Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 90: Manipulation ------------------------ Das Kratzen seiner Nägel auf dem Tisch und dem Pergament machte die Illusion eines geregelten Tagesablaufes perfekt. Rolle für Rolle ging der Hohepriester von Ägypten die Unterlagen durch, befasste sich mit den Belangen, die das Land beschäftigten und die er im Augenblick als völlig sinnlos erachtete. Kisara war wahrlich von den Göttern geschickt worden, Mana hatte es ihm unmöglich gemacht, zu arbeiten und dabei auch voranzukommen. So jedoch konnte er sich einigermaßen konzentrieren. Es belustigte ihn fast, welch lächerliche Probleme das Volk und die Priester beschäftigten, und doch kam er nicht daran vorbei festzustellen, dass ihre Rückkehr einige positive Entwicklungen gefördert hatte. Wenigstens das war zufriedenstellend. Noch immer nicht klar war ihm jedoch, weshalb diese Rollen überhaupt bei ihm gelandet waren. Einige von ihnen waren so eindeutig an den Pharao adressiert, dass jeder Fehler ausgeschlossen war und doch hatten die Rollen den Pharao nie erreicht. Atemu hatte vielleicht etwas anderes zu tun? Er konnte sich nicht vorstellen, weshalb dann jedoch nicht einmal eine Anmerkung oder eine Nachricht des Pharaos zu finden war. Nein, er hatte diese Rollen nie zu Gesicht bekommen, wusste vermutlich noch nicht einmal von ihrer Existenz. Die Bediensteten selbst mussten die Entscheidung getroffen haben und der Grund dafür interessierte ihn wirklich über alle Maßen. Das Spiel zwischen den beiden Frauen in seinem Gemach ignorierte er geflissentlich, soweit es ging. Es war besser so. Erst Manas Ausruf über ihren Sieg ließ ihn kurz zu ihnen hinübersehen. Sie war wirklich besser dran ohne ihn. Niemals hätte er sie an seine Seite holen dürfen, es war so unbeschwert gewesen, als sie noch eine Priesterschülerin gewesen war. Er hätte sich niemals in den Lauf der Dinge einmischen dürfen. Eine jede solche Tat war zum Scheitern verurteilt, das hatte er schmerzlich erkennen müssen. Nun war es zu spät. Seth legte die letzte der Schriftrollen beiseite und betrachtete tief in Gedanken versunken die vor sich aufgestapelten Pergamente. Seine Arbeit hier war getan und doch zog er es vor, lieber so sitzen zu bleiben, als sich bei Mana und Kisara einzumischen. Die Zeit, in der er seinen Gedanken nachhängen durfte – sie war rar gesät. Wieso war Adalia noch immer nicht hier? Wo steckte sie nur? Dieses Verhalten war gänzlich unüblich für die Priesterin. Wo blieb sie nur? Ungeduldig klopfte Seth mit seinen Fingern auf den Tisch, erhob sich dann. „Ich bin gleich wieder da“, erklärte er an die beiden Frauen gerichtet, die noch immer in ihr Spiel vertieft waren, schritt zur Tür und verließ den Raum. Es war wie eine Erleichterung. Die verschlossene Tür war wie eine Last, die von seinen Schultern fiel. Sich gegen die Wand lehnend, schloss Seth für einen kurzen Moment die Augen und atmete tief durch. Die Ketten, die ihn nun fesselten, hatte er niemals kommen sehen. Die Tatsache, dass noch niemand gekommen war um nach ihr zu fragen, bestätigte Adalia in ihren Befürchtungen. Sie hatte also recht gehabt. Seufzend erhob sie sich. Sie war enttäuscht, das konnte sie ganz eindeutig feststellen. Sie hatte etwas anderes erwartet, oder es zumindest gehofft. Hatte sie sich so sehr getäuscht? Egal. Es war unwesentlich. Hoffnung allein war nichts, worauf sie sich zu verlassen gedachte. Sie wandte den Blick vom Fenster ab. Es war an der Zeit zu handeln. Adalia verließ ihr Gemach, verschloss die Tür und blickte sich um. Niemand war zu sehen. Sie erhöhte ihr Tempo. Zielstrebig schritt sie durch die Gänge, hoheitsvoll, anmutig. Vor der Tür des Gemachs der Prinzessin blieb sie stehen und klopfte vorsichtig an die Tür. Es kam keine klare Antwort. Die Priesterin atmete noch einmal entschlossen durch. Das war schon einmal nicht schlecht. Leise öffnete sie die Tür. Sie hatte Glück. Außer Teana war niemand in dem Raum und sie war sich sicher von niemandem gesehen worden zu sein. Oh ja, sie würden sie beachten.... Teana. Da lag sie. Tränen die Wangen hinunterlaufend und nicht mehr als ein Häufchen Elend. Ein Schatten ihrer selbst. Natürlich hatte sie ihr Eintreten bemerkt, doch sie störte sich nicht daran. Vermutlich kamen im Augenblick ständig Dienerinnen vorbei um nach ihr zu sehen. Nun – sie jedenfalls war keine Dienerin. Leise schloss Adalia die Tür hinter sich, trat dann an das Bett von Teana heran. „Prinzessin?“, fragte sie leise. Müde hob die Angesprochene ihre Lider, betrachtete Adalia für einen Moment. Die stumme Erkenntnis, dass sie sie kaum kannte, war förmlich in ihrem blinzelnden Blick zu lesen. Schwach lächelte sie sie an. „Darf ich fragen, wer Ihr seid?“, fragte sie mit zittriger Stimme und dennoch schien eine Erleichterung in ihrem Ton zu liegen, ein unglaublich starkes Gefühl. Die Priesterin musste unweigerlich ihr Lächeln erwidern. Sie hatte von Teanas Leichtgläubigkeit gehört. Adalia verneigte sich kurz. „Meine Prinzessin, verzeiht mein unhöfliches Eindringen“, sprach sie anstandsvoll und stellte sich dann vor. „Mein Name ist Adalia. Ich bin eine ehemalige Schülerin von Hohepriester Seth. Er hat mich geschickt, mich nach Eurem Zustand zu erkundigen.“ Genau gesagt hatte er das nicht, aber das brauchte sie ja nicht zu wissen. Erstaunen legte sich in Teanas Gesicht. „Der Hohepriester erkundigt sich nach mir?“, fragte sie überrascht und ein wenig skeptisch. Ja, es passte nicht zu ihm. Erneut verbeugte die Priesterin sich. „So ist es“, log sie sie ohne Scham an, „Er hörte... dass Ihr, nun ja.“ Sie sprach leise, sah die Andere betroffen an. „Ihr habt Euer Kind verloren? Es tut mir wirklich sehr leid...“ Der Blick der Prinzessin veränderte sich schlagartig, das Lächeln verschwand und es blieb nichts als Kälte und Verzweiflung. Genau da zielte Adalia hin mit dem Mitleid, das sie doch nur heuchelte. Sie trat dichter an sie heran. „Euer Schmerz über den Verlust muss sehr groß sein“, sagte sie und trat dichter an sie heran, die Augen voller Bedauern. „Ich wünschte, ich könnte Euch irgendwie helfen...“ Die Wirkung ihrer Worte war in jeder Faser von Teanas Körper sichtbar. Die Tränen, die in ihren Augen wieder aufstiegen, der schneller werdende Atem, die verkrampfenden Glieder; alles sprach nur eine Sprache: Schmerz. Teana schaffte es nicht, die Tränen zu unterdrücken, und so liefen diese hemmungslos ihre Wangen hinab. Sie konnte nur nicken, schaffte es nicht ein Wort zu sagen. „Euer Schmerz muss grenzenlos sein...“, setzte die Stehende wieder an, sah betroffen auf sie herab. „Und der Pharao? Wie geht es ihm?“ Der schwächste Punkt konnte selbst die stärksten Bauwerke zu Fall bringen. Genau darauf zielte sie. Gemessen an der Kraftlosigkeit, die Teana ohnehin schon ausstrahlte, war es aber im Grunde auch völlig egal, wohin sie zielte. Sie konnte nur Treffer für Treffer landen, konnte nicht daneben liegen. Alles lag in ihrer Hand. „Es ist sicher nicht leicht, sein Kind und seinen Nachfolger zu verlieren... Ich kann es fühlen... Das Leid, das Ihr spürt...“ Teana schluckte schwer, als ihre Verzweiflung wuchs. „All der Schmerz, der Euer Herz verdunkelt“, fuhr die Priesterin unbeirrt fort, „Doch es muss nicht sein, versteht Ihr? All das ist nicht notwendig...“ Sanft und zärtlich strich sie ihr über die Wangen, versuchte ihr die Tränen zu trocknen, doch der feuchte Strom versiegte nicht. „Ihr könnt Eurem Kind folgen“, flüsterte sie, „Es ist ganz leicht...“ Ihre Hand fuhr weiter über Teanas Gesicht. Mit der anderen jedoch zog sie einen silbrigen Gegenstand hervor, ganz langsam erhob sie den Arm und die Gier konnte sie nur schwer im Zaum halten. Ein Funkeln lag in ihren Augen, verlieh ihr einen unnatürlichen Glanz, der sich in den Augen der Prinzessin spiegelte. Ein bitteres Lächeln legte sich auf Teanas Lippen, als sie den Dolch erkannte. Ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. „Warum tut Ihr das?“, fragte sie schwach, hatte aber nicht die Kraft irgendetwas zu tun. Adalia betrachtete sie, lächelte fast ebenso bitter. Sie würde ihr antworten. „Wenn Seth Pharao wird...“, hauchte sie, „Dann wird er mich beachten...“ Der Ton verließ ihre Stimme, wich der Anspannung und der Aufregung. Sie zog den Dolch, holte damit aus. „Verzeiht mir, Prinzessin“, flüsterte sie, schloss noch einmal kurz die Augen und rammte der Brünetten die Klinge mit aller Kraft in die Seite. Eine kurze Pause entstand. Adalia atmete nicht durch, dazu war keine Zeit. Sie musste aus diesem Raum verschwinden, und das schnell. Ein einziger falscher Schritt konnte jetzt tödlich sein. Sie machte sich nicht die Mühe, den Dolch aus dem nun leblosen, aber noch warmen Fleisch der Prinzessin zu ziehen, die nicht einmal geschrien hatte. Nein, Teana hatte keinen einzigen Ton mehr von sich gegeben. Resignation und Erlösung – die Priesterin vermutete, dass es die einzigen Empfindungen waren, die sie noch gespürt hatte. Und wenn schon, nun war es gleich. Teana hatte sie nicht verraten, es war also noch möglich, dass sie ohne großartige Balanceakte von hier verschwinden konnte. Niemand würde jemals etwas erfahren... Die Waffe blieb hier. Sie war der einzige Hinweis auf den Verantwortlichen, doch würde man durch den Dolch niemals auf sie zurückschließen. Nein. Adalia biss sich auf die Unterlippe. So schnell es ging, verließ sie das Gemach, schnell aber dennoch leise, schritt sie an den umliegenden Gemächern vorbei. Niemand blickte sich nach ihr um und als sie um die Ecke gebogen war, hatte sie es geschafft. Sie fühlte sich beflügelt, erleichtert und aufgeregt. Adrenalin floss durch ihren Körper und brachte sie zu Höchstleistungen. Niemand war aufmerksamer als Adalia in diesem Moment. Jedes noch so kleine Geräusch nahm sie wahr und doch war ihr die Unruhe nicht anzusehen. Im Gegenteil. Nach außen hin wirkte sie völlig gelassen. Sie atmete tief durch, richtete kurz ihr Gewand, strich den Stoff glatt. Eine Priesterin hatte vorbildlich auszusehen. Sie lächelte. Er würde sie beachten, da war sie sich sicher. Mana konnte das niemals allein schaffen. Und dann – ja dann wäre sie da. Seine Augen waren noch immer geschlossen, als sie plötzlich vor ihm stand. Er hatte schon an ihrem Gang erkannt, dass sie näher kam und hatte auf sie gewartet. Endlich. Adalia betrachtete ihn aus sorgenvollen Augen. „Geht es Euch gut?“, fragte sie vorsichtig, doch er lächelte. Lächelte, als er die Augen öffnete und sie ansah. Lächelte sie an. „Da bist du ja...“, sagte er erleichtert und seine Erleichterung ließ ihr Herz ein wenig schneller schlagen, „Was hat dich aufgehalten?“ Dass sie nicht freiwillig so lange nicht anwesend gewesen war, davon ging er aus, davon war er fest überzeugt. Doch ihre Antwort wartete er nicht ab. „Ich muss mit dir reden“, erklärte er nachdrücklich, „Mana weiß von unserer Verbindung.“ Schnell gab Seth der Priesterin eine Zusammenfassung des gestrigen Abends und auch wenn er nicht gern zurück dachte, musste es dennoch sein. Sie musste es wissen. Es war absolut notwendig, dass sie Bescheid wusste. Nur eines verschwieg er ihr, nämlich, dass er sich noch immer wünschte, der Abend wäre nie vergangen. Denn mit der Nacht war die Erkenntnis gekommen und mit der Erkenntnis die Schuld. Und diese Schuld hatte er selbst zu tragen. „Jedenfalls“, schloss er seine Rede, „habe ich ihr gesagt, sie wäre aus dem Fenster gefallen... Sollte sie dich fragen, wieso sie ihr Gedächtnis verloren hat, musst du unbedingt dasselbe sagen.“ Er atmete durch, froh ihr das endlich mitgeteilt zu haben. Es war so wichtig gewesen, dass er sie vor Mana abfing, und nun, ja nun, war ihm wenigstens das gelungen. Adalias perplexen Blick nahm er überhaupt nicht wahr. Es dauerte einen Moment, ehe sie seinen Worten hatte folgen können, doch dann nickte sie. „Selbstverständlich, mein Priester“, stimmte sie ihm zu, froh über die Nachfrage und nicht darauf achtend, was das Gesagte für ihn bedeutete. Sie ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen, zeigte dann die Professionalität, mit der sie ihm gegenüberstand, seit sie ihn kannte. „Kisara ist nun mit Mana im Zimmer?“, fragte sie nach, runzelte leicht die Stirn. Was ihr Sorgen bereitete, sollte der Hohepriester schnell erfahren. „Das muss für sie ziemlich hart sein“, sagte sie ernst. Seit wann setzte Adalia sich für das Drachenmädchen ein? Er hatte so viel verpasst... Er verstand nicht, und sie verstand, dass er nicht verstand. „Sie hat Euch geliebt“, fuhr sie erklärend fort, „Und sie tut es noch... Doch Mana ist nun Eure Verlobte...“ Was wollte sie ihm damit sagen? Er verletzte Kisara dadurch, dass er sie mit Mana allein ließ? Überraschung lag in seinen Zügen, das hatte er nicht erwartet. War das so? Langsam nickte er, denn er wusste, dass seine Reaktion nun nötig war. Adalia befasste sich niemals mit Nebensächlichkeiten, sie war zielstrebig und das schätzte er an ihr. „Wahrscheinlich hast du recht“, sagte er und wurde wieder von den Selbstzweifeln gepackt. Er war so schrecklich egoistisch... „Ich werde mit ihr reden“, versprach er, das war er ihr schuldig. Sie hatte so vieles für ihn getan, völlig selbstlos, und das obwohl er sie weggeschickt hatte. Er hatte es nie wirklich wertgeschätzt. Er hatte das zu ändern. Seth stieß sich von der Wand ab und trat wieder an die Tür heran. „Achtest du so lange auf Mana?“, fragte er die Priesterin, bevor er in sein Gemach zurückkehrte und die Beklommenheit ihn wieder von Neuem ergriff. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)