Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 26: Siegel ------------------ „Kannst du mir das erklären!?“ Völlig außer sich fauchte Shada Karim an, als könne er etwas dafür, dass seine Einschüchterungsstrategie so wenig Wirkung zeigte. Das Mädchen war widerlich – und unglaublich. Der Größere jedoch ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und blieb ganz ruhig. Eine Weile lang hatte er ihr hinterher gesehen, wie sie sicheren Schrittes und doch wacklig auf den Beinen den Raum verlassen hatte. „Nein“, sagte er nachdenklich, „Sie hätte völlig zerbrochen sein müssen... Stattdessen ist sie immer noch frech und taumelt nur ein bisschen herum...“ „Das kann unmöglich an ihr liegen!“, sagte Shada sauer, „Irgendetwas oder irgendwer muss ihr geholfen haben, sonst hätte sie das doch nie so überstehen können!“ Er ging ein paar Schritte im Raum auf und ab, beruhigte sich aber in keinster Weise. „Wie kann das nur angehen? Ich habe nichts gemerkt, keine Fremdeinwirkungen und der Raum ist doch auch versiegelt!“ Karim betrachtete ihn streng. Lange war er nicht mehr so gewesen, verzehrt vor Wut und Hass, der Widerstand dieses Mädchens musste seinem Freund wirklich zu schaffen machen. „Es kann nicht sein, dass ihr geholfen wurde“, sagte Karim schlicht, „Aber keine Sorge... Niemand kann sich uns so widersetzen ohne die Folgen zu tragen.“ Er verfolgte Shada mit seinem Blick, bedachte jeden seiner Schritte mit einer Kopfbewegung. Schließlich sah er ihn auffordernd an. „Was ist mit ihrem Stab?“ Shada ging weiter ohne Karim anzusehen. Er schüttelte den Kopf. „Der hat weder irgendeine Magie abgestrahlt noch auch nur die kleinste Reaktion gezeigt“, sagte er, „Daran kann es nicht gelegen haben.“ Daran durfte es nicht gelegen haben. Skeptisch betrachtete Karim ihn, hob eine Augenbraue. „Und da bist du dir auch sicher?“, fragte er überrascht. Er selbst hatte ein anderes Gefühl gehabt, ihm erschien der Stab von einer Magie umhüllt, die er bisher nicht gekannt hatte. Wieso also behauptete Shada etwas anderes? Konnte er das wirklich nicht gespürt haben? „Willst du etwa behaupten, dass ich lüge?“, fuhr der Kleinere ihn an, noch immer seinen Blick meidend. Kalt blickte Karim zu ihm, schüttelte sauer den Kopf. „Der Stab war voller Magie“, sagte er knapp und brachte ihn damit in Erklärungsnot. Shada stoppt abrupt, sah Karim für einen Moment überrascht an, fasste sich dann aber schnell wieder. Er verengte die Augen zu knappen Schlitzen und nickte fast unmerklich. „Auch wenn ich es nicht gern zugebe“, sagte er schließlich, „Eine solche Magie habe ich noch nie zuvor gesehen...“ „Das Mädchen verbirgt etwas, so viel ist sicher“, sagte Karim, darüber hinwegsehend, dass Shada ihn eben so offensichtlich belogen hatte, „Und ich bin mir nicht sicher, ob sie sich selbst im Klaren darüber ist...“ Er war ernsthaft besorgt, sie mussten sie im Auge behalten, das stand fest. Und um ihren Willen zu brechen, hatte der heutige Tag auch nicht ausgereicht. Ihre Willenskraft war nicht zu verachten. Shada begann wieder hin und her zu wandern. „Über ihre Herkunft habe ich in ihren Gedanken nichts gesehen“, sagte er nachdenklich, „Sie scheint ihre Gedanken gut verstecken zu können, zumindest solche, die sie selbst aktiv verdrängt hat...“ „Wir müssen mehr über das Mädchen herausfinden“, sagte Karim kurzentschlossen, „Wo sie herkommt, wer sie eigentlich ist...“ Blaue Augen blickten ihn an, fragend, verachtend. „Und wie sollen wir das machen?“, zischte er, „In ihren Gedanken ist es nicht zu lesen!“ Karim seufzte. „Gedanken führen ganz offensichtlich nicht ans Ziel“, sagte er nachdenklich, „Aber irgendwo muss es Unterlagen von ihr geben, anders kann sie nicht in die Priesterschule aufgenommen worden sein.“ Ein Lächeln legte sich auf Shadas bis dahin angespanntes Gesicht, als er zustimmte. „Wir sollten unsere Rechte nutzen und mal einen Blick in diese Unterlagen werfen“, sagte er bestimmend, „Schließlich müssen wir wissen, wer unsere Schülerin ist, das ist völlig legitim und nachvollziehbar...“ Stille. Nichts weiter als Manas stumme Tränen, die sich ihren Weg suchten, ohne dass sie sie stoppen konnte. Wie nur war sie in ein solches Schlamassel gekommen? Langsam setzte sie einen Schritt vor den anderen, unentschlossen, zögernd. Sie wollte sofort zu Seth, wollte ihm alles erzählen. Er könnte sicher alles wieder gut machen. Doch sie durfte nicht. Wenn Karim und Shada erfuhren, dass sie ihr Wort gebrochen hatte, dann – nun, sie wollte lieber nicht darüber nachdenken. Sie musste schweigen, etwas anderes blieb ihr gar nicht übrig. Sie atmete tief durch und strich sich mit einer Hand lässig ihr Gewand glatt. Man durfte die Stellen nicht sehen, die nun langsam begannen blau zu werden, die Verletzungen, die sie durch Karims Schläge erhalten hatte, sie mussten unsichtbar bleiben. Unsichtbar für andere, doch präsenter als alles übrige für Mana. Was hatte sie sich von diesem Unterricht erhofft? Was hatte sie erwartet? Nun, ganz sicher nicht das. Mana achtete sorgfältig darauf, das Zittern und die Unsicherheit zu verbergen, die sich in ihre Stimme und in ihre Glieder legte, ehe sie an die Tür klopfte, die sie sonst einfach durchschritten hätte. Ohne zu klopfen, ohne zu zögern. „Es ist offen!“, erklang es aus Seths Gemach, überraschte Augen blickten sie an, strahlend blaue Augen, deren bohrendem Blick sie heute lieber ausgewichen wäre. Sie musste sich zusammenreißen. „Darf ich hereinkommen?“, fragte Mana höflich und lächelte lieb, den Rücken gerade, ganz so, als würde sie auf ihrem Kopf etwas transportieren. Ein skeptischer Blick empfing sie, es war nur allzu deutlich, dass der Hohepriester von ihrem Auftreten überaus überrascht war. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte er und ging auf sie zu. Mana wusste, sie durfte ihm niemals die Wahrheit sagen, auch wenn alles in ihr danach schrie, dass sie es tat. Und so lächelte sie, gespielt zwar, aber doch überzeugend. So echt, wie die Etikette eben sein konnte. „Nichts ist mit mir passiert“, antwortete sie höflich, „Warum sollte es?“ „Es kann doch nicht sein, dass du dich tatsächlich wie eine Dame benehmen kannst, oder?“, gab Seth zurück, noch immer sichtlich erstaunt. Zweifelte er etwa auch daran, dass sie es konnte? Mana seufzte innerlich. Warum nur war keiner überzeugt davon, dass sie es schaffen konnte? Hatte Seth sie nicht in den Unterricht geschickt, weil er wusste, dass sei nur einen Anstoß brauchte? Sie durfte nicht an ihm zweifeln. Jetzt an Seth und seinen Entscheidungen zu zweifeln, würde ihr die letzte Sicherheit nehmen, die sie im Augenblick hatte. Er vertraute ihr. Er glaubte, dass sie die Krone würde tragen können, sollte es jemals dazu kommen. Er hatte sie erwählt in dem festen Wissen, dass er der Nachfolger des Pharaos wäre, falls diesem etwas zustieß. Sie konnte ihm glauben, ihm vertrauen. Sie musste einfach. „Ich bitte euch“, sagte Mana und klang dabei leicht gekränkt, „Selbstverständlich kann ich das!“ Überzeugt von sich und trotzdem nicht unhöflich. Tatsächlich verstand das Mädchen mit der Wirkung ihrer Worte zu spielen und sie zu lenken. Seth schüttelte lächelnd den Kopf. „Was haben sie dir gegeben, damit du so gestellt reden kannst?“, fragte er beeindruckt und beunruhigt zugleich, was Mana dazu brachte, nun ihrerseits auf den Priester zuzugehen. „Unterricht?“, sagte sie so selbstsicher, wie sie konnte und grinste schwach. „Ihr mögt es kaum glauben, aber selbst ich kann etwas dazu lernen.“ Dieses Schauspiel brachte selbst Mana zum Wanken. Es war so falsch ihm etwas vorzulügen und doch so nötig. Sie wollte sein Vertrauen nicht so schamlos ausnutzen, doch was sollte sie anderes tun? Ihr blieb ja doch keine Wahl als zu gehorchen, wollte sie nicht Shadas und Karims Wut noch weiter auf sich ziehen. Der Priester beobachtete sie, ohne dabei durch ihre Fassade zu blicken. „Ich habe nicht an dir gezweifelt“, sagte er und klang wieder ernster, „Aber wenn du wirklich dazugelernt hast, dann vergiss eine Regel gleich wieder und sei nicht so förmlich mir gegenüber.“ Mana ging jedoch nicht darauf ein. Wie sollte sie ihm beweisen, was sie gelernt hatte, wenn sie es nicht anwendete? „Warum darf ich das nicht, Herr?“, fragte sie, sah ihn grinsend an und verbeugte sich vor ihm. Seths Antwort aber ließ sie schnell wieder aufsehen. „Nur Diener haben sich so zu verhalten mir gegenüber“, erklärte er sachlich und streng, „Wenn du also eine Dienerin sein willst, dann bleibe dabei.“ Mana sah ihn an, das Gesicht beleidigt verzogen. „Musst du immer so fies sein?“, fragte sie, streckte ihm die Zunge heraus und sah ihn schief an. „Natürlich will ich keine Dienerin sein!“ „Ich bin niemals fies“, antwortete der Priester sofort und baute sich groß vor ihr auf. „Mein Amt zwingt mich dazu.“ War er wirklich so eitel? Mana hätte vor Lachen gern laut losgeprustet, hielt sich dann aber zurück. Sein Ego konnte bisweilen wirklich gigantisch sein. Sie beobachtete ihn dabei, wie er sie anlächelte und sich auf sein Bett setzte. „Also, erzähl‘ mal“, verlangte er, „Wie ist es gelaufen?“ Priester an des Pharaos Hof zu sein, hatte seine Vorzüge und sei es nur, die Wächter des Archives davon überzeugen zu können, ihnen Zugang zu vertraulichen Unterlagen zu gewähren. Es war wirklich um einiges einfacher gewesen, als sie es für möglich gehalten hatten. Die Wächter hatten sie nur gesehen, sich verbeugt und sie passieren lassen, offensichtlich in dem Glauben, der Pharao hätte sie dazu befugt. Karim sah Shada nachdenklich an. „Was glaubst du, werden wir finden?“, fragte er schließlich, nachdem sie schon eine ganze Weile wieder unter sich gewesen waren. Der Angesprochene zuckte nur mit den Schultern. „Sicher nichts gutes“, sagte er viel zu schnell, als dass es glaubhaft gewesen wäre, und tatsächlich. „Obwohl ich nicht glaube, dass wir überhaupt etwas finden werden“, hängte er nach einem Seufzen an. Wie sollte auf einer Schriftrolle mehr zu lesen sein, als in Manas Gedanken selbst? Der Dunkelhaarige schüttelte nicht überzeugt den Kopf. „Wieso sollten wir nicht?“, fragte er, „Kann es sein, dass du eine Vorahnung hast?“ Was nur hatte er in ihren Gedanken gesehen? Karim verstand es nicht. „Nein“, widersprach Shada, „Ich habe weder eine Vorahnung noch eine Idee dessen, was wir finden könnten.“ Er brach ab, als sie schließlich das Archiv betraten. Der Raum war hoch und hell, an den Wänden und überall im Raum türmten sich Schriftrollen. Scheinbar willkürlich; wer diesen Raum nicht kannte, hätte ihn unordentlich genannt und doch hatte jede einzelne Rolle ihren Platz, Der Kleinere blickte zu Karim hinauf, sah ihn an und lächelte spöttisch. „Bist du sicher, dass wir das wissen wollen?“, fragte er noch einmal, obwohl die Antwort auch ihm klar war, sie waren nur aus eben jenem Grund überhaupt hierher gekommen, nur die Frage nach Manas Kindheit hatte sie hierher getrieben. „Natürlich wollen wir“, antwortete Karim leicht gereizt. Wieso tat er in einem solchen Moment so unsicher und zurückhaltend? Das passte überhaupt nicht zu ihm, und er musste es wissen. Er kannte ihn besser als jeder andere. Shada nickte, und machte sich daran, nach Manas Schriftrolle zu suchen. Jeder, der je in eine der Priesterschulen des Landes aufgenommen worden war, war hier verzeichnet, festgehalten für die Ewigkeit. Shada dachte kurz nach und begann dann zielsicher einige der Rollen zur Seite zu schieben. Er glaubte zu wissen, wo er zu suchen hatte, zog eine Rolle nach der anderen heraus. Karim beobachtete ihn stumm. Wenn er sich jetzt in die Arbeit einmischte, schadete es ihrem Vorhaben mehr, als dass es nutzte, darum ließ er es. Shada jetzt in seiner Konzentration zu stören, würde ihn über alle Maßen reizen, er kannte ihn viel zu gut, als dass er es riskiert hätte. So betrachtete er ihn still und schließlich, endlich zog Shada eine Rolle hervor, die er nicht sofort zur Seite legte. Er blickte auf die Schriftrolle in seiner Hand, fast versteinert sah er sie an, doch er öffnete sie nicht. Karim sah ihn fragend an, bis Shada ihm die Rolle reichte. Sie war verschlossen, ein Siegel hielt sie zusammen, das Siegel des Pharaos persönlich. Er sah seinen Freund ungläubig an. „Wieso dieses Siegel?“, flüsterte er und erhielt doch keine Antwort, die ihm genügte. „Weil der alte Pharao nicht wollte, dass über diese Sache jemals jemand etwas erfährt!“, fauchte Shada ihn an, fasste sich aber schnell wieder. „Ich denke jedoch, in diesem Fall können wir eine Ausnahme machen...“, zischte er. Karim lächelte. Es wunderte ihn nicht im Geringsten, dass Shada so dachte, ganz im Gegenteil. Er hätte sich Sorgen gemacht, wäre es nicht so. „Aber natürlich“, stimmte Karim ihm zu, „Wir sind schließlich für die Ausbildung des Mädchens verantwortlich“, erklärte er förmlich, „Und die Ausbildung kann nur dann ordentlich ablaufen, wenn wir wissen, wer sie wirklich ist.“ Ein überlegenes Lächeln legte sich auf seine Lippe. „Wer sollte etwas dagegen haben?“ Einzig und allein der Pharao selbst hätte sie aufhalten können, doch der war nicht anwesend, konnte nichts unternehmen. „Der alte Pharao ist eh tot“, sagte Shada leichtfertig dahin, unbekümmert, respektlos. Sein Blick fiel zurück auf den Stapel. Eine weitere Rolle erregte seine Aufmerksamkeit, er griff danach und stockte. „Eigentlich ist doch immer nur eine Rolle pro Person eingeplant, oder?“, fragte er verwundert und Karim nickte. Verstört blickte er auf die Rolle in seiner Hand und dann auf die zweite, die Shada hielt. Wer war dieses Mädchen? Und was gab es so viel über sie zu schreiben? „Dort sind noch zwei“, riss Shada ihn aus seinen Gedanken, nahm auch diese an sich und hatte nun insgesamt vier Schriftrollen vor sich. Jede trug das Siegel des Pharaos und war seit ihrem Verfassen ungelesen. Sie verbargen Informationen, die in Vergessenheit hätten geraten sollen. Shada atmete noch einmal durch und durchbrach das Siegel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)