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Eien 永遠

Der Samurai und der Fremde
von

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Déjà-vu

17. Kapitel: Déjà-vu
 

[Erinnerungen an Dich

schimmern zart in mir ...

Führen mich zu Dir zurück]
 

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Skeptisch blickte Hyde in den großen Wandspiegel, während ihm das blonde Haar strähnig zurechtgestylt wurde. Dickes Make-up verdeckte die dunklen Ringe unter seinen Augen, die von seiner schlaflosen Nacht zeugten.

Seltsame Gedanken, von denen er nicht abgekommen war, hatten ihn stundenlang wachliegen lassen. Und immer wieder hatte er sich gefragt, warum es ihn so beschäftigte.

Warum konnte er sich nicht damit abfinden, dass er es sich diese Dinge nur eingebildet hatte? Warum war er auf den Weg ins Studio in dieses Musikgeschäft gegangen und hatte nach CDs von diesem Gackt gefragt? Und warum war es wieder so ein Schock für ihn gewesen, als er auf seine Bitte hin seltsam angestarrt worden war?

Diese Person existierte nicht. Es hatte nie einen Gackt gegeben.

Wahrscheinlich war es nur ein Traum gewesen, eine Einbildung.

Vielleicht hatte er vor zwei Tagen auf dieser Geburtstagsparty auch einfach nur zu viel Wein getrunken. Es gab so viele Erklärungen dafür. Auch für sein merkwürdiges Befinden seit dem gestrigen Abend. Und doch konnte er sich mit keiner zufrieden geben. Warum nicht?

„Das ist doch total verrückt“, murmelte Hyde leise, als die Stylistin den Kamm zur Seite legte.

„Bitte?“, fragte sie unsicher, da sie glaubte, es wäre auf ihr Werk bezogen.

„Nichts. Schon gut.“ Er schüttelte den Kopf und fasste sich an die Stirn.

Vielleicht sollte er sich endlich auf seine Arbeit konzentrieren. Es konnte doch nicht sein, dass ihn diese Sache so fertig machte.

Es hatte doch nichts mit ihm zu tun. Alles war doch in bester Ordnung. Er war hier, um seinen ersten Werbespot als Solokünstler zu drehen. In wenigen Monaten würde er seine erste Solosingle veröffentlichen. Es war eine wichtige Zeit in seinem Leben. Er durfte sich von solchen Hirngespinsten nicht beirren lassen.
 

„Guten morgen, Hyde-san.“ Eine tiefe Stimme zog den Blonden aus seinen Gedanken. Ein fülliger kleiner Mann, der sich Luft mit einem Fächer zuwedelte, trat in den Raum und verbeugte sich knapp, während drei andere Männer mehrere Schachteln hereintrugen und sie auf die Tische gegenüber der großen Spiegel abstellten.

„Ich bin Tayama und bringe Ihnen den Kimono.“ Nickend stand Hyde auf und verbeugte sich ebenso höflich. Sein Manager hatte ihm von diesem Tayama und seinem Kimono erzählt. Er wäre wohl ein Exzentriker in Bezug auf diesen Kimono. Seine erst kürzlich entdeckte Manie, die er dem berühmten Sänger unbedingt vorstellen wollte. Glücklicherweise passte der Kimono genau in das Konzept ihres Werbespots.

Argwöhnisch starrte Hyde den kleinen Mann an, während sofort die Schachteln geöffnet und Kimono sowie Obi vorsichtig herausgenommen wurden.

Das breite Grinsen um Tayamas Lippen, als dieser mit seinem Kollegen tuschelte, ließ Hyde skeptisch schmunzeln, bevor er einen Blick auf das kostbare Gewand, welches ihm gereicht wurde, warf. Es war ein Kimono aus feinem blau-braunen Wollstoff. Ahornblätter zierten den Saum und linken Ärmel. Obwohl er schlicht gehalten war, strahlte er eine erhabene Eleganz aus.

Wortlos streifte sich der Blonde den grauen Bademantel ab und ließ sich den Kimono anlegen.

Ein seltsames Gefühl durchströmte ihn sofort, als er den weichen Wollstoff auf seiner Haut spürte.

Es kam ihm bekannt vor. Der Geruch, der schwere Stoff. Es war wie ein Déjà-vu, nur sehr viel intensiver.

„Wie alt ist dieser Kimono?“, wollte Hyde wissen. Sein plötzliches Interesse konnte er sich selbst nicht erklären.

„ ... Etwa 420 Jahre“, antwortete Tayama nach ein paar Sekunden, in denen er wohl überlegt hatte.

„Er stammt circa aus dem Jahre 1573.“

Hyde nickte nachdenklich, während er das grazile Muster, welches sich in den Ärmel streute, näher betrachtete. Die feinen gestickten Linien der feuerroten Ahornblätter wirkten so lebendig, dass er das Gefühl hatte, sie würden vor seinen Augen tanzen. Als würden sie ihm etwas sagen wollen. Etwas, was er vergessen hatte.

Hyde runzelte die Stirn, als ihm dieser Gedanke gekommen war.

Der Kimono hatte ihn so sehr in seinen Bann gezogen, dass er schon wieder anfing, an sich selbst zu zweifeln.

Er schüttelte kurz den Kopf, um diesen Funken in seinem Kopf zu löschen. Er war hier, um zu arbeiten, und nicht, um sich von merkwürdigen Gefühlen überrumpeln zu lassen.

„Man spürt regelrecht, wie alt und kostbar er ist“, flüsterte der Blonde, um wieder zurück zum Thema zu finden. Mittlerweile war er mit Tayama allein. Nur noch wenige Minuten, bis der Dreh beginnen würde.

„Schon allein seine Geschichte ist unbezahlbar“, sagte Tayama, nachdem er sich auf einen der Stühle vor den Fenstern niedergelassen hatte und nickte.

„Geschichte?“, hakte Hyde interessiert nach, obwohl sein plötzlicher Wissensdrang von undefinierbarem Ursprung war.

„Während meines letzten Urlaubs in Niigata habe ich einen alten Mann getroffen, der mir von der außergewöhnlichen Geschichte dieses Kimonos erzählt hat.“ Tayama stand wieder auf und trat direkt hinter den Blonden, der sich prüfend im Spiegel betrachtete. Der Blick des Mannes fuhr von den nackten Füßen hinauf in das Gesicht, wo er auf Hydes dunklen Augen traf, die ihn über den Spiegel verwundert anstarrten.

„Ein alter Mythos besagt, dass der Kimono einem Mann mit goldenem Haar gehört hätte.“

„Goldenes Haar? Sie meinen blondes Haar?“, fragte Hyde ausdruckslos. Den eigenartigen Blick des Mannes hinter ihm ignorierte er gekonnt.

„Sehr genau“, grinste Tayama, während er den Blonden ein zweites Mal prüfend betrachtete.

„Aber das ist doch unmöglich“, brummte Hyde, zweifelnd am Verstand des fülligen Mannes.

Ein blonder Mann im 16. Jahrhundert? Eine dümmere Geschichte hatte er tatsächlich noch nie gehört.

„Das habe ich auch gesagt. Aber der Mann hat mir sogar alte Schriften gezeigt. Briefe, in denen es genau so beschrieben ist.“

Skeptisch sah Hyde den Mann in die engstehenden Augen. Dieser erwiderte seinen Blick und Hyde erkannte sofort, dass Tayama nicht scherzen wollte, sondern es tatsächlich ernst meinte.

Dieser Mann glaubte daran. Er glaubte diesem Märchen.

„Briefe? Von wem?“ Der Blonde lächelte schwach, während er fassungslos den Kopf schüttelte. Sollte er doch seine merkwürdige Geschichte erzählen. Vielleicht würde sie ihn ja amüsieren oder zumindest etwas von seinen derzeitigen Problemen ablenken.

Tayama fuhr sich über die Augenbraue und überlegte kurz, bevor er zu erzählen begann.

„Briefe von einem einflussreichen Samurai. Er hieß Nishiyama, ein Vorfahre des alten Mannes. Sein Clan-Banner war eine blaue Lotusblüte. Er schrieb Briefe an einen Mann mit goldenem Haar. Dessen Name ist nicht bekannt, doch man sagt, dass die beiden hinter dem Rücken Kenshins, der Fürst Nishiyamas, der den Fremden als Spion ansah, eine heimliche Liebesbeziehung hatten.“

Die Geschichte strotzte nur vor erfundenem Kitsch und trotzdem brachte sie den Blonden zum nachdenken.

Er fühlte sich irgendwie mit ihr verbunden. Als hätte er sie schon einmal gehört. Aber das konnte nicht sein. Sie war ihm unbekannt. Das wusste er ganz genau.
 

„Was wurde aus den beiden?“, hakte Hyde grübelnd nach, bevor er stirnrunzelnd den Kopf schüttelte. Warum hatte er das Gefühl, ganz genau wissen zu müssen, was aus ihnen geworden war? Warum war es so seltsam, diese Frage zu stellen? Und warum wollte er es überhaupt wissen? Es war nur eine Geschichte. Eine dumme Geschichte. Nichts weiter.

„Das weiß niemand. Plötzlich verschwand der Fremde. Leute sagen, er hätte sich aus Verzweiflung im Seki Fluss ertränkt, andere meinen, er wäre einfach wieder zurück ins Ausland geflohen, dorthin, wo er wohl auch herkam.“

„Und der Samurai?“, fragte Hyde zögerlich. Seine Stimme war angespannt und er selbst bemerkte, wie er plötzlich nervös wurde. Sein Herz begann, wie verrückt zu klopfen. Eine seltsame Hitze stieg ihm zu Kopf und die Fingerspitzen zuckten. Er spürte auf einmal Angst. Angst vor Tayamas Worten. Angst vor seiner Antwort. Aber er konnte sich nicht erklären warum.

„Er ...“

Der kleinere Mann verstummte, als einer seiner Mitarbeiter zur Tür hereinkam und sie über den baldigen Beginn des Drehs informierte.

Hyde nickte hastig, bevor er aus einem unerklärlich negativen Gefühl heraus zu keuchen begann. Seine Brust füllte sich mit einer seltsamen Leere, die ihn innerlich zu erdrücken schien.

Er drehte sich um und stütze sich mit den Händen auf den Tisch ab. In seinem Kopf schwirrten die seltsamsten Gedanken. Das Gefühl, diese Geschichte eigentlich besser zu kennen, als sie ihm erzählt wurde, schien ihm immer unerträglicher zu werden. Und dann war da wieder dieses merkwürdige Schwindelgefühl, welches ihn schon am Vorabend so gequält hatte.

„Könnte ich kurz allein sein?“, murmelte Hyde und fasste sich an die Stirn.

Doch als er Tayama einen kurzen Moment später zur Tür schreiten hörte, überkam ihn plötzlich das Gefühl, diesen Augenblick schon einmal erlebt zu haben.

Er sah es vor seinen Augen. Wie der rundliche Mann den Raum verlassen und unendlich viele Fragen zurückgelassen hatte. Fragen, die auf seinem Herzen gelastet hatten.

Er spürte diese tiefe Reue, die ihn wahnsinnig gemacht hatte und mit einem Mal machten sich seine Beine selbstständig.

Er rannte zur Tür und schlug sie hastig zu. Völlig außer Atem packte er den Mann an den Schultern und schüttelte den Kopf.

Er musste es wissen. Und zwar sofort.

„Sie müssen mir erzählen, was passiert ist“, flehte er. Es war ihm unerklärlich, mit welch starken Gefühlen er gerade zu kämpfen hatte. Angst, Trauer, Verbundenheit. Aber das stärkste, was er unter all diesen Empfindungen spürte, war eine unglaublich starke Liebe. Eine Liebe zu einem Menschen, den er vermisste, um den er sich sorgte und für den er einfach alles tun würde.

Auf einmal fühlte er sich unvollständig, entrissen von seinem Glück, welches sich nie wirklich hatte entwickeln können.

Gefühle, die er nicht zuordnen konnte und die eigentlich auch nicht ihm gehörten, sondern vielleicht eher zu diesem Fremden in dieser Geschichte passten.

Es hatte auf jeden Fall etwas mit dieser Erzählung zu tun. Etwas steckte in ihr und er musste einfach sofort wissen, was es war.

„Aber ich kenne nur wenige Fakten“, beteuerte Tayama stutzig.

„Sagen Sie mir alles, was Sie wissen!“ Die Verzweiflung in Hydes Augen war dem Mann nicht entgangen. Er wunderte sich über den Star, der plötzlich ein ungewöhnliches Interesse an dieser Geschichte zeigte. Ein Interesse, welches sogar sein eigenes übertraf.

Trotzdem nickte er, ging zurück zu seinem Stuhl, auf den er sich setzte, und winkte den Blonden zu sich heran.

„Man erzählte sich, dass der blonde Geliebte des Samurais eines Morgens verschwunden war. Die meisten sagten, er hätte sich ertränkt“, wiederholte er noch einmal den Punkt, an dem er mit seiner Erzählung aufgehört hatte.

„Im Fluss?“, fragte Hyde, als er an Tayama herangetreten war.

„Ja, jedoch gibt es unzählige Geschichten über das Ende dieses Fremden. Zum Beispiel hatten sich einige Dorfbewohner auch erzählt, wie ein alter Wandermönch davon berichtet hatte, einen Mann auf einer Klippe gesehen zu haben. Einen Mann mit goldenem Haar, welches im Morgenrot der aufgehenden Sonne geglänzt hatte. Er wäre nackt gewesen und hätte sich in die stürmischen Wellen gestürzt. Eine Leiche wurde aber nie gefunden.“

Hyde schüttelte den Kopf. Eine schreckliche Wut kochte in seinem Inneren, als er Tayamas Worte hörte.

„Das stimmt nicht. Er hat sich nicht umgebracht“, hätte der Blonde fast geschrien. Doch er hielt sich zurück, als er verwundert feststellte, dass er doch gar nicht wissen konnte, wie es wirklich gewesen war.

In seinen Fingern aber zuckte es gewaltig. Er fühlte sich in diese Geschichte hineinversetzt.

In eine Welt von vor über 400 Jahren, die so komplett anders war als seine. Eine Welt, in der er sich kaum auskannte, und doch war es für ihn, als würde er sie kennen. Als wäre er dabei gewesen, als hätte er mit eigenen Augen gesehen, wie sie gelebt hatten. Als wäre es seine eigene Geschichte, die ihm da erzählt wurde.

„Dem Samurai wurde als Beweis ein Dolch übergeben. Er soll wohl dem Fremden gehört haben.“ Zornig ballte Hyde seine Hände zu Fäusten und schüttelte heftig den Kopf.

„Es war eine Intrige. Diese Leute und ihre Geschichten ... Die wurden doch alle gekauft! Er hat sich nicht umgebracht. Das alles ist erstunken und erlogen. Er wurde erpresst. Von diesem Bruder. Der Fremde hat diesen Samurai über alles geliebt und wollte ihn retten. Deswegen wollte er sich umbringen ... aber dann ... dann ... “

„Woher wissen Sie das?“ Perplex starrte Tayama dem Blonden in die Augen. Dieser fuhr erschrocken zusammen, als ihm selbst klar wurde, was er da gesagt hatte. Es war einfach zusammen mit seiner Wut aus ihm herausgesprudelt.

Verwirrt drückte er sich die Hand auf seine Lippen und schüttelte den Kopf.

„Ich habe keine Ahnung“, murmelte Hyde nachdenklich. „Ich weiß es nicht.“

Fassungslos ließ sich der Blonde auf die Knie fallen, während er sich mit beiden Händen an den Kopf fasste.

Es machte keinen Sinn. Woher wusste er all das und warum bedeutete es ihm so viel? Woher kamen diese Gedanken? Warum waren sie in seinem Kopf?

„In einem Briefwechsel zwischen dem Daimyo und dem Bruder des Samurai ist nachzulesen, dass das damalige Oberhaupt wegen Hochverrats angeklagt und verfolgt worden war“, erzählte Tayama weiter, während er Hyde skeptisch beobachtete.

„Er war untergetaucht. Erst Monate später hatten ihn die Männer des Bruders gefunden. Der engste Freund des Samurais war während eines Kampfes getötet worden. Er hatte sich geopfert, um seinem Herrn die rettende Flucht ermöglichen zu können. Und dann ...“

„Fukushima?“, unterbrach Hyde den Mann geschockt.

Wieder blickte ihn der füllige Mann entgeistert an. Obwohl es ihm langsam unheimlich wurde, nickte er zögerlich.

„Ja ... wenn er ... so hieß ...“, stotterte Tayama. Er kam nicht mehr dazu, den Sänger danach zu fragen, woher er wusste, wie der Berater der Nishiyama hieß. Nicht einmal er selbst hatte dies in Erfahrung bringen können. Bevor er aber nachhaken konnte, blickte Hyde aufgewühlt zu Boden, als würde dieser sich selbst darüber wundern.

„U-und ... dann?“, fragte der Sänger stotternd, ohne aufzublicken. Tayama schüttelte den Kopf.

„Genaueres wusste wohl niemand. Ein Jahr später hatte man das Oberhaupt in einem Waldstück nahe eines Tempels gefunden.“

Seine Worte hallten in Hydes Ohren nach, wie ein unendliches Echo.

„... Tot?“, fragte er vorsichtig nach, während dieses zittrig gesprochene Wort kaum über seine Lippen kam. Es war ein Flüstern, welches von seiner Angst regelrecht verschluckt wurde.

Als der kleine Mann mit ernstem Blick nickte, drückte Hyde geschockt die Lippen aufeinander. Er unterdrückte ein Schluchzen und drehte sein Gesicht weg, damit Tayama nicht sah, wie sich plötzlich Tränen in seinen Augen sammelten. Sie strömten über sein Gesicht und ruinierten das sorgfältig aufgetragene Make-up.

Er konnte es nicht aufhalten. Er konnte sich nicht stoppen. Er weinte, weil er auf einmal großen Verlust spürte. Sein Herz wurde schwer, seine Brust schmerzte. Es war eine schreckliche Qual, die plötzlich in seinem Inneren explodiert war. Und es wurde von Sekunde zu Sekunde schlimmer. Es war reale Trauer. Ein Gefühl so pechschwarz, dass sich alles um ihn herum verdunkelte.

„ ... Wahrscheinlich Selbstmord.“

Tayamas Worte waren wie ein harter Stich in sein bereits blutendes Herz. Leise schluchzend kauerte sich Hyde auf den Boden und schüttelte immer wieder den Kopf.

War er vielleicht verrückt geworden?

Er wollte schreien, noch lauter weinen und wegrennen, doch er riss sich zusammen. Er wollte sich vor dem fremden Mann nicht noch lächerlicher machen.

Noch immer wusste er nicht, warum er so fühlte. Warum er um einen Menschen weinte, der vor vielen Jahrhunderten gestorben war. Warum er lieber selbst gestorben wäre, als jemals erfahren zu müssen, dass ER gestorben war.

Er, wen meinte er überhaupt damit?

Diesen Nishiyama, der selbst nicht über den vermeintlichen Tod seines Geliebten hinweggekommen war, sich von seiner Liebe zu diesem Fremden nicht trennen hatte können und dem das Leben vollkommen egal geworden war?

Ihn, Nishiyama, den er so liebte, dass er sogar durch die Hölle gegangen wäre, um ihn zu retten? Nishiyama, in dessen Armen er gelegen hatte, die ganze Nacht hindurch bis zum Morgengrauen, nachdem sie all ihre Gefühle miteinander geteilt hatten?

Nishiyama, den er verlassen hatte, weil er geglaubt hatte, er würde ohne ihn stärker sein können?

War es wirklich Kagegaku Nishiyama, den er meinte? War er es, für den er diese Gefühle hegte?

„Es ist meine Schuld, ganz allein meine Schuld“, murmelte Hyde mit zittriger Stimme und von seinem Schmerz zerrissen, als ihm der volle Namen des Samurai alles wieder eingefallen war.

Plötzlich erinnerte er sich an alles. An das Klanoberhaupt mit dem pechschwarzen langen Haar. An Fukushima, der ihm ein guter Freund und Gehilfe geworden war. An die kurze Zeit, die er mit dem Oberhaupt verbracht hatte.

Ihre langen Abende, das Herzklopfen, wenn sich ihre Blicke getroffen hatten. An ihren neugierigen Kuss an diesem Winterabend und ihre leidenschaftliche Nacht im frühen Herbst.

Er spürte noch, wie Kagegaku ihn berührt hatte, wie er ihn leidenschaftlich geliebt hatte, seinen warmen Atem auf seiner Haut.

Er hörte noch seine klare Stimme, das tiefe Seufzen seiner Lust.

Er sah noch seine dunklen Augen, die ihn fragend angesehen hatten, als er sich stumm und unter Tränen von ihm verabschiedet hatte.

Als wäre das alles erst gestern gewesen.

Es war auf einmal alles so klar, dass er glaubte, ihn mit seinen Fingern berühren zu können.

Und er streckte seine Hände aus und wollte durch das schwarze Haar streichen. Doch er fasste ins Leere.

Kagegaku war nicht da, denn es trennten sie Jahrhunderte. Doch nicht nur das. Kagegaku war tot. Schon so lange, dabei hatte er erst am Vortag seine warmen Lippen gespürt.
 

„Hyde-san? Was ist denn mit Ihnen?“ Tayama kniete sich besorgt auf den Boden und packte den blonden Sänger an den Schultern, als dieser plötzlich schwankend zur Seite kippte.

Das Gesicht des rundlichen Mannes verschwamm vor Hydes Augen. Eine dunkle Einsamkeit umarmte ihn. Sie vermischte sich mit der Trauer, die seinen ganzen Körper ausfüllte.

Kagegakus Tod zerstörte ihn innerlich. Er spürte es. Mit diesem finsteren Schmerz konnte er einfach nicht umgehen.

Er hätte nicht sterben dürfen. Nicht an diesem Tag. Niemals hätte dies geschehen dürfen. Es war falsch. Es war einfach nicht richtig. Und er trug die alleinige Schuld daran.

„Kagegaku“, flüsterte der Blonde mit erstickender Stimme. Er spürte noch, wie Tayama ihn an den Schultern schüttelte. Er wusste auch, dass sein ganzer Körper schmerzte. Sein Kopf, seine Beine und Arme. Innerlich brannte er. Äußerlich fröstelte es ihn. Doch das alles nahm er nicht wahr. Er ignorierte es, als wäre es nicht sein Körper, der litt. Als hätte sich seine Seele schon von seinem Körper gelöst.

Starb er? War dies das Ende?

Merkwürdigerweise war es ihm egal. Er konnte keinen Gedanken an sein eigenes Wohl verschwenden. Er dachte nur an Kagegaku und quälte sich mit dieser endlosen Reue.

Er war so unglaublich dumm gewesen. Er war auf Kagemuras List reingefallen.

Selbst wenn er sich auf grausamste Weise in Kagegakus Armen umgebracht hätte, wäre Kagemura zum Daimyo gegangen und hätte den eigenen Bruder an den Pranger genagelt. Selbst mit seinem Tod hätte er dies nicht verhindern können.

Er hätte auf Kagegaku hören sollen. Er hätte es riskieren müssen und mit ihm fliehen sollen. Weit weg aus Echigo. An das andere Ende dieser kleinen im blutigen Bürgerkrieg versunkenen Insel, dort wo sie niemand kannte.

Er hätte ihn einfach nicht verlassen dürfen. Nicht so, nicht auf diese Weise.

Doch nun war es zu spät.

Er konnte es nicht ändern. Es war bereits geschehen ... vor einer Ewigkeit. Dem Schicksal, welches sich so oft vor seinen Augen abgespielt hatte, hatte er einfach nicht entkommen können.

Es war passiert, weil er es hätte verhindern wollen. Es war passiert, weil er aus Angst vor dem Tod feige in die Zukunft zurückgeflohen war und Kagegaku allein gelassen hatte.

Dieser Kimono hatte ihn hierher zurückgebracht, weil er innerlich um Hilfe gerufen hatte. Weil er sich nicht anders zu helfen gewusste hatte. Weil er keine andere Möglichkeit gesehen hatte, als sich in seinen Wünschen zu vergraben und zu hoffen, dass das alles nicht wahr wäre und er irgendwie gerettet werden würde.

Deswegen hatte er so verbissen versucht, sich zu erinnern. Seine Vergangenheit in der Zukunft war seine einzige Flucht gewesen. Seine einzige Rettung.

Aber warum? Damit er nun hilflos seine Schuld eingestehen konnte? Damit er jetzt an seinen Erinnerungen zerbrechen konnte?

Oder wurde ihm etwa eine zweite Chance gegeben?

Konnte er das alles noch verhindern? Konnte er berichtigen, was er falsch gemacht hatte und den Samurai retten?

„Kagegaku“, entwich es Hyde noch einmal flüsternd, bevor sich seine Augen schlossen und er plötzlich schlaff in Tayamas Armen zusammensackte.
 

„Hyde-san?“

Tayama klopfte den Blonden zaghaft gegen die Wangen. Er war bewusstlos; reagierte nicht auf seine Rufe.

Ratlos blickte sich der Mann um, bevor er in Panik laut um Hilfe rief.

Das Gesicht des besinnungslosen Sängers erblasste. Es war kalkweiß. Seine Lippen waren bereits blau und sein Körper seltsam kalt.

Entsetzt klopfte Tayama immer wieder gegen Hydes Wangen, rüttelte an seiner Schulter, doch der Blonde wachte einfach nicht auf.

„Hyde-san, Hyde-san, wachen Sie auf!“ schrie Tayama, bis endlich Hilfe kam.
 

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Da hier in Japan alles so schön mit dem Internet klappt, gibt es das Kapitel wie versprochen pünktlich! ^_^

Viel sag ich jetzt nicht weiter. Wann es das nächste Kapitel gibt entscheidet sich dann in wenigen Tagen. Vllt früher... als gedacht. ^^
 

PS: Japan ist einfach ein Traum. Übermorgen geht es nach Hause...;_;

Es ist schon ein wenig traurig.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Earu
2011-11-28T19:04:19+00:00 28.11.2011 20:04
Puh. Ich hab ja die ganze Zeit befürchtet, dass Hyde wieder ne Zeitreise macht und der ganze S...paß, den er durchleben musste, nochmal von vorn losgeht. Hätte dann etwas von "Und täglich grüßt das Murmeltier" xD
Tjaja, wenn man mit der Zeit spielt ...

Ich hab allerdings gemerkt, dass meine Begeisterung bezüglich der FF nen Dämpfer bekommen hat, nachdem gackt nu nemma da is, auch wenn er keine aktiv handelnde bzw überhaupt erstmal auftretende Figur ist °°
Na, mal schauen, wie Hyde wieder aus der Sache rauskommt und was als nächstes kommt. Vllt wacht er ja doch wieder in der Vergangenheit auf x3
Von:  Jaeba
2011-11-12T22:32:01+00:00 12.11.2011 23:32
Woaaah~
Irgendwie war mir klar, dass Kagegaku etwas zugestoßen sein musste >.<
Und Gackt ist bestimmt sein Urururururururururur[...]urururenkel und existiert deshalb in der Zukunft nicht?!
Und jetzt hoffe ich für dich, dass du Hyde in die zurück in die Vergangenheit schickst, damit es ein Happy End gibt!
Wobei ... wenn Hyde zurückkehrt, dann ... wird es Gackt vielleicht trotzdem nie geben, weil Kagegaku mit Hyde zusammen ist ... aber vielleicht bleibt Hyde ja auch einfach für den Rest seines Lebens in der Vergangenheit und beide werden in der Zukunft einfach wiedergeboren und finden zueinander :D
Und jetzt hör ich besser auf, hier rumzuspinnen xD"

Freu mich auf jeden Fall schon auf das nächste Kapitel! :3

LG
JaeKang
Von:  Vampire-Mad-Hatter
2011-11-09T17:46:47+00:00 09.11.2011 18:46
Maaaaan wie kannst du blos wieder so gemein aufhören? o__o
Ich bin ja froh das Hyde sich wieder erinnern kann,
aber das es dann gleich so endet?!
Ich hoffe er geht wieder zurück in die Zeit und verhindert so eine Katastrophe. *_*

Schreib schnell weiter, ich hibbel mir hier eins ab! @_@
Von: abgemeldet
2011-11-06T20:06:35+00:00 06.11.2011 21:06
*____*

oje oje oje
...du hast mich jetzt völlig hibbelig zurückgelassen... >___<
mein persönliches kopfkino ist total in bewegung... o_O

ich warte auf jeden fall ungeduldig auf das nächste kapitel
und hoffe, dass Hyde irgendwie alles wieder abwenden kann... >___<
Von:  Chilet
2011-11-06T19:15:20+00:00 06.11.2011 20:15
Ow... Ich freu mich, das Hyde endlich zur Besinnung bekommen ist...wenn er nun wirklich in die Vergangenheit zurück ist, un kagegaku iwie retten kann....
Warum wird dann sein Körper so blass und kalt!?

Es sind Noch immer so viele fragen offen und ich hoffe, das sich das alles bald erklärt...
*gespannt wart*

und ja, Japan is toll <3


Von:  Astrido
2011-11-06T17:42:10+00:00 06.11.2011 18:42
hach.. das kapitel ist sehr aufschlussreich zum teil finde ich.
es ist schön geworden!nur, was jetzt genau passiert ist... ist er noch mal in die vergangenheit, um kageyaku zu retten?

übrigens ist aus der erzählung von tayama nicht hervorgegangen, welcher der hishiyamas gestorben ist im wald. oder meintest du mit oberhaupt keinen der brüder, sondern den regierenden typen, den der bruder ja gegen kageyaku aufhetzen wollte?? iwie is das alles etwas konfus gewesen.

und japan ist in der tat wunderbar. war auch schon mal dort.
lg
Mayura


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