Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 39: Flucht? ------------------- Fassungslos blickte er auf die Tür, die nun verschlossen war. Sie hatte sich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr bewegt und Xerxes begann ernsthaft darüber nachzudenken, ob der Hohepriester geflohen war. Grund genug hätte er gehabt, wahrscheinlich hätte es ihm niemand verdenken können. Niemand außer dem Mädchen, dass noch immer recht friedlich schlief. Er war froh darüber. Allein die Vorstellung ihr erklären zu müssen, wo Seth war, erschien ihm äußerst schwierig. Wie sollte er etwas verständlich machen, das er selbst nicht wusste? Wie sollte er seine eigenen Zweifel unterdrücken, nur um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben? Denn eines war ihm ganz klar. Wenn sie keinerlei Erinnerungen mehr hatte – wie auch immer der Hohepriester das angestellt hatte, denn das war ihm unverständlich – sie musste extrem verunsichert sein. Und diese Unsicherheit konnte er ihr nicht nehmen, er kannte sie im Grunde schließlich gar nicht. Dann endlich öffnete sich die Tür. Er war also doch nicht geflohen, zumindest jetzt noch nicht. Doch vielleicht, überlegte Xerxes weiter, vielleicht kam ihm der Krieg in diesem Moment gerade recht, vielleicht war genau das die Fluchtmöglichkeit, die er abwartete um sein Gesicht zu wahren. Mana schlief. Ab und zu verzog sie das Gesicht, doch sie entspannte sich immer gleich wieder. Offensichtlich legte sie sich hin und wieder auf ihre gebrochenen Knochen, und auch wenn sie es nicht verstand, den Schmerz musste sie spüren. Wie in Trance lief Seth zu seinem Tisch, überflog noch einmal seine Aufzeichnungen, ehe er schließlich nachdenklich nickte. „Das müsste alles sein...“, murmelte er vor sich hin, drehte sich wieder um und verließ von neuem den Raum. Besorgt wartete Xerxes darauf, dass er wieder kam, blickte abwechselnd von der Tür zu Mana und von Mana zur Tür. Als diese sich das nächste Mal öffnete, stand wie erwartet der Priester dahinter. Dieses Mal jedoch, und das überraschte den libyschen Boten über alle Maßen, war er nicht allein. Eine junge Frau stand hinter ihm, unverkennbar hübsch fiel ihr das lange, glatte, hellbraune Haar über die Schultern, Sie trug das typische weiße und unschuldige Gewand einer Priesterin, und doch glühte in ihren Augen ein Feuer, das Xerxes noch nie zuvor gesehen hatte, und das diese Unschuld ziemlich in Frage stellte. Hatte der Hohepriester sich nun gleich einen Ersatz für das Mädchen gesucht?, überlegte er fieberhaft und hoffte inständig, dass er sich irrte. Er wusste nicht, wie er des Priester einschätzen sollte, doch gegenüber dem Mädchen wäre dies alles andere als fair. Er verkniff sich seinen Kommentar und beobachtete die beiden vorzugsweise mit unverhohlenem Interesse. Seth schien nach wie vor äußerst angespannt zu sein. Sein Blick fiel auf Mana, dann ging er ans Fenster. Die Frau folgte ihm. Sie schien im Gegensatz zu vielen anderen, denen Xerxes begegnet war, keine Angst vor dem Hohepriester zu haben, vielleicht hatte er sie deswegen hierher gebracht. Xerxes lauschte. Wortlos blieb Seth stehen, drehte sich zu der Frau um. „Dies ist meine Verlobte Mana“, erklärte er in flüsterndem Ton, „Ihr werdet sie kennen. Sie hat viele Verletzungen ertragen müssen, Folter, die sie nicht ertragen konnte... Ich habe ihre Gedanken gelöscht...“ Seth erklärte ihr alles, ausführlich genug, dass sie es verstehen konnte, und trotzdem schnell und mit monoton klingender Stimme. „Ich möchte Euch bitten, Euch um sie zu kümmern.“ Die Priesterin unterbrach ihn nicht ein einziges Mal und obwohl sie einiges dazu zu sagen gehabt hätte, hielt sie sich zurück. Es geziemte sich nicht, den Hohepriester zu unterbrechen, egal wie sehr sie sich danach sehnte, die Form zu durchbrechen und wieder als die Adalia vor ihm zu stehen, die sie einst gewesen war. So vieles hatte sich seitdem geändert. Und doch hatte er sie nie vergessen. Einzig und allein diese Tatsache versetzte sie der unangenehmen Situation zum Trotz in Höchststimmung. Sie würde beweisen, dass er Recht daran tat, ihr zu vertrauen. Betroffen blickte sie zu Mana, senkte für ein paar Sekunden den Blick, ehe sie wieder aufschaute – fest entschlossen. „Sie ist bei mir in guten Händen, mein Priester“, sagte sie edel und anstandsvoll, während sie sich vor ihm verneigte. „Davon gehe ich aus“, sagte Seth und seufzte leise. „Ich danke Euch...“ Adalia musterte sein sorgenvolles Gesicht, niemals zuvor hatte sie ihn so gesehen, ihn, der doch sonst so majestätisch auf seine Umwelt herabsah und sich niemanden jemals unterwarf. Es beunruhigte sie zutiefst, gleichzeitig ließ es ihr Herz schneller schlagen, dass er sie so nah an seine verletzliche Seite heranließ. Xerxes betrachtete sie Beiden aufmerksam. Unausgesprochene Worte lagen in der Luft, eine Vertrautheit, die er sich nicht erklären konnte. Und doch klang es nicht so, als hätte der Hohepriester vorgehabt, die Kleine einfach zu ersetzen. Faszination machte sich breit in ihm, er verstand weder Seth noch dessen Handlungen und versuchte nun, sich die Sache irgendwie zu erklären. Adalia war es, die es als Erste bemerkte. Ihr Blick fiel erneut auf Mana und sie erschrak. Das Bett war leer, das Mädchen war verschwunden. „Mein Herr“, sagte sie alarmiert, „Sie ist weg!“ Fast synchron blickten sich die beiden Männer, die sich so ähnlich waren und dann doch nicht unterschiedlicher hätten sein können, um. Der Hohepriester kniff die Augen zusammen, biss sich fast unmerklich auf die Lippen. „Sie kann noch nicht weit sein“, sprach er zweifelnd, „Wir müssen sie suchen!“ Was nur hatte sie nun wieder angestellt? Dieses Kind war wirklich schwer zu pflegen. Er wollte ihr helfen, wollte, dass sie gesund werden konnte, wollte, dass sie lebte. Genau so hatte er es versprochen. Doch sie machte es ihm nicht leicht. Ohne auf die anderen beiden zu warten oder auch nur auf sie zu achten, stürmte er aus dem Raum. Er eilte durch den Gang, willig jede einzelne Tür zu öffnen, wenn es sein musste, doch es war gar nicht nötig. Bereits bei der Ersten wurde er fündig. Es war Manas Zimmer, der Raum, der ihr zugeteilt worden war, der Raum, in dem alles zerstört worden war. Erleichtert sie zu sehen ging er auf sie zu. „Was machst du denn?“, fragte er seufzend, wie nur sollte sie je gesund werden können? Tränen standen in ihren Augen, doch als sie Seth erblickte, bildete sich sofort ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie kicherte kindisch, streckte die Arme nach ihm aus. „Seth!“, rief sie freudig, darauf wartend, dass er sie in die Arme nahm. Er seufzte lautlos als er ihren Wunsch erfüllte. In dem Moment, da die Besorgnis, sie wiederfinden zu müssen, nachließ, fühlte er ein eigenartiges Gefühl in sich aufsteigen, bedrückend, als würde ihm plötzlich die Luft zum Atmen genommen. Irgendetwas stimmte nicht, ganz und gar nicht. Mana klammerte sich an seinen Oberkörper. „Erschrick mich doch nicht so“, beklagte er sich, und das eigenwillige Gefühl blieb. „Entschuldigung!“, plapperte das Mädchen fröhlich, jetzt, da Seth sie gefunden hatte, ging es ihr wieder gut. Leicht lächelnd schüttelte er den Kopf. „Komm'“, sagte er, „Wir gehen wieder zurück.“ Er nahm sie bei der Hand, schritt auf die Tür zu und trat mit Mana an seiner Seite hinaus, als er Adalia über den Gang eilen sah. „Wieso seid Ihr mir nicht gefolgt?“, fragte er an sie gerichtet. Als sie den Klang seiner Stimme vernahm, drehte sie sich sofort zu ihm um und verneigte sich. Unverständnis stand ihn ihrem Gesicht geschrieben. „Verzeiht, Herr“, sagte sie, „Aber ich habe Euch nicht gehört, ich wusste nicht, wo Ihr gewesen seid.“ Seth sah sie überrascht an. „Ihr habt mich nicht gehört?“, fragte er perplex. Das konnte doch gar nicht sein, seine Schritte und seine Stimme hätten eigentlich durch den ganzen Gang gehallt haben müssen, wie hatte sie das überhören können? Und dann verstand er. Der Blick in seinem überraschtem Gesicht versteinerte sich auf der Stelle. Er ließ Mana stehen, drehte sich um und ging zurück in das Zimmer. „Der Raum ist versiegelt...“, hauchte er fassungslos, die Beiden hatten das also geplant. Finster und grimmig starrte er ins Nichts. Das erklärte das unbekannte Gefühl und steigerte seinen Hass auf Karim und Shada ins Unermessliche. Nur einzelne verstreute Klänge von schweren Schritten und von ausgestoßener Atemluft durchbrachen die Stille, die in diesem engen, kaltem Raum vorherrschte, hin und wieder. Kalt und doch wieder nicht. Die Temperatur im Raum stieg von Sekunde zu Sekunde, jeder Atemzug verbrauchte mehr des kostbaren, begrenzten Sauerstoffs und doch war keinerlei Wärme zu spüren. „Was für eine Unverschämtheit!“, zischte der kahlköpfige Mann mit der Tätowierung auf dem Kopf. Er hatte sich erhoben, ging in der Zelle auf und ab, immer und immer wieder. Der größere und gleichzeitig auch kräftiger aussehende Mann, der die Zelle mit ihm teilte, betrachtete ihn nachdenklich, folgte jedem seiner Schritte mit grimmigem Blick. „Ich dachte, du hättest den Raum verschlossen!“, fauchte Shada ohne auch nur im geringsten darüber nachzudenken, was das für ihr verbliebenes Sauerstoff-Volumen bedeutete. Genervt hob Karim den Kopf. Sie hatten diese Diskussion nun schon unzählige Male geführt. „Der Raum war auch verschlossen!“, fauchte er zurück, „Aber so, dass nichts nach außen dringen konnte!“ „Dann hättet Ihr vorsichtiger sein sollen, Karim!“, Shada trat einige Schritte dichter an ihn heran. „Wieso sollten wir den Raum nur von innen versiegeln wollen? Und jetzt sitzen wir hier!“ Es war nicht zu übersehen, wie sauer es ihn machte, nicht länger Herr der Lage zu sein. „Es war völlig unvorhersehbar, dass jemand das Zimmer betreten würde, falls Ihr mal nachdenkt!“, verteidigte sich Karim, es passte ihm überhaupt nicht, nun schon wieder Ziel von Shadas Wut zu werden. Er sah ihn herausfordernd an. „Als ob es mein Wunsch gewesen wäre, hier zu landen!“ „Es war nun einmal Eure Leichtsinnigkeit“, beharrte der Kleinere, sah ihn dann nicht weniger provokant an. „Was war dann Euer Wunsch?“ „Das wisst Ihr genauso gut wie ich“, zischte er hinter zusammengekniffenen Zähnen. „Ihr hättet ja auch etwas gegen Eindringlinge unternehmen können!“ Er sah es überhaupt nicht ein, allein für alles verantwortlich gemacht zu werden, im Gegensatz zu Shada hatte er schließlich etwas dafür getan, sie zu verteidigen, Shada dagegen hatte still genossen und nun kam er damit nicht zurecht. „Ich habe aber geglaubt, Ihr wäret klug genug“, sagte er grimmig, er stand nun direkt vor ihm. „Dann solltet Ihr Euch vielleicht nicht immer auf andere verlassen“, gab Karim abwertend zurück. Oh nein, dieses Mal würde er sich nicht verantwortlich machen lassen, auf gar keinen Fall! Dass sie hier gelandet waren, war nicht seine Schuld. Er wusste, auch Shada trug daran keine Schuld, sie beide waren unvorsichtig gewesen. Doch nun für etwas einzustehen, das er nicht hatte vorhersehen können, daran dachte er überhaupt nicht. Wenn sie hier wieder herauskommen wollten, dann mussten sie sich etwas einfallen lassen, die Beweislage sprach eindeutig gegen sie und der Hohepriester war nicht dafür bekannt, mit sich reden zu lassen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Was auch hätten sie ihm sagen sollen? Es war alles ganz anders? Lächerlich. Es war genau so, wie der Hohepriester sich inzwischen denken konnte, er hatte ihnen von Anfang an misstraut. Sich nun darauf zu verlassen, dass er seine Meinung ändern würde, war absolut utopisch. Shada brummte noch immer wütend vor sich hin, Karim sah darüber hinweg. „Und?“, warf er beiläufig ein, „Wie kommen wir hier wieder heraus?“ Sein Blick starrte zur Decke, möglichst unbekümmert. Er durfte Shada auf keinen Fall einen Grund geben, sich weiter aufzuregen. „Ihr habt uns hier hineingebracht, Ihr holt uns wieder heraus“, giftete Shada sofort los, ganz so als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Der Größere nickte stumpf. „Klar“, antwortete er leise und betrachtete weiterhin den kalten Stein. Shada seufzte. „Meinst du nicht, die Magie kann uns helfen?“, fragte er schließlich einlenkend, auch er wollte immerhin in erster Linie hier wieder heraus, mit Karim streiten konnte er auch später noch. Doch dieser schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle es“, sagte er mit belegter Stimme. „Sicher hat Seth selbst sich darum gekümmert, um genau das zu verhindern.“ „Vielleicht“, stimmte Shada zu, „Wenn er die Zeit dazu gehabt hat. Und trotzdem...“ Er überlegte kurz. „Vielleicht kann es funktionieren. Oder wir müssen die Wachen ein wenig...“ Ein siegessicheres Grinsen legte sich auf sein Gesicht. „Du willst die Wachen verzaubern?“, fragte Karim, der sogleich verstand, worauf sein Freund hinaus wollte. Er betrachtete ihn skeptisch. „Wieso nicht?“, fragte Shada, „Sie müssen uns ja nur den Schlüssel geben, mehr nicht.“ War es wirklich so einfach? Er bezweifelte es. Und während sie noch über das für und wider diskutierten, wurde die Luft immer dünner und über dem Land ging die Sonne unter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)