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Juli

von

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Lichtstrom

Irgendwie war ich wieder auf diesem Sofa gelandet, das recht am Rande des ganzen Trubels stand, aber auch nicht zu weit davon entfernt, um nicht auch noch interessante Dinge mitzubekommen. Zum Beispiel wie Kenny sich – wahrscheinlich wegen irgendeiner Wette – im Kopfstand die Kante gab, indem er sich mithilfe eines Schlauchs so viel Bier aus einem der Fässer reinpfiff wie möglich. Oder, dass Bebe und Wendy irgendwann anfingen besoffen auf den Tischen zu tanzen.

 

Das einzige, was mir vielleicht zu denken geben sollte, ist, dass ich mich nicht mehr so recht daran erinnere, wie ich überhaupt wieder hier gelandet bin. Eben waren wir noch in der Küche gewesen, Craig, Clyde, Kevin und ich. Wir hatten uns unterhalten, während ich das Stück Pizza doch irgendwie hinuntergewürgt hatte. Aber ich weiß schon gar nicht mehr, worum es ging, nur noch, dass es ein gutes Gefühl war, Teil einer Gruppe zu sein, die sich wirklich irgendwie für dich zu interessieren schien. Oder die jedenfalls den Anschein danach erweckte. Denn ich bin mir immer noch nicht so wirklich sicher, ob sie sich nicht einfach nur einen bösen Scherz mit mir erlauben und mir morgen mitteilen, dass sie mich wieder aus der Clique schmeißen. Einerseits wäre ich dann natürlich bereits vorbereitet, andererseits weiß ich auch, dass es mich so oder so treffen wird. Wahrscheinlich sehr. Denn es ist so ein gutes Gefühl endlich Freunde zu haben. Wirkliche Freunde. Wobei ich mir da wie gesagt immer noch nicht ganz sicher bin…

 

Clyde ist betrunken und Betrunkene reden ja immer recht viel Blödsinn, wobei sie auch nicht so gut im Lügen sind. Wieso also sollte er dahingegen geloben haben, dass er mit mir befreundet sein möchte? Kevin schien Clydes Meinung in der Hinsicht zu teilen, wenn ich das richtig eingeschätzt haben sollte. Darin bin ich generell eher mies. Und dann soll ich mir angetrunken auch noch eine Meinung von jemandem bilden? Schwierig. Aber Kevin war schon immer ein recht freundlicher Geselle, wenn man denn nichts gegen Star Wars sagte.

Und dann wäre da noch Craig. Craig, den ich nach wie vor so unglaublich schlecht einschätzen kann, dass es mir in betrunkenem Zustand nicht gerade leichter fällt. Mal ist er so, im nächsten Moment ist er ganz anders. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, was ich darüber denken soll, was er von mir will. Und ihn das alles zu fragen… Wenn ich es mich jetzt nicht mal traue, wo doch Alkohol bekanntlich die Zunge lockerte, wann dann? Aber vielleicht wäre es auch einfach besser es dabei zu belassen. Dass Craig nun einmal so ist, so fürchterlich ungesprächig, undurchsichtig, unberechenbar. Theoretisch konnte man ihm alles zutrauen und dennoch nichts erwarten. Dieses Verhalten…

 

Ich spüre förmlich, wie mein Gehirn vor Überanstrengung anfängt zu brodeln und zu dampfen…

Vielleicht sollte ich aufhören über Craig nachzudenken, was mir in letzter Zeit wieder unglaublich schwer fällt. Ich weiß noch, damals nach der Grundschule, als er plötzlich nicht mehr mein Freund sein wollte, ohne ersichtlichen Grund. Damals habe ich Stunden damit verbracht über ihn und sein Verhalten nachzudenken. Was ich falsch gemacht habe. Wieso er mich plötzlich so hasst, obwohl ich mir keines Fehlers bewusst war. Damals wäre ich fast wahnsinnig geworden, weil ich es nicht verstanden habe. Und ich verstehe es bis heute nicht. Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann nicht mehr daran denken musste, dass die Gedanken einfach aufgehört haben, das Leben musste schließlich irgendwie weiter gehen. Und wenn er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, sollte er doch… Irgendwann ist es mir egal geworden.

Und jetzt? Geht jetzt alles wieder von vorne los? Ich hoffe nicht… Ich denke nicht, dass ich es noch weiter aushalten würde, wenn Craig erst mein Freund sein möchte und mich dann wieder wegstößt. Diese Gedanken daran, was ich falsch gemacht habe und wieso er so zu mir ist… Ich denke nicht, dass ich das noch ein weiteres Mal ertragen könnte…

 

Aber bevor ich überhaupt weiter darüber nachdenken kann, werde ich auf einmal von jemandem angesprungen und zucke schrecklich zusammen. „GAH!“, schreie ich auf und sehe Clyde mit einem erschrockenen Blick an. Was sollte das denn?!

„Tweekers“, flötet er und knuddelt mich ungewohnter Weise einmal herzlich durch. Es ist mir einen Moment sichtlich unangenehm, dass er mir plötzlich so furchtbar nahe kommt, da ich sonst nicht viel mit körperlicher Nähe am Hut habe, andererseits freut es mich doch, dass er mich so gern zu haben scheint, wie er behauptet.

„Ich wollt‘ dich nich‘ erschreck’n, sorry“, entschuldigt er sich jedoch sogleich und lässt von mir ab, als er meinen erschrockenen Ausdruck sieht.

„Sch-schon gut“, nuschle ich verlegen unter mich blickend, frage mich, wo meine geliebte Kaffeetasse ist, aus der ich nun einen Schluck zur Beruhigung trinken könnte. Aber da fällt mir auch sogleich ein, dass Craig mir Kaffee für heute verboten hat. Ich erinnere mich, dass ich ihn mit diesem total entgeisterten Gesichtsausdruck angesehen habe, nachdem er mir das erörtert hatte. Und dann hatte er so etwas wie gelächelt, mir kurz den Kopf getätschelt und mir ein Glas Wasser in die Hand gedrückt. Was sollte man bitte von so einem Verhalten halten, wenn man nicht gerade mein Herz war, das aufgeregt in meiner Brust auf und ab gesprungen war. Muss ich so eine Reaktion meines Körpers auf alles, was er tut, verstehen? Nein? Okay…

 

„Trotzde~em“, entgegnet Clyde, bevor ich überhaupt noch weiter über Craig nachdenken kann und mein Herz wieder anfängt fröhlich vor sich hin zu hopsen. Ich schüttle daraufhin mit dem Kopf als Zeichen, dass es schon in Ordnung ist, und versuche mich an einem netten Lächeln. Clyde gibt sich hier ja schließlich alle Mühe nett zu mir zu sein.

 

Er macht es sich neben mir auf dem Sofa etwas bequem und schaut mich, nachdem er eine gute Sitzposition gefunden hat, an. „Gib mir mal dein Handy.“ Mit diesen Worten streckt er mir seine Hand entgegen und sieht mich auffordernd an.

„Ähm, ok?“, lautet die Antwort, die wohl eher eine verwirrte Frage ist, denn was sollte er schon mit meinem Handy wollen? Dennoch nestele ich sogleich an meiner Hosentasche herum, um mein Handy herauszubekommen. Dass ich überhaupt wieder eins habe, ist sowieso sonderbar, aber meine Eltern hatten mir doch wieder ein Neues geschenkt, nachdem mir mein altes kaputt gegangen war. Damit ich sie erreichen könnte, falls etwas sein sollte. Aber wirklich in Gebrauch ist es nicht. Jedenfalls nicht dafür. Die meiste Zeit höre ich eigentlich entweder Musik oder spiele irgendwelche Spiele, die gerade interessant sind. Es gäbe eben auch niemanden in meinem Telefonbuch, mit dem ich telefonieren oder schreiben könnte, außer eben meinen Eltern.

 

Gleich, als ich das Handy aus der Tasche herausgefischt habe, schnappt Clyde danach und schaltet den Bildschirm an. „Nich‘ ma‘ gesperrt! Nich‘ besonners sicher, Tweekers“, ermahnt mich der Brünette und tippt ein wenig auf dem Display herum.

„Ist ja -ack- nichts Privates oder Wichtiges drauf“, nuschle ich als Antwort und beobachte ihn dabei, wie er irgendwo etwas eintippt. Schließlich hält er mein Handy in die Höhe, grinst frech-fröhlich in die Kamera und macht ein Foto. Irritiert darüber höre ich ihn „So“ sagen, während er weiter irgendwo herumtippt.

„Hast du kein WhatsApp?“, fragte er dann verwundert, woraufhin ich nur mit dem Kopf schütteln kann. Wozu brauche ich einen Messanger auf dem Handy, wo ich doch sowieso keine Kontakte habe und mir niemand schreiben würde? Der Blick, der mich trifft, ist ebenso verwundert wie entgeistert. „Also nein…“, nuschelt er erneut und ich lasse ihn weiter herumtippen, was auch immer er dort macht.

 

Schließlich holt er sein eigenes Handy aus der Tasche, vergewissert sich irgendetwas und gibt mir meines wieder. Verwirrt blicke ich auf das nun wieder dunkle Display, schalte es ein, um mich zu erkundigen, was er denn dort gemacht hat, komme allerdings nicht viel weiter als bis zum Lock-Screen, denn Clyde legt überaschenderweise einen Arm um meine Schulter und drückt mich an sich.

„Lächeln, Tweekers“, sagt er fröhlich, während er sein Handy nun auch in die Höhe hält und mir ein verwirrter Tweek entgegenblinzelt, als ich hinauf in die Kamera blicke. Dennoch versuche ich mich noch schnell an einem Lächeln, was wahrscheinlich mehr gezwungen wirkt, als alles andere.

„Twe~ekers“, nuschelt er beim Tippen in seinem Handy vor sich hin, weswegen ich zuerst denke, dass er mit mir redet. Aber so sehe ich ihn nur verwirrt an, als ich merke, dass er es nicht tut. „Und eine Kaffeetasse.“ Er kichert. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, aber er lächelt mich an, als er fertig ist, und so kann ich nicht anders, als das Lächeln zu erwidern.

 

„Und je~etzt gehen wir tanzen!“, kündigt er an, während er aufspringt. Er wankt einen Moment durch den eingeschränkten Gleichgewichtssinn und den Schwung, mit dem er aufgesprungen war. Dann greift er nach meiner Hand und zieht mich fast mühelos auf die Beine.

„W-wah?“, bringe ich nur heraus, versuche mich gegen den Zug an meinem Arm zu wehren, aber Clyde hat mehr Kraft als ich es habe, weswegen ich mich binnen Sekunden im Gedrängel der tanzenden Masse wiederfinde. „I-ich tanze nicht“, nuschle ich in Clyde Richtung, aber bin mir bewusst, dass er mich wegen der lauten Musik wahrscheinlich nicht gehört haben wird. Ich taumle ein bisschen hin und her, während alle um mich herum Spaß zu haben scheinen und mich dabei beiseite drängen.

„Spüre den Beat!“, schreit Clyde mich an, der sichtlich Spaß zu haben scheint. Ich fühle mich allerdings eher fehl am Platze und einer erneuten Panikattacke wieder sehr nahe. Zu viele Menschen, zu viel ungewollte Nähe, zu viel Lärm.

 

Clyde scheint bemerkt zu haben, dass es mir nicht gut zu gehen scheint, denn er hält ganz plötzlich inne und greift nach meinen Händen. Zunächst zucke ich deswegen erneut etwas weg, aber er hält meine Hände so fest, dass ich nicht weg kann, dennoch nicht zu fest, dass er mir weh tut.

„Tweek, es ist nichts Peinliches dabei Spaß zu haben“, meint er erstaunlich nüchtern. Ich blicke etwas ungläubig und beschämt zu ihm hinauf. „Und hier interessiert sich wahrscheinlich sowieso niemand dafür, ob irgendjemand nicht gut tanzen kann. Es geht einfach darum Spaß zu haben!“ Er lacht. Clyde lacht unglaublich viel und auch sein Blick ist so unglaublich offen und ehrlich, dass es schon ansteckend ist. Ich kann spüren, wie sich meine Lippen zu einem leichten Lächeln verziehen und ich kann überhaupt nichts dagegen machen. Kommt es mir nur so vor oder erhellt Clyde mit seiner Art gerade den ganzen Raum mit taghellem Sonnenlicht? Und dieser Junge möchte tatsächlich mit mir befreundet sein? Ich weiß gar nicht, wie dankbar ich ihm noch dafür sein kann.

 

Das Lied, das gerade noch gespielt wurde, endet und ich kann Clydes Züge sich förmlich noch mehr aufhellen sehen, als sie es eh schon waren, als das nächste beginnt. „WUAH!“, macht er plötzlich und zieht mich erneut hinter sich her weiter in die Menge. „Platz da! Hier kommt der Meister!“, schreit er die anderen Gäste an und verschafft sich so den Platz, den er benötigt, um mit seinen Moves loszulegen. Gott sei Dank musste er dafür meine Hand wieder los lassen und so stehe ich nun am Rand der Menge und sehe ihm dabei zu, wie er zu I like to move it abgeht. Und er ist wirklich nicht schlecht.

 

„Komm schon, Tweek!“, ruft er jedoch schon und zieht mich zu meinem Leidwesen zu sich in die Mitte der Tanzfläche, wo ihm alle anderen Platz gemacht hatte.

Zitternd und nicht wissend, was ich tun soll, stehe ich nun also hier, neben Clyde, der total im Beat der Musik aufgeht. Und alle starren mich an. Wieso müssen mich nur immer alle so anstarren, wo es mir nicht hätte unangenehmer sein können? Ich merke, wie sich mein Atem beschleunigt, wie meine Beine zittriger werden.

 

Nein, bitte keine Panikattacke!

Nicht hier!

Ich kneife panisch die Augen zusammen.

 

Clydes Hand legt sich warm auf meine Schulter und ich zucke kurz zusammen, öffne aber auch die Augen, um ihn anzusehen. „Denk einfach daran, was ich dir eben gesagt habe. Einfach Spaß haben.“ Er lächelt. Erneut. Und die Dunkelheit, in der ich zu versinken drohte, ist fast gänzlich verschwunden. Wie schafft dieser Junge das bitte?

Aber er hat ja Recht. Wer interessier sich hier schon dafür, ob man wirklich tanzen konnte oder nicht? Besonders, da die meisten eh hackedicht zu sein scheinen. Dennoch kostet mich das ganze hier mehr Überwindung, als er vielleicht glaubt. Ich kann mich nicht erinnern je so nervös gewesen zu sein und es dann doch durchgezogen zu haben, statt schreiend wegzurennen. Aber Clyde löst irgendetwas in mir, irgendeine Barrikade, wenn auch nur ein bisschen. Und das nur, weil er mich so behandelt wie einen echten Freund. Wie könnte ich ihm das jemals so zurückgeben?

 

Erneut schließe ich die Augen, spüre Clydes warme Hand immer noch auf meine Schulter, die mir Halt gibt. Ich versuche mich nur auf die Musik und das gute Gefühl, das Clydes Freundschaft in mir auslöst, zu konzentrieren. Ich merke, wie sich erneut dunkle Gedanken versuchen in meinen Kopf zu drängen, aber genau in diesem Moment drückt Clyde – wahrscheinlich unbewusst – sanft meine Schulter. Irgendwie gibt es mir die Kraft all diese Gedanken zu verdrängen und dann doch langsam anzufangen mich im Takt der Musik zu bewegen.

Clyde lacht erneut sein fröhliches Lachen und ich öffne die Augen, um noch schnell wenigstens einen Anflug davon zu Gesicht zu bekommen. Sofort ist mir ganz warm und es macht mir kaum noch etwas aus, dass er erneut meine Hände greift und wir nun zusammen zum Rest des Liedes tanzen. Und es ist mir fast, als würde mich niemand mehr anstarren, nicht noch wie zuvor, wo ich gefühlt tausend Augenpaare auf mir gespürt habe.

 

Clydes ganze Art ist so ansteckend, dass ich zunächst gar nicht bemerke, wie ich die ganze Zeit über lächle und mit ihm lache, während wir auf der Tanzfläche herumspringen.

„Nein, du musst es so machen!“, sagte er lachend, als ich versuche einen seiner recht coolen Moves nachzumachen, und er zeigt es mir nochmal. Also versuche ich es erneut und es klappt schon besser. „Haha genauso!“, lacht er.

 

  *

 

Auf dieser Party habe ich mein komplettes Zeitgefühl verloren und so weiß ich nicht, wie lange wir beide zusammen getanzt haben, bis er mich erneut an der Hand packt und mich zurück zum Sofa zieht, wo er sich einfach fast auf ein knutschendes Pärchen wirft, das daraufhin meckernd von dannen zieht. Leicht erschrocken darüber zögere ich einen Moment, ehe ich mich neben ihn setze. Mein Atem geht schnell von dieser körperlichen Tätigkeit, vor denen ich mich eigentlich meist versuche zu drücken. Was nicht heiß, dass ich nicht manchmal auch zu Hause, wenn ich weiß, dass ich allein bin, in meinem Zimmer zu meinen Lieblingsliedern tanze. Aber das musste ja niemand wissen…

 

Clyde erhebt sich allerdings wieder und ich sehe ihm verwirrt hinterher. Ich frage mich augenblicklich, was ich falsch gemacht habe, aber da steht er bereits wieder vor mir, zwei Becher in der Hand. Er reicht mir einen und ich sehe ein wenig irritiert hinein. „Ist nur Cola“, erklärt er daraufhin grinsend und lässt sich wieder neben mir aufs Sofa plumpsen.

„D-danke“, erwiderte ich stotternd und nippe einmal vorsichtig am Becher, um zu testen, ob es sich auch tatsächlich nur um Cola handelt. Da ich allerdings nichts Verdächtiges darin feststellen kann, nehme ich einmal ein paar große Schlucke, die ich nach dieser Aktion wirklich gut vertragen kann.

„A-also, danke nicht nur für die -ngh- Cola“, nuschle ich schließlich und blinzle etwas verlegen zu dem Brünetten hinüber. Dieser blickt mich augenblicklich fragend an und schüttelt mit dem Kopf.

„Was meinst du, Tweekers?“, fragt er grinsend und stellt seinen anscheinend nun leeren Becher beiseite.

„A-alles?“, nuschle ich erneut, diesmal allerdings in den Becher, den ich an meine Lippen gehoben hatte und aus dem ich nun einen Schluck nehme. Ich spüre förmlich, wie Clydes erwartungsvoller Blick auf mir liegt, da er möchte, dass ich ihm Alles erkläre. Ich schlucke. Und zwar nicht nur die Cola herunter, sondern auch einen Kloß, der angefangen hatte sich in meinem Hals zu bilden. Nein, in so etwas bin ich wirklich nicht gut… Aber nun hatte ich auch irgendwie schon angefangen?

„Dass… uhm…“, ich blicke verlegen auf die dunkle Flüssigkeit in meinem Becher und suche verzweifelt nach den richtigen Worten. Clyde war die ganze Zeit so lieb zu mir – man nehme mal den Moment nach dem Beer Pong aus. Nervös knabbere ich auf meiner Unterlippe und blicke schließlich doch zu ihm auf. Unsere Blicke treffen sich einen Moment, aber ich kann seinen großen, braunen Augen keine Sekunde standhalten, also fixiere ich irgendeinen anderen Punkt in seinem Gesicht an. „Dass d-du mein Freund sein willst. A-also wirklich. U-ngh-d-dass du so viel Zeit mit mir verbringst, statt mit deinen anderen Freunden! Ich hatte grade echt Spaß!“ Wo der Anfang noch sehr holprig klang, platzt der Rest einfach so aus mir heraus und ich schäme mich fast ein bisschen dafür. Aber Clyde scheint das überhaupt nichts aus zu machen. Im Gegenteil sogar: Er lächelt mich einfach nur an, aber es scheint nicht so fröhlich zu sein, wie die Male davor. Irgendetwas scheint anders zu sein, beben seine Lippen dabei? Verlegen und verwirrt blicke ich unter mich, als ich auch schon erneut umarmt werde. Dieses Mal zucke ich auch nur leicht zusammen und blinzle ein wenig verlegen in Clydes Richtung, der sein Gesicht an meine Schulter presst.

„Nein, ich muss dir danken, Tweekers. Dass du überhaupt n-noch mein Froheund sein willst“, fängt er an in meine Schulter zu Nuscheln und ich habe fast schon Probleme ihn bei der Umgebungslautstärke noch zu verstehen, aber ich schaffe es halbwegs“ Nach dem…“ War das ein Schluchzen, das ich gerade vernehmen konnte? Weint er etwa wieder? Wegen mir? Was habe ich gesagt, das ihn wieder zum Weine gebracht hat?“ „Nach allem…“, fährt er fort und schnieft leise auf. Er weint ja tatsächlich! „Ich hab dihich einfach fahallen lassen. Es tut… tut mir so leid. Dabei waren wir doch Freunde!“ Seine Schultern beben und ich schlingt nun – fast schon reflexartig – ebenfalls, wenn auch vorsichtig, die Arme um ihn, um ihn etwas zu beruhigen. Aber ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, was er mir sagen will, worauf er das alles bezieht. Entschuldigt er sich etwa gerade, dass wir uns nach der Grundschule langsam entfremdet haben?

„Das…“, nuschle ich etwas unsicher und streiche ihm fast automatisch über den Rücken. „Sowas passiert“, fahre ich fort und senke den Blick etwas. „Ich b-bin einfach n-gh-nur f-froh, dass… dass du jetzt mein Freund sein möchtest.“ Ich reibe mir mit dem Handrücken über die Augen, die langsam auch wieder angefangen haben zu brennen. Ich möchte eigentlich nicht erneut anfangen zu weinen, so wie eben in der Küche, aber Clyde kann einen so mitreißen. Wenn er lacht, will ich auch lachen, wenn er weint, ist es so herzzerreißend, dass ich auch weinen will. Besonders, wenn er so etwas zu mir sagt.

Langsam spüre ich, wie meine Schulter, an der Clyde sein Gesicht versteckt hat, etwas feucht wird, aber es stört mich kein Bisschen. Er drückt mich noch etwas näher an sich und schnieft leise vor sich hin, während ich ihm weiter über den Rücken streiche. Auch ich muss ein,- zweimal schniefen.

 

Ich weiß nicht, wie lange wir so da gesessen haben und es ist mir ehrlich gesagt auch egal. Clyde meint es wirklich ernst mit unserer Freundschaft und das ist das einzige, was gerade wichtig ist. Denn ich hätte wirklich niemals gedacht, dass ich sowas nochmal erleben würde. Wie auch? Niemand wollte mit mir befreundet sein, weil ich so merkwürdig bin. Niemand wollte sich die Mühe machen mich nur ein bisschen näher kennen zu lernen. Aber Clyde hatte es vor, wollte ehrlich mein Freund sein. Wie würde ich ihm das jemals danken können? Wie würde ich das Craig jemals danken können, da er das ermöglicht hatte? Wobei er es doch auch gewesen war, der alle von mir ferngetrieben hatte mit seinen Sprüchen über mich. Aber er hatte sich die letzten Tage so sehr um mich bemüht…

 

Bevor ich weiter in meine Gedanken abdriften kann, löst Clyde sich von mir, was mich zu ihm aufblicken lässt. Seine Augen sind rot und verquollen, aber er bemüht sich um ein aufrichtiges Lächeln, während er sich mit dem Handrücken über die Wangen reibt. „Sorry, hab dein T-Shirt feucht gemacht“, sagt er mit leicht brüchiger Stimme gerade so laut, dass ich ihn verstehen kann, und räuspert sich deswegen sogleich.

„Sch-schon gut“, erwidere ich schüchtern lächelnd, zupfte etwas verlegen am Saum meines T-Shirts herum. Ich kann es eigentlich immer noch nicht so ganz fassen, dass Clyde wirklich mit mir befreundet sein möchte. Dass ich es wert bin sein Freund zu sein…

 

„Ach, hier steck ihr“, sagt plötzlich eine Stimme direkt neben uns, weswegen ich schrecklich zusammenzucke und einen Schreckenslaut von mir gebe. Clyde und Kevin, welcher der Täter war, sehen sich an und lachen. Nun ist es wohl an mir ein wenig zu schmollen, was ja normalerweise eher Clydes Aufgabe ist. Dennoch merke ich, wie sich meine Lippen zu einem leichten Lächeln verziehen.

 

„Hast du mich etwas vermisst?“, fragt Clyde, dessen Lippen sich nun zu einem sehr verschmitzten Lächeln verzogen haben. Dass er geweint hat, merkt man nun höchstens noch ein bisschen an seinen Augen, seine ganze Körpersprache scheint sich auf einmal verändert zu haben.

Ich merke, wie Kevin mich einen Moment mustert und zucke erneut ein wenig zusammen. „Und wenn?“, erwidert er, nachdem er sich wieder Clyde zugewandt hat, dessen Grinsen nun nur noch breiter geworden zu sein scheint.

„Dann würde ich fragen, wieso du nicht schon früher nach mir gesucht hast.“ Während er sprach hatte sich der Brünette erhoben und schmiegte sich nun leicht gegen die Brust des Schwarzhaarigen. Seine Stimme war zum Schluss hin nur noch ein Raunen, das mir einen merkwürdigen Schauer über den Rücken jagt. Irgendwie verlegen beobachte ich die beiden ungewollt, deren Nasen sich beinahe schon berühren, so nah sind sich ihre Gesichter auf einmal. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich gesagt, dass sie sich gleich küssen würden.

Ich merke, wie meine Wangen langsam immer heißer werden, und versuche wegzublicken, aber ich kann meinen Blick nicht davon abhalten zu den beiden hinüber zu huschen, weil ich wissen will, was da zwischen ihnen Sache ist.

 

Kevin räuspert sich leise und ich zucke leicht zusammen, blicke die beiden automatisch erschrocken an. Clyde hat sich derweil wieder etwas von ihm entfernt und blickt verlegen unter sich. Seine Wangen scheinen nicht minder rot zu sein als meine eigenen, was mich erneut stutzig werden lässt.

„Auf jeden Fall... wollte ich euch nur mitteilen, dass Token und Craig grade dabei sind die Party aufzulösen. Ist schon spät genug“, erklärt Kevin. Erst jetzt bemerke ich, dass die Musik nur noch leise im Hintergrund zu hören ist und nur noch hier und da ein paar Leute stehen und sich unterhielten oder rumknutschen. Ich hatte wirklich jedes Zeitgefühl verloren, seit ich hier war. Wie spät musste es wohl sein, dass sie die Party auflösten? Bestimmt weit nach Mitternacht. Dabei hatte es sich für mich überhaupt nicht so lange angefühlt…

 

Langsam erhebe auch ich mich vom Sofa. Ich hatte mir noch überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, wie ich um diese Uhrzeit nach Hause kommen sollte. Ich spüre die Monster draußen im Dunklen schon auf mich lauern…

Aber diesen Gedankengang kann ich erneut nicht zu Ende führen, denn ich höre Clyde nur durch die Nase aufschnauben und blicke zu ihm hinüber. Mit roten Wangen tauscht er erneut Blicke mit Kevin aus und mich überkommt das Gefühl, dass sie telepathisch miteinander kommunizieren können. Etwas unschlüssig stehe ich also daneben, weiß nicht, was ich sagen soll.

 

„Ich übernachte heute bei Kevin und er will los“, meint Clyde dann zu mir und ich blicke ihn einfach nur an, nicke. Es war ja nicht so, dass er meine Zustimmung braucht, um mich alleine zu lassen. Oder?

Darüber nachzudenken, was er mit dieser Aussage genau meint, brauche ich allerdings nicht, denn Clyde wirft sich einfach in meine Arme. Ich taumle durch den Schwung, den er hat, einen Schritt zurück, kann mich aber noch halten, und habe schon fast automatisch – um mich unter anderem auch vorm Umfallen zu bewahren – die Arme um den Rücken des Brünetten geschlungen. Natürlich passiert das alles nicht, ohne meine gewohnten Laute des Schreckens, denn, was springt dieser Kerl mich auch immer so überraschend an? Aber es macht mir mittlerweile nicht mehr ganz so viel aus wie noch vorhin, wo ich ihn am liebsten von mir gestoßen hätte.

„Ich hatte heute auch sehr viel Spaß, Tweekers“, sagt Clyde und ich höre ihn erneut schniefen. Aber bevor sich das wohl weiter vertiefen kann, löst er sich wieder etwas von mir und sieht mich an. „Wir schreiben, ja?“ Diese Worte verwirren mich, aber da Clyde mir erneut ein Sonnenscheinlächeln schenkt, kann ich nicht anders, als dieses zu erwidern. Auch wenn mein Lächeln sicherlich mehr als merkwürdig aussieht, im Gegensatz zu seinem.

Schnell drückt er mich noch einmal an sich, bevor er wieder zu Kevin hinüber geht und dessen Hand nimmt. „Wir sehen uns, Tweekers“, sagt er noch fröhlich winkend, woraufhin ich ebenfalls die Hand zum Abschied erhebe und den beiden einen Moment hinterher sehe. Ich kann es immer noch nicht so recht fassen, dass Clyde wirklich mein Freund sein möchte.

 

Unschlüssig stehe ich am Rande dieses großen, nun fast leeren Raumes. Ich bin versucht mir in der Küche einen Kaffee zu holen, um die steigende Nervosität darin zu ertränken. Aber Craig hatte mir ja Kaffee für heute verboten. Wobei… Hatte er mir den Kaffee vor oder nach Mitternacht verboten? Und was juckt es mich eigentlich? Er hat mich schließlich schon wieder allein gelassen. Gut, Clyde hatte mich irgendwann gefunden, aber das war eben nicht dasselbe? Schließlich hatte Craig mich doch hierher eingeladen. Und… ich verstehe es einfach immer noch nicht. Wie oft habe ich heute und die letzten Tage schon darüber nachgedacht, wieso Craig plötzlich so viel Interesse an meinem Wohlbefinden hat, wieso er mich in seine Clique aufgenommen hat, wieso er mich zu dieser Party mitgenommen hat. Ich kann es mir immer noch nicht erklären, nichts davon, und ich frage mich langsam, ob ich überhaupt jemals dazu kommen werde ihn danach zu fragen. Und würde er mir dann überhaupt antworten? Ich sehe schon seinen Mittelfinger in meinem Gesicht. Genauso wie vorhin, als ich in diesem unendlich lang wirkenden, dunklen Flur die Panikattacke hatte. Ich spüre schon seine warme Hand auf meinem Kopf, wie er mir sanft durchs Haar streicht…

 

Und nun stehe ich hier mit Herzrasen, das ich mir nicht erklären kann, und würde am liebsten einfach wegrennen, damit mich niemand in diesem furchtbar verwirrenden Zustand zu Gesicht bekommt. Aber ich weiß auch ganz genau, dass ich es draußen in der Dunkelheit keine zehn Meter weit schaffen würde. Es ist nicht so, dass ich den Weg nach Hause nicht kenne, nur war die Dunkelheit noch nie mein Freund… Und wer kann schon sagen, wie sich der Alkohol, der sich sicherlich immer noch in meinem Blut befindet, auf das alles auswirken würde? Ich will gar nicht daran denken…

 

Gehetzt geht mein Blick von einer Ecke des Raumes zur nächsten. Ich spüre, wie sich mein Atem mit jeder Sekunde weiter beschleunigt. Meinen Wangen brennen. Mein Körper bebt. Ich weiß nicht, was ich machen soll, ich würde am liebsten schreiend aus diesem furchtbar großen Raum flüchten, aber ich weiß nicht, wohin ich rennen sollte. Ich möchte auch nicht, dass irgendjemand auf mich Aufmerksam wird, da alle mit etwas Besserem beschäftigt sind und bis jetzt noch nicht bemerkt zu haben scheinen, was mit mir los ist.

Um ja keinen Laut von mir zu geben beiße ich mir auf die Unterlippe, fast schon zu fest.

 

„Alter, Tweek, chill‘ mal!“, sagt plötzlich eine Stimme neben mir und ich kann nicht anders als erneut aufzuschreien und einen Schritt zur Seite zu springen. Mussten diese ganzen Leute das immer mit mir machen?! Mich so erschrecken? Sahen sie denn nicht, dass es grade kein guter Zeitpunkt dafür war mich überhaupt anzusprechen?!

 

„Das ist nicht lustig!“, platzt es förmlich aus mir heraus, als ich mich wieder etwas gefasst habe und ein Schmunzeln auf den Lippen des Schuldigen ausmachen kann. Dessen blaue Augen scheinen mich daraufhin fast zu durchbohren und seine dunklen Augenbrauen heben sich in die Höhe, aber nur kurz. „Irgendwann sterbe ich noch an einem Herzinfarkt, wenn das so weiter geht!“, fahre ich dennoch weiter fort. „Und ich chille nicht! Ich chille nie! Ich weiß gar nicht, wie das geht! Also sag mir nicht, dass ich chillen soll!“

 

Craigs Augenbrauen heben sich erneut, aber auch darauf sagt er nichts. Dabei war ich wirklich nicht leise. Und ich frage mich, was da in mich gefahren ist… Normalerweise mache ich so etwas nicht. Aber mich überkam wegen des Grinsens auf seinen Lippen diese unglaubliche Wut. Er hatte mich schließlich wieder allen gelassen und dann erschreckt er mich so! Das…! WAS?!

 

Craig wendet sich nun einfach von mir ab und ich mich überkommt wieder eine Wutwelle, in der ich ihn am liebsten anschreien würde. Aber er bleibt neben mir stehen. Er hebt seine Faust und streckt jemandem seinen Mittelfinger entgegen. Zitternd blicke ich in diese Richtung und erblicke ein Pärchen, das zu uns hinüber starrt, als hätten wir wer weiß was verbrochen. „Verpisst euch, die Party ist zu Ende“, sagte Craig mit dieser tiefen, kalten Stimme, die mir sogleich einen schrecklichen Schauer über den Rücken jagt. Ich kann seinen Blick von hier nicht recht erkennen, aber ich vermute, dass er wieder so emotionslos dreinschaut, wie er es oftmals tut, wenn ihn etwas stört.

 

Mich überkommt das Gefühl, dass mir gleich dieser Blick gelten wird, und meine Beine fangen augenblicklich an stärker zu zittern. Möglich, dass es für Außenstehende keinen Unterschied macht, aber ich kann es deutlich wahrnehmen. Wie gerne würde ich nun wegrennen, aber meine Beine haben da ihre ganz eigenen Pläne.

 

Das Pärchen sagt noch irgendetwas, was ich nicht verstehen kann, weswegen sie von Craig erneut einen Stinkefinger kassieren. Mir ist es eigentlich recht egal, schließlich habe ich hier gerade meine ganz anderen Probleme. Und es war ja auch nicht so, dass Craig sich nicht auch prügelte, wenn ihm etwas nicht passte. Würde er mir jetzt eine reinhauen, weil ich so frech zu ihm gewesen war?!

 

„Clyde hat gesagt, du wärst hier“, sagt er allerdings in einem so ruhigen Ton, dass es mir erneut einen Schauer über den Rücken jagt. Unsere Blicke treffen sich einen Moment, aber ich kann ihm immer noch nicht standhalten und blicke an ihm vorbei, auf den Boden, durch den Raum… Ich kann mich nicht entscheiden, welchen Punkt ich fixieren soll.

„Hey!“, kommt es etwas ermahnend von Craig, weswegen ich leicht zusammenzucke und ihn erneut anblicke. „Du musst damit aufhören dir selbst immer so viel Panik zu machen.“ Er schiebt die Hände in die Hosentaschen und ich beiße mir leicht auf die Unterlippe, unschlüssig, was ich darauf erwidern soll.

 

„E-entschuldigung“, nuschelte ich leicht irritiert über seine Aussage, blicke zu Boden. Ja ein wirklich interessanter Boden. Holz-Parkett. Sieht sehr edel aus. Nur die roten Plastikbecker, die hier überall herumliegen, werfen ein nicht mehr ganz so hübsches Bild auf den Boden. Hier und da liegen auch ein paar Chipstüten, auch wenn wir die vor der Party eigentlich soweit alle in der Küche aufgemacht hatten. Ich frage mich, ob Token das alles allein sauber macht, da Clyde und Kevin ja bereits gegangen waren und nichts in der Hinsicht erwähnt hatten. Oder kamen morgen alle wieder, um ihm beim Aufräumen zu helfen? Mich hatte vorhin niemand über so etwas informiert, aber es wäre schon irgendwo gut das zu wissen?

 

Ich kaue weiter auf meiner Unterlippe herum, merke dabei gar nicht, dass sich meine Hand wie automatisch Richtung meiner Haare bewegt hat. Es ist einfach eine Art Reflex geworden mir auch an den Haaren zu ziehen, wenn ich nachdenke. Irgendwie kann ich mich dann besser konzentrieren. Aber meine Hand schafft es nicht mal in die Nähe meiner Haare.

 

Verwirrt hebe ich den Blick, als ich spüre, dass Craig mein Handgelenk festhält. Ich hatte es nicht mal bis auf Schulterhöher geschafft, als er die Bewegung meines Arms gestoppt hat. Ein sanftes Kribbeln durchzuckt meinen ganzen Körper augenblicklich, ausgehend von der Stelle, an der seine warme Hand meine Haut berührt. Er greift nicht einmal fest zu, er hält meinen Arm einfach nur fest. Und ich verspüre komischerweise nicht einmal das Bedürfnis ihn ihm zu entreißen. Also stehen wir so nun einfach da, sehen uns schweigend an, da ich nicht weiß, was ich sagen soll und er anscheinend auch nichts zu sagen hat.

 

Nach einer fast schon unendlich wirkenden Weile lässt er jedoch langsam von meinem Arm ab und mich durchzuckt augenblicklich ein kalter Schauer, so als wäre jemand im tiefsten Winter zur Tür herein gekommen. Ich spüre, wie sich die Härchen auf meinen Armen aufstellen und versuche mir diese ganz unauffällig zu reiben, um die Gänsehaut zu bekämpfen. Ich frage mich, ob ich vielleicht krank werde und Fieber kriege, da es heute nicht das erste Mal ist, dass ich mich so komisch abgekühlt fühle.

 

„Ich würd‘ jetzt fahren“, sagt Craig und deutet mit dem Daumen auf den Eingang. Ich wende den Blick kurz in diese Richtung und nicke dann, frage mich jedoch, wieso er mir Bescheid gibt. Er hätte ja auch einfach fahren können, niemand hier brauchte meine Erlaubnis, um zu gehen. Weder Clyde noch Craig…

Ich hatte damit gerechnet, dass er sich nun vielleicht verabschiedet und geht. Aber er bleibt einfach dort stehen und sieht mich an. Etwas verwirrt deswegen blicke ich zu ihm hinauf.

„Willst du die ganze Nacht hier stehen bleiben oder kommst du mit?“, fragt er irritierender Weise und erst jetzt macht es wirklich Klick in meinem Kopf: Er hatte mich hierher mitgenommen und jetzt wollte er mich wieder Heim fahren.

Ich spüre förmlich, wie mir die Peinlichkeit dieses Moments in die Wangen und Ohren steigt und sie sicherlich hochrot werden lässt. „J-ja“, bringt ich irgendwie heraus. Dass dies als Antwort auf beide seiner Fragen hätte gelten können, ist mir in diesem Moment eher weniger bewusst. Natürlich wollte ich mit ihm nach Hause fahren.

 

Also zu mir!

Dass er mich Heim fährt!!

Argh!!!

 

Meine Wangen werden bei diesem Gedanken sicherlich gleich noch etwas roter, aber Craig scheint dies gar nicht zu bemerken, jedenfalls macht er sich nicht wie sonst immer darüber lustig. Oder eher, wie in der Schule so oft, denn in den letzten Tagen hatte er sich eigentlich nie über mich lustig gemacht. Er hatte mich einfach behandelt wie… nun, wie einen normalen Menschen eben. Ab und an vielleicht sogar auch wie einen Freund. Aber das waren wir nicht. Oder? Wir waren keine richtigen Freunde, dafür stand viel zu viel zwischen uns und nicht nur die dummen Sprüche, die er immer in der Schule losgelassen hatte. Es gibt so viel, was ich ihn fragen wollte, was ich ihm sagen sollte, aber ich konnte nichts davon. Wenn man nicht wirklich miteinander redete, konnte man dann befreundet sein? Ich will mit ihm befreundet sein, wirklich, aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Ob ich es aushalten würde, wenn er nur jetzt nett zu mir ist und in der Schule wieder wie immer. Wie soll ich mich verhalten? Was soll ich sagen? Wie soll ich es sagen?

 

„Also war das Ja jetzt fürs Stehenbleiben oder was?“, höre ich Craigs Stimme zu mir herüberrufen und ich schrecke leicht aus meinen Gedanken. Ich hatte nicht bemerkt, dass er sich längst in Bewegung gesetzt hatte und nun bereits in der Nähe der Tür steht. Natürlich war das Ja nicht auf das Stehenbleiben bezogen!

So schnell es geht überzeuge ich meine immer noch recht zittrigen Beine davon sich hinüber zu Craig zu bewegen. Dieser setzt sich, als ich seine Nähe erreicht habe, wieder in Bewegung und ich folge ihm nach draußen, wo sogleich taghelles Licht den gesamten Weg erhellt, als wir aus der Tür treten. Ein Glück.

 

Zögerlich folge ich Craig den Weg entlang zu seinem Auto, jedoch nicht, ohne immer wieder zu den dunklen Gebüschen hinüber zu schielen. Man weiß ja nie, ob sich nicht doch irgendein Monster oder Vergewaltiger dort versteckt und einen anspringt, wenn man nicht damit rechnet.

 

Umso erleichterter bin ich, als wir das rote Auto erreichen und ich Craigs Schlüssel im Schloss klacken höre. Schnell reiße ich die Beifahrertür auf und springe, schon fast wieder etwas panisch, hinein, schlage die Tür eilends hinter mir zu. Craigs Tür fällt einige Sekunden nach mit ins Schloss und ich spüre bereits seinen Blick auf mir, bevor ich ihn sehe. Seine Augenbraue ist wieder erhoben und ich meine etwas Fragendes in seiner Mimik herauslesen zu können. Aber da er sich nach einem Moment der Stille wieder abwendet, um sich anzuschnallen und den Motor zu starten, könnte ich es mir auch eingebildet haben.

 

Ich ziehe einmal tief Luft durch meine Nase in meine Lunge, um mich zu beruhigen. Craig hatte eben schon Recht mit seiner Aussage, dass ich mir viel zu oft selbst Panik mache. Aber was soll ich denn dagegen machen? Meistens merke ich nicht einmal, dass ich mich selbst in Panik versetze…

 

Als Craig losfährt, zucke ich leicht zusammen und erinnere mich daran, dass ich mich noch anschnallen muss. Aber wie das immer so ist, wenn man es eilig mit dem Gurt hat, will er nicht so, wie man es möchte. Ich ziehe und zerre eine Weile daran, seufzte dann jedoch auf und versuche es etwas langsamer angehen zu lassen. Schließlich klappt es und die Schnalle rastet mit einem leisen Klack ein. Geht es eigentlich noch peinlicher?

 

Ich möchte gar nicht wissen, ob Craig das alles bemerkt hat, was wahrscheinlich der Fall gewesen sein wird, weswegen ich mich leicht im Sitz nach unten rutschen lasse und den Blick einfach stur aus dem Fenster richte. Um diese Uhrzeit sind nicht viele Menschen auf der Straße, die meisten, die es sind, werden wohl auf der Party gewesen sein. South Park ist zu solcher Stunde eher die ruhige Kleinstadt, weswegen viele wohl hierher gezogen waren. Anders ging es hier schon am Tag zu, aber das sahen anscheinend viele nicht oder wollten es nicht sehen.

 

Die Straßenlaternen sind ebenfalls bereits in den Nebenstraßen ausgeschaltet, also muss es schon recht spät sein. Mir darüber Gedanken zu machen, wie viel Schlaf ich in dieser Nacht bekommen würde, brauche ich eigentlich nicht, da es meistens nicht wirklich viel war. Aber meine Eltern würden mich auch nicht wecken kommen, wenn ich bis nachmittags noch im Bett liegen würde. Heute war Sonntag, da musste ich nicht unbedingt im Café helfen, da es nur vormittags ein paar Stunden geöffnet hat.

 

Craig hat davon abgesehen das Radio anzuschalten und so herrscht diese erdrückende Stille im Auto. Nun ja, wenn man von meinen üblichen Ticks und den Geräuschen des Autos einmal absieht.

Es ist wirklich mehr als erdrückend. Craig war noch nie ein großer Redner, aber mir wäre grade alles lieber, als diese fürchterliche Stille. Aber sollte ich irgendetwas sagen? Ich hätte so viel zu sagen, aber nachher endet es wieder in einem solchen Ausbruch wie vorhin, als ich ihn einfach angeschrieben habe. Mehrfach. Dieser Kerl löst einfach so unendlich viel in mir aus, dass ich gar nicht mehr weiß, wie ich es überhaupt bis hierher geschafft habe ohne durchzudrehen. Okay, ohne nicht krass durchzudrehen…

 

„I-ich hatte heute wirklich Spaß“, höre ich dann plötzlich eine Stimme sagen, die verdächtig nach meiner klingt. Oh Gott, habe ich das grade wirklich gesagt? Ganz ernsthaft?

Aber es stimmt! Ja, ich hatte heute wirklich Spaß, auch wenn es hier und da ein paar Tiefs gab. Aber alles in allem war die Party wirklich schön gewesen. Ich hatte noch nie so lange Zeit mit Leuten verbracht, die das anscheinend auch wollten, und ich hatte mich sicherlich schon ewig nicht mehr so lange mit jemandem unterhalten, wenn es nicht gerade um die Schule hing. Nicht mal mit meinen Eltern rede ich so viel wie ich heute Abend geredet hatte.

 

Ich merke, dass Craig einen Moment schweigend zu mir herüber blickt, aber mehr auch nicht wirklich, da es so dunkel ist. Einzig, dass sich sein Kopf kurz gedreht hatte, legt mir diese Vermutung nahe. Ich beiße mir leicht auf die Unterlippe, da seine Silhouette einfach auch furchtbar gut aussieht. Und ich frage mich, wieso ich bitte an so etwas denken muss?!

Leise über mich selbst seufzend senke ich den Blick und starre auf meine Hände, die sich in meinem Schoß miteinander verkrampft haben. Gut, dass es so dunkle ist, so würde Craig meine roten Wangen nicht bemerken können…

 

Sollte es mir zu denken geben, dass er auf meine Worte nichts zu erwidern hat? Nicht einmal ein „Schön“ oder „Freut mich“. Von mir aus in diesem sarkastischen Tonfall, den er so gerne nutzt. Aber er sagt einfach gar nichts. Also musste es ihm wohl egal sein.

Ich spüre, wie meine Wangen anfangen heißer zu werden, meine Augen anfangen zu brennen. Super. Jetzt musste ich auch noch anfangen zu heulen. Noch peinlicher ging es dann aber wirklich nicht mehr…

 

„Das war keine einmalige Sache.“ Ich schrecke leicht auf, als Craigs Stimme so unverhofft ertönt, und sehe zu ihm hinüber. Was meint er? Ich will etwas erwidern, aber ich merke, dass sich bereits ein Kloß in meinem Hals gebildet hat, weswegen ich mich versuche leise zu räuspern, wenn so etwas überhaupt möglich ist.

„Wa-was?“, bringe ich schließlich mit nur noch leicht brüchiger Stimme heraus, beiße mir leicht auf die Unterlippe. Hatte er vielleicht doch nur überlegt, was er darauf antworten sollte und war es ihm nicht egal, dass ich Spaß auf der Party hatte? Schon allein der Gedanken daran lässt mein Herz sofort wieder schneller schlagen.

„Die Party“, fährt er daraufhin fort und blickt erneut kurz zu mir hinüber. „Du gehörst jetzt zu unserer Clique.“

Okay. Stopp. Mein Herz scheint sich gar nicht mehr beruhigen zu wollen, nachdem er das gesagt hat. Hatte er es überhaupt gesagt oder hatte ich es mir nur eingebildet? Das kam schon ab und an vor und ich kann sowieso manchmal schlecht zwischen Realität und Vorstellung unterscheiden.

 

Ich muss einen Moment heftig blinzeln, als plötzlich einfach das Licht angeht. Dass ich Craig vorher anscheinend ziemlich angestarrt hatte, fällt mir auch erst jetzt auf. Schnell wische ich mir die Tränen aus den Augen, was hoffentlich so aussieht, als würde ich sie mir wegen der Helligkeit reiben. Meine Wangen glühen dennoch weiter vor sich hin, ebenso wie mein Herz weiter rast.

 

Wieso geht überhaupt das Licht an, während wir fahren?

Irritiert blicke ich mich kurz um und muss leider feststellen, dass wir bereits angehalten hatten. Wann war das denn passiert? Wieso hatte ich das nicht bemerkt? Ein Blick hinüber zu Craig verrät mir auch, wieso das Licht angegangen war: Er hatte den Motor ausgestellt und den Schlüssel gezogen, an dessen Schlüsselanhänger er nun irgendwie interessiert herumnestelt.

 

„D-danke fürs Heim bringe-ngh“, nuschle ich verlegen über meine eigene eingeschränkte Wahrnehmung und löse den Gurt mit einem leisen Klicken. Ich traue mich gar nicht mehr zu Craig hinüber zu sehen aus Angst, er könne vielleicht irgendwie mitbekommen, was gerade mit mir los ist. Aber ich weiß es ja nicht einmal selbst!

 

Craig blickt einmal kurz zu mir hinüber und nickt stumm als Antwort. Etwas anderes hätte man auch von ihm nicht erwarten brauchen.

Ich beiße mir kurz auf die Lippe, während ich darüber nachdenke, wie ich mich von ihm verabschieden soll. Langsam öffne ich die Tür, um auszusteigen, blicke selbst noch einmal zu Craig hinüber. „U-hm. G-gute Nacht“, nuschle ich etwas verlegen, steige wahrscheinlich viel zu fluchtartig aus und schmeiße die Tür mit einem lauten Knall zu. Ich weiß nicht einmal, ob Craig darauf noch etwas erwidert hat, aber ich werde nun ganz sicher nicht mehr zu ihm hinein blicken, wo meine Beine sich gerade noch irgendwie bewegen, auch wenn sie sich schon wieder wie Wackelpudding anfühlen.

 

Hastig gehe ich den Weg zu unserem Haus entlang, der automatisch, als ich das Grundstück betrete, von einem kleine Schweinwerfer, der neben unserer Eingangstür angebracht ist, erhellt wird. Irgendwie schaffe ich es meine Schlüssel aus der Hosentasche zu fummeln, während ich gehe, aber meine Hand zittert so sehr, dass ich den Haustürschlüssel nicht ins Schloss bekomme, als ich an der Tür ankomme.

 

Es vergeht sicherlich eine Minute, in der ich es nicht schaffe den Schlüssel ins Schloss zu schieben und die Tür somit zu öffnen. Wäre es nicht so spät, hätte ich nun geklingelt, aber meine Eltern schlafen sicherlich bereits tief und fest. Ich möchte sie ungern wecken, nur weil ich nicht zur Tür herein kommen kann. Aber da ich gerade auch wieder etwas zu nervös bin, hilft es vielleicht einfach eine Weile zu warten, bis ich mich wieder ein weinig beruhigt habe. Normalerweise schaffe ich es ja auch die Tür aufzuschließen…

 

„Kann man dir irgendwie helfen?“

 

Fast wie ein Messer durchschneidet dieser einfache Satz die Totenstille, die zu dieser Uhrzeit in South Park herrscht. Schriller als manches Mädchen ist der Aufschrei, den ich vor Schreck von mir gebe, als ich herumfahre und mich mit heftig klopfendem Herzen mit dem Rücken gegen die Haustür drücke. Voller Panik ist der Blick, der den Schwarzhaarigen trifft, welcher kurz vor der kleinen Treppe, die zu unserer Haustür führt, auf dem Weg steht und zu mir hinauf blickt.

 

WAS DACHTE SICH DIESER KERL EIGENTLICH?!

 

Mein Atem geht schnell, während mein Herz in meiner Brust rast als hätte ich gerade einen Marathon hinter mich gebracht. Craig steht schweigend am Fuße dieser Treppe und sieht zu mir auf, lässig wie immer mit den Händen in den Hosentaschen. Es sieht nicht mal danach aus, als täte es ihm sonderlich leid, dass er mich gerade zu Tode erschreckt hat! Dieser Arsch!

 

Ich öffne den Mund, um ihm an den Kopf zu werfen, dass ich ihm doch eben erst gesagt hatte, er solle mich nicht so erschrecken, aber da setzt er sich auch schon in Bewegung. Ich schließe den Mund wieder und beobachte ihn dabei, wie er hinüber zur Wiese geht und sich bückt, um etwas aufzuheben. Ich drücke meinen Rücken noch etwas mehr gegen unsere Haustür, in der Erwartung, dass er gleich einen Stein nach mir wirft.

 

Langsam richtet er sich wieder auf und der karge Schein der Lampe wirft einen unwahrscheinlich attraktiven Schatten über seinen gesamten Körper, als er das tut.

 

WAS DENKE ICH DA NUR WIEDER?!

 

Craig kommt die paar Schritte wieder hinüber zur Tür und betritt die erste Stufe der Treppe. Meine Beine zittern so stark, dass ich das Gefühl habe, sie könnten mich bald nicht mehr tragen. Aber ich kann auch nicht anders, als mich weiter gegen die Tür zu drücken und ihm dabei zuzusehen, wie er immer näher kommt. Langsam hebt sich seine rechte Hand, gleich habe ich sicher wieder seinen Finger im Gesicht! Kalter Schweiß tritt mir auf die Stirn, ich weiß nicht einmal warum ich solch eine… Angst habe. Ist es überhaupt Angst, was ich spüre?

 

Das leise Klacken, das der Schlüssel von sich gibt, als er ins Schloss gesteckt wird, holt mich jedoch wieder etwas in die Realität zurück und ich blicke kurz hinüber zu diesem. Hatte ich etwa…? Ja, ich musste den Schlüssel aus Schreck von mir geworfen haben, als Craig mich angesprochen hatte. Und nun hatte er das, was ich zuvor nicht geschafft hatte, möglich gemacht: Den Schlüssel ins Schloss zu stecken.

 

„Du solltest echt weniger Kaffee trinken“, sagt er und mein Blick zuckt blitzschnell wieder zu ihm. Kam es mir nur so vor oder war er in dieser kurzen Zeit noch näher gekommen?

Tatsache, er stand nun auf der Stufe unter meiner und war dennoch noch ein Stück größer als ich. Ich drücke mich aus Reflex noch ein bisschen enger an die Tür, auch wenn das wahrscheinlich eher unmöglich ist.

Ich höre das Schloss einmal klacken, als Craig den Schlüssel dreht.

 

„I-ich denke nicht“, nuschle ich etwas verunsichert als Antwort. Er ist mir so nahe, dass mir erneut sein Geruch in die Nase steigt. Das Parfüm, das er aufgetragen hatte, ist fast verflogen und es ist nicht schade drum. Es war zwar nicht schlecht, aber sein Geruch ist einfach so viel angenehmer ohne es.

 

Das Schloss klackt erneut.

Wieso ist er mir nur so nahe? Mein Herz rast in meiner Brust und bald ist es sicherlich soweit, dass es tatsächlich aus meinem Körper springt und direkt in seinen hineinfliegt. Wenn es lieber in seiner Brust schlagen wollte, bitte. Es ist langsam einfach nur noch anstrengend, dass es die ganze Zeit so krass beschleunigt, wenn er in meiner Nähe ist. Und danach fühle ich mich immer so ausgelaugt, als hätte ich Schwerstarbeit geleistet.

 

WO WAR MEIN KAFFEE, WENN ICH IHN BRAUCHE?!

 

Craigs Stimme ist nur ein Flüstern, als er erneut etwas sagt, aber das Blut rauscht mir so sehr in den Ohren, dass ich es nicht verstehen kann. Einzig seinen Atem spüre ich auf meiner Haut. Ich kann meinen Blick nicht abwenden, nicht von diesen blauen Augen, die durch das spärliche Licht nur noch dunkler, fast wie die Tiefen eines Ozeans, wirken. Unsere Nasen sind sich so nahe, dass sie sich fast berühren konnten, fast so wie vorhin bei Kevin und Clyde. Wollte er mich etwa küssen? Wieso war er mir nur so unglaublich nahe?

 

Wenn ich mich nun vorbeugen würde, könnte ich es. Ihn küssen. Es wäre nur eine leichte Bewegung, ich müsste mich nur von der Tür abstoßen. Wir waren fast auf Augenhöhe, wo ich doch eine Stufe über ihm stand. Aber wollte ich das?

 

Tu es einfach, sagt plötzlich eine Stimme in meinem Kopf. Was hast du schon zu verlieren?

 

Ja, was hatte ich zu verlieren? Momentan eigentlich nicht wirklich viel.

Craigs Freundschaft, wenn man das denn so nenne mochte. Aber wollte ich wirklich mit ihm befreundet sein? Wollte ich ihn nicht gerade küssen?

Clydes Freundschaft. Ja, wir kannten uns nicht mehr wirklich, aber er hatte sich heute so Mühe gegeben und mich davon überzeugt, dass er ernsthaft mein Freund sein wollte. Aber er war auch Craigs bester Freund und würde sicherlich auf seiner Seite stehen.

Die Zugehörigkeit in der Clique, die ich nie gewollt hatte. Aber zugegebenermaßen ist es ein sehr gutes Gefühl mal Teil von etwas zu sein.

 

Aber ändert sich für mich wirklich irgendetwas, wenn ich Craig nun küssen würde? Im Endeffekt stünde ich wieder allein da, aber das war nichts, was ich nicht schon kannte. Craig würde wieder anfangen mich wie immer zu behandeln, vielleicht würde er sich darüber lustig machen, dass ich ihn geküsst hatte. Aber das war auch nicht schlimmer als die ganzen Sprüche, die er mir sonst manchmal so reingedrückt hatte.

Nein, jetzt habe ich noch nichts zu verlieren. Nicht, wenn ich mich noch nicht an diese ganzen neuen Umstände zu sehr gewöhnt habe. Besser jetzt, als in einem Monat. Oder auch nie.

Wie sehr wollte ich diesem schrecklichen Kerl diesen Kuss stehlen, einfach, damit dieses Herzrasen, diese ganze Nervosität vielleicht aufhört. Es war ja nur ein Kuss!

 

Leise ziehe ich etwas Luft durch meine Nase in meine Lunge ein, hoffe damit auch genug Mut einsaugen zu können.

Es klackt erneut.

Ich will mich gerade von der Tür abstoßen, komme aber gar nicht soweit, denn aus irgendeinem Grund verliere ich den sicheren Halt der Tür in meinem Rücken und ich kippe nach hinten. Ich schaffe es nicht einmal einen erschrockenen Aufschrei von mir zu geben, spüre schon den Aufprall auf dem Boden unter mir.

 

Doch auf einmal ist da eine starke Hand, die nach meinem Arm greift und mich zurück auf die Beine zieht, noch bevor der Boden überhaupt in Reichweite ist. Erschrocken klammere ich mich an das nächstbeste, was ich zu fassen kriege. Zufällig ist es Craigs T-Shirts, den ich erschrocken anblicke. Was ist gerade passiert?!

 

Schnell lasse ich von seinem Shirt ab, als ich es bemerke, klammere meine Hände an den Saum meines eigenen. Mein Herz rast erneut so schnell, dass ich kaum mit dem Atmen hinterher komme.

 

„Sei etwas vorsichtiger“, wirft Craig nun einfach ein, hält mir den Schlüssel vor die Nase. Verwirrt blicke ich ihn einen Moment an, bevor ich ihn mit zitternden Fingern an mich nehme, unfähig irgendetwas zu erwidern.

„Gute Nacht, Tweek.“ Er hatte sich bereits ein paar Schritte von der Treppe entfernt, als er dies sagt. Unschlüssig stehe ich auf der obersten Stufe unserer Treppe vor unserer nun offenen Haustür und blicke ihm nach, wie er hinüber zu seinem Auto geht. Was war das gerade? Was ist passiert?

 

Das rote Auto ist schon eine Weile weg, als ich es endlich schaffe meinen Blick von der Stelle abzuwenden, wo es eben noch gestanden hatte. Bevor mich irgendwelche Panik überkommen kann, da in der Zwischenzeit auch unsere Außenbeleuchtung ausgegangen ist, taste ich im Inneren neben der Tür nach dem Lichtschalter und stürze förmlich hinein, drücke die Tür hinter mir ins Schloss.

 

Ich kann immer noch nicht glauben, was da eben passiert ist, fast passiert wäre. Meine Beine zittern so stark, aber ich schaffe es dennoch irgendwie in mein Zimmer. Dort falle ich einfach in mein gemachtes Bett und bleibe mit dem Gesicht nach unten liegen, reglos. Es dauert eine Weile, aber dann umklammere ich mein Kissen, drücke es gegen mein Gesicht, schreie so laut hinein, wie ich nur kann, egal, ob ich damit meine Eltern wecke oder nicht. Sie waren es ja eigentlich gewohnt, dass ich nachts ab und an schreiend aufwache.

 

Was sind das nur für Gefühle, die meinen Körper zu übernehmen drohen? Ich fühle mich, als würde ich platzen! Mein Herz hämmert immer noch so heftig gegen meine Brust, meine Wangen glühen, mein Bauch kribbelt, mein Kopf schmerzt. Was soll das? Und wieso hätte ich um ein Haar Craig Tucker geküsst?! Bin ich dumm? Es ist Craig Tucker! Als wenn da nur der Hauch einer Chance besteht, dass genauso empfindet, wie ich.

 

Aber wie empfinde ich denn überhaupt? Dieser Kerl macht mich irgendwann nochmal wahnsinnig mit seinen blauen Augen, seinem Geruch, seinem Lächeln, seiner manchmal unverhofft netten Art mir gegenüber. Was soll das bitte alles?! Vor gerade mal einer Woche ist noch alles normal gewesen, hätte ich mir nicht mal träumen lassen, dass es mir in Craig Tuckers Nähe mal nur im Entferntesten so gehen würde, wie es mir jetzt gerade geht.

Ich habe ihn gehasst. Seine ganzen Sprüche, die Blicke, die er mir zugeworfen hat, wenn ich wieder einen meiner Ticks hatte. Er hatte mich gehasst! Davon bin ich immer ausgegangen. Aber was wenn nicht?

Nein, er ist gemein zu mir gewesen, ganz klar, da gab es nichts anderes hinein zu interpretieren. Aber wieso jetzt nicht mehr. Nur, weil ich fast ertrunken wäre? Was hatte das geändert? Außer dass mein Körper seitdem total heftig auf alles reagiert, was dieser Kerl macht. Muss ich das verstehen?

 

Nein!

 

„Gute Nacht, Tweek.“, hatte er gesagt. Schon allein die Tatsache, wie er meine Namen ausgesprochen hat, bereitet mir erneut so krasses Herzklopfen. Ich drücke mein Gesicht weiter in mein Kissen, schnaube leicht auf.

 

Vielleicht muss ich einfach langsam einsehen, dass ich mich furchtbar in Craig Tucker verknallt habe.

Auch wenn ich keine Ahnung habe, wieso.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Nox-
2019-01-20T13:53:07+00:00 20.01.2019 14:53
Endlich habe ich wieder einmal Zeit gefunden in deiner FF zu lesen. Dazu muss ich sagen dass ich alles noch einmal von vorne gelesen habe um wieder richtig hinein zu kommen.

Und ich bin immer noch unendlich begeistert. Ich kann leider kein neues Lob formulieren, nur wiederholen was ich damals schon sagte (ich glaube es war 2011...?)

Dein Schreibstil ist einfach nur wundervoll. Man merkt das du dir Gedanken machst. Die Charaktere sind wundervoll geschrieben, die verschiedenen Szenen supertoll ausgebaut. Und als Craig x Tweek Fan ist es sowieso noch einmal ein großer Bonus so viel schöne, traurige, mitreißende Sachen zu lesen <3
Antwort von: Niche
26.01.2019 17:17
Freut mich, dass es dir (immer noch) gefällt :3
Und da muss wohl was dran sein, dass mein Schreibstil ganz gut ist, das haben jetzt schon einige gesagt /D Haha das macht mich etwas verlegen.
Aber es macht mich auch etwas traurig, dass ich schon wieder über ein Jahr nicht weiter geschrieben hab >< (nachdem ich nach 6 Jahren dann mal wieder 2 Kapitel geschrieben hatte.... xD") Aber ich liebe die Story immer noch und ich weiß auch schon wo ich hin will, nur die kleine Blockade zu überwinden ist echt schwer qq
Aber da muntern mich so viele Kommentare wie deins sehr auf x3


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