Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 29: Bakura ------------------ Erschöpft saß Mana auf einem Stuhl, die Beine übereinander geschlagen, das Gähnen unterdrückend. Das Letzte, das sie jetzt wollte, war schlafen. Schlaf, das hieß nachdenken, verarbeiten. Jedoch nicht verdrängen, und genau das war es, was sie im Augenblick wollte. Nur nicht zur Ruhe kommen, nur nicht an diesen Unterricht erinnert werden. „Hatten wir nicht noch Pflichten?“, fragte sie hoffnungsvoll an Seth gewandt, der vor ihr stand. Sein Gesicht war ein einziges Rätsel für sie, sie konnte beim besten Willen nicht sagen, was er im Augenblick dachte. Sie hoffte inständig, dass er ihre Lüge nicht durchschaut hatte, sie wusste nicht, was geschehen würde, wenn er verstand, wie diese Stunde wirklich abgelaufen war, und sie war sich auch nicht sicher, ob sie es herausfinden wollte. Nein, weder durfte Seth etwas erfahren, noch durfte sie ihr Versprechen gegenüber Shada und Karim brechen. „Ich weiß nicht, wieso der Pharao soviel Wert darauf legt, dass unsere Gewänder fertig werden, wo er sich doch um einen Krieg zu kümmern hat und dafür jede freie Hand gebraucht wird“, sagte der Hohepriester nachdenklich und machte Mana damit glücklicher, als er es ahnte. Einfach an etwas anderes denken, alles nur nicht nachdenken... Und auch wenn der Themenwechseln mehr als freudig aufgenommen wurde, stimmte das Thema sie nachdenklich, besorgt und traurig. Seth sprach mit solch einer Dringlichkeit und gleichzeitig mit einer ungekannten Kälte von diesem Krieg, dass es sie schauderte. Unausgesprochene Fragen lagen zwischen ihnen, distanzierten sie voneinander, ohne, dass sie es beabsichtigt hätten. Wann ging es los? Würde alles gut gehen? Sicher, Seth war stark und ein mächtiger Heerführer, das wusste Mana, aber einen Krieg zu unterschätzen, wäre einer der schlimmsten Fehler, den sie begehen konnte. Wieso nur musste ausgerechtet jetzt dieser Krieg vor der Tür stehen, wieso musste er sie ausgerechnet jetzt allein lassen? Nun, da sie ihn am allermeisten brauchte. Mana seufzte vernehmlich, sah ihren Verlobten mit großen Augen an. „Wann musst du los?“, fragte sie leise. Der Hohepriester fing ihren Blick auf und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich weiß es nicht“, sagte er ernst und wahrheitsgetreu, „Das wird sich erst noch herausstellen.“ Die Brünette verzog das Gesicht. All diese Ungewissheit gefiel ihr gar nicht. Lieber hätte sie eine klare, eindeutige Antwort bekommen, anstatt weiter zu warten auf einen Tag, der vielleicht schon am nächsten Morgen anbrach, vielleicht aber auch noch ein paar Wochen entfernt lag. Eines war jedenfalls gewiss, dieser Tag würde ganz sicher kommen, egal wie sehr es ihr widerstrebte, daran zu denken. „Aber du kommst dann ganz schnell wieder, ja?“, startete Mana einen weiteren hoffnungslosen Versuch, obwohl sie genau wusste, dass auch das nicht in des Priesters Händen lag. Seths Gesicht verhärtete sich. „Mana, ich kann dir wirklich nichts versprechen“, antwortete er seufzend, doch das Mädchen gab nicht auf. „Dann versprich mir wenigstens, dass du wiederkommst...“ Sie flehte ihn fast schon an, ihr diesen Gefallen zu tun, sie brauchte einfach eine Sicherheit, auch wenn diese Sicherheit auf einem wackligen Fundament aufbaute. „Die libyschen Truppen können dir doch nichts anhaben“, sagte sie leicht hysterisch, „Die sind doch schon so gut wie tot...“ Seth legte seine Hände auf Manas Schultern und ging in die Hocke um ihr in die Augen sehen zu können. „Mach dir keine Sorgen, ja?“, sagte er leise und lächelte in dem Versuch sie zu beruhigen, „Ich werde zu dir zurückkommen. Siegreich.“ Schwere Schritte hallten durch die Gänge und ließen ihn aufhorchen. Sie kamen näher und das sogar relativ schnell. Ein Lächeln legte sich auf Bakuras Gesicht, die Schatzkammer des Pharaos konnte warten. Er bekam also Besuch. Einem solch seltenen Ereignis galt es nun seine gesamte Aufmerksamkeit zu schenken. Er erhob sich von seinem Thron, warf sich seinen Mantel gekonnt über die Schultern. Eine Herausforderung stand vor ihm, endlich wieder wollte sich jemand mit ihm messen, es war fast wie ein Spiel, ein Ritual, das sich ständig wiederholte. Wer auch immer sich ihm stellte, er würde ihn unterschätzen, sich in falsche Sicherheit wiegen und erbarmungslos niedergeschmettert werden. Zum Tempel des Anubis gab es nur einen Eingang, das machte diesen Ort zu einem wahrlich hervorragend geeigneten Versteck. Die Nähe zum Palast tat ihr übriges. Als die verborgene Tür, die den Weg in den Tempel ebnete, sich langsam und leise knarrend öffnete, war der König der Räuber bereit, seine Gäste zu empfangen. Breit grinsend öffnete er seine Arme und hieß die vor Schreck und Entsetzen erstarrten Männer in seinem Reich willkommen. „Wie nett, dass ihr mich besuchen kommt“, sagte er übertrieben höflich, „Auf Dauer ist es ziemlich einsam hier.“ Seine Stimme klang hinterhältig, falsch, kehlig – wie ein Raubtier knurrte, wenn sich seine Beute in seinen Fallen verfing. „Mit wem habe ich das Vergnügen?“ Seine Anwesenheit traf die beiden Männer völlig unvorbereitet, sichtbar erschüttert starrten sie den Weißhaarig an, der noch immer lächelte. „Du bist doch...“, kam es von dem größeren der Beiden zunächst zögern, dann jedoch fasste er sich. „Wie kommst du hier herein?!“ Es war nur allzu deutlich, dass es hinter seiner Stirn ordentlich arbeitete, doch was auch immer er sich zusammenreimte, es war Bakura egal. „Was schaut ihr denn so überrascht?“, fragte er schneidend und lachte auf, „Habt ihr nicht erwartet einen König in diesem Tempel zu finden?“ Als keiner der Beiden antwortete, fuhr er leicht ungehalten fort: „Ich habe euch eine Frage gestellt, es wäre sehr zuvorkommend, wenn ihr die Herzensgüte hättet, sie mir zu beantworten. Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“ Shada grummelte. Er konnte es einfach nicht fassen, kam sich vor wie in einer verkehrten Welt. Bakura. Hier. Im Tempel des Anubis. Wie lang schon hielt er sich hier versteckt? Wieso war niemandem etwas aufgefallen? Die Anwesenheit des Königs der Räuber hätte jemanden stutzig machen müssen, ganz sicher. Wie war er hier hereingekommen? Andererseits, der Tempel des Anubis war ein ganz spezieller Ort. Sie selbst hatten ihn als sicher genug eingestuft, um dort die Rollen zu verbergen, die ihnen eine Macht geben konnten, die sie niemals erwartet hätten. Niemand ging jemals hierher. So dachten sie. Bakuras Anwesenheit änderte alles. Auf eine unerwartet bizarre Art und Weise fügte sich dieses Stück des Puzzles nahtlos ins Ganze ein, es konnte gar nicht anders sein. Sicher hatte die Göre doch noch eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit, eine Verbindung, die sie niemals aufdecken würde. Sicher hatte sie ihrem Vater dabei geholfen, unbemerkt den Palast zu betreten, um dann im Tempel des Anubis unterzukommen. Als ehemalige Priesterschülerin musste sie Zugang zu den Akten gehabt haben, die ihr das Schicksal des geheimen Tempels nahegebrachten. Der Kleinere der zwei Priester funkelte den Meisterdieb finster an, er war genauso überheblich und abscheulich, wie er es erwartet hatte, auch wenn er nicht damit gerechnet hatte, ihn tatsächlich so bald anzutreffen. „Die Frage ist doch wohl eher“, zischte er etwas lauter und bei weitem sicherer als Karim zuvor zu ihm gesprochen hatte. „Warum bist du hier und was willst du hier?“ Er fauchte Bakura an, der zwar selbst nicht sonderlich groß, aber trotzdem ein Stück größer war als er. Karim stand direkt neben ihm und sah nicht weniger gereizt aus. „Du hast hier nichts zu suchen!“, knurrte er den Weißhaarigen an, und hielt gleichzeitig die drei Schriftrollen fester. Bakura durfte sie auf keinen Fall in die Finger kriegen. Die vierte Rolle hatten Shada und er im Archiv gelassen und damit die Gleichmäßigkeit der Aufzeichnungen wieder hergestellt. Eine Rolle für jeden Schüler und nicht mehr. Die anderen drei Rollen jedoch hatten sie an sich genommen, und in ihrem Besitz sollten sie auch bleiben. Bakura lachte nur unbekümmert auf. Er hatte hier nichts zu suchen? Vielleicht. „Aber ihr, ja?“ Voller Hohn klang seine Stimme, es war völlig offensichtlich, auch ihm war bewusst, dass der Tempel schon vor langer Zeit verlassen worden war. Der Schwarzhaarige starrte ihn mit festem Blick an. „Natürlich! Dies ist ein Heiligtum Ägyptens und wir sind Priester dieses Landes.“ Bakura zuckte mit den Schultern, gleichgültig fast, es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. „Nun gut“, sagte er locker, „Dann seht euch in Ruhe um. Aber wehe, ihr fasst etwas an!“ Die Drohung war nur allzu deutlich, sein Grinsen verstärkte diesen Eindruck nur noch. Es war ganz klar. Bakura betrachtete den Tempel des Anubis als sein persönliches Eigentum. „Was wagst du eigentlich?!“, fuhr Shada sauer auf, „Verschwinde gefälligst von hier!“ Wollte er ihn einfach nur loswerden? Oder hatte ihn die plötzliche Anwesenheit des Meisterdiebes aus dem Konzept gebracht? Bakura sah ihn breit grinsend an, wohlwissend, dass er ihn damit auf die Palme brachte. „Warum sollte ich?“, fragte er unschuldig, „Von hier aus kriege ich alles mit, hier erwartet mich niemand. Außerdem“, er zog seine Aussage genüsslich in die Länge, „Was habt ihr schon zu sagen?“ „Wenn der Pharao von deiner Anwesenheit erfährt...“, setzte Karim zu einer Drohung an, die, wie er selbst wusste, leer war. Den Pharao einzuweihen würde zu viele Fragen aufwerfen, zu vieles das besser ungesagt blieb. Und so brach er sein Unterfangen, Bakura einschüchtern zu wollen, schnell wieder ab, er wusste genau, dass es nichts brachte. Nicht nur, dass er seine Warnung nicht ernst machen konnte, nein, es war auch offensichtlich, dass der von ihm Bedrohte sich nicht im geringsten darum kümmerte. Genervt verdrehte Bakura die Augen. „Der Pharao?“, fragte er gleichgültig, drehte sich mit dem Rücken zu seinen Gästen und atmete tief durch. „Glaubst du wirklich, dass ich euch hier lebend wieder herauslasse?!“ Seine Stimme hatte an Schärfe und Kälte deutlich zugenommen, die durchschnitt die Luft, die hinter den schweren Wänden des Tempels nur so stand. Doch auch Karim ließ sich nicht einschüchtern. Er hatte auf keinen Fall vor sich von dem König der Räuber einfach so umbringen zu lassen. Es war schließlich nicht so, als ginge ihn sein Leben nichts an. Bakura mochte einen kaltblütigen und rücksichtslosen Ruf haben, doch das beeindruckte den Priester kaum. Er ging einige Schritte auf ihn zu, die Schriftrollen außer Sichtweite verborgen. „Vielleicht sollten wir ins Geschäft kommen...“, schlug er vor, vielleicht war der Weißhaarige grausam, aber Verhandlungen, die zu seinen Gunsten ausgehen konnten, mussten auch ihm gefallen. Er war schließlich ein Spieler. Skeptisch blickte Bakura ihn an, lachte dann finster auf. „Guter Witz!“, pflichtete er bei und musterte den Größeren voller Verachtung. Karim blieb ernst. „Das war kein Witz“, sagte er ruhig. Shada betrachtete seinen Freund nachdenklich. Er wusste nicht, worauf Karim hinaus wollte, doch er hielt sich zurück. Sein Interesse war geweckt, dachte Karim etwa anders als er? Was wollte er dem Dieb anbieten? Ihn in der Hand zu haben, könnte sich durchaus als praktisch und hilfreich erweisen. Er musste nur darauf vertrauen, dass Karim wusste, was er tat. In diesem Sinne ergänzten sie sich ganz wunderbar. Er selbst brauste schnell auf und verlor sich in rasender Wut, Karim jedoch war ruhiger, nachdenklicher. Er war stets bemüht einen ruhigen Kopf zu bewahren, um letztendlich immer einen Vorteil für sie Beide zu erzielen. In diesem Sinne war er sehr gespannt darauf zu erfahren, wie sein Freund Bakura um den Finger zu wickeln gedachte. Jener betrachtete desinteressiert die Wand. „Und was willst du?“, fauchte Bakura, „Was hast du zu bieten?“ Es hätte kaum deutlicher sein können, dass er nicht erwartete von zwei Priestern etwas so wertvolles zu bekommen, dass es reichte um ihnen ihr Leben zu lassen. Der Schwarzhaarige kostete den Moment voll aus, „Sagen wir es einfach so“, erklärte er genüsslich, „Unser Wissen könnte dir einige Vorteile bringen...“ „Und euer Wissen ist?“, Bakura wendete sich ihnen wieder zu und verdrehte kunstvoll die Augen. Dennoch. Er klang deutlich interessierter als zuvor. Karim sah ihm in die mattblauen Augen, zögere. „Was garantiert mir, dass du mich nicht hintergehst, wenn ich es dir sage?“, fragte er berechnend, er wusste genau, dass er Bakura an der Angel hatte. Er durfte ihn jetzt nicht wieder vom Haken lassen. „Du hast die Wahl“, antwortete dieser und lächelte wieder überlegen. „Du kannst es mir verraten, oder du stirbst.“ Solche Verhandlungen gefielen ihm, er hatte alles in der Hand. Nichts gab den Priestern die Sicherheit, dass er sie verschonte, und er hatte es auch nicht vor. Sie hatten zu viel gesehen, seine Anwesenheit durfte niemandem bekannt sein, bevor er sie Anonymität nicht von selbst opferte. Und die Annehmlichkeiten des Tempels gedachte er nicht kampflos aufzugeben. „Ich brauche dein Wissen nicht“, schloss er kalt und Karim ließ sich auf sein Spiel ein. „Wenn du mich jetzt tötest, werde ich dein Geheimnis mit ins Grab nehmen“, sagte er geheimnisvoll, lächelnd. „Mein Geheimnis?“ Das Lächeln auf Karims Gesicht wurde breiter und gleichzeitig kälter. „Oder sollte ich sage...“, er sah seinem Gegenüber direkt in die Augen, „Euer Geheimnis?“ Abschätzend sah Bakura ihn an. „Sprich dich ruhig aus“, sagte er fordernd, doch Karim ließ es sich nicht nehmen, ihn noch länger zappeln zu lassen. „Du könntest ganz legal an Macht kommen in diesem Land“, sagte er und achtete dabei ganz genau auf seine Worte, „Einfluss... Reichtum... all das könnte schon bald dir gehören.“ „Ach und wie würde ich da wohl herankommen?“, fragte er schneidend und grinste dennoch dabei. „Etwa durch euch?“ Er kam der Sache näher, viel länger konnte der Priester den springenden Punkt nicht verschweigen. „Durch uns“, stimmte Karim zu und richtete seinen Blick für einen Moment wissend zu Shada, der erwartungsvoll nickte, sich ansonsten aber weiterhin aus dem Gespräch heraushielt. „Und durch deine Tochter.“ Leicht erschrocken fuhr Bakura zusammen, blickte ihn finster an, ganz so, als würde er jeden Moment auf ihn losgehen wollen, doch er fing sich auch genauso schnell wieder. Nach der Schrecksekunde begann er, herzhaft zu lachen. „Du bist anscheinend sehr oft zu Scherzen aufgelegt“, sagte er leicht mitleidig, „Wie kommst du darauf, ich hätte eine Tochter?“ Obwohl er lachte, war die Schärfe in seiner Stimme nicht zu überhören. „Glaube es oder glaube es nicht“, sagte Karim ernst, „Es ist deine Wahl...“ Abschätzend blickte Bakura ihn an, lauerte auf seine Gelegenheit. Er ging auf ihn zu. „Sprich weiter... Meine Tochter also, ja?“ Bedrohlich funkelte er ihn an, erwartungsvoll, angriffslustig. Karim nickte. „Deine Tochter, ja“, wiederholte er ruhig, „Sie lebt hier im Palast...“ Der König der Räuber ging langsam um Karim und Shada herum. Natürlich. Er hatte viele Frauen gehabt, keine davon war mit dem Leben davon gekommen. Keine hatte er verschont. Keine, bis auf eine... Er verfluchte sich selbst dafür, dass er sie nicht erledigt hatte, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Sie und ihre verfluchte Tochter... Er hatte geglaubt, sie wäre tot, niemand hatte den Überfall auf Kul Elna überlebt, keiner der heruntergekommenen Räuber und Sklaven hatte entkommen können. Nur ihm allein war die Flucht geglückt. Aber wenn seine Tochter nun im Palast lebte... „Warum sollte sie?“, fragte er mit einem hinterhältigen Grinsen, wenn sie hier lebte, dann würde er sie zu benutzen wissen, sie, die sie die größte Schande seines Fleisches darstellte. Auch Karim grinste. „Sind wir im Geschäft?“, fragte er und wusste genau, dass er sein Ziel erreicht hatte. Bakura nickte widerwillig. Er konnte ihn schließlich auch hinterher noch umbringen. „Erzähl mir alles, was du weißt!“, befahl er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)