Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 44: Cousins ------------------- Krieg. Wohin das Auge sah nur Zerstörung und Verwüstung. Vernichtung an allen Schauplätzen. Und grenzenloser Hass. Doch nichts beflügelte mehr als die von Verzweiflung und Angst geplagten Gesichter der Opfer. Gesichter, die so verzehrt und entstellt waren von all den Schrecken, die sie gesehen hatten. Getrieben von Menschen, die für das kämpften, woran sie glaubten. Oder was ihnen eingeredet wurde, dass sie es glaubten. Sah einer von ihnen den Sinn in einem solchen Handeln? Es konnte nur Verlierer geben. Familien, die auseinander gerissen wurden, Pflichten, die auf der Strecke blieben. Für das eine große Ziel: Den Feind zu vernichten und somit das Wechselspiel aus Hass und Vergeltung immer und immer wieder aufs Neue zu entfachen. Ohne Sieg. Die Aufgabe des Pharaos von Ägypten und dessen Hohepriester war klar definiert. Sie wussten, was zu tun war und doch hielt sich die Begeisterung darüber in Grenzen. Natürlich. Endlich war die Zeit gekommen, da es galt zurückzuschlagen und das eigene Reich und vor allem dessen Bevölkerung vor der drohenden Gefahr zu schützen und zu verteidigen. Doch es gab kaum jemanden im gesamten Heer, der mit den Gedanken weniger bei der Schlacht war, als Atemu oder Seth. Sie ritten an der der Spitze der Truppen, sodass nur der der jeweils Andere die Möglichkeit hatte, dem Cousin ins Gesicht zu sehen. Seths Ausdruck war grimmig und versteinert. An seinen Flanken ritten Karim und Shada, noch immer ausdruckslos, doch mit so viel Bewusstsein, dass sie in der Lage waren nicht vom Pferd zu fallen. Nicht, dass der Hohepriester sich sonderlich um ihr Wohl geschert hätte, doch er hatte anderes mit ihnen vor. Sie einfach von den ihnen folgenden Truppen niedertrampeln zu lassen, erschien ihm als viel zu gnädig. „Kannst du es kaum erwarten in den Krieg zu ziehen, oder warum schaust du so?“ Des Pharaos Stimme durchschnitt den Lärm der galoppierenden Pferde, sie klang sarkastisch und bitter. Der Angesprochene drehte den Kopf kurz und sah den Anderen an, ohne jedoch dabei die Kontrolle über das Pferd auch nur im Ansatz zu verlieren. „Glaube mir“, antwortete er eisig, „Dieser Krieg ist gänzlich unpassend...“ Atemus angestrengter Blick verwandelte sich in reinste Verwunderung. Seth gehörte normalerweise zu jenen Menschen, die einer Schlacht nicht aus dem Weg gingen, er setzte auf militärische Stärke. Umso weniger passte seine jetzige Stimmung zur Lage. „Was ist passiert?“, fragte Atemu, doch der Hohepriester schüttelte den Kopf. „Wir sollten uns nun um die Truppen kümmern“, antwortete er ausweichend und auch wenn der Andere ihn sofort durchschaute, wusste er doch, dass er recht hatte. Schnell drehte er sich zu den Männern um und gab die Anweisungen für die Aufreihung und den Marsch weiter, ehe er sich wieder Seth zuwandte. „So war es geplant, oder?“, fragte er um den Brünetten wieder in ein Gespräch zu verwickeln. Dieser nickte seufzend. „Wir sollten erst einmal an die Grenze reiten“, sagte er. Dort schließlich würden die gegnerischen Truppen aufeinanderstoßen. Bisher war ihnen nur immer wieder ein Späher in die Hände gefallen. Mit Sicherheit waren die libyschen Krieger in der Zwischenzeit davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sie kamen und wie stark das ägyptische Heer war. Das war ärgerlich, doch es ließ sich nicht verhindern. Atemu stimmte Seth zu. Sie zogen weiter, ritten größtenteils schweigend nebeneinander her. Immer wieder wagte der Pharao einen besorgten Blick zur Seite, doch Seth machte keinerlei Anstalten sich auf ein Gespräch einzulassen. Irgendetwas stimmte nicht, da war Atemu sich sicher. Allerdings stimmte sowieso so einiges nicht, wenn man bedachte, dass sie gerade in den Krieg zogen und er seine Teana allein hatte zurücklassen müssen. Bildete er es sich also ein? War der Priester einfach nur angespannt? Grund genug gäbe es, niemand konnte sagen, ob und mit wie vielen Männern sie zurückkehren würden. Und trotzdem. Seths Verhalten war merkwürdig. Atemu sah sich um. In dem ganzen Trubel, den der Aufbruch bereitet hatte, hatte er die beiden Männer, die den Hohepriester begleiteten, nicht erkannt, nun jedoch bot sich ihm ein Bild, das er in keinster Weise nachvollziehen konnten. Die zwei Priester hatten nicht in den Krieg ziehen sollen, ihre Zuständigkeitsbereiche lagen woanders. Doch was machten sie hier? Nun, da Atemu auf sie aufmerksam geworden war, war es ihm völlig offensichtlich, dass sie nicht aus eigenen Stücken handelten. Auch ihm war die Magie nicht fremd. „Was soll das?“, seine Stimme war hart. Dieses Mal sollte Seth ihn nicht ignorieren. Des Priesters Antwort war grimmig und knapp: „Jedem das, was er verdient.“ Mehr hatte er nicht zu sagen. Doch dieses Mal gab der Pharao nicht nach. „Sie wurden beauftragt, deiner Verlobten die Etikette nahezulegen“, sagte er ernst, „Ich bin schließlich der Pharao. Meinst du nicht, ich sollte wissen, was passiert ist?“ Dass Seth nicht mit ihm reden wollte, war völlig offensichtlich. Doch einen Streit konnte er sich nicht leisten, nicht jetzt, da sie an einem Strang zu ziehen hatten gegen Libyen. „Die Etikette hätten sie selbst kennen müssen“, gab er daher kurz angebunden zurück. Er brummte sauer. Atemu musste es hören, ob er wollte oder nicht. Es gab keine andere Möglichkeit. Genervt verdrehte dieser die Augen. Seths Launen waren bisweilen wirklich nur schwer zu ertragen, doch Atemu war sich sicher, dass es hierfür einen triftigen Grund gab. Nicht ohne Grund hatte er es zu Seths Aufgabe gemacht, die Kriegshandlungen zu koordinieren, er ging gewöhnlich außerordentlich sorgfältig auf solche Dinge ein. Dass er jetzt so abwesend wirkte, war Beweis genug. „Sei froh, dass deine Verlobte mit der Etikette schon vertraut war...“ Offensichtlich hatte Seth sich dazu entschlossen zu reden. „Was soll das heißen?“, fragte Atemu leicht sauer, es gefiel ihm nicht, dass Seth ihn so lange auf die Antwort warten ließ. „Was haben sie getan?“ Und schließlich begann Seth zu erklären, zunächst nur langsam, dann schneller. Als er damit schloss, dass er Manas Gedächtnis gelöscht hatte, damit sie nicht mit den Erinnerungen leben musste, herrschte für einen Augenblick Totenstille. Seth sah weg. Er wollte nicht das Mitleid in Atemus Augen sehen, wollte nicht die zutiefst schockierten Blicke von Neuem auf sich spüren. Xerxes. Qadir. Adalia. Kisara. Sie alle hatten erfahren, was geschehen war, sie alle hatten ihre Hilfe zugesichert und sie alle waren voller Mitgefühl. Doch das war nicht das, was Seth jetzt wollte. Er hatte getan, was er getan hatte, damit es ihr gut ging. Damit sie leben konnte, ohne ihr Leben lang nur mitleidige Augen zu sehen. Jeder hatte gewusst, dass Seth zu einer solchen Tat fähig war, spätestens seit die Sache mit Akim aufgeflogen war. Dass er ein Gedächtnis löschen konnte, um dann weiter zu machen. Wer hätte ihm wirklich zugetraut, dass er seine Tat wiederholen würde? In wessen Augen konnte er das Unfassbare lesen? Er wollte es nicht sehen. Nicht jetzt. Dies war nicht der passende Ort und auch nicht die passende Zeit. Er würde büßen, wenn der Krieg vorbei wäre. Atemus Reaktion überraschte ihn über alle Maßen. Er hatte Mitgefühl erwartet und er hatte Verachtung erwartet. Doch was ihm nun von des Pharaos Seite entgegen kam, war blanker Hass. Hass gegen die Priester, die er selbst beauftragt hatte. „Sie leben noch?“, zischte er außer sich und ließ Seth damit leicht lächeln – der Thematik zum Trotz. Er hätte dies erwarten können, doch zu vieles hatte ihn davon abgelenkt. Mana und Atemu waren sehr gute Freunde gewesen und das seit sehr vielen Jahren. Er war vielleicht der Einzige, der auch nur annähernd verstehen konnte, was die Worte tatsächlich bedeuteten. In diesem Moment war Atemu nicht der Pharao Ägyptens, der sich um das Wohl seines Volkes und seiner Bediensteten zu sorgen hatte, in diesem Moment war er Manas Freund. Und die Empörung, die ihn durchzog, war gigantisch. „Nicht mehr lange“, gab Seth zurück, auch er wollte die Priester tot sehen. „Das können wir jetzt erledigen“, bot Atemu zischend an, ohne dabei zu berücksichtigen, dass eine Hinrichtung in den eigenen Reihen der Moral seiner Truppen nicht gerade zugetan wäre, „Oder was hast du geplant?“ Seth schüttelte leicht den Kopf. Ihm gefiel Atemus Gedanke durchaus, doch er hatte anderes vor. „Nein. Die Beiden werden den Krieg erleben“, erklärte er grimmig, „Unbewaffnet.“ Atemu sah ihn an. Ohne dass er es beabsichtigt hatte, hatte er sein Pferd dichter an Seths heran getrieben um besser mit ihm reden zu können. Nun seufzte er. „Wie du willst...“, gestand er ihm ein, obwohl er eher dafür gewesen wäre, sie auf der Stelle enthaupten zu lassen. Doch diese Entscheidung gehörte Seth. In dessen Rache würde er sich nicht einmischen. Wieder sah er ihn an. „Wie geht es dir?“, fragte er mit offener Besorgnis, doch Seth wich wieder aus. Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht“, sagte er leise, „dass es darum geht.“ Leicht erzürnt blickte der Pharao ihn an. „Mir als deinem Cousin“ – und er betonte diese Verwandtschaft, er wollte nicht als Pharao empor gehoben werden, wenn es um seine Freunde ging – „schon! Sonst hätte ich dir die Frage nicht gestellt.“ Seth blickte auf, grummelte leicht. Dann sah er ernst und ehrlich in die Augen des Pharaos. „Wie würde es dir gehen, wenn Teana so etwas passiert wäre? Wenn sie sich nun nicht mehr an dich erinnern könnte?“ Und durch Atemus entsetztes Schweigen erkannte Seth deutlich, dass der Pharao ihm die Antwort schuldig bleiben würde. Informationen zu sammeln war eine leichte Aufgabe in einem Palast, dessen Informationsnetz so löchrig war, wie in diesem. Der König der Räuber blickte den Truppen hinterher, mehrere Köstlichkeiten verspeisend, die er in der Palastküche gefunden hatte, und die seines Erachtens nach viel zu schade für die Bewohner hier waren. Er schlenderte unbehelligt durch die Gänge, immer wieder aus dem Fenster blickend. Zunächst hatte er sich einen Spaß daraus gemacht, den Männern hinterher zu winken, doch da niemand auf ihn aufmerksam geworden war, war sein Interesse daran schnell vergangen. Er hatte Wichtigeres zu tun. Der Palast war fast vollständig entblößt worden. Lediglich an den Schatzkammern, an den Gemächern der Prinzessinnen und an den Türen zum Thronsaal waren Wachen aufgestellt, doch an diesen vorbeizukommen, stellte kein sonderliches Problem für Bakura dar. Oft schon hatte er sich an ihnen vorbei geschlichen, einfach nur um des Nervenkitzels wegen und um etwas zu tun zu haben. Das Leben bei Hofe war bisweilen schrecklich langweilig und einseitig. Nie hatte ihn jemand auch nur gesehen, geschweige denn, erwischt. Die einzige Gefahr, die er in diesem Palast gehabt hatte, waren die beiden Priester, die nun jedoch tragischer Weise den Verstand verloren hatten. Dass ausgerechnet der Hohepriester ihm einen solchen Dienst erweisen und ihm in die Hände spielen würde, hätte wohl nicht einmal Bakura erwartet. Doch genau das war geschehen. Die zwei närrischen Priester hatten ihren Zweck erfüllt und auch der Hohepriester hatte es getan. Die Information, die er über seine Tochter bekommen hatte (auch wenn es ihm widerstrebte, sie als solche zu betrachten), war Gold wert. Der Krieg gegen Libyen und die Tochter einer libyschen Sklavin an des Hohepriesters Seite. Alles passte genau zusammen. Dass sie nun ihr Gedächtnis verloren hatte, machte sie zu einer viel besseren Puppe. Wenig Erinnerungen bedeutete: Wenig Bindung an die Welt, die man kannte. Was geschehen war, interessierte den Räuberkönig nicht. Mana war eine Tochter von Sklaven. Warum sollte es ihr besser gehen als ihrer Mutter und all den Freunden, mit denen sie eine Weile gelebt hatte? Vielleicht war dies die Strafe dafür, dass sie versucht hatte, ihrem Schicksal zu entfliehen und sich ein besseres Leben zu wünschen. Es kümmerte ihn nicht. Letztendlich war es der Anlass dafür gewesen, dass er der zwei lästigen Mitwisser entledigt wurde, also hatte auch Mana ihren Dienst getan. Und die einzige Dokumentation über die zweifelhaften Umstände ihrer Kindheit und damit der Schlüssel zu den Kriegshandlungen an der libyschen Grenze lag nun in Bakuras Händen: die Schriftrolle, die er Karim und Shada im Tempel des Anubis abgenommen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)