Abweisung! von littleblaze ================================================================================ Nach vorn und wieder zurück! ---------------------------- Autor: littleblaze E-Mail: little_blaze_2000@yahoo.de Warnung: Shonen Ai Disclaimer: Alle Rechte an den Charakteren und der Storyline gehören mir und die Geschichte darf nicht ohne meine vorherige Zusage auf anderen Seiten, Portalen oder Foren gepostet werden. Abweisung – Part 10 Ich war im Garten hinter unserem Haus und acht Jahre alt gewesen. Ungefähr zwanzig andere Kinder hatten die große Rasenfläche mit Leben erfüllt. Man konnte das Lachen und Singen die ganze Straße hinunter hören. Es war ein schöner Tag gewesen. Die Sonne schien uneingeschränkt vom Himmel, Blumen blühten, alles schien sich von seiner besten Seite zeigen zu wollen, schließlich war es der Geburtstag meiner Schwester. Sogar die überwältigende Anzahl an Blütenpollen schien sich für dieses Ereignis so richtig rausgeputzt zu haben. Sie tänzelten und hüpften durch die Luft, ein Leuchten umgab sie, und eine dieser Pollen wand sich direkt an Joey Pelzers Gesicht. Wer die Situation zuvor nicht miterlebt hatte, hätte annehmen können, dass genau dieses unschuldige, kleine Ding verantwortlich sein würde für seinen baldigen Ausbruch, doch ich wusste es besser. Ich hatte immer noch vor Wut geschnaubt, mein ganzer Körper zitterte heftig. Doch dies ließ schnell nach, und Angst loderte in mir auf, immerhin war Joey Pelzer ganze drei Jahre älter als ich und bekannt dafür, dass er nicht gerade auf der liebenswerten Seite des Lebens wandelte. Würde er mich ebenfalls schlagen, mir vielleicht weitaus Schlimmeres antun? Ich hatte zwar Angst gehabt, aber andererseits war es mir gleich. Er hatte meiner Schwester wehgetan und ich, als ihr Bruder, musste sie beschützen. Und als dann besagte Polle auf seiner Wange landete, gerade dort, wo ich zuvor zugeschlagen hatte, hielt ich den Atem an. Ich malte mir aus, wie er sie aus seinem Gesicht wischte, hämisch grinste und danach auf mich zugestürmt kommen würde, wie er mich schlug, mir wehtat und ich anfangen würde, vor Schmerzen zu weinen. Doch nichts von alledem war passiert, im Gegenteil. Er war es, der anfing zu weinen. Zum Sieger erkoren, ließ mich sein Anblick allerdings nicht in Stolz schwelgen. Es tat mir leid, was ich getan hatte. Ich hatte Mitleid und ich fühlte mich schuldig an seinem Schmerz. Am liebsten wäre ich zu ihm rüber gegangen und hätte ihn getröstet, jedoch war ich nur starr auf meinem Platz stehen geblieben und fing ebenfalls an zu weinen. Mein Körper streikte augenblicklich, meine Hand starr in der Luft. Sie kribbelte stark, schmerzte, verriet mir, dass es nicht nur ein Traum oder irrationales Wunschdenken war, sondern dass ich es tatsächlich getan hatte. Wir blickten uns an. Schon Ewigkeiten hatten wir es nicht mehr geschafft, uns gegenseitig so lange in die Augen zu sehen, und ich persönlich wollte nur noch weg schauen, schämte mich. Wie konnte es nur so weit kommen, es passieren, dass ich meine Hand gegen ihn erhob? Gegen einen Kranken, jemanden, den ich dazu noch liebte? Es kribbelte weiterhin in der gesamten Handfläche. Wie fühlte es sich wohl bei ihm an, auf der verletzten Gesichtshälfte, wo ich reflexartig zugeschlagen hatte? Ich wog natürlich nicht die prozentualen Chancen ab, ob er genau wie Joey Pelzer anfangen würde zu weinen, ich ihn in den Arm nehmen könnte und ihm vergewissern, dass schon alles wieder gut werden würde… doch mir war beinahe zumute danach. Nicht nur wegen gerade diesem Moment. Meine Hand hatte sich mittlerweile ohne mein Merken gesenkt. „Es tut mit leid“, schaffte ich es endlich, mich von seinem Blick zu lösen. Es war ein harter Blick seinerseits, nichtssagend, einfach ausdruckslos. Mich in Bewegung zu setzen war dagegen nicht ganz so einfach, aber auch dies gelang mir bald. Ich wollte nur noch raus aus dem Zimmer, mich in einem Raum außerhalb seiner Sichtweite verkriechen. „Mach dir keinen Vorwurf. Es war nur eine Frage von Zeit, bis es dir zu viel wird.“ Ich stoppte oberhalb seines Bettes. „Was?“, fragte ich nach, obwohl ich ihn zuvor eigentlich sehr gut verstanden hatte. Ich schaute auf den Boden vor mir, obwohl ich ihn doch eigentlich entrüstet hätte ansehen sollen. Schon alleine mein Blick hätte ihn davor warnen sollen, weiter zu sprechen. Natürlich war es falsch gewesen, was ich getan hatte, aber hatte er nicht auch seine Schuld daran, wo er mich geradewegs dahin getrieben hatte? „Machen wir uns doch nichts vor“, schwang ein lachender Unterton in seiner Stimme. „Irgendwann musstest du doch von dem ganzen Scheiß hier genug haben.“ Ich nahm eine schnelle Bewegung im Augenwinkel wahr und irgendetwas fiel klirrend zu Boden. Er sprach weiter und ich kämpfte innerlich mit mir, nicht schreiend über ihn herzufallen, auf ihn einzuschlagen, bis er endlich die Klappe hielt. Alleine die Vorstellung daran gab mir einen Funken Befriedigung. „Leck mich doch!“, presste ich hart zwischen meinen Lippen hervor und ging weiter um sein Bett herum, um zum Flur zu gelangen. Schnell war mein Schritt, ich wollte nicht doch noch in Versuchung kommen. „Hast du gerade etwas gesagt?“, hielt er mich am Saum meines Shirts auf. Zuerst wollte ich seinen Arm weg schlagen, sah aber noch im letzten Augenblick, dass es sein verletzter war. Stattdessen beugte ich mich ein wenig zu ihm herüber und wiederholte meine Worte noch einmal. Schön deutlich und langsam dazu. Die Anspannung lag fühlbar zwischen uns. „Lass mich los!“, fügte ich noch bei, und kurz hatte ich auch das Gefühl, dass er darüber nachdachte, es zu tun. „Nein, lass es hier und jetzt endlich mal gesagt sein.“ Er zog mich noch einige Zentimeter näher ans Bett heran. „Sag endlich, dass du genug von der ganzen Scheiße hast, dass es dir zu viel wird, ich abhauen soll, und dass du mich nicht mehr in deinen Leben haben möchtest. Sag es, verdammt noch mal! Sag es!“ Seine Stimme war lauter geworden und immer wieder wurde energisch an meinem Shirt gezogen. Sein Blick machte mich ziemlich unsicher, was er gerade wirklich von mir erwartete, und obwohl ich diese Gedanken, die er gerade ausgesprochen hatte, mit mir rum trug, war ich nicht bereit, sie über meine Lippen zu bringen. „Lass mich los, habe ich gesagt.“ Energisch zog nun ich an meiner Kleidung. Er hielt mittlerweile mit beiden Händen fest. „Ich will, dass du-“ Mit einer galanten Verbeugung zog ich meinen Oberkörper aus seinem Gefängnis, der Kopf folgte und ich war mir schon fast sicher, ihm entkommen zu können. Jedoch wickelte er blitzschnell meine Arme um den überflüssigen Stoff und zog mich wieder näher heran. Alles ging so verdammt schnell. Ich hatte noch versucht, mich irgendwie abzustützen, schon alleine, um nicht auf seinen verletzten Körper zu treffen, doch er war stärker. „Vergiss es.“ Es war mehr ein Fauchen, nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Nur kurz flackerte ein Gefühl von Schmerzen in seinem Blick auf, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte und mich intensiv fixierte. Ich war ihm so nahe wie schon lange nicht mehr. Ich konnte ihn spüren, ihn riechen, sogar zum küssen hätte ich mich nur noch ein wenig mehr vorbeugen müssen. „Ich liebe dich, verdammt noch mal!“, platzte es aus mir heraus. Ich erwartete alles und doch gar nichts. Ich wollte hören, dass er es erwiderte, oder dass er mir sagte, dass er nichts für mich empfand. Ich wollte ihn küssen und hoffte gleichzeitig, dass er selbiges Verlangen hatte und es von sich aus tat. Ich wollte ihn berühren, leicht mir meinen Fingern durch sein Gesicht streicheln. Seine Verletzungen waren für meinen Blick nicht mehr vorhanden, doch meine Hände entzogen sich immer noch meiner Kontrolle. Was war so schwer, was so falsch daran? „Ich liebe dich“, wiederholte ich noch einmal. Es verunsicherte mich sehr, dass gar nichts, rein gar nichts bei ihm zu erkennen war. Weder Belustigung, noch Abscheu oder Zustimmung. Einfach nichts. Sein Griff lockerte sich. „Verschwinde.“ Sein Kopf drehte sich so weit weg, wie es ihm mit meinem Gewicht auf seinen Brustkorb möglich war. Vorsichtig erhob ich mich und wickelte meine Hände frei. Ich streifte einige Mal über sie hinweg, um wieder Gefühl in ihnen zu erlangen. Ich wollte nicht einfach so gehen, zögerte den Moment hinaus. „Ich werde nicht verschwinden“, versicherte ich in den Raum hinein, mein Blick lag immer noch auf meinen Händen. „Ich werde vielleicht mal nicht in deiner Nähe sein oder… woanders… damit ich dir nicht an die Kehle springe, aber ich werde nicht verschwinden. Hörst du?“, sah ich ihn an. Doch wie erwartet kam weder eine körperliche noch sprachliche Erwiderung, darauf. Ich drehte mich ihm ganz zu. Meine Finger fanden von allein sein Gesicht, streichelten behutsam über die verkrusteten Stellen. Dunkel waren sie geworden, eigentlich dürfte es nicht mehr lange dauern, bis sie sich ablösten. Ich schob einige Haarsträhnen hinters Ohr und fuhr leicht die Konturen nach, dann stoppte ich, nahm meine Hand aber nicht weg. „Ich hätte es nicht ertragen, wenn du gestorben wärst.“ Innerlich wie körperlich überkam mich die Ahnung, bald die Kontrolle zu verlieren. So, wie wenn man seine Tränen nicht halten kann oder man einfach losließ und zu Boden glitt. Ich zog meine Hand weg und verließ den Raum. ~ * ~ Es war nicht leicht, meine Gedanken zu ordnen oder ihm Zeit zu geben, über Situation oder Gesagtes alleine nachzudenken, da wir aus der Notlage heraus immer wieder aufeinander prallten. Vielleicht hätte ich meine Gefühle auch besser für mich behalten, denn ihm war nicht einmal die Möglichkeit des Weggehens gegeben. Er saß fest, in der Falle… ob er wollte oder nicht. Umso mehr freute ich mich, meiner Wohnung für eine kurze Zeit entkommen zu können, als ich mich am Sonntagmittag mit David beim Mexikaner an der Ecke traf. Es war nicht einfach, nicht an Ryan zu denken, über andere Dinge zu sprechen… Ich hielt es ganze 18 Minuten durch. „Vielleicht sollte ich Dr. Cally um Rat bitten?“ Ich blickte ihn hilfesuchend über den Salz- und Pfefferstreuer an. „Ich denke nicht, dass er einen Psychiater braucht. Was er braucht, ist nur mal eine feste Umarmung von seiner Familie. Er sollte sich da dringend aussprechen gehen.“ Den Blick gesenkt, fummelte ich, wie so oft in der letzten Zeit, an dem Pflaster an meinem Finger herum. Ich hatte es immer noch nicht entfernt, der Smiley allerdings war durch einiges Händewachen nur noch schwach zu erkennen. „Ich hab Jeremy getroffen.“ „Ich weiß. Er hat es mir erzählt.“ Er winkte die Kellnerin heran und bestellte sich noch eine Cola. Eine drückende Luft lag im Raum, beinahe schon erstickend. „Warum hast du mir nicht erzählt, dass ihr wieder so engen Kontakt habt?“ Ich griff nach meinem Glas Wasser, trank aber nicht. „Wäre das irgendwie von Bedeutung gewesen?“ „Wer weiß“, stellte ich es wieder ab, bevor ich es erneut aufnahm. „Also?“ „Hör bloß auf, den Gekränkten zu spielen. Wenn du ihn wirklich erreichen hättest wollen, dann wäre dir das auch ohne meine Hilfe ganz gut gelungen.“ Ich schwieg. Er hatte Recht und das wusste ich. Irgendetwas sollte mich nur ablenken, auch wenn es ein kleinlich provozierter Streit mit David war. Doch erdrückte er dies im Keim und erkannte zu schnell die Situation. Er redete auf mich ein, sodass ich überhaupt keine Chance mehr hatte, zu Wort zu kommen. Am Ende unseres Treffens versicherte er mir abermals, dass er immer für mich da sein werde, wenn ich etwas bräuchte, und riet mir, mich mal wieder bei der Familie zu melden. Ich kehrte zurück ins Exil. Ich half meinem Schützling in den Rollstuhl, aus diesem wieder hinaus, brachte ihm etwas zu Essen und sah mir mit ihm zusammen die Spätnachrichten an. Vom Wetter hatte ich ihm erzählt und von meinem versalzendem Essen beim Mexikaner. Er hatte nichts zu sagen. Am darauffolgenden Montag flüchtete ich mich für zwei Stunden in die Arbeit… Ich brauchte das einfach. Andere Menschen, Trubel und Hektik um mich herum. Ich konnte endlich einmal wieder richtig durchatmen. Jedoch driftete ich zu oft ab. Zu Ryan, zu Jeremy und zu dem, was David gesagt hatte. Ich überwand mich wenig später und rief Lienn an. Ich versuchte, ihn davon zu überzeugen, noch einmal mit Ryan das Gespräch zu suchen, erklärte ihm, dass es wichtig für ihn wäre, auch wenn er es im Moment vielleicht nicht sähe. Dennoch stellte er auf stur. Wütend legte ich auf und ging nach Hause. „Ich bin wieder da“, betrat ich das Wohnzimmer. „Hi“, kam es schüchtern. Vor Schreck blieb ich einige Sekunden wie angewurzelt im Raum stehen. Ryans Aufmerksamkeit galt den Karten, die er vor sich auf der Bettdecke verteilte und dann spielgehörig zuordnete. Solitär! „Brauchst du etwas?“, fragte ich zaghaft nach, während ich näher ans Bett heran trat. Meine Hand legte sich auf die Matratze. Er schüttelte den Kopf. Aber ich wollte bei ihm sein. Mein Blick spielte Interesse an den Karten vor, damit er mich nicht wegschickte. Klammheimlich setzte ich mich auf den Rand des Bettes. Seine Finger glitten schnell über die Karten hinweg, ich konnte dem Wechsel kaum folgen. „Interesse?“ „Bitte?“, hob ich verwirrt den Kopf. Eine Karte wurde mir entgegen gestreckt. „Möchtest du spielen?“ „Mit dir?“ „Du musst nicht, wenn du nicht magst.“ Seine Hand verschwand und legte die darin liegende Karte ordnungsgemäß ab. „Doch!“, eröffnete ich laut, seine Bewegung hielt inne. Kurz sah er mich an, bevor er die Karten zusammenkratzte und sie zu mischen anfing. „Poker?“ „Mit Einsatz?“ „Ich habe nichts anzubieten.“ Er teilte aus und ich unterdrückte meine Antwort darauf. Ich hätte ihm viel zu vieles vorzuschlagen was er zum Einsatz hätte bringen können, jedoch beließ ich es. Ich wollte dies hier nicht direkt wieder mit meinem Wunsch nach Antworten kaputt machen. Es war das erste Mal seit langem, dass so etwas wie ein normales Miteinander von statten ging, auch, wenn nur das Nötigste gesprochen wurde und ich immer wieder schnell auf meine Karten schaute, wenn er aufsah. MEHR ~ * ~ Die nervige Krankenschwester kam am frühen Dienstagmorgen. Sie erzählte mal wieder, ohne dass man groß Interesse dafür zeigte, das Neuste aus ihrem Leben. Ich versuchte, mich abzulenken und ihrem Gequatsche nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu widmen, bis sie auf das Wesentliche zu sprechen kam. „Am Donnerstag um halb Zehn, wenn es Ihnen passt?“ „Klar, kein Problem“, bestätigte ich den Termin der Röntgenuntersuchung. „Wenn die Fortschritte gut sind, werden wir am Freitag operieren.“ „Operieren?“, ertönten Ryans und meine Stimme zugleich. „Das Monstrum hier entfernen…“ Sie tätschelte auf das Gerüst um Ryans Bein. „…und einen normalen Gipsverband anlegen. Dafür wird er aber einige Tage im Krankenhaus bleiben müssen. Wir müssen nach der Abnahme erst einmal das Bein ein wenig beobachten, ehe wir es wieder zugipsen.“ Sie hatte ihre Sachen zusammen gepackt und reichte mir die Hand. „Also, bis Donnerstag.“ Der Rest des Morgens verlief wie jeder andere Tag auch. Bett neu beziehen, Medikamente, Frühstück und die Morgentoilette. Dass Ryans Stimmung sich verschlechtert hatte, merkte ich erst gar nicht. Immerhin war sie die ganze Zeit über nicht gerade gut gewesen, wenn wir es jetzt mal vorsichtig ausdrückten. Ins Grübeln kam ich, als er das Mittagessen unberührt wieder von sich schob. „Möchtest du etwas anderes haben?“, zweifelte ich zuerst an meiner Auswahl. „Ich habe keinen Hunger.“ „Mal was ganz Neues.“ Ich nahm das Tablett weg und versuchte erst gar nicht, die Nachteile einer Unterernährung mit ihm zu diskutieren. Das Essen verpackte ich in Plastikschüsseln und verstaute sie im Kühlschrank, das Geschirr spülte ich ab. Daraufhin parkte ich mich im Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Kurz zappte ich durch die Kanäle und blieb an einer nervigen Sitcom hängen. Die Ablenkung war schnell dahin, und so erhielt der Fernseher zwar meinen Blick, jedoch fegten meine Gedanken schon wieder woanders hin. Um genau zu sein, zirka drei Meter nach links. Meine Gedankenwelt schob sich zurück an den gestrigen Nachmittag. Die kleinen, rechteckigen Karten waren unser einziger Zusammenhalt gewesen und doch war es viel mehr als eine lange Zeit zuvor. Ich konnte noch gut das kleine Lächeln auf seinen Lippen sehen, als er mich zum vierten Mal in Folge besiegte, das kurze Gefühl, dass dort vielleicht der Wendepunkt in dieser vertrackten Situation entstehen könnte. Doch zum Ende musste ich mir eingestehen, dass es doch nur das war, was es war: Ein Kartenspiel. Ich wand mich zu ihm. Wollte ich einen Kontakt herstellen? Wenn schon… sein Blick war wieder mal ganz woanders, nicht auf der entgegen gesetzten Seite oder gesenkt, nein, dieses Mal war sein Blick wie in sich selbst gekehrt als träume er vor sich hin. Es sah halt nur nicht so aus, als würde er dies tun. Etwas Neues lag auf ihm, möglicherweise hatte ich es aber auch nur zuvor noch niemals gesehen. Ich schob mich kurz zurück an den Anfang, als er gerade bei mir eingezogen war und wir langsam anfingen, uns zu unterhalten, miteinander leben zu lernen, ja, uns sogar gegenseitig zu ergänzen. Gemeinsame Videoabende, Gespräche und das stundenlange Grübeln über meiner Arbeit, was ihn richtig fasziniert hatte… und auf einmal machte es “Pling“. Ich nahm an, dass ich wie diese Comicfiguren nun eine riesengroße, leuchtende Glühbirne über meinem Kopf tragen müsste. Ich stand langsam und gelangweilt auf, so, als wüsste ich gerade nichts mit mir anzufangen. „Möchtest du noch schauen?“, bot ich ihm die Fernbedienung dar und legte sie, ohne wirklich auf Antwort zu warten, die ohnehin ausblieb, wieder auf den Tisch. Natürlich nachdem ich den Fernseher ausgeschaltet hatte. Ich ging in mein Arbeitszimmer, nur um Minuten später mit voll beladenen Händen wieder am Wohnzimmertisch zu erscheinen. Ich breitete alles vor mir aus und tat so, als wäre ich ganz in meinem Element. Gespielt nach Lösungen suchend, plapperte ich leise vor mich hin. Ich drehte das Blatt da rum, schob es wieder zurück und kämpfte hier und da mit dem Lineal, fluchte, überlegte, sinnierte… Seine Aufmerksamkeit war mir gewiss. „Ein neues Projekt?“ Es lag viel Neugierde in seiner Stimme. Wie bei einem Kind, das ein neues Spielzeug zu Weihnachten erhalten hatte, aber noch nicht wirklich wusste, wie es funktionierte. „Nicht wirklich.“ „Was ist es?“ Ohne ihn direkt anzuschauen, konnte ich erkennen, wie er sich grade aufsetzte, versuchte, mehr davon zu erkennen, was auf dem großen Stück Papier vor sich ging. „Scheiße ist es.“ Ich schmiss mich nach hinten in das Sofa und ließ den Stift mit ein wenig zu viel Kraft auf den Tisch fallen. Er hüpfte davon und ging zu Boden. Ich rieb mir mit den Händen über die Augen, gab mich genervt. „Kann ich mal sehen?“ Ich war froh, meine Hände immer noch auf meinem Gesicht zu haben, denn unter ihnen konnte ich das kleine Lächeln auf meinen Lippen wunderbar verbergen. Ich schüttelte es ab und spielte weiter meine Rolle. „Ach, ist schon ok“, fing ich an, meine Utensilien wieder zusammen zu scharen. „Ich werde mich einfach am Wochenende ran setzten, dann fällt mir schon was ein.“ Dass dieses Projekt überhaupt nicht zu meiner Arbeit gehörte, verschwieg ich mal eben. Es handelte sich dabei um eine Aufgabe, die wir damals auf dem College aufbekommen hatten. Innenarchitektur. Ich hatte es nie fertig gemacht, weil ich kurz nach Beginn den Kurs wechselte. „Zeig doch mal her“, bat er, als ich am Bett vorbei ging. „Sicher?“ „Klar.“ Er strich seine Decke soweit es ging glatt und streckte seine Hand nach dem Papier aus. Ich trat heran und reichte es ihm. Schon ihm dabei zuzusehen, wie er es voller Ungeduld auseinanderfaltete, war das ganze Schauspiel wert gewesen. „Was ist das?“ „Ein alter Wasserturm.“ „Ein Wasserturm?“ Er war irritiert. Schnell legte ich mir eine gute Geschichte zurecht. „Ein Freund des Büros hat ihn sich gekauft“, fing ich an. „Wer kauft sich denn einen Wasserturm?“ Seine Augen huschten weiterhin darüber. „Er. Und unsere Aufgabe ist es, ihn bewohnbar zu machen. So richtig mit allem drum und dran.“ Denn genau dies war die Aufgabe gewesen: Richtet den Wasserturm ein. „Der Durchmesser liegt bei fünf Metern?“ „Ja… aber hier…“ Ich beugte mich zu ihm, automatisch rutschte er ein wenig zur Seite, um mir Platz auf dem Bett zu geben, und wie von selbst setze ich mich auf die freigewordene Stelle, war ihm nahe. „… sieht du? Die Treppe windet sich durch den ganzen Wasserturm und nimmt im Durchmesser noch einmal 1,2 Meter weg.“ Mein Finger glitt über das Papier. „Vier Ebenen…“, sprach er mehr zu sich selbst. „Ich dachte, man könnte hier die Küche einrichten, weil die Decke so schön hoch ist. Stahlseile, mit denen man ein gerades Brett… hier längs… fixiert-“ „Für Hängeschränke“, verstand er. „Ja, was anderes ist mir nicht eingefallen. Oder wie würdest du eckige Schränke an einer runden Wand befestigen?“ „Nein, nein, es ist eine tolle Idee. Aber du solltest es besser hier rüber ziehen…“ Er fixierte das Lineal auf dem Grundriss und bot mir somit seine Gedanken an. „Du hast Recht.“ Er lächelte leicht. Nachdem gut zwei Stunden vergangen und drei der Ebenen so gut wie fertig eingerichtet schienen, machten wir eine kurze Pause. Ich wärmte das Essen auf, das er zuvor nicht anrühren wollte, und schaute ihm dabei zu, wie er aß und gleichzeitig mit den Augen weiter über das Projekt huschte. Irgendwann fiel mir das lose Stück Kruste an seiner Wange auf. Meine Hand schnellte vor und sein Kopf, sobald er dies bemerkt hatte, ein Stück zurück. „Entschuldige, da ist…“ Wie konnte mir nur so ein Fehler passieren? Gerade jetzt, als es so gut lief. „Was ist da?“ Er versuchte es selber zu erkennen und stierte mich fragend an. „Darf ich?“, erhob ich abermals meine Hand, die ich zuvor natürlich in Windeseile wieder zurückgezogen hatte. Prüfend war sein Blick. „Ok.“ „Ja?“ „Nun mach schon“, schien er ungeduldig zu werden, nicht wissend, auf was ich eigentlich zielte. Vielleicht dachte er an ein Tier, eine Spinne oder ein Haar, das irgendwo verwachsen war. Ich rutsche ein wenig vor und ich fragte mich, ob ich überhaupt in der Lage wäre, mich auf den zirka zentimetergroßen Punkt zu konzentrieren. Würde meine Hand vielleicht zu zittern anfangen? Würde ich ihm wehtun, es unangenehm sein? Meine Hand legte sich fest auf sein Gesicht, stützte die zwei Finger ab, die sich langsam vorwagten, bis sie das Gemisch aus abgestorbenen Blut und einigen Hautzellen zwischen sich fühlten. Ich blickte ihm kurz in die Augen, wieder zurück und behutsam ließ ich meine Finger zurückgehen. Millimeter um Millimeter entfernte ich die Kruste von seiner Hautschicht, ich war mir sogar sicher, ein ganz leises Geräusch dabei wahrnehmen zu können. Irgendwann hatte ich zentimeterweise von ihr entfernt, bis ich an einen festen Teil kam und es gut sein ließ. Die halbe Wange erstrahlte nun in einem Gemisch von leicht rosa und weiß. So, als würde er unter einer extrem blassen Haut leiden, die einen leichten Sonnenbrand bekommen hatte. Im Gegensatz zu seiner restlichen Haut war der Unterschied ziemlich hervorstechend. Ich konnte nicht anders, als ihn dort mit meinen Fingerspitzen zu berühren. „Du tust es schon wieder“, drang seine Stimme in meinen Kopf. „Ich weiß…“ Meine Finger glitten weiter zu seinem Ohr, seinem Nacken. „… ich kann nicht anders.“ Ich sah ihn an und in mir drin barst irgendetwas auf. Etwas, das Nähe verlangte, das sich nach Zärtlichkeit sehnte. „Findest du es denn gar nicht schön, wenn ich dich berühre?“ Ich spürte ein bekanntes Kribbeln in meiner Nase, Tränen würden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Innerlich wies ich mich an, wenigstens so lange zu warten, bis er seinen Kopf wieder einmal angewidert von mir abgewandt hatte, doch dieses Mal passierte etwas ganz Neues. Seine Hand legte sich über meine und drückte sie näher an seine Haut. Er schaute mich immer noch an, wenn sein Blick auch nicht gerade aufschlussreich war. „Doch…“, kam es leise über seine Lippen. „Das Problem ist nur...“, fuhr er fort und hielt meine Hand noch ein wenig fester. „… dass es für dich wahrscheinlich etwas anderes bedeutet als für mich.“ Seine Hand glitt wieder hinab. ~ * ~ Wie ich den Mittwoch überlebte, weiß ich nicht mehr so ganz genau. Ich könnte es nicht einmal mit “einerseits“ oder “irgendwie“ beschreiben, es war einfach nicht möglich. Es fühlte sich an, als wäre mein Gehirn von einem dichten Nebel umgeben, in dem ich nur kraftlos herumirrte. Ein wenig Konversation durchbrach den Tag, doch stimmte sie mich nicht glücklich. Wenn ich ihn berührte, um ihn aus dem Bett zu helfen oder wieder hinein, kam ich mir dabei ziemlich heuchlerisch vor. Keine Ahnung wieso, ich versuchte so wenig Körperkontakt wie möglich entstehen zu lassen. Ich war an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Am Donnerstag fuhren wir ins Krankenhaus. Die Röntgenaufnahmen sahen gut aus, er wurde operiert. Er bekam ein Zimmer zugewiesen und ich räumte seine Wäsche in den Schrank ein. Als ich damit fertig war, erörterte er mir, dass ich nicht bleiben bräuchte. Ich solle mir mal ein paar Tage für mich nehmen, waren seine Worte. Er würde anrufen, wenn sich was ergäbe oder er etwas bräuchte. Ich sagte ihm, dass ich ihn lieben würde und küsste ihn auf die Stirn. Dann ging ich. Part 10 – Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)