Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 84: Freiheit -------------------- Schlaf. Schlaf war wie der Tod hier in der Unterkunft des Diebes, hier, wo sie keine Freiheit hatte. Sie fand keine Ruhe. Er beobachtete sie die ganze Zeit über, schlief ebenso wenig wie sie. Wenigstens das. Er schien sie nicht zu unterschätzen. Doch so, wie die Dinge im Moment standen, konnte Adalia sich nicht sonderlich dafür begeistern. Wenn er nur geschlafen hätte, wäre ihr wenigstens Zeit zum Nachdenken geblieben. Zeit, ungestört und frei von lästigen Blicken, die sie von Kopf bis Fuß musterten. Die Priesterin schnaubte leicht. Oh ja, er hatte sie in Ruhe gelassen die letzten Stunden über, hatte sich darauf beschränkt ihr immer wieder einen überheblichen Blick zu schenken, doch er hatte nichts gesagt und er hatte auch nichts getan. Die Müdigkeit und die Erschöpfung zerrten an ihr, doch sie durfte ihren Bedürfnissen nicht nachgeben. Sie konnte es nicht. Selbst wenn sie es gewollt hätte, so hätte doch wahrscheinlich der stechende Schmerz ihrer Wunden sie wach gehalten. Bakura hingegen schien überaus fit zu sein. Der Morgen war bereits angebrochen, Schatten fielen im Dämmerlicht, doch der Räuber machte den Eindruck, als hätte er sich soeben stundenlang ausgeruht. Nun ja, in gewisser Weise hatte er das getan. Er hatte nicht geschlafen, aber er hatte sich dennoch entspannt, ihren Widerwillen genossen und daraus Kraft geschöpft. Adalia widerte es an. Sie wollte ihn fertig machen, wollte sich ihm endlich entgegenstellen, doch sie musste untätig warten, bis er sich schließlich dazu erbarmte, wieder zu ihr zu treten. Er grinste: „Und? Bist du endlich auch zu dem Schluss gekommen, dass niemand dich vermisst?!“, fragte er keck, begeistert von sich selbst stemmte er sich seine Hände in die Seiten und beugte sich zu ihr hinab, denn sie saß am Boden. Ihm zu Füßen... Wenn Adalia daran nur dachte, wurde ihr schlecht. Doch sie hatte keine Wahl, sie musste ihre Kräfte sammeln, durfte sie nicht sinnlos verschwenden. Das wäre ineffektiv gewesen. Das konnte sie sich nicht leisten. „Du lügst!“, zischte sie ungehalten und er lachte. Sie konnte es nicht mehr hören. Er ging ihr auf die Nerven! Er hatte doch keine Ahnung von Seth! Der Hohepriester hatte sie noch niemals im Stich gelassen, wenn sie ihn brauchte. Er würde kommen und sie befreien. Er würde sie retten. Er würde... Sie stockte. Was dachte sie da?! Er war bei Mana. Das Mädchen beherrschte all seine Gedanken, wenn SIE nicht nach der Priesterin fragen würde, was sollte ihn dann an sie erinnern? Sie stockte erneut, schüttelte dann entschieden den Kopf. Sie durfte nicht an Seth zweifeln. Er würde kommen, er würde ganz sicher kommen! „Alle sind glücklich, niemand wird dich vermissen“, wiederholte Bakura seine Worte, die sich wie Gift unter ihre Haut schlichen. Er verschränkte die Arme, sah sie genau an. „Dein Talent und deine Ausstrahlung sind nicht unbeachtlich“, sprach er leise, aber deutlich und brachte sie damit dazu die Stirn skeptisch kraus zu ziehen. Er beachtete sie nicht. „Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen, so viel Ausdruckskraft, so viel Stärke...“ Versuchte er ihr zu schmeicheln? Sie wusste nicht, was er vor hatte, doch die Lüge hatte sie sofort durchschaut. Ernst sah sie ihn an, etwas anderes blieb ihr im Augenblich ohnehin nicht übrig. „Was willst du damit sagen?“, fragte sie kalt und unantastbar. Er verfolgte eine Strategie, soviel stand fest. Er antwortet ihr nicht. Stattdessen schüttelte er abwertend den Kopf, neigte ihn dann leicht, musterte sie und drehte ihr demonstrativ den Rücken zu. „Nein, ich denke nicht, dass du dazu in der Lage wärst“, meinte er kühl. Was sollte das wieder heißen?! Grimmig sah sie ihm nach, keine Anspannung war nun in ihr, nur blanker Hass. „Wozu in der Lage?!“, zischte sie gereizt, wollte er sie provozieren? Wieder winkte er ab, antwortete aber trotzdem. „Gegen den Hohepriester zu bestehen“, hauchte er, blickte über seine Schulter zurück zu ihr. „Er hat dich ausgenutzt, doch auch in deinem Zorn würdest du sicher nicht gegen ihn standhalten, keine zwei Sekunden.“ Voller Spott und Häme klang seine Stimme, schneidend, berechnend. „Auch wenn deine Kraft beeindruckend ist“, fügte er noch hinzu. Adalia verengte ihre Augen zu Schlitzen. Wie konnte er es wagen?! Seth hatte sie nicht benutzt! Er hatte sich auf sie verlassen, weil er wusste, dass man sich auf sie verlassen konnte, weil er wusste, dass sie die Beste war! Er hatte sie nicht benutzt, er hatte sie erwählt! Das war ein himmelweiter Unterschied. Die Priesterin konnte kaum an sich halten, so sauer war sie. Doch sie wusste, sie musste sich nun beherrschen, musste Herrin der Lage werden und vor allem ihre Gefühle im Zaum halten. Sie musste Seth vertrauen. „Du findest meine Kräfte also beeindrucken“, sprach sie ihm daher nach, musterte ihn scharf, „Warum sollte ich mich ihm entgegenstellen?“ Auf diese Erklärung war sie wahrlich gespannt. Wie wollte er versuchen sie zu ködern? Der Weißhaarige zuckte mit den Schultern, sah sie leichtgläubig an, ganz so, als läge die Antwort auf der Hand. Sie wollte sie trotzdem hören. „Wer hat denn die ganze Drecksarbeit gemacht den letzten Monat?“, fragte er finster grinsend, „Wer hätte den Ärger bekommen, wäre etwas gewesen?“ Er lachte fies auf. „Jetzt ist Mana wieder in Ordnung, er kommt wieder, ignoriert dich und macht mit ihr rum. Verdienen deine Dienste eine solche Behandlung? Bist du wirklich so einfach gestrickt?“ Seine Worte waren grausam. Grausam, weil sie selbst das Gefühl nicht los wurde, dass es stimmte, was er sagte. Worte, die sie nicht hören wollte, Worte, die sie nicht wahr haben wollte. Worte, deren Bedeutung so unendlich wehtat. Sie durfte ihm nicht glauben. Wenn sie jetzt ihr Vertrauen aufgab – nun, dann hatte sie schon verloren. Sie musste einfach davon ausgehen, dass er sie hier heraus holte. Und in der Zwischenzeit musste sie sich auf das Spiel einlassen. Es musste ihr gelingen, möglichst viel Zeit zu gewinnen, möglichst viel Spielraum. Seth würde kommen. Ganz sicher. Irgendwann würde er sie gefunden haben. Bestimmt suchte er schon nach ihr. „Würdest du mich etwa anders behandeln?“, spie sie ihm entgegen und es schmerzte sie, diesen Vergleich aussprechen zu müssen, doch es ließ sich nicht vermeiden. Sie stieß die Luft durch die fast geschlossenen Zähne. Er selbst konnte nicht einmal daran glauben. Allein die Vorstellung war so lächerlich – Doch er überraschte sie. „Ich weiß dein Talent durchaus zu schätzen“, gab er zu, zuckte gelangweilt mit der Schulter und tat dann das, womit sie nie gerechnet hätte: Er schnipste mit den Fingern und schon zerfielen ihre Fesseln, einige der Geister legten sich über ihren Körper und heilten dessen Wunden, bis sie – abgesehen von der Erschöpfung und der Müdigkeit – vollständig genesen war. „Ich weiß wenigstens, was du geleistet hast“, erklärte er und grinste sie fast freundlich an. Wollte er sie jetzt gegen Seth ausspielen? Sie schnaubte verächtlich. Sollte er es doch versuchen, sollte er seine Energien ruhig verschwenden. Dennoch empfand sie es als Wohltat, dass all die Schmerzen nun verschwunden waren. Sie konnte sich endlich wieder rühren, tat es aber dennoch nicht. Stattdessen starrte sie ihn misstrauisch an. „Du versuchst mich zu kaufen“, stellte sie sachlich fest. Diese Freiheit war nur Schein, das wussten sie beide. Die Fesseln zu lösen war befreiend gewesen, und doch war sie in gewisser Weise noch immer gefesselt. Ihre Magie wurde unterdrückt, sie brachte ihr nichts und so konnte sie ihr auch nicht helfen. In dieser Perspektive betrachtet, war seine Hilfsbereitschaft schon gar nicht mehr allzu hilfreich. Er zuckte mit den Schultern. „Das mag sein“, stimmte er ihr schamlos zu, „Aber größtenteils versuche ich dir deinen langen Aufenthalt bei mir etwas zu erleichtern.“ Das hinterhältige Zwinkern seiner Lider brachte Adalia fast dazu, ihm mit der geschlossenen Faust auf eben jene Lider zu schlagen, doch sie ließ es. „Du weißt, dass ich recht habe und niemand dich so schnell suchen wird.“ Musste er immer wieder versuchen, sie davon zu überzeugen? Sie glaubte nicht an seine Worte, wollte sie nicht glauben. Was wollte er nur erreichen? „Mir meinen Aufenthalt erleichtern?“, fragte sie skeptisch nach, selbst wenn niemand nach ihr suchte, machte diese Aussage wenig Sinn. „Du hast nichts davon.“ Worauf also hatte er es abgesehen? „Habe ich nicht?“, fragte er grinsend und trat einen Schritt näher an sie heran. Sie wich nicht zurück. Sein Spiel fürchtete sie nicht. Er kämpfte nicht mit fairen Mitteln, doch sie war auch nicht naiv genug um von etwas anderem ausgehen zu können. Immer wieder schlichen seine Worte in ihr Bewusstsein, immer wieder schob sie sie genervt zur Seite. Der Dieb schritt einmal um sie herum. „Natürlich könnte ich dich auch wieder in die Freiheit entlassen“, flüsterte er und es klang mehr wie eine Drohung als ein Segen. „Doch das hat seinen Preis...“ Freiheit. Die Verlockung, die in diesem einen Wort lag, war unbeschreiblich. Und doch war diese Freiheit nicht echt, erkauft nur die Leine, an der er sie zu halten gedachte. In die Freiheit... Sie musste hier heraus. Sie konnte sich nicht einfach auf den Hohepriester verlassen. Selbst wenn er nach ihr suchte oder sie zumindest suchen ließ – wovon sie ausgehen musste, egal was Bakura sagte – dann war es immer noch nicht gesichert, dass er sie auch fand, immerhin schien der Weißhaarige schon seit längerem hier zu sein und war bisher unauffällig gewesen. Das Gefühl der Erniedrigung zerrte an ihren Nerven. „Welchen Preis?“, fragte sie kalt. Er blieb vor ihr stehen, lächelte sie überlegen und schief an. „Du wirst eine kleine Aufgabe für mich erledigen“, befahl er, „eine winzig, kleine Aufgabe und ich entlasse dich in die Freiheit...“ Sie sah ihn an, dachte kurz darüber nach. Allein kam sie hier nicht heraus und ohne ihre Magie war sie praktisch wehrlos. Er hatte sie völlig in der Hand, auch wenn es ihr nicht gefiel das zuzugeben. Was konnte er nur von ihr wollen? Sie verstand es nicht. Dass er ihre Hilfe wirklich benötigte, bezweifelte sie stark. „Was ist es, das du nicht selbst erledigen kannst?“, fragte sie provokant, formulierte es absichtlich so abwertend und war sich trotzdem nicht sicher, was sie davon zu halten hatte. Konnte er es nicht? Oder wollte er es nicht? Er lachte geringschätzig – aber lauthals – auf und sah sie grinsend an. Der Trumpf lag noch immer in seiner Hand. „Es ist ein einfacher Tausch“, erklärte er ruhig, betrachtete sie skeptisch. Eine Weile lang blieb er so vor ihr stehen und weckte dadurch eine gewisse Art von Faszination. Gegen ihren Willen ertappte sich Adalia dabei sich zu wünschen, dass er weitersprach, doch noch im selben Moment schollt sie sich selbst dafür. Sie war nicht auf ihn angewiesen! „In Ordnung“, meinte er schließlich leichtfertig, „Deine Freiheit ist dir offensichtlich nicht genug wert…“ Er löste seine Starre, trat einen weiteren Schritt auf sie zu, hockte sich vor sie hin. Nur Zentimeter trennten sie noch voneinander, doch die Priesterin wich noch immer nicht zurück. Sie würde ihm niemals nachgeben. Bedrohlich kam er ihr näher, bis er in der Bewegung innehielt und kurz nickte. Er schien zu einem Entschluss gekommen zu sein. „Dann bekommst du alle Beweise, auf denen Manas Abstammung niedergelegt ist… und deine Freiheit…“ Alle Beweise? Wenn ihr das gelang, konnte sie sich Seths Anerkennung sicher sein, wenn es ihr gelang, die unangenehmen Zusammenhänge für alle Ewigkeit auszuradieren, wie ihre Erinnerungen es schon waren, dann würde ihr eine enorme Dankbarkeit zuteil werden. Wieder nur für Mana. Doch noch immer kannte sie nicht den Preis. Jemand wie Bakura legte nicht all seine Karten offen, ohne ein wesentlich besseres Blatt dafür zu verlangen. Erwartungsvoll starrte sie ihn an. Er grinste zufrieden. „Im Gegenzug verlange ich einfach nur den Leichnam des Kindes der Prinzessin“, hauchte er verführerisch. Adalia erschrak. „Das Kind der Prinzessin ist tot?!“, schrie sie überrascht auf und schüttelte schnell den Kopf. „Du lügst!“, sie war nicht überzeugt. „Woher solltest du das wissen?!“ Wenn man bedachte, wie viel Wahres seine Worte sonst enthielten, konnte sie nur verächtlich den Kopf schütteln. „Wieso sollte ich dir glauben? Das alles sind doch nichts als die leeren Worte eines Diebes.“ Ihre Worte trafen wie Geschosse sofort ins Ziel, genau wie sie es beabsichtigt hatte. „KÖNIG der Diebe, vergiss das nicht!“, fauchte der Angesprochene ungehalten, schaffte es jedoch schneller, als sie es geschafft hätte, sich zusammenzureißen. „Ich beobachte die Situation im Palast schon seit einiger Zeit und auch am gestrigen Tag hatte ich die Gelegenheit Neuigkeiten aufzuschnappen.“ Er bedachte sie mit einem finsteren Blick. „Doch ich weiß nicht, warum ich mich vor dir rechtfertigen muss… Ich würde niemals lügen in so einer ernsten Begebenheit.“ Voller Dramatik drückte er sich aus und sorgte damit dafür, dass die Brünette die Augen verdrehte. Er entfernte sich ein wenig von ihr. „Aber wie du willst. Es ist deine Freiheit, dein Leben, das du in den Dreck wirfst.“ Sollte sie? Oder sollte sie nicht? Adalia erhob sich würdevoll, lächelte grimmig. Er verstand es zu spielen, das konnte niemand abstreiten. „Von mir aus, EURE HOHEIT!“, betonte sie und zog die Bedeutung auf diese Weise ins Lächerliche, wenn Ihr mir einen Beweis für Eure Loyalität geben könntet…“ Sie zögerte kurz. Unzählige Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf, doch einer leuchtete klar hervor: Sie musste hier heraus. „… dann steht der Handel.“ Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde breiter. „Aber gerne doch“, heuchelte er eindrucksvoll uncharmant und zog die gestohlenen Schriftrollen aus dem Archiv hervor. Er reichte sie ihr ohne abzuwarten. „Hier, meine Liebe“, sagte er, „Dies und Eure Freiheit… Im Gegenzug bekomme ich die Leiche des Kindes… Und Ihr gehört mir, falls Euch ein Fehler unterlaufen sollte…“ Das also war der Haken, den er bisher noch nicht benannt hatte. Er wollte sie gewinnen und anschließend unterwerfen, das war das eigentliche Spiel, für das er die Regeln aufstellte. Nun gut, es war ihr gleich. Sie hatte die Schriftrollen und das war für den Moment alles, was zählte. Er würde sie ohnehin nicht bekommen, dafür wusste sie schon zu sorgen. Sie nickte. „Einverstanden.“ Selbstsicher stand er da, doch für den einen Augenblick störte die Priesterin sich nicht daran. „Dir bleibt eh keine andere Wahl…“ Er drehte sich um, lachte auf und hob die Hand. Sofort veränderten sich die Sandstrukturen um sie herum und gaben eine Tür frei, die einladend aufschwang und den ersehnten Weg in die Freiheit ebnete. Adalia starrte sie ungläubig an, bis der Meisterdieb sie wieder ansprach: „Nun verschwinde“, sagte er finster, „Und vergiss deine Aufgabe nicht.“ Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wartete auf ihre Reaktion. Sie nahm die Möglichkeit sofort beim Schopfe, hielt die Rollen fest in der Hand und verließ das Verließ. Beim Hinausgehen hauchte sie noch: „Das werde ich nicht“, doch sie würdigte ihn keines Blickes. Sie tauchte in einem dunklen Gang im Palast wieder auf, sah sich kurz um, um sicher zu gehen, dass niemand ihr gefolgt war und atmete erleichtert auf. Ohne den bindenden Zauber, der auf ihr gelegen hatte, fühlte sie sich schon gleich viel freier. Freiheit… Sie war ihm aus seinem Netz entkommen und er wusste es vermutlich ebenfalls. Sie hatte nicht vor zu ihm zurück zu kehren und sie hatte auch nicht vor, sich ihm auszuliefern. Dennoch hatten seine Worte ihr die Richtung gewiesen, die sie nun einschlagen musste. Das Kind… Es gab nur eine Sache, für die es sich lohnte, die zurückgegewonnene Freiheit aufs Spiel zu setzen. Eine einzige nur. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)