Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 42: Zukunft ------------------- Dem Hohepriester hinterher zu sehen war eine Sache. Etwas ganz anderes war es ihm hinterher zu sehen und zu wissen, dass die Rolle, die man anstrebte, unerreichbar fern lag, nun da er sich verlobt hatte. Verlobt mit einem Mädchen, das kaum einen Stand vorzuweisen hatte. Ein Mädchen, dass nicht einmal mehr Erinnerungen hatte, die sie teilen konnte. Ein Mädchen, das einfach gar nichts hatte. Und doch besaß sie so viel mehr, so vieles nach dem Adalia immer gestrebt hatte. Die Liebe des Hohepriesters... Die Priesterin seufzte unmerklich, warf dabei ihr brünettes Haar geschickt über die Schulter. Im Rücken spürte sie den fordernden Blick der Kleinen, die Seth in ihre Obhut gegeben hatte. War sie dieser Aufgabe gewachsen? Adalia war sich sicher, dass sie nie eine wichtigere Aufgabe übernommen hatte, doch sie würde den Hohepriester nicht enttäuschen. Sie konnte alles schaffen, nun da sie wusste, dass Seth es ihr zutraute und dass er an sie glaubte. Wenn auch sonst nichts. Ein Lächeln legte sich auf ihre sanften Züge, ließ sie sogleich mehrere Jahre jünger aussehen. Langsam drehte sie sich zu Mana um. Sie war der Aufgabe gewachsen. „Seth... weg?“, fragte die ehemalige Priesterschülerin mit einem leicht melancholischen Blick, sie wusste selbst nicht, was diese Worte bedeuteten, doch sie spürte es. Etwas war anders. Etwas, das Mana nicht in Worte zu fassen vermochte. Adalia ließ sich von diesem Blick nicht entmutigen. „Ja, Seth ist nun weg.“ Es gefiel ihr nicht, in einem solch respektlosen Ton über den Hohepriester zu reden, doch erschien es ihr als das Beste die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren. „Er kommt aber bald wieder“, ergänzte sie stattdessen und blickte in große glänzende Augen. Augen, die vor Tränen schwammen. „Wann ist bald?“, fragte Mana wieder, unsicher. Adalia strich ihr sanft über die Wangen und wischte ihr die Tränen weg, was Mana überrascht zur Kenntnis nahm. Offensichtlich war ihr eine solche Handlung fremd. „In ein paar Tagen ist er sicher wieder da“, versicherte Adalia ihr, und hoffte selbst wohl noch viel stärker, dass diese Worte wahr waren und auf seine baldige Rückkehr. Im Gegensatz zu Mana kannte sie die große Gefahr, die der Krieg mit sich brachte und der sich Seth und all die anderen, die für Ägypten kämpften, zu stellen hatten. Fürs Erste jedoch hatte sie davon auszugehen, dass er genau wusste, was er tat. Sie hatte anderes zu tun. Das Mädchen allein zu lassen, kam nicht in Frage. Hier war nun ihr Platz. Mana hatte sich nach einigem Zögern umgedreht und war einige Schritte im Raum umhergegangen. Als sie sich schließlich wieder an Adalia wandte, war von ihrem Zweifel nichts mehr zu sehen. Erwartungsvoll hüpfte sie auf die Größere zu, nicht jedoch ohne dabei vor Schmerz zusammenzuzucken. Mana ignorierte es. „Was machen wir jetzt?“, fragte sie kindlich. Adalia lächelte. „Gibt es etwas, das du gerne machen würdest?“, fragte sie höflich, zog einen Stuhl zu sich heran und setzte sich. Auf diese Weise wirkte sie nicht um so vieles größer als Mana und das war ihr durchaus recht. Es gefiel ihr nicht so auf sie herabzusehen. Mana erwiderte ihr Lächeln, und doch verriet ihre Mimik noch etwas ganz anders. Die Frage hatte sie verwirrt. „Machen möchte?“, wiederholte sie und Adalia nickte. „Ja“, sagte sie, „Möchtest du etwas machen?“ Sie wollte ihr nicht vorschreiben etwas zu tun, solange sie sich nicht überanstrengte, sollte sie ruhig machen, was ihr gefiel, dachte Adalia. Sie hatte wenig zu lachen gehabt in der letzten Zeit und auch wenn die Grundlage nun eine ganz andere war, sollte sich das doch dringend ändern. „Seth?“, fragte Mana erneut, hoffnungsvoll, doch ein Blick in Adalias Augen verriet ihr, dass sie damit keinen Erfolg hatte. „Nein, Seth ist jetzt nicht da“, erklärte die Priesterin geduldig, „Er kommt erst später -“ Ein Klopfen an der Tür ließ Adalia verstummen und Mana aufspringen. Kichernd lief sie zur Tür, zog sie auf und stellte sich lächelnd vor den Arzt, der sie perplex ansah. Qadir hatte in diesem Gemach schon einiges gesehen, doch der Anblick von Mana, wie sie herumsprang und umherlief, überraschte ihn über alle Maßen. „Ihr solltet doch im Bett bleiben...“, brachte er verwundert hervor, ehe sein Blick auf Adalia fiel. Diese war hinter Mana getreten und hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. Ernst sah sie Qadir an, begrüßte ihn höflich. „Ist der Priester schon fort?“, richtete Qadir sich an sie. Es erschien ihm sinniger mit der Priesterin zu sprechen, die junge Verlobte des Hohepriesters machte auf ihn einen äußerst verwirrenden Eindruck. „Er ist vor kurzem gegangen. Ich bleibe solange bei ihr“, antwortete Adalia mit einer leichten Verneigung, ehe sie sich zu Mana hinab beugte. „Geh doch mal eben zum Bett und setze dich schon mal, ja?“, sagte sie lieb lächelnd, „Der Arzt möchte dich untersuchen.“ Sie wartete kurz bis Mana nickend zum Bett hüpfte und sich auf dessen Kante setzte. Interessierte Blicke warf sie auf die anderen beiden, während sie wartete, doch Adalia achtete sorgsam darauf, leise genug zu sprechen, sodass sie nichts verstehen konnte. „Es gibt etwas, worüber wir reden sollten...“, begann die Priesterin flüsternd an Qadir gewandt, der über Adalias Schulter seinen Blick auf Mana richtete und nickte. „Das denke ich auch“, stimmte er zu. Adalia stand mit dem Rücken zu Mana, als sie schließlich begann knapp zu erklären: „Der Priester hat ihr Gedächtnis gelöscht. Das Mädchen hat nun keinerlei Erinnerungen an alles, was geschehen ist.“ Qadir schüttelte unüberzeugt den Kopf, sah dann ein weiteres Mal zu Mana nur um sogleich erneut den Kopf zu schütteln. „Das ist doch unmöglich...“, hauchte er verwirrt, aber gefasst. Zweifelte er tatsächlich an des Hohepriesters Fähigkeiten? „Nein, es ist nicht unmöglich... Durch die Macht seines Millenniumsstabes hatte der Priester Zugriff auf die Erinnerungen des Mädchens. Und er hat sie alle gelöscht.“ Millenniumsmagie. Schließlich nickte der Arzt. „Nun gut“, sagte er leise, sich in Magie einmischen zu wollen überstieg seine Kräfte. Doch was für ein Opfer stellte eine solche Tat dar? Inwiefern ihn das Gesagte beschäftigte, ließ er sich nicht anmerken. „Ich muss sie trotzdem untersuchen“, sagte er pflichtbewusst und nachdem er Adalia noch für einen kurzen Moment ins Gesicht gesehen hatte, trat er an ihr vorbei in den Raum. Er lächelte sie an, dies war offensichtlich die beste Art mit ihr umzugehen und es war auch schwer ernst zu blicken, wenn man in ihr strahlendes Gesicht sah. Ein dunkler Schleier Traurigkeit hätte ihn übermannen können, wenn er nicht zuvor mit Adalia gesprochen hätte. Sie wusste es nicht. „Lass mal schauen...“ Ihr die Verbände abzunehmen war um einiges leichter, als er es erwartet hatte, als er aufgebrochen war um sie zu untersuchen. Im Nu hatte er sie ausgewickelt und betrachtete nun mit geschulten Blicken ihre Prellungen. Adalia biss sich auf die Zunge und unterdrückte so einen leisen Aufschrei. Manas Seite war ganz lila-blau geworden. Qadir schüttelte den Kopf. „Du hast dich zu sehr bewegt“, beklagte er seufzend. Auf diese Weise würde die Rippe niemals verheilen können. Schuldbewusst lächelte Mana ihn an, sagte jedoch nichts. Sie ließ es einfach mit sich machen. Interessiert sah sie dabei zu, wie er ihr einen neuen Verband anlegte und betrachtete sich unschlüssig. Qadir lächelte sie zufrieden an, ehe er sich wieder erhob um sich zu Adalia zu drehen. „Das Fieber ist heruntergegangen, der Rest sieht auch schon besser aus“, erklärte er fachmännisch, „Nur ihre gebrochene Rippe braucht dringend mehr Ruhe. Ihre Haut darüber hat sich verfärbt, es ist also schlechter geworden. Ich habe den Verband verstärkt, das sollte erst einmal genügen.“ Adalia nickte, noch immer mit ernster Miene. „Ich hoffe, sie ist nun einsichtiger...“, antwortete sie leicht besorgt. „Aber das Mädchen versteht nicht, dass der Schmerz, den sie fühlt, nicht zum Normalzustand gehört.“ In diesem Augenblick mischte sich Mana in das Gespräch ein. Sie war ebenfalls aufgestanden und um die beiden herumgeschlichen. Natürlich hatte sie es sich nicht nehmen lassen zu lauschen. „Normalzustand?“, fragte sie kichernd und setzte sich zwischen Adalia und Qadir auf den Boden, ständig zwischen ihnen hin und her schauend. Die Priesterin beugte sich zu ihr hinab und sah sie freundlich, aber eindringlich an. „Ich erkläre es dir gleich, ja?“ Natürlich hatte Mana Fragen, Adalia hatte es gewusst und trotzdem hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie es angehen sollte. Eines nur war ihr klar, der Arzt musste dafür nicht anwesend sein und sie wollte ihn auch nicht dazu verdammen, wie sie das Netz aus Lügen um sich und Manas Vergangenheit sponn. Sie erhob sich von neuem, die Hände jedoch weiterhin auf Manas Haar ruhend. „Ihr seid sicher in der Lage Verbände zu wechseln?“, fragte Qadir lächelnd und sah die Priesterin an, die sogleich nickte. „Aber natürlich“, gab sie zurück und ließ keinerlei Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit aufkommen. „Dann werde ich in ein paar Tagen wiederkommen. Die sollten reichen.“ Er reichte Adalia ein paar Verbände, die diese ohne zu zögern annahm. Sie verneigte sich leicht vor ihm. „Ich werde Euch Bescheid geben lassen, sollte sich eine Veränderung einstellen“, versicherte sie. Der Arzt nickte kurz, blickte dann zu Mana. „Ich werde später wieder nach dir schauen. Pass gut auf dich auf, ja?“ Seine Stimme war nun sanfter als zuvor, mehr Besorgnis klang daraus hervor. Mana lächelte, legte ihren Kopf schief und hüpfte von einem Bein aufs andere. „Mach ich!“, rief sie freudig, was Adalia die Stirn kraus ziehen ließ. „Du sollst dich doch schonen...“, murmelte sie, ehe sie Mana bei den Schultern festhielt, um sie auf diese Weise dazu zu bringen zumindest ruhig zu stehen. „Das sollte sie wirklich“, stimmte Qadir ein, ehe er sich umdrehte und lächelnd den Raum verließ. Mana jedoch hielt gar nichts davon einfach still im Bett zu liegen, sie war kaum zu halten. Ungeduldig lief sie um Adalia herum, bevor sie sich wieder aufs Bett setzte und die Priesterin mit großen, strahlenden Augen angrinste. „Wieso Normalzustand?“ Die Nacht war lang gewesen und ermüdend. Und doch würde Meira keine Sekunde davon missen wollen. Die ganze Nacht hatte nur ihr gehört, ihr und ihren Brüdern. Dabei hatten sie gar nicht so viel gemacht. Die Gespräche waren schnell verebbt, nachdem sie sich darauf geeinigt hatten, wie es weitergehen sollte. Dass Akim sich zum größten Teil aus dem Gespräch herausgehalten hatte, wunderte die Rothaarige nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil. Alles andere hätte sie mehr als überrascht und sie selbst hatte auch alles dafür getan, damit Cyrus sein Verhalten nicht hinterfragte. Nicht dass es nötig gewesen wäre, war der Älteste doch in vollem Umfang mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, aber Akim war schließlich erst vor kurzem zu ihnen zurückgekehrt und wie er selbst darüber dachte, das wusste wohl auch nur er. Letztendlich waren sie alle drei dazu übergegangen die Gemeinsamkeit auf sich wirken zu lassen, solange sie konnten. Einzigst Meira hätte gewusst, wie viel Zeit ihnen noch blieb, doch sie zog es vor zu schweigen. Nie zuvor hatte ihr die Millenniumskette mehr gezeigt als in der Nacht, da sie gegen ihre Verletzungen zu kämpfen hatte, und nie zuvor hatte sie weniger von diesem Wissen mit ihren Brüdern geteilt. Ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichen konnte. Cyrus sah es nicht und Meira wollte nicht, dass er es sah. Die Zukunft, die sich ihr gezeigt hatte, war nicht absolut, das wusste sie, und doch war sie eindeutig. Jedoch wollte Meira nicht vorhersagen, was vielleicht niemals wahrwerden würde. Cyrus wusste, was er wissen musste. Ihm mehr zu erklären, hätte ihn auch nicht weiter gebracht. Und Akim? Glaubte er denn an die Magie der Kette? Zwar hatte er die Macht eines solchen Gegenstandes am eigenen Körper spüren müssen, aber war es ihm nicht gelungen den Zauber zu brechen? Hatte nicht der Nebel ihn vor dem Schicksal der ewigen Sklaverei gerettet? Sie hatte ihn nicht zurückkehren sehen. Konnte es ihr dann nicht vielleicht auch gelingen die Zukunft wieder zu verschleiern? Cyrus neben ihr sprang auf und riss seine Schwester damit aus ihren Gedanken. Sein Blick verriet, dass er nicht länger warten wollte. Wenn seine Geschwister nicht gewesen wären, wäre er wohl schon bei Einbruch der Dunkelheit aufgebrochen. Nun jedoch ließ er sich nicht mehr aufhalten. „Seid ihr bereit?“, fragte er und kannte die Antwort auch bevor er die Zustimmung bekam. Ein Nebel kroch über seine Hände und suchte sich einen Weg über seine Haut, schloss ihn schließlich ein. Er lächelte erwartungsvoll. „Ich bin dann weg“, hauchte er und verschwand mit einem Nicken im Nebel. Meira blickte eine Weile auf die Stelle, an der ihr Bruder einen Moment zuvor noch gestanden hatte, ehe sie den Kopf erhob und stattdessen Akim ansah. Auch ihm hatte sie nichts Weiteres mehr zu sagen, was ihre Vision anging, auch er wusste alles, was er wissen musste. Der Nebel begann auch über ihren Körper zu wandern und sie so langsam, aber sicher einzuhüllen. Nur eines lag ihr noch auf der Zunge. Sie lächelte. „Denk an unseren Plan, hast du verstanden?“, flüsterte sie, ehe auch sie den Ort verließ und Akim, der nur Sekunden später ebenfalls die Nebelmagie aktivierte, allein zurückließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)