, die nun bedrückend und kalt war – eine typische Novembernacht, ohne fröhliches Feiern. Der Wind hatte auch aufgefrischt, und weiter die Straße runter sah man immer noch Blaulicht widerleuchten.

Sora fand die Nacht einfach nur noch beklemmend. Sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn sie plötzlich in ihrem Bett aufwachte. Es wäre der schlimmste Albtraum ihres Lebens gewesen.

Ihr Bett … Wie sie sich darauf freute, nachhause zurückzufahren und in den eigenen sicheren vier Wänden den Rest der Nacht auszuharren. Aber selbst dann würden sie sicher tagelang schlimme Träume plagen. Und sie waren hier noch nicht fertig.

„Wizardmon hat also von der Saat des ersten Mannes gesprochen?“, fragte eben Kari Ken.

„Ja. Wir wissen aber nicht, was es damit gemeint hat. Du kanntest es ziemlich gut, oder? Hast du eine Idee?“

Kari überlegte, dann schüttelte sie den Kopf. „Immerhin weiß ich jetzt, warum ich das Meer der Dunkelheit gesehen habe. Es liegt an den durchlässigen Weltengrenzen.“

„Es wäre besser, wenn diese Nacht bald vorüber ist“, murmelte Ken.

Sie nickte. Dann wandte sie sich besorgt an T.K. „Wie geht’s dir?“

„Geht soweit“, murmelte er. Er wurde nun immer wacher. Kari stützte ihn immer noch, aber auch seine Schritte wurden fester.

„Wenn du eine Pause willst …“

Er schüttelte resolut den Kopf. „Ich fühle mich zwar wie sturzbetrunken, aber wenn ich das richtig verstanden habe, wissen wir nicht, wo Mimi und Yolei sind. Wir müssen sie unbedingt schnell finden.“

Sie folgten der Straße und spähten in jede Seitengasse und untersuchten jedes mögliche Versteck. Nur wenige Leute kamen ihnen entgegen, die meisten davon schienen betrunken und wussten vielleicht nicht, was hier zu dieser Stunde schon alles geschehen war. Der eine oder andere Stand schenkte auch noch trotzig Glühwein aus.

„Moment mal. Hey, warte.“

Tai packte plötzlich einen wankenden, jungen Mann, der ihren Weg kreuzte. Sora wusste auch, warum. Der Junge trug eine goldene Maske in Form eines Fuchses. Genau, wie Takumi eine getragen hatte. Da sie ihren flüchtigen Bekannten nur für einen Augenblick ohne Maske gesehen hatte, schien es ihr im ersten Moment, als sähe sie ihn vor sich – aber das konnte nicht sein. Der Mann, den Tai abgefangen hatte, hatte auch eine völlig andere Statur als Takumi. Er war ein wenig kleiner, hatte aber wesentlich breitere Schultern. Ob es sich um einen Freund oder Bekannten von ihm handelte?

„Mann, was is‘?“, lallte er.

„Diese Maske“, sagte Tai rau. „Wo hast du die her?“

Der junge Mann unterdrückte seinen Schluckauf und murmelte: „Hey, Mann, ganz ruhig. Ich will nur – ich will nur da lang.“ War er betrunken oder auf Drogen? Oder vielleicht beides?

„Sag mir, wo du die Maske her hast!“, knurrte Tai. „Dann lass ich dich sofort da lang.“

„Nur die Ruhe, Alter.“ Der Mann deutete vage in eine Richtung. „Die verkaufen sie an so ‘nem Stand. ‘n ganzen Haufen Fuchsmasken. Gibt etliche, die heut sowas aufhaben. Sollen Kitsune sein, hab’n sie gesagt. Kulturenvermischung an Halloween und so.“

Tai stieß die Luft aus und ließ den Mann los, der weitertorkelte und irgendeine undefinierbare Handbewegung in seine Richtung machte.

Matt legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Es war nur eine Maske. Wie er sagt, hier gibt’s sicher mehrere, die so eine tragen.“

„Ja, kann schon sein, ich dachte nur … Ich weiß auch nicht. Suchen wir weiter.“ Tai seufzte tief und blickte zum Nachthimmel auf und zu den wenigen Sternen, die sich zeigten. Plötzlich wirkte er um Jahre älter. „Und wir haben gedacht, das Westend-Viertel wäre sicher“, murmelte er. „BlackWarGreymon hat seine letzte Energie aufgewendet, um das Tor zu versiegeln, wisst ihr noch? Völlig für die Katz.“

„Es war nicht für die Katz“, fühlte sich Sora verpflichtet zu sagen. „Das Tor ist doch danach wirklich nicht mehr aufgegangen. Heute ist eine Ausnahme, weil Halloween ist. Da ist kein richtiges Tor notwendig, schon vergessen?“

Plötzlich blieb Ken stocksteif stehen – so abrupt, dass die anderen ihn verwundert anblickten. „Ah …“, murmelte er. Sein Unterkiefer zitterte, seine Augen waren weit aufgerissen, sein Blick flackerte hin und her, fixierte nichts und niemanden. „Nein … Das ist doch … Aber es könnte … Verdammt!“, stieß er aus und ballte die Fäuste.

„Was stammelst du da vor dich hin?“, fragte Davis.

Der Blick, den Ken ihm zuwarf, war flehend. „Ich weiß es! Oh Gott, Yolei!“

 

Yolei fühlte sich wie in einem Déjà-vu. Sie sah LadyDevimons Stachel, der direkt auf ihr Gesicht zu raste. Instinktiv wollte sie zurückweichen, stieß aber gegen Mimi. Sie kniff die Augen zusammen.

Vor Jahren war sie schon einmal fast von einem LadyDevimon getötet worden – fast. Auch dieses Mal trat der erwartete Schmerz nicht ein. Stattdessen stob ihr etwas entgegen, das sich wie ein Sandsturm auf ihrer Haut anfühlte.

Als sie die zögerlich die Augen öffnete, sah sie die letzten Datenreste von LadyDevimon in die Lüfte wirbeln. Der Fledermausschwarm hatte sich ebenso in Nichts aufgelöst. Nicht weit von ihnen entfernt stand ein Mann in der Gasse. Er wirkte ziemlich kräftig; sein Gesicht war von einer goldenen Fuchsmaske verborgen. In der Hand hielt er ein großes Gewehr. Hatte er LadyDevimon damit in den Rücken geschossen?

„Da-danke“, murmelte Yolei verdattert. Ihr Herz jagte immer noch, und erst jetzt merkte sie, dass sie sämtliche Muskeln angespannt hatte.

„Nichts zu danken“, sagte der Mann leise und ließ die Waffe sinken. Er wirkte damit fast wie ein Monsterjäger aus einem Horrorfilm. „Ich hoffe, dir ist nichts passiert.“

„Uns geht’s gut, danke“, sagte Yolei und bedachte Mimis Wunde mit einem Seitenblick. Ihre Freundin war aufgestanden, hielt sich aber argwöhnisch hinter ihr. „Wer, äh … Wer bist du?“, fragte Yolei.

Der Mann erstarrte. Yolei meinte zu erahnen, wie er sie durch die Löcher in seiner Maske fassungslos ansah. „Wer ich bin? Bist du nicht … Hast du mich etwa vergessen?“

Sie hob die Augenbrauen. „Hä?“

 

Was weißt du? Was ist mit Yolei? Hey, red mit mir!“ Davis hatte Ken an den Schultern gepackt und schüttelte ihn kräftig durch, doch dieser brauchte einen Moment, um die Beute, die seine Gedanken mit einem pfeilgeraden Schuss erlegt hatten, einzusammeln und zu begutachten.

„Ich weiß, wer die Saat des ersten Mannes ist“, hauchte er dann und sah verzweifelt von einem DigiRitter zum anderen. „Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren … Yolei … Wir müssen unbedingt zu Yolei! Sie hat … Sie schwebt in großer Gefahr!“

I can see a light coming

T.K. ertrank in einem Sumpf aus seinen eigenen Erinnerungen. In wachen Momenten bekam er mit, wie Kari ihn vorwärts zerrte, dann konnte er wieder selbstständig gehen, und dann wieder, für kurze Momente, fühlte er sich … als wäre er jemand anderes. Als zwängte sich eine zweite Persönlichkeit in seinen Kopf, während er seine kurzen Aussetzer hatte. Und diese Persönlichkeit … sie machte ihm Angst.

In den Flimmersekunden zwischen dem Aufsetzen eines Fußes und dem Heben des anderen war er ein hölzernes Puppenwesen, das auf seine Freunde schoss, und das Blossomon und das Mushroomon vor seinen Augen verwandelten sich in Kari und Matt. Auch Patamon war hin und wieder in diesen verstörenden Szenen dabei, und er schoss mit einem Revolver auf die drei, bis nichts mehr von ihnen übrig war außer umhertreibenden Datenresten. Jedes Mal fühlte er sich, als müsste er selbst innerlich sterben. Und gleichzeitig hörte er ein neckisches Lachen, das aus seinem eigenen Mund zu kommen schien.

Dann fühlte er wieder Karis Hand, die ihn weiterzog, kalt, aber immer noch wärmer als seine Träume. Und er vergegenwärtigte sich, dass er nur halb bei Bewusstsein war. Das Dokugumon war das Letzte, an das er sich klar erinnern konnte, und es musste irgendetwas mit ihm gemacht, ihm irgendein Gift in die Adern gepumpt haben …

Während sie aus einem Grund, den er immer wieder vergaß und sich dann wieder an ihn erinnerte – Yolei und Mimi! – die Straßen entlang stolperten, versuchte er die seltsamen Traumbotschaften zu entschlüsseln, die er sich zusammenhalluzinierte. Matt hatte ihm erzählt, wie er und MetallGarurumon Puppetmon getötet hatten. Er hatte sich die Szene damals bildlich vorgestellt … Und von dieser Szene, in leichten Abwandlungen, träumte er nun. Doch warum? Sicher, das gefährliche Spiel mit Puppetmon war eine schlimme Erinnerung für T.K, aber er war auch noch ziemlich klein gewesen, hatte überdies richtigen Mut und ein kluges Köpfchen bewiesen und die Sache war gut ausgegangen. Nein, es gab andere, viel schrecklichere Dinge, von denen er träumen konnte. Die Flucht vor Piedmon zum Beispiel, oder den Moment, in dem Angemon nach seinem Kampf gegen Devimon starb. Diese Erinnerung war schon oft Futter für Albträume gewesen … warum Puppetmon?

„Schneller!“, hörte er Tai rufen und gleichzeitig feuerte Puppetmon ihn an, er lief die Gasse hinunter und über die Treppe hinauf, völlig außer Atem, wissend, dass der Lauf einer Pistole auf ihn gerichtet war.

Vielleicht deshalb. Vielleicht, weil die Erlebnisse in Puppetmons Haus kein Brennstoff für seine üblichen Ängste oder Albträume waren. Vielleicht hatte das Gift des Dokugumons sein Gehirn dazu gebracht, sich einmal an etwas Neuem, weniger Ausgelutschtem zu versuchen … Vielleicht hing es auch damit zusammen, dass die Geisterbahn Spaß machen sollte, und trotzdem hatten sie so etwas Schreckliches darin gesehen – ähnlich wie das Spiel für Puppetmon lustig und für ihn die Hölle gewesen war. Aber T.K. glaubte, dass erstere Vermutung der Wahrheit entsprach. Er wollte es glauben.

Denn plötzlich konnte er darüber lachen.

„Was … was hast du?“ Er sah in Puppetmons, nein, Karis verwirrte Augen. T.K. lächelte.

„Ich glaube, ich wache endlich auf. So richtig, meine ich.“

Sie sah ihn nur verständnislos an, und er schüttelte den Kopf.

„Nicht so wichtig. Lass uns Yolei und Mimi suchen!“

Sein Kopf klärte sich rascher, als er einen bestimmten Gedanken fasste, der ihn aus dem ständigen Wechsel von Wachsein und Fantasieren riss. Einen Gedanken, der Dokugumons Gedankengift besiegen konnte.

Dass nämlich jede Art von Angriff, ob durch Gift oder sonstwie, von einem ziemlich verzweifelten Wesen stammen musste, wenn es in seinen Erinnerungen nach irgendwelchen vergrabenen, einst erschreckenden Erlebnissen suchte. Ein Gift, das schon nicht erwartete, mit den wirklich furchtbaren Erinnerungen die Oberhand über seinen Geist gewinnen zu können, und eher auf etwas zurückgriff, das ihn verwirrte, überrumpelte … Vor so etwas musste er sich nicht fürchten.

Vergiss es, sagte er zu sich selbst. Du bist nicht Puppetmon, das ist völliger Blödsinn. Puppetmon hat dir einmal Angst eingejagt, aber nur kurz, und du warst noch ein Kind. Wichtiger ist es jetzt, deinen Freunden zu helfen!

Und fortan musste Kari ihn nicht mehr stützen. Ein wenig übel war ihm noch, aber die körperlichen Beschwerden würden wohl ebenfalls bald abklingen.

 

„Verflucht, wohin können sie gelaufen sein?“ Tai raufte sich verzweifelt die Haare. Wenn Ken mit seiner Vermutung richtig lag, konnte es bereits zu spät sein … oder Yolei drohte noch überhaupt keine Gefahr, je nachdem. Besser, sie verloren keine Zeit – aber sie hatten keine Ahnung, wo Yolei und Mimi sich befanden. Sie gingen nicht an ihre Handys, sie hörten ihr Rufen nicht … und das Westendviertel mutierte in dieser Gegend zu einem wahren Labyrinth aus Häuserschluchten.

„Okay, wir teilen uns auf“, knurrte Tai und knirschte mit den Zähnen. „Ich tu’s nicht gern, aber wir müssen sie finden.“

„Das ist viel zu gefährlich“, sagte Matt. „Wir könnten auch angegriffen werden, schon vergessen? Das LadyDevimon fliegt noch immer irgendwo hier rum.“

„Das weiß ich, verdammt!“

„Ich finde auch, dass wir zusammenbleiben sollten“, sagte Izzy vorsichtig. „Wir haben nur einen Laptop. Falls uns der überhaupt etwas hilft. Und wir haben ewig gebraucht, um einander zu finden, vergesst das nicht.“

„Hey, seht mal!“ Davis lief zu einem schmalen Kanalgitter, das in der Mitte der Gasse vor ihnen prangte. Zwischen den Stäben hatte sich etwas verkeilt – etwas, das verdächtig nach einem grünen Schuhabsatz aussah.

„Ist das der von Mimi? Der gehört doch zu ihrem Kostüm, oder?“, sagte Ken. Obwohl Lillymonstiefel keine Absätze hatten, hatte Mimi nichts davon abhalten können, trotzdem welche zu tragen.

„Sie müssen hier langgekommen sein“, sagte Matt.

„Mimi! Yolei!“, brüllte Tai, während Davis aufs Geratewohl in die Gasse direkt neben ihnen lief.

 

Der große Mann trat näher, seine Waffe schlenkerte achtlos in seiner Hand. „Du hast es nicht vergessen“, murmelte er. „Du könntest es gar nicht vergessen …“

„Was wollen Sie?“ Yolei drückte sich rücklings gegen die kalte Mauer der Sackgasse. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals.

Er murmelte noch etwas, das sie nicht verstand, dumpf drangen die Laute durch seine Maske. „Komm. Gehen wir“, war das Nächste, das sie verstand.

„Ich, äh, kann jetzt gerade nicht!“, rief Yolei laut, weil ihr nichts Besseres einfiel. Was tat man, wenn ein offensichtlich Geistesgestörter einen ansprach – und er eine Waffe in der Hand hielt?

„Komm“, wiederholte der Mann und streckte seine Hand nach ihr aus. Yolei konnte nirgendwohin ausweichen.

„Sie kann jetzt nicht mit dir kommen!“, kam Mimi ihr zur Hilfe und versuchte ebenfalls, den Irren in ein Gespräch zu verwickeln. „Sie gibt dir ihre Handynummer, und du rufst sie später an, ja?“

„Halt dich da raus!“, spie der Mann ihr zornig entgegen – und richtete sein Gewehr auf Mimi, die sich mit einem Kreischen auf den Boden zusammenkauerte, sich so klein wie möglich machend.

Yolei stellte sich schützend vor sie. „Nein!“, keuchte sie. „Lass Mimi in Ruhe! Ich tu alles, was du willst – also fast alles –, aber leg dieses verdammte Ding weg!

Der Mann ließ die schwere Waffe tatsächlich sinken, kam noch näher und streckte erneut die Linke nach ihrem Gesicht aus. Yolei erschauerte bei der Berührung. Behandschuhte Finger tasteten über ihr Kinn bis zu ihrer Wange, strichen eine verirrte, gebleichte Haarsträhne aus ihrem schweißnassen Gesicht. „Du bist es, nicht wahr? Endlich habe ich dich gefunden“, hauchte der Mann.

Yolei! Mimi!“, ertönte ein Ruf. Davis!

„Wir sind hier!“, schrie Mimi aus voller Kehle. Der Mann wandte sich ihr knurrend zu, doch ehe er wieder sein Gewehr in Position gebracht hatte, sah Yolei, wie Davis am anderen Ende der Sackgasse auftauchte.

Er sog scharf die Luft ein, als er die Gestalt sah, die direkt vor Yolei stand. Dann breitete sich Entschlossenheit auf seinem Gesicht aus. „Hey!“, brüllte er. „Mummymon! Es hat keinen Sinn! Arukenimon ist nicht hier!

Der Mann schien in seiner Bewegung einzufrieren. Yolei starte ihn mit offenem Mund an. Mummymon?

Ein wortloses Grollen verließ die Kehle der Gestalt, sie wirbelte herum – und Davis nahm ein paar Schritte Anlauf und schleuderte den Pflasterstein, den er in der Hand hielt. Das Geschoss streifte den Kopf des Mannes, der dadurch ins Taumeln geriet.

„Schnell jetzt!“ Mimi packte Yolei am Arm und zog sie hinter sich her, an dem Bewaffneten vorbei zum anderen Ende der Gasse. Sie prallten beinahe mit den anderen zusammen, die nun hinter Davis um die Ecke stürmten.

 

Kari und die anderen erreichten Davis im selben Moment, in dem die Letzten aus ihrer Gruppe sich vor der Gestalt in Sicherheit brachten. Vielleicht wäre es besser gewesen, einfach weiterzulaufen, aber nun bildeten die DigiRitter eine gemeinsame Front gegen ihren Feind. Der Mann fand sein Gleichgewicht wieder und stieß ein langgezogenes Stöhnen aus. Seine Maske war verrutscht, und da er nun nicht mehr durch die schmalen Sehschlitze blicken konnte, riss er sich das goldene Fuchsgesicht vom Kopf.

Unter der breiten Hutkrempe kam ein hässliches, graues Gesicht zum Vorschein, mit nur einem riesigen Auge, ohne Nase und mit einem mit spitzen Zähnen bewehrten Mund. Kari schluckte. Tatsächlich, es war Mummymon. Ken hatte Recht gehabt.

„Hör schon auf, unsere Welt auf den Kopf zu stellen!“, rief Davis dem Digimon zu. Er hatte die Fäuste geballt und schien keine Angst vor Mummymons Gewehr zu haben. „Arukenimon ist tot! Du wirst es hier nirgendwo finden, weder im Westendviertel noch sonst wo in unserer Welt!“

Mummymon starrte ihn aus seinem einen Auge an. Dann schienen seine Knie einknicken zu wollen, denn es wankte und musste sich mit der langen Waffe abstützen. „Was redest du … Tot … Arukenimon ist tot … Ich habe gesehen, dass es …“  Es heulte gequält, vergrub das hässliche Gesicht in seiner Hand. „Du lügst!“

„Ich lüge nicht!“, platzte Davis heraus. „Du weißt es! Das da ist nicht Arukenimon, das ist unsere Freundin Yolei! Du kennst sie!“

„Izzy, der Laptop“, sagte Tai. „Solange es abgelenkt ist.“

Der Rotschopf runzelte die Stirn. „Das wird nicht …“

„Ist doch scheißegal, versuch’s einfach!“

Izzy nickte. Sie hatten den Energiesparmodus des Laptops deaktiviert, damit der Benutzer sich nicht abmeldete und er nach dem Aufklappen sofort betriebsbereit war. Er ließ sich von Ken das Tor öffnen und schleuderte das geklaute Notebook auf Mummymon. Es prallte gegen seine Brust und polterte zu Boden. Wenn es nun noch heil war, wäre das ein Wunder. „Es hat nicht geklappt“, stellte Izzy das Offensichtliche fest.

„Weil Mummymon kein Digimon mehr ist“, sagte Ken. „Es ist ein Geist – wie Wizardmon, nur mit mehr Macht und mehr Substanz.“

„Es muss hier irgendwo sein …“, stöhnte Mummymon. Kari konnte das Leid hören, die unaussprechliche Trauer und Sehnsucht, die aus seiner Stimme troff. „Es muss … Es muss … Arukenimon, wo bist du? Wo?

Sein letzter Schrei schien etwas in der Luft zum Vibrieren zu bringen. Als es den Kopf in den Nacken legte und ein langgezogenes Heulen ausstieß, quollen die Schatten hinter ihm über, und wo die drei nackten Steinmauern der Sackgasse hätten sein sollen, schienen sich plötzlich Schemen abzuzeichnen, bestialische Gesichter, die wie durch eine dünne Haut zu sehen waren, sie schienen direkt durch die Wände  kriechen zu wollen …

Was hatte Astamon gesagt? Ein Ruf von ihm genügt, und wir stehen wieder vor euch. „Es hat wieder ein Tor erschaffen“, murmelte Kari. Sie meinte, erneut das brüllende Rauschen des  Dunklen Meers zu hören, und zwang sich, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Keinem war geholfen, wenn sie im Spalt zwischen den Welten verlorenging, weil sie sich von diesem finsteren Ort rufen ließ wie diese Digimon von Mummymons Schrei!

„Mummymon, hör auf damit!“, schrie Yolei, um das Gewirr der Stimmen zu übertönen, das sich hinter Mummymon erhob, ein infernalisches Brodeln voller Vorfreude auf Fressen und einen neuen Platz, um sich auszutoben … Es waren wieder keine guten Digimon, die sein Ruf ereilte.

„Mummymon!“, schrie auch Davis. „Hör mir zu! Du wirst Arukenimon hier nicht finden! Ich weiß noch, dass du kurz vor deinem Tod gesagt hast, dass dein Leben ohne es keinen Sinn mehr hat – was willst du also noch hier? Das, was du tust, ist wirklich sinnlos, verstehst du?“

„Sei still!“, knirschte Mummymon. „Sei still, sei still! Arukenimon, ich muss Arukenimon finden …“

„Dann geh dorthin, wo es auch ist!“, rief Davis plötzlich, und Mummymon verstummte. Kari sah eine glitzernde Tränenspur unter seinem Auge. Gegen ihren Willen bekam sie Mitleid mit diesem bedauernswerten Geschöpf.

„Was?“, murmelte Mummymon und der Chor aus Stimmen schien leiser zu werden.

„Du hast doch selbst gesehen, dass MaloMyotismon Arukenimon umgebracht hat“, versuchte es Davis erneut. „Du weißt, dass es nicht mehr lebt! Ich hab schon gehört, dass Geister wie du zurückbleiben, weil sie sich ans Leben klammern und noch irgendwas zu erledigen haben, aber das, was du suchst, findest du in der Welt der Lebenden nicht! Arukenimon und du, ihr seid beide in dieser komischen Wünsche-Dimension gestorben, also wenn du es dir ganz fest wünschst, kannst du Arukenimon sicher dorthin folgen, wo auch immer es jetzt ist! Aber dazu musst du akzeptieren, dass du tot bist!“

„Meinst du das ernst?“, fragte Mummymon hilflos. Sein verweinter Blick glitt zu Yolei und dann zurück zu Davis. „Ich muss nachgeben? Ich muss diese Existenz loslassen? Ich soll diesen Körper und diese Macht … aufgeben? Das ist alles, was ich habe, um nach Arukenimon zu suchen!“

Wieder erscholl das Gemurmel. Die Schatten krochen näher, breiteten sich vor Mummymons Füßen aus wie zweidimensionale Schlangen. Kari meinte schon, die vertrauten Umrisse einzelner Digimon zu erkennen.

„Mit dieser Macht kannst du es nicht suchen, weil es nicht hier ist! Geht das nicht in deinen hohlen Schädel rein?“, rief nun Tai.

Davis überraschte die anderen mit einem milden Lächeln. „Ich kann dir leider nicht sagen, wo du oder Arukenimon hinkommen, nachdem ihr gestorben seid. Aber hier zu suchen ist vergeblich. Wenn du noch Chancen hast, dann dort … wo immer das ist.“

„Der Meinung bin ich auch.“ Ken trat vor. „Ihr wart beide Digimon, die Oikawa erschaffen hat. Wir haben nie einen Hinweis darauf entdeckt, dass ihr in der DigiWelt wiedergeboren werden könnt. Und Wizardmon hat nur von einem anderen Geist gesprochen, also halte ich es für unwahrscheinlich, dass Arukenimon auch hier herumirrt. Vielleicht gehen eure Seelen dorthin, wo auch die Menschen hingehen.“

„Ein Ort, wo die Menschenseelen hingehen? Wo soll das sein?“, fragte Mummymon. Es klang ruhiger, genau wie die Digimon, die sich ihren Weg in diese Welt erkämpfen wollten. Wenn das Tor sich nicht bald schloss, würden sie gewiss das ganze Westendviertel auf den Kopf stellen.

„Das weiß ich nicht“, gestand Ken. „Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es diesen Ort gibt.“ Kari wusste, dass er in diesem Moment an seinen verstorbenen Bruder dachte.

„Lass los, Mummymon. Erspar dir und uns  weitere Schmerzen“, sagte Matt.

„Du kannst uns vertrauen, auch wenn wir mal Feinde waren“, fügte T.K. hinzu, der wieder er selbst war.

Und Mummymon stieß einen langen Seufzer aus und ließ sich in den Schneidersitz fallen. Es lehnte den Rücken gegen die Mauer der Sackgasse, die von wuselnden Schatten gesprenkelt war, doch das bemerkte der Geist wohl gar nicht. „Vielleicht habt ihr recht. Ach, Arukenimon“, seufzte es. „Ich gehe dorthin, wo du bist, einverstanden? Warte auf mich. Ich habe viel zu viel Zeit verschwendet.“

Kari sah, wie Tai etwas sagen wollte, aber er verkniff es sich. Auch sie selbst hatte nicht vergessen, was Mummymon für schreckliche Dinge auf seiner fruchtlosen Suche getan hatte. Aber nun, als sie schweigend das Digimon betrachteten, wie es grübelte und immer wieder seufzte, schien nicht der passende Moment, einem Geist Vorhalte zu machen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sich Mummymon wohl entschieden. „Also gut“, sagte es. „Ich werde es versuchen. Ich gehe zu Arukenimon. Wo auch immer das ist. Ich brauche nichts mehr, keinen Körper und keine Daten, nichts. Ich bin tot. So soll es sein.“

Als es diese Worte sprach, verlor sein Körper bereits an Substanz. Es wurde durchscheinend wie Wizardmon, dann noch heller, und schließlich verblasste es ganz. Im selben Moment verloren die Schatten auf Wänden und Boden ihre Ecken und Kanten, sie zerflossen und wurden unscharf, so als hätten die Digimon hinter der letzten Faserschicht des Schleiers zwischen den Welten ihr Ziel aus den Augen verloren. Kurz brodelten noch graue Fleckenmuster über das Mauerwerk, dann waren die Weltengrenzen wieder stabil.

Und dann war es vorbei.

 

 „Ist … Mummymon jetzt wieder …“, stellte Sora nach einer Weile die Frage, die vielen von ihnen auf der Zunge lag.

„Ja. Ich glaube, es ist wieder tot“, murmelte Matt.

„Ist mit euch alles okay?“, fragte T.K. Mimi und Yolei.

„Hm“, meinte Yolei nur geistesabwesend. „Geht so.“

Tai patschte Davis kräftig auf die Schulter. „Das hast du gut gemacht.“

„Ja, wirklich“, bestätigte Ken. „Wie hast du es hinbekommen, so eloquent mit Mummymon zu reden? Du hast genau seinen Nerv getroffen, wie mir scheint.“

„Ach, das war …“ Davis‘ Wangen röteten sich und er kratzte sich verlegen am Hals. „Ich hab mich nur an ein paar Geisterfilme erinnert, die ich mal gesehen habe. Von denen hab ich den Text dann fast eins zu eins aufgesagt. Hätte nie gedacht, dass es klappt.“

Sie starrten ihn sprachlos an. „Mann, Davis“, stieß Yolei dann aus. „Ich glaub’s nicht!“ Die anderen lachten zaghaft, den Schreck immer noch in den Knochen.

„Aber wie war das mit dir, Ken?“, fragte Davis dann plötzlich. „Wie hast du herausgefunden, dass Wizardmons Rätsel auf Mummymon deutet? Ich wär da nie draufgekommen!“

„Wisst ihr … als ihr darüber geredet habt, dass heute kein richtiges Tor notwendig wäre, damit Digimon in unsere Welt gelangen können … Da habe ich mich wieder an BlackWarGreymon erinnert und an Oikawa und Arukenimon und Mummymon. Weil BlackWarGreymon schließlich das Tor ins Westend-Viertel versiegelt hat. Und dann ist mir eingefallen, dass die Saat des ersten Mannes ja nicht notwendigerweise was mit der Menschenwelt zu tun haben muss. Wenn man das Ganze auf die DigiWelt bezieht, bekommt es eine völlig neue Bedeutung.“

„Du meinst, weil ursprünglich nur Kinder in die DigiWelt konnten?“, fragte Mimi.

„Bis auf Oikawa. Er war der erste erwachsene Mann, der zum DigiRitter auserwählt wurde“, sagte Ken. „Er wäre der erste Mann gewesen, der die DigiWelt betritt, wäre er nicht vorher gestorben. Und Oikawa hat Arukenimon und Mummymon erschaffen, auf Basis seiner eigenen Gene … Sie sind also die Saat des ersten Mannes.“ Er bedachte Davis mit einem schwer zu deutenden Blick. „Und du hast erwähnt, dass jemand oder etwas verkleidete Frauen umbringt. Du hast irgendwas von Glitzerperücken gesagt, wenn ich mich nicht täusche.“

„Das hab ich erwähnt?“ Davis schien sich nicht mehr so genau daran erinnern zu können. „Naja, kann sein  … War trotz allem ein ziemlicher Schock, als ich das gehört habe, und ich wollte es loswerden.“ Er zuckte mit den Schultern.

„Und die anderen Mordfälle waren ähnlich“, fuhr Ken fort. „Ich hab mir überlegt, dass die Opfer alle als Hexen verkleidet gewesen sein könnten. Schließlich hat Arukenimon in Menschenform einer Hexe nicht unähnlich gesehen. Und dann konnte ich mir Mummymon bildlich vorstellen, wie es benebelt und verzweifelt genug, die Tore zur DigiWelt aufzureißen, in einer chaotischen Nacht wie dieser durch die Stadt taumelt und jede Frau anhält, die auch nur im Entferntesten wie Arukenimon aussieht.“

„Und sie umbringt, sobald es merkt, dass sie es nicht ist.“ Kari fröstelte.

„Und deswegen hast du gleich geahnt, dass Yolei in Gefahr ist“, schlussfolgerte Izzy. „Sie ist heute ja auch eine mustergültige Hexe.“

„Oh mein Gott!“ Yolei schlug sich gegen die Stirn und schien mit den Nerven am Ende. „Und ich Blödkopf hab mir auch noch die Haare gebleicht! Jetzt, wo ihr es sagt, ich seh‘ wirklich fast aus wie Arukenimon! Ich gehe sofort morgen zum Frisör!“

„Du konntest ja nicht wissen, dass das passiert“, sagte T.K.

„Moment mal“, sagte Tai plötzlich scharf. „Wir haben das rote LadyDevimon vergessen! Dem ist es egal, wie seine Opfer aussehen, das will nur ihr Blut!“

„Keine Sorge“, murmelte Mimi. „Mummymon hat es erledigt. Gerade, als es auf uns losgehen wollte.“

Tais Miene verfinsterte sich kurz, dann nickte er schließlich und ließ das Thema fallen.

„Also, so wie ich das sehe, sind wir nochmal glimpflich davongekommen“, schmunzelte T.K.

„Ja? Geht es dir wirklich wieder gut?“, fragte Matt seinen kleinen Bruder besorgt.

Dieser lächelte. „Alles wieder beim Alten. Keine Sorge.“

„Du solltest trotzdem in ein Krankenhaus“, sagte Sora. „Nur um sicherzugehen, ja?“

„Wir sollten uns vielleicht alle untersuchen lassen“, sagte Matt.

Tai stöhnte. „Muss das sein?“

„Wir wären heute alle beinahe draufgegangen. Dich hat fast ein Bakemon erwürgt, schon vergessen?“

„Nein“, brummte Tai. „Aber ich wollte auch nicht dran erinnert werden.“

„Guter Einwand“, sagte Kari sarkastisch. „Können wir vielleicht irgendwo hin gehen, wo wir nicht ständig an die Ereignisse von heute Nacht erinnert werden?“

Niemand hatte etwas dagegen. Etwas Heißes zu trinken und ein wenig Ablenkung würden ihnen, neben Heilsalbe und Pflastern, sicher gut tun.

Kari blickte noch einmal in die Sackgasse zurück, in der Mummymon sich in Luft aufgelöst hatte. Es war wirklich unglaublich viel passiert. Eine ganze Menge Menschen waren gestorben, und sie hatten nichts tun können. Sie hatten es zwar geschafft, die Unruhen beizulegen, aber für die Opfer war jede Hilfe zu spät gekommen. Über den Häusern funkelte immer noch das Blaulicht der Einsatzkräfte.

„Kommst du, Kari?“, fragte T.K. Sie warteten auf sie.

Kari nickte. Das Rauschen des Meeres in ihren Ohren war weg. „Ich komme.“  Und ich freue mich auf das nächste Tageslicht.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war mal der Prolog ... Ich gebe zu, bisher wirkt es fast wie ein klischeehafter Krimi-Thriller^^ Aber keine Sorge, das erste Kapitel folgt auf dem Fuß und mit ihm unsere altbekannten Helden :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
... und das erste Kapitel. Ich hoffe, es hatte seine Schock- oder Schauermomente und alles. Ich probiere mit dieser FF ein paar Dinge aus und bin neugierig, wie sie ankommen.
Ich habe auch einen Trailer vorbereitet. Der war ursprünglich in Deutschland gesperrt, aber es sieht so aus, als würde er mittlerweile wieder erreichbar sein: https://youtu.be/X4-L3d3_hJ8
Und wie immer gilt, wer gerne eine ENS haben möchte, wenn ein Kapitelupdate kommt, meldet euch einfach bei mir :)

Wünsche schon mal fröhliches Halloween-Vorgruseln!
Urr Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nachdem das letzte Kapitel eher schaurig war, hier etwas mit mehr Fokus auf (blutloses) Gruseln :) Hoffe, es hatte irgendeine Wirkung - und wünsche euch gleich mal Happy Halloween :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal gab es ein bisschen mehr Action ... mit dem nächsten Kapitel hoffe ich, den Gruselfaktor wieder anheben zu können :) Bis dann! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wollte mal was Neues ausprobieren mit der Anfangsszene. Hoffe, es hatte irgendeine Wirkung :> Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, wir kommen langsam zum Finale. Wer oder was wird wohl mit der Saat des ersten Mannes gemeint sein? Wer es herausfindet, kennt auch den Bösewicht ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Was Ken da wohl eingefallen ist ...? Ein Kapitel kommt noch :) Bis dann! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war also die Auflösung! Und wieder eine FF abgeschlossen :) Hoffe, sie hat euch gefallen! Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (47)
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Von:  Juju
2018-08-02T09:58:36+00:00 02.08.2018 11:58
Ahhh so ganz falsch lag ich ja gar nicht mit einem Vermutungen. xD Aber irgendwie habe ich trotzdem nicht auf Mummymon getippt, obwohl es so viel Sinn macht.
Ich muss sagen, ich fand es schon extrem trautig. :( Das arme Mummymon. Mir kamen fast die Tränen beim Lesen. ;_; Und Davis war wirklich unglaublich toll, wie er auf Mummymon eingeredet hat. Ich habe mich schon gefragt, wie das jetzt werden soll und wo sie ihre Digimon herkriegen, aber sie haben es tatsächlich mit Überredungskunst geschafft, ihn aus der realen Welt zu schicken. Hut ab. :D Und T.K. konnte sich auch mental von dem Spinnengift befreien. Also alles wieder in Butter, bis auf die zwei, drei Traumata, an denen sie jetzt zu knabbern haben. ;D
 
Insgesamt möchte ich noch sagen, dass es mal wieder eine super Story war. Und ich möchte mal wieder deine tollen Ideen belohnen. Ich mag es, wie du es immer schaffst, so viele Rätsel aufzubauen, sodass man vor der Story sitzt und Vermutungen anstellt. Und du bringst immer soooo vieles aus dem Anime mit ein. Ach und du kannst einfach toll Umgebungen und Atmosphären beschreiben. Ich war auch in dieser Story wieder mittendrin statt nur dabei. xD Und es war erfrischend, dass es doch eine relativ kurze Geschichte war. Ich schaffe es ja immer nicht, Handlung in kurze Geschichten zu packen. xD
So und jetzt habe ich keine Digimon Adventure FF mehr zum Lesen von dir. -.-
 
Hast du schon mitgekriegt, dass es wohl noch einen Film oder Filmreihe zu Adventure geben soll, in der Tai dann 22 Jahre alt ist?
Antwort von:  UrrSharrador
02.08.2018 14:03
Und ein letztes Mal ein großes Danke hier :) Freut mich, dass dich Mummymons Schicksal berührt hat. Ich finde es ja bei jedem Mal Ansehen tragischer, wie es für das Oikawa-Trio ausgeht xD Und freut mich natürlich auch, dass dir die FF allgemein wieder so gut gefallen hat :)
Ja, für T.K.s Part musste noch irgendein Abschluss rein^^
Ich warte bei dir auch noch auf die letzten Kapitel zu ELwd xD Wobei ich eigentlich schon eine neue FF am Start habe, die nur noch ein bisschen Überarbeitung braucht. Und den Prolog zu 2027 wollte ich dir ja auch schicken. Jz hab ich endlich wieder Nerven für was Kreatives :,D
Jaah hab ich gestern zufällig gelesen. Aber was ich gelesen habe, ist es nur ein Film? Freu mich jedenfalls schon darauf. Er kann nur besser werden als tri., auch wenn ichs jz wahrscheinlich verschrien habe xD
Von:  Juju
2018-07-31T19:33:09+00:00 31.07.2018 21:33
Was für eine gemeine Stelle. Ich hasse Cliffhanger. -.- :D
Soso das sieht ja so aus, als hätte Tai doch nicht komplett den Verstand verloren. Aber gut, dass du sein Inneres beleuchtest. Ihn scheinen die ganzen Ereignisse irgendwie mehr mitzunehmen als die anderen. Nun finde ich es irgendwie gut, dass er so versessen darauf ist, LadyDevimon zu verprügeln. Und er ist selbst so entschlossen, dass man irgendwie glaubt, er könnte es tatsächlich schaffen. :D
Ah und dann rettet er Davis, Ken und Izzy. Irgendwie habe ich das nicht kommen sehen, obwohl es absehbar war in dem Moment. xD Astamon ist ja auch drauf ey. <_< Ganz schön sadistisch. Und Tai klaut ihm einfach mal die Waffe. Und Überraschung, Matt und die anderen kommen auch noch und schaffen es tatsächlich, Astamon zurück in die Digiwelt zu befördern. Die Erleichterung war mal wieder durch meinen eReader spürbar. :D Da fehlen ja jetzt nur noch die Mädels und LadyDevimon. Und natürlich der mysteriöse Unbekannte.
LadyDevimon verfolgt also die Mädchen und hat sie noch nicht getötet, das beruhigt mich. Dann sieht es ja kurz echt schlecht aus. Yolei ist wirklich tapfer, ich bewundere sie. O_O ich wäre eher wie Mimi, glaube ich. :D Und ich würde noch heulen, denke ich. Als LD (keine Lust, das immer auszuschreiben -.- xD) sich in Daten auflöst, habe ich mich gefragt, wie die anderen es jetzt geschafft haben, es zu töten. Aber es waren gar nicht die anderen, sondern der mysteriöse Maskentyp. Und er scheint Yolei auch noch zu kennen. O_O Oder er sagt das zu jeder, das könnte auch sein. So ein kranker Irrer, der rumläuft und jede Frau für seine Verflossene hält oder sowas. xD
Und Ken hat das Rätsel anscheinend gelöst. Ach, da muss ich wieder an New Reign denken. Der superclevere Ken. *_* Sind er und Yolei ein Paar? Er scheint sich um sie besonders zu sorgen.
 
Ich finde es gut, dass man durch die bösen Digimon ein wenig erfährt. Also anscheinend werden sie von irgendeiner verzweifelten Kreatur gerufen/angelockt und sind, weil die Grenzen gerade eh so durchlässig sind, in die reale Welt gekommen. Aber wer ruft sie? Etwa derjenige, der die Frauen ermordet? Und wer oder was ist die Saat des ersten Mannes. xD Hab auch überlegt, ob es was mit Tai zu tun hat, weil Taichi doch irgendwie Eins bedeutet. Na mal sehen. Es ist ja nur noch ein Kapitel übrig. O_O Da werden wir es ja erfahren.
Antwort von:  UrrSharrador
31.07.2018 22:11
Da will ich dir gerade drüben bei Ein Leben wie dieses antworten, da bekomme ich die Nachricht zu dem Kommentar hier^^ Hab schnell nochmal reingelesen, damit ich weiß, worums geht, und jz antworte ich gleich hier :)
Also zuerst, danke mal wieder. Ja, sie haben sich letzten Endes alle relativ schnell wiedergefunden. Ich schätze, ich wollte fertigwerden^^
LD xD Im ersten Moment wusste ich nicht, was du meintest :,D
Na mal sehen, ob er Yolei für seine Verflossene hält ;D
Ich habe keine expliziten Pairings für die FF hergenommen, aber so kleine Andeutungen auf die gängigeren davon gemacht^^ Es hat aber einen Grund, warum er sich um Yolei mehr sorgt als um Mimi :D
Als Antwort auf deine Antwort drüben - danke :) Ja, hab sie zumindest mal abgeschickt, mal schauen, ob mein Betreuer noch was beanstandet oder ob es da jz endlich war.
Dabei hab ich gedacht, ich hätte ausnahmsweise mal verständlich davon erzählt :,D Kurz gesagt lasse ich meinen Computer hübsche Bilder malen xD Das aufwendigste dauert 3h, und das fünfmal hintereinander ergibt 15h^^
Das Zitat musste ich natürlich gleich suchen :D War schon gespannt, welches es sein würde. Wobei ich ja andere besser gefunden hätte, so als Stand-alone-Zitate. So ohne Kontext weiß man ja nicht, worums geht^^
Antwort von:  Juju
02.08.2018 11:52
Ich gehe gleich das letzte Kapitel kommentieren. :D

Glückwunsch, dass du sie abgegeben hast! Hoffentlich kannst du da jetzt einen Haken dran setzen. Hasse Hausarbeiten schreiben ja total. :D
Okay, Bilder malen verstehe ich. xD
Das mit dem Zitat fand ich aber auch. Es wurde ja auch direkt vermutet, dass ich damit ausdrücken wollte, dass Frauen nicht bestimmen können. :D Naja, was solls.
Antwort von:  UrrSharrador
02.08.2018 13:57
Das wäre dann von diesen Leuten aber der elementarste Anfängerfehler. Weiß doch jeder, dass die Meinungen der Charaktere nicht die Meinungen des Schreiberlings sein müssen -.- Wobei's nicht mal Tais Meinung war, finde ich, sondern einfach nur ein scherzhafter Spruch. Und Mimi hat ja auch die perfekte Antwort darauf parat.
Von:  Juju
2018-07-30T19:45:28+00:00 30.07.2018 21:45
Lach mich nicht aus, aber bei der Saat des ersten Mannes musste ich spontan an Sperma denken. xD Es ist jedenfalls toll, dass es scheinbar genau das Wizardmon von früher ist, das freut mich sehr. Und es hat wieder eine kryptische Prophezeiung im Gepäck. Was es damit auf sich hat... keine Ahnung. An Adam und Eva hätte ich da irgendwie nicht gedacht. Wenn dann eher an die Saat der Finsternis und auch irgendwie an Ken. Er hat doch die Ursprungssaat, oder? Das Original. Und wäre es nicht schlecht, wenn der Schleier zerrissen wird? Also dann ist doch die Grenze zwischen den Welten verschwunden, oder?
Der erste Part mit Davis war sehr unterhaltsam. Der Polizist hätte mich auch genervt. xD Zwei Frauenleichen liegen da also rum, und dann auch noch Mutter und Tochter. Eigenartig. Aber inzwischen bin ich immerhin sicher, dass dahinter ein Digimon steckt.
Und Tai ist völlig durchgedreht. Aber das ist ja auch irgendwo verständlich und passt auch echt zu ihm. Trotzdem bin auch ich der Meinung, er sollte LadyDevimon nicht jagen und sich mit ihr anlegen. Das würde sehr dramatisch für ihn enden. D: Hoffentlich können die anderen ihn doch noch irgendwie zur Vernunft bringen. Witzig fand ich trotzdem Matts Gedanken à la "Es wäre mal wieder Zeit für eine Tracht Prügel" xD Naja und dann kriegt er ja von Tai ordentlich eine mit und Tai haut auch noch ab. Ach Mensch. Jetzt müssen sie nicht nur eine Lösung für ihr Digimonproblem finden, sondern auch noch Tai suchen. Dieder Trottel. -.-
Ui und Yolei und Mimi gibts ja auch noch. Die müssen da verharren und warten und sind dabei schön auf dem Präsentierteller. Kein Wunder, dass sie da die Nerven verlieren und sich auch noch angiften. Und dann kommt auch noch LadyDevimon. O_O Ich bin so gespannt, ob es die beiden Mädels mitgenommen hat oder ob sie abhauen konnten. Eigentlich wüsste ich nicht, wie sie abgehauen sein sollten, wenn LadyDevimon bereits so nah war, dass sie sehen konnten, dass es sich über die Lippen leckt. Oh Gott, was tust du hier nur. xD
Und Davis, Ken und Izzy stoßen auf Astamon und verdächtigen es prompt, die Mädels entführt zu haben. xD Und Astamon weiß von nichts. Irgendwie ist der Moment schon komisch. Und der Akku von Izzys Handy ist alle, das gibts doch niiiiiicht. Ich habe keine Ahnung, was jetzt passieren wird.
Es war wieder mal ein sehr spannendes Kapitel. :D Gleich werde ich weiterlesen und freue mich schon drauf.
 
Antwort von:  UrrSharrador
31.07.2018 01:53
Danke für deine Kommis hier :) Tja da meldet sich wohl die DigiRitterin in dir :D
Ich fand Witchmons Charakter iwie amüsant zu schreiben, speziell seine Art zu sprechen. Hab mir vorgenommen, das noch mal wo einzubauen^^
Wegen Xros Wars, da hättest du nämlich die Pornoversion von Minervamon bewundern dürfen xD Aber Xros Wars war wirklich meh. Das einzig Gute war der Schluss, als Tai & Co aufgetaucht sind.
Haha, es ist zwar nicht direkt Sperma gemeint, aber gaaaanz falsch liegst du damit auch nicht xD Okay der Hint ist jz wahrscheinlich total irreführend. Ja, im Sinne der Menschheit ist es schlecht, dass der Schleier zerreißt.
Jap, Tai ist hier mal eben zum Vollidioten mutiert xD
Ich muss gestehen, es hat mich selbst überrascht, dass Izzys Akku leer war, als ich das Kapitel eben nochmal gelesen habe :,D Wusste es gar nicht mehr. Dachte, das wäre anders abgelaufen.
Von:  Juju
2018-07-29T07:01:13+00:00 29.07.2018 09:01
Haha witzig, in diesem Kapitel habe ich irgendwie genauso gedacht wie du. Oder Izzy. Also irgendwie hatte ich ständig zeitgleich ähnliche Gedanken wie er. :D
Man Witchmon scheint ja echt ultraböse zu sein. Aber okay, in dieser FF sind ja irgendwie alle Digimon ultraböse. Ist ja auch Halloween. Allerdings hätte ich bei der schwarzen Katze, die da auf der Treppe liegt, trotzdem nicht sofort daran gedacht, dass sie zu einem Digimon gehören könnte. Und Witchmon will Izzy und Ken abmurksen. O_O Die beiden Süßen. Witzigerweise habe ich mich schon mal gefragt, ob man nicht theoretisch auf einem Handy auch ein Tor zur DigiWelt öffnen könnte. xD Und tada, Izzy hat es geschafft. Hier also die erste Parallele zwischen mir und ihm. xD Wie verblüfft Ken ist, ist auch sehr unterhaltsam. Das Gespräch über Halloween finde ich übrigens sehr gut mit der Aufklärung, was es mit Geistern an Halloween auf sich hat. So ungefähr wusste ich es auch, aber das mit der Geisterwelt wusste ich nicht. Das ist eine echt coole Erklärung und passt total gut zu Digimon. :D
Ahhh und dann ist der Spuk aus Izzys Wohnung zurück. An der Stelle hatte ich ja schon wieder Schiss. Wieder wird er von Kerzen verfolgt und einem dunklen Schatten. Mein erster Impuls wäre auch gewesen, auf die belebte Straße abzuhauen. Als sie auf einen Hinterhof flüchten, dachte ich nur: Neeeeiiiiin, warum rennt ihr nicht weiter auf die Straße man!!! D: So süß, wie Izzy dann ganz nüchtern analysiert, welche Möglichkeiten sie jetzt haben und die Möglichkeiten genau auf ihre Umsetzbarkeit prüft. xD Aber mit ihm und Ken sind ja auch wirklich zwei totale Kopfmenschen aufeinander getroffen, die nicht für spontane Bauchentscheidungen gemacht sind. Am Ende seiner Überlegungen dachte ich mir dann auch: Okay, dann bleibt ja nur noch, sich dem Schatten zu stellen. Und siehe da, genau das tun sie dann auch. :D Und Überraschung, es ist ja doch Wizardmon! O_O Ich hoffe doch, es ist ein gutes Wizardmon.
Und dann noch die Szene auf dem Dach. Das bestätigt ja die Theorie, die Ken und Izzy haben mit den Grenzen zwischen den Welten, die durchlässig sind. Deswegen sieht Kari vermutlich das Meer der Dunkelheit.
Als Takumi auftaucht, dachte ich: Okay, jetzt zeigt er sein wahres Gesicht. Dann dachte ich, okay, vielleicht ist es jetzt der andere Typ mit der Fuchsmaske. Und dann... bis ich gerafft habe, dass er jetzt tot ist, hat es ne Weile gedauert. xD Also war Takumi doch nicht böse? LadyDevimon ist echt krass drauf. Reißt ihm dann auch noch den Kopf ab. O_O

Weil ich es gerade in einer deiner Kommentarantworten gelesen hab: Kapitel nachträglich als Adult markieren funktioniert tatsächlich nicht. Das habe ich auch schon mehrmals versucht. Keine Ahnung, warum das nicht geht. <_<
Und noch zu einer anderen Kommentarantwort: Ich habe Xros Wars nur zur Hälfte oder so gesehen, also auf keinen Fall komplett. Es hat mich einfach nicht gefesselt und ich mochte das Prinzip überhaupt nicht. :/ Bin einfach ein Fan von Menschen mit Digimonpartnern. :D
Von:  Juju
2018-07-25T10:02:39+00:00 25.07.2018 12:02
Ach du liebe Zeit.
(Du hast wieder etwas in diesem Kapitel verändert, oder? Es wird mir nämlich heute als veröffentlicht angezeigt xD)
Also der Anfang war wirklich mal was anderes und hat mich doch phasenweise sehr verwirrt. T.K. ist Puppetmon und erschießt sein jüngeres Ich. Ich mochte diese Verbindung zur ersten Staffel sehr gern und finde es allgemein toll, dass du so etwas immer mit einbaust. Das passt auch super in die Story hier. Nun kann man Vermutungen anstellen, warum T.K. so viel halluziniert. Liegt es einfach nur am Sauerstoffmangel? Hat Dokugumon ihn mit dem Kopf gegen die Hauswand geschleudert? Sind die Spinnenfäden giftig? Hat T.K. zur Feier des Tages vorher irgendwas eingeschmissen, dessen Wirkung sich erst jetzt bemerkbar macht?
Auch ein super Rahmen, dass es am Ende wieder thematisiert wird. Kurz dachte ich auch, T.K. wäre gestorben, aber dann öffnet er die Augen und sagt wieder diesen Satz. Hach ist das dramatisch. ;_; Hoffentlich können sie ihn retten.
Diese Szene, wie Takumi und Tai in die Wohnung einbrechen und den Laptop klauen. xD Was für eine Idee. Auch herrlich aus der Sicht des kleinen Jungen beschrieben, der sich wundert, dass Geister an Halloween Laptops klauen. Zum Glück hat es sich wenigstens gelohnt. Und Takumi ist jetzt also weg. <_< Es wird immer verdächtiger mit ihm. xD
Und die rote Hexe ist also auch ein Digimon. Als ich das las, fiel mir auch glatt wieder ein, dass ich im Internet ja auch mal ein Bild von einem Hexendigimon gesehen habe. Wobei ich ja finde, dass es teilweise doch sehr seltsame Digimon gibt... xD Hast du mal Venusmon gesehen? :D Und von Minervamon, das ich eigentlich echt süß finde, gibt es auch eine eigenartige Pornoversion.
 
Antwort von:  UrrSharrador
27.07.2018 13:08
Danke mal wieder :) Ja, die gibt's offenbar auch in Rot xD Kam vielleicht in irgendeiner Serie mal so vor, oder ich habs einfach aus dem Wiki.
Jap, sieht so aus, als reichte ein Computer ohne Internet haha xD
Ja ... *seufz* Ich sollte damit aufhören. Aber dann kommen mir beim Lesen immer so viele Fehler unter, die mir beim Korrekturlesen damals nicht aufgefallen sind, und dann schäme ich mich dafür :,D
Die Szene mit dem kleinen Jungen hat mir irrsinnig Spaß gemacht beim Schreiben :D Generell mag ich so kurze Szenen aus der Sicht von Außenstehenden. Hier ist Tai mal der Böse B-)
Pornoversion xD Hast du Xros Wars gesehen?^^
Von:  Juju
2018-07-23T08:48:12+00:00 23.07.2018 10:48
Wieder mal ein super Kapitel, spannend und mit Action.
Ich mochte den Teil mit Izzy und Mimi in der Tram sehr. Izzy war so süß, wie er ein schlechtes Gewissen hat, weil er sich nicht traut, Mimi zu beschützen. :D Der arme, ich wollte ihn in den Arm nehmen. Aber es passt einfach zu ihm, dass er sich lieber raushält. Wäre es hart auf hart gekommen, bin ich mir sicher, dass er dazwischen gegangen wäre. Aber noch bestand ja keine akute Gefahr.
Und dann draußen taucht also wieder jemand mit Fuchsmaske auf. O_o Hat Takumi also gar nichts mit dem Mord zu tun? Doch, ich glaube schon. Verdächtig ist er trotzdem. Aber der Verdacht, dass es sich bei dem Mörder mit Fuchsmaske um ein Digimon handelt, erhärtet sich. :D Und dann taucht auch noch LadyDevimon in rot auf. Wusste gar nicht, dass es sie auch in rot gibt. xD Passt natürlich. Und dann wird geschossen. O_O Ob da wirklich der Punker-Typ dahinter steckt? Jetzt scheint ja auf der Parade endgültig das Chaos auszubrechen.
Und die anderen haben es tatsächlich geschafft, ein Tor zur DigiWelt zu öffnen und Bakemon zurückzuschicken. Habe ich das richtig verstanden, dass man nur einen funktionierenden Computer ohne Internet braucht, um das Tor zu öffnen? xD Auf jeden Fall war ihre Erleichterung, als das Bakemon endlich weg war, durch den eReader zu spüren. :D Der Teil war aber auch wirklich spannend. Zuerst will Matt sich nicht durch seine Sorge um T.K. zu gefährlichen Aktionen hinreißen lassen und im nächsten Moment bricht er in eine Wohnung ein. xD Aber die Wohnung war schon gruselig. Ob die wirklich zu 100% leer steht? Und wie stark Bakemon doch sein kann ohne Partnerdigimon. Im Anime waren sie ja doch immer eher schwächlich. Aber klar, wenn man selbst kein Digimon dabei hat? Gut, dass wenigstens Kari an ihr DigiVice gedacht hat.
Wo sie das Tor einmal offen hatten, hätten sie ja gleich ihre Digimon holen können. xD
Von:  Juju
2018-07-21T08:56:57+00:00 21.07.2018 10:56
Irgendwie habe ich gestern eine Meldung auf Animexx bekommen, dass du dieses Kapitel hier veröffentlicht hast, aber das kann doch nicht sein? Es ist doch schon lange on? :D Oder hast du irgendwelche grundlegenden Änderungen vorgenommen?
 
Auf jeden Fall wird es hier ja langsam wahnsinnig blutrünstig. O_O Mir hat der Teil mit T.K. und Kari am besten gefallen, weil man zum Glück sofort erfahren hat, was passiert ist. xD Die wurden ja ganz schön brutal attackiert. Ich muss zugeben, der Grusel ist verflogen, als klar wurde, dass Digimon dahinter stecken, die sich auch noch um ihre Beute streiten. xD Digimon kennen wir, auch wenn diese hier ganz schön mordlustig sind. Und T.K. und Kari schien es in Ansätzen ähnlich zu gehen, denn sie meinten ja, mit Digimon hätten sie viel Erfahrung. Und es ist wieder Ogremon/Fugamon dabei. :D Du liebst dieses Digimon, oder? Wärst du ein DigiRitter, wäre es bestimmt dein Partner.
Dass die Puppe im Spinnennetz gar keine Puppe ist, war ja klar. Das konnte man sich schon denken. Und natürlich bekommt man Mitleid und will dem armen Mann helfen, aber trotzdem hätte ich Kari gern geschlagen. Ihr Mitgefühl in allen Ehren, aber was zu viel ist, ist zu viel. xD In dem Fall finde ich, darf man ruhig seine eigene Haut retten bzw natürlich auch die seiner Begleitung. Für den Mann war es doch eh schon zu spät und wie hätte sie ihn da rausbekommen sollen, ohne selbst gefressen zu werden? Das hat doch keinen Sinn. T.K. hat völlig richtig reagiert, als er sie einfach gepackt hat und losgerannt ist.
Tai und Sora haben ja echt Schwein gehabt, dass sie nicht überfallen wurden. Sie waren also die Opfer für Bakemon. Die Szene, in der T.K. und Kari links und rechts an Bakemon vorbeirennen, "als wäre es eine Straßenlaterne", fand ich übrigens auch witzig. :D
Oh Gott und Tai stirbt fast. O_O Das war wieder mal super beschrieben, sodass ich mich gefragt habe, ob schon mal jemand versucht hat, dich umzubringen, dass du das so gut beschreiben kannst. :'D Ich hoffe doch nicht. Takumi rettet ihn also. Hm. Ich finde das immer noch sehr mysteriös. Wer steckt hinter Takumi? Ahhh. Vielleicht der Anführer der ganzen Digimonbande?
Und dann wird T.K. auch noch von Dokugumon geschnappt und es rennt auf und davon. O_O Um Himmels willen. ;_; Ich habe mich schon während des Lesens gefragt, ob sie es alle irgendwie schaffen, ihre Digimonpartner zu holen? Dann sollten die paar Digimon ja kein Problem mehr sein.
So und Yolei, Davis und Ken sind also auch mit von der Partie und kommen an einem Mordschauplatz vorbei. Wenn das mal nicht der aus dem Prolog ist. Ihre Kostüme fand ich übrigens auch sehr passend. Davis, bei dem keiner weiß, was er darstellen soll. xD
Izzy und Mimi bekommen auch noch einen kurzen Auftritt. Dass sie nach dem Schock noch aufs Fest gehen. Aber okay, was sollen sie sonst machen? Zurück in Izzys Wohnung würde ich auch nur über meine Leiche gehen. Wie Mimi noch fragt, ob das auch kein Streich von ihm oder seinen Eltern war. xD Das passt zu ihr. Aber vermutlich würde man sich das in der Situation wirklich fragen und an seinem Verstand zweifeln.
Antwort von:  UrrSharrador
21.07.2018 14:44
Danke mal wieder :) Freut mich, wenn das Kapitel so eine Wirkung hatte xD Bei der Szene in Izzys Wohnung hat's mich beim Schreiben selbst gegruselt, das war klasse :D
Nein, das stammt nicht aus eigener Erfahrung. Mein Vater ist auch Techniker ^^
Es wird sich noch zeigen, wer hinter den Kerzen steckt ;)
Grundlegende Änderungen eigentlich nicht. Als du die FF zu lesen begonnen hast, hab ich mir den Anfang auch nochmal selbst durchgelesen, damit ich wieder weiß, was überhaupt alles passiert^^ Dann hab ich eine Formulierung gefunden, die mir nicht mehr gefallen hat, und hab die geändert. War eigentlich nur ein Wort - als T.K. Kari packt, da habe ich "dem Griff" zu "einem Griff" umgeändert. Plötzlich hat animexx gemeint, das waren 7% Änderung an dem Kapitel oder so, und dass es neu geprüft/freigeschaltet werden müsse. Keine Ahnung, wie die das berechnen. Also keine Sorge, ich hab nicht schnell was geändert, bevor du es lesen konntest :D
Hm, Ogremon als mein Partner. Ich stell mir das gerade vor. Würde vielleicht wirklich funktionieren xD Himmel, ich wäre der am wenigsten vertrauenserweckende DigiRitter aller Zeiten :,D
Ja, ich hätte wahrscheinlich auch so reagiert wie T.K.^^ Nein, zum Glück hat noch niemand ernsthaft versucht mich umzubringen^^' Aber freut mich, wenn die Stelle realistisch wirkte xD
Von:  Juju
2018-07-20T08:51:27+00:00 20.07.2018 10:51
Jetzt mal ohne Mist, ich hab das Kapitel im Dunkeln auf dem eReader gelesen und hatte echt Schiss bekommen. :D Fand es mega gruselig. Aber mal von vorn.
Erst am Anfang dieses Kapitels ist mir aufgefallen, dass Izzy und Mimi auf dem Fest ja noch gar nicht dabei waren. xD Aber die beiden sind eine tolle Kombination. Mimi kann ich mir in ihrem Lilymonkostüm richtig gut vorstellen. Und Izzy bekommt mal eben noch eine Gesichtsbemalung verpasst. Wäre ja auch langweilig ohne. Und das Kompliment, das er ihr macht, obwohl es gar nicht als Kompliment gemeint war. xD Das fand ich sehr süß und typisch für die beiden.
Auch eine nette Idee, dass Izzy für seine Mutter was programmieren soll und deswegen nochmal nach Hause muss. Jaja, die Mütter, die mit der Technik nicht klarkommen und es deswegen ihren Söhnen überlassen. :D Schreibst du da etwa aus Erfahrung? Ich persönlich hatte solche Probleme nie. Mein Papa ist Softwareentwickler, da kennt er sich mit solchem Kram aus. xD
„Was vergessen? Du meinst jetzt nicht zufällig deine Verkleidung, oder?“ <- Herrlich übrigens.
Und dann Izzys wachsende Skepsis in seiner Wohnung. Mal wieder sehr gut dargestellt. Beim eingeschalteten Licht denkt man sich noch okay. Komisch, aber kann passieren. Aber dann diese ganzen anderen Kleinigkeiten, die sich in der Wohnung verändert haben. Und der schwarze Bildstirm beim Programmieren. O_O Spätestens da wäre ich schreiend aus der Wohnung gerannt. Dinge, die auf Fotos anders sind, als sie in der Realität waren, sind einfach nur unheimlich und bah, da hört der Spaß auf. D: Und dann das mit den Kerzen... Mimi ist doch irre, dass sie da auch noch hinterherläuft und die Kerzen auspustet. Und dann dieser gruselige Schatten. O_O Was ist das nur?! xD Da steckt doch bestimmt ein Digimon dahinter, oder? Habe zunächst an die Folge in 02 gedacht, als Wizardmons Schatten im Fernsehsender aufgetaucht war. Aber ich glaube nicht, dass hier auch Wizardmon dahinter steckt.
Neue Theorie! Vielleicht will auch wirklich jemand einfach nur einen Streich spielen, so halloweenmäßig? Ein Digimon? Wobei nein. Töten geht zu weit für einen Streich. xD
Hach und dann wieder dieser Takumi... Ahhh ich sterbe vor Spannung. Will wissen, wer oder was dahinter steckt. xD Und T.K. und Kari sind verschwunden!!! O_O Ahhhhhhhh! Oh Gott, das Monster hat sie! ;_;
Von:  Juju
2018-07-17T08:19:11+00:00 17.07.2018 10:19
Puhhhh das ist wirklich gruselig. Aber ich liebe ja Horror, also genau das Richtige für mich. :D
Die Kostüme, die du dir für sie ausgedacht hast, passen sehr gut. Kari in einem süßen Hexenkostüm kann ich mir echt gut vorstellen. Und Sora als Vampir hat sich sicher auch wahnsinnig viel Mühe gegeben. Habe auch mal versucht, mich an Halloween als Vampir zu schminken, aber am Ende sah ich so aus, als hätte ich über Nacht vergessen, mich abzuschminken. xD Hatte kein Kunstblut und mit Lippenstift funktioniert das nicht so gut. :D Muss lachen, wenn ich daran denke haha. Sora scheint das besser hinbekommen zu haben. Und Tai ist der Faule und wickelt sich einfach in Klopapier ein. xD Das passt zu ihm. Und Matt weigert sich. :D Ich mag Tais Kommentar dazu haha. So ein Langweiler.
In der Vorbereitung und auch auf dem Fest selbst kommt die Halloweenstimmung wirklich sehr gut rüber. Ich habe direkt selbst Lust auf Halloween bekommen. Eine tolle Idee mit dem Festival. Ich wusste gar nicht, dass das in Japan so unüblich ist. Sicher nicht so üblich wie in den USA, aber so gar nicht? Naja, hier wird das ja versucht zu ändern. ;D
Ahhhhh Takumi! Ist das der Typ aus dem Prolog? Natürlich würde man sagen: JA! Goldene Fuchsmaske, das muss er doch sein. Und ganz zufällig rempelt er auch noch unsere Freunde an. Es besteht ja gar kein Zweifel. Aber irgendwie... er wirkt plötzlich so menschlich und normal, dass ich doch zweifle. Und er kennt ja den Typen von der Geisterbahn. Sollte sich hinter den Morden etwa doch nur ein ganz normaler Mensch verstecken? Ich bin sehr skeptisch und verwirrt. :D Und Matt geht mit ihm mit! O_O Auweia.
Herrlich auch das Hin und Her vor der Geisterbahn. Wie aufgeregt Tai ist. :D Wie ein kleines Kind an Weihnachten. 1000 Yen wären mir auch zu viel gewesen. Wie viel sind das in Euro? So 10? Ganz schön Wucher. Und die Geisterbahn scheint ja mega gruselig zu sein. Ich frage mich, was da abgeht. Seltsam, dass Tai zwischendurch nicht antwortet und so kalt ist. Und dann sieht er plötzlich auch noch aus wie eine richtige Mumie. Ich frage mich, ob Soras Fantasie da nur mit ihr durchgegangen ist oder sie tatsächlich in eine Art Parallelwelt gefahren sind. Diese Geisterbahn ist ja wirklich mehr als merkwürdig. Der Tote war bestimmt echt. Und das komische Monster? Baahhhh. So sehr ich Horror mag, so sehr bin ich leider auch ein totaler Schisser. :'D Ich wäre da drin gestorben vor Angst. Mal gucken, ob Kari und T.K. das überleben und wie es danach weitergeht. Und was mit Langweiler Matt passiert. Ich freue mich wirklich aufs nächste Kapitel.
 
Ah und ich muss es einfach mal wieder erwähnen: Ich liebe deinen Schreibstil! :D Der ist einfach toll. Man hat direkt alles vor Augen, ohne dass es zu viele Beschreibungen wären. Und dann stellst du Charaktere auch noch authentisch dar. Ich finde, das findet man wirklich nicht oft unter Hobbyautoren.
Antwort von:  UrrSharrador
18.07.2018 20:30
Ich mache hier kaum noch was anderes als deine Kommentare zu beantworten und bei dir zu kommentieren :D Irgendwie cool.
Danke also mal wieder, freut mich, wenn dir die FF hier bisher auch gefällt ;) Mich hats sogar unter den Nägeln gebrannt, dir meine geplanten FFs aufzuzählen, aber ich wollte dann nicht prahlerisch oder aufdringlich oder so rüberkommen xD Bei einer hab ich mir aber gedacht, dass ich dir vielleicht mal den Prolog zu lesen gebe, wenn du Interesse hast. Da will ich mir nämlich eine zweite Meinung einholen, wie der ablaufen soll^^
Dabei hatte Myotismon in der Serie doch so viel Erfolg bei den Frauen, als es in die Menschenwelt gekommen ist ;P
Du hättest mal meine letzte Halloweenverkleidung sehen sollen ^^' Die war irgendwas. (Wobei mir jz, wo wir schon beim Thema sind, gerade bewusst wird, dass meine beiden letzten Halloweenverkleidungen jeweils Konzepte waren, die in zwei meiner geplanten Digimon-FFs vorkommen ... O.o wtf :D) Aber früher war ich eher so wie Matt. Bin unverkleidet zu Halloweenpartys gegangen und dann meistens geschminkt heimgekommen xD
Ja, offenbar ist das in Japan nicht so bekannt. Hab ich mitbekommen, als ich für die FF recherchiert habe. Das hat mir dann in die Pläne gepfuscht, darum wird Halloween hier im Westendviertel einfach mal von der Stadtverwaltung gehypt ;D
Ich glaube, 10€ kommt in etwa hin^^
Antwort von:  Juju
20.07.2018 10:36
Das geht mir hier auf Animexx gerade genauso... xD
Oh du kannst mir gern von deinen Plänen erzählen, ich bin gespannt. :D Und gern lese ich auch deinen Prolog. Ob ich was Konstruktives dazu beitragen kann, ist eine andere Frage, aber ich werde es versuchen. ;)
Ah also ich hab Halloween schon immer geliebt und bin verkleidet um die Häuser gezogen. Jetzt war ich nur leider schon lange auf keiner Halloweenparty mehr. Würde so gern mal wieder. D:
Von:  Juju
2018-07-16T08:03:00+00:00 16.07.2018 10:03
So hier bin ich! :D Ich muss gestehen, ich war gestern soooooo froh, eine Geschichte von dir lesen zu können, das glaubst du gar nicht. Mich interessiert jetzt natürlich brennend, was du gerade noch so für FFs planst, aber ich denke, du wirst es uns Leser irgendwann wissen lassen. Oder zumindest hoffe ich das. :D
 
Okay, nun aber zum ersten Kapitel. Meine Güte, das ist mal ein Anfang. Wir bekommen hier also einen erstein Eindruck vom Bösen der Geschichte. Ich vermute mal, es handelt sich nicht um einen richtigen Menschen, sondern um ein Digimon? Eventuell ja irgendwie Myotismon oder so? Das war gestern mein Gedanke... und dann kam mir der Gedanke "Mit Myotismon rummachen? Wääääääääähhhhhh!" xD Nein, wahrscheinlich ist es nicht Myotismon, aber trotzdem musste ich an es denken. Bin mal gespannt, wer dahinter steckt. War wirklich nett, auch mal so eine Szene von dir zu lesen, auch wenn sie für das Mädchen nicht besonders gut ausgeht. ;D Man konnte ja gar nicht so schnell gucken, wie sie tot war.
Gerade den Anfang fand ich übrigens toll beschrieben. Ich hatte richtig die Szene vor Augen, wie die ganzen Kostümierten durch die Straßen hüpfen und was für eine Stimmung herrscht.
Jetzt bin ich mal echt gespannt auf diese Geschichte. Es gibt ja sogar eine Trigger-Warnung. Mal sehen, ob hier alle (bis auf das arme Mädchen natürlich) am Leben bleiben.


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