Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 43: Aufgabe ------------------- Aufregend. Ein anderes Wort gab es nicht. Zumindest keines, das in irgendeiner Weise passte. Alles, was um sie herum geschah, war einfach nur aufregend. Es war neu und doch so vertraut, fremd, und doch nicht unbekannt. Mana wusste kaum ihre Gedanken zu ordnen. Eine Flut an Bildern brach auf sie ein, Bilder, die zugeordnet werden wollten, Bilder, die sortiert gehörten. Doch wo sollte sie anfangen? Alles um sie herum stellte eine neue Herausforderung da, forderte ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie wollte nichts verpassen. Die Welt, die sich ihr bot war so schillernd und so farbenfroh, in Facetten glitzernd, die jeden Diamanten in den Schatten gestellt hätten. Eine neue Welt. Eine Welt, die nur darauf wartete, erkundet zu werden. Doch auch eine bedrohliche Welt. Eine Welt voller Schatten, voll unerkannter Gefahren, die ihre Fänge nach ihr ausstreckten. Mana wusste nicht, was sie erwartete, wusste nicht, was auf sie wartete, doch zu viele Fragen hielten sie davon ab, sich zu verstecken. Sie richtete sich auf und blickte zu Adalia. Die große Frau, die neben ihr saß, und die so vieles wusste. Sie wartete. Begann sie zu erzählen? Begann sie zu erklären? Mana platzte fast vor Neugier, konnte es gar nicht erwarten, endlich etwas zu erfahren. Wieso nur zögerte die Priesterin so? Sie wusste es doch, da war Mana sich sicher. Sie schien so vieles zu wissen, so vieles, das ihr Angst machte, war für Adalia selbstverständlich. Die Kleinere wollte so vieles lernen, wollte so vieles verstehen. Als Adalia schließlich zu sprechen anfing, hüpfe Mana vor Aufregung einmal kurz auf. Die Priesterin betrachtete sie nachdenklich. „Wenn du dich bewegst, dann merkst du doch immer etwas, oder?“ Mana nickte. Das war eine einfache Frage. Sie fasste sich an ihre Rippe, und strahlte als Adalia zustimmend nickte. „Genau“, antwortete sie und lächelte. „Weißt, du, wenn ich mich bewege, merke ich nichts.“ Verwirrung umhüllte die ehemalige Priesterschülerin. Sie war anders? Wieso? Warum war sie nicht so wie die anderen? „Nein?“, fragte sie unsicher. Adalia unterließ es nicht weiterhin zu lächeln. „Nein, ich merke nichts“, meinte sie sanft, „Aber das ist nichts schlimmes, verstehst du?“ Es war nichts schlimmes? „Du bist verletzt, deswegen merkst du etwas.“ Sie war verletzt? „Wenn das wieder gesund ist, dann wirst du auch nichts mehr merken, wenn du dich bewegst, aber dafür muss das verheilen können. Deswegen will der Arzt, dass du dich nicht so viel bewegst, damit das schnell wieder in Ordnung ist, verstehst du?“ Adalia versuchte es so einfach wie möglich zu erklären. Fasziniert blickte Mana sie an, hing quasi an ihren Lippen. „Also ist das nicht gut?“, fragte sie und zeigte erneut auf ihre Rippe. „Nein, das ist nicht gut“, stimmte die Ältere zu, „Aber wenn du schön aufpasst, dann ist das bald wieder gut.“ Sie klang zuversichtlich. Es war nicht schlimm. „In Ordnung!“, strahlte Mana. Das war etwas, worauf sie achten konnte. Es war nicht gut, dass sie etwas merkte. Sie musste aufpassen. Dann würde sie bald nichts mehr merken. „Und wenn das dann in Ordnung ist, kannst du durch den ganzen Palast laufen, so wie du willst.“ Manas Augen leuchteten auf. Nichts mehr zu merken und so sein wie die anderen. Das wollte sie. Sie setzte sich lächelnd weiter zurück, rutschte weiter hinauf auf das Bett. „Muss ich jetzt liegen bleiben?“ Das hatte Adalia doch gesagt, oder? Sie sollte sich schonen, sollte aufpassen. Leicht unzufrieden brummte Mana. Sie wollte nicht ruhig liegen, das war langweilig. Die ganze Zeit nur still zu sein, wo doch so vieles förmlich danach rief erkundet zu werden. Noch immer lächelte die Priesterin. „Du musst nicht die ganze Zeit liegen“, bot sie beschwichtigend an, „Aber schon eine Weile, okay?“ Mana grinste. Sie fühlte sich ertappt und durchschaut, wieso wusste Adalia gleich, was sie dachte? Das musste sie auch noch lernen. Verstehen, was die Menschen in ihrer Umgebung meinten und was ihre Worte bedeuten. Sie musste liegen, damit sie heilte. Damit sie wieder umher laufen konnte. Das hatte sie nun verstanden. „Musst du die ganze Zeit bleiben?“ Adalia war nicht verletzt, Adalia musste nicht liegen. Sie konnte umher laufen. Die Angesprochene nickte. „Ja, ich bleibe bei dir, auch wenn du dich ausruhst“, antwortete sie lächelnd. Erstaunt betrachtete die Kleinere sie. War sie nur ihretwegen hier? Hatte jeder jemanden, der auf einen achtete? Es gab so vieles, dass sie gar nicht wusste, so viele Fragen, die sie noch stellen musste. „Musst du denn nicht andere Dinge machen?“ Sie konnte doch nicht immer nur bei ihr sein, oder? War das normal? So wie bei allen anderen? „Jeder hat eine Aufgabe“, erklärte die Priesterin würdevoll, was Mana jedoch eigenartig und fremd vorkam, „Meine Aufgabe ist es, bei dir zu bleiben.“ „Ist das nicht langweilig für dich?“, plapperte Mana drauflos, immer nur bei ihr zu sein, wo es doch so vieles zu entdecken gab, dass sie im Moment nicht sehen durfte. Kannte Adalia das alles schon? Wollte sie das nicht mehr sehen? Doch dann stockte Mana, ihr war etwas anderes eingefallen. „Was ist meine Aufgabe?“, fragte sie neugierig. Zumindest diese eine Frage hatte die Priesterin erwartet und war dementsprechend darauf vorbereitet. „Deine Aufgabe ist es jetzt, gesund zu werden, damit Seth sich keine Sorgen um dich machen muss.“ Seth. Manas Herz machte einen kleinen Hüpfer. Sicher war Seth bald wieder da. „In Ordnung“, stimmte sie fröhlich zu, und lehnte sich vorbildlich im Bett zurück, „Ich werde ganz schnell -“ Wie war noch gleich das Wort? Es war so vieles, was sie versuchte, sich zu merken, so vieles, dass sie viel zu schnell wieder vergaß. „Wie heißt das?“, fragte sie verwirrt. „Gesund, heißt das Wort“, half die Andere ihr, „Das ist dann, wenn du keine Schmerzen mehr hast.“ Schmerzen? Mana legte den Kopf schief. „Schmerzen sind das, was du fühlst, wenn du dich bewegst“, erklärte die Priesterin mit einem zweifelhaften Lächeln auf den Lippen. Wollte sie nicht, dass sie fragte? War sie böse, weil sie so wenig wusste? Mana wusste es nicht. Aber sie wollte lernen. Sie wollte ihre Aufgabe erfüllen. Sie wollte brav sein und gesund werden und sie wollte ganz viel lernen, damit sie nicht mehr so viel fragen musste. Dann müsste Adalia auch nicht mehr so traurig schauen, wenn sie fragte. Plötzlich wurde Adalias Blick wieder weicher, sie lächelte wieder. Das gefiel Mana gleich viel besser, so sah sie auch viel hübscher aus. „Möchtest du irgendetwas wissen?“, fragte sie ermutigend und brachte das Mädchen damit doch arg durcheinander. Nun durfte sie fragen? Sie musste ihre Chance einfach nutzen. Sie nickte lebhaft. Die Dinge um sie herum interessierten sie weniger, sie kamen ihr auf eine eigenartige Art und Weise vertraut vor. Doch sie hatte so viele Fragen. So vieles, das sie nicht verstand. „Ich heiße Mana, richtig?“, fragte sie lächelnd. „Und ich bin verletzt. Und ich muss im Bett liegen bleiben, um gesund zu werden.“ Sie wiederholte stolz, was sie behalten hatte, sah sich dann um und grinste fragend. „Wo sind wir hier? Was macht ein Arzt? Wieso hat er das gemacht?“, sie zeigte auf ihre Verbände, „Wer bin ich? Wer bist du? Seth? Gibt es mehr?“ All die Fragten sprudelten nur so aus ihr heraus und sie hätte garantiert noch weitergemacht, wenn Adalia ihr nicht ins Wort gefallen wäre um zu antworten. „Du bist Mana, so einfach ist das“, lächelte sie erklärend, „Du bist alles, was du an dir siehst, alles, was du denkst, alles, was du fühlst. Du lebst hier im Palast, ich lebe auch hier und Seth auch. Seth ist Hohepriester am Hof des Pharaos und er war mein Lehrer. Ich bin eine Priesterin hier.“ Palast? Hohepriester? Pharao? „Der Arzt hilft dir, er hat dich verbunden, damit du schneller wieder gesund wirst.“ Half der Arzt nur ihr? Hatte jeder so einen Arzt? Mana schwirrte der Kopf. So vieles, das sie nicht verstanden hatte, so vieles mit dem sie nichts anfangen konnte. Traurig ließ sie den Kopf hängen. Wie sollte sie das nur machen? „Ich verstehe nicht...“, gab sie kleinlaut zu. Adalias Blick zeigte kurz Betroffenheit, ehe sie sich wieder fing. „Das ist nicht schlimm, du wirst es bald verstehen“, sagte sie und lächelte. „Der Palast, weißt du, was das ist?“ Es war nicht schlimm, dass sie nicht verstand? Sie würde es verstehen? Eine Woge von Ungeduld überrumpelte Mana, sie wollte nicht irgendwann verstehen, so wollte jetzt verstehen, wollte schon alles können und es nicht erst lernen müssen. Sie wollte doch nur so sein, wie die anderen, wie Adalia. Sie wusste doch schon alles. Und trotzdem, ihr Interesse überwog ihrer Ungeduld, wurde von dieser gerade zu noch beflügelt. Der Palast, hatte die Priesterin gesagt. Sie lebte im Palast. „Ist das hier der Palast?“, fragte Mana und ließ den Blick im Raum umherstreifen. Adalia nickte. „Ja, dieses Zimmer ist ein Teil des Palastes“, antwortete sie lächelnd, „Aber der gesamte Palast ist viel größer, ganz viele Zimmer aneinander, kannst du dir das vorstellen?“ Die Augen der Kleineren wurden immer größer. Sie sah das Zimmer an, betrachtete dessen Weiträumigkeit. „Ein Zimmer vom Palast, in dem es ganz viele gibt...“, wiederholte sie murmelnd, ehe sie nickte. „Ich denke, ich habe das verstanden.“ Aufmunternd sah Adalia sie an. „Genau“, stimmte sie zu, ehe sie fortfuhr zu erklären: „Der Pharao ist unser König, und Seth und ich arbeiten für ihn.“ Sie arbeiteten für ihn? Mana kicherte. „Also ist der Pharao wichtig?“, schloss sie aufgeweckt und brachte damit auch die Priesterin zum Lachen. „Ja, er ist der Anführer von allen Menschen hier“, bestätigte sie. Der Anführer? Dann konnte man ihn wohl wichtig nennen. Wieso war er Pharao? Arbeitete er auch für jemanden? Seth arbeitete für ihn. Wieder war Manas Aufmerksamkeit voll und ganz gefangen von der Erinnerung an den Hohepriester. Ohne, dass sie sagen konnte weshalb, glitten ihre Gedanken immer wieder ab, drehten sich immer wieder um ihn. Sie lächelte. „Und Seth?“, fragend sah sie Adalia an, „Erzähl mir mehr über ihn“, bat sie und war gespannt auf des Priesterins Worte. „Du interessierst dich für ihn, richtig?“, sie sah sie lieb an, nach den passenden Worten suchend, „Seth ist auch wichtig für dieses Land, nicht ganz so wichtig wie der Pharao aber fast. Er hätte König werden können und er ist auch der Nachfolger des jetzigen Pharaos.“ Nachfolger? Mana dachte einen Moment über dieses Wort nach. „Also wird er Pharao, wenn der jetzige Pharao weg ist?“, fragte sie kindlich. „Und er war dein Lehrer?“ Sie hatte genau aufgepasst. Alles, was Adalia über Seth gesagt hatte, war in Manas Gedächtnis geblieben, genau so farbenfroh wie sie ihn sich vorstellte. Die Priesterin nickte, und es war deutlich, dass ihr die Erinnerung gefiel. „Ja, so ist es. Er war für mehrere Jahre mein Lehrer. Er hat mich in vielem unterrichtet.“ Der Stolz, der in ihrer Stimme lag, war kaum zu überhören und steckte Mana sofort an. Beeindruckt sah sie die Andere an. „Kannst du mir mehr über ihn erzählen? Und über dich?“ Sie wollte so vieles wissen, so viel mehr noch. Außerdem gefiel es ihr, sich mit Adalia zu unterhalten. Sie mochte ihre Stimme, sie klang so weich und sanft, sie hörte ihr gern zu. Sie war so freundlich und lieb, das Mana keine Angst haben musste. Die Priesterin kam ihrer Bitte sogleich nach. „Ich bin nun neunzehn Jahre alt, eine Priesterin und lebe normalerweise in einem Tempel.“ Tempel? „Und Seth ist halt so, wie du ihn gesehen hast. Er arbeitet viel für dieses Land.“ „Neunzehn Jahre?“, Mana saß inzwischen auf den Knien, robbte immer weiter an Adalia heran. „Und ich? Und Seth?“ „Du bist sechzehn Jahre alt und der Hohepriester ist dreiundzwanzig.“ „Ist dreiundzwanzig alt?“ Immer wieder fragte Mana nach, immer wieder bekam sie Antworten von Adalia. Und immer wieder genügten diese ihr nicht. Zeigst du mir den Palast? Ist das hier mein Zimmer? Wie viele Zimmer gibt es? Mana wollte jeden kennen lernen, der hier lebte, wollte hüpfen und springen, doch die Priesterin blieb streng und war strikt gegen jede Art von Bewegung, die Manas körperliche Verfassung nur verschlechtert hätte. Grimmig grinsend nahm Mana es zur Kenntnis ohne es zu akzeptieren. Immer wieder bettelte sie, immer wieder flehte sie, nicht im Bett bleiben zu müssen. Und immer wieder erinnerte Adalia sie an ihre Aufgabe: Gesund zu werden, damit sie Seth keine Sorgen bereitete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)