Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 74: Ungewissheit ------------------------ Sie saß an ihrem Zimmer und wusste nicht weiter. Seth war wieder zurück, Adalia war da und auch Akim schien einen Platz gefunden zu haben, an dem er nicht entbehrlich war. Nachdenklich warf Kisara ihr langes, weißes Haar über ihre Schultern. Wurde sie hier wirklich noch gebraucht? Welchen Sinn hatte es noch, hier zu bleiben? Sie war doch einfach überflüssig. Wer würde sich schon dafür interessieren, ob sie hier war oder nicht? Viel zu lange schon gab das Drachenmädchen sich ihrem Selbstmitleid hin. Sie war es satt. Es störte sie so sehr, dass sie wiederum einen Grund darin fand, sich selbst zu verachten. Sie schüttelte den Kopf. Sie dachte zu viel, eindeutig. Wäre sie nicht gewesen, hätte alles anders ausgesehen, ihre Hilfe war überaus entscheidend gewesen. Also konnte sie doch stolz sein, oder nicht? Seth hatte sich bei ihr bedankt. Er musste noch irgendetwas in ihr sehen, oder? Wäre sie ihm nicht andernfalls völlig egal gewesen? Sie starrte aus dem Fenster. Wollte sie hier bleiben? Hier, wo alles sie an die alte Zeit erinnerte? Nein. Eigentlich nicht. Doch wo sollte sie hin? Sie hatte keinerlei Besitz und sie kannte auch sonst niemanden. Sie wollte sich keinem aufzwingen. Die Sicht vor ihren Augen verschleierte. Sie schüttelte den Kopf. Es lief falsch. Alles hier verlief absolut falsch. Und es gab nicht, das sie dagegen tun konnte. Ihren leicht tauben Arm konnte sie nur ignorieren. Wieso sollte er ihr etwas bedeuten? Sie spürte ihn noch, das lähmende Gefühl, das sie seit dem Rückstoß hatte, ließ langsam aber sich nach, verlor an Intensität. Wieso sollte sie ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, wo es doch etwas viel wichtigeres zu beachten galt? Die Priesterin war verwirrt und erleichtert zugleich. Sie hatte Mana aufhalten wollen, sie vor dem Schlag beschützen wollen, den sie kommen gesehen hatte, doch dann stellte sich heraus, dass ihre Sorge unbegründet gewesen war. Wie konnte das sein? Wie kam es, dass Mana diese Tat geschafft hatte, obwohl sie selbst so erschütternd daran gescheitert war? Sie atmete tief durch. Für den Moment war es egal. Es zählte nicht. Was zählte, war dass Seth endlich von diesem ... Ding ... befreit worden war. Nun endlich konnte man seine Wunde versorgen, nun endlich konnte sie ihm helfen. Adalia stand auf und schloss Mana in die Arme. Sie war ihr dankbar, unendlich dankbar. „Danke schön“, flüsterte sie in ihr Ohr und küsste sie auf die Wange. Leicht verwirrt lächelte Mana, bestätigt und zufrieden. Doch die Überraschung über Manas unerwarteten Erfolg blieb bestehen. „Wie hast du das gemacht?“ Es war der Hohepriester selbst, der die Frage aussprach, die in Leuchtschrift ungesehen im Raum stand. Seinen Arm zierte eine klaffende Wunde, doch in seinen Augen glänzte Dankbarkeit und Verwunderung. Mana tapste von einem Bein auf das andere. Leicht lächelnd und unsicher zuckte sie mit den Schultern. „Wieso?“, fragte sie wissbegierig, „War doch ... einfach?“ Sie schien nach den passenden Worten zu suchen. Adalia kannte dieses Verhalten bei ihr nun schon ausgesprochen gut. Sie legte es immer an den Tag, wenn sie einen Sachverhalt in ihren beschränkten Worten zu erklären versuchte. Sie wollte verstanden werden, wollte die Selbstverständlichkeit spüren, die die Grundlage für ein funktionierendes Gespräch darstellte. Sie empfand es also als einfach. Es warf einige Fragen auf. Wie war es Mana möglich gewesen, den Dolch zu ziehen? Besaß sie etwa eine magische Kraft, von der sie bisher nichts wussten? War es ihr nicht auch gelungen, ihren Stab zu rufen? Doch halt. Sie hatte diese Magie. Der Stab gehörte ihr, hatte ihr gehört, doch sie konnte ihn nun nicht mehr benutzen. Sie wusste nicht, was sie tat, doch diese Magie besaß sie zweifellos. Doch konnte das ausreichen, um den Zauber des Dolches aufzuheben? War ihre Magie so groß?! Die Priesterin war sich sicher, dass nicht einmal Seth diese Kraft gehabt hätte und wenn doch, dann nur mit Hilfe des Millenniumsstabes und in einwandfreier körperlicher Verfassung. Sie konnte eine solche Macht nicht beherbergen, ohne jemals einen Zugriff darauf gehabt zu haben. Es war unmöglich. Doch wie konnte es dann angehen? Angestrengt dachte Adalia nach und kam doch zu keinem sinnvollen Schluss, bis sie schließlich wieder zu dem Mädchen aufsah, das unschuldig lächelnd mit einem der Geister spielte und ihn um ihren Finger wickelte. „Ich glaube, sie haben geholfen“, flüsterte sie, drehte ihren Kopf um sich umzusehen und erstarrte traurig, als sie das Blut sah, dass des Hohepriesters nasses Gewand färbte. Mit betroffenen Augen starrte sie durch den Geist hindurch zu Seth, als etwas geschah, das sie mehrfach blinzeln ließ. Einer der Geister schwebte über ihren Kopf hinweg, legte sich auf die Wunde an Seths Arm und heilte diese fast vollständig. Lediglich eine starke Rötung blieb erhalten und doch war der Unterschied enorm. Adalia stockte, durcheinander, verwirrt. Sie atmete einmal tief durch, nicht um Zeit zu schinden, sondern lediglich um ihre Gedanken zu ordnen. Es war also tatsächlich wahr. Es war fast nicht zu glauben, doch sie hatte es gerade mit ihren eigenen Augen gesehen. Die ganze Zeit über hatte die Priesterin gehofft, es wäre doch eine Lüge gewesen, doch Mana schien tatsächlich die Kontrolle über diese Geister zu haben. Die Geister, die Bakura erst gerufen hatte. Manas Vater. Es war wohl gut so, zumindest für den Moment. Seths geheilter Arm war wirklich eine Erleichterung, wenn man es genau betrachtete. Es hätte Wochen gedauert, eine solche Verwundung zu heilen und das auch nur mit sehr viel Glück. Ein leichtes Zittern ging durch ihren Körper. Erleichterung, Kälte, sie konnte die Quelle nicht benennen. Die heilende Wirkung war dem Hohepriester anzusehen, wenn auch Erstaunen mit einwirkte. Er musste dieselben Gedanken gehabt haben wie sie, der Schatten, der sich kurz über seine Augen gelegt hatte, sprach Bände. Manas Vater. Konnte sie das so hinnehmen? Konnte man ignorieren, dass die Verlobte des Hohepriesters, des Thronfolgers von Ägypten nicht nur keine Erinnerungen mehr hatte, sondern zusätzlich noch den König der Räuber zum Vater? Blieb ihnen denn etwas anderes übrig? Seth hatte Mana versprochen, dass sie würde bei ihm bleiben dürfen, egal, was auch geschah. Sie wusste davon heute jedoch nichts mehr... War Seth bereit, sie zu betrügen um die Etikette zu wahren? „Und jetzt?“, platzte Mana in ihre Gedanken und sah erwartungsvoll zwischen der Priesterin und dem Hohepriester hin und her. Adalia lächelte. Manchmal war sie wirklich niedlich. „Jetzt gehen wir wieder hinein“, antwortete sie bestimmend, „Es wird wirklich Zeit, dass wir etwas trockenes anziehen.“ Mana selbst mochte es vielleicht ignorieren, doch der Priesterin war ihre Gänsehaut aufgefallen. Es fehlte nur noch, dass das Mädchen erkrankte, um ihre Heilungschancen noch weiter sinken zu lassen. Ihr Körper litt schon genug. Es war fast ein Jammer, dass diese Geister sich in Luft aufgelöst hatten, kurz nachdem Bakura verschwunden war. Nachdem, was sie eben bezeugen durften, hätte es da nicht möglich sein müssen, dass Mana sich selbst heilte? Bestand nicht diese Möglichkeit? Oder reichte ihr Mitleid für sich selbst nicht aus um einen solchen Wunsch auf diese Geister zu übertragen? Es war wirklich schade. Musste es also so gehen. Mana musste genesen und das durch ihre eigene Kraft. In der Zwischenzeit war Seth dem Beispiel der Priesterin gefolgt und hatte sich ebenfalls erhoben. Auch ihm klebten die Stoffe am Körper, blutig und nass. Es war nur allzu deutlich, dass nichts ihn länger an diesem Ort hielt. Etwas widerwillig schien auch Mana zuzustimmen. Vermutlich tat sie es nicht aus dem Grund, dass sie es für gut erachtete, sondern vielmehr, weil sie davon ausgehen musste, dass sie sich nicht gegen Seth und Adalia würde durchsetzen können, aber sie tat es. Schneller als die beiden anderen lief sie los, lief voran, bis sie bei Akim ankam und erneut stehen blieb. Er war an der Stelle verharrt, wo er bei seinem Angriff auf Bakura gewesen war, offensichtlich unentschlossen, ob er hätte gehen sollen oder nicht. Das zufriedene Grinsen, das sein Gesicht zierte, seit der Weißhaarige verschwunden war, ließ ihn überheblich aussehen, wie einen jungen Gott, der soeben die Welt neu erschaffen hatte. Sie grinste ihn an. „Kommst du mit?“, fragte sie frech und fügte zwinkernd hinzu: „Falls du mithalten kannst?“ Er lächelte sie an. Kümmerte er sich um die Zustimmung des Hohepriesters? Es machte nicht den Eindruck. „Glaubst du nicht, dass ich mithalten könnte?“, hielt er dagegen, wohlwissend, dass dies wohl genau die Reaktion war, auf die das Mädchen gehofft hatte. „Nein!“, gab sie kichernd zurück und lief dann los, an ihm vorbei in den Palast. Adalia schüttelte leicht resignierend den Kopf. Für die Sicherheit des kleinen Wirbelwindes zu sorgen, war alles andere als einfach. Wieder war sie voraus gelaufen. Wieder hatte sie sich nicht an die Abmachung gehalten. Wieder hatte sie sich genau so verhalten, wie auch die frühere Mana gehandelt hätte. Völlig instinktiv nur das machend, was ihr gefiel. Akim blieb noch immer stehen. Wollte er nicht hinter Mana hinterher? Er war ein eigenartiger Junge. Er schien tatsächlich auf die Bestätigung von Seth zu warten. Tat er das für Mana? Damit sie nicht Zeugin einer Auseinandersetzung würde sein müssen? Oder tat er das für sich selbst? Als persönliche kleine Rache? Seth hatte doch keine andere Wahl, als ihm den Umgang mit Mana zu erlauben, wenn er sie nicht verletzen wollte. Und tatsächlich, fast unmerklich nickte der Hohepriester ihm zu. Noch immer wusste Adalia nicht, was sie von ihm halten sollte oder ob sie ihm trauen konnte. Sie hätte gern an ihn geglaubt, doch die Kehrseite war äußerst dominant. Akims Hass und seine Verachtung Seth gegenüber war nahezu grenzenlos. Und der Nebel, den er kontrollierte ... er war schon so oft gegen sie verwendet worden, wie sollte man ihm da trauen? Er war nicht so harmlos, wie er aussah, das stand auf jeden Fall fest. Bevor er sich in Bewegung setzen konnte um Mana zu folgen, hielt Adalia ihn auf. „Mana mag dich wirklich sehr...“, sprach sie ihn leise an. Es war lediglich eine Feststellung gewesen, er musste es längst bemerkt haben. Sie konnte nur hoffen, dass er ihre Lage und ihr Vertrauen nicht ausnutzen würde. Ernst betrachtete sie sein Gesicht. „Du bist dem König der Diebe gerade nicht zum ersten Mal begegnet, habe ich Recht?“ Es war ihr aufgefallen. Die Art, mit der er Bakura begegnet war, ließ keinen Zweifel daran übrig. Sie musterte ihn genau. Dieses Wissen war wichtig. Wie standen die beiden zueinander? Was grenzte sie voneinander ab? Sie hätte dieses Gespräch gern auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, doch es musste sein. Anstatt nun also in ein trockenes und vor allem heiles Gewand zu schlüpfen, stand sie da, hielt die zerrissenen Fetzen eng an ihren Körper gepresst und betrachtete den Violetthaarigen aufs genaueste. „Sie hat mich schon immer gemocht“, gab Akim nachdenklich zurück, „Ich weiß nicht, woran das liegt.“ Die Aufrichtigkeit der Verwunderung stand in seinen Augen geschrieben. Wenigstens ehrlich schien er sein zu wollen, das war sehr gut. Seine Worte filtern zu müssen, hätte als nur verkompliziert. Er wurde ernster. „Nein, ich bin ihm nicht zum ersten Mal begegnet“, gab er zu, doch der Widerwillen in seiner Stimme stieg. Offensichtlich wollte er nicht über seine Begegnung mit dem Räuber sprechen. Oder lag es etwa daran, dass Mana im Grunde nicht mehr einzuholen war? Lag es eventuell daran, dass er durch dieses Gespräch Manas Spiel verlor? „Vorhin erst stand ich ihm gegenüber“, fuhr Akim unbehelligt fort, „Er ist ein interessanter Mensch.“ Gedankenverloren blickte der Junge auf den Teich und dann auf die Stelle, an der Bakura verschwunden war. Klang Anerkennung in seiner Stimme mit? „Ein interessanter Mensch?“, fragte sie überrascht. Damit hatte sie nicht gerechnet. Auf wessen Seite stand der Junge? Sie hätte es wirklich zu gern gewusst. „Wie meinst du das?“ Es interessierte sie brennend und sie würde ihn auch erst gehen lassen, wenn sie die Antworten bekommen hatte, nach denen sie suchte. Um Mana musste sie sich für den Moment nicht kümmern. Sie wusste genau, dass Seth ihr folgen würde. Es gefiel ihr zwar nicht, doch der Hohepriestertat für das Mädchen so ziemlich alles, was sich nicht für einen Mann von seinem Stand geziemte. Er würde sie jetzt nicht allein lassen, nicht, wo er gerade erst wieder zurück war. Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Akim. „Du standest ihm gegenüber?“, wiederholte sie seine Aussage skeptisch, „Und er hat dich gehen lassen?“ Sie war nicht überzeugt. Er lächelte sie an, schien so etwas erwartet zu haben. Wissend sah er sie an. „Er ist nicht zu unterschätzen“, antwortete er schließlich, wieder ausweichend, „Aber ja, ich stand ihm gegenüber. Wir haben es bei einem Unentschieden belassen. Obwohl ... Nun liege ich wohl in Führung“, fügte er stolz hinzu. „Ein Unentschieden?“, sie schaute überrascht. „Und das hat er einfach hinge-?!“ Etwas, das sie nicht hatte kommen sehen, riss an ihr, zerrte sie nach hinten. Erschrocken schrie sie auf. Etwas Kaltes legte sich um ihre Handgelenke, zwang sie ihre Arme auszubreiten. Eiskalt und fast durchsichtig: Geister. Sie waren so schnell gekommen, dass die Priesterin nicht die Gelegenheit bekommen hatte, irgendwie zu reagieren. Sie wurde vor eine Wand gezogen, wurde mit dem Rücken dagegen gedrückt und ihre Hände waren wie durch enge Ketten gefesselt. Fast hätte sie des Gleichgewicht verloren, doch die Geister hatten sie davor bewahrt. Sollte sie etwa dankbar sein? Adalia biss die Zähne zusammen. Und dann sah sie ihn. Bakura. Offensichtlich hatte er es nicht einfach hingenommen. Sie musste weg von hier, musste sich irgendwie befreien. Und wieder beschlichen sie Zweifel. Konnte sie sich auf Akim verlassen? Oder war alles nur ein abgekartetes Spiel? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)