Sunset over Egypt von Sennyo (Even if tomorrow dies) ================================================================================ Kapitel 24: Einsicht -------------------- Unentschlossen lief Seth in seinem Gemach auf und ab, dachte über die Lehrer nach, ohne zu einem Schluss zu kommen. Er wusste nicht, ob sich derjenige, der die Beiden ausgesucht hatte, etwas dabei gedacht hatte, wohl aber wusste er, dass derjenige der Pharao war. Erneut hatte er seine schlechte Menschenkenntnis genutzt um die falschen Leute in den Palast zu holen. Dennoch machte der Priester sich nicht allzu große Sorgen um Mana. Niemandem war es bisher gelungen, sie einzuschüchtern, sie hatte eine unglaubliche Art andere für sich zu gewinnen. Nur so hatte sie es geschafft, auch sein Herz zu erobern. Und so setzte Seth sich zurück an seinen Tisch und beugte sich über seine Unterlagen. Sie stapelten sich inzwischen, seit feststand, dass ein Krieg gegen Libyen nicht mehr zu verhindern war, hatten sich seine Aufgaben vervielfacht. Unentwegt las er sich die neusten Informationen durch, kümmerte sich um die Vorbereitungen, und hatte alle Hände voll damit zu tun, dass Heer einsatzbereit zu machen. Als das junge Mädchen mit einem Tuch, das fast ihren ganzen Körper verhüllte, in den Raum kam, verstand er zunächst nicht, was los war. Nur ihre Augen blickten unter dem Stoff hervor, voller Zorn und Verzweiflung. „Seeeeeth!“, jammerte Mana und sah hoffnungslos zu ihm auf, doch der Hohepriester war viel zu perplex um sofort zu reagieren. „Was ist denn passiert?“, fragte er überrascht, „Was willst du mit diesem Fetzen?“ „Es ist schrecklich!“, rief Mana, ließ aber dennoch das Tuch nicht los. Sie wollte sich so nicht zeigen, doch Seth ließ ihr keine Ruhe, bis sie es schließlich abnahm. Bis zum Kinn gekürzt wirbelte Manas Haar hin und her, ungleichmäßig und strähnig, weil sie nicht still gesessen hatte. Unter anderen Umständen hätte Seth sie ausgelacht, nun jedoch blieb er ernst und sachlich. Er starrte auf ihre neue Frisur, überrascht und entsetzt zugleich. Er fand den Schnitt scheußlich, doch ihr das zu sagen, hätte es weder besser noch ungeschehen gemacht. „Hast du ihnen freie Hand gelassen?“, fragte er stattdessen und konnte sich die Antwort schon denken. Mana schluchzte inzwischen. „Naja“, sagte sie, „Ich hab gesagt, wenn die meinen, dass es sein muss, dann eben ein Stück, etwas Spitzen oder so...“ Eine solche Frisur hatte sie nicht haben wollen. Einen neuen Schnitt zu bekommen, wäre interessant gewesen, doch so wie es jetzt war, war es einfach nur schlimm. Das war kein Aussehen, dass man am Hofe präsentieren konnte, soviel verstand selbst sie von all dem Anstand und der Etikette. Hatten Karim und Shada sich dabei etwas gedacht? Mana war sich inzwischen sicher, dass die Beiden nicht viel verstanden von ihrem Fach, oder sie einfach nicht mochten. Wahrscheinlich hießen sie Seths Wahl nicht gut und wollten ihm nun zeigen, wie hässlich und wie schlecht sie für die von ihm erwählte Position geeignet war. Mana musste diesen Anstandskram unbedingt lernen. Sie wollte Seth nicht verlieren, nicht wegen Lehrern, die sie nicht mochten. Sie musste ihnen einfach beweisen, dass auch ein einfaches Mädchen, das nicht im Palast geboren war, ein Mädchen, wie sie es war, im Stande war, die Regeln der hohen Gesellschaft zu lernen. Doch wie sollte sie das schaffen, mit einer solchen Frisur? Sie musste durch Leistung glänzen, soviel stand fest, mit Aussehen allein konnte sie nichts erreichen. Lehrer, die sie von vorne herein scheitern sahen, waren dabei nicht gerade hilfreich, doch Mana war niemand, der aufgab. „Das wird sich nun nicht mehr rückgängig machen lassen“, sagte Seth und riss das Mädchen damit aus seinen Gedanken. Trotzig sah sie ihn an. „Die haben gesagt, eine Dame redet nicht, wenn sie Anstand hat, und schreit auch nicht“, erzählte sie verzweifelt. Nachdenklich blickte Seth auf Manas ruiniertes Haar. „Ist ja interessant“, sagte er, in der Hoffnung Mana aufzuheitern, „Machen sich die Beiden denn gut als Damen? Wenn sie schon sagen, wie sich eine Dame zu verhalten hat, müssen sie doch mit guten Beispiel vorangehen, oder?“ Grinsend sah Mana auf. „Nicht wirklich“, sagte sie lächelnd, und schweifte weiter in ihren Gedanken. „Meinst du, ich sollte zurück?“, fragte sie schließlich nachdenklich und legte ihren Kopf leicht schief. Große Lust hatte sie nicht. Auch Seth war von der Idee nicht sonderlich überzeugt, doch er konnte kaum etwas dagegen sagen. Die Ausbildung in der Etikette war immerhin von absoluter Wichtigkeit. „Ich denke nicht, dass die Beiden von deinem Verschwinden besonders angetan sind“, antwortete der Priester und machte damit Manas Hoffnung, den Beiden zu entkommen zunichte. Sie ließ den Kopf hängen. „Lass dich nicht von ihnen ärgern“, sagte Seth und schaute grimmig, „Gönn' ihnen den Spaß, schon bald werden sie in den Krieg ziehen.“ Mana verstand nicht, was er meinte, doch sein finsteres Lächeln sprach Bände. Verwirrt sah sie ihn an. „Ach ja?“, fragte sie mit großen Augen. Seth lächelte geheimnisvoll, „Nun ja“, sagte er und grinste, „Jeder hat seine Befugnisse. Sie sind für die Etikette zuständig...“ Noch immer verstand Mana nicht. „Etikette, Krieg... Was hat das miteinander zu tun?“, fragte sie verwirrt. Der Hohepriester ging zum Fenster, sah lächelnd hinaus. „Das hat nichts miteinander zu tun“, erklärte er und ließ seinen Blick zu seinem Millenniumsstab schweifen. „Aber sie erfüllen ihre Aufgaben und ich erfülle meine... Und zu meinen Aufgaben gehört es, Männer in den Krieg zu schicken, wenn ich es für nötig halte... Und gegen die Libyer kann nun mal niemand zurückbleiben...“ Sich mit dem Hohepriester angelegt zu haben, sollten sie schon sehr bald bereuen, er hatte es gar nicht gern, wenn man seine Autorität herausforderte. Nun endlich erkannte auch Mana, worauf er hinaus wollte. „Die Beiden im Krieg?“, fragte sie und konnte sich kaum zurückhalten. „Nein, also das war vielleicht unhöflich“, machte sie sie nach, und lachte lauter, „Das geht so nicht, du musst das Schwert so schwingen!“ Sie stellte sich es bildlich vor, wie sie versuchten, ihre Gegner in Vernunft und Anstand zu unterrichten, und sie amüsierte sich köstlich. Auch Seth lachte, doch blieb er weitaus verhaltender als Mana. Er blickte ihr in ihre grünen Augen und sprach ihr dadurch Mut zu. „Du solltest zurück in den Unterricht“, er betonte das Wort ganz besonders stark, wie um Shada und Karim dadurch zu verhöhnen, „Nicht, dass sie Überstunden machen wollen, wenn es los geht.“ Mana hielt augenblicklich inne in ihrem Lachen und schaute ernst zu ihm auf. Diese Überstunden wollte sie nicht verantworten, sie würde sich anstrengen alles zu leisten und dann, schließlich würde sie ihrer Aufgabe gerecht werden können. Sie verabschiedete sich von Seth mit einem kurzen Kuss auf die Wange und lief davon, zurück in den Raum, aus dem sie zuvor geflohen war. Den Kopf auf ihres Bruders Schoß gebettet, lag Meira auf dem Boden und döste vor sich hin. Wirklich schlafen tat sie schon eine ganze Weile nicht mehr, doch aufzustehen kostete sie noch zu viel Kraft. Der Kampf gegen Mana hatte sie erschöpft und erschrocken, nun jedoch ruhte sie entspannt und genoss die Anwesenheit ihrer Brüder, die sich nun schon seit Stunden darum stritten, wie es Mana wohl gelungen sein konnte, ihre Schwester zu schlagen. Meira kümmerte es nicht. Sie genoss es von ihren Brüdern versorgt zu werden, genoss die Ruhe, die so selten in ihre Familie einkehrte. Sie wollte sie auskosten, so lange es ging. Cyrus konnte nicht lange untätig bleiben, Meira wusste es genau, und auch Akim war wohl niemand, der die Zeit einfach so verstreichen ließ. Viel zu lange schon war er eingesperrt gewesen, viel zu viel Zeit war schon dahingegangen. Und doch, im Augenblick verbrachten sie sie zusammen, ungestört und ohne Verpflichtungen. Die Rache an dem Priester, der ihrem Bruder die Freiheit genommen hatte, sie würde nicht lange auf sich warten lassen. Aufmerksam lauschte Meira den Worten ihrer Brüder, während Cyrus ihr unentwegt durch ihr rotes Haar strich. Lange hatte sie gehofft, dass eine solche Eintracht herrschen konnte, nicht nur, dass ihr verschollen gewesener Bruder wieder aufgetaucht war, auch Cyrus‘ Aufmerksamkeit gehörte allein ihr. Von je her war ihr großer Bruder für sie da gewesen, egal wann sie ihn brauchte, er hatte alles für sie gegeben. Meira wusste, dass Cyrus schon bald zurück aufs Schlachtfeld würde ziehen wollen, doch im Augenblick war es ihr gleich. Und so dauerte es gar nicht lange, ehe die Müdigkeit sie erneut übermannte und sie ruhig und friedlich einschlief. „Wo bist du gewesen?“, kalt ertönte des Priesters Stimme, voller Verachtung und Ärger. Nicht eine Sekunde lang hätte Mana glauben können, ihre Anwesenheit wäre erwünscht und doch war es die Tatsache, dass sie nicht anwesend gewesen war, die ihr nun all den Hass entgegen brachte. „Ihr wolltet noch weitermachen?“, fragte Mana, tat verwirrt und verbeugte sich tief. Nichts anderes hatte sie erwartet, und so war sie darauf gefasst gewesen. Sie würde sie schon noch von ihrem Können überzeugen, früher oder später. „Verzeiht“, fuhr Mana fort und ihre Stimme klang dabei wohl ein wenig gekünstelt, denn weder Karim noch Shada war davon besonders angetan. „Anscheinend müssen wir uns Strafen für dich ausdenken“, drohte Letzterer, „Ein solches Benehmen ist nicht zu entschuldigen.“ „Strafen?!“, rief Mana leicht entsetzt aus, sie hatte wohl damit gerechnet, dass sie nicht sonderlich erfreut sein würden, doch mussten es gleich Strafen sein? Sie hatte schließlich kein Schwerverbrechen begangen! „Aber natürlich“ – Selbstverständlich stand Karim auf Shadas Seite, wie hätte es anders sein können? Mana biss sich auf die Lippen und bedachte ihre Möglichkeiten, während er fortfuhr: „Glaubst du, du kannst dir hier alles erlauben?“ Allen guten Vorsätzen zum Trotz widersprach Mana. „Natürlich kann ich das!“, sagte sie ernst und blickte zwischen beiden hin und her. „Wenn Seth von Strafen etwas mitbekommt, fliegt ihr schneller, als ihr ‚Etikette‘ sagen könnt!“ Sicher sie wurde wieder frech und benahm sich nicht so, wie sie es hätte tun sollen, doch Shada und Karim benahmen sich schließlich auch nicht, wie es von ihnen verlangt war. Immerhin hatten sie die Verlobte des Hohepriesters vor sich, da verdiente sie schon ihren Respekt. Es hätte ihnen eine Ehre sein müssen, sie zu unterrichten, keine Last. Ein eisiges Lachen von Shada riss sie aus ihren Gedanken. „Glaubst du wirklich, wir lassen es zu, dass Seth davon etwas erfährt?“, fragte er voller Verachtung und übergab das Wort an Karim: „Dieser Priester ist doch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt“, sagte er kalt, „Er achtet auf niemand anderen als auf sich selbst. Vertrau mir, meine Worte werden dich noch verfolgen.“ Er sprach ruhig und gefasst, doch Mana brachte er damit fast zum explodieren. Als ob diese Worte sie nicht jetzt schon verfolgten! Wieso glaubten das alle? Wieso war jeder davon überzeugt, dass Seth nichts weiter als ein selbstherrliches egoistisches Wesen war, dass außer seinem Ruhm und seiner Macht nichts im Kopf hatte? Zwar hatte er nicht gerade viel unternommen, damit dieses Image verblasste, dennoch war es schlichtweg gelogen; der Seth, den sie kannte, war ganz anders, als alle glaubten. „Ihr habt doch keine Ahnung!“, fauchte Mana ungehalten, „Natürlich werde ich Seth hiervon erzählen! Und er wird handeln!“ Inzwischen war es ihr egal, ob sie mit ihren Lehrern sprach, nun da sie gesehen hatte, dass sie nicht nur vor ihr, sondern auch vor Seth keinerlei Respekt hatten. Shada verdrehte leicht die Augen, ehe er sich zu seinem Freund drehte. „Dieses Benehmen...“, sagte er entnervt und klang schwer getroffen, „Wenn sie es ihrem Hohepriester erzählt, gibt es Ärger“, er drückte sich absichtlich theatralisch aus, um Mana zu verhöhnen und blickte dann belustigt auf. Offensichtlich gefielen ihm die Gedankengänge, die sein Kopf längst geknüpft hatte, ausgesprochen gut. „Wir müssen wohl dafür sorgen, dass sie schweigt“, er nickte seinem Partner aufmerksam zu. „Dazu seid Ihr deutlich besser befugt als ich es bin“, sagte er schmunzelnd, ehe er sich schließlich zu Mana drehte, und jedes andere Gefühl außer Hass war aus seinen Gliedern gewichen. Mana wich einen Schritt zurück. „Und dann werden wir mit dem Unterricht beginnen, bis du nicht mehr sitzen kannst, deine Hände bluten und du endlich gelernt hast, Respekt vor Anderen zu zeigen!“ Hatte Mana bei ihrer Rückkehr in diesen Saal geglaubt, die beiden Lehrer hätten ihr finstere Blicke zugeworfen, so wurde sie nun Lügen gestraft. Die eisige Kälte prallte wie eine Wand auf Mana zu, eine Wand, die immer näher kam, ihr die Luft zum Atmen nahm und ihr keinen Ausweg ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)