Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 30: Maskerade --------------------- Die Diener waren gerufen, es konnte kaum noch lange dauern, ehe sie untertänigst darum bitten würden, eintreten zu dürfen um ihre Pflichten zu erfüllen. Mana hätte sich gern ausgeruht, doch gleichzeitig graute ihr davor. Die Ruhe würde ihr keine Erholung bringen. Aber gleich so viele Menschen um sich herum wuseln zu lassen, begeisterte sie nicht mehr. Was blieb ihr anderes übrig als es über sich ergehen zu lassen? Sie hatte nicht die Freiheit der Wahl, hatte die Pflichten zu erfüllen, die man an sie stellte. Gepflogenheiten musste sie annehmen, die nicht die Ihren waren. Sie seufzte leise. Wie nur sollte sie dem jemals gerecht werden? Wie nur sollte sie jemals bewandert sein in der Etikette, wo doch ihr Unterricht so ... so war, wie er war? Konnte sie das wirklich allein schaffen? Hatte sie eine andere Wahl? Sie musste es allein schaffen, wenn sie an Seths Seite bleiben wollte, und das wollte sie auf jeden Fall. „Und mit dir ist wirklich allein in Ordnung?“, wieder riss er sie aus ihren Gedanken, wieder konnte sie nichts überzeugenderes hervorbringen als ein Nicken. „Ja“, antwortete sie leise, „Alles ist okay, das war nur ganz schön anstrengend.“ Sie setzte ihr bestes falsches Lächeln auf und sah ihn schüchtern an. Konnte er das Thema nicht einfach auf sich beruhen lassen? „Das soll ich dir glauben?“, entgegnete der Priester ernst, alles andere als überzeugt. „Was ist passiert?“ Ihm etwas vorzumachen war wirklich schwieriger als sie es erwartet hatte. Und doch musste sie es tun, sie musste einfach... Sie drückte ihren Körper an den Seinen und schüttelte den Kopf. Sie konnte es ihm einfach nicht sagen, es ging einfach nicht. „Nichts, ehrlich!“, beharrte sie und verbarg ihr müdes Gesicht in seinem Gewand. Doch der Hohepriester glaubte ihr kein Wort. Dass sie so müde und verspannt wirkte, passte einfach nicht zu ihr. Ausgerechnet sie, die sonst pausenlos plapperte und durch die Gegend hüpfte, sollte von einer einfachen Einführung in die Etikette so erschöpft sein? Er bückte sich zu ihr herunter und zwang sie so ihm ins Gesicht zu sehen. „Ist das deine letzte Antwort?“, fragte er besorgt und doch mit Nachdruck. Sie öffnete kurz ihren Mund wie um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch sogleich wieder. „Ja, es ist nichts passiert“, wiederholte sie lächelnd, doch nichts hätte sie lieber getan, als zu weinen. Seth glaubte ihr noch immer kein bisschen, nickte aber schließlich. „In Ordnung, aber wenn etwas ist, dann musst du es mir sagen“, verlangte er. Aus ihr war nichts herauszubekommen, das wusste er, und doch konnte ihm nicht entgehen, dass sie etwas vor ihm geheim hielt. Er wusste nicht, was es war, aber er würde es herausfinden. Es klopfte an der Tür. Seth hielt Mana in seinen Armen, drückte sie fest an sich. „Ich verlasse mich auf dich, hörst du?“, flüsterte er, ehe er die Wache herein bat, die gekommen war, um ihm mitzuteilen, dass die Hofschneider angekommen waren. Mana stellte sich neben ihren Verlobten, erleichtert, aufgeregt. Jetzt konnte sie vergessen, zumindest für eine Weile. Es wurde wirklich Zeit, dass sie kamen, sie hatten sie unglaublich lange warten lassen. Der Hauptschneider trat ein und verneigte sich vor Seth. Mana lächelte still. Sie wusste, dass der Priester sehr viel Wert auf dieses lächerliche Verhalten legte, sie selbst fand es ausgesprochen albern. „Nun“, sprach Seth würdevoll und gleichzeitig ungeduldig an den Schneider gewandt, „Verrichtet eure Arbeit.“ Unzählige Hände zerrten an Mana, die Schneider waren herein geeilt, beladen mit Stoffen in jeder Farbe und nahezu jeder Größe. Nie zuvor hatte Mana eine solche Auswahl an feinsten Stoffen gesehen, und so war es nicht verwunderlich, dass sie sich recht verloren vorkam in all der Vielfalt. „Habt Ihr irgendwelche Wünsche?“, fragte der Schneider höflich. Hilfesuchend blickte Mana zu Seth, der streng zu den Dienern herabsah. „Ich erwarte, dass meine Verlobte Gewänder bekommt, die einer Königin würdig sind!“, erklärte er gebieterisch. Der Schneider nickte. „Sehr wohl“, sagte er und verneigte sich, ehe er in die Hände klatschte. Sofort fingen die Helfer von Neuem an, Mana zu umschwirren, sie zu drehen und in Stoffe zu wickeln. Das Ganze ging so schnell, dass das Mädchen errötete. Sie konnte Seth kaum noch erkennen. Die Diener hüllten sie gekonnt in feinste Stoffe, einige behängten sie mit Schmuck, immer bemüht, ihr natürliches Aussehen besonders gut zur Geltung zu bringen und sie erstrahlen zu lassen. Verwirrt ließ Mana alles geschehen, sich formen und zurecht biegen. Mit gekonnten Handgriffen entstand ein Kunstwerk, das Manas Körper kleidete, ihre Vorzüge betonte und sie von ihrer besten Seite zeigte. Gerade als Mana glaubte, sie hätte es überstanden, spürte sie, wie sanfte Hände in ihr volles und widerspenstiges Haar griffen und versuchten, es zu bändigen. Mit einem erneuten Stich im Herzen wurde Mana daran erinnert, wie kurz es doch geworden war, seit Shada und Karim ihren unheilvollen Einfluss auf sie ausübten. Sie seufzte leise. Doch auch wenn sie glaubte, dass man absolut nichts mehr damit anfangen konnte, wurde sie eines besseren belehrt. Gestylt und hergerichtet sah sie an sich herab und staunte nicht schlecht. Sie sah eine Frau, die sie kaum erkennen konnte, nie hätte sie erwartet, sich selbst einmal so zu sehen. Sie trug einen langen, hellgrünen Rock mit einem goldenen Reif, der an den Seiten tief eingeschnitten war, dazu ein recht freizügiges Oberteil, das aus dem selben grünen Stoff geschnitten war. Ihre Schultern blieben frei, über ihrem Bauch war der Stoff durchsichtig und fein. Wertvoller Schmuck behängte ihren Körper und ihr Haar. Mana betrachtete sich skeptisch und verstört. Währenddessen hatten sich auch Schneider und Diener um Seth gedrängt um ihn neu einzukleiden. Ihm war so etwas im Gegensatz zu Mana mehr als bekannt. Der Hauptschneider bemühte sich, ihn bei Laune zu halten. „Wünscht Ihr wieder die Farbe Blau, Herr?“, fragte er untertänigst, in der Hoffnung, ihn nicht zu verärgern. Der Hohepriester sah ihn geringschätzig an. „Bin ich hier um deine Arbeit zu machen?!“, entgegnete er kalt, „Du wirst schon etwas passendes finden.“ Und wenn nicht, würde er schon sehen, was er davon hatte. Seth war wirklich alles andere als begeistert von der Anwesenheit so vieler Diener, zwar gefiel es ihm zu demonstrieren, wie viel Macht er über sie hatte, doch sie langweilten ihn in ihrer Gleichmäßigkeit. Sie waren weder anspruchsvoll noch abwechslungsreich. Sie erfüllten einfach nur ihre Aufgaben, nicht mehr und nicht weniger. Darüber nachzudenken, wie man ihn kleiden sollte, interessierte ihn keinesfalls. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein Mana. Mana und den blaugrünen Flecken auf ihrer Haut, die ihm nicht entgehen konnten. „Ich denke, wir sind nun fertig“, unterbrach der Schneider ihn in seinen Gedanken und wich zurück, sodass Seth seine Verlobte in aller Ruhe betrachten konnte. Nach einer kurzen Musterung nickte er zustimmend. „So ist es in Ordnung“, sagte er. Es war kaum zu leugnen, dass Mana sehr gut aussah in ihren neuen Gewändern. „In Ordnung?“, meldete sich Mana dazwischen und sah ihn leicht entrüstet an. „Ich komme mir vor, als hätte ich tausende Dinge zu tragen!“, sagte sie empört, „Außerdem sehe ich toll aus!“ „Natürlich siehst du toll aus“, gab Seth ebenso skeptisch zurück, ohne zu verstehen, wieso sie sich so darüber aufregte. „Was meinst du, wofür das sonst gut ist?“ Natürlich hatten all die Accessoires genau den Zweck sie zu schmücken. Die Schneider wichen zurück und machten den Weg zwischen den Beiden frei. „Das ist mir viel zu viel“, jammerte das Mädchen unglücklich, und betrachte sich erneut verzweifelt. „Mein Altes gefiel mir besser...“ „Du wirst dich schon daran gewöhnen“, versuchte Seth sie zu beschwichtigen und lächelte bestimmt. „Du siehst gut darin aus.“ „Wie du meinst“, gab Mana schwach lächelnd zurück, Komplimente von Seth bekam sie sonst eher selten und trotzdem fühlte sie sich nicht so ganz wohl. Sie zuckte mit den Schultern, betrachtete sich von Neuem. Grün. Man konnte damit leben. Und wenn sie ganz ehrlich war, sah es ja auch wirklich nicht schlecht aus. „Oder möchtest du lieber eine andere Farbe?“, fragte Seth, kurz davor, die Schneider wieder anzuherrschen, doch Mana schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, nein“, sagte sie, „Passt doch irgendwie ganz gut.“ Sie wollte nicht noch einmal so verpackt werden, einmal reichte ihr für den Anfang völlig. Das Leben am Hof hatte doch einige Seiten, die sie nicht erwartet hatte und die sie nun kennenzulernen hatte. Mana ging ein paar Schritte, drehte sich leicht und kicherte leicht. Sie hüpfte verspielt, der Rock flog hoch, ganz so wie der, den sie sonst trug. „Okay, alles noch beim Alten“, sagte sie lachend, „Ich komm mit dem Gewicht klar und hüpfen kann ich auch noch.“ Damit waren ihre Hauptsorgen verflogen, das Outfit war genehmigt. Irgendwie war sie doch recht kindlich, dachte Seth, und lächelte trotzdem. Das war schon viel eher die Mana, die er kannte, viel eher das kleine durchtriebene Mädchen, in das er sich verliebt hatte. „Der Rock fliegt noch viel besser als der andere!“, sagte sie freudig und sorgte so dafür, dass der Priester den Kopf schüttelte. „Du hast Sorgen...“, gab er neckend von sich, und betrachtete sie fasziniert. Er hätte wohl selbst nicht erwartet, was man aus ihr machen konnte. Die Brünette hielt in ihrer Bewegung inne, stemmte die Hände in die Hüfte und sah ihn herausfordernd an. „Darf ich mir über so etwas etwa keine Gedanken machen?“, fragte sie provozierend, „Nur weil du dich mit mir verlobt hast?“ „Mache dir Gedanken um was immer du willst“, gab Seth fast gleichgültig zurück, er hätte ohnehin keinen Einfluss auf ihre Gedanken, konnte sie weder lenken noch lesen. „Es sind also keine Änderungen mehr nötig?“ Es lag ihm viel daran, dass sie mit ihrem Gewand zufrieden war, mindestens genauso viel lag ihm aber auch daran, die Diener endlich wieder loszuwerden. „Nein“, antwortete Mana lächelnd, und schien seine Gedanken erraten zu haben, „Du kannst sie ruhig vertreiben“, zischte sie ihm unauffällig zu und grinste. Der Hohepriester ließ es sich nicht zweimal sagen, drehte sich sogleich zu den Schneidern und Dienern um. „Ihr dürft euch nun entfernen“, sagte er edel und wichtig, wartete bis sie den Raum verlassen hatten, ehe er sich zu Mana umdrehte, das Gesicht versteinert und ernst. „Was würdest du sagen“, setzte Karim an, überlegen lächelnd, und äußerst überzeugt von sich, jetzt hatte er den König der Räuber in der Hand, konnte ihn zappeln lassen, ganz wie er wollte. „Was würdest du sagen, wenn ich dir sage, dass deine Tochter im Begriff ist Königin zu werden?“ „Mir würde der Gedanke gefallen“, antwortete Bakura ohne zu zögern. Er wanderte langsam um seinen Gesprächspartner herum, sah ihn scharf an. „Sprich weiter!“, befahl er, „Zügig!“ Der schwarzhaarige Priester genoss es, ihn so in der Hand zu haben, genoss es in vollen Zügen und war sich dennoch der Gefahr bewusst. Bakura zu unterschätzen konnte tödlich sein, ein einziger Fehler wäre fatal. „Alles was ihr im Wege steht, ist der altersschwache Pharao ... und der hat den Hohepriester Seth zu seinem Nachfolger ernannt.“ Das Lächeln auf Karims Gesicht verfinsterte sich. „Nun rate mal, mit wem der sich vor kurzem verlobt hat?!“ Der Meisterdieb hörte aufmerksam zu, verstand. Seine Finger ballten sich zur Faust, ein dunkles Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Wenn die Kleine Königin wird, dann hast du freien Zugang zum Palast“, sagte Karim, in dem Bestreben ihm das Ganze noch schmackhafter zu machen, und seine eigene Haut zu retten, denn schließlich mussten sie noch immer an Bakura vorbeikommen, um den Tempel des Anubis wieder verlassen zu können. Der König der Räuber lachte eiskalt auf. „Vielleicht sollte ich mich mal um die Kleine sorgen“, meinte er hinterhältig, dieses Wissen brachte ihm völlig neue Möglichkeiten. Möglichkeiten, die er niemals in Betracht gezogen hätte, selbst wenn er sich darüber im Klaren gewesen wäre, dass seine nutzlose Tochter noch am Leben war. „Sonst noch irgendetwas?“, er fauchte Karim an, die Beiden brauchte er für sein neues Unterfangen nicht. Karim schien seine Gedanken erraten zu haben, sah ihn ebenso kalt an. „Du wirst uns brauchen...“, sagte er es genüsslich in die Länge ziehend, „Nur wir können ihre Abstammung beweisen. Ach, und noch etwas ... dass Mana libysches Blut hat, solltest du nicht an die große Glocke hängen im Moment.“ Bakura winkte ab, lässig und drehte sich um. „Mana...“, wiederholte er den Namen, um ihn sich selbst ins Gedächtnis zu rufen, „Stimmt, so hieß das kleine Monster.“ Dann sah er Karim erneut an, lächelte triumphierend und hielt eine Schriftrolle hoch. „Meinst du die Abstammung auf dieser Rolle?“ Dem Priester fiel erschrocken der Mund auf, es gab keinen Zweifel, die Rolle, die der Dieb in der Hand hielt, war genau jene Rolle, die er vor einem Moment noch bei sich hatte. „Wo hast du die her?!“, zischte er aufgebracht und zögerte keine weitere Sekunde. Die zwei anderen Rollen befanden sich noch in seinem Besitz, und da sollten sie auch bleiben. Er legte einen Zauber auf sie, versiegelte sie auf diese Weise. Selbst wenn es Bakura gelingen sollte, noch eine weitere Rolle in seine Finger zu bekommen, er würde sie nicht lesen können. Jener sah ihn sauer und aufgebracht an. „Unterschätze niemals den König der Räuber!“, sagte er eindringlich und streng. „Und nun verschwindet!“ Er hatte wirklich genug seiner Zeit für die zwei Priester geopfert, langsam war es Zeit für sie zu gehen. „Sorge dafür, dass meine Tochter Königin wird“, befahl er schneidend, „Egal, was du opfern musst!“ Grimmig sah Karim den Räuber an, verneigte sich leicht vor ihm. „Eure Majestät“, sagte er spöttisch, drehte sich um und verließ mit Shada ohne ein weiteres Wort den Tempel. „Wie ist er so unerkannt an die Rolle gekommen?“, fauchte Shada ungehalten als sie außer Hörweite waren, er traute Bakura nicht, mochte seine Art nicht, seine hinterlistige Strategie seine Gegner hemmungslos zu entwaffnen und mit ihnen zu spielen. Karim dagegen war ganz ruhig geblieben, lief still neben seinem Freund her, lächelte zufrieden. Der Kleinere betrachte ihn, versuchte sich zu beruhigen, ehe er ihn wieder ansprach. „Alles nach Plan verlaufen?“, fragte er und riss sich zusammen, er wusste noch immer nicht, welchen Plan Karim verfolgt hatte, als er mit Bakura verhandelte. „Er hätte die Rolle nicht haben sollen“, gab der Schwarzhaarige zu, „Aber ansonsten ist alles bestes verlaufen.“ Er war sichtlich zufrieden mit sich. Es war ihm gelungen, sie lebendig und unversehrt aus dem Tempel herauszuführen, die Fallen des Diebes waren letztendlich doch nicht unausweichlich, nicht so tödlich wie befürchtet. „Ich muss zugeben, du hast die Situation sehr gut gemeistert“, sagte Shada anerkennend, „Dafür hast du dir einiges verdient.“ Auf sein Gesicht legte sich ein mehrdeutiges Lächeln, das der Angesprochene jedoch gekonnt übersah. „Einer musste etwas unternehmen“, sagte er stattdessen und spielte seine Leistung herunter. „Meinst du nicht, die Göre muss wenigstens etwas bringen? Wenn sich schon alles um sie dreht?“ Shada grinste fies, was er sich vorstellte konnte Karim nur erraten. Doch auch ihm schien der Gedanke zu gefallen. „Aber sicher doch!“, pflichtete er bei, das war jawohl das Mindeste. „Die Kleine kostet ganz schön Nerven...“ Shadas Lächeln wich keinen Millimeter. „Rege dich nicht auf“, sagte er ruhig, obwohl auch er äußerst genervt von ihr und den Umständen war, die sie verursachte. „Du kannst das ja alles an ihr auslassen und sie dafür büßen lassen.“ „Aber nicht doch“, antwortete der Größere, „Ich lasse dir gern den Vortritt.“ Sie sprachen über Mana als wäre sie ein Ding, eine Sache, die weder Emotionen noch Gefühle hatte, und schon gar kein Recht auf eine eigene Meinung. Shada schaute skeptisch, legte den Kopf leicht schräg und schüttelte ihn. „Nicht ich habe uns aus der Situation gelenkt“, erklärte er, „Es ist wirklich nicht nötig, mir den Vortritt zu überlassen.“ Erneut winkte Karim ab. „So eine große Leistung war das nun auch nicht“, sagte er, lenkte dann aber ein, grinsend. „Wir müssen sie eh erst einmal finden.“ Der Kleinere verdrehte die Augen, genervt, gleichgültig. „Das dürfte kein Problem sein“, sagte er abwertend, „Die wird nirgendwo anders sein, als bei ihrem Hohepriester, meinst du nicht?“ „Natürlich nicht... Sie ist immer bei ihm“, Karim nickte. Wie Seth die ständige Anwesenheit der Göre ertrug war wirklich nicht nachzuvollziehen, er selbst hätte sie längst vor die Tür gesetzt. Aber der Hohepriester würde das schon irgendwie mit sich ausgemacht haben, vielleicht erfüllte sie für ihn ja irgendeinen Sinn. Karim zuckte mit den Schultern. Letztendlich war es ihm auch egal. In der Zwischenzeit waren sie wieder in den regelmäßig benutzten Gängen, sie hatten die geheimen Gänge des Tempels des Anubis hinter sich gelassen. „Schrecklich dieses Mädchen“, regte sich Shada weiter auf, „Aber wenigstens haben wir einen Nutzen in ihr gefunden...“ Nachdenklich setzte Karim einen Fuß vor den anderen, grübelte über die Worte seines Freundes. Einen Sinn... Ja, sie hatte wirklich einen Sinn, wenn sie Königin werden würde und Bakura Einfluss bekommen würde... Die Möglichkeiten wären schier endlos. Und trotzdem. „Wir müssen aber vorsichtig sein“, warnte er, „Bakura wird sich uns nicht so leicht unterwerfen.“ „Das stimmt“, sagte Shada, „Wir dürfen ihn nicht unterschätzen, aber er sollte uns ebenfalls nicht unterschätzen“, stellte er nüchtern fest. Sie waren nicht weniger unberechenbar wie er, das würde er schon noch lernen. „Es ärgert mich, dass er die eine Rolle bekommen hat“, gab Karim unerfreut zu, „Aber die anderen beiden wird er nicht in die Finger bekommen, dafür habe ich gesorgt.“ „Hast du sie versiegelt?“, fragte Shada wissend, „Dann wird er sie nicht bekommen.“ „Natürlich“, gab Karim überlegen zurück, „Und das mehrfach, zur Sicherheit. Wenn er sie lesen will, wird er keinen Text darauf erkennen können.“ Shada nickte überzeugt. „Gut gemacht“, lobte er, bog mit Karim in einen weiteren hellen Gang ab und grinste. „Da vorne ist das Gemach des Hohepriesters. Aufgeregt?“ fragte er amüsiert. Auch der Andere schmunzelte. „Aufgeregt ist das falsche Wort“, antwortete er, erreichte als erster die Tür und blieb davor stehen. „Welches wäre denn die richtige Bezeichnung?“ Doch anstatt zu antworten, lächelte Karim ihn finster an, hob seinen Arm und klopfte an des Priesters Tür. Stockend blickte Mana Seth an, sein Blick machte ihr Angst, hatte er nicht vor einer Sekunde noch gelächelt? Eigentlich hatte sie sich gefreut, endlich wieder allein mit ihm zu sein, doch jetzt wünschte sie sich die Diener und Schneider zurück. „Was denn?“, fragte sie verschüchtert und verwirrt, hatte sie etwas falsch gemacht? Des Hohepriesters Blick veränderte sich in keinster Weise, er sah ihr direkt in die Augen. „Kann es sein, dass du etwas vor mir verbirgst?“, fragte er streng. Mana erschrak, wich seinem Blick aus, die Stirn kraus gezogen. Hatte er etwas gemerkt?! Sie hatte sich so sehr bemüht, keinen Verdacht aufkommen zu lassen. „Wie kommst du darauf?“, fragte sie und versuchte überzeugend zu klingen, was ihr jedoch nicht sonderlich gut gelang. Der Hohepriester seufzte. „Würdest du das Kleid bitte ausziehen?“, fragte er, ohne den Blick abzuwenden. Das Mädchen riss die Augen auf, errötete auf der Stelle. „Seth!“, schrie sie empört auf, und sah ihn verlegen an, doch Seth blieb ernst. Kurzentschlossen griff er unter ihre Kleidung, schob das Oberteil ein kleines Stück hoch, sodass einige ihrer blauen Flecken freigelegt wurden. „Ich bin nicht blind, weißt du“, sagte er und blickte sie an, auf eine Erklärung wartend. Mana kniff die Augen zusammen, biss sich auf die Unterlippe. Wie nur sollte sie ihm nun noch verheimlichen, was geschehen war? Sie öffnete die Augen wieder, sah ihn entschuldigend an. „Das ist wirklich ... Ich kann das erklären“, stammelte sie, „Das war nur ein Zufall, total unwichtig, wirklich!“ Seths Blick blieb ernst, jedoch nicht vorwurfsvoll, nicht fordernd, nur besorgt. „Dann erkläre es mir“, forderte er angespannt. Die Brünette versuchte verzweifelt, ihr Oberteil wieder herunter zu ziehen, was jedoch nicht allzu einfach war, da Seths Hand noch immer über ihre Haut strich. Sie konnte es ihm nicht erzählen, sie durfte nicht... „Ich habe mich ungeschickt angestellt beim richtigen Hinsetzen an den Tisch...?“, versuchte sie es, und wusste selbst wie unglaubwürdig das klang. Doch was sollte sie tun? Der Hohepriester schüttelte den Kopf. „Immer wieder?“ Er hatte mehr als einen Bluterguss gesehen, und ein Tisch hinterließ deutlich andere Spuren. Ein Klopfen an der Tür ertönte durch die Stille, die entstanden war, weil Mana nicht wusste, was sie antworten sollte. Seth jedoch ignorierte es, sah sie weiterhin fragend an. Mana blickte zur Tür, hoffte dass jemand ihr zur Hilfe eilte. „Ich bin halt schusselig...“, setzte sie erneut zu einer Erklärung an, als es ein zweites Mal klopfte, dieses Mal deutlich lauter, fast ungeduldig. „Seth, da ist jemand an der Tür“, versuchte sie vom Thema abzulenken. Erneut schüttelte der Angesprochene den Kopf. „Mana...“, sagte er streng, „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich nicht blind bin... Was haben die Beiden dir angetan?“, fragte er ganz offen, „Womit haben sie dich so eingeschüchtert?“ Er sah entnervt zur Tür, verengte seine Augen zu Schlitzen und öffnete die Tür. „Ich habe keine -“, setzte er an, stockte aber, als er die beiden Männer erkannte, die dort standen. Sein Blick verfinsterte sich. „Ach nein...“, sagte er schneidend und sauer, „Wir sprachen gerade von euch. Kommt herein...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)