Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 52: Genugtuung ---------------------- Die Stimmung hätte kaum aufgeheizter sein können, als sie es im Augenblick war. Die Truppen, die am Horizont aufgetaucht waren, hatten eine Explosion der Gefühle ausgelöst, die Anspannung war unfassbar groß. Alle waren bereit, heiß auf den Kampf. Atemu war einerseits sehr froh darüber, andererseits jedoch auch außerordentlich besorgt. Die Männer durften nicht übermutig werden, durften ihre Gegner nicht unterschätzen. Sie hatten den Kreis geschlossen, den sie um die libyschen Truppen gelegt hatten, bisher war alles wie nach Plan verlaufen. Dies lag wohl weniger an ihrer Überlegenheit, sondern vielmehr daran, dass das Überraschungsmoment auf ihrer Seite gewesen war. Der Pharao konnte seinen Hohepriester an der Spitze erkennen; er hatte seinen Arm gehoben um seinen Männern ein Zeichen zu geben. Es war also soweit. Endlich. Endlich konnte auch Atemu die Kampfeslust in sich aufkommen spüren, endlich fühlte er, was es zu bedeuten hatte. Er kämpfte für sein Volk, kämpfte für sein Land, für die Freiheit. Er hatte nicht vor sich besiegen zu lassen. Auf Befehl hin trafen die ersten Truppen aufeinander. Schwerter schlugen gegeneinander, Pferde wieherten, Kommandos wurden hin und her geschmettert. Es war ein ohrenbetäubender Lärm. Die Männer schrien um sich selbst anzutreiben. Gerade als Atemu auf Seth zuritt, geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte und das sowohl die libyschen als auch die ägyptischen Truppen vor Schreck wie versteinert erstarren ließ. Ein lautes Brüllen erklang und ein heftiger Windstoß fegte über sie hinweg, einige Männer zu Boden drückend. Atemu blickte blitzschnell in die Richtung, aus der sowohl Wind als auch Lärm kam und erschrak furchtbar. Ein riesiger Drache war am Himmel aufgetaucht, majestätisch schlug das weiße Tier seine gigantischen Flügel und streckte den Hals zum Hohepriester hinab. Dieser war wohl noch erschrockener als alle anderen zusammen, wenn auch aus einem anderen Grund. „Weißt du, was das zu bedeuten hat?“, brachte der Pharao stockend hervor und betrachtete seinen Cousin mit Mühe. Mit Mühe deshalb, weil der Drache unglaublich aufmerksamkeitsheischend war. Mit einem Mal waren sämtliche Kampfeshandlungen eingestellt und alle Augen waren einzig und allein auf sie gerichtet, die sie dem Tier am nächsten waren. Entsetzt starrte Seth das Schuppentier an. „Das ist Kisaras Zeichen!“ murmelte er recht leise und doch so, dass Atemu ihn verstehen konnte. Er klang alarmiert. „Es muss etwas geschehen sein im Palast.“ Der Drache ließ sich nieder, landete direkt vor Seths Füßen. Er senkte seinen Kopf. Atemu beobachtete fassungslos, wie die Augen des Drachen in allen Farben und Facetten glitzerten. Er konnte nicht erkennen, was da vor sich ging. Skeptisch betrachtete er Seth, dem das Ganze offensichtlich mehr sagte. Kisaras Zeichen? Seth kannte diesen Drachen, soviel war sicher. „Was passiert?“, fragte er erschrocken. Seth nickte. „Ich habe Kisara gebeten mir Bescheid zu geben, falls etwas vorfallen würde“, erklärte er widerwillig, „Und nun ist der Drache hier...“ Er blickte in dessen blaue Augen. „Akim ist wieder da“, übersetzte er, was er sah für den Pharao, „Und Meira war da... Aber scheinbar“, er seufzte leise, unsicher und hoffend, dass seine Vermutung richtig war, „Scheinbar hat Adalia das unter Kontrolle.“ Wie als hätte er auf ein Zeichen gewartet, das nun gegeben worden war, breitete der gigantische Drache seine noch viel gigantischeren Flügel aus und erhob sich wieder in die Lüfte. Atemu musste eine große Anstrengung aufbringen, um sein Pferd zu zügeln und es im Zaum zu halten. „Akim? Und Meira?“, fragte er nach, „Was hat Adalia damit zu tun?“ Es machte keinen Sinn. Was Seth da erzählte, hatte überhaupt keinen Zusammenhang und machte deshalb auch überhaupt keinen Sinn. Der Hohepriester blickte dem Drachen hinterher, ehe er begann Atemu aufzuklären. „Akim und Meira kennst du“, sagte er, ihm war offenbar nicht klar, wie wenig seinem Cousin seine Worte gesagt hatten, „Akim war mein Diener, Meira ist seine Schwester. Die beiden gehören zu den Nebelgeschwistern.“ Die Nebelgeschwister. Natürlich wusste er von ihnen, doch dass Seths eigenartig kindlicher Diener zu ihnen gehörte... „Was gibt es noch, das ich nicht weiß?“, empörte er sich. Als Pharao dieses Landes hätte er eigentlich als erstes in alles eingeweiht werden müssen, doch stattdessen wurde er einfach übergangen. Er war es nicht anders gewohnt von seinem Cousin, trotzdem entrüstete er sich. Der Drache stieß einen mächtigen Schrei aus und flog im Tiefflug über die libyschen Truppen hinweg. Nicht wenige wurden dadurch von ihren Pferden gerissen. War dies Kisaras Anteil an dieser Schlacht? Ein Lächeln legte sich auf Seths Lippen, Kisara wusste, wie sie Eindruck schinden konnte, und sie wusste ihre Kraft sinnvoll einzusetzen. Er richtete seinen Blick wieder auf Atemu. „Es gab einfach keine Zeit dir davon zu berichten“, gab er leicht säuerlich zurück, „Schließlich hat der Krieg dich voll beansprucht.“ Der Pharao grummelte vernehmlich. „Darüber werden wir noch einmal sprechen“, sagte er und sah nach vorne, „Wir haben einen Krieg zu führen.“ „Wie schön“, entgegnete Seth und es hätte nicht eindeutiger sein können, dass sich ihre Definitionen von Inkompetenz deutlich unterschieden. Sofort brach das Chaos von Neuem aus. Kaum, dass der Drache wieder verschwunden war, standen sich die Männer wieder gegenüber, stellten sich wieder einander entgegen. Das Gebrüll war ohrenbetäubend. Klingen kreuzten sich, Metall stieß lautstark auf Metall. Und Mordlust. Überall war Mordlust, allgegenwertig trachteten die Männer nach dem Tod des jeweils anderen. Atemu starrte in die Menge. „Schön nenne ich etwas anderes“, zischte er, doch Seth konnte seine Worte nicht verstehen. Er schüttelte nur den Kopf, trotzdem war die Mimik des Pharaos eindeutig. Ihre Aggressionen konnten ein besseres Ziel finden als jetzt zu streiten, dachte Atemu, sie änderten nichts an ihrer aktuellen Situation und diese hatte definitiv Vorrang. Es war Krieg! Dies war nicht der Moment, sich über die Eigenarten des Hohepriesters aufzuregen. Er hatte es doch gewusst, hatte schon viel früher davor resigniert. Und doch hatte er ihn zu seinem Nachfolger berufen, sollte hier etwas schief gehen. Wollte er nun etwa an seiner eigenen Entscheidung zweifeln? Und wozu? Der Krieg würde entscheiden, würde ihrer aller Zukunft bestimmen. Es lag längst nicht mehr in seiner Hand, er hatte sich jetzt um seine Truppen zu kümmern. In einem stillen Einverständnis drehten sich der erste und der zweite Mann im Reich zu den Treppen um. Seth nickte. Als er sich umdrehte, musste er unweigerlich in die Gesichter von Shada und Karim blicken, die blind und willenlos auf ihren Pferden saßen und nicht mitbekamen, was eigentlich um sie herum geschah. Er wurde von einer tiefen Woge des Hasses durchflutet, allein ihr Anblick entflammte eine zerstörerische Wut in ihm und eine Willenskraft, die er den Libyern sonst nicht hätte entgegen bringen können. Der Zeitpunkt seiner Rache war nahe. Er konnte es kaum erwarten, zitterte fast vor Ungeduld. Doch zuerst musste er noch eine Aufgabe erfüllen. Er zwang sich an den beiden vorbei zu blicken, fokussierte seine Männer und zog sein Schwert. Voller Entschlossenheit streckte er es gen Himmel und als er seine kräftige Stimme erhob, lauschte jeder Ägypter seinen Worten, den Klängen des Krieges zum Trotz. „Die Zeit ist gekommen!“, rief er kraftvoll, „Fürchtet nichts! Mögen die Götter über uns wachen und die Teufel, die unser Königreich bedrohen, bis in alle Ewigkeit strafen!“ Er hatte so viel mehr in diese Worte gelegt, als die Worte allein aussagten. Die Entschlossenheit, die er an den Tag legte, war ansteckend und motivierte. Ein Getöse wie von Donner war die Antwort, als die Truppen die wahre Schlacht eröffneten. Des Hohepriester persönliche Schlacht stand nun kurz bevor. Er starrte die zwei Menschen an, die ihm all sein Glück zerstört hatten, verachtend und bitter böse. Ihrer magischen Kräfte beraubt, nahm er den Bann von ihnen. „Willkommen“, flüsterte er, „in der Wirklichkeit.“ Es war ein eigenartiger Moment. Die Sekunde, die er hierfür auserkoren hatte – so lange hatte er auf sie warten müssen. Doch nun war sie endlich gekommen, die Stimmung hätte kaum bizarrer sein können. Angetrieben von seinen Worten stürzten die Männer sich in die Schlacht, ihren Feinden entgegen, ohne Gnade, ohne Furcht. Doch um ihn herum war alles ganz still, er war zwar mitten in den Kämpfen, doch das war es nicht, was diese ungekannte Erregung in ihm auslöste. Die Genugtuung, die in ihm wuchs und die ihn in eine fremde Ekstase versetzte, ausgelöst durch die entsetzten Blicke, die fassungslos und hasserfüllt sein Gesicht betrachteten. Verwirrt erwachte erst Karim aus seiner Starre, dann Shada. Als er die Truppen um sich herum erkannte, verstand er zunächst nicht. „Was zum?“, fauchte der Größere der beiden entsetzt. Shada blickte zuerst zu Karim, ehe er auch den Rest der absurden Situation erfasste, wie gerufen durch den Aufschrei seines Freundes. Er erschrak so sehr, dass er fast vom Pferd fiel. Gerade noch so konnte er sich oben halten, doch die Kraft, die es brauchte um seiner Verachtung Ausdruck zu verschaffen, fehlte ihm nicht. Hasserfüllt starrte er den Hohepriester an. „Das warst du...“, knurrte er und blickte in Seths provokantes Gesicht. Dann versteinerte sein Ausdruck. Als er sich wieder gefangen hatte, drehte er sich schleunigst zu Karim. „Wir sollten verschwinden“, sagte er besorgt. Seth lächelte voller innerer Begeisterung. Sie ihrer Magie zu berauben war offensichtlich eine gute Entscheidung gewesen, allein schon um das hilflose Entsetzen in Shadas Augen sehen zu können. Grimmig sah er zu dem Kahlköpfigen. „Ja, das war ich“, stimmte er sauer zu. „Verschwinden?“ Er lachte laut auf. „Versucht es doch! Doch ich fürchte“, seine Stimme war schmierig wie Öl, erklang wie Gift in den Ohren der beiden ihrer Ämter enthobenen Priester, „Ihr werdet keinen Erfolg haben!“ Es war keine Voraussagung, es war einfach nur eine Feststellung. Er war sich sicher, dass dies ihr Ende sein würde. Er wusste es, weil er es für sie ausgesucht hatte, und weil er den letzten Stoß setzen wollte, wenn sie erst das Grauen der Pein kennen gelernt hätten. Er würde keine Gnade kennen mit diesen beiden Kreaturen, war nicht bereit hinzunehmen, was sie getan hatten und schon gar nicht ihnen zu verzeihen. Der Hass, den er spürte, war grenzenlos, er genoss es, sie in der jähen Erkenntnis des Ausgeliefertseins zu beobachten, wie ein Jäger, der seine Beute in die Ecke gedrängt hatte und nun mit ihr spielte. Des Hohepriesters Gelächter klang ihnen in den Ohren. „Lass dir etwas einfallen...“, meinte Karim erschrocken angesichts ihrer Gefangenheit. „Wieso gerade ich?“, fauchte der Angesprochene gereizt, und blickte hasserfüllt zu Seth. Er schüttelte den Kopf, offensichtlich hochkonzentriert und nachdenklich. Ihre Chancen standen denkbar schlecht, diese Erkenntnis konnte ihnen nicht entgehen. „Nun gut“, sagte Shada möglichst leise, wohl in der Hoffnung, dass Seth nicht zuhörte, doch das war natürlich nur Illusion. „Wenn der Hohepriester meint, uns in den Krieg zu schicken, dann arbeiten wir uns auch durch den Krieg“ – er klang fest entschlossen – „in die Freiheit.“ Ohne zu zögern, gab er seinem Pferd die Sporen, trieb es an. Karim sah ihm unentschlossen hinterher, ehe auch er sein Pferd antrieb, das jedoch nur widerwillig auf seine Anweisungen hörte. Er zögerte, wollte offensichtlich nicht weg und das Pferd spürte es. Hasserfüllt drehte er sich zu Seth um, funkelte ihn finster an. Dieser lächelte nur, die Augen zu Schlitzen verengt, berechnend und kalt. Der Kleinere merkte sofort, dass er nicht auf der Stelle zu ihm aufgeschlossen war. „Was hast du?“, rief er zurück, ohne jedoch sein Pferd zu wenden. Er verlangsamte nur den Schritt des Tieres. „Der blöde Gaul hat seinen eigenen Willen“, gab Karim patzig zurück und es war nicht klar, ob er damit das Pferd oder den Hohepriester meinte. Schließlich holte er zu seinem Freund auf. „Ich will Rache...“, meinte er widerspenstig. Seth sah es nicht anders. So einfach würde er die zwei nicht entkommen lassen, nicht jetzt, da er seiner Abscheu endlich freien Lauf lassen konnte. Sie würden ihm nicht entkommen. „Hier geblieben!“, rief er schneidend und trieb sein Pferd an. Im Nu hatte er sie eigenholt. Ihre Reittiere waren bei weitem nicht so gut trainiert, wie das seinige, sie würden es nicht mit seinem Pferd aufnehmen können, sollte es zum Wettstreit kommen. „Wo wollen wir denn hin?“, fragte er hinterhältig, seine Beute zu treiben machte weit mehr Vergnügen, wenn man sie vorher in Sicherheit wiegte. „Nicht hier“, zischte Shada seinen Freund zu, auch er schäumte vor Wut und Unbehagen. Noch immer war etwas Abstand zwischen ihnen und dem Hohepriester. Die Menge tobte, völlig ungeachtet dessen, was hier geschah. Shada beugte sich zu einem der Fußsoldaten herab, legte ihm seinen Unterarm um den Hals und hinderte ihn so daran, ihm zu entkommen. Dann entriss er ihm geschickt das Schwert, das er in seiner Hand trug, schubste ihn mit einem Tritt nach vorn und lenkte sein Pferd so, dass es den Mann unweigerlich niedertrampeln musste. Es war ihm gleich, ob es sich bei ihm um einen libyschen oder einen ägyptischen Landsmann handelte. Er richtete die so gewonnene Klinge auf Seth. „Halt uns doch auf“, rief er provokant und sauer. Dieser jedoch war nicht bereit, sein Spiel mitzuspielen. Dies war seine Rache, hier verlief alles nach seinen Regeln. Belustigt sah er den Kleineren an, richtete seinen Millenniumsstab auf ihn, aktivierte ihn jedoch nicht. Er wusste genau, der Stab war eine weit bessere Waffe als jedes Schwert, das jemals geschmiedet worden war. „Bist du dir sicher?“, fragte er und antwortete damit auf Shadas unausgesprochene Unterstellung, er könnte sie nicht hindern zu fliehen. Er lächelte kalt. „Möchtest du diese Meinung noch ändern?“ Und dann zielte er plötzlich auf Karim, der noch immer unbewaffnet und ihm somit absolut hilflos ausgeliefert war. Dieser zog heftig die Luft ein und sah zu Shada. Sicher würde er seine Sicherheit nicht aufs Spiel setzen? Man konnte sehen, dass er Shada vertrauen wollte, doch ganz sicher war er sich augenscheinlich nicht. Doch Shada ließ das Schwert sinken. Widerwillig zwar, doch die Geste war eindeutig. Tief durchatmend sah er seinen Freund an, ehe er seinen abgrundtief bösen Blick wieder auf den Hohepriester lenkte. „Was willst du, Schlange?“, zischte er und klang dabei viel eher wie das schuppige Reptil als der Angesprochene. Er würde sich ganz sicher nicht mit seiner Position abfinden, nicht solange er noch Kraft hatte zu stehen und ein Schwert zu umklammern. Der Hohepriester wirkte mächtig beeindruckt. Er hatte tatsächlich nicht mit dieser Reaktion gerechnet, doch sie amüsierte ihn zutiefst. „Dir liegt etwas an ihm?“, fragte er verachtend, „Wie niedlich.“ Der Ton war niederschmetternd, eisig und herablassend. „So macht es mehr Spaß. Ihr zwei habt keine Möglichkeit eurem Schicksal zu entkommen. Die Truppen stehen hinter mir, ihr könnt nicht zurück.“ Er genoss es in vollen Zügen, ihre erstarrten Augen, ihre steife Haltung, wie in die Enge getriebene Tiere. Sie würden leiden, so wie er es Mana versprochen hatte. „Der einzige Weg führt durch die libyschen Truppen“, er sah sie finster und gierig zugleich an. „Lauft. Lauft in euer Verderben!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)