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DARK MOON RISES.


 

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2. Kapitel

DARK MOON RISES.
 

Ein kleines Feuer knisterte und knackte in dem alten Kamin aus hellem Sandstein. Die Nachmittagssonne hatte sich durch die dunklen, schweren Wolken gekämpft und brachte das Innere der häuslichen Bücherei wahrlich zum Leuchten. Behaglichkeit und Wärme füllte die imposante Räumlichkeit, dennoch schluckte die junge Frau an dem Kloß, der sich in ihrem Hals verbarrikadiert hatte.

Das, was ihr gerade zu Ohren gekommen war, schien an Absurdität und Unwahrheit nur so zu strotzen. Lügenmärchen, zischte etwas in ihrem Unterbewusstsein und vergiftete ihre reinen und unvoreingenommenen Gedanken. Doch all die Neutralität, die sie so vehement verteidigt hatte, hatte schon zu bröckeln begonnen, noch ehe sie vor wenigen Stunden den Kiesweg zu diesem Anwesen entlang geschritten war.

Auch sie gehörte einst zu den besser gestellten Kreisen, doch hatten Vater und Mutter auf ein gesundes Maß an Vernunft und Bewusstsein gesetzt. Nie war sie verhätschelt oder gar verwöhnt worden. Katreace Elissabeth Margerite Bell war, trotz der vielen Namen, weder missraten, verzogen noch verkorkst. Obwohl Letzterem wahrscheinlich mehr Menschen zugestimmt hätten, als ihr lieb war. Sie war verkorkst, doch hatte sich dies in ihrer Leidenschaft am Quidditch gezeigt und bewiesen.

Aber als sie nun dem lauschte, was ihr Gegenüber, einstiger Mitschüler und Lieblingsfeind auf dem Felde, zu berichten hatte, zweifelte sie an ihrem Verstand. Sie wusste, wie viel Galleonen der Tagesprophet für so ein Interview zahlte, schließlich hatte Katie schon das eine oder andere führen dürfen und nicht selten ähnelten die »Leidensgeschichten« der Reichen und überaus gutbetuchten Herrschaften einander, die entweder noch reichere Erben waren, oder mittels »self-made-Verfahren« zu Wohlstand und Ansehen gelangten.

Und die Flints sollten keine Ausnahme sein.

Freiheraus erzählte Marcus, wie sein Urgroßvater durch gute Beziehungen in eine noch wohlgeratene Familie einheiratete. Der Name »Black« fiel unweigerlich und kroch wie Säure über Katies Rücken, doch Marcus versicherte ihr, dass dies die Schwester seines Urgroßvaters gewesen sei und diese herzlich wenig mit ihnen zu tun gehabt hatten.

Und wieder wurde der jungen Frau beinahe speiübel, als er von den Reinblütern berichtete. Auch Marcus' Vorfahren verloren sich in der Ansicht, dass ihr Blut nicht befleckt, oder gar verunreinigt werden sollte. So wurde sein Vater, Lloyd Gabriel Fergus Flint, mit Camilla Elvira Victoria Gamp vermählt. Unmissverständlich erinnerte er sie an das große Gemälde im Foyer, das die Flints als strenge, aber gütige Familie zeigte. Wieder schluckte Katie, als sie an den finsteren Blick des alten Hausherren dachte, dessen große Hände auf den zarten Schultern einer zierlichen, brünetten Frau ruhten, die auf einem Schemel saß, mit Marcus, der vor ihren Füßen kniete.

»Das Portrait wurde vor gut zwanzig Jahren gemalt«, erklärte Marcus und ein leichtes Zittern erfasste seine Stimme. Ihm war nicht wohl bei der Erinnerung an jene Tage, die er still sitzend verbringen musste. Er war kein geduldiger Mensch und die überschüssige Energie hatte er ins Spielen von Quidditch investieren können, doch nun war ihm auch dieser Spaß und Ausgleich versagt.

Katie, die ruhig und bedächtig seinen Ausführungen lauschte, und hier und da etwas auf ihrem Schreibblock notierte, hielt plötzlich in ihrem Tun inne und hob den Blick. Marcus' Miene war wie versteinert. Seine Augen waren leer und glanzlos und er schien auf einen losen Punkt im Teppich zu starren, ohne jedoch ein einziges Mal dabei zublinzeln. Die junge Frau wusste kaum, wie sie seine Aufmerksamkeit am besten auf sich lenken konnte. Zu Schulzeiten hatte man sich stets mit den Familiennamen betitelt, doch der Gebrauch der Nachnamen kam ihr jetzt recht albern und kindisch vor.

Dicke Schneewolken schoben sich vor die nachmittagliche Sonne. Einzige Lichtquelle im Raum blieb der Kamin, dessen schwaches Feuer gerade genug schimmerte, dass Katie ihr Gegenüber erkannte. Nervös sah sie sich erneut um. Ihre Augen suchten verzweifelt nach einem Zeitmesser und wurden enttäuscht. Allzu lang wollte Katie hier nicht verweilen, da die sonstigen Gespräche meist innerhalb von wenigen Stunden geführt worden waren. Doch je dunkler es draußen wurde, desto unbehaglicher wurde es ihr. Die heranschleichende Dämmerung veranlasste sie dazu, ihre Scheu zu überwinden.

»Marcus?« Es fiel ihr schwerer, ihn beim Namen zu nennen, als sie angenommen hatte, doch genügte jenes, zaghafte Flüstern, das ihren Lippen entwich, um die erhoffte Reaktion zu bekommen. Ein Ruck, kaum merklich, durchzuckte seinen Körper. Das leise Wispern einer sanften, ruhigen Stimme gelangte an seine Ohren und der düstere Schleier, der ihn umhüllte, zerfiel, sobald die lieblichen Laute ihn umfingen. Marcus hob den Blick und für den Bruchteil einer Sekunde hätte er schwören können, dass die sonst so toughe Katie Bell zitterte. Die Reaktion ihres Körpers hatte gereicht um ihm zu signalisieren, dass sie nervös war, ängstlich und wie ein Kaninchen, bangend, vor der Schlange hockte. Ihre Hände lagen bebend in ihrem Schoß, doch ihr Augenmerk galt den hohen Fenstern, die das schwache Licht des Feuers widerspiegelten. Erst jetzt bemerkte er, dass das Mädchen wohl allen Grund hatte, sich zu fürchten, schließlich gab nichts ängstigenderes, als das Dunkel der Nacht.

»Könnten wir ...«, begann sie zögernd, doch als Katie den Blick vom Fenster nahm und den Kopf in seine Richtung wandte, hielt sie inne.

Ein gedehnter Seufzer entkam seinen Lippen, ehe sich der hochgewachsene Mann mit einer Hand durch das dunkle Haar fuhr. »Du willst mehr Licht?«, seine Frage erschien ihm überflüssig, doch Katies Antwort überraschte ihn kaum. Ihr Nicken ließ ihn die Mundwinkel zu einem flüchtigen Grinsen heben. »Wie viel hast du jetzt?«

»Na ja«, stotterte sie kleinlaut und besah sich das hastige Gekritzel auf dem Block, der auf ihren Knien ruhte. »Für oberflächliches Umreißen würde es genügen.«

»Ich hasse Oberflächlichkeit«, sagte er entschieden und erhob sich aus dem Sessel. »Du isst doch mit uns?!«

Verblüffung zeichnete sich auf ihren Zügen ab. Mit seinem Angebot hatte er ihre Zunge zum Schweigen verdammt. Die Bitte, die keine war, traf sie wie ein Quaffel in der Magengrube. Die Sekunden eines möglichen Widersprechens vergingen und je mehr Zeit verstrich, desto eher sah sich Marcus in seiner Aufforderung bestätigt. »Gut«, ein breites Grinsen zierte sein Gesicht und auch jetzt noch hielt er es nicht für nötig, höflich zu klingen, geschweige denn ihr einen Arm oder gar die Hand zureichen, um ihr aufzuhelfen.
 

Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Marcus vergrub seine Hände in den Taschen der teuren, edlen Hose. Sein Gesicht zeigte Anspannung, dennoch ging er mit erhobenem Haupt und erhabenem Blick vor ihr her.

Schreibblock und Feder hatte Katie auf den kleinen Couchtisch abgelegt, ebenso wie den schweren Wintermantel, der einen Platz über der Lehne des Sofas fand, auf dem sie gesessen hatte. Marcus hatte ihr versichert, dass sie, nach Beendigung des Mahls, wieder in die Bibliothek zurückkehren würden, um mit ihrem Gespräch dort fortzufahren, wo sie aufgehört hatten.

Noch immer war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, mit ihrem einstigen Kameraden auf verbale Tuchfühlung zu gehen. Schließlich hatten in Hogwarts nicht selten Gerüchte die Runde gemacht, was solch skurrile Personen wie Marcus Flint betraf. Neben Animagi, Metamorphmagi und Parselmündern war nicht selten der Fokus auf andere, abstrusere Gestalten gelenkt worden. Begabungen, wie das Sehen von Thestralen, das Sprechen mit Schlangen oder das Verwandeln bei Vollmond in Werwölfe, hatten das Leben von Zauberern, Hexen und Muggeln geprägt. Einige magische Wesen hatten als Sagen und Legenden selbst die Welt der nicht-Magier erreicht und diese in Angst und Schrecken versetzt. Was für die Muggel absurd schien, wurde bei Menschen mit gewissen Fähigkeiten nur müde belächelt.

»Weshalb grübelst du?« Katie erschrak, als er plötzlich stehen blieb und sie mit ernstem Gesicht betrachtete.

»Tue ich doch gar nicht!«, protestierte sie hastig. »Also sind deine Eltern doch zu Hause?«

»Ich habe nie behauptet, dass sie es nicht sind.«, meinte Marcus und zuckte mit den Schultern. »Allerdings wird nur Mutter mit uns essen.«

»Ach?«, hob Katie an. »Und was ist mit deinem Dad?«

»Vater ist auf einer Konferenz in Clermont-Ferrand, Frankreich. Er legt sehr viel Wert auf das Pflegen der ausländischen Geschäfte.«, erklärte er die Abwesenheit seines alten Herren und ließ gemächlich eine Hand über das vergoldete Treppengeländer gleiten. Katie schluckte und das nicht nur, weil die strenge Erziehung der Flints wieder zum Vorschein kam. Auch war ihr die Sanftheit nicht geheuer, mit der er die grob wirkenden Finger über das zierliche Geländer fahren ließ. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was diese langen, geschmeidigen Glieder noch alles berührt hatten, oder sogar noch berühren würden.

»Worauf wartest du?«, das tiefe Grollen, das seiner Kehle entstieg, holte sie in die Realität zurück.

Während Marcus bereits am Ende der Treppe auf sie wartete und skeptisch zu ihr hinaufblickte, hatte Katie nicht gewagt, auch nur einen Schritt zu tun. Stattdessen war sie wie angewurzelt auf der obersten Stufe stehen geblieben.

»Hickslow«, donnerte er, ohne weiterhin von der jungen Frau Notiz zu nehmen. »Miss Bell-Wood wird heute mit uns speisen!«

Ein knurrender Laut wallte in ihr auf, denn auch jetzt noch vermochte es Marcus Flint ganz den arroganten Flegel herauszukehren. »Das Wood ist überflüssig!«, bemerkte Katie sachlich, als sie endlich die letzte Stufe hinabgestiegen war, doch Marcus zuckte nur mit den massigen Schultern.
 

Als Reporterin hatte sie bereits eine Menge erlebt und auf Papier bannen dürfen, doch das, was sich im hiesigen Speisesaal des Hauses abspielte, hatte ihr ein Lächeln auf die Lippen gezaubert. Der arrogante, herablassende und verletzende Marcus Flint kuschte wie ein kleines Hündchen unter dem gestrengen Blick seiner Frau Mutter. Dabei war ihr Camilla Flint eine der sympathischsten Personen seit langem. Das glockenhelle Lachen und die freundlichen Augen, die sie interessiert musterten, ließen nichts von Strenge und Kälte erkennen, geschweige denn erahnen. Als Camilla ihr ihre kleine, feminine Hand reichte, war es Katie beinahe unangenehm, diese zarten, zerbrechlichen und blass wirkenden Glieder zu berühren aus Angst, diese mit ihren Schwielen besetzten Fingern zu zerdrücken.

»Sie sind also Katreace Bell? Es freut mich, Sie kennenzulernen. Marcellus hat früher immer sehr oft über die Schule gesprochen und nicht selten ist auch Ihr Name gefallen, besonders, wenn es um dieses grässlich brutale Quidditch ging. Wie schön, jemanden aus den vergangenen Tagen zu sehen. Ich hoffe, mein Sohn hat Sie nicht allzu sehr mit seiner Art verschreckt.«, die grün-braunen Augen Camillas begannen unweigerlich zu funkeln, als sie das Mädchen vor sich betrachtete.

»Mutter!«, knurrte Marcus ungehalten, da ihm der Redeschwall der Frau wohl weniger zusagte, als Katie.

»Marcellus Lloyd Matthew Dorian Flint!«, Camilla entzog behutsam Katie ihre Finger und stemmte gleich darauf die Hände in die Hüften. Mit festem Blick besah sich die Dame ihren Stammhalter und schnalzte gebieterisch mit der Zunge. Nun wusste Katie, woher die Autorität rührte. Nicht Flint Senior schien hier das Oberhaupt zu sein, sondern war Camilla als Matriarchin die, die das Zepter schwang.

»Marcellus Lloyd Matthew Dorian Flint?«, Katie war sich nicht bewusst, dass sie seine Namen wiederholte und auch nicht, das ihr Flüstern keines war, und noch weniger, dass sie beinahe gekichert hatte.

»Ja, nach seinem Vater, Großvater, Urgroßvater und so weiter. Irgendwann, kurz vor seiner Einschulung, hatte Marcellus darauf bestanden, dass man ihn nur noch Marcus nannte mit der Begründung, dass es ihm peinlich sei.«, erklärte Camillia und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, als sie Katie betrachtete, doch als sie ihr Augenmerk auf ihren Sohn fiel, gefror das Lachen.

»Ist auch so!«, knurrte Marcus und warf der jungen Frau einen mahnenden Blick zu.

»Katreace, was für ein schöner Name. Woher kommt er?«, dass seine Mutter eine solche Neugierde an den Tag legte, behagte ihm gar nicht.

»Mutter!«, zischte Marcus und wurde jäh von Katie unterbrochen.

»Das macht doch nichts«, erwiderte sie hastig und überging das angestrengte Schnauben neben sich. »Meine Mum meinte, dass er eine Mischung aus Katherine und Beatrice wäre. Leider kenne ich die Last der vielen Namen nur zu gut. Neben der außergewöhnlichen Form meines Vornamens habe ich auch noch die Namen meiner Großmütter Elissabeth und Margerite zu tragen.« Die junge Frau bemühte sich um eine höfliche und manierliche Erklärung, die sofort mit einem anerkennenden, heiteren Lachen quittiert wurde.

»Sagen Sie, Katreace, Sie arbeiten für den Tagespropheten? Wie aufregend. Leider hat sich meine berufliche Laufbahn eher auf das Häusliche beschränkt. Was tun Ihre Eltern?«, bei der ersten Frage hatte Katie brav genickt, doch als Camilla ihr zweites Anliegen formulierte, meinte sie knirschende Laute neben sich auszumachen. Marcus' Zähne rieben hart aufeinander, als er das leichte Geplänkel seiner Mutter zur Kenntnis nahm.

»Nun sie ... also Dad ist im Ministerium tätig.«, gab das Mädchen kleinlaut zu. »Im Appariertestzentrum.«

Camilla Flint hob anerkennend die dunklen Brauen. »Und Ihre Mutter?«

»Ein Muggel«, antwortete Marcus statt Katie und diese schluckte hörbar. »Nicht wahr?«

Betreten nickte das Mädchen und wünschte sich, nach ihrem Zauberstab greifen zu können, um diesem überheblichen Mistkerl einen Fluch auf den Hals zu jagen.

»Marcellus, was habe ich dir über ...«, dass Misses Flint ihre Stimme erhob, ließ Katie neuen Mut fassen. »Waren die Zeiten nicht schrecklich genug? Gerade du solltest ...!« Doch das Camilla plötzlich in ihren Worten inne hielt, verwunderte das Mädchen. Katie hob den Blick und sah zu dem jungen Mann neben sich auf, dessen Gesicht augenblicklich wie versteinert wirkte. Betretendes Schweigen senkte sich wie eine Decke über sie herab. Doch das Poltern und Scheppern von Geschirr war Anlass, die Stille zu durchbrechen. Katie entließ die angehaltene Luft und wandte ihr Haupt der Flügeltür zu, die soeben von dem alten Hauselfen unter großer Anstrengung aufgedrückt wurde. »Ich bringe das Essen.«, langsam schob der Diener des Hauses den Servierwagen über die Schwelle.

»Sehr schön.« Marcus' Mutter ließ ein kleines Klatschen vernehmen und wies, mit dem Blick auf das Mädchen gerichtet, auf die lange Tafel, an der, nach Katies Einschätzung, gewiss zwanzig Personen hätten Platz finden können.
 

Wie Katie bereits in der Bibliothek feststellte, war auch das Speisezimmer des Anwesens pompös, aber dennoch von heller, freundlich wirkender Einrichtung. Kremfarbene Wände, Stuck an den Wänden, sowie eine hohe Zimmerdecke, in deren Mitte ein großer Kronleuchter hing, der mit schwebenden Kerzen bestückt worden war. Das schwere, fast schwarze Holz des langen Tisches war mit einer blütenweißen, bis zum Boden reichenden Tischdecke versehen worden und das edle, in Katies Augen nicht zu bezahlende Porzellan, von dem sie speisten, erinnerte sie an das kitschige Teeservice, von vor wenigen Stunden.

Die Vorspeise, bestehend aus einer Consommé, schmeckte vorzüglich und auch Hauptgang, sowie Nachspeise ließ sich die junge Frau auf der Zunge zergehen. Ein Festessen. Doch Katie beschlich ein merkwürdiges Gefühl, als sie von ihrem Teller aufsah. Bis eben hatte sie noch den heiteren Worten Camillas gelauscht, und im nächsten Augenblick zogen sich ihre Eingeweide vor Kälte zusammen. Seinen Blick wusste sie nicht zu deuten. Wie sollte sie auch? Dass sie hier fehl am Platz war, spürte sie instinktiv.

»Iss!«, forderte Camilla an Marcus gewandt, dessen Schale unberührt blieb.

»Ich habe keinen Hunger.«, knurrte er, ließ jedoch nicht von der jungen Frau ab, als er seiner Mutter antwortete.

»Ist es dir unangenehm, in so netter Gesellschaft zu essen?«, dass Camilla ihn zu provozieren versuchte, quittierte er mit einem eisigen Blick in ihre Richtung.

»Nein, Mutter«, erwiderte Marcus unter zusammengebissenen Zähnen. »Nur dein Gerede!«

Es war ihr peinlich und unangenehm, dass Mutter und Sohn sich gegenseitig zu schikanieren drohten. »Entschuldigung«, bemerkte Katie leise und zog unweigerlich die Blicke beider auf sich. »Ich möchte nicht unhöflich sein, aber wo finde ich die ...«

Dass ihre Stimme zitterte, war ihr nicht recht, doch Camilla zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. »Links, die dritte Tür.«

Katie nickte, erhob sich von dem thronähnlichen Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, schob diesen wieder an den Tisch zurück und verließ mit eiligen Schritten den Raum. Kaum, dass sie die Tür geschlossen hatte, vernahm sie schon den tiefen, brummenden Bass und die protestierende Erwiderung.
 

Katie presste die Stirn gegen das Holz der Pforte und ihre Finger umschlossen bebend den Knauf, doch sie weigerte sich, das kleine Badezimmer zu verlassen Sie hatte viel erlebt in ihrer Laufbahn als Journalistin, doch der Druck, einen ordentlichen Artikel abzuliefern, zwang sie wieder hinaus auf den langen Flur. Tief Luft holend, die geschlossenen Lider hebend und fest entschlossen, dem bevorstehenden tapfer entgegenzublicken, öffnete Katie die Pforte und stieß unweigerlich mit dem jungen Hausherren zusammen.

»Mutter lässt sich entschuldigen«, der grollende Ton ließ ihre Knochen vibrieren. »Aber keine Sorge, sie ist sehr angetan von dir.«

Seine abfällig klingende Bemerkung am Ende veranlasste Katie dazu, nur fassungslos den Kopf zu schütteln. Der Drang zur Flucht wallte unaufhörlich in ihr auf. Ich muss hier raus!, doch Marcus Flint wusste sie an ihrem Vorhaben zu hindern.

»Ich weiß, was dir vorschwebt und glaub mir, niemand sonst würde dich gerne so schnell vor die Tür setzen wie ich, abgesehen von meiner Mutter. Doch ein Geschäft ist nun mal ein Geschäft und ich versichere dir, dass wir uns in diesem Punkt an unsere Abmachungen halten.«

Eissplitter durchbohrten ihre Lungen, ohne, dass sie es hatte kommen sehen. Ihr graute bereits jetzt vor den Stunden, die sie, eingepfercht mit ihm, verbringen musste, nur für ein paar Galleonen, von denen ihr nicht einmal ein Viertel als Lohn zustand.

»Ich kann ein anderes Mal wiederkommen«, schlug sie vor und verfluchte sich, unsicher und eingeschüchtert zu klingen. »Das würde deinem Wunsch sehr entgegenkommen, schätze ich.«

Marcus schien wirklich über ihren Vorschlag nachzudenken, glaubte sogar in Erwägung zu ziehen, dass es möglich war, doch er rechnete nicht mit den mahnenden Worten seiner Mutter, als diese plötzlich auf sie zutrat.

»Miss Bell, Katreace, bitte bleiben Sie, solange Sie wollen. Ich lasse Ihnen sogleich eines der Gästezimmer herrichten. Hickslow, die junge Dame wird eine Weile bei uns bleiben!«, die im gedämpften Licht der Lampen bräunlich schimmernden Augen der Frau, leuchteten interessiert. Während Marcus nur missbilligend mit der Zunge schnalzte, stand Katie, wie vor den Kopf geschlagen da, betäubt und unfähig, weder etwas zu erwidern, noch die Einladung mit dem Nicken zu bejahen, geschweige denn mit einem Schütteln des Hauptes auszuschlagen.
 

Bedrohliches Schweigen ging von ihm aus, als Marcus erneut die Tür zur hauseigenen Bücherei öffnete. Lichter flackerten auf und spendeten ausreichend Licht, um mit dem Begonnenen fortzufahren. Ohne ein Wort von sich zugeben, ließ er das Feuer im Kamin größer und heller auflodern.

Seine hohe Statur war einschüchternd, ebenso wie der Blick, den er ihr zuteil werden ließ, sobald er wieder auf die Sesselgruppe zusteuerte. Während er sich wieder in den angestammten Sessel fallen ließ, dessen Leder unter seinem Gewicht ächzte, schwang er die Arme über die Rückenlehne. »Ich habe nicht ewig Zeit!«, bellte er ungeduldig.

Abermals presste Katie Luft in ihre Lungen. Die Härchen auf ihren Armen stellten sich unwillkürlich auf. Er klang gefährlich, Angst einflößend und wütend. Sie würde nicht eine Sekunde länger, als nötig, in diesem Raum, diesem Haus und mit dieser Person verbringen!

Katie bemühte sich, gefasst und entschlossen auf ihn zuzugehen und es gelang ihr, die Fassade der starken Frau aufrechtzuerhalten, zumindest bis zu diesem Augenblick. Sie griff nach dem Mantel, der noch immer über der Rückenlehne der Couch verweilte, und legte ihn erneut und schützend über ihre Knie. Federkiel und Block lagen noch genauso da, wie sie sie auf dem Tisch platziert hatte. Marcus' Augen fixierten sie und beobachteten jede Bewegung, die von ihr ausging. Sein Blick war furchterregend und verbarg weder Abneigung noch Feindseligkeit.

»Ich werde dir jetzt etwas erzählen, von dem ich ausgehe, dass es dich aus diesem Haus treiben wird!«, sagte er drohend und Katie schluckte vernehmlich an dem Kloß in ihrer Kehle.

»Du willst mir Angst machen?«, die junge Frau verzog das Gesicht zu einer ungläubigen Miene und griff über den Tisch nach ihrem Arbeitsmaterial.

»Wenn es funktioniert«, lässig zuckte Marcus die Schultern und schien es zu genießen, sie mit seinen Worten in die Enge zu treiben.

»Ich habe schon zu viel gehört und zu viel gesehen. Und deine Geschichte wird da sicherlich nicht die Ausnahme sein.«, erklärte sie wahrheitsgemäß und ließ sich wieder gegen das dunkle Polster sinken.

»Ausnahmen bestätigen die Regel und glaub' mir, wenn ich mit dir fertig bin, dann wirst du gar nicht anders können, als aus dem Haus zu rennen!«, meinte er prophezeiend. Seine Stimme war kaum mehr als ein Angst einflößendes, raues Flüstern.

»Paranoia lässt sich behandeln, weißt du?« Ihre Angst wich dem Drang, ihm zu trotzen.

»Vertrau' mir, mit Paranoia hat das absolut nichts zu tun.«, versicherte er und hob die Mundwinkel zu einem verschwörerischen Lächeln.

»Das Übliche hast du mir bereits erzählt.«, meinte Katie leicht hin und besah sich ihre Notizen. »Was soll da deiner Meinung nach noch kommen, das mich in Panik versetzen könnte?«

»Das Übliche? Du sagst also, dass das, was ich dir von meinen Vorfahren berichtet habe, nichts weiter als Nichtigkeiten wären, die du von anderen Leuten ebenso erfahren hättest?« Eine dunkle Augenbraue hob sich skeptisch gen Norden.

»Nein, so habe ich das nicht gesagt.«, protestierte sie.

»Und wenn schon«, er tat ihren Einwand mit einem erneuten Zucken der massigen Schultern ab. »Ihr seid doch alle gleich. Ihr, mit euren Vorurteilen.«

»Wie bitte?« Entsetzen und Verwirrung zierten ihr Gesicht, als sie seinen Worten lauschte. »Wir haben Vorurteile? Wem gegenüber? Ihr seid es doch, die einen niedermachen und das aus banalen Gründen wie Geldmangel oder »unsauberem« Blut.«

»Gut möglich«, erwiderte er und ihr entkam nur ein ersticktes Keuchen. »Aber das, von dem ich rede, macht euch Menschen Angst!«

»Was soll das heißen, uns Menschen?«, fragend zog Katie die Stirn in Falten und betrachtete das Mienenspiel auf seinem Gesicht, das unweigerlich von Qual geziert wurde. »Bist du von einem anderen Stern? Oder ein Werwolf?«

Als sie es wagte, das wahrscheinlich Naheliegendste zu erwähnen, entkam ihm ein verbittert klingendes Schnauben. Unweigerlich schüttelte er den Kopf.

»Nein«, gab Marcus mit fester Stimme zu und ließ keine Schwankung erkennen, »nicht direkt!«
 

»Trollblut?« Nichts hasste er mehr, als dass jemand ängstlich, skeptisch oder gar panisch reagierte, sobald er mit der Wahrheit herausrückte. Ein Zittern erfasste Katies Körper, als sie seine Worte vernahm und endlich realisierte. Es war völlig absurd, dem Gehörten auch nur eine weitere Sekunde lang Glauben zu schenken. Eben noch hätte sie ihm einen Fluch auf den Hals gehetzt, da er anmaßend war, und sie sich missverstanden fühlte, und nun?

»Nein, kein Trollblut. Ogerblut. Es ist kompliziert und verwirrend.«, erklärte er und bemühte sich um Ruhe und Gefasstheit in der tiefen, dunklen Stimme.

»Wo ist der Unterschied?« Ein spöttisches Lächeln legte sich auf seine ausgeprägten Züge, als er die Neugierde und Provokation aus ihren Worten heraushörte.

»Ich weiß, dass Binns' Weisheiten und unser mäßiges Interesse an seinen Lehrmethoden ziemlich zu wünschen übrig gelassen haben« Marcus konnte nicht verhindern, dass das Lächeln auf seinen Lippen in ein Schmunzeln überging, sobald er sich an die fadenscheinigen Erklärungen der toten Lehrkraft erinnerte, die den Schülern etwas über Trolle, Zwerge und dergleichen beizubringen gedachte. »Unsere Legende geht viel tiefer als der Kröter-Quark, den Binns euch weismachen wollte!«

Katie hob nur skeptisch dreinblickend eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich höre.«

Ihrer Forderung musste er, ob er wollte oder nicht, nachkommen. Kurz zuckte er mit den breiten Schultern, ehe er zum Sprechen ansetzte. »Willst du nicht mitschreiben? Sonst vergisst du vielleicht etwas?« Nun war er es, der sie provozierte.

Katie schnalzte mit der Zunge, denn auch heute noch konnte sie es nicht ertragen, wenn man ihr Vorschriften machte und ihr sagte, was sie tun und lassen sollte. Ein angespanntes Schnauben entkam ihr, während sie in ihrer braunen Wildledertasche nach den benötigten Utensilien kramte.

»Welches Ausmaß wird die Quelle deiner Information haben? Nur, falls ich mehr Stifte und Papier benötigen werde.«, meinte sie und hob die Mundwinkel zu einem Lächeln, dass ihren sarkastischen Unterton nur noch mehr unterstrich.

»Das sollte kein Problem darstellen«, gab Marcus nüchtern zurück. »Also, Miss Bell, ich wäre dann soweit.«

Die junge Dame rutschte etwas tiefer in das lederne Sofa, zückte Schreibfeder und Block, ehe sie ihm zunickte und signalisierte, dass sie bereit war, seinen Ausführungen zu lauschen und jene zu Papier zu bringen.

»Eigentlich beginnt es wie die meisten Mythen, Legen, Märchen und Sagen, denn wohl jede Geschichte hat ihren Ursprung an einem ganz simplen Punkt. Schreibst du mit?«, akribisch hatte Marcus, während er die Vorgeschichte seines Leidens zu schildern versuchte, sein Augenmerk auf die junge Frau ihm Gegenüber gerichtet.

Ein zustimmendes Brummen entkam ihr, doch sein durchdringender Blick ließ sie kurzerhand die Augen verdrehen. »Stichpunkte. Ich habe mir Stichpunkte gemacht.«

»Es ist deine Story«, gab Marcus zu bedenken, lächelte jedoch bitter. »Also, alles hat einen Anfang, und der Beginn meiner Geschichte ist verknüpft mit einem ...«

»Einem was? Einem ... Fluch?«, da er mitten im Satz inne hielt, sah sich Katie gezwungen, die entstandene Lücke eigenhändig zu füllen.

»Ich wusste doch, dass du nicht nur Quaffel durch die Gegend schmettern kannst. Aber ja, ganz recht. Ein Fluch. Und wie fast jeder Fluch ist diese Verwünschung an etwas gebunden. Wie in den meisten Fällen, ist unsere Misere an etwas gekettet, mit dem sich auch die Werwölfe herumplagen müssen.« Ein missgestimmtes Knurren unterstrich seine Ausführungen.

»Der Mond?«, entkam es ihr, sodass Marcus nicht einmal Zeit hatte, das Wort in den Mund zu nehmen.

»Du glaubst mir nicht.«, stellte er ungeniert fest, da die hastige Reaktion der Frau leicht spöttisch daher kam.

»Nun ...«, Katie beließ es dabei und blickte ausweichend auf einen Punkt im Teppich.

»Sonne, Mond, die Gezeiten, die Planeten. Wie du siehst haben wir zu wenig Einfluss, zu wenig Macht, um uns solch Gewalten zu widersetzen. Im Falle meiner Vorfahren band man uns an den Neumond. Anders, als bei den Werwölfen, die Kinder reißen, sich bei Vollmond verwandeln und stets in dem Bewusstsein durch die Welt streifen, was sie sind und was sie tun, ist es bei den Ogern um ein vielfaches komplizierter. Wir, meine Vorfahren und ich, verschanzen uns in Höhlen, meiden die Menschen und in den Stunden vor und nach der Verwandlung sind wir zu keiner Regung fähig. Weder körperlich, noch emotional. Wir harren aus, wie in einer Art Starre, oder Schlaf. Das ist das Positive an dem Ganzen: Wir stagnieren. Versteinern.«

Als Marcus den Blick hob und in das grüblerische Gesicht des Mädchens sah, meinte er einen Funken Mitgefühl und Verständnis zu erkennen, doch noch schien Katie nicht überzeugt.

»Ein alter Druide belegte einen Urahnen mit dem Bann. Der, den er verwünschte, hatte die Künste des alten Hexenmeisters infrage gestellt und zu allem Überfluss auch noch dessen Enkeltochter entführt, um hinter die uralten Geheimnisse des Greises zu gelangen. Nicht umsonst sagt man den Trollen heute noch nach, sie würden junge Frauen entführen, diese in ihre Höhlen schleppen und sie bei lebendigem Leibe verspeisen.« Wieder hielt er inne und erntete die erhoffte Reaktion. Katie Bell zitterte und schluckte.

»Dass Trolle zu dumm sind, um überhaupt den Ausgang ihrer Höhle zu finden, wissen die wenigsten. Oger hingegen wussten und wissen bis heute, wer und was sie sind und reagieren dementsprechend. Zum Selbstschutz, wie ich dir bereits sagte, verbarrikadieren sie sich und wollen nichts weiter, als für den Zeitraum der Qualen in Stille und Ruhe aus zu harren.« Erneut machte Marcus eine Pause und betrachte die Feder, die emsig auf dem Papier umher kratzte.

Nun war es Katie, die den Kopf hob und ihn beobachtete. »Und weiter?«

»Der alte Druide belegte meinen Ahnen also mit dem Fluch des grünen, großen Monsters. Doch er ließ Gnade walten, als seine geliebte Enkelin wohlbehalten wieder ins Dorf zurückgekehrt war. Zum erstaunen des alten Mannes, hatte mein Urahn das Mädchen weder essen wollen, noch anderweitiges mit ihr vorgehabt. Gesellschaft war und ist das Einzige, wonach wir uns sehnen, auch wenn das im Widerspruch zu dem steht, was ich dir versucht habe zu erklären. Wir wissen, dass wir den Menschen nichts tun, doch aus Furcht hat sich ein Großteil dazu entschlossen, kurz vor den kritischen Phasen, Gesellschaft zu meiden, obwohl uns in diesen Momenten Beistand helfen würde, das Vorgehende zu verstehen und zu überstehen. Dass man mit Fackeln und Forken auf uns Jagd machte, verdankten wir den Trollen, die wahllos in Dörfer marschierten, nur weil Wildschwein über offenem Feuer als Zwischenmahlzeit gerade recht war.«, bitterer Zynismus schwang in seinen Worten mit, als Marcus von vergangenen Zeiten berichtete. »Die Gnade, die uns zuteil wurde, beschränkte sich darauf, dass wir uns ausschließlich in Neumond-Nächten transformieren. Und jetzt folgt das Wichtigste:

Nur einmal pro Jahrhundert, also gut alle fünfundzwanzig Jahre, wird der Fluch wirksam und dieser Nachkomme muss sich zu dieser Zeit in Wäldern und Höhlen zurückziehen, um die Verwandlung zu vollziehen. Um die Blutlinie nicht zu verunreinigen, gebären die Frauen nur Söhne. Es ist ein fortlaufender Kreislauf und die nächsten drei Generationen dürfen beinahe ungestört ihr Leben fristen, bis der Fluch erneut seine Wirkung zeigt und das »Oger-Blut«, in seiner ganzen Reinheit durch die Adern und Venen des jungen Körpers schießt. Schlussfolgernd war mein Vater die dritte Generation und hat den Fluch somit auf mich übertragen. In meinem Körper fließt reinstes Oger-Blut

Genüsslich wartete Marcus die Reaktion der jungen Dame ab, die auch sogleich, nachdem er den Satz beendet hatte, zu ihm aufschaute. Ihr Blick verriet ihm, dass sie sich fürchtete.

»Jetzt hast du Angst, nicht wahr? Wenn du also gehen möchtest, ich halte dich bestimmt nicht auf.«

Doch zu seiner Überraschung schüttelte Katie das blonde Haupt.

»Das erklärt so einiges«, gab sie zu und nun war es Marcus, der eine grübelnde Miene aufsetzte.

»Ach ja?«, argwöhnisch zog er eine dunkle, buschige Augenbraue empor.

Ohne auf seine Frage einzugehen, wandte sie sich wieder ihrem Schreibblock zu. »Was passiert, wenn du keine Nachkommen zeugst oder zeugen kannst?«

»Berechtigter Einwand«, entschied er und nickte anerkennend. »Meinem Großonkel Nicholatius erging es so. Da sich das Gen, beziehungsweise der Fluch, als durchsetzungsstark erweist, hatte er noch mildere Umstände zu erwarten. Der Fluch nötigt den Träger, sich zu paaren, egal in welcher Generation und zu welchem Zeitraum. Mein Großonkel jedoch hat sich zu Maßnahmen entschieden, die das Greifen des Fluchs unwirksam machen sollten.«

»Die da wären?« Katie sah nicht auf, während die Feder in Windeseile über den Block kratzte.

»Er hat versucht sich mit einem Beil zu entmannen.«, erklärte Marcus nüchtern und erntete einen schockierten Blick.

»Er hat was?«, fassungslos hielt Katie in ihrem Tun inne und beinahe wäre die Feder ihren Fingern entglitten.

»Er wollte dem endgültig ein Ende setzen und hat es mit seiner Tat nur noch schlimmer gemacht. Statt der Aufhebung der Malediktion, zog er den Zorn des alten Druiden auf sich. Fortan war ihm die menschliche Hülle verwehrt und er sah sich stets in der Gestalt einer hässlichen, Angst einflößenden Kreatur.« Marcus vernahm den harten Brocken, an dem das Mädchen schluckte. »Als einzigen Ausweg entschied er sich für den Freitod und stürzte sich die Steilküste hinab.«

»Du meine Güte«, Katie schüttelte den Kopf und hielt sich von Fassungslosigkeit gepackt die Hand vor den Mund. »Und ...«

»Und? Nun, je länger der Zeitraum zwischen den Generationen ist, desto weniger Aufhebens machen wir darum. Mein Dad hat es, in der dritten Generation des Jahrhunderts, eigentlich am Einfachsten. Er lässt sich nur aus Sympathie und Solidarität zu mir und den Übrigen in die Höhle sperren.«, der junge Mann tat diese Information mit einem belanglosen Zucken der Schultern ab.

»Als ich mich zum ersten Mal verwandelte, war ich gerade drei Jahre alt. Seither versucht meine Familie die Angelegenheit rund um meine Person, als möglichst »normal« darzustellen. Ich weiß nur, dass meine Söhne, Enkel und Urenkel es leichter haben werden, als ich und das ist auf eine tröstliche Art doch ziemlich beruhigend.«

Katie Bell schwieg und schien seine Worte erst einmal verdauen zu müssen. Doch zu seinem Erstaunen schien dieser Prozess weit weniger Zeit in Anspruch zu nehmen, als er glaubte.

»Tut ... ich meine, tut es weh?« Ihre Frage überraschte ihn kaum und er zuckte abermals mit den Schultern.

»Während meiner ersten Verwandlung dachte ich, ich müsse sterben. Doch es war nicht der Schmerz, also das physische Leid, das mich drängte dem Tod entgegeneilen zu wollen. Eher war es die Tatsache, dass mir das Führen eines Lebens nicht gewährleistet wurde, auf das ich gehofft hatte. Die Psyche eines Lebewesens ist nur bis zu einem bestimmten Punkt belastbar und kann nur bis zu einem gewissen Grad Dinge aufnehmen, verarbeiten und akzeptieren. Mit den Jahren, und in der Zeit der Transformation, ist das Lernen und Erkennen der Umstände entscheidend. Wirst du verwünscht oder bist Teil eines solchen Unheils, kannst du wählen ob du akzeptierst, dich ergibst oder, wie mein Großonkel, selbst bestimmst, wie dein Dasein, dein Leben, verlaufen soll.«

Die junge Reporterin nickte, wenngleich auch etwas zaghaft.

»Um zu deiner Frage zurückzukehren: Mit den Jahren lernt man, den Schmerz zu kontrollieren. Je schwächer der Fluch, desto leichter fällt es. Doch in meinem Fall kostet es eine Menge Kraft und Energie. Da ich wieder am Anfang des Verderbens stehe, muss meine eigene Überzeugung stark genug sein, um den Fluch niederzukämpfen. Doch um es kurz zu machen: Es wird von Jahrzehnt zu Jahrzehnt erträglicher, leider nicht von Jahr zu Jahr, oder von Monat zu Monat.«

»Das heißt, irgendwann, wenn du steinalt bist ...«, begann Katie.

»Oder tot«, unterbrach er sie rüde.

»Oder ... das, ja. Dann hättest du also folglich keine Schmerzen mehr?« Erst jetzt erschrak sie über den Irrsinn, der da von ihren Lippen gewichen war.

Marcus beugte sich näher zu ihr herüber. »Wenn ich tot bin, was soll ich da dann noch fühlen?«, flüsterte er eindringlich, während ein bitteres Lächeln in seiner Stimme mitschwang.

»Bitte entschuldige, ich wollte nicht taktlos sein«, beklommen senkte Katie den Blick.

»Wenn es nur das wäre, Miss Bell.« Nun schienen seine Worte auf eine seltsame Weise zu lächeln.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2016-01-27T20:53:57+00:00 27.01.2016 21:53
Hei Irish!
 
Da sehen wir uns also wieder. 
Bevor ich weiter lesen konnte, war ich sehr gespannt, was Marcus Katie interessantes erzählen könnte.
Damit habe ich aber nicht gerechnet.
Als ich das las, tat er mir auch ein wenig leid und ich hatte nicht mehr den bösen Bubie im Kopf.
Da möchte man den Typen glatt umarmen!
 
Ich freue mich schon auf dein nächstes Kapitel!
Bis dahin~ :))
abgemeldet
Von:  Omama63
2013-01-02T13:52:25+00:00 02.01.2013 14:52
Ein super Kapitel.
Da tut mir Markus schon leid.
Ich weiß nicht, ob das so gut ist, wenn das alles in die Zeitung kommt. Da gibt es bestimmt welche die ihm dann feindlich gesinnt sind.
Bin schon gespannt, wie das Gespräch weiter verläuft.
Von:  Manami89
2012-10-07T21:41:04+00:00 07.10.2012 23:41
Dein Schreibtsitl ist wirklich gut. Die FF lässt sich gut lesen.

Die Idee zu der FF gefällt mir sehr gut. Es gab zwar FF´s wo er Trollblut hatte, aber Ogerblut hatte ich noch nicht gelesen :)
Ich finde die Idee sehr interessant.

Schreib weiter so gut :)
Von:  darkbird
2012-10-04T17:35:36+00:00 04.10.2012 19:35
Hui Erste *freu*

Ich muss schon sagen
WoW!
Dein Schreibstil ist *Worte such* echt beeindruckend. Deine Formulierungen sind der Hammer. Man kann sich alles wirklich bildlich vorstellen. Deine Wortwahl ist etwas besonderes. Du schreibst sowohl modern als auch in einem altmodischen Stil. Eine super Mischung.

Das Markus so offen ist, obwohl er doch weiß, das es bald ganz England lesen wird ist beeindruckend. Er wirkt sehr unheimlich, gefasst und ich weiß nicht, irgendwie einschüchternd und trotzdem begehrenswert *verlegen grins*

Ich würde gerne mehr über Katies Unfall erfahren, das war etwas kurz gefasst.

*fav*
LG
darkbird

PS: ich hoffe es geht bald weiter :)


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