Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 54: Lügennetz --------------------- Der Himmel war klar und wolkenlos, offenbarte einen strahlenden Tag. Einen Tag voller Hoffnung und voller Freude. Doch diese Freude war trügerisch, nichts als eine Illusion für jeden, der die Wahrheit kannte. Was nur waren das für Umstände, die sie jetzt am Palast hielten, was nur waren es für Zustände? Seufzend hatte sich Kisara gegen eine Wand gelehnt. Als Akim an sie herantrat, hoffte sie inständig, dass sie ihn ignorieren konnte und schloss demonstrativ die Augen. Es verwirrte ihn. Traute sie ihm? Er selbst würde es im Augenblick nicht tun an ihrer Stelle, zu unbekannt musste ihr seine Macht vorkommen, zu ungestüm. Doch sie hatte die Augen geschlossen, erwartete offensichtlich keinen Angriff von seiner Seite aus. „Es...“, setzte er an, zunächst leise, doch dann gewann seine Stimme an Kraft. „Es ist grausam, was mit ihr passiert ist.“ Die Weißhaarige öffnete die Augen, resignierend. Sollte sie also doch mit ihm sprechen. Wieder seufzte sie. Leicht erstaunt schob sie ihre langen Strähnen hinters Ohr und warf sie sich über die Schulter. „Allerdings, ja“, stimmte sie ihm zu und sah dann zu Boden. „Redest du von dem, was der Auslöser war, oder von dem, was Seth hinterher mit ihr gemacht hat?“ Fragend sah sie ihn an, letztlich war ihr Interesse doch geweckt. Ihre Arme verschränkt, betrachtete sie sein jugendliches Gesicht, ehe sie weitersprach. „Schließlich hast du damit ebenfalls Erfahrungen...“ Ihre Stimme war nun kaum mehr als ein Hauch, und doch war sie hell und glockenklar. Verbittert nickte er. „Ich spreche von dem Auslöser“, sagte er, stimmte dann aber auch ihrer zweiten Vermutung zu. „Das, was Seth getan hat, ist nicht weniger grausam“, meinte er, „Sie wird sich nie wieder erinnern können.“ Für wen war es eigentlich weniger grausam? Sie hatte alles vergessen, stand vor einem Leben voller Fragen. Doch er? Und all die Umstehenden? Sie standen vor einem Leben voller Lügen. Er schüttelte den Kopf. „Bei mir war es etwas anderes“, sagte er und spürte, dass es stimmte. Er wollte seine Situation nicht mit der Ihrigen vergleichen, er konnte es nicht. Zu viele Faktoren waren anders als damals. Der Hohepriester hatte seinen Millenniumszauber nicht gegen ihn gerichtet um ihn zu retten. Keine Heldentat verband ihn damit, kein Edelmut und keine Macht. Ihn hatte er demütigen wollen, unterwerfen und versklaven, doch Mana... Nein. Die Situation war nicht vergleichbar, entschied er. Kisara stieß sich von der Wand ab und trat dichter auf ihn zu. „Stimmt... es ist beides grausam. Aber vorerst ist sie glücklich.“ Wollte sie sich die Sache verständlich machen? Es klang ganz so, als suchte sie für sich selbst eine Rechtfertigung für Seths Handeln. Entschied sie, dass es ihr egal war? Gab es wichtigeres? „Wir können uns nur anstrengen auf sie zu achten und sie wieder zu unserer Freundin zu machen“, sagte sie langsam und blickte den Jungen mit dem violetten Haar eindringlich und ernst an. Sie selbst war niemals eine Freundin von Mana gewesen, doch er hatte dieses unsichtbare Band um Manas Herz gelegt. „Oder findest du nicht, dass sie das verdient? Wenn sie schon keinerlei Erinnerungen an die Vergangenheit hat.“ Sie seufzte erneut. Mussten die Missverständnisse, die es zwischen ihnen gegeben hatte überhaupt noch ins Gewicht fallen? Langsam aber ausdrucksvoll schüttelte Kisara ihren Kopf. Es war wirklich gefährlich. „Sie ist ein Spielball, der viel zu leicht den Besitzer wechseln kann...“ Akim betrachtete sie einen Moment schweigsam, beobachtete wie ihr Blick wieder gen Himmel wanderte. So hatte er noch nie zuvor mit dem Drachenmädchen gesprochen, nicht zuletzt wohl aus dem Grund, dass er selbst in früheren Gesprächen nicht mehr als eine Marionette gewesen war, eine Puppe, die sich langsam, jedoch stetig aus den Klauen ihres Besitzers befreit hatte. Zum ersten Mal stand er vor der Frau, die der Hohepriester einst an seiner Seite gewollt hatte, eine Frau, die unglaublich viel sah und noch vieles mehr mit beeindruckender Schnelligkeit verstand. Mana war ein Spielball? Von dieser Seite hatte er das Ganze noch überhaupt gar nicht betrachtet, doch Kisara hatte höchstwahrscheinlich recht. Er nickte. „Es wäre gut für sie, wieder Freunde zu haben“, sagte er und ließ nun seinerseits ein Seufzen vernehmen. „Aber ich denke nicht, dass ich der Richtige dafür wäre...“ Die Gedanken an Meira und Cyrus legten sich wie eine Grenze um ihn, eine Markierung, die sagte: Bis hierhin und nicht weiter. Er sah Kisara lächelnd an. „Ich bin hier nicht willkommen.“ Sie erwiderte sein Lächeln. Bitter umspielte es ihre zarten Lippen und zeichnete auf ihr Gesicht einen Ausdruck, der von Bedauern geprägt war. „Du bist hier nicht willkommen?“, wiederholte sie skeptisch und nickte dann. „Das mag sein“, flüsterte sie, „Doch du bist nicht unser Feind.“ Zumindest im Moment war er es nicht, darauf musste sie vertrauen. Sie verstärkte ihren Griff um ihre blassen Oberarme. „Mana hat Interesse an dir und sie heißt dich willkommen.“ Die Weißhaarige blickte an ihm vorbei. Konnte man Mana die Verantwortung überlassen, über ihn zu entscheiden? Durfte sie ihm die Türen zum Palast auf diese Art und Weise öffnen? Kisara wusste nicht, ob es richtig war, doch es gab so vieles, das sie nicht wusste, durfte sie sich also eine Meinung bilden? „Ich weiß nicht, welche Rolle du spielst, aber auch wenn du es dir vielleicht wünschen magst... Du bist nicht der Feind. Nicht in meinen Augen.“ Ja, beschloss sie, sie durfte durchaus eine eigene Meinung vertreten. Sie war nicht weniger unbefugt dazu, als beispielsweise die Priesterin, die immer weiter eintauchte in das Labyrinth aus Lügen, dass ihre eigenen Worten formten. „Du bist ungefährlich“, schloss Kisara und brachte Akim dadurch erneut in Verlegenheit. Seine Rolle als Nebelkind vertrat er offensichtlich viel besser als er selbst glaubte, er passte sich ganz unbeabsichtigt genau in jenes Bild ein, das Cyrus schon so lange aufzubauen strebte. „Ungefährlich?“, fragte Akim skeptisch und lächelte leicht. War sie naiv? Oder glaubte sie wirklich daran? Er selbst war sich da nicht sicher. Ihn auf diese Weise zu beurteilen war äußerst gewagt, nicht nur mutig, sondern töricht. Sie wusste offenbar nicht, wer vor ihr stand, wenn sie wirklich davon überzeugt war. „Mana allein reicht nicht aus um mich willkommen zu heißen und das weißt du“, sagte er entschieden, „Sie ist nicht bei Sinnen, man wird nicht auf sie hören.“ Es entsprach den bitteren Tatsachen. In diesem Palast konnte kein Gewicht auf die Wünsche eines kleinen Mädchens gelegt werden, all dies geschah doch nun nicht mehr nur um sie zu schützen, sondern auch um den zweifelhaften Frieden des Palastlebens nicht zu gefährden. „Und warum bist du dann noch hier?“, entgegnete Kisara – zum ersten Mal amüsiert – „Zu schockiert über die Situation?“ Diese Logik gestand sie ihm nicht zu, nicht da sie genau sehen konnte, dass es anders war. „Dir liegt etwas an ihr, deswegen bist du nicht böse. Nun denn“, sie trat nach vorn und lief wie gleichgültig langsam auf und ab. „Es steht dir natürlich frei zu gehen, zu bleiben und zu kommen“, sagte sie leichtfertig und lehnte sich schließlich wieder gegen die Wand. „Hier kann es doch ohnehin keiner mit dir aufnehmen.“ Klang sie amüsiert oder täuschten ihn seine Ohren? „Du machst dich über mich lustig“, stellte er trocken fest. Sie sollte es nicht tun, sie hatte keine Ahnung. „Was gibt dir die Sicherheit? Siehst du deine Chance?“ Es war hart es so zu fragen, doch die grimmige Unterstellung lag mehr als nahe. „Nun, da die Konkurrenz praktisch aus dem Weg geräumt ist?“ Verbittert lächeln konnte auch er. Sie legte es förmlich darauf an, doch sie schein ihn nicht provozieren zu wollen. Sie reihte einfach nur Tatsache an Tatsache und zog daraus ihre Schlüsse. „Verzeih“, flüsterte Kisara und starrte wieder in das unendliche Blau des Himmels, das ihre Augenfarbe so gut widerspiegelte und doch keinen Glanz hervorbrachte. Die Konkurrenz? Sie schüttelte den Kopf. Nein. Sie hatte Beide ausreichend verletzt. Doch wollte Akim sie kränken oder wollte er aus ihr schlau werden? Handelten sie nicht auf gleiche Weise? „Ich sehe sie nicht als meine Konkurrenz und ich rechne mir keine Chancen zu.“ Für eine Konkurrenz wäre ein Wettstreit von Nöten, doch den einzigen Kampf, den sie je mit Mana geführt hatte, hatte sie längst verloren. „Ich will auf sie achten, weil Seth mich darum gebeten hat“, antwortete sie ruhig und doch erfüllte diese Bitte sie mit einer wohligen Seligkeit, die ihr die Zurückweisung erträglich machte. „Ist das nicht ungerecht?“, fragte der Junge, der genau zu verstehen schien, was sie fühlte. Kisara atmete tief durch. „Schon möglich“, stimmte sie zu, doch dann war sie wieder gefasster. „Ich habe aber kein so schlimmes Los gezogen wie die Kleine. Absurd, oder? Noch jetzt kann ich hören, wie sie sich dagegen auflehnte, all die Regeln und Bestimmungen für sich anzunehmen.“ Ihre Stimme klang ernst und nachdenklich. „Seth kann einem auch Leid tun“, sagte sie und duldete in diesem Punkt keinen Widerspruch. Unter der jetzigen Situation litt er am meisten, draußen in einem Krieg, der wohl kaum grausamer war, als das, was ihn zuhause erwartete. Akim konnte ihr nicht zustimmen und selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er es nicht vermocht. Für Seth empfand er keinerlei Mitleid, ihm allein gönnte er alles, was geschehen war, doch seine Strafe hätte nicht auf Manas Schultern lasten dürfen. „Warum tust du das alles?“, fragte er Kisara und konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. „Welchen Anreiz hast du?“ Er konnte es nicht verstehen. Egal, wie er es auch drehte und wendete, es war ihm doch ein Rätsel. „Du bekommst doch nichts zurück. Falls Seth zurückkehrt“ – und er legte für sich selbst die Betonung auf das Wort ‚falls‘ – „wird er für doch keine Augen haben...“ Doch das Drachenkind wusste zu kontern. „Und warum machst du das alles?“, stellte sie sich ihm entgegen und gab ihm von seiner eigenen Medizin. Trotzdem war dies keine einfache Frage, sondern ein Teil ihrer Antwort. „Warum bist du so nett zu Mana? Wieso bist du noch hier? Es ist doch egal, ob sie sich an dich erinnert, oder? Du behältst doch die Erinnerung an sie... Und deswegen bist du auch noch hier. Und deswegen werde auch ich weiterhin auf sie achten. Um Seth glücklich zu machen.“ Sie hatte in der letzten Zeit häufig darüber nachgedacht, hatte lange um ihre weitere Daseinsberechtigung gekämpft und endlich hatte sie einen zufriedenstellenden Grund gefunden. „Denn die Menschen, die man liebt, will man glücklich wissen, egal, ob man etwas zurückbekommt oder nicht.“ Ihre Stimme war immer leiser geworden, ihr Blick immer leerer und immer einsamer. Sie hatte nun wirklich genug angerichtet, redete sie sich ein, auch wenn sie selbst kaum hätte aufzählen können, was genau ihre Fehler eigentlich gewesen waren. Ein leichter Nebelschleier legte sich unter Kisaras Kinn und hob ihren Kopf. Akim sah sie nachdenklich an, schüttelte dann seine violetten Strähnen hin und her. Sie durfte nicht davon ausgehen ihn zu kennen, es wiegte sie in eine falsche Sicherheit. „Er hat dir sehr wehgetan, nicht wahr?“, fragte er und doch wollte er darauf keine Antwort haben. „Ja, ich bleibe“, fuhr er ungeachtet dessen, dass das Mädchen leicht zusammengezuckt war, fort. „Denn ich habe Mana nicht vergessen. Trotzdem. Sobald Seth hier auftaucht, werde ich den Palast verlassen. Für euch mag es in Ordnung sein, doch keiner! Ich wiederhole, keiner kennt das Gefühl nicht zu wissen, wer oder was man ist ... Es ist nicht zu verzeihen.“ Das Urteil über den Hohepriester zu revidieren kam überhaupt nicht in Frage. Wenn Mana ihm auch verzeihen würde, er würde es niemals tun. Nichts rechtfertigte es, aus einem Menschen eine willenlose Puppe zu machen, schutzlos, wehrlos, hilflos. Das Lächeln von Kisaras Gesicht war auf der Stelle wieder verschwunden. Die Verbitterung und der Hass, der aus Akim sprach, alarmierte und beunruhigte sie. Vermutlich wäre es nicht sonderlich schlau, ihn zu reizen oder zu provozieren. „Ja, du hast wahrscheinlich recht.“ Besänftigend sollte es klingen, doch ob ihr das wirklich gelingen konnte, wusste sie nicht. „Hast du jemals darüber nachgedacht, was wäre, wenn du niemanden kennen würdest?“, sie musste es begreifen, wenn sie Mana wirklich helfen wollte. Wenn sie verstehen wollte, was es wirklich bedeutete. Er musste die Situation konkretisieren, um alles klarer umreißen zu können. „Wenn du aufwachst und alles ist fremd? Ihr habt keine Ahnung.“ Kälte lag nun in Akims Gesicht, er wirkte so viel älter, so viel reifer und doch wie ein verletztes Kind, das sich für die Ungerechtigkeiten der Welt rächen wollte. „Sie glaubt, alles ist so, wie es sein sollte. Doch je mehr sie herausfindet, desto weniger passt zusammen.“ Ein grimmiges Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Nun war er es, der Fakten aneinanderreihte, eine Wahrheit, die sie alle langsam aber sicher einzuholen drohte. „Und alles fällt in sich zusammen. Ihr verstrickt euch in ein Geflecht aus Lügen, bis irgendwann in Vergessenheit gerät, dass sie einst jemand anderes war.“ Er kehrte ihr den Rücken zu und schritt wenige Meter weit durch den Gang. Nur kurz noch blickte er zu Kisara zurück. „In einen solchen Mann hast du dich einst verliebt. Zu einem solchen Mann siehst du noch immer auf.“ Mit einem letzten bitteren Klang seiner Stimme, verschwand er im Nebel. War es dies gewesen, das er hatte selbst herausfinden sollen? „Warte!“, rief Kisara ihm erschrocken hinterher, doch er hörte sie nicht mehr. Betroffen fiel ihr Blick wieder zu Boden, sah auf den Schatten, der sie selbst darstellte. Das strahlende Sonnenlicht war reinster Hohn. Er wusste genau, wie sie sich fühlte. Nur er allein konnte diesen Schmerz nachvollziehen. Aber gegen Gefühle konnte man nichts tun, oder? Seth hatte doch seine Gründe... Warum hasste er Seth so abgrundtief? „Es tut mir Leid...“ Ein Hauchen nur, mehr brachte sie nicht mehr hervor, bevor sie auf die Knie sank. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)