Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 66: Schreie ------------------- Die Zeiten für schlechte Nachrichten waren vorbei – das dachte Atemu zumindest, als er durch die Gänge eilte. Die Wächter verneigten sich, als sie ihren Herrscher vorbeigehen sahen, freudig erregt ihn wieder im Palast zu wissen. Doch Atemu beachtete sie gar nicht. Er hatte nur eines im Kopf: Teana. Viel zu lange hatte er sie allein gelassen, ihr eine Verantwortung aufgebürdet, die sie zwar tragen konnte, aber die sie nicht schätzte. Ausgerechnet zu der Zeit, da sie sich eigentlich hätte schonen müssen um der Schwangerschaft den bestmöglichen Verlauf zu geben. Doch nun – das hatte er sich geschworen – würde alles anders werden. Er würde die Aufgabe, das Land zu führen, wieder schultern und sie entlasten, er würde die Schatten wieder von ihr nehmen und sie wieder zu seiner strahlenden Sonne machen. Das Dienstmädchen, das sich ihm – mit dem nötigen Respekt zwar, doch trotzdem unerwartet – in den Weg stellte, war nur das erste Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Es fehlte der Trubel, es fehlte der freudige Jubel über ihre Rückkehr hier in diesem Gang. Jedes Anzeichen von Leben wurde erstickt. „Mein Pharao“, hauchte die Dienerin andächtig und verneigte sich. Ihr Gesicht glänzte voller Sorge. „Die Prinzessin...“ Sie wusste offenbar nicht genau, wie sie es in Worte fassen sollte. Ihr Zögern machte Atemu fast rasend vor Angst. „Es geht ihr nicht besonders gut...“ Behutsam sprach sie die Worte aus und trat dann untertänigst zur Seite um den Pharao passieren zu lassen. Er beschleunigte seine Schritte, schob jeden Diener eigenhändig zur Seite, trat an die Tür, klopfte einmal und trat dann ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Ein leichtes Entsetzen lag in seinen Augen. „Teana!“, rief er sie, als er auf sie zueilte, doch sie nahm ihn nicht wahr. Fiebrige Träume hielten sie gefangen, sie wälzte sich im Bett hin und her. Qadir, der noch immer an ihrem Bett saß und persönlich über sie wachte, schrak auf. „Pharao!“, ein einfaches und gequältes Lächeln legte sich auf seine müden Züge. „Ihr seid wieder da.“ Es war lediglich eine Feststellung, doch er atmete kurz auf. Wenigstens ihre Sorge um Atemu konnte Teana nun vergessen, vielleicht half es ihr auf ihrem schweren Weg der Genesung. „Was ist mit ihr?!“ Atemu konnte des Arztes Lächeln nicht erwidern, auch wenn es noch so halbherzig und künstlich war. Er schüttelte den Kopf, wie um einen unangenehmen Gedanken zu vertreiben, trat mit wenigen schnellen Schritten an ihr Krankenlager heran und ergriff ihre kalte Hand. Hätte er sie doch nur nicht allein gelassen... „Teana“, hauchte er leise, versuchte besänftigend zu klingen, „Beruhige dich, ich bin da...“ Und tatsächlich schien seine Anwesenheit etwas zu bewirken. Die Wärme seiner Haut schien durch ihre Poren zu gehen und sie anzusprechen, doch ihre Augen blieben geschlossen. Dies war nicht die Heimkehr, die er sich gewünscht hatte. Triumphal zwar, aber nicht feierlich. Qadir erhob sich. „Mein Pharao“, er sah ihn bedrückt an, wohlwissend, dass es sich nicht für ihn geziemte, doch in dem festen Wissen, dass niemand sich im Augenblick darum kümmerte. Die Etikette hatte in diesem Palast einen bitteren Beigeschmack für alle Beteiligten. „Ich freue mich, dass Ihr wohlbehalten wieder zurück seid. Jedoch ... Der Zustand Eurer Verlobten hat sich stark verschlechtert, durch hohes Fieber und Stress gab ihr Körper nach, sie hat starke Schmerzen...“ Voller Mitleid sah er zunächst sie, dann ihn an. Er wollte ihn leicht zur Seite nehmen, dies nicht direkt neben ihr besprechen für den Fall, dass ihr Unterbewusstsein nach weiteren Gründen suchte, das Erwachen hinauszuzögern. Er schüttelte leicht den Kopf. „Ich...“ Doch Atemu riss sich los. Er wollte das nicht hören, er wollte das nicht glauben. Er schritt wieder auf das Bett zu, unablässig den Kopf schüttelnd. Was er sagte, stimmte nicht. Er wollte ihm alles zerstören, deswegen sprach er solche Worte. Er wollte das Grauen fassbar machen, es beim Namen nennen, doch was hatte er davon? Er machte doch alles nur schlimmer mit seinem Gerede. Wieder nahm er die Hand seiner Verlobte. „Liebste...“, flüsterte er und strich ihr sanft über die Stirn, „Alles ist in bester Ordnung, hörst du? Der Krieg ist gewonnen!“ Er sagte es und klang dabei fast glücklich. Das war es doch gewesen, das sie gewollte hatte, oder nicht? „Ich bin wieder zu Hause...“ Teana presste für einen kurzen Moment die Beine fest zusammen, verzog ihr Gesicht krampfhaft. Doch dann beruhigte sie sich wieder. Ob sie ihn verstanden hatte oder nicht, konnte weder Atemu noch Qadir sagen. Letzterer trat besorgt an seinen König heran. „Es ist nicht alles in Ordnung, mein Pharao.“ So ungern er es auch tat, er musste ihm eindeutig widersprechen. „Euer Kind...“ Wieder schnitt Atemu ihm das Wort ab. Gebieterisch herrschte er ihn an zu schweigen. Er legte seine Hand an Teanas Wange und strich sanft darüber. „Alles ist in Ordnung...“, hauchte er zärtlich. Die Prinzessin keuchte erneut auf und wälzte sich im Bett umher. Sie war schweißgebadet und unglaublich geschafft. Qadir sah es mit Besorgnis. All die Hoffnung, die er in des Pharaos Rückkehr gelegt hatte, drohte in sich zusammenzufallen. Verdrängung. Es war nur allzu verständlich, dass er nach den Bildern, die der Krieg ihm gezeigt hatte, nicht noch mehr Grausamkeiten sehen wollte – sicher hatte er auch schon von Mana erfahren – doch seine Haltung verschlimmerte alles. Er musste der Wahrheit ins Gesicht sehen, nur so konnte er sich ihr stellen und sie verarbeiten. Nur so konnte er Teana helfen. Wenn er seiner Teana helfen wollte – und davon ging der Arzt aus – so musste er sich eingestehen können, dass es noch nicht vorbei war. Die Prinzessin schwebte noch immer in höchster Gefahr. Ihr Überlebenswille war geschwächt, seit das Kind nicht mehr bei ihr war, instinktiv konnte ihr Körper sagen, dass es ganz und gar nicht richtig war. Wieso war es nicht bei ihr? Wieso gab es keine Schreie? Am liebsten hätte er es den Beiden komplett verschwiegen um sie zu schützen, doch selbstverständlich war dies keine in Betracht zu ziehende Alternative. Wie konnte er den Pharao zur Besinnung bringen? War er wieder nur dazu verdammt zuzusehen? Nein. Er musste dafür sorgen, dass er sich zusammenriss. Teana schreckte aus dem quälenden Schlaf hoch. Von einer Sekunde auf die nächste saß sie aufrecht im Bett und begann hemmungslos zu weinen, wobei sie wieder nach hinten kippte. Atemu reagierte blitzschnell, fing sie auf, ehe sie wieder auf die Kissen gesunken war. Sein Arm lag um ihre Schulter und stützte sie. „Pscht, ruhig“, hauchte er und strich mit der anderen Hand über ihr Gesicht, „Alles ist in Ordnung...“ Er setzte sich zu ihr ans Bett und drückte ihren Kopf an seine Brust. „Ich bin wieder hier...“ Nun, da sie erneut bei Bewusstsein war, konnte sie sich nicht mehr gegen das Zittern ihres Körpers wehren. Sie lehnte sich an ihn, konnte ihr Gewicht selbst kaum halten, doch er ließ sie nicht los. „Ich hatte solche Angst...“, flüsterte sie verzweifelt. Die starken Arme, die sie hielten, wiegten sie sanft hin und her. Er wollte sie halten, wollte sie beschützen vor der ganzen Welt, vor allem, was sie so geschwächt hatte. „Es ist vorbei, hörst du? Du brauchst keine Angst mehr zu haben, ich bin da...“ Sie drückte sich an ihn. Unaufhaltbar flossen die Tränen aus ihren Augen, zogen Bäche aus Salzwasser über ihre reine Haut. Ihre Augen waren geschwollen. Augenringe von Übermüdung und Erschöpfung. Sie nickte, doch sie verstand nicht, was er ihr sagen wollte. Ihr Kopf war einfach nicht aufnahmebereit, zu viele Gedanken schwirrten umher, die sie nicht ordnen konnte. „Es war schrecklich...“, sagte sie leise, doch das war es nicht, was auf ihrer Seele brannte. Sie wagte es nicht, Qadir anzusehen, doch sie konnte sich nicht zurückhalten. „Was ist mit unserem Kind?“ Sie musste es wissen. Sie fühlte eine unbekannte Leere in sich, nun, da sie ihr Baby nicht mehr bei sich trug. Atemu konnte sie verstehen, konnte ihre Qualen nachvollziehen. Lediglich die Schmerzen konnte er nicht begreifen, etwas solches hatte er nicht zu spüren bekommen. Er murmelte ihr beruhigende Sätze ins Ohr, strich vorsichtig über ihr zerzaustes Haar, ganz so als wäre sie eine zerbrechliche Puppe aus Porzellan. Doch er konnte ihr die Antwort nicht geben, nach der sie verlangte. Langsam nur schüttelte er den Kopf und atmete tief durch. „Ich...“, auch ihm konnte nicht entgangen sein, dass hier etwas – oder vielmehr jemand – fehlte, „Ich weiß es nicht...“ Wie mechanisch drehte er seinen Kopf zu Qadir, nun auch auf die Antwort wartend. Der Moment war also gekommen. Der Arzt hatte es gewusst, dennoch schnürte es ihm die Kehle zu. Jetzt die Worte aussprechen zu müssen, kam ihm unglaublich zerstörerisch vor. Er wusste genau, dass er eine große Harmonie, die immer von der Prinzessin ausgegangen war, damit vernichten würde. Doch er hatte keine andere Wahl. Betroffen sah er die Beiden an, schluckte kurz, ehe er schließlich begann. „Es tut mir Leid...“, sagte er und senkte den Blick gen Boden, „Das Fieber und die Schmerzen waren zu stark. Der Körper hat das Kind zu früh abgestoßen...“ Die Worte waren wie ein Fluch. „Das Kind... Es ist tot.“ Kälte. Eis. Gift. Das Gefühl, das sich durch Teanas Körper zog, ließ sich nicht durch Worte beschreiben. Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen, sie schüttelte den Kopf. Heftiger. „Das kann nicht sein...“ Sie konnte es nicht glauben, sie durfte es nicht glauben. „Ihr lügt, bitte sagt mir, dass Ihr lügt!“ Unglauben und Flehen sprach aus jeder Geste ihres Körpers, jeder Mimik. Sie drehte sich von Atemu weg, sah an sich herab. Weg. Es war einfach weg. „Nein...“ Sie schüttelte erneut den Kopf, die Augen vor Angst geweitet, der Mund geöffnet. „NEIN!!“ Sie schrie. Sie schrie, doch der Pharao hörte sie nicht, nicht wirklich. Dieses eine Mal drückte ihr Schrei so viel mehr aus, als er hätte sagen können. Er erhob sich, packte Qadir bei den Schultern. „Sagt, dass Ihr lügt!“, wiederholte er Teanas Forderung, fauchend. Er schrie ihn an. „Nun macht schon! Macht doch irgendetwas!“ Befehle. Das einzige, was er geben konnte, waren Befehle. Befehle, die keinen fruchtbaren Boden finden konnten. Der so Angesprochene sah ihn erschrocken an, schüttelte den Kopf. Er legte eine Hand auf die seines Pharaos, die noch immer auf seiner Schulter lag und die Nägel in sein Fleisch bohrte. Er stemmte sich gegen ihn und befreite sich so aus seinem Griff. „Verzeiht, mein Pharao“, sagte er leise, „Das kann ich nicht ... Es ist die Wahrheit.“ Wahrheit. Und es hatte keinen Zweck, sie zu verzerren. Es brachte nichts, schob lediglich das Leid auf, damit es zu einem späteren Zeitpunkt mit einer noch viel stärkeren Wucht zurückkehren konnte. Wenn er ihnen etwas schuldig war, dann war es Ehrlichkeit. Teanas Schrei ging durch Mark und Bein. Sie hörte nicht auf zu schreien, schrie sich die Seele aus dem Leib. Sie konnte es nicht ertragen. Ihr Kind! Sie hatte es nicht beschützen können. Sie hatte... Sie ließen sie gewähren. Wenigstens zeigte sie eine Reaktion, die erkennen ließ, dass sie die Worte verstanden hatte. Atemu dagegen tat sich schwer darin, aus seiner falschen Realität aufzuwachen. Nur langsam sickerten Qadirs Worte und deren Bedeutung zu ihm durch, nur langsam zwangen sie ihn zu Boden. Er sank auf die Knie, schrie ebenfalls kurz auf, doch im Vergleich zu Teanas Schmerzensschrei verklang seine Stimme ungehört. Er ließ sich nach vorn fallen und schlug mit den Fäusten auf die Fliesen. Immer und immer wieder. „VERDAMMT!“, brüllte er, und schlug wieder zu, fester. Bei jedem seiner Schläge zuckte die Brünette unwillkürlich zusammen. Sie hielt sich die Ohren zu, wollte das nicht hören, wollte es nicht sehen, wollte die ganze Welt ausschließen. Sie schüttelte sich wild, verlor die Orientierung. Ihre Schreie ließen nicht nach, auch wenn sie kaum zum Luftholen kam. Dienerinnen kamen herbeigeeilt und versuchten sie zu beruhigen, doch sie kamen nicht zu ihr durch. Der Arzt legte Atemu eine Hand auf den Rücken. Wenn er nicht aufpasste, brach der sich noch die Knochen seiner Hand. Es dauerte nur Sekunden, bis der Pharao ihn von sich geschoben hatte. „Verzeiht“, sagte Qadir ruhig, „Pharao, kommt zu Euch ... Das Land braucht Euch, Teana braucht Euch.“ Ein kurzer angstvoller Blick in ihre Richtung. „Ihr Zustand ist äußerst kritisch, doch sie wird es überstehen. Es wird neue Chancen geben...“ Was auch immer er tun musste, er war bereit es zu tun. Atemu war der einzige, der an Teana würde herankommen können, es war von absoluter Notwendigkeit, dass er seine Gefühle nur für ein paar Momente hintenan stellen würde. Doch seine Worte hatten nicht die gewünschte Wirkung. Sauer sah er aus, schnaubte vor Wut und Zorn. Was hatte er den Göttern getan?! Langsam stand er auf, taumelte kurz, doch er riss sich zusammen. Bedrohlich sah er aus, noch immer in seinem Kriegsgewandt. Er hatte es eilig gehabt, hierher zu kommen. Er strich den Stoff glatt. „Neue Chancen sagt Ihr also?“ Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, voller Abscheu und Hass. „Ich wünsche Euch vorerst nicht zu sehen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)