Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 65: Leuchten -------------------- Dunkelheit. Einfach nur Dunkelheit. Kein Segen. Keine Ruhe. Eine Leere, die sich ausbreitete und jedes Licht verschluckte. Alles wurde immer wieder dunkel. Ein Leuchten am Horizont – längst wieder erloschen, bevor sie es erfassen konnte. Bevor sie verstehen konnte, was es bedeutete. Bevor sie sehen konnte, was „Leuchten“ hieß. Stimmen im Hintergrund, doch sie verstand nicht, was sie sagten. Nur Fetzen, die nicht zusammenpassten. Libysche Abstammung. Böse. Libyen. Böse. Es war verschwunden. Nicht greifbar. Nicht fassbar. Nicht verständlich. Vergessen. Es war einfach nur dunkel. Eine empörte Stimme: „Weck' sie nicht auf, sie braucht den Schlaf!“ Sie kannte die Stimme. Woher? „Es besteht kein Zweifel, das Siegel ist echt.“ Unruhe breitete sich aus. Ihr Herz. Es schlug schnell, so schnell. Schneller als normal. Sie drehte sich um. Ein Schmerz durchzuckte ihre Seite, durchfuhr sie wie ein Blitz. Sie kniff die Augen zusammen. Sie spürte es. Immer. Zu jeder Zeit. War es normal? Adalia hatte gesagt, sie spürte nichts. Nicht normal. Egal. Es tat schon gar nicht mehr so weh. Nur umdrehen sollte sie sich nicht gleich wieder. Ein Flüstern nun im Hintergrund. Dann Stille. Sie bekam es nicht mit. Wieder nur Dunkelheit. Ein Nichts, das auf sie wartete, jedes Mal, wenn sie ihre Augen geschlossen hielt. „Der vorherige Pharao hat sie hierher gebracht. Keiner hat es gewusst. Doch jetzt ist ihr Vater ...“ Sie konnte den Sinn dieser Worte nicht erfassen. Die Stimme. Sie war so vertraut und doch so fremd. Sie kannte sie genau und doch nicht lange genug um zu spüren, dass sie sie kannte. Sie war etwas Neues. Ein schwaches Licht, noch nicht weit zurück. Adalia? Sie lief durch den Garten. Ein schöner Garten. Schöne Pflanzen. Grün. Nicht wie der Sand, der sonst überall war. Die Farbe des Lebens. Ihr Atem beruhigte sich wieder. Sie suchte etwas. Sie lief und lief und lief. Wonach suchte sie? Alles war schön, voller Leben. Was fehlte? „Unmöglich ... nein ... wieso?“ Eine andere Stimme. Heller, klarer. Sie war schon früher da. „Was wird das Volk sagen? Und Seth erst?“ Seth? Seth ... Sie kannte Seth ... Blaue Augen. Die Farbe von klarem Wasser.... Seth. War er verschwunden? Der Garten. Da war noch etwas, oder nicht? Sie drehte sich um und blickte in alle Richtungen. Wo war er? Er war nicht hier. Der Teich. Das Wasser. So nahe, sie setzte sich auf die Knie und blickte hinein. Ein Gesicht blickte sie an, grüne Augen, strahlend, grüne Augen. Braunes Haar. Lang und in Strähnen verdeckte es die grünen Augen. Ein Klumpen Matsch, der durch die Luft flog, ins Wasser fiel. Wellen zerstörten ihr Siegelbild. Was war geschehen? Die Pflanzen waren nicht vergraben, die Erde frisch. Und wieder eine Woge von Dunkelheit. „Ihre Herkunft darf nicht bekannt werden!“ Eine Stimme im Dunkeln. Wo kam sie her? „Niemand wird es erfahren.“ Eine zweite Stimme. Sie kam aus der anderen Richtung. Doch da war noch ein anderer Klang. Woher kam er? Was bedeutete er? Sie konnte nichts sehen. Die Hand vor ihren Augen war unsichtbar ... verschwunden. War sie noch da? Konnte die Finsternis noch weiter wachsen? Wo war all das Licht? „Sie sind zurück...“ Wieso wurde es immer dunkler? Musste nicht das Licht kommen? Fiel sie etwa? Sie verkrampfte sich leicht, die Hände zur Faust geballt. Eine Hand strich ihr über die Stirn, eine warme Hand. Sie spürte jemanden neben sich. „Würdest du ihn empfangen?“ Wieso konnte sie nichts sehen? Wo war sie? Was war dies für ein Ort? Sollte nicht jemand hier sein, wenn dieser Ort belebt war? War sie denn die Einzige? Wieder eine Berührung an der Stirn. Wieso konnte sie sie denn nicht halten? Nicht fassen? Sie hatte Angst, verzog das Gesicht. Durfte sie ihre Angst zeigen? Sie war allein. Wieso war sie so allein? Wieso war niemand so wie sie? Der Teich. Da war er wieder. Sie lief. Immer und immer wieder lief sie um den Teich herum. Sie konnte ihn ganz genau sehen. Und sonst nichts. Wo war der Garten? Da war nur der Teich. Das Wasser, so blau. Sie wollte näher heran an die einzige Farbe, die es zu geben schien. Und doch wollte sie weglaufen. Sie lief. Um den Teich herum. Und dann fiel sie hinein. Noch bevor sie den Kontakt mit dem Wasser spüren konnte, schlug Mana die Augen auf und blickte in Seths eisblaue Augen, die auf ihr ruhten. Kisara war sofort hinausgelaufen. Es war ein Glück, dass Adalia sie darum gebeten hatte, sie hätte nicht gewusst, wie sie dem Drängen ihres Willens hätte nicht nachgeben können, wenn Adalia selbst es nicht vorgeschlagen hätte. Sie waren zurück. Endlich. Wie lange war es her gewesen, dass sie ihn gesehen hatte? Es erschein beinahe endlos lange. Doch nun waren sie wieder da, er war wieder da. Wollte er zu Mana? Es bestand kein Zweifel daran. Wer wollte nicht zu Mana? Es war fast erschreckend, wie sehr sich alles um sie zu drehen schien, wie fixiert die ganze Welt auf ein einziges Mädchen schaute. Doch Adalia hatte recht, es war besser, wenn er sie nicht weckte. Egal wie sehr sie auf ihn wartete, sie brauchte die Ruhe, brauchte jede Erholung, die sie kriegen konnte. Sie war noch kurz an ihr Bett getreten und hatte sie für einen Moment betrachtet, dann hatte sie nichts mehr in dem Zimmer gehalten. Er war doch nicht verletzt, oder? Sie musste davon ausgehen, jeder andere Gedanke war nichts, das ihr Herz hätte fassen können. Es war gut gewesen, dass sie und Adalia so schnell auf den Trubel in den Straßen reagiert hatten. Sie war nur eine kurze Zeit draußen in den Gängen gewesen, da kam der Hohepriester Ägyptens ihr schon entgegen. Er eilte seinem Gemach entgegen. Die Weißhaarige konnte nicht anders als zu lächeln, als sie ihn stoppte. Sie hatte das starke Bedürfnis ihn in die Arme zu schließen, so froh war sie, dass er wieder hier vor ihr stand, doch sie traute sich nicht. Sie wusste, dass es sich nicht ziemte. „Du bist unversehrt?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und doch atmete sie erst auf, als sie seine Zustimmung wahrnahm. Etwas unsicher sah sie ihn an. „Wie geht es dir?“ „Kisara“, der Hohepriester war stehen geblieben, er nickte kurz, doch dann kam er gleich zum Thema. „Wie geht es Mana?“, er musste es wissen. Was war alles geschehen während seiner Abwesenheit? „Danke, für deine Nachricht“ „Habe ich gern gemacht“, antwortete Kisara und es stimmte, auf die Weise war es ihr möglich gewesen zumindest ein bisschen zu erfahren und allein für die Information, dass er noch am Leben gewesen war, hätte sie es wieder getan. „Sie schläft“, sagte sie und das Lächeln, das soeben noch ihre Lippen umspielt hatte, verwandelte sich in sachlichen Ernst. „Ich denke, den Rest kann Adalia dir besser erläutern. Mana verlangt von sich zu viel…“ Sie stockte, sah ihn aus ihren hellblauen Augen an. „Es ist schön, dass du wieder da bist.“ Es war einfach nur ehrlich und doch zauberte es das Lächeln auf ihr Gesicht zurück. Sie setzte sich in Bewegung. Sie wusste, dass sie ihn nicht lange hätte aufhalten können, selbst wenn sie es gewollt hatte. Er war ihr ausgesprochen dankbar, doch er wollte zu Mana. Sie hatte nun Vorrang. Kisara öffnete leise die Tür zu Seths Gemacht und trat herein. Der Hohepriester folgte ihr. Sie im Bett liegen zu sehen war wie eine lang erhoffte Erlösung. Adalia an ihrer Seite sagte ihm, dass sie sicher war. Kisara blieb an der Tür stehen, schloss sie leise. Dann tauschte sie mit der Priesterin einen kurzen Blick. Diese blickte erleichtert auf und trat ans Fenster. Es war der beste Ort für ihr Gespräch, weit genug entfernt von Mana, damit diese sie nicht verstehen konnte, wenn sie leise erklärte. Sie erzählte alles, sparte keine Einzelheit auf. Seth allein sollte beurteilen, was er als wichtig erachtete. Sie holte den Fetzen Pergament hervor, der einst eine Schriftrolle gewesen war und reichte sie ihm tonlos. Die Illusion an der Wand, all ihre Geschichten. Seth musste absolut alles wissen, damit das Netz nicht in sich zusammen fiel. Nicht jetzt, nicht da das Mädchen gerade erst angefangen hatte, neue Erinnerungen zu sammeln. Ein leichter Unglaube lag in des Hohepriesters Blick. Es war unfassbar vieles geschehen, seit er das letzte Mal hier gewesen war, viel mehr als er befürchtet hätte, selbst wenn etwas schief gegangen wäre. Es schien, als hätte sich alles auf den Palast konzentriert, wo doch der eigentliche Krieg ganz woanders stattgefunden hatte. Er wollte es kaum glauben, doch nun nahm er es einfach so hin. Mana war das, was jetzt zählte. Nur sie allein, nur zu ihr allein wollte er. „Ich verstehe“, sagte er zu Adalia, als ihre Geschichte geendet hatte, er nahm es erst einmal so hin. „Wir kümmern uns später darum. Lass' die Rolle verschwinden und halte die Illusion aufrecht.“ Es waren Anweisungen, die nicht einfach zu erfüllen waren, doch er wusste, Adalia war ihnen gewachsen. Sie war die beste Schülerin der Magie, die er je gehabt hatte, besaß eine unglaubliche eigene magische Kraft, ganz ohne Millenniumsgegenstand. Sie konnte eine solch große Illusion erhalten, solange sie es für nötig erachtete. Und das war so lange, bis er ihr sagte, sie sollte den Zauber lösen. Ihre Loyalität war ein unglaublich großes Geschenk. Er atmete tief durch, setzte sich dann an Manas Bett. Sie war aufgeschreckt, blickte desorientiert umher, ehe sie seine Augen fand. „Mana?“, fragte er vorsichtig, selbst leicht erschrocken von ihrer plötzlichen Bewegung. Konnte sie sich schon wieder schmerzfrei bewegen? Er bezweifelte es. Im Grunde war es unmöglich. Doch sie ließ in keinster Weise erkennen, dass ihre Orientierungslosigkeit auch auf einem gesteigerten Schmerzempfinden basierte. Sie saß nun aufrecht, ihr Atem beschleunigt. Erst allmählich schien sie zu verstehen, wo sie sich befand, erst allmählich nahm sie wirklich war, was um sie herum geschah. War sie noch in ihrem Traum? Sie rieb sich die Augen, nicht sicher, ob sie Seth wirklich gesehen hatte. Und dann bildete sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht. „Du bist wieder da!“, quiekte sie auf und warf sich an seinen Hals. „Wie lange habe ich denn geschlafen, dass du wieder bist?“, sie plapperte vor sich hin, ganz ohne den Sinn ihrer Worte zu erfassen, „Ich habe auf dich gewartet! Ich war auch ganz brav!“ Voller Stolz und voller Freude sah sie ihn an, die kindliche Erwartung in ihr Gesicht geschrieben. Seth atmete ganz tief durch, schloss sie in seine Arme. Es war ein unglaublich beeindruckendes Gefühl, sie festhalten zu können, zu wissen, wo sie war und wie es ihr ging. Dies war etwas ganz anderes als im Krieg zu stehen und keine Ahnung zu haben, was vor sich ging. Nicht zu wissen, ob alles in Ordnung, oder ob etwas geschehen war. Die Veränderungen nicht nachvollziehen zu können und das Gefühl, dass einem alles aus den Händen glitt – all das mischte sich zusammen mit einer bitteren Gewissheit: Sie würde nie wieder so sein wie früher. Etwas ganz tief in ihm hatte die ganze Zeit gehofft, darum gefleht gar, dass es nur ein böser Traum gewesen war, und dieses bisschen Hoffnung war nun in ihm zerbrochen. Er atmete den Duft ihres Haares ein. Zumindest das hatte sich nicht geändert, wenn auch weniger der Geruch von Erde darin lag. Ihre ständigen Abstecher in die Beete des königlichen Gartens waren nicht ohne Spuren geblieben. Doch sie war sie. „Ich weiß nicht, wie lange du geschlafen hast“, antwortete er ehrlich, „Aber ja, ich bin wieder da.“ Ein kurzes Poltern war zu hören und Kisara war durch die Tür verschwunden. Adalia blickte nur kurz zu ihr, Seth achtete nicht darauf. Mana loszulassen erschien ihm wie das größte Übel, das er verrichten konnte. Das Mädchen strahlte ihn an. „Es war langweilig ohne dich“, gab sie zu, „Aber ich glaube, ich habe nicht lange geschlafen, aber das ist egal! Nun bist du wieder da!“ Der Traum war längst wieder in Vergessenheit geraten, sie kuschelte sich an ihn. Sie wusste nicht wieso, doch sie fühlte sich wohl bei ihm. Vielleicht lag dies daran, dass er der Erste war, den sie gesehen hatte, nachdem sie ihre Erinnerungen verloren hatte, dachte sie, doch sie kümmerte sich nicht weiter darum. Wieso sollte sie auch? Er war ja nun hier. Und er sollte nicht mehr weggehen. Adalia und Kisara schienen auch viel ruhiger, nun, da er wieder da war. Was hatte das zu bedeuten? Sie verstand es nicht ganz, kicherte aber trotzdem. Der Brünette hielt sie weiterhin im Arm. Alles andere war ihm im Augenblick egal, auch dass Adalia noch anwesend war und was das Poltern verursacht hatte. Sollte sich doch jemand anderes darum kümmern. „Wie geht es dir denn?“, fragte er sie, obwohl er wusste, dass ihre Verfassung noch immer mehr als schlecht war. Doch er wollte wissen, was sie darüber dachte und wie sie sich fühlte. Er wollte es aus ihrem Mund hören. „Mir geht es gut!“, flötete sie sofort los und blinzelte mehrfach. Sie konnte es kaum glauben, dass er wirklich hier war. „Und wie geht es dir? Ehrlich?“ Beim letzten Mal, da sie ihm diese Frage gestellt hatte, hatte er gelogen. Das hatte sie nicht vergessen und deswegen war sie stolz, sich selbst nun daran erinnert zu haben, ihn zur Aufrichtigkeit zu ermahnen. Seth lächelte leicht. „Ich bin etwas müde, aber ansonsten geht es mir gut.“ Sie musste nichts von den Gräueln des Krieges erfahren, es war weder sinnvoll, noch nötig. Doch er war wirklich erschöpft, viel erschöpfter noch, als er sich selbst hatte glauben machen wollen. Doch jetzt wollte er bei Mana bleiben. „Und?“, fragte er und sein Blick schweifte kurz zu Adalia. „Bist du gut mit ihr ausgekommen?“ Mana lächelte „Mit Adalia? Sie ist nett und sie hat mir einiges erklärt, aber nicht alles.“ Ein leicht schmollender Blick lag auf der Priesterin, „Und ich durfte nur ein paar Mal aus diesem Zimmer heraus.“ Sie hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt und hatte sich offensichtlich gelangweilt. „Und ich habe sie mit vielen Fragen genervt“ – ein Hauch von Stolz lag in ihrer Stimme – „aber sonst verstehen wir uns toll! Aber lass mich nicht wieder allein! Und ich will raus diesem Zimmer, ich will wieder in den Garten!“ Sie blickte ihn an, auf der Suche nach seinen Augen, die wie in ihrem Traum eisblau leuchteten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)