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Bis(s) zum Ende der Ewigkeit

Meine Fortsetzung zur Bis(s)-Reihe
von

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Unvorhersehbare Begegnung

Autor: littleblaze

E-Mail: little_blaze_2000@yahoo.de
 

Disclaimer: Alle Rechte an den Bis(s)-Charakteren gehen auf das Konto von Stephenie Meyer und ich selber verdiene keinen einzigen Cent mit meiner Story.
 

Neue Charaktere, die Storyline, selbsterstellte sowie editierte Bilder und sämtliche, für die Story erstellten Extras gehören mir und dürfen nicht ohne meine vorherige Zusage auf anderen Seiten, Portalen oder Foren gepostet werden.
 

Kapitel 12 - Unvorhersehbare Begegnung
 

„Was hast du getan?“

Eine halbe Sekunde lang versuchte ich genau auf diese Frage eine Antwort zu finden, doch dann lenkten mich unnatürliche Geräusche im Gebäude davon ab. Es waren keine normalen Schritte, dafür waren sie zu schnell und berührten zu selten den steinernen Boden, und in dem Augenblick, in dem ich mir ihrer Herkunft bewusst wurde, stoppten sie auch schon in dem großen Durchgang zwischen Flur und Cafeteria; drei dunkle Augenpaare schauten mich bestürzt an.

Ich ließ meinen Blick zwischen ihnen und dem reglosen Körper am Boden wechseln. Jasper schaute sich gewissenhaft um, witterte in der Luft, in ihm war der Beschützer erwacht; die Familie musste vor allem unentdeckt bleiben.

Als er sich einigermaßen sicher zu fühlen schien, betrat er als erstes den Saal und ließ sich durch fesselnde Geschwindigkeit schnell an Kajika leblosen Körper gleiten. Ich schaute nicht hin, als er anfing, ihn nach äußerlichen Verletzungen zu untersuchen, mein Augenmerk hatte sich an Edward gewandt; war er enttäuscht von mir?

Ich hatte Kajika nicht gebissen, aber ich war mir durchaus bewusst darüber, dass zu diesem Schritt nicht viel gefehlt hatte. Ich hätte uns alle in Gefahr bringen können, auch darüber war ich mir die ganze Zeit über bewusst gewesen, doch irgendwie war der Zwang, dies zu vermeiden, für einen Moment sehr weit in den Hintergrund gerutscht. Doch vielleicht hatte ich das ja auch jetzt schon getan… uns alle in Gefahr gebracht…

Ich versuchte einen Ansatz zu finden, um mich für mein Verhalten zu rechtfertigen, obwohl es doch eigentlich gar keine Rechtfertigung dafür gab. Nicht einmal das erste Wort einer Entschuldigung konnte ich hervorbringen, ehe Edward auch schon bei mir war und mich fest mit seinen Armen umschloss.

„Schon gut!“, beruhigte er mich.

Seine Geste war liebevoll, fürsorglich und meiner Meinung nach völlig unangebracht; nicht mir sollte gerade auch nur das kleinste Fünkchen Sorge gelten.

„Sie hat ihn nicht gebissen“, drang Jaspers sachliche Stimme zu uns herüber.

Nun hätte ich Jasper gerne angesehen. War er von mir enttäuscht? Wie ging es Kajika? Doch ich war weiterhin dem Eingang zugewandt, an welchem Alice immer noch stand. Ihr Kopf war leicht gesenkt und sie schien starr vor sich hinzuschauen, wahrscheinlich versuchte sie zu erfahren, was mein Verhalten für Auswirkungen haben würde.

„Das weiß ich auch“, war Edwards bissige Antwort auf Jaspers Feststellung. „Oder riechst du hier irgendwo Blut?“

Edward drückte mich noch fester an sich und streichelte beruhigend über meinen Kopf, als wäre ich ein kleines Kind, welches gerade dem heranpreschenden Auto entkommen war. Warum keifte er jetzt Jasper an, dieser konnte nichts für die Situation…

Ich drückte mich aus Edwards Umarmung, synchron trafen uns Alices Worte von der Tür her:

„Wir müssen hier weg!“

Mich gerade ein wenig befreit, wurde ich schon wieder gefangen genommen. Schneller als ich gucken konnte, war ich zusammen mit Alice, Jasper und Edward am Eingang zur Cafeteria.

„Nein!“, schrie ich gedämpft auf, als mir klar wurde, was als nächstes folgen würde. „Wir können ihn doch nicht einfach hier liegen lassen.“

Ich wand mich an Alice, von ihr würde ich garantiert den erhofften Zuspruch erhalten.

Nach kurzem Schließen der Augen, schaute sie mich wieder an.

„Es geht ihm gut“, sprach sie erleichternd und legte ihre Hand sanft auf meinen Rücken. „Er wird in einer knappen Stunde wieder wohlauf sein, es wird ihm nichts fehlen.“ Sie lächelte mich kurz an, bevor ihr Blick Edward traf. „Aber es wäre wirklich von Vorteil, ihn ins Krankenzimmer zu bringen. Sein Auffinden hier würde nur zu Fragen tendieren.“

Edward schien ein wenig skeptisch, ob Alice wirklich der Überzeugung war oder es nur sagte, um mir einen Freundschaftsdienst zu erweisen. Doch wie dem auch sei, war an ihrer Logik etwas Wahres dran. Jasper glitt ohne auf Edwards Billigung zu warten zurück in den Saal und stand im nächsten Augenblick mit Kajika auf seinen Armen wieder neben uns.

Auf den Weg ins Krankenzimmer ließen wir uns nichts anmerken, liefen in menschlichem Tempo durch die Gänge. Es würde zunächst für keinerlei Aufsehen beitragen, wenn wir behaupteten, Kajika wäre gestürzt und danach einfach ohnmächtig liegen geblieben. Dass Kajika sich laut Alices Aussage an alles Geschehene erinnern würde, war ein ganz anderer Punkt, um den man sich zu gegebener Zeit Sorgen machen musste.

Natürlich hatte er nicht angenommen, dass er mir als Nahrung dienen sollte, aber mein ganzes Verhalten musste ihm schon recht komisch vorgekommen sein und ich konnte mich darüber hinaus noch gut erinnern, wie gefesselt er mir in die Augen geblickt hatte.

Alice Rezept war eine schnelle, nichtssagende Kommunikation, gespickt mit einer kleinen Entschuldigung nachdem er wieder bei Bewusstsein war, alles andere könnten wir dann morgen regeln; ein paar Kontaktlinsen, eine verstörte Geschichte darüber, dass ich es in meiner Kindheit nicht leicht und sein Vorgehen mir Angst eingejagt hatte, und schon könnten wir alle wieder zum normalen Tagesverlauf übergehen. Doch irgendetwas in mir zweifelte noch daran, dass es wirklich so einfach sein würde.

„Willst du denn gar nicht wissen, was passiert ist?“

Ich stoppte Edward nachdem wir die Hälfte des Weges hinter uns gebracht hatten. Sein Arm lag noch immer fürsorglich über meiner Schulter, darunter fühlte ich mich steif wie ein Brett.

„Alice hat es mir gezeigt.“

„Ach so…“

„Es war nicht deine Schuld.“

Er lächelte.

„Nicht? Wessen dann?“

„Du weißt, wie ich es meine.“

Jasper und Alice warteten an der nächsten Ecke auf uns.

„Ja, aber es war trotzdem meine Schuld.“ Ich ließ seinen Arm von mir gleiten. Am liebsten hätte ich meine Gefühle mit einer gewaltigen Stimmlage zum Ausdruck gebracht, doch ich musste leise sprechen, um nicht die Aufmerksamkeit der gesamten Schule auf uns zu lenken „Ich hätte es besser wissen sollen, ich hätte sagen sollen, dass mich der Hunger langsam überwältigt. Sieh nur was passiert ist, was wenn-“

Seine Lippen stoppten meine Worte.

Er versuchte nicht romantisch und leidenschaftlich zu sein, er wollte mich einfach nur zur Ruhe bringen und dies war wahrscheinlich die einfachste Möglichkeit, die ihm eingefallen war.

Seine Finger legten sich auf meine Wangen und erst als er sicher war, dass ich inne halten würde, ließ sein Mund wieder von meinem ab.

„Es war ein Fehler.“ Er schaute mir schwer in die Augen, am liebsten hätte ich mich weg gedreht. Wie konnte er es nur als einfachen Fehler ansehen, immerhin hätte ich einen Menschen töten können. Einen Menschen, der mir darüber hinaus noch irgendwie nahe stand… Hätte ich mir jemals selber verzeihen können?

„Er ist nun mal passiert“, lenkte er abermals in meine Gedanken ein. „Und du kannst ihn nicht ungeschehen machen, aber… in Zukunft wirst du vorsichtiger sein, deine Grenzen besser einschätzen. Wir alle mussten lernen.“

„Aber wenn…“

Mir fiel nichts gutes ein, um ihn doch noch von meiner Schuld zu überzeugen, also durchforstete ich jeden Millimeter seines wunderbaren Gesichtes und konnte zu meiner Missgunst nur Schönes darin sehen. Ich hoffte immer noch, eine kleine Spur von Verärgerung darin auszumachen. Bei Alice oder Jasper wäre er bestimmt nicht so verständnisvoll gewesen. Ihnen hätte er die Hölle heiß gemacht, wenn sie so ausgerutscht wären.

„Wenn etwas passiert wäre, hätten wir eine Lösung finden müssen, aber es ist nichts passiert, also ordnen wir es einfach unter „Lektionen fürs Leben“ ein und sind froh darüber, dass alles noch einmal gut gegangen ist, einverstanden?“

Er kam mir nah. Ich rechnete mit einem Kuss, spitzte schon automatisch die Lippen, doch es war nur seine Nase, die leicht gegen meine eigene stupste. Er lächelte das Lächeln, welches ich so sehr an ihm liebte.
 

Am Krankenzimmer angekommen, zögerte Alice plötzlich.

„Jasper und ich gehen jetzt besser, ein Mädchen aus unserer Klasse ist gerade hier. Es wäre nicht gut, wenn sie uns sehen würde.“

Jasper übergab Edward den schlaffen Körper aus seinen Armen und ich vernahm aus dem noch geschlossenen Raum einen Geruch, der mir nicht unbekannt war: Alyssa.

Ich hatte schon so oft nach ihrem Geruch gesucht, dass er mir mittlerweile ziemlich bekannt war. Kurz konzentrierte ich mich auf das Gespräch zwischen ihr und der Krankenschwester; es ging um den Ball zum Valentinstag. Die Krankenschwester fragte sie gerade, ob sie schon ein Date dafür hätte… Alyssas Antwort darauf was ein klares „Nein!“.

Als wir die Räumlichkeiten betraten, wurde es sofort still. Aber nur einen kleinen Augenblick lang blieb es bei dieser angenehmen Ruhe, in der nur die seichten Herzschläge der Menschen um uns herum zu hören waren.

„Was ist passiert?“, fragte die Krankenschwester meinen Mann.

Dieser erklärte kurz, dass Kajika gestürzt sei und nicht wieder zur Besinnung gekommen war, ich hielt mich diskret zurück. Die Schwester wies auf ein freies Bett, auf das Edward den leblosen Körper legte und sofort begann sie mit ihrer Untersuchung.

Während sich Edward ein wenig zurückzog und meine Besorgnis trotz Alices Wissen der Diagnose galt, wurde der Geruch von Alyssa immer intensiver; ich bemerkte noch das schüchterne Lächeln, welches sie Edward schenkte, dann blieb sie neben mir stehen. Nur kurz wechselte ich von Kajikas auf ihr Gesicht, konnte aber sofort erkennen, dass wir etwas teilten: Sie war besorgt.
 

Nachdem Edward ebenfalls gegangen war, es wäre für die Konfrontation mit Kajika bestimmt besser so, hatte Alice zuvor gemeint, und die Schwester ihre Untersuchung zur Zufriedenheit abgeschlossen hatte, standen Alyssa und ich an Kajikas Bett und warteten darauf, dass er wieder zu sich kam; mit dem einen Unterschied natürlich, dass ich wusste, dass dies in ungefähr 27 Minuten der Fall sein würde.

Die Schwester telefonierte gerade mit dem Direktor. Ich lauschte, hörte die Fragen heraus und die Erleichterung in seiner Stimme, als ihm versichert wurde, dass es anscheinend keinen Grund zur Befürchtung gab. Sie beendete das Gespräch mit den Worten, dass sie sich melden würde, wenn Kajika zu sich kommen würde.

„Alles in Ordnung bei euch?“, trat sie kurze Zeit später zu uns heran.

„Ja“, antwortete Alyssa. „Bis jetzt keine Veränderung.“ Sie schenkte dem Gerät, auf dem der gemächliche Herzschlag von Kajika abzulesen war, kurz ihre Aufmerksamkeit, ich verließ mich da eher auf mein Gehör.

„Also… ich könnt jetzt ruhig wieder in eure Klassen gehen. Ihr werdet doch bestimmt schon vermisst und hier wird wohl nichts passieren, was eure Anwesenheit benötigt.“

Sie lächelte leicht. Erst jetzt entdeckte ich das in schöner Schrift geschriebene „Cathy“ auf dem Namensschildchen an ihrem Kittel.

„Ich möchte aber gerne bleiben“, kam mir Alyssa zum zweiten Mal zuvor.

„Ich auch“, schloss ich mich ihr schnell an.

Die Schwester zögerte, es uns dann aber, ehe sie sich an ihren Schreibtisch zurückzog. Alyssa starrte Cathy nach, ich schaute Alyssa an. Der Geruch von Salbe und sterilem Verband war immer noch vorhanden.

„Warum bist du eigentlich hier?“

Ein weiterer kranker Mensch, dem meine Sorge galt. War ihr Bein vielleicht schlimmer geworden, eine Entzündung der Wunde? Riechen konnte ich allerdings nichts der gleichen.

„Verbandswechsel“, drehte sie sich mir zu, während ich mich ein wenig wand und den Blick auf Kajika legte. „Die Schule übernimmt ja die Behandlungskosten und ich komme ihnen da gerne etwas entgegen, indem ich mir hier die Verbände machen lasse, statt ins Krankenhaus zu gehen.“

Ein weiterer positiver Charakterzug.

„Wie geht es dir denn… ich meine…?“

„Gut! Danke, dass du fragst, die Wunde verheilt wirklich sehr schnell.“

Ihr Lächeln war so klar, dass ich mir wirklich vorstellen konnte, dass sie sich über mein Interesse freute. Gestern erst hatte ich mit angehört, dass sie sich eigentlich als Cheerleader bewerben wollte, was durch den blöden Zwischenfall nun fürs erste gestorben war… War sie denn wirklich kein bisschen nachtragend?

„Du hast einen echt süßen Bruder“, holte sie mich zurück aus meiner Gedankenwelt.

„Ähm, ja…“, war meine knappe Antwort darauf und ich musste sofort an das schüchterne Lächeln denken, welches sie Edward geschenkt hatte.

„Versteh mich nicht falsch“, winkte sie aber sofort ab. „Ich hab kein Interesse oder so an ihm, aber er hat durchaus was…“ Sie beugte sich zu mir hinüber. „… etwas Geheimnisvolles, verstehst du?“ Sie zwinkerte mir zu.

„Ja… ja, ich versteh, was du meinst.“

Ich grinste.

Diesen Punkt abzustreiten wäre totaler Schwachsinn gewesen, immerhin wusste ich am besten, wie Edward auf andere wirkte, und dass er ohne jeden Zweifel, etwas zu verbergen hatte. Es versuchen, von ihm zu schieben, hätte alles nur noch mysteriöser gemacht.

„Aber Jasper übertrifft ihn da noch bei weitem“, kam sie noch etwas näher. „Ich sitz genau vor ihm in der Klasse, und, mein Gott, ich habe immer die Vermutung, dass ich jeden Moment ein Messer im Rücken spüren würde.“ Sie lachte leise auf. „Ich glaube, ich habe ihn noch nie sprechen hören.“

Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und schien über ihre Aussage nachzudenken.

„Es ist ein wenig schwer für ihn.“

„Kann ich verstehen… es war bestimmt für euch alle nicht einfach.“

Ihr Blick wies plötzlich Mitleid auf, denn sie dachte wie jeder andere in dieser Stadt, dass wir unsere Eltern verloren hatten und adoptiert seien. Eine traurige Kindheit, vielleicht sogar von Vernachlässigung oder weitaus Schlimmerem gekrönt. Sie durfte und konnte nicht wissen, dass dies alles nur Fassade war, doch zum ersten Mal verspürte ich ein schier unvergleichliches Verlangen, jemand Außenstehendem die Wahrheit zu erzählen.

Wir schwiegen einige Minuten. Sie wollte wahrscheinlich aus Höflichkeit nicht weiter nachfragen und ich garantiert nicht ohne triftigen Grund irgendwelche Lügen hervor holen.

Alyssas Blick haftete nun wieder auf dem Jungen vor uns, meiner streifte neugierig im Zimmer umher.

Es war eine ziemlich farbenfrohe Ansammlung von sechs kleinen Räumen. Das typische krankenweiß war hier nur an einigen Stellen auszumachen, meist wurde es von farbenfrohen Bildern, Zeichnungen und bunter Bettwäsche verdrängt. Erst bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass die Werke, die um genau dieses Bett herum angelegt waren, alle von ein und derselben Person stammten.

Es waren ausdrucksstarke Formen und Farben, die aber keiner wirklichen Ordnung dienten, obwohl sie trotzdem etwas hatten, was sie alle miteinander verband.

„Die sind wirklich schön.“

Ich wies mit dem Kopf in Richtung Wand und erfasste damit Alyssas Aufmerksamkeit.

„Ja.“ Sie lächelte. „Früher hat er noch ziemlich viel gemalt.“

Früher?

Alyssa stand auf und näherte sich dem leicht gebräunten Gesicht mit dem dunklen Haar. Ihre Finger legten sich zaghaft auf Kajikas Gesicht, doch es schien ihr eine durchaus bekannte Berührung zu sein. Besinnlich glitt sie über Wange und Stirn.

„Abgesehen von der Musik, war es das Wichtigste für ihn.“

Ihr Blick veränderte sich, doch ich konnte nicht wirklich die Richtung bestimmen. Sie beugte sich hinunter an sein Ohr und flüsterte hinein… eigentlich hätte ich es gar nicht hören dürfen:

„Nicht wahr, Kiki? Musik und deine Bilder, sie sind dir so wichtig gewesen…“

Sie drückte ihre Wange leicht gegen seine, auch diese Berührung schien ihr ziemlich vertraut zu sein. Ich konnte nicht anders, als sie die wenigen Sekunden, in welcher sie den Kontakt aufrecht hielt, perplex zu beobachten.

Mit einem maroden Ausdruck erhob sie sich wieder und schaute mich an. Ich wollte fragen, wie lange sie ihn schon kannte, was sie über ihn, seine Krankheit wusste, denn ich hatte plötzlich das Gefühl, dass sie mehr als jeder andere Schüler dieser Schule wusste, doch sie ließ mir keine Zeit dazu.

„Ich werde dann mal wieder gehen… wir sehen uns.“

Sie verließ fiel zu eifrig das Zimmer, ihr hörte das leise Zischen, welches durch das zu schnellen Auftreten schmerzvoll über ihre Lippen glitt.

Was war zwischen ihr und Kajika vorgefallen?

Ihre Besorgnis, Fürsorge und die Vertrautheit, die sie gerade an den Tag gelegt hatte; wie gut kannten sie sich wirklich?
 

Natürlich schenkten mir die nächsten 14 Minuten keinerlei Antworten, obwohl ich genügend Zeit dazu hatte, meine Erinnerungen zu durchforsten, doch nirgends sah ich ein Anzeichen von Zugehörigkeit zwischen ihnen. Entweder war ich nie am richtigen Ort gewesen, um diese zu bemerken, oder es musste etwas vorgefallen sein, was Beide so entzweit hatte, dass ein Miteinander in ihren Augen nun unmöglich schien.

Der fatale Donnerstag kam mir wieder ins Gedächtnis, die Verletzung von Alyssa, und dass Kajika an meiner Seite gewesen war und nicht an der ihren…

Konnte es wirklich so schlimm sein?

Ich ließ mich noch einmal von den Bildern in den Bann ziehen und trat näher an die Wand heran. Ich dachte an die wunderbaren Charaktereigenschaften, welche den Jungen neben mir ausmachten, und an Alyssa, die wahrscheinlich niemandem lange böse sein konnte. Was musste geschehen sein, damit diese beiden wunderbaren Menschen es nicht mehr schafften, sich zu verstehen?

Wenigstens Alyssa schien doch immer noch viel für Kajika zu empfinden.

Ich atmete noch einmal tief ein, bevor ich den Blick drehte und senkte, es war soweit. Kajikas Lider flatterten leicht, sein entspannter Gesichtsausdruck nahm etwas Schmerzvolles an. Ich wartete ungeduldig, bis er zum ersten Mal blinzelte, mich ansah, die Augen aber gleich wieder schloss.

„Krankenstation?“

„Ja.“

Postwendend trafen mich Alices Worte: „Eine schnelle, nichtssagende Kommunikation, gespickt mit einer kleinen Entschuldigung.“

Ich seufzte hörbar.

„Ich muss ganz schön was abgekriegt haben.“

Seine Augen waren immer noch geschlossen, jedoch suchte seine Hand den Weg zu seinem Kopf. Kurz davor stoppte er allerdings.

„Blute ich?“

Hätte er den Tag unter diesem Umstand wohl überlebt?

„Nein, alles soweit in Ordnung mit dir.“

„Bist du sicher?“ Er blinzelte erneut, schaffte es dieses Mal einen längeren Augenkontakt, den auch ich nicht abbrach, aufrecht zu erhalten. „Mein Verstand sagt mir nämlich, dass ich durch die halbe Cafeteria geflogen bin.“

Sein Mund verzog sich zu einem gequälten Lächeln. Seine Hand drückte sich gegen seinen Hinterkopf und er sog schmerzvoll die Luft ein.

„Du bist gestolpert und dann nach hinten auf den Boden gefallen.“

Einfach und glaubwürdig!

Schnell und nichtssagend... eine kleine Entschuldigung.

„Es tut mir leid, was passiert ist.“

Und jetzt nur noch den schuldvollen, schnellen Abgang.

„Was ist denn überhaupt los gewesen? Ich meine, bevor ich gestürzt bin?“

Abgang… Abgang…

„Ich meine, deinen Auftritt, in dem du mich packst und an dich ziehst, bevor ich dann, meinem Verstand nach, durch den halben Saal geflogen bin.“

Er versuchte, sich etwas aufzurichten.

„Ich denke, du solltest flach liegen bleiben, bis sich dein Blutdruck normalisiert hat.“

„Mit meinem Blutdruck ist alles bestens“, schaffte er es schließlich, sich etwas höher zu bugsieren. „Also?“

„Ich war irgendwie erschrocken, denke ich.“

Ich fummelte ein wenig gespielt an meinen Finger herum, setzte Zeichen von Nervosität.

„Da warst du ehrlich gesagt nicht alleine mit. Ich meine, ich hätte nicht gedacht, dass du mich…“

…ermorden würdest… genüsslich dein Blut aussaugen?

„… küssen wolltest.“

„Hä?“

Ich weiß nicht, ob mir buchstäblich die Kinnlade runter gefallen war, aber meine Mimik musste ihm wohl sofort verraten haben, dass etwas nicht stimmte.

„Oder etwa nicht? Aber was-“

„Es, es tut mir leid“, unterbrach ich ihn. „Aber ich kann das jetzt einfach nicht...“ Und ehrlich gesagt, hatte ich auch keine Vorstellung davon, wie ich darauf reagieren sollte. „Ich gehe jetzt besser und wir reden morgen noch mal, ok?“

Mein Abgang war schon lange überfällig.

Als Antwort von ihm ließ ich es abermals zu, dass er nach meinem Handgelenk griff. Es war verrückt, doch langsam erkannte ich die wohlige Wärme, die durch meinen Ärmel drang, als die seine an, es war fast schon wie sein ganz eigener Geruch.

„Ich bin dir nicht böse.“

Seine Stimme war kräftig und klar und ich konnte mir gut genug seinen Blick vorstellen, den er mit seinen Worten verband, jedoch erlaubte ich mir nicht, mich umzudrehen und ihn anzuschauen.

Ich vermittele den Wunsch, aus diesem Raum zu entkommen, damit, dass ich mich weiter der Tür entgegen lehnte und schon nach wenigen Sekunden ließ die weiche Berührung nach und er gab mich frei. Ich ging ohne ein weiteres Wort zu sagen hinaus.
 

Der letzten Schulstunde trotzte ich mit Herumlungern auf dem Parkplatz. Mir war so gar nicht danach, mich in ein Klassenzimmer zu setzen und auf unmenschliche Art, Edward über die Vorkommnisse zu informieren. Am liebsten hätte ich das Gespräch mit Kajika schon hinter mich gebracht, ihn von seinem Irrtum überzeugt, mir angehört, was er zu sagen hatte und seine eventuellen Vermutungen ins Lächerliche gezogen, doch Alice hatte Recht. Es war einfach zu gefährlich.

Nicht nur, weil ich gerade ohne Kontaktlinsen ausgestattet war und damit einen vielleicht wichtigen Punkt nicht abmildern konnte, sondern auch, weil keiner von uns genau wusste, wie ich mich in hungerndem Zustand verhalten könnte, wenn ich in eine streitähnliche Situation kommen würde. Vielleicht würde ich mich nicht noch einmal zurückhalten können?

Also hatte ich ungeduldig auf den Parkplatz gewartet, bis mir meine Familie gegenüberstand und ich zu Edwards Verwunderung darum bat, mit Alice fahren zu dürfen. Alice und Jasper hatten es wohl schon vorher gewusst, denn sie stand neben mir und Jasper lehnte geschmeidig an Edwards Beifahrerseite.

Für den Moment war es mir egal, ob Edward eventuell seine Fühler ausstrecken würde, um zu erfahren, was in dem gelben Wagen hinter ihm vorging, ich wollte einfach gerade wissen:

„Kannst du Kajika eigentlich richtig sehen oder hast du auch Probleme bei ihm?“

„Keine Probleme“, war ihre schlichte Antwort darauf, während sie den Wagen von 50 auf 70 Meilen beschleunigte.

„Aber warum hast du es dann nicht vorher gesehen?“

Ich beugte mich aus dem weichen Ledersitz nach vorn und zog die kleine, bläuliche Gummiechse von der Frontscheibe. Meine Finger brauchten einfach irgendetwas, mit dem sie sich beschäftigen konnten.

„Du müsstest doch langsam wissen, dass es nicht immer so einfach ist. Wenn Entscheidungen von außen hineinspielen, die noch nicht endgültig getroffen sind, sehe ich es erst, wenn die Entscheidung fällt. Seine ist nun einmal erst gefallen, als er dich gesehen hat, also nachdem er wieder bei Verstand war.“

Ich ließ mich genervt in den Sitz zurückfallen, natürlich hatte ich die Antwort auf meine Frage schon irgendwie vorher gewusst, die Echse landete mit gekonntem Wurf genau an der Stelle, wo sie zuvor gehangen hatte. Meinem Wunsch, wieder abzufallen, damit ich sie auffangen könnte, entsprach sie leider nicht.

„Was hast du noch gesehen, ich meine, was Kajika angeht?“

„Willst du etwas Bestimmtes wissen?“

„Nein, eigentlich nicht.“

In der Frage, was Kajika und Alyssa verband, konnten mir ihre Visionen sowieso nicht weiterhelfen, und abgesehen davon, war da immer noch das andere Problem, was uns nicht einmal genau wissen ließ, welchen Zeitraum ihre Vorhersagen überhaupt im Moment abdeckten.

„Wegen Morgen brauchst du dir keine Sorgen zu machen, es wird alles gut gehen.“ Sie lächelte mich ungeniert an. „Jedoch wirst du ihn nicht von der Annahme abbringen, dass du ihn küssen wolltest, wenn dir dafür nicht noch eine gute Ausrede einfällt.“

Sie zwinkerte und ihr Lächeln wurde breiter.

„Das fehlt mir jetzt auch noch.“

Ich starrte die Echse sehnsüchtig an, wäre sie noch zwischen meinen Finger, wäre sie wohl die längste Zeit an einem Stück geblieben. Wie sollte ich Kajika überzeugen, dass er in die total falsche Richtung dachte, ohne zu viel preiszugeben?
 

Als ich dem Wagen wieder entstieg und der Geruch von Wald und seinem erfrischendem Leben zu mir durchdrang, stand für mich nur noch ein Punkt im Vordergrund: Mein Speiseplan.

Um damit aber nicht noch mehr Probleme zu schaffen, musste ich zwangsläufig warten, bis sich die Nacht über die hohen Tannen gelegt hatte. Also verbrachte ich den Nachmittag mit allem Möglichen, um mich von meinem Hunger abzulenken.

Ich spielte mit Carlisle, der heute erst gegen Abend ins Krankenhaus musste, zwei Partien „Go“, einem chinesischem Brettspiel, von dem ich mir noch nicht wirklich sicher war, ob ich es mochte oder nicht. Es ließ einen einfach viel zu viel Zeit zum Nachdenken.

Mit Esme durchstöberte ich Carlisles Büchervorrat auf der Suche nach einem verschollenen Band einer Enzyklopädie und half ihr etwas später auch noch bei der Pflege des Gemüsegartens. Sie versuchte mich immer wieder aufzuheitern und garantierte mir, dass alles wieder in Ordnung kommen würde; sie war eben ganz und gar eine Mutter. Mehr als ich selber wahrscheinlich.

Alice zeigte mir, als die Sonne sich langsam von dannen machte, ihre riesige Sammlung von Kontaktlinsen. Es waren sogar welche mit kleinen Smileys darauf dabei. Sie hielt mir ein Paar nach dem anderen vor die Linse, um das bestmöglichste Schwarz herauszufiltern. Irgendwann entschieden wir uns aber dafür, dass es wohl doch sinnvoller wäre, erst eine Entscheidung zu treffen, wenn ich etwas getrunken hätte.

Ein wenig der Wut, welche ich gerade für mich selber empfand konnte ich bei einem kleinen Kampf mit Jasper hinauslassen, ferner hielt ich durch bis kurz nach Mitternacht. Ich wollte meine Tochter ins Bett bringen, bevor ich aufbräche.

„Ist alles in Ordnung, Momma?“

„Aber natürlich.“

Ein beruhigender Ausdruck verließ mein Gesicht. Natürlich konnte ich ihr immer wieder alles erklären und versuchen begreiflich zu machen, aber wenn ich selber doch schon nicht einmal diese Gier, Rausch, oder wie man es sonst nennen möge, verstand, wie sollte sie es dann erst?

Ich deckte Renesmee zu und reichte ihr das Pony vom Fußende des Bettes.

„Wie geht es denn Jacob, Schatz?“

Natürlich hatte ich Interesse an der Antwort, aber zum Großteil wollte ich einfach nur von meiner Person ablenken.

„Schon viel besser.“ Sofort wich der besorgte Blick und ein Strahlen setzte sich auf ihr Gesicht. „Er hat mich heute-“

Doch anstatt weiter zu erzählen, stoppte sie und zeigte mir ihre Worte. Die Wärme die mich durchdrang, als ihre Hand mein Gesicht berührte, fühlte sich friedlich und sanft an, und ich schloss die Augen, um ihrer Erzählung besser beiwohnen zu können.
 

Nachdem Renesmee endlich eingeschlafen war, gab es noch eine Kleinigkeit, die es zu überwinden galt, bevor ich mich auf den Weg machen konnte.

„Ich möchte aber nicht, dass du alleine gehst.“

Edward stand vor mir und versperrte mir den Weg nach draußen; als wäre es heute das erste Mal, dass wir über dieses Thema diskutierten.

„Es wird ihr nichts passieren“, kam Alice mir zur Hilfe.

„Sie bleibt doch in der Nähe“, steuerte Esme bei.

„Trotzdem würde ich dich lieber begleiten.“

Er griff nach meinen Händen und würdigte die zwei Frauen hinter mir keines Blickes. Jacob und Jasper hielten sich dezent im Hintergrund, sie hatten schon am frühen Abend aufgegeben, sich mit Edward über dieses Thema auseinander zusetzen.

„Bitte Edward, ich möchte gerne alleine gehen.“

„Aber es ist für mich ke-“

„Edward“, unterbrach ich ihn. „Nur dies eine Mal.“

Flehend war mein Blick.

Ich fand es sowieso nicht richtig, dass ich eine Ausnahme sein sollte, vor allen anderen mich würde nähren dürfen, da sollte man mir wenigsten nicht noch dabei zu sehen müssen.

„Du willst, dass ich esse, oder?“ Meine Stimme hatte sich ein wenig gehoben. „Entweder alleine oder gar nicht.“

Auf meine kleine Erpressung erntete ich von Jacob ein verkniffenes Lachen. „So ist sie nun mal, die gute alte Bella“, steuerte er bei.

Edward zischte leise in den hinteren Teil des Raumes, ließ dann aber zu meiner Verwunderung von mir ab. Um ehrlich zu sein hatte ich nicht mit einer so schnellen Aufgabe gerechnet.

„Sei vorsichtig!“

Er trat einen Schritt beiseite und schaute mich mit seinen schwarzen Augen eindringlich an. Selbst in der tiefsten Schwärze schienen sie es immer noch zu schaffen, sich einen Funken Glanz bewahren zu können.

„Versprochen“, hauchte ich ihm sanft auf die Lippen, bevor ich eilends aus dem Haus verschwand. Bei Edward durfte man kein Risiko eingehen, zu schnell, konnte er sich wieder anders entscheiden.

Ich rannte einige hundert Meter bevor ich schlagartig stehen blieb. Ich streifte mir die Schuhe von den Füßen und ließ den harten Boden eins mit mir werden. Ich sog feste die Luft ein, registrierte die einzelnen Tiere in der Umgebung. Schlafende, an die ich jedoch keinen weiteren Gedanken verschwendete, und die von der schleichenden, trügerischen Sorte, die nur darauf aus waren, die schlafenden in ihrem Ruhezustand zu überraschen. Für mich stand fest, es musste eines von der trügerischen Sorte sein, wenigstens ein wenig Spaß sollte mir diese Jagd doch bringen.

Ich lief wieder los und umso weiter ich in das Dickicht vordrang, umso weniger Gedanken an das, was ich hinter mir gelassen hatte, waren in mir vorhanden. Nur noch die Bäume, der Boden und der Trieb mich zu nähren waren nun von Bedeutung.

Einen großen Baum ließ ich in Windeseile unter mir, brach über die Wipfel hindurch und sog erneut alles um mich herum auf; Freiheit, so fühlte sie sich an. Ein wildes, unbändiges Gefühl, das sich im ganzen Körper niederließ und einen nur noch vorwärts drängte.

Ich witterte und spähte, bis ich schließlich meine Wahl traf.

Die spitzen Ohren, das rötliche Fell und die grazilen Bewegungen, als der Fuchs an Bäume und Sträucher vorbei schlich auf der Suche nach seiner Beute, nichts ahnend, dass er gerade ebenfalls dazu auserwählt worden war. Schnell überprüfe ich die Windrichtung, um mich ihm in einen geeigneten Winkel zu nähern. Geräuschlos verließ ich den Baum.

Ich stahl mich bis auf hundert Meter an mein Opfer heran, die Nähe gab mir weitere Details preis: Jung, ein Männchen, welches immer noch nicht erfolgreich auf seinem Beutezug war.

Endlich in Sichtweise, produzierte ich absichtlich ein Geräusch. Sofort schreckte das Tier auf, sah sich um, seine katzenähnlichen Augen suchten in der Dunkelheit umher, bis sie mich fanden. Ich tat einen weiteren, ausnahmsweise geräuschvollen Schritt, auf Grund dessen er sich in Bewegung setzte; die Jagd hatte begonnen.

Ich wollte diese eigentlich nicht zu schnell beenden, gleichzeitig musste ich aber darum fürchten, dass sich das flinke Geschöpf in seine unterirdische Höhle verschanzte. Ein Dreher nach links versperrte ihm den Weg, er floh in die andere Richtung. Mit gezieltem Sprung klammerte ich mich an die Äste eines Baumes, verfolgte ihn in höheren Lagen und verunsicherte ihn so mit meinem Vorgehen.

Er keuchte heftiger, sein Blut geriet immer mehr in Wallung und mein Appetit ließ es nicht länger zu, es weiter hinaus zu zögern. Ich attackierte ihn von der Luft her und presste den gerade mal sechs Kilogramm schweren Körper zu Boden. Sein Blut würde mich nicht lange sättigen, aber fürs erste musste es reichen.

Ich wich einer Pfote aus, die Krallen gingen nur Millimeter an meinem Gesicht vorbei, und ich zögerte nun nicht mehr länger, biss zu…

Das schmerzende Winseln ließ viel zu schnell nach, genauso wie es der brutal beschleunigte Herzschlag tat, der nun immer ruhiger ging. Ein Herz, welches sich angestrengt darum bemühte, noch etwas von der roten Flüssigkeit zu finden, dass es durch den Körper pumpen könnte, bis es sich schließlich ergab…
 

Zeitgleich mit dem Verlassen des Unterholz und Betreten der Wiese vor unserem Haus, erhob sich Edward von den Treppenstufen. Mit den Schuhen in der Hand winkte ich ihm zu und beschleunigte meinen Schritt. Wenn es nach mir ginge, würde ich nur noch Barfuss durch die Welt schreiten, ich liebte das Gefühl der Erde unter meinen nackten Füßen.

„Du hättest nicht hier draußen warten müssen“, tadelte meine Stimme ihn ein wenig und kurz kam mir der Gedanke, ob er mir vielleicht doch gefolgt war und ich es nur nicht mitbekommen hatte.

Er schnupperte an mir.

„Ein Fuchs?“

„Ja, kleine wendige Biester.“

Er grinste und zog mich in eine feste Umarmung.

Keine Zeit ließ er verstreichen, seine Zunge leckte begierig über meine Lippen und ich wusste sofort, dass nicht ich der Auslöser dieses Vorgehens war; der Geruch von Blut hatte ihn wahrlich bestärkt, sich mir zu nähern. Erneut fraß sich ein Stückchen schlechten Gewissens in mich hinein. Ich fragte mich, ob es eigentlich möglich war, dass sich ein Vampir von einem anderen ernährte?

Als es keine Blutreste mehr aufzulesen galt, wurde sein Verlangen leidenschaftlich, nun war er nicht mehr auf der Suche nach Nahrung, sondern nur noch daran gelegen, eine andere Lust zu stillen; eine Lust, die mich just in diesem Moment ebenfalls entflammte.

„Lass und nach oben gehen“, hauchte ich bestimmend gegen seine verlangenden Lippen.

Wir stießen gellend gegen die Tür und nahmen die Blicke der anderer nur schemenhaft wahr. Oben zog ich Edward in eine andere Richtung, als er einschlagen wollte, und wir betraten durch das leere Schlafzimmer das Badezimmer, welches wir mit Alice und Jasper teilten.

Schnell waren alle Türen verschlossen und das verlangende Wesen in meinem Mann drängte mich gegen die Wand in der Dusche. Meine Finger verkeilten sich mit dem Drehknopf und schraubten ihn auf, ließen heißes Wasser über uns laufen.

Unsere Kleidung sog sich rasch voll. Doch lange sollte sie eh nicht an unseren Körpern verweilen. Meine mit kleinen Bluttropfen benetzte Bluse landete als erstes auf dem hellen Boden, gefolgt von seinem Hemd und dem restlichen Stoffen, welche wir an den Leibern trugen.

Sein Mund presste sich gegen meine Brust, während seine Finger tiefer wanderten, mir ein beschwingtes Geräusch entlockten. Meine Hände stießen auf seine Schultern nieder, mein Becken drängte sich näher an seine Berührung heran und ich musste mich wieder einmal zügeln, ihn nicht zu verletzten, denn immer wieder verspürte ich den leidenschaftlichen Drang ihn zu beißen, meine Zähne in seine blasse Haut zu stoßen...
 

~ † ~
 

Nach einer Woche Stillstand erlaubte ich meinem eigenen Wagen endlich wieder einmal den Asphalt unter den Rädern zu spüren. Ich hatte mich dazu entschlossen, mit Kajika nach dem Unterricht zu sprechen, und so empfand ich es am Sinnvollsten, den eigenen Wagen zu nehmen, damit keiner genötigt werden würde, auf mich zu warten.

Der Schultag verging schnell und ohne weitere Vorkommnisse. Kajika war anwesend, wohlauf und abgesehen von den immer wiederkehrenden fragenden Blicken, von denen er wahrscheinlich annahm, dass ich sie nicht bemerken würde, verhielt er sich nicht anders als sonst.

Es war natürlich verständlich, dass er sich seine Gedanken über mein Verhalten machte, und ich wiederum machte sie mir, indem ich mich fragte, wie ich mich am besten aus der Situation raus befördern sollte.

Jaspers Ratschlag war diesbezüglich ganz einfach: Ihn glauben lassen, was er wollte, solange es von Vorteil für die Familie war.

Ich hingegen sah es aber ganz und gar nicht als Vorteil an, ihn mutmaßen zu lassen, dass ich auf einer anderen Ebene Interesse an ihm zeigte. Es würde alles nur komplizierter machen, also suchte ich nach einer Lösung, während ich gekonnt dem Unterricht folgte, Kajikas Blicken auswich und mich die Kontaktlinsen schier zur Weißglut brachten. Sie beeinträchtigten meine Sicht, ließen alles verschwommen wirken.

Im Sportunterricht streifte ich Kajika kurz und bat darum, nach dem Unterricht mit ihm sprechen zu können.
 

Wir trafen uns außerhalb der Sporthalle, Edward hatte sich schon auf den Heimweg gemacht. Wenigstens ging ich davon aus, doch, ehrlich gesagt, hätte ich mich nicht einmal gewundert, wenn er sich irgendwo auf die Lauer gelegt hätte und uns belauschen würde. Doch sein Geruch verblasste und in meinen oder Kajikas Kopf konnte er sowieso nicht vordringen.

Kajika führte mich zurück ins Schulgebäude und wir betraten unseren leeren Klassenraum. Zu gerne hätte ich nun gewusst, was in dem Jungen, der vor mir hergelaufen war, vorging oder was er dachte, das jetzt passieren würde. Machte er sich vielleicht Hoffungen?

Ich setzte mich auf die Kante meines Tisches, der Stuhl hätte mich nur klein und schutzlos wirken lassen. Kajika tat es mir gleich, lehnte sich an den Tisch mir gegenüber und schaute mich an, direkt in meine Augen, die heute genauso schwarz zu sein schienen, wie gestern. Er wusste nicht, dass unter ihnen ein leichter Karamellton die Oberhand gewonnen hatte und dass die schwarzen Linsen nur eine Täuschung für ihn waren.

„Da wären wir also“, grinste ich leicht.

Ich hatte immer noch keine wirkliche Ahnung, wie ich dieses Gespräch anfangen sollte, geschweige denn beenden, doch einfach so dazustehen und sich anzusehen machte das ganze irgendwie noch verrückter.

„Ja, und was nun?“

Man hätte seine Frage vielleicht als patzig interpretieren können, wenn man nicht den Blick dazu kannte. Dieser war freundlich wie immer und darüber hinaus einfach nur abwartend.

„Ich weiß nicht wirklich, aber du hast da wohl etwas missverstanden und dem wollte ich lieber schnell entgegenwirken, bevor…“

Ich stockte, da mir kein passendes Wort über die Lippen kommen wollte.

„Bevor was? Ich anfange, dich interessant zu finden?“

„Ähm, ja, wenn du es so ausdrücken magst.“

Ich versuchte, etwas anderes als sein Gesicht ausfindig zu machen, was ich ansehen konnte, traf dabei auf seine Hände. Sie lagen ruhig auf der Tischkante neben ihm.

„Bella…“

Ich hörte aus seiner Stimme sofort heraus, dass er mich jetzt gerne berühren würde. Es war fast dieselbe Tonlage, wenn auch nicht so schön und melodisch, die Edward immer setzte, bevor er mich berührte. „Wie könnte ich dich nicht interessant finden? Du bist ein außergewöhnliches Mädchen mit einer wunderschönen Stimme.“ Eine weitere weiche Veränderung in seiner Tonlage. „Ich finde es total süß, wie du an deinen Finger spielst oder dir immer wieder durch die Haare streifst, wenn dich etwas beschäftigt… Weißt du eigentlich, wie einnehmend du wirkst, wenn du gedanklich abschweifst?“

Ich schaute ihn wieder an und sein Lächeln strahlte Glaubwürdigkeit und Sanftheit aus und mein Verdacht wurde größer. Warum sagte er dies alles, er kannte mich doch eigentlich gar nicht, wie konnte er nur so von mir eingenommen sein? Ich hatte ihn töten wollen, er sollte nichts Schönes in mir sehen.

Ich wollte das hier doch nicht.

„Vielleicht sollte ich jetzt besser ge-“

Ich schaffte es nicht weiter, ihn anzusehen.

„Gehen?“ Er unterbrach mich mit einer Berührung. „Bella, ich glaube, du denkst wirklich in die total falsche Richtung.“

Seine Finger streiften mein Haar zurück und ich konnte mich trotz meiner übermenschlichen Stärke keinen Millimeter rühren.

„Bitte nicht…“, zitterte meine Stimme leicht und ich zuckte ein wenig vor der Berührung zurück.

Seine Finger glitten an den Haaren entlang und verschwanden mit dem Ende der Spitzen.

„Was geht nur in dir vor, Bella?“

„Ich habe Angst“, gestand ich, sagte aber nicht, in welche Richtung diese ging oder besser gesagt in welche Richtungen, denn es gab mehr als eine, die ich zu bedenken hatte.

„Vor mir?“

Er trat ein wenig zurück. Ich schüttelte leicht mit dem Kopf.

„Ich will nur dein Freund sein, Bella. Ich hatte nie etwas anderes im Sinn.“

„Ist das die Wahrheit?“, stieß ich hastig hinaus. Zu hastig, doch ich hatte nichts dagegen tun können.

Mein Blick festigte sich an seinem.

„Natürlich, warum denkst du nur, dass da etwas anderes wäre? Was habe ich denn getan, um dich das denken zu lassen? Wenn ich dir gestern irgendwie Angst gemacht habe, tut es mir leid. Ich wollte wirklich nicht, dass du-“

„Nein, nein…“ Am liebsten wäre ich ihm an den Hals gesprungen, ich war so erleichtert. „Ich habe da nur etwas überreagiert und das tut mir leid und…“ Ohne darüber nachzudenken ließ ich einen Körperkontakt entstehen, indem ich nach seinen Unterarmen griff. „… ich danke dir.“

„Wofür?“

Ich hinterließ ein wohliges Geräusch und schüttelte abermals den Kopf.

„Das ist nicht wichtig.“

„Ok, aber…“

Nun wand er seinen Blick ein wenig ab und zum allerersten Mal konnte ich ein Zeichen von Verlegenheit bei ihm erkennen.

„Was denn?“

Ich zog meine Hände wieder zurück, mochte er es vielleicht nicht, wenn man ihn berührte?

„Gestern, ich meine…“ Trotz leichter Röte schaffte er es, mich anzusehen. „Warum wolltest du…?“

Ach ja, er ging ja immer noch davon aus, dass ich ihn küssen wollte. Alice hatte ja gemeint, dass ich diese Vermutung nicht so schnell beiseite schieben könnte.

„Ehrlich gesagt, wollte ich dich gar nicht küssen. Ich wollte nur… jemanden eifersüchtig machen.“

Diese Idee, war mir vor genau zwei Sekunden gekommen.

„Was?“

„Ja, ich weiß, eine blöde Idee.“ Ich gestikulierte wild mit den Armen herum und lief zwischen den Tischen umher. Ich versuchte, mich darzustellen, als hätte ich sie nicht mehr alle beisammen, als wäre mir meine Tat unsagbar peinlich. Er wartete, dass ich weiter sprach, sein Blick folgte mir, wohin ich auch ging. „Ist mir ziemlich schnell klar geworden, dass es eine beknackte Idee war, und dann habe ich Panik bekommen und dich… na ja, weggeschubst. Es tut mir unendlich leid.“

Ich machte eine kleine Drehung und stützte meine Arme auf dem Lehrerpult ab, sah ihn aufrichtig entschuldigend an.

Er rutschte auf die Tischplatte hinter sich und setzte sich im Schneidersitz hinauf.

„Wen wolltest du eifersüchtig machen, wenn mir die Frage erlaubt ist?“

Ich fand nicht wirklich, dass es die beste Idee war, die man haben konnte, aber durchaus auch nicht die schlechteste. Immerhin war es doch sowieso langsam Zeit diesen Weg zu beschreiten. Doch vorher durchwanderte noch etwas anderes meinen Kopf.

„Ich sag es dir, wenn du mir verrätst, warum Alyssa dich Kiki nennt.“

Ich grinste zuerst, denn ich sah nichts Arges in meiner Frage, doch ich konnte praktisch spüren, wie die Temperatur im Raum hinunter fuhr, sehen, wie sich Kajikas Körper versteifte und sein Ausdruck etwas hartes annahm.

Seine Füße schwangen von der Tischplatte und erreichten den Boden. Für einen Menschen überdurchschnittlich schnell, schien er zu stehen und den Raum hinter sich zu lassen, nur knapp konnte ich ihn im normalen Tempo abfangen.

„Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Nein, mir ist nur gerade eingefallen, dass ich noch etwas zu erledigen habe.“

„Du lügst doch…“ Der beste Beweis dafür war sein abgewandter Blick. „Was war zwischen dir und Alyssa?“

„Das geht dich nichts an.“

„Ja, ich weiß, aber….“

„Aber was?“

„Sie war gestern im Krankenzimmer, als du ohnmächtig warst.“

„Na und?“

„Ich weiß nicht. Du schienst ihr viel zu bedeuten.“

„Was hat sie dir erzählt?“

„Gar nichts.“

„Und wie kommst du dann darauf, dass ich ihr irgendwas bedeute?“

Ich zögerte meine Antwort noch ein wenig heraus, um sein Interesse an dieser Konversation zu verstärken, dann erzählte ich ihm detailgetreu, was Alyssa getan und gesagt hatte.

Er setzte uns einer minutenlangen Geräuschlosigkeit aus, als ich meine Erzählungen beendet hatte. Geduldig wartet ich, bis er von alleine fortfuhr.

„Warum interessiert dich das so?“

„Ist das nicht normal? Ich meine, dass man die Geheimnisse seiner Freunde kennen möchte?“

Vom Gefühl her tippte ich auf ein weiteres Schweigen, doch er setzte ruhig und ziemlich sachlich an.

„Wir kennen uns schon ziemlich lange. Lizzy wohnt mit ihrer Familie direkt neben uns und sie kam, als wir noch sehr klein waren, immer ungefragt hinüber, wenn ich im Garten spielte. Damals war meine Krankheit noch nicht richtig ausgebrochen."

Er drehte sich weg und wirkte wie jemand, der den Weg nicht kannte. Sein Blick lag ziellos im Raum.

„Sie klaute mein Spielzeug und zog meiner Katze mit Freude am Schwanz.“ Ein Lächeln, welches gerade nicht auf sein Gesicht zu passen schien, huschte hinüber. „Meinen Namen konnte sie damals noch nicht aussprechen, also wurde Kiki daraus und es blieb dabei, bis wir in die High School kamen. Wir waren richtige Freunde, wie Bruder und Schwester und waren später auch kurz zusammen, was wohl der größte Fehler gewesen ist…“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „… es war bis dato schon so viel passiert; ich hatte durch die Krankheit einige Male ziemlich aggressiv auf sie reagiert, wenn sie ungefragt etwas genommen hatte oder sie einfach nur irgendwo stand, wo sie meiner Meinung nach nicht sein dürfte. Ich hatte sie beschimpft, sie dutzende Mal zum Teufel gejagt und vieles gemacht, für das man sich eigentlich nur schämen sollte… Jedoch ging sie nicht, beschützte mich und hielt mich in dieser Welt fest, wenn ich wieder einmal ganz woanders war.“

Es trat eine kleine Pause ein, in der es schien, als würde er sich geistig zurück versetzen.

„Vor knapp zwei Jahren änderte sich dann alles. Lizzy fing an, romantische Gefühle in unsere Welt zu projizieren, mit denen ich nicht viel anfangen konnte. Sie machten mich im wahrsten Sinne des Wortes verrückt, ließen mich unkontrolliert handeln und eine neue Form von Anfällen war die Folge daraus. Ich konnte damit einfach nicht umgehen, so sehr ich es mir auch mit der Zeit wünschte, und sie schaffte es nicht, sie abzuschalten. Mein Arzt riet ihr daraufhin, sich von mir fernzuhalten, wenn sie wolle, dass es mir besser gehen würde und das tut sie… bis heute."

Seine Stimme war zum Ende hin leiser geworden. Inmitten seiner Darstellung hatte er sich auf einen nahe gelegenen Tisch gesetzt, ich war direkt davor zum Stillstand gekommen. Nun schaute ich ihn an, wahrscheinlich mit großem Bedauern im Ausdruck.

„Das ist ja schrecklich.“

„Ich habe ihr auch gesagt, dass es totaler Quatsch ist und dass ich das nicht zulassen würde, aber sie hat mir einige Male äußerst deutlich zu verstehen gegeben, dass es so das Beste für uns Beide wäre.“

Ich schwieg, denn ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Nichts, was aus meinem Mund kommen könnte, wäre irgendwie passend gewesen, und das Bedürfnis, ihm mit einer Umarmung Trost zu spenden, schob ich beiseite, ich wollte diese Sache zwischen uns nicht zu intensiv gestalten, obwohl es hier garantiert verständlich gewesen wäre.

„Und jetzt zu dir?“

„Bitte?“

„Wer ist es, den du eifersüchtig machen möchtest?“

„Achso…“

„Komm schon, versprochen ist versprochen.“

Ich war von dem schnellen Themenwechsel ziemlich überrascht. Auf seinen Lippen lag schon wieder ein fröhliches Grinsen; nur gespielt, nahm ich an.

„Edward!“, antwortete ich ohne Umschweife.

„Edward? Dein Bruder, Edward?“

In seinen Augen war deutlich das Erstaunen zu erkennen.

„Adoptivbruder! Aber ja, genau der.“

„Ich, ähm…“

Kajika kratzte sich am Kopf, sein Blick schien nun irritiert. „Ehrlich gesagt, bin ich gerade ein wenig baff.“

„Das kann ich mir gut vorstellen, deswegen wollte ich es ja auch eigentlich für mich behalten. Aber du musst auch bedenken, dass ich Edward erst vor ein paar Wochen kennengelernt habe und er ja auch gar nicht blutsverwandt mit mir ist.“

„Da hast du dich aber in eine scheiß Situation hineingebracht.“

Er wusste anscheinend nicht, ob ein Lächeln gerade zur Situation passte, denn ein ziemlich komischer Ausdruck huschte über seine Lippen. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu grinsen.

„Ja, ich wünschte, ich könnte was dagegen tun, aber alles was ich versuche, lässt es nur noch schlimmer werden.“

„Gegen Gefühle kommt man halt nicht an.“

„Nein, leider kann man sie nicht einfach abschalten.“

Ich schluckte hart, immerhin war diese Tatsache für seine Vergangenheit nicht gerade von Vorteil gewesen, abgesehen davon, hatte das Gefühl, eine Figur in einem billigen Groschenroman zu spielen. Ich kam mir total idiotisch und armselig vor.

„Und, weiß er es?“

„Ich denke, er vermutet es, aber gesagt habe ich es ihm bis jetzt noch nicht.“

Ich biss mir leicht auf die Lippen und spielte an meinen Fingern herum. Wenn ich könnte, hätte ich jetzt alles für einen kleinen Rotschimmer in meinem Gesicht gegeben.

„Ehrlich gesagt, könnte ich dir nicht einmal sagen, ob du es ihm sagen solltest oder nicht. Ich meine, wäre er ein ganz normaler Typ, hätte ich dich natürlich direkt davon überzeugt, aber das… ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich dir da raten könnte.“

„Ist schon ok, das kann ich gut verstehen.“

Er kratzte sich nur ein weiteres Mal ausgiebig am Kopf und starrte mich an, als wäre ich ein naives, kleines Schulmädchen.

Jedoch konnte ich doch eigentlich sehr zufrieden mit diesem Gespräch sein. Ich hatte so gut wie alles zur Zufriedenheit gelöst. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass er auch noch auf meine Augenfarbe zu sprechen gekommen wäre, denn nun musste ich die nervigen Linsen noch weitere Tage tragen.

Und ehrlich gesagt, hätte ich jetzt zu gerne gewusst, was in seinem Kopf vor sich ging…
 

Zwei Stunden später als es normalerweise der Fall gewesen wäre, kam ich Zuhause an. Man spürte die beschwingte Erwartung auf die Jagd im gesamten Haus, was Renesmee noch einmal dazu brachte zu erklären, wie ungerecht sie es fand, dass sie dieser nicht ebenfalls beiwohnen durfte.

Doch es war nicht besonders schwer, sie von ihren betrüblichen Gedanken abzulenken. Ich legte mich einfach mit ihr auf die Wiese vor dem Haus und durchlebte einige ihrer schönsten Erinnerungen aufs Neue. Sie liebte es, noch einmal alles Revue passieren zu lassen.

„Ich möchte gerne mal nach Ägypten.“

Seit Rosalie ihr vor einigen Tagen ein Buch über Tutanchamun geschickt hatte, war sie ganz Feuer und Flamme für die alten Pharaonen und ihre Geschichte.

„Keine Angst, Schatz, da wirst du noch früh genug hinkommen.“

„Ich würde aber gerne mit der ganzen Familie dorthin.“

„Du weißt doch, dass das nicht möglich ist.“

Sie rollte sich über den Boden näher an mich heran, bis ihr Arm den meinen berührte.

„Warum glitzert eure Haut in der Sonne?“

„Ich weiß es nicht.“

„Weiß Daddy oder Carlisle es?“

„Ich denke nicht.“

„Kann ich die Antwort in irgendeinem Buch oder im Internet finden?“

„Das bezweifle ich.“

„Warum weiß es denn keiner?“

Jacobs Aufmerksamkeit war nun ebenfalls geweckt. Er hob seinen Kopf und schaute von seinem Platz, einige Meter entfernt, zu uns herüber. Seit Tagen verbrachte er ziemlich viel Zeit in Wolfsgestalt und tauschte sich mit seinen Artgenossen aus.

„Das weiß ich auch nicht, Schatz. Aber wäre es nicht noch viel schlimmer, wenn wir, wie die Vampire aus Büchern und Filme, überhaupt nicht am Tage hinaus könnten.“

„Natürlich, aber trotzdem muss es doch irgendeine Erklärung dafür geben.“

„Es gibt einfach Dinge auf der Welt, die sich nicht so einfach erklären lassen.“

Meine Antwort stellte mich selber nicht wirklich zufrieden, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendwer eine Lösung für diese Frage kannte.

„Zum Beispiel, warum Werwölfe und Vampire Feinde sind?“

Ihr Blick huschte zu Jacob und wieder zurück zu mir. Meiner blieb auf Jacob hängen.

„Zum Beispiel. Fragst du dich denn nicht manchmal, warum Jacob und die Wölfe aus Forks trotzdem unsere Freunde sind?“

War es nicht langsam an der Zeit, ihr von der Prägung zu erzählen?

„Nein, Jacob hat mir das schon erklärt.“

Der erhobene Kopf des Wolfes legte sich sacht wieder ab, es hatte den Anschein, als läge ein kleines Grinsen auf seinem Maul.

„Hat er?“

„Ja.“

„Zeigst du es mir?“

Meine Neugierde war natürlich geweckt.

„Weißt du es denn nicht?“

„Doch, Schatz. Ich würde nur gerne wissen, wie und wann er es dir erklärt hat.“

„Wenn du möchtest.“

Renesmee schaute ein weiteres Mal zu Jacob, der gerade ausgiebig gähnte und daraufhin seine Augen schloss. So gelangweilt Jacob von dieser Aussicht war, verspürte ich selber eine ziemlich kribbelige Nervosität. Ich hatte keine Ahnung, was mich nun erwarten würde, nie hatte Jacob mir zuvor mitgeteilt, dass er sie irgendwie eingeweiht hatte.

Renesmee legte ihre Hand auf mein Gesicht, ihre ausgestreckte Handfläche passte gerade noch auf meine Wange hinauf. Ich schloss die Augen und landete am oberen Absatz der Treppe in unserem Haus in Forks. Ich, beziehungsweise Renesmee schlich sich gerade von hinten an Jacob heran.

Sie wollte ihn anscheinend erschrecken, als ein Bild von Edward und mir sie stocken ließ. Wir standen an der Haustür und Edward verabschiedete sich gerade ziemlich leidenschaftlich von mir.

Renesmee richtete sich aus ihrer schleichenden Haltung auf und beugte sich an Jacob vorbei, um ihm ins Gesicht zu schauen.

„Bist du traurig?“

„Wie kommst du darauf?“

Er wand den Blick von Edward und mir ab und schenkte ihn meiner Tochter, die sich nun neben ihn auf die oberste Treppenstufe setzte. Aus dem Winkel heraus, schätzte ich ihr momentanes Alter auf nicht höher als ein Jahr.

„Ich sehe es dir an.“

Er lächelte.

„Wie könnte ich traurig sein, wenn du bei mir bist?“

Er schlang seinen Arm um sie und drückte ihren kleinen Körper zärtlich an seine Seite. Ein warmes, beschütztes Gefühl stieg in mir auf.

„Es ist wegen Momma, nicht wahr? Du hast sie sehr lieb, oder?“

Sie blickte ihn direkt an und meiner Meinung nach schien er kurz zu überlegen, was er ihr darauf antworten sollte.

„Ja, das habe ich wohl.“

Er streichelte ihr behutsam über den Kopf.

„Bist du deswegen bei uns, wegen Momma?“

Er stockte in seiner Bewegung, sein Blick wurde nun ernst.

„Nein, Nessie… Ich bin nur wegen dir hier.“

„Wegen mir?“

„Ja.“

„Warum? Hast du mich auch so lieb wie Momma?“

„Natürlich habe ich das, wie kannst du das nicht wissen?“

„Ich weiß es, denke ich.“ Sie schien kurz nachzudenken. „Aber ich verstehe nicht, warum du immer hier bist und nicht so oft bei deiner eigenen Familie oder deinem Rudel.“

„Mmhh, wie erklär ich dir das am besten?“ Jacob ließ von ihr ab und schaute sie nachdenklich an. „Stell dir vor, du wärst ein Luftballon, der droht in den Himmel zu fliegen, und ich bin derjenige, der den Ballon an einer Schnur festhalten kann.“

Renesmee kniff die Augen zusammen, stellte sich den Ballon vor. Ich konnte sehen, wie sie in Windeseile eine Palette von Farben durchzusehen schien. Dann öffnete sie wieder die Augen und sah Jacob an.

„Kann er blau sein, der Ballon?“

„Ja, klar kann er das…“ Er grinste sie belustigt an. „Also, meine Aufgabe ist es also, den Luftballon festzuhalten und ihn nicht wegfliegen zu lassen. Für mich ist dieser Luftballon wichtiger als alles andere auf der Welt und ich werde ihn immer beschützen und festhalten wollen, solange ich lebe.“

„Solange du lebst?“

„Ja.“

Die Erinnerung verschwand und ich öffnete wieder meine eigenen Augen. Ich blickte genau in Renesmees braune Augen.

„Es geht noch weiter.“

Erneut legte sie ihre Hand auf mein Gesicht, meine Augen schloss ich erst, als mein Blick kurz zu Jacob gewandert war. Er lag da, als würde er seelenruhig schlafen.

In der zweiten Erinnerung war Renesmee älter, ihre Größe, Frisur und die Haarfarbe zeigten mir sofort, dass wir in ein paar Tagen Forks verlassen würden.

Jacob schien traurig zu sein wegen dem Verlassen der Heimat, ich konnte Renesmees Gefühle diesbezüglich sehr stark wahrnehmen. Vielleicht waren sie deswegen so stark, weil die Erinnerung noch nicht so lange zurücklag.

Renesmee blieb neben Jacob stehen, der gerade ein Gespräch mit Sam beendet hatte.

„Wenn du nicht möchtest, musst du nicht mitkommen, Jacob. Ich denke, meine Familie wird schon damit fertig werden, den Ballon vor dem Wegfliegen zu bewahren.“

Es waren nicht die Worte eines Kindes und nicht nur ich hörte ihren Ernst hinaus. Ferner sah man Jacob die Verwunderung an, dass sich Renesmee anscheinend immer noch an die Geschichte von dem Ballon erinnerte.

„So funktioniert das leider nicht, Ness. Aber auch wenn, würde ich dich nicht gehen lassen wollen.“

„Aber du willst doch hier bleiben, ich sehe es dir doch ganz deutlich an.“

Sie drehte sich um sich selbst, sie konnte in emotionalen Situationen meist nicht still stehen.

„Ja, natürlich würde ich gerne bei meiner Familie bleiben, aber auch du und deine Familie seid zu einer Familie für mich geworden, und ich…“ Er näherte sich ihr, woraufhin sie ganz ruhig stehen blieb. Seine starken Finger glitten behutsam über ihre Wange. Renesmee schmiegte sich an seine Hand. „Willst du denn nicht, dass ich bei dir bleibe?“

„Wie kannst du so etwas sagen?“ Sie fuhr blitzschnell nach vorn und schmiss sich in seine starken Arme. „Ich will nur nicht, dass du meinetwegen traurig bist.“

Ich spürte die Tränen in ihr aufsteigen.

„Das bin ich nicht.“ Er drückte sie sanft von sich, seine Hände umschlangen ihr zartes Gesicht, seine Fingerspitzen legten sich unter ihre Augen und wischten die Vorboten von Traurigkeit hinfort. „So darfst du niemals denken. Du bist das Wichtigste in meinem Leben und ich will immer an deiner Seite sein.“

Sie schauten sich lange an und würde ein Herz in meiner Brust schlagen, wäre es gerade vor Spannung stehen geblieben… jedoch küsste er sie nicht, obwohl seine ganze Mimik dafür sprach.

Die Erinnerung verblasste mit einer unschuldigen Umarmung.
 

Etwa eine Stunde vor dem Aufbruch zur Jagd, versuchte Edward erneut, mich davon zu überzeugen, dass es doch besser wäre, wenn er ebenfalls bleiben würde. Natürlich sprach mein Verstand sofort dagegen an, mein Gefühl allerdings wollte ihm nur zu gerne nachgeben.

Es hatte so wenige Gelegenheiten gegeben, wo wir alleine waren, seit wir Forks verlassen hatte. Ein unbeschreibliches Bedürfnis in mir lechzte nach dieser Chance, doch ich durfte meinen Wunsch nicht vor die Vernunft stellen, und so bat ich ihn, mit den anderen zu gehen.

Als sie aufgebrochen waren und Renesmee und Jacob schliefen, machte ich mich, wie zuvor mit der Familie besprochen, noch einmal zu einer eigenen kleinen Jagd bereit. Nur ein weiteres schmächtiges Tier, um wenigstens ansatzweise so lange wie die übrige Familie durchhalten zu können.

Meine Schuhe streifte ich im Haus ab, es wäre total unnütz gewesen, sie überhaupt erst mitzunehmen. Ich zog mir ein dunkles, eng anliegendes Shirt über, welches nicht im Wind flattern würde und etwas zur Unerkenntnis beitrug.

Die Tür gerade hinter mir schließend, vernahm ich unerwartet ein Geräusch von der Treppe im Hausinneren. Ich stieß die Tür wieder auf und erblickte Renesmee; sie war, ebenfalls barfuss und in schwarz gekleidet. Ich brauchte nicht lange zu überlegen, um ihre Beweggründe für diese Aufmachung zu erraten.

„Oh nein, das kommt gar nicht in Frage, junge Dame.“

Ehe ich auf sie zukommen konnte, stand sie auch schon neben mir.

„Aber Momma, wir bleiben doch in der Nähe und ich habe es satt, dass ich immer auf alles verzichten soll, nur weil ich noch so jung bin.“

„Verstehst du denn nicht, dass dies alles nur zu deinem Schutz geschieht?“

„Natürlich, aber was soll schon passieren? Wir gehen nicht weit, es ist keine Gefahr in Sichtweite und außerdem…“ Sie schaute mich eindringlich an, fast schon einer Herausforderung gleich. „…bist du doch bei mir, oder?“

Geschickt hatte sie einen meiner Schwachpunkte angegriffen; die Sorge, sie nicht alleine beschützen zu können und das daraus folgende Verlangen, das Gegenteil zu beweisen.

„Jacob würde das niemals zulassen“, versuchte ich es mit einer anderen Taktik.

„Er muss es doch nicht erfahren, vorerst zumindest nicht.“

„Und wenn er aufwacht und dich nicht findet? Er würde in Panik ausbrechen.“

„Wir lassen ihm eine Nachricht da.“

Grinsend zog sie einen Lippenstift aus ihrer Hosentasche.

„Habe ich von Alice bekommen“, erklärte sie, während sie in krickeliger Schrift „Bin mit Momma jagen. Mach dir keine Sorgen. Renesmee“ an die Innenseite der Tür schrieb.

Ich war immer noch nicht überzeugt von diesem Vorhaben, doch andererseits konnte ich ihren Wunsch so gut nachempfinden, und was könnte alles passieren, wenn ich es ihr verbieten würde? Musste ich dann nicht das Risiko eingehen, dass sie eventuell ausbüchste, wenn die Familie gerade mal nicht da war? Blieb mir überhaupt eine andere Wahl?

Natürlich blieb sie mir, aber hier kam wohl letztendlich der Stolz ins Spiel, dass ich sehr wohl in der Lage war, mein eigenes Kind zu beschützen.

„Ok, einverstanden. Ein kleines Tier und schwups wieder nach Hause.“

„Jaaaaaaahhhhaaaaaa!“

Sie hüpfte wild im Kreis, schnell lenkte ich sie zur Besinnung.

„Wenn Jacob aufwacht, kannst du es vergessen.“

„Oh…“
 

Minuten später standen wir im dichten Wald. Wir spähten beide nach Nahrung.

„Wer zuerst eines findet, gewinnt“, grinste sie bis über beide Ohren.

„Einverstanden, aber nicht weiter weg als fünf Kilometer.“

Diese Entfernung war ziemlich sicher, da ich sie in diesem Radius jederzeit leicht und schnell aufspüren könnte.

Sie grinste immer noch und zischte dann ein „Und los!“ über die Lippen.

Nun, da sie endlich durfte, war sie schwer aufzuhalten. Ich schaute ihr einige Sekunden hinterher, ehe ich mich selber auf den Weg machte. Ein wenig mehr rechts, aber nicht zu weit weg von dem Weg, den sie genommen hatte.

Ein Auto streifte meine Route, doch es fuhr in die Stadt und stellte somit keine Gefahr für uns dar.

Ich horchte und schnupperte mehr in Renesmees Richtung als mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren, doch mit jedem weiteren Schritt übermannte mich das bekannte Freiheitsgefühl ein wenig mehr. Die Logik machte den Instinkten platz und bald schon hatten sich meine Prioritäten zum Großteil geändert; ich wollte etwas töten.

Ich schnupperte rechts, ich blinzelte links. Ein weiterer Fuchs würde einen schönen Fang abgeben, der von gestern hatte ganz vorzüglich geschmeckt. Ich kletterte einen Baum hinauf, um eine bessere Sicht zu erhalten und plötzlich roch ich es: Mensch!

Es drang in mich ein wie der Schmerz einer Spritze, etwas, das man einfach ertragen muss. Ich versuchte, den aufgezwungenen Geruch zu verdrängen und den meiner Tochter ausfindig zu machen… sie überlappten sich… die gleiche Richtung… Renesmee!

Ich stieß unkontrolliert hinab, meine halbe Hose hatte ich an einen großen Ast verloren. Ich rannte, immer schneller, immer weiter den Berg hinauf, die Ohren gespitzt und die Nase in der Luft. Es kam näher, immer näher und... sie mussten so nahe beieinander sein, dass sie sich schon beinahe berühren konnten.

Dann sah ich einen Lichtkegel in der Dunkelheit aufscheinen, noch gut zwei Kilometer entfernt. Ich war noch zu weit weg, um irgendetwas zu tun, doch nun konnte ich wenigstens sehen.

Der Junge, vielleicht 15 Jahre alt, hatte sie anscheinend noch nicht bemerkt, es konnte also noch verhindert werden, wenn ich nur schnell genug lief, doch meine Füße wollten mich nicht rascher tragen.

Renesmee ging näher an ihn heran. Was trieb sie nur zu diesem Schritt? Sie wusste doch genau, dass sie keinen Kontakt mit Außenstehenden herstellen durfte.

Immer noch mit dem Rücken zu ihr schien er jäh zu erstarren, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. In der nächsten drehte er sich zu ihr um, erschrak und fiel, beim Versuch zurückzuweichen, rücklings zu Boden.

Was zuvor in seiner Hand lag, flog durch die Luft, Renesmee griff danach und durch das freigewordenen Blickfeld, erkannte ich, was er in der anderen Hand verbarg: Eine Waffe!

Das Entsetzen wollte mich erst gefrieren lassen, doch ich trieb mich an, schneller zu laufen, so schnell, dass ich überhaupt keinen Boden mehr unter meinen Füßen wahrnahm. Die Bäume rasten nur noch wie schwarze Flecken an mir vorbei. Meine Tochter war in Gefahr und ich hatte sie dem ausgeliefert.

Vor mir war alles zum Stillstand gekommen und auch ich, dem Ziel endlich nahe, stockte blitzartig, lief nicht auf das freie Stück Wald hinaus, um zu meiner Tochter zu gelangen, sondern blieb im Verborgenen.

Der Junge hielt seine Waffe steif auf ihre Brust gerichtet und ich war nicht bereit, zu erfahren, wie eine Schussverletzung auf ihren halbmenschlichen Körper wirken würde. Ein Auftauchen meinerseits könnte ihn so erschrecken, dass er letztendlich abdrückte.

Ich könnte nicht schnell genug sein…

Ich könnte verlieren… und weit und breit kein Carlisle, der helfen konnte.

Trotz Widerwillens hielt ich mich bedeckt, jedoch bereit, jederzeit einzugreifen.

Renesmee war indes nicht zurückgewichen. Sie schaute abwechselnd auf den sich am Boden abstützenden Jungen und das Teleskop, welches sie aufgefangen hatte. Keinerlei Angst aufgrund der lauernden Gefahr lag auf ihrem Gesicht. In was hatte sie nur solches Vertrauen? Dass die Kugel ihr nichts anhaben, oder das der Junge die Waffe nicht benutzen würde?

Die Hand mit der Waffe verfiel einem Zittern, machte es noch gefährlicher einzugreifen. Die Pupillen in den grünen Augen waren geweitet, der Mund feste zusammen gepresst und der Herzschlag drang wie eine schnelle, afrikanische Buschtrommel an mein Ohr.

Ich war bereit, ihm die Hand samt Waffe abzubeißen, ihn niederzustrecken und ihn einen quälvollen Tod erleiden zu lassen… ein leises Knurren verließ meine Kehle und eine gewaltige Menge Gift durchströmte meinen Mund.

„Beobachtest du die Sterne?“

Ihre sanfte Stimme durchzog die Nacht und beinahe hätte sie mir das Zeichen zum Angriff gegeben. Sie war für mich genauso überraschend gekommen, wie wenn er abgedrückt hätte.

„Sag mal, tickst du noch echt?“ Ihre Worte hatten ihn wohl ebenfalls wieder klar denken lassen. Der Junge erhob sich und die Waffe sank. Er schaute Renesmee verwirrt an. „Du kannst dich doch nicht mitten in der Nacht so an jemanden heranschleichen. Ich hätte dich töten können, verdammt!“

Er ließ die Waffe zu Boden gleiten und schien ungeduldig auf irgendeine Reaktion von ihr zu warten. Es wäre der perfekte Moment gewesen, aus meinem Versteck zu stürmen und die Situation zu beenden, aber meine Knie zitterten heftig und ich war mir gerade nicht einmal sicher, ob ich auch nur einen einzigen Schritt tun konnte.

Was hatte ich getan? Wie hätte das vielleicht enden können?

Ich hatte es eindeutig verbockt, mein Kind in tödliche Gefahr gebracht… doch gerade war ich nur heilfroh darüber, dass die Waffe nicht mehr in seiner Hand war.

Der Junge schaute sie immer noch entgeistert an, sein Blick erreichte das Teleskop in ihrem Arm.

„Gib das her!“, beugte er sich vor und versuchte, ihr sein Eigentum zu entreißen.

Jedoch war Renesmee nicht bereit loszulassen und er hatte zweifellos nicht mit ihrer Stärke gerechnet. Er fiel erneut und Renesmee direkt hinterher, sie landete auf ihm und ein lauter Schmerzensausschrei seinerseits durchdrang die Luft.

Er rieb sich heftig den Hinterkopf, ehe sein Augenmerk auf das Gesicht vor ihm traf. Mir kam es so vor, als hätte der gesamte Wald aufgehört zu atmen.

„Wie heißt du?“

Renesmees Worte schienen wie ihr Blick von reinstem Interesse zu sein und ließen seine Lippen fast schon zaghaft antworten wollen, doch dann besann er sich und schüttelte sie ab.

„Geh runter von mir!“

Er rutschte unter ihr weg, Renesmee hielt immer noch das Teleskop in ihren Armen. Während er aufstand und zu ihr hinab schaute, drehte sie sich nur auf den Rücken und blickte ihn weiterhin begierig an.

„Hast du keinen Namen?“

Er blickte immer noch auf sie hinunter… verwirrt und irgendwie hilfesuchend.

„Wo bist du denn ausgebrochen? Natürlich habe ich einen Namen.“

„Ich bin nicht ausgebrochen. Ich… ich mache nur einen Spaziergang.“

Unerwartet setzte sie sich auf, der Junge wich verschreckt ein Stück zurück.

Renesmees Augen trafen mich in der Dunkelheit, sie wusste also genau, wo ich war. Der Junge folgte ihrem Blick, war aber nicht im Stande, mich in meinem Versteck auszumachen.

Was tat sie nur?

„Warum hast du keine Schuhe an?“, war seine Stimme auf einmal von einem verdutzten Ton erfasst, zeitgleich blickten wir wohl alle auf Renesmees nackte Füße.

„Es ist schöner so“, lächelte sie ihn an und wackelte mit den Zehen.

Er schaute sie nun an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank, trotzdem, machte er einen Schritt auf sie zu und hielt ihr die Hand hin.

„Du kannst bei so einem Wetter doch nicht barfuss rumlaufen. Willst du dir die Füße abfrieren?“

„Nein“, schaute sie zurück.

Sie griff nach seiner Hand und ließ es zu, dass er sie auf die Beine zog. Kurz war es wieder still, als er dies geschafft hatte. Sein Blick lag fest auf ihrem Gesicht.

„Komm… setz dich hier her.“

Er zog einen kleinen Klapphocker näher heran und drückte sie hinunter. Daraufhin wühlte er in seinem Rucksack herum und zog ein paar dicke Wollsocken heraus.

„Du kannst froh sein, dass ich immer Ersatz dabei habe.“

Er knüllte die Socken auseinander und machte sich ohne Scham daran, meiner Tochter die Socken über die Füße zu streifen.

„Deine Haut ist ganz warm“, stellte er überrascht fest.

„Ich habe eine gute Durchblutung“, erklärte sie ihm.

Sein Blick blieb stutzig und wären die Socken nicht schon genug des Guten, holte er als nächstes eine Decke hervor und legte sie ihr um die Schultern.

„Danke“, lächelte sie.

„Woher kommst du eigentlich? Ich kenne alle Leute in der Gegend.“

Sie schien nicht über ihre Antwort nachzudenken, während er sich ihr gegenüber auf den Boden setzte, und gab sofort die Information preis, auf welche sie schon seit Jahren getrimmt war.

„Ich bin nur zu Besuch hier.“

„Wie ist dein Name?“, fragte er neugierig weiter. Ich konnte nur hoffen, dass sie nichts Falsches sagte.

„Renesmee Carlie Cullen und verrätst du mir nun auch deinen?“

„Ian. Ian Ferbengs. Mein Dad ist ansässiger Mounty und, wie gesagt, kenn ich eigentlich alle Leute hier.“

Ein Mounty?

Sofort zeigte mir meine Erinnerung den roten Hut des Mannes, der den Wagen in Richtung Stadt gesteuert hatte. Sein Vater war ein Polizist, noch besser konnte es ja gar nicht mehr kommen.

„Meine Tante, bei der ich zu Besuch bin, ist erst vor kurzem hierher gezogen.“

Unerwartet spürte ich eine winzige Bewegung an meinem Bein. Ohne groß zu Zögern zerschmetterte ich das Handy in meiner Hosentasche mit einem einzigen gezielten Schlag, kein Ton schallte hinaus. Wer immer auch versuchte hatte, mich zu erreichen, würde kein Glück mehr damit haben.

Renesmee schien den kurzen Zwischenfall ebenfalls bemerkt zu haben, auf einmal setzte sich ein Ausdruck von Besorgnis auf ihr Gesicht. Sie blickte kurz in meine Richtung, danach wieder den Jungen vor sich an.

„Ich denke, ich muss jetzt gehen.“

Sie erhob sich und die Decke rutschte ihr von den Schultern. Er tat es ihr sofort gleich, woraufhin sie das Teleskop in seine Arme legte.

„Es war wirklich schön, dich kennenlernen zu dürfen.“

Sie lächelte ihn an, woraufhin sein Blick nur noch fragender wurde. Er hielt sie auf, als sie sich umdrehen und gehen wollte.

„Soll ich dich nicht noch nach Hause bringen?“

„Nein, es ist nicht weit… oh, warte.“

Sie setzte sich auf den Boden und widmete sich ihren Füßen.

„Nein, nein, du kannst sie behalten“, winkte er ab.

„Sicher? Brauchst du sie denn nicht?“

„Ach quatsch, ich habe noch massig davon, aber sag mal, hast du denn keine Angst, so ganz alleine im Wald?“

„Nein.“ Renesmee grinste ihn breit an. „Leb wohl, Ian!“

Ehe er ihren Abschiedsgruß erwidern konnte, war sie schon in akzeptablem Tempo davongerannt. Ich blieb noch eine Minute in meinem Versteck und beobachtete den Jungen, um sicher zu gehen, dass er ihr nicht folgen würde oder etwas anderes tat, was uns Probleme bereiten könnte. Als er sich kurz darauf kopfschüttelnd wieder dem Aufbau seines Teleskops widmete, lief ich Renesmee hinterher.

Ich hatte sie gerade eingeholt und wollte sie fragen, was sie sich dabei nur gedacht hatte, als wir beide den gleichen Geruch aufnahmen. Wir schauten uns besorgt an und es dauerte nur eine knappe Minute bis ein übergroßer Wolf vor uns stand.

Er verwandelte sich einige Meter von uns entfernt und schlüpfte in seine Shorts. Schnaubend kam er zu uns hinüber und zog Renesmee schützend an sich. Ich weiß nicht, was er sagen wollte, um uns zu verstehen zu geben, dass unser Aktion nicht in Ordnung gewesen war, doch bevor er auch nur ein Wort über die Lippen bringen konnte, vernahm er ihn… den unverkennbaren Geruch eines Menschen.

„Wie konntest du nur?“, blickte er mich giftig an.
 

Kapitel 12 - Unvorhersehbare Begegnung - Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (46)
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Von:  Bella_Cullen133
2009-05-27T18:29:16+00:00 27.05.2009 20:29
WOW..
echt cooles kapi..!!
passt alles^^
freu mich schon auf das nöchste kapi :D:D:D

lg
Bella
Von: abgemeldet
2009-05-27T18:05:29+00:00 27.05.2009 20:05
hier steht, ich soll nur konstruktive Kritik geben... hmmm.... das kann ich nicht! es ist toll - nichts ändern. Danke. Bitte mehr! Bald!
Von:  Honigkuchenpferd
2009-05-27T18:05:25+00:00 27.05.2009 20:05
Da hatte bella ja glück gehabt, nachdem sie mit kajika sprach, da ist dann doch noch alles in eien gute richtung hinausgegangen:D
Ich fand das auch schön, mal etwas mit renesmee zu lesen:3
Nessie beschreibst du echt niedlich^^
Am ende bin ich nun gespannt, was nun bella auf jakes vorwurf sagen wird.
Bin da echt gespannt^^
War wiedermal super und schön lang, hat spaß gemacht es zu lesen;D
Von:  Renesmee-Bella
2009-05-27T17:58:33+00:00 27.05.2009 19:58
Wow die Sache mit Kajika war echt Spannend, aber ich glaube ich hätte ihn auch missverstanden v.a. wo er ihre Haare gestreichelt hat.
Ich verstehe nicht warum Jake so sauer ist!
Bin schon gespannt wie es weiter geht.

cu SSJBra
Von:  Meroko
2009-05-27T17:57:06+00:00 27.05.2009 19:57
wah, suppi kappi *_*
und so schön lang~ *hrhr*
aber...das jake bella nun vorwürfe macht...ich bin ja mal gespannt xD

LG
Von: abgemeldet
2009-05-27T17:28:40+00:00 27.05.2009 19:28
WoW.
Das Kapitel war ja mal echt so was von genial!!!
Ich liebe es immer wenn du über Bella und Kajika schreibst - er ist ziemlich sympatisch und ich bin schon gespannt in welche Richtung sich das ganze noch entwickeln wird...und wann die 4 endlich einen Schritt weitergehen und endlich öffentlich "zusammen sind"....!?

Das Ende war ziemlich cool - obwohl ich es fast schon eine Frechheit finde, dass Jacob sich immer so aufspielt - schließlich ist Bella die Mutter, sie hat sie unter Einsatz ihres Lebens geboren - nicht Jacob!!
Aber vermutlich störrts mich auch nur so, weil ich noch nie ein Jacobfan war - geschweige denn ihn wirklich leiden konnte...nach dem dritten Buch von S.M. war er bei mir einfach unten durch...tja...

Aber ich liebe deine Fortsetzung und bin immer wieder begeistert von deinem Einfallsreichtum - nur weiter so - und bitte noch gaaanz viel Edward und Kjika *zwinker*

LG
Kchan ^^
Von: abgemeldet
2009-05-27T16:58:00+00:00 27.05.2009 18:58
das Kapitel ist geil!!!
will mehr will mehr!
dadurch das das pitel sooo lang ist
hat sich das aber auch gelohnt
genau wie das warten

lg
Von: abgemeldet
2009-05-27T16:48:43+00:00 27.05.2009 18:48
Man man man einfach nur wieder geil!!! dafür lohnt sich echt das warten!!

Du machst das einfach toll

Liebe Grüße
Von:  Twilight-Nicki
2009-05-27T16:41:08+00:00 27.05.2009 18:41
Meine Güte, das war mal ein Kapitel! Dafür hat es sich echt gelohnt zu warten!!
Am genialsten fand ich echt die Notlüge von Bella vor Kajika das sie Edward eiferüschtig machen wollte! Wie geil!! Das ist echt eine geniale Idee gewesen!
ooh, Jacob scheint echt super sauer zu sein! Der denkt wohl das Nessie einen Menschen kalt gemacht hat! Und ich bin echt schon auf Edwards Reaktion gespannt! Aber der kann doch eh nie lang auf seine Frauen sauer sein! ;-)
Freu mich schon wenns wetier geht, mach weiter so, echt genial!
Liebe Grüsse
Nicki
Von:  Kayara
2009-05-27T16:30:03+00:00 27.05.2009 18:30
Gott warum ist denn das immer so spannend *~*
Wenn Jacob das zum schluss gesagt hat: Der soll bloß den mund halten immerhin ist sie ihre mutter *rum mecker*... ô.ô

Schreib schnell weiter :D

LG Bine


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