Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 78: Antworten --------------------- Sie hatte einen Vater. Jeder hatte einen Vater. Es war gut. Aber er hatte sich nicht um seine Tochter gekümmert. Das war schlecht. Töchterchen. Das war sie. Doch, das hatte sie verstanden. Es war verwirrend, aber das klappte. Alles war verwirrend, aber sie lernte. Und Adalia hatte ihr versichert, dass sie sogar sehr schnell lernte. Und das war gut, oder? Aber trotzdem waren da noch so viele Fragen! „Und was ist dann mit meiner Mutter?“, jeder hatte einen Vater und eine Mutter, „Bin ich bei ihr aufgewachsen?“ Der Hohepriester schüttelte voller Bedauern und gezeichnet von Anspannung den Kopf. „Es tut mir leid, aber über deine Mutter weiß ich nichts“, antwortete er ruhig. Er wusste es nicht? Es gab also auch Dinge, die selbst Seth nicht wusste? War das jetzt schlecht oder gut? Sie sah ihn erstaunt an, setzte sich erst auf ihre Knie und krabbelte ihm dann auf den Schoß. Dann durfte sie jetzt eine andere Frage stellen, nicht wahr? „Was hatte ich für einen Unfall?“, fragte sie leise, „Adalia sagt mit dazu gar nichts…“ Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Sie war unglaublich erschöpft und sehnte sich nach Nähe und Wärme, damit sie sich nicht so einsam und allein vorkam in dieser Welt voller Fremder, aber gleichzeitig brannte sie förmlich darauf, ihn mit Fragen zu bombardieren. Er sollte ihr alles erklären, doch sie fürchtete sich vor den Antworten. Was, wenn sie doch etwas Schlimmes getan hatte? Was, wenn deswegen alle so vorsichtig mit ihr waren? Sie fühlte sich so eigenartig, so als würde etwas in ihr sich ganz stark zusammenziehen, wenn sie nur daran dachte. Wieder legte Seth seinen Arm um ihre Schultern. War das Wärme? Er zögerte. Dachte er nach? Er würde es ihr doch sagen, oder? Für einen kurzen Moment glaubte Mana, etwas in seinen blauen Augen gesehen zu haben, das nicht dorthin gehörte. Sorge? War es Angst? Doch dann begann er langsam zu antworten. „Du kennst doch den Raum dort drüben“, sagte er und sein Gesicht wirkte gequält. Sie nickte. Der Raum, wo die Kleider waren. Der Raum, in dem ihr immer so kalt wurde. „Du hast dort mal gewohnt, wenn auch nur für kurze Zeit…“ Wieder zögerte er, seine Worte kamen ihm immer langsamer über die Lippen und er sah sie nicht an. Sein Blick ging in die Ferne. Machte es ihn so traurig? „Nun ja“, fuhr er fort, „und dort bist du aus dem Fenster gefallen…“ Aus dem Fenster gefallen. Sie war im Raum nebenan aus dem Fenster gefallen und hatte sich deshalb verletzt. Aus diesem Grund wusste sie nichts mehr, deshalb war ihr alles fremd. Nur weil sie aus dem Fenster gefallen war… Bestimmt hatte sie nicht aufgepasst. Und nun? Sie atmete tief durch. Nun, jetzt wusste sie es wenigstens. „Danke schön…“, flüsterte sie lächelnd. Sie war froh, dass sie es endlich wusste, sie fühlte sich besser dadurch. Endlich wusste sie, was geschehen war, endlich musste sie nicht mehr darüber nachdenken. Dann war sie nicht böse, oder? Immerhin war sie nur aus dem Fenster gefallen, das war doch nichts, das nur böse Menschen taten. Endlich wusste sie, warum sie sich nicht erinnerte. Es machte Sinn, endlich konnte sie es verstehen. Seth hatte es ihr erzählt und sie konnte ihm vertrauen. Er wollte ihr ja schließlich helfen. Waren Gebete wirklich alles, was noch helfen konnte? Er war mit seiner Weisheit am Ende. Wieso nur war es so schwer? So scheinbar völlig unmöglich, ihr zu helfen? Qadir wusste sich keinen Rat. Der Zustand der Prinzessin war alles andere als stabil, noch immer schlief sie und noch immer wachte er über sie. Eine Menge Hoffnung hatte er in die Wirkung gelegt, die Atemu auf sie ausübte, doch auch dem Arzt war klar: Selbst ein Pharao war menschlich und es war nur allzu verständlich, wieso er auf solch heftige Weise reagiert hatte. Für Teana wäre es wesentlich besser gewesen, wenn er seinen Ausbruch nicht in ihrer Anwesenheit gehabt hätte, doch es ließ sich nun nicht rückgängig machen. So hatte er ihr eine Schuld aufgelastet, die sie sich zwar ohnehin gegeben hatte, aber die er deutlich hätte vermindern können. Doch war es wie es war, es war längst zu spät. Was aktuell von Bedeutung war, war Teanas Zustand. Er konnte nur hoffen, dass der Pharao einigermaßen zurecht kam... Was sollte er nun tun? Jede Art der Medikation, die ihm bekannt war, hatte er sich durch den Kopf gehen lassen und probiert, was davon Sinn machte. Doch wie sollte er schaffen, was gegen den Willen der Götter zu sein schien? Was auch immer die Prinzessin getan hatte um ihre Wut oder ihren Missmut auf sich zu ziehen, Qadir konnte es nicht verstehen. Teana hatte niemandem etwas zuleide getan und auch ihr nun totes Kind war völlig rein gewesen. Doch wie allmächtig konnten Götter sein, die nichts taten außer Leben zu nehmen und Unschuldige zu strafen? Ihre Augen waren geschlossen, als sie sich gegen ihn lehnte und der Hohepriester war froh darüber. Wenn sie seinen Gesichtsausdruck gesehen hätte in dem Moment, da sie sich bei ihm bedankt hatte, dann hätte sie ihm nicht ein einziges Wort geglaubt. Er versuchte unter allen Umständen sich zusammen zu reißen. Es war besser so, das musste er sich immer wieder sagen. Sie hatte etwas, an dem sie festhalten konnte. War das nicht der eigentliche und einzige Sinn all der Lügen? Er musste nur noch rechtzeitig Adalia darüber informieren, was er ihr gesagt hatte, damit sie bei ihrer Geschichte bleiben konnten und es nicht zu Ungereimtheiten würde kommen können. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht noch mehr wissen wollte. Konnte nicht die Müdigkeit sie einfach übermannen? Es wäre um so vieles einfacher gewesen. Er konnte kaum widerstehen, sie an sich zu ziehen, sie fester in den Arm zu nehmen und sie einfach zu küssen. Doch er durfte es nicht! Er konnte es niemals erlauben. Den Preis, den es kostete an seiner Seite zu sein, hatte sie einmal gezahlt – er war viel zu hoch. Sanft strich er ihr über ihr Haar. Sie war ihm so vertraut und doch so fremd, war so nahe und doch so unendlich weit entfernt. Er selbst war mit einem Mal überhaupt nicht mehr müde, konnte sich kaum aus ihrem Griff befreien, obwohl es dadurch leichter geworden wäre – zumindest für ihn. Doch sie hielt ihn fest, dachte gar nicht daran ihn loszulassen, ihn freizugeben Jede einzelne ihrer Bewegungen nahm er wahr, jede noch so kleine Regung. Gedankenverloren starrte er zur Decke. War es wirklich so einfach getan? Eine einfache Lüge und sie war glücklich. Sie kuschelte sich an ihn und sie war glücklich. Es ging so nicht. Doch wie sollte er etwas hieran ändern, ohne es für sie noch schwerer zu machen? Noch komplexer? Wie sollte es ihnen gelingen, das Konstrukt aufrecht zu erhalten, das ihre Welt darstellte, wenn es mit noch mehr Inhalt gefüllt wurde? Und es wurde unweigerlich dauernd mit neuen Inhalten gefüllt… Inhalte, die niemand steuern konnte. Mana schwieg. War sie tatsächlich eingeschlafen? Es wäre wünschenswert gewesen, doch wie hätte er auch nur erwarten können, dass sie es tun würde? Dass sie es für wichtig erachtete, was ihr Körper verlangte? Sie kannte nur einen Körper, der schmerzte, sah es als Normalität an und dachte sich nichts dabei. Für sie hatte es so zu sein und sie hatte damit klar zu kommen. „Seth?“ Er schreckte aus seinen Gedanken hoch. Sie blickte ihm direkt in die Augen, hatte ihn genau fixiert und er hatte es nicht bemerkt. Wie sollte er diesen Blick erwidern? Wie sollte er ihn halten können? Was hatte er nur getan… Sorge stand in ihren Augen, Sorge und Unsicherheit und Angst. Sie biss sich auf die Lippen. „Was hast du denn?“, fragte sie zurückhaltend, fast eingeschüchtert. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, brachte ihn dazu, sie weiter anzusehen und er konnte nichts dagegen tun. Er wollte den Blick abwenden, doch sie hinderte ihn daran, wollte sich einfach in Luft auflösen, doch sie ließ es nicht zu. „Es tut mir leid…“, flüsterte er, sah sie traurig an, ohne dass er sich dagegen hätte wehren können. Er wusste einfach nicht, wo ihm der Kopf stand, wusste nicht, wie er es koordinieren, nicht, wie er es schaffen sollte. Es war zum Scheitern verurteilt, er wusste es und rannte doch in sein, in ihr aller Verderben. „Du hast nichts falsch gemacht, wirklich nicht“, beteuerte er, es war ihm so unglaublich wichtig, dass sie es wusste. Sie glaubte so vieles, das nicht wahr war, da wollte er ihr zumindest etwas Wahres geben, das auch stimmte. Eigentlich wollte er nur seine alte Mana wieder haben, wollte von ihr angezickt und herumkommandiert werden, ganz so wie früher. Wenn sie es nur gewusst hätte… Wenn sie nur gewusst hätte, was sie ihm bedeutete… Sie hielt sein Gesicht weiter fest, schüttelte leicht ihren eigenen Kopf. Dann legte sie ihre Arme um ihn, schluckte deutlich vernehmbar und setzte sich wieder auf seinen Schoß. „Was hast du denn?“, fragte sie hilflos, es stand ihr fast auf der Stirn geschrieben, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte, „Wieso bist du so traurig?“ Er musste sich am Riemen reißen, musste sich unter Kontrolle kriegen, dringender als je zuvor. Er zwang sich, tief durchzuatmen und sie anzulächeln, und es gelang ihm auch, wenn auch nur schwach. So gut es noch möglich war, versuchte er, einen Abstand zwischen ihnen zu halten, doch sie machte es ihm sehr schwer. So gern hätte er ihr die Wahrheit gesagt, so gern hätte er sein Schweigen gebrochen, doch er durfte es nicht. Es nahm der Sache den einzigen Sinn, den sie je gehabt hatte. Sie erwiderte seinen Blick, offenbar erleichterte sie schon das leichte Lächeln, das er im Stande gewesen war, aufzusetzen. Und sie wartete. Wartete auf eine Antwort, wartete auf die Antwort, die er ihr schuldig bleiben musste, aber nicht konnte, wenn er sie nicht wieder enttäuschen wollte. Da war sie also wieder. Die unausgesprochene Frage, die in ihrem bohrenden Blick lag, die eindeutige Frage nach der Wahrheit. „Es tut mir leid“, wiederholte er unsicher, um Worte ringend, die nicht alles verrieten, „Es ist so schwierig…“, setzte er an und wusste doch nicht, was er sagen sollte. Sie legte ihren Kopf schief, hörte aufmerksam zu. „Was ist schwierig?“, fragte sie lieb, „Die Sache, die du sagen willst oder die Situation?“ Skepsis legte sich in ihren Ausdruck. „Bin ich schuld?“ Sie dachte so komplex wie eh und je, doch ihre Ergebnisse waren wesentlich reduzierter. Entschieden schüttelte er den Kopf. „Nein, du bist nicht schuld“, wiederholte er, sie musste es ihm einfach glauben. Es hatte doch keinen Sinn so. Er war so unentschlossen, dass er sich selbst nicht vorstellen konnte, wie jemand ihm überhaupt irgendetwas glauben können sollte. Er hätte sich doch selbst nicht geglaubt. Was blieb ihm anderes übrig? Seufzend resignierte er. „Du hast mir doch eine Frage gestellt…“, sagte er schließlich. Sie rückte näher, aufgeregt nun. Jede Erwartung, die sie hegte, konnte er nur enttäuschen, das war ihm klar. Sollte er wirklich weitersprechen?! Einfach alles sprach dagegen, einfach nichts sprach dafür! Doch er tat es trotzdem. „Ja, das habe ich“, stimmte sie ihm nickend zu, blickte ihn überrascht an. Die Ungeduld war fassbar, und doch hielt sie sich zurück, beschränkte sich darauf, interessiert auszusehen. Wieder wich er ihrem Blick aus, doch er nickte dennoch. „Du wirst es sowieso erfahren...“, versuchte er sich selbst Mut zuzusprechen, sah sie dann ernst an, jedoch noch immer nicht in ihre Augen, „Ich wollte dich damit nicht überfordern... Deswegen habe ich nichts gesagt... und deswegen sollte auch Adalia dir nichts sagen...“ Noch immer zögerte er, machte es für Mana fast unerträglich ruhig sitzen zu bleiben. Es war eindeutig, dass sie endlich wissen wollte, was er ihr sagen konnte. Dass sie wissen wollte, wer sie eigentlich war. Es war unfair, sie warten zu lassen. Er atmete noch ein weiteres Mal tief durch, seufzte und begann dann zu sprechen. „Mana... Du warst eine Priesterschülerin... das hat Adalia dir schon gesagt.“ Was tat er hier?! „Aber dann...“ Wieso hörte er nicht einfach auf?! Es war falsch! Es war einfach falsch! „hast du dich in einen Priester verliebt...“ Er konnte es kaum aussprechen, es schnürte ihm die Brust zu, schmerzte, sich daran erinnern zu müssen. „Weil aber eine Priesterschülerin bestimmte Regeln zu beachten hat...“ Er musste aufhören! Jetzt! Sofort! „hat der Priester deine Prüfung vorgezogen und dich absichtlich durchfallen lassen... Er wollte dich zu seiner Königin machen...“ Wieso hörte er nicht einfach auf? Jetzt, wo er angefangen hatte, schien es wie ein Fluch zu sein. Er wusste nicht, wie er sich stoppen sollte, wusste nicht, wieso er nicht einfach aufhörte zu sprechen. „Weil er sich in dich verliebt hatte...“ Hatte es noch einen Sinn? „Weil ich mich in dich verliebt habe...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)