Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 68: Erinnerungen ------------------------ Ihm zu folgen war im Grunde eine Kleinigkeit. Selbst die Unsichtbarkeit war keine Hürde für ihn, der doch bereits so viel weiter gegangen war. Simple Magie? Er hatte sich lange genug von so etwas unterwerfen lassen. Damals, ja. Da war es dem Hohepriester gelungen ihn zu zähmen. Es war mehr ein Zufall gewesen, ein Zufall und eine glückliche Fügung, durch die der Priester als der Überlegene hatte entkommen können. Er hätte ihn mit Leichtigkeit besiegen können und er konnte es immer noch. Jetzt hielten ihn bloß andere Dinge davon ab, als noch vor so vielen Jahren. Zu der Zeit hatte er mit ihm spielen wollen, bevor er ihn überwältigte, doch Seth war ihm damals zuvor gekommen. Ein Fehler, der ihm niemals wieder geschehen würde. Niemals wieder würde er einfache, simple Magie unterschätzen. Bakura war nicht schwach. Bakuras Macht war absolut tödlich, seine Strategie berechnend und kalt. Er gewährte keine Gnade. Er forderte das Äußerste von seinen Gegnern, sonst langweilten sie ihn und verloren in seinen Augen das Recht zu existieren. Er spielte immer noch. Doch Akim wusste: Jedes Spiel konnte durch einen einzigen falsch gesetzten Zug außer Kontrolle geraten. Er sah den Meisterdieb vor sich, nur wenige Meter von ihm entfernt. Er konnte ihn nicht sehen, wie er ihn gesehen hätte, wenn der Schleier der Unsichtbarkeit nicht auf ihm gelegen hätte, doch er konnte sich von ihm nicht verbergen. Wie eine mystische Aura umgab die Macht den Weißhaarigen, die Seelen von Kul Elna, die Bakura beschützten und ihm all ihre Kraft liehen. Die Macht, die Akim sehen konnte. Bakura lachte auf, als er Kisara und Seth im Gang vor sich stehen sah. Ihre Worte waren nicht zu verstehen, doch dem Jüngeren war sofort klar, dass sie sein Gelächter nicht gehört haben konnten. Unbesonnen näherte er sich ihnen, rieb sich die Hände in Vorfreude. Akim schüttelte den Kopf. Glaubte er denn wirklich, dass es so einfach war? Es war einfach lächerlich. Unterschätze er ihn immer noch? Gerade als Seth und Kisara den Raum betraten und Bakura ihnen ungesehen hatte folgen wollte, versiegelte er die Tür. Der Dieb war gezwungen draußen zu bleiben, und stellte dies nur Sekunden später fest. Sauer lief er vor der Tür auf und ab, grummelnd und genervt. Akim grinste vor sich hin. Das Spielchen begann ihm zu gefallen. Die Wut des Königs der Räuber war geradezu fassbar, seine Aura wurde immer deutlicher, genährt von den Seelen, die auf seine Emotionen reagierten. Ein Klirren erschütterte die Gänge, als Bakura scheppernd gegen eine Vase trat, die in unzählige Scherben zerbrach. Er fluchte. Akim stellte sich direkt vor ihn. „Nicht aufregen“, hauchte er ihm entgegen und hatte mächtig Spaß dabei. Die Rage, die den Mann vor ihm zerfraß, war sein Vergnügen. „Halt‘ dein verfluchtes Maul!“, knurrte Bakura, überhaupt nicht mehr darauf bedacht, nicht aufzufallen. Jeder im Umkreis von einigen Metern musste bereits die Vase zu Bruch gehen gehört haben. Wieder lachte der Jüngste auf. „Was hast du denn? Ist dir der Spaß vergangen?“ Es war genau das, was Bakura geplant hatte. Sich im Dunkeln anschleichen und dann aus dem Hinterhalt heraus die Fäden ziehen. Doch wer nun die Fäden zog war nicht er – es war Akim. Bakura packte ihn an der Kehle und drückte leicht zu. „Ich habe lange kein Blut von einfältigen Burschen mehr gehabt, also reiß dich gefälligst zusammen!“, fauchte er, ehe er ihn zur Seite stieß und sich wieder zur Tür umdrehte, die sich gerade in dem Moment leise öffnete. Ein weißhaariges Mädchen blickte sich leicht verstört im Gang um, konnte aber selbstverständlich bis auf die Scherben der Vase nichts erkennen. Das Grinsen fand seinen Weg zurück auf des Diebes Gesicht, als er sich ihr unsichtbar näherte. Akim ließ sich locker zur Seite schubsen, es kümmerte ihn nicht. Warum hätte er sich daran stören sollen? Der Nebel fing ihn doch jederzeit auf. Er hatte offensichtlich einen sehr empfindlichen Punkt getroffen. Er lächelte. Diesen Meisterdieb aus der Fassung zu bringen, war noch viel einfacher, als er es sich vorgestellt hatte. Er saß auf dem Boden und beobachtete die Szene. Bakura, wie er auf Kisara zuging. Sie musste seine Anwesenheit bemerkt haben, doch sie konnte die Quelle ihrer Unsicherheit nicht ausmachen. Sie wirkte angespannt, der sich ihr Nähernde vergnügt. Sollte er? Er würde Bakura den Spaß wieder verderben, egal, was dieser auch vorhatte. Natürlich musste die Vase jemandem aus dem Gemach aufgefallen sein, doch dass es ausgerechnet Kisara gewesen war, die nachsehen ging. Er seufzte leicht. Interessanter wäre es doch gewesen, wenn der Hohepriester selbst ihnen die Ehre seiner Anwesenheit gegeben hätte. Nun ja, er konnte es nicht ändern. Doch gegen das Drachenmädchen hegte er keinen Groll. Direkt vor ihren Füßen ließ er eine Nebelkugel erscheinen, um sie nicht nur zu warnen, sondern auch um ihr einen Hinweis zu geben. Ein erschrockener Aufschrei war die Reaktion darauf. Verwirrt blickte Kisara die Kugel an, starrte sie an, fast apathisch. Sie war ganz offensichtlich nicht darauf gefasst gewesen. Bakura, der ebenfalls nicht damit gerechnet hatte, drehte sich erneut um und schenkte dem Nebeljungen einen eisigen Blick, eher er kopfschüttelnd, aber grinsend, verschwand. Sein Gesichtsausdruck war eindeutig gewesen. Er verließ sie nicht, weil er sich vor Kisara fürchtete. Er verließ sie, weil er wusste, dass Akim ihm nicht folgen konnte, wenn er sich um die Weißhaarige zu kümmern hatte. Dies war seine einmalige Gelegenheit zur Flucht, die er sofort nutzte. Das also hatte er sich dabei gedacht. Es war äußerst geschickt eingefädelt, das musste Akim anerkennen. Während er sich vor Kisara rechtfertigen musste, hatte Bakura alle Zeit der Welt zu entkommen. Die junge Frau schien sich wieder gefangen zu haben. Ihr Blick verhärtete sich, als die Erkenntnis kam, sie trat einen Schritt zurück. „Zeig‘ dich!“, stieß sie befehlerisch hervor. Akim trat hervor, aus dem Schatten heraus, der ihn verborgen hatte. Er sah keinen Grund darin, sich vor ihr zu verstecken, nun, da er sich ohnehin schon zu erkennen gegeben hatte. Lediglich seine Geschwister hätten die Magie der Nebel ebenfalls nutzen können, doch dass sie nicht hier waren, konnte wohl selbst der Dümmste noch vorhersagen. Mit festem Blick musterte er sie, sah ihr direkt in die Augen. Nichts Böses war darin zu lesen. Ein ganz schwaches Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Du bist es wieder“, sagte sie leise und entfernte sich langsam von der Tür. Sie schien ihm nicht zu misstrauen und das, obwohl er doch die einzige, sichtbare Erklärung für die zerstörte Vase war. Sie atmete tief durch. „Darf ich dir eine Frage stellen?“ Höflich. Sie war höflich. Sie erwartete keine Feindseligkeit, wie Akim etwas verblüfft feststellen durfte. Sie erwartete auch keine Erklärungen von ihm. Es war einfach Neugierde, die sie antrieb. Er hatte nicht damit gerechnet, doch sie hatte nur gefragt. Es gab keinen Grund, ihr die Frage zu verwehren, die Antwort konnte er ihr schließlich immer noch schuldig bleiben, wenn er nicht im Stande dazu wäre, sie angemessen zu formulieren. „Natürlich darfst du“, gab er also zurück, nun selbst gespannt auf ihre Frage. Eines konnte er mit Sicherheit sagen: Die Vase kümmerte sie nicht. Sie zögerte. Es schien sie einige Überwindung zu kosten, es tatsächlich auszusprechen. „Naja…“, begann sie schließlich, „Du weißt ja, wie es ist, sein Gedächtnis zu verlieren…“ Akim spürte genau, dass sie ihn das eigentlich nicht fragen wollte, doch einfach niemanden sonst darauf ansprechen konnte. Sie versuchte, es so neutral wie möglich zu formulieren, und ihre Besorgnis rechnete der Junge ihr an. „Kannst du dich daran erinnern, wie es am Anfang war? Und wenn ja, kannst du mir vielleicht sagen, wie es war und ob du dich vielleicht am Anfang, du weißt schon … als du dich ja eigentlich gar nicht hättest erinnern können … naja … Hast du da Dinge als vertraut wahrgenommen? Vielleicht wiedererkannt?“ Ihre eigene Unsicherheit war fassbar, sie fühlte sich nicht wohl dabei, ausgerechnet ihn das zu fragen. Doch es war nicht ihre Schuld. „Am Anfang?“, fragte er leise. Er hatte nicht damit gerechnet und brauchte einen Augenblick, um in Ruhe darüber nachdenken zu können. „Es war nichts … Absolut nichts … alles war fremd … Wahrscheinlich war es, wie direkt nach der Geburt“, er konnte es nicht so recht vergleichen. „Es gab eine Welt und in die kam ich herein. Ich kannte niemanden, nicht einmal mich selbst. Alles, was ich später wusste, war das, was er mir gesagt hatte.“ Seine Stimme klang bitter. Ihnen beiden war wie in einem stillen Einvernehmen klar, dass er von Seth sprach, ohne seinen Namen aussprechen zu müssen. Er, der ihm seine ganze Welt aufgebaut hatte, voller Lügen und voller Hass. „Es hat mich niemand ernst genommen, niemand legte Wert auf meine Meinung. Nur Seth hörte sie sich ein paar Mal an, ich glaube nicht, dass er anders über mich gedacht hatte …“ Er schien für einen Moment in seine Gedanken versunken zu sein, Kisara unterbrach ihn nicht. Natürlich hatte Seth gewusst, was er all dein anderen nicht gesagt hatte. „Was soll’s. Ich kam in eine Welt, die keinerlei Grenzen kannte, denn ich kannte die Regeln nicht. Und nach und nach wurde diese Welt kleiner. Regeln, Gesetze, Vorschriften. All das kam plötzlich auf mich zu, ich musste alles lernen, alles verstehen. Doch ich hatte nie gelernt zu verstehen – das dachte ich jedenfalls.“ Er sah ihre blauen Augen, die leicht in Tränen schwammen. „Aber Erinnerungen? Es gab keine. Wie auch? Ich habe vorher nicht hier im Palast gelebt, ich kam an den für mich fremden Hof und ich hätte nichts gekannt, selbst wenn mein Gedächtnis erhalten geblieben wäre.“ Er hatte schon verstanden, was sie wissen wollte. Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich kann dir nichts sagen, ob Mana Dinge wiedererkennen kann. Aber wirklich daran erinnern, wird sie sich nicht.“ Kisara schluckte. Sie hatte ihm aufmerksam zugehört, nickte nun leicht. Sie wirkte bedrückt, ob nun seinetwegen oder wegen Mana konnte er nicht sagen. Letzten Endes war es ihm gleich. „Ich hoffe, nun verstehe ich es ein wenig besser…“, flüsterte sie. Aus einem ihm nicht verständlichen Grund, brachte sie die Worte einfach nicht in einer normalen Lautstärke hervor. Die Stimmung schien eingefroren, sie nahm sich jedes seiner Worte zu Herzen. Gern hätte er ihr eine bessere Antwort gegeben, doch es ging einfach nicht. Es war nicht möglich. Seine Situation und die von Mana – sie waren sich so ähnlich und doch grundverschieden. Vielleicht konnte ihr Unterbewusstsein die Umgebung erkennen, in der sie groß geworden war, vielleicht hätte auch er etwas wiedererkennen können, doch man hatte ihn aus seiner Heimat gerissen und in die Fremde verdammt. Ein Leben, das unbekannter nicht hätte sein können. Die Liebe und die Fürsorge, die Mana nun bekam, hatte er nie kennen gelernt. Seth hatte sich um seine Eingliederung in die Gesellschaft nur insofern gekümmert, wie es ihn selbst betraf und von ihm einmal abgesehen, hatte er keinerlei Bezugspersonen. Er war ein Gespött gewesen, nicht mehr. Der arme, kleine Junge ohne Erinnerungen, den niemanden hatte haben wollen und dem sich der Hohepriester gnädiger Weise angenommen hatte. Nein. Es gab keine Übereinstimmungen zwischen Mana und ihm, abgesehen davon, dass es derselbe Mann und derselbe Zauber gewesen war, der jede Erinnerung ausgelöscht hatte. Seth. Akim selbst hatte diesen Zauber überwunden, doch einzig und allein die Magie der Nebel, die ihm von Geburt an gehört hatte, hatte ihm diesen Schritt ermöglicht. Nur die Tatsache, dass sein eigener Zauber wesentlich stärker war als der des Hohepriesters, hatte ihm die Möglichkeit gegeben aus der Schmach hervorzutreten und stärker und mit jeder einzelnen seiner Erinnerungen vereint, dem Mann entgegen zu gehen, der ihm alles hatte nehmen wollen. Kisara betrachtete fasziniert sein Gesicht. Sie legte ihren Kopf schief, nachdenkend. Wieder schien sie mit sich selbst zu hadern. „Seth war ein grausamer Mann…“, gab sie leise zu, „doch…“ Die Tür hinter ihnen sprang auf und Mana lief auf sie zu, gefolgt von Adalia und von Seth, dessen Blick versteinerte, als er ihn erkannte. Nein, er hatte sich nicht geändert. Was auch immer das Drachenmädchen in ihm sah, es war nicht ausreichend um die Schatten in seinen Augen zu überdecken und Mana, die nun auf den Jüngsten zugesprungen kam, war der beste Beweis dafür. War sie nicht diejenige, die nun zur Marionette gemacht wurde? Vielleicht nicht zur Unterwerfung, wie es damals bei ihm der Fall gewesen war, vielleicht nicht zur Belustigung. Aber war nicht Liebe die schlimmste Foltermethode, die es gab? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)