Bis(s) zum Ende der Ewigkeit von littleblaze (Meine Fortsetzung zur Bis(s)-Reihe) ================================================================================ Kapitel 9: Schneidendes Verlangen --------------------------------- Autor: littleblaze E-Mail: little_blaze_2000@yahoo.de Disclaimer: Alle Rechte an den Bis(s)-Charakteren gehen auf das Konto von Stephenie Meyer und ich selber verdiene keinen einzigen Cent mit der Story. Neue Charaktere, die Storyline, selbsterstellte sowie editierte Bilder und sämtliche, für die Story erstellten Extras gehören mir und dürfen nicht ohne meine vorherige Zusage auf anderen Seiten, Portalen oder Foren gepostet werden. Kapitel 09 - Schneidendes Verlangen Am nächsten Morgen lagen noch mehr Blicke auf uns als am Tag zuvor. Es hatte sich anscheinend in der ganzen Schule herum gesprochen, dass es etwas Neues zu bestaunen gab. Und genau wie gestern stieg ich selbstständig aus dem Wagen, lief einen halben Schritt von den anderen entfernt über den Schulhof, um kein zu großes Zusammengehörigkeitsgefühl zu versenden, und versuchte, den nervigen Stimmen um mich herum nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Es regnete, schnell versuchte jeder ins Gebäudeinnere zu kommen, so auch wir. Meine Abneigung gegen Nässe hatte ich immer noch nicht überwunden, obwohl ich es manchmal sehr erregend empfand, im strömenden Regen auf der Lauer nach Beute zu liegen. Ich sah in neugierige und fragende Gesichter sowie in solche, in denen sich so etwas wie Arroganz wieder spiegelte. Nur wenige schienen desinteressiert zu sein und noch weniger lächelten mich an, als ich sie anblickte. Zwei von den drei lächelnden Gesichtern, konnte ich als Klassenkameraden identifizieren. Das Mädchen hieß Carol, der Junge hatte noch keinen Namen in meiner Erinnerungen erhalten. „Nur nicht den Blick abwenden, Stärke zeigen“, hatte mir Edward auf der Fahrt zur Schule geraten. Leicht gesagt, aber er machte das ja schließlich auch schon zum x-ten Mal. Ich hatte ihn nicht gefragt, was in den Köpfen hinter den Gesichtern vorging, ich wollte es eigentlich auch gar nicht wissen. Darüber hinaus würde mir Edward wahrscheinlich sowieso nicht alles erzählen, um mich nicht irgendwie zu beunruhigen, also probierte ich, ausgestattet mit übermenschlichen Sinnen, mir mein eigenes Bild zu formen. Brauchbar war allerdings, dass wir nicht ein Mal ausweichen mussten, wenn es auf eine Menschenmenge zuging. Wo wir auch gingen, uns wurde bereitwillig Platz gemacht. Irgendwie unheimlich. Ich prüfte gerade, den besten und lässigsten Schwung für meine Arme zu finden, die Treppe nicht allzu galant zu erklimmen, als mich Alice am Ärmel festhielt und damit verhinderte, dass ich das Gebäude betrat. Ihr Blick abwesend, eine leichte Vision stellte sich dem Weitergehen in den Weg. Ich drehte uns weg, deutete auf etwas und flüsterte leise auf sie ein. Man sollte denken, dass ich ihr irgendetwas in der Ferne schilderte. Edward und Jasper gingen ruhig weiter ins Gebäude vor, als sie merkten, dass ich die Situation unter Kontrolle hatte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Alice zu mir sagte: „Ja, der Wasserturm ist wirklich schön.“ Sie lächelte mich an und ließ einige Schüler vorbeiziehen, dann beugte sie sich zu meinem Ohr hinüber. „Ich weiß nicht genau, was es zu bedeuten hat, aber du solltest dich heute vor fliegenden Scheren in Acht nehmen.“ „Fliegende Scheren? Geht das vielleicht auch ein klein wenig ausführlicher?“ Ich stellte mir eine verrückte Szene vor, in welcher ich in bunter Zeichentrickmanier vor einem Rudel fliegender Scheren flüchtete. „Ich sehe nur das und einen blonden Typen, der hinter dir steht.“ „Ja, wunderbar und was soll ich jetzt tun?“ Sie zuckte nur mit den Achseln, nahm meine Hand und zog mich mit sich ins Gebäude. Was es auch war oder was für Auswirkungen es hatte, es bereitete ihr eindeutig keine ängstlichen Empfindungen. Dieser Donnerstag fing mit einer Stunde Politik in unserem eigentlichen Klassenzimmer an. Ich betrat den Raum, als mein Mann schon im Begriff war, sich zu setzen. Ich lächelte ihm zu auf seine stille Frage, was Alice gesehen hatte, und beruhigte ihn somit. Kajikas Anblick traf mich als nächstes. Er strahlte über das ganze Gesicht, als er mich kommen sah, jedoch nur kurz. Irgendetwas war da… etwas, das den Ausdruck auf seinen Zügen veränderte, und auch in Edwards Blick, auf den ich durch eine Bewegung aufmerksam geworden war, entdeckte ich irgendetwas Besorgniserregendes. Zum Identifizieren kam ich allerdings weder bei dem einen, noch bei dem anderen Ausdruck, denn fast gleichzeitig mit der Entdeckung dieser vernahm ich ein unwirkliches Geräusch hinter mir. Ich schleuderte herum, wehrte mit der Hand das ab, was meine Sinne als Bedrohung empfanden, und schaute in das Gesicht des blonden Sportlers, dessen Herz jetzt noch kräftiger schlug als in meiner Erinnerung. Für den Bruchteil einer Sekunde verspürte ich das Verlangen, nach vorne zu stürzen und meine Zähne in seinen kräftigen Hals zu schlagen, doch als nächstes erkannte ich den Gegenstand, welchen ich mit einigem an Kraft von mir geschlagen hatte: Eine Schere! Ich hatte sie nicht sehr fest getroffen, aber mit mehr Kraft als man mir wahrscheinlich zuschreiben würde. Sie flog mit übereilter Geschwindigkeit durch den Raum. Eine fliegende Schere… Alice Vision… meine Vorhersicht für den heutigen Tag. Ich hätte es aufhalten können, wenn ich schneller als das spitze Stück Stahl gewesen wäre, mich der Entdeckung aufgeliefert hätte, doch so konnte ich nur mit ansehen, wie es sich einem Mädchen, welches ich zuvor noch nie wahrgenommen hatte, in den Oberschenkel bohrte. Ein spitzer Schrei durchzog die Luft, als dem Mädchen schmerzhaft klar wurde, was überhaupt passiert war. Der blonde Sportler stolperte zurück, kam aber nicht weit, weil er gegen einen Mitschüler lief und dann ebenfalls wie angewurzelt in die Richtung des Schreies blickte. Der Lehrer strauchelte hilflos auf das Mädchen zu, welches sich vor Schmerzen wand und bald zu Boden gehen würde. Es trat kein Blut aus der Wunde, noch nicht, aber der Geruch lag gleich um einiges intensiver in der trockenen Dichte des Raumes. Wie ein farbiges Band, welches sich hindurch wand und genau auf meine Geruchssinne zusteuerte, wie feine Schneeflocken in der Luft, die man mit einem Lächeln auf sein Gesicht fallen ließ. Es war durch nichts zu beschreiben, was ich zuvor erlebt hatte. Edward war schnell, aber nicht zu schnell, durch den Raum geglitten. Spürte er es auch so intensiv? Brannte seine Kehle genauso wie meine, spürte er auch diesen Schmerz darin und sah er mir an, wie ich es empfand? Ich senkte meinen Schild und wies ihn an, dem Mädchen zu helfen. Er sollte etwas tun; die Schere hinausziehen, sie in die Krankenstation bringen, irgendwas… Ich selber konnte ihr nicht einmal zu nahe kommen, und ich wollte nicht, dass er zu mir kam und den Eindruck gewann, ich hätte mich nicht unter Kontrolle. „Hast du das denn?“, fragte ich mich selbst, doch die Stimme kam mir nicht einmal ansatzweise bekannt vor. Edwards Blick verriet mir, dass es zu einem Teil nicht so war. Bröckelte meine Selbstbeherrschung nach all den Jahren etwa? Der Geruch wurde noch stärker, ein anderes Mädchen schrie, als die ersten Tropfen Blut sich ihren Weg an der Klinge vorbeigedrückten. Das Bild von Marshmallows am Lagerfeuer setzte sich in meinem Kopf ab. Ich zischte Edward in meinem Kopf, halb bitten und halb befehlend, entgegen, dass er das Mädchen endlich hier raus schaffen sollte. Er tat es nur wieder seines Willens und erst, nachdem ich ihn noch einmal dazu aufgefordert hatte. War es mein Zustand, der ihn zögern ließ, oder die veränderten Blicke der anderen im Raum? Ich hatte sie natürlich ebenfalls wahrgenommen. Doch vor ihnen hatte ich keine Angst. Sie wären ohne Ausnahme keine Gegner für mich. „Kommt nur her“, forderte sie diese fremde Stimme in meinem Inneren auf. Meine Muskeln spannten sich, Gift durchströmte meinen Mund, lief die brennende Kehle hinab, und ich musste mich zusammenreißen, dass mir nicht ein tiefes, bedrohliches Knurren entfloh. Sie hatten keine Chance. Wenn es so sein sollte, würde ich sie alle töten. Ich musste mir ein Lächeln verkneifen, was mir im nächsten Moment einen Schrecken einjagte. Was war nur los... ließ mich der Geruch von Menschenblut nun verrückt werden? Er lag so fest in der Luft, als müsse man nur die Hand danach ausstrecken und ihn an seine Lippen führen. Meine Muskeln schafften es nicht, sich zu entspannen, und ich verspürte plötzlich Angst, an dem Gift in meinem Mund zu ersticken, was schon verrückt war, da sich diese Art zu sterben für einen Vampir als total unmöglich darstellte. Ich konzentrierte mich auf die Gesichter vor mir, versuchte das, was auch immer es war, aus meinen Gedanken zu verbannen. Was passierte hier, sollte das der Blutrausch sein, vor dem man nicht fliehen konnte, welcher einen erst ruhig werden ließ, wenn man sich endlich gesättigt hatte? Nein, dafür dachte ich einfach noch zu rational. War es das Mädchen, ihr Geruch? Nein, sie schien nichts besonderes, auch wenn ich nach ihrem Blut verlangte. Oder war es einfach nur die Situation, die neu war, die mich gerade zurückwarf? Das Adrenalin, die Angst, das laufende Blut aus der frischen Wunde? Abgesehen von öden Blutkonserven, war ich Menschenblut noch niemals ausgesetzt gewesen, nicht dem frischen, warmen, pulsierenden Blut, wenn es seinen Weg aus einem Körper fand. Ein gedämpfter Schrei war zu vernehmen, als Edward das verletzte Mädchen auf seine Arme hob und mit ihr eilends zur Tür hinausging. Einige Schüler folgten ihnen, doch die meisten blieben. Nun lag ihre ganze Aufmerksamkeit bei mir. Ihre Blicke versuchten, mich zu analysieren, strahlten Feindseligkeit und Abscheu aus. Mir wurde eine Präsenz hinter mir bewusst, zuerst spielte mir mein Verstand das Wort „Falle“ zu, und ich wollte mich umdrehen und mich dagegen verteidigen, aber es war nur Kajika, der an mich heran trat. Ich ließ zu, dass sein Geruch meine Sinne ummantelte. Ihn würde ich nicht töten wollen, doch würde ich keine andere Wahl haben, wenn er alles mit ansähe, also musste ich mich beruhigen. Mir musste es gleich sein, wie verlockend der Geruch war und wie zielstrebig mein Unterbewusstsein einen Kampf verlangte… Ich füllte mich mit seinem Duft, ließ den Geruch von Blut in den Hintergrund drängen und die Blicke unwichtig werden. Es dauerte nicht lange, bis jemand das Wort ergriff. „Bist du noch ganz dicht?“ Ein anderer fügte hinzu: „Was sollte das? Was hat dir Lissy denn getan?“ Lissy? So hieß sie also. Doch bestimmt nur eine Abkürzung. Für was… Elizabeth vielleicht? Ob Edward schon die Krankenstation erreicht hatte? Ich wusste nicht einmal, wo sie zu finden war. Der Lehrer, ich kannte seinen Namen noch nicht, schaffte es nicht, für Ruhe zu sorgen. Es wurden immer weitere Stimmen laut, alle schrieen durcheinander. Das Band zog sich zur Tür hinaus, es schwebte verlockend in der Luft und mein Unterbewusstsein sah jeden, der mir den Weg zur Tür versperrte, als Hindernis an. Ich verstand nicht, woher diese Kampfbereitschaft auf einmal kam. Warum ich töten würde, um den Raum zu verlassen, dem Blut zu folgen, welches ich dann doch nicht trinken dürfte… Dieses Bedürfnis in mir war fast genauso stark wie das Verlangen nach dem Blut selbst, und das einzige, was mich davon abhielt, sie anzufallen, war der Versuch, mit dem Geruch von Kajika alles überschatten zu lassen, und der Gedanke daran, wie Renesmee mich angesehen hatte, als ich sie zum ersten Mal sah. Ihre strahlenden Augen, das zarte Gesicht und die süßen bronzefarbenen Löckchen, die dieses ummalten… „HÖRT ENDLICH AUF DAMIT!“ Sein Schrei drang direkt neben mir an meine empfindlichen Ohren und alle Stimmen verklangen, als hätte jemand das Stromkabel des CD-Players hinausgezogen. Sogar der Lehrer schaute erstaunt neben mich. „Tickt ihr alle noch sauber oder was? Es war Daryls Schuld, er wollte diesen idiotischen Haare-Streich abziehen, und Bella hat sich nur erschrocken und die Schere von sich weggepfeffert. Wenn ihr jemandem die Schuld gegen wollt, dann gebt sie diesem feigen Schwein, das sich hinter euch versteckt.“ Kajikas Finger schoss in die Richtung des blonden Sportlers, Daryl, und sofort gingen alle zur Seite, hinter denen er bis jetzt Schutz gesucht hatte. Gemurmel ging durch den Raum, und ich dachte daran, wie Renesmee ihre ersten Schritte gemacht und wie sehr ich gefürchtet hatte, dass alles zu schnell ging, dass ich vielleicht nur so wenig Zeit mit ihr haben durfte. „Bella?“ Ich hörte und schaute Kajika an, doch in meinem Hinterkopf wurde die Szenerie wiedergegeben, wie Renesmee zum ersten Mal Schlittschuh gelaufen war. Schon nach einigen Stunden war sie zusammen mit Rosalie über das Eis hinweg geschwebt und hätte jede Olympiade mit Leichtigkeit gewinnen können. Jacob hatte es da nicht so gut getroffen, seine Balance ließ zu wünschen übrig und nur haarscharf war er einem Einbruch ins kalte Nass entgangen. Ich lächelte bei der Erinnerung daran. „Bella?“ Wärme umschloss meine Hand, riss mich aus meiner Gedankenwelt. „Ich glaube, sie steht unter Schock, sie ist eiskalt.“ Erneutes Gemurmel. „Mir geht es gut.“ Langsam zog ich meine Hand aus Kajikas Griff. „Bist du sicher?“ „Ja, danke“, log ich nicht einmal, denn weder Blutrausch noch Kampfeslust schienen noch länger einen Platz in meinem Verlangen zu haben. Ich fühlte mich einfach wunderbar. Ich verspürte nur noch das Verlangen meine Tochter in meine Arme zu schließen. „So oder so müssen wir die Sache dem Direktor melden“, hatte sich der Lehrer endlich zu uns durchgerungen und schaute mich und Daryl abwechselnd an. Daraufhin machte er eine Geste in Richtung Tür. „Ich komme mit.“ „Das ist nicht nötig, Kajika.“ „Ich komme trotzdem mit.“ Bevor ich mich selber in Bewegung setzen konnte, schob mich Kajika sanft in Richtung Tür. Sah ich etwa so hilfebedürftig aus? Ich hätte gerne ebenfalls gesagt, dass seine Begleitung nicht notwendig wäre, aber ich wollte nicht alles in die Länge ziehen, und irgendwie konnte ich mir sowieso nicht vorstellen, dass es etwas gebracht hätte, sogar der Lehrer hatte seinen Einwand einfach so fallen gelassen und ließ ihn gewähren. Kajika wusste anscheinend genau, wie er seine Karten ausspielen musste, wenn es darum ging, ab und an wie ein rohes Ei behandelt zu werden. „Ist wirklich alles in Ordnung?“ Wir saßen seit einigen Minuten im Vorzimmer des Direktors, während dieser sich telefonisch bei der Krankenstation nach dem Befinden des Mädchens erkundigte und sich mit allen Eltern der am Geschehen Beteiligten in Verbindung setzte. Die Sekretärin schaute mich an, als wollte sie sagen: „Hab ich ja gewusst, dass ihr noch Ärger macht.“ Die Fürsorge des Jungen an meine Seite war schon irgendwie süß, leider konnte ich ihm seine Besorgnis nicht nehmen, indem ich ihm mitteilte, dass ich schon weitaus schlimmeres gesehen hatte, als eine in einem Bein festsitzende Schere. Vielleicht sollte ich ein wenig mehr bekümmert sein? „Ob… es ihr gut geht… Lizzy?“ Ich verengte die Augen ein wenig, knabberte nervös an meinen Fingern herum und schaute gedankenverloren nach vorn. Zu viel aufgetischt? Natürlich machte ich mir Sorgen, aber sie würde es überleben. Gefahr für mich oder die Familie sah ich nicht, ich hatte nichts getan, das irgendwie anormal war, mich mit nichts verraten. Ob Edward immer noch auf der Krankenstation war? Wusste Alice bereits, was passiert war? War Carlisle schon auf den Weg hierher und würde er enttäuscht von mir sein, dass ich schon an meinem zweiten Schultag Aufsehen erregte? „Wenn du willst, kann ich mal nachfragen.“ Ich zog Kajika mit einer schnellen Bewegung zurück auf den Stuhl. „Nein, schon gut, wir erfahren es sicher bald.“ Ihm hätte ich sofort zugetraut, dass er ohne Furcht in das Büro des Direktors gestapft wäre und Antworten verlangt hätte. Er fesselte sich an meine Augen, ich kniff sie noch ein wenig enger zusammen, und dann starrte er auf meinen Hinterkopf. „Schade um deine Haare, es wird wohl ein wenig dauern, bis sie nachgewachsen sind.“ „Was?“ Meine Hand schnellte nach hinten, zogen einzelne Strähnen nach vorne, doch nicht alle kamen so weit wie sie es gewöhnlich taten, ein ganzes Stück verlor sich viel zu früh aus meinen Fingern. Fast schon panisch griff ich ein weiteres Mal nach hinten, und noch ein Mal, als hoffte ich, dass sie mit der nächsten Suche wieder auftauchen würden. Aber das taten sie nicht, nie wieder würden sie das tun. „Sie wachsen ja nach“, versuchte mich Kajika aufzumuntern, während ich dem blonden Sportler, dessen Hals ich nun abermals gerne unter meinen Zähnen gespürt hätte, einen boshaften Blick zuwarf. Ich konnte ihm ansehen, dass ihm seine törichte Aktion mittlerweile leid tat, und vor einer Minute wäre ich auch noch bedacht darauf gewesen, ihm die Hand zu schütteln und alles zu vergessen… aber damit war es nun vorbei. Erneut griff ich in mein Haar. Gerade die Spitzen, welche Edward oft aus Fürsorge oder zum Liebesbeweis um seinen Finger wickelte, waren nun verschwunden und würden nie wieder kommen. Kein Wachstum würde in meinem toten Körper stattfinden, niemals wieder konnte Edward dieser Tätigkeit auf derselben Weise nachgehen und ich mich an seinem Drang erfreuen. Die Tür zum Büro des Direktors öffnete sich. Kajika und Daryl standen auf, ich folgte ihnen. „Eure Eltern sind schon auf den Weg hierher. Kajika, du kannst jetzt wieder in deine Klasse gehen.“ „Ich würde aber gerne bleiben, Dad.“ Dad? Hatte er gerade Dad gesagt? „Komm schon, lass mich nicht vor einer neuen Schülerin wie ein Monster aussehen, indem ich es dir befehle.“ Der Vater lächelte seinen Sohn liebevoll an und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Ich schaute hin und her, konnte aber null Ähnlichkeit zwischen den beiden feststellen. War er vielleicht ebenfalls adoptiert, hatte er einen anderen Vater oder nur einfach viel zu viel von der Mutter geerbt? „Ihr wartet bitte hier. Ich muss noch einige Anrufe erledigen“, wand sich Mr. Digs nun wieder uns, den Tätern, zu und verschwand daraufhin wieder hinter der dicken Tür seines Büros. „Du hättest mir sagen können, dass du der Sohn des Direktors bist.“ „Hat nicht jeder seine kleinen Geheimnisse?“ Er blinzelte, als wollte er andeuten, dass ich doch ebenfalls eine Menge davon mit mir rumschleppen würde. „Wahrscheinlich.“ Ich ließ mich zurück auf den Stuhl gleiten und er kniete sich vor mich. Automatisch wich ich ein Stück zurück, seine Nähe war irgendwie beruhigend, aber trotzdem machte sie mich nervös. Er schien mich zu mögen, half mir, schien gerne in meiner Nähe zu sein, und dass er keine Angst vor Berührungen hatte, war auch nicht gerade von Vorteil für unsere Beziehung. Ich musste aufpassen, dass er sich nicht zu viel von ihr versprach. Es könnte nie mehr werden als ein einfaches, schulisches Miteinander. Ich war nicht die richtige, um seine Geheimnisse zu teilen, keine Freundin, die man anrufen konnte, wenn man Hilfe brauchte oder mit jemandem in den neusten Laden der Stadt fahren wollte. Meine Welt war eine andere als seine sobald ich das Schulgebäude verließ. Meine Welt war für ihn gefährlich, könnte den Tod bedeuten. Witzigerweise verstand ich in diesem Moment zum ersten Mal wirklich, was Edward damals versuchte hatte, mir mitzuteilen. Ich wand mich ein wenig, als er meinen Blickkontakt suchte. Ob ihm vielleicht schon was an meinen Augen aufgefallen war? Er schien ein sehr guter Beobachter zu sein. „Schade, du wirst wohl heute nicht mehr in den Unterricht kommen. Ich hatte mich schon so auf deine Gesellschaft gefreut.“ Er lächelte leicht. Als ich aber weder Blickkontakt aufnahm, noch das Lächeln erwiderte, erhob er sich wieder. Zeitgleich betrat Carlisle das Vorzimmer, ich hatte ihn nicht einmal gewittert. Ich stand ebenfalls auf. „Bella?“ Carlisle schaute besorgt. „Sie müssen wohl der Vater von Bella sein? Freut mich, sie kennenzulernen, mein Name ist Kajika Digs.“ Carlisle setzte einen seiner charmanten Gesichtszüge auf und griff mit seiner handschuhüberzogenen Hand nach der ausgestreckten von Kajika. „Ja, es freut mich auch, dich kennenzulernen, Kajika. Bist du mit dem Direktor verwandt?“ Carlisles Auffassungsgabe entging mal wieder nichts. „Ich bin sein Sohn.“ Ihre Hände trennten sich wieder. „Ich habe Bella Gesellschaft geleistet, bis zu ihrem Eintreffen, aber ich muss jetzt leider wieder in die Klasse… Bella… wir sehen uns.“ Er lächelte noch einmal, hob die Hand zum Gruß und verschwand, ohne auf eine Entgegnung von mir zu warten. Carlisle überwand die zwei Schritte zwischen uns und ich umarmte ihn, als suche ich bei ihm Trost. In Wirklichkeit unterrichtete ich ihn, unter dem prüfenden Blick von Mrs. Patch, schnell über alle Vorkommnisse. „Kein Sorge, Bella. Das kriegen wir schon hin.“ Seine Hand strich beruhigend über meinen Arm, genau die gleiche Geste, die Edward oder Esme mir immer zukommen ließen, wenn es dies bedarf, und sofort war auch das letzte bisschen Besorgnis aus mir verschwunden, als hätte sich Carlisle Jaspers Fähigkeit ausgeliehen. Nach einem Gespräch mit dem Direktor und den Eltern von Daryl und Lizzy fand ich mich auf dem Weg nach Hause wieder. Ich hatte Edward nicht noch einmal sehen können, aber Carlisle versicherte mir, dass er über alles aufgeklärt war. Ich hatte zwei Tage Zwangsurlaub von der Schule erhalten, während man Daryl für seinen dummen Streich zwei Wochen lang von der Schule suspendiert hatte. „Es ist nicht deine Schuld gewesen, Bella.“ „Ich weiß.“ Doch eigentlich verwirrte mich gerade nicht die eigentlich Sachlage, sondern viel mehr meine, doch schon ziemlich vampirbezogene Reaktion darauf. Ich fragte mich, ob meine Selbstbeherrschung sich vielleicht auflösen könnte, genauso wie es anscheinend Alices Vision taten. Ob es irgendeinen Umstand gab, den ich nicht erfasst hatte und der mich so wild und entschlossen denken ließ? Ich war nicht von diesem unkontrollierten Wahn besessen gewesen, von dem ich bis jetzt nur gehört hatte… es war, als würde ich, ich selber, es so wollen, als hätte mein Kopf ganz genau gewusst, was er sich wünschte… den Kampf wahrscheinlich noch sehnlicher als das Blut. Was hatte Edward damals zu mir gesagt? „Der durchschnittliche Jungvampir ist in der ersten Zeit so besessen von seinem Durst, dass er kaum etwas anderes wahrnehmen kann. Für dich scheint das nicht zu gelten. Doch bei dem durchschnittlichen Vampir machen sich nach diesem ersten Jahr langsam andere Bedürfnisse bemerkbar.“ War meine Selbstbeherrschung vielleicht gar nicht so toll wie man immer angekommen hatte? War mir vielleicht nur ein zeitlicher Aufschub gewährt worden und nun kamen all diese verdrängten Bedürfnisse plötzlich in voller Härte auf mich zu? War vielleicht bei mir ein anderes Verlangen, vielleicht der Mutterinstinkt, an erster Stelle gerückt und nun, nach den Jahren, kam erst der eigentliche Blutdurst? Oder doch etwas anders oder vielleicht einfach gar nichts? Hatte ich vielleicht wirklich nur so heftig reagiert, weil es das erste Mal richtig frisches Blut gewesen war? „Was bedrückt dich, Bella?“ Wir fuhren schon die Straße zu unserem Haus hinauf. „So dies und das.“ Ich wollte ihn nicht anlügen, aber auch nicht darüber reden. Ich wollte es doch schaffen, dass wir hier glücklich sein könnten, dass nichts unser Hier sein trüben würde. „Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“ Er bog zum Haus ab. „Nein… aber wenn, komme ich gerne auf dein Angebot zurück.“ Ich blickte ihn aufrichtig an und er verstand. Renesmee wich in den nächsten Stunden nicht von meiner Seite, immer wieder musste ich ihr versichern, dass alles in Ordnung war. Sogar Jacob schaffte es in dieser Zeit nicht, sie abzulenken, und nach zwei Stunden hatte er genug davon, uns dabei zuzusehen, wie wir Kisten ausräumten und Renesmees Sachen einordneten. Mein Kind ließ mir nicht viele Momente, um noch einmal an den irritierenden Morgen zurückzudenken. Auf eine Art war ich froh darüber. Als Renesmee und Jacob beim Mittagessen saßen, klappte ich den Deckel meines Laptops auf und gab die Zugangsdaten für die neue Internetverbindung ein. Es war schon fast eine Woche her, seit ich mich bei Renée gemeldet hatte, sie machte sich vielleicht Sorgen. Doch zu meinem Erstaunen fand ich nur eine einzige E-Mail von ihr vor, in der sie nicht einmal auf meine Abwesenheit einging. Sollte ich mich vielleicht gar nicht mehr darüber wundern? Wir hatten beide ein neues Leben angefangen, sie in San Francisco, als Phil einen neuen Vertrag eingegangen war, und ich, ihren Wissens nach, in einer kalten Region Norwegens. Drei Mal hatte sie Edward und mich in den ersten zwei Jahren in unserem angeblichen Zuhause besucht; eine hübsche Wohnung in einem von Touristen gut besuchten Stadtviertel. Alice hatte ganze Arbeit in Punkto Makeup geleistet. Jedoch waren es für Renée zu viele Menschen und die Kälte machte sie so gar nicht glücklich, weshalb ihre Besuche auch schnell nachließen und wir uns mehr über den Computer unterhielten und Tonnen von Bildern hin und her schicken. Meine waren zu achtzig Prozent hervorragende Fälschungen. Die Wohnung existierte natürlich immer noch, obwohl wir sie seit gut zwei Jahren nicht mehr besucht hatten, und alle postalischen Sendungen an diese Adresse wurden ohne Umwege zu unserem wahren Zuhause weitergeleitet. Von Renesmee hatten wir Renée nie erzählt. Es machte mich immer wieder traurig, wenn ich darüber nachdachte, dass sie ihre Enkeltochter niemals kennenlernen würde, aber das Risiko war einfach zu groß, und ich war nicht bereit, dieses einzugehen. Renée war nicht wie Charlie, sie würde sich nicht mit nur einem Teil der Wahrheit zufrieden geben, sie würde alles wissen wollen und das konnten wir nicht zulassen. Doch nicht nur das verursachte einen Schmerzensstich in meinen Inneren, sondern auch das Wissen, dass wir irgendwann einen Schlussstrich ziehen mussten, einfacher gesagt, uns für Tod erklären würden. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie meine Mutter weinend an meinen Sarg stehen würde und wie mein Vater ihre ihre Hand hielt und dabei ganz genau wusste, dass ich nicht in der verschlossenen Kiste vor ihnen lag. Es war ein zu grausamer Gedanken. Ich schaute Renesmee und Jacob gerade dabei zu, wer schneller einen Baum erklimmen konnte, als mir die langsamer werdenden Reifen auf der Straße auffielen. Kurz danach bog Edward auf das Grundstück ein. Renesmee sprang mit einem gezielten Satz in Richtung ihres Vaters vom Baum und verpasste den immer noch fahrenden Wagen nur um wenige Zentimeter, Jacob verblieb still in den Ästen. „Wo sind Alice und Jasper?“, fragte ich, bevor er sich irgendeinem anderen Thema widmen konnte. „Sie wollten noch ein wenig in die Stadt.“ Er ließ Renesmee auf seinen Rücken klettern, geschmeidig kuschelte sie sich an ihren Vater und erspähte Jacob im Baum. „Wie geht es dir?“ Er gab sich Mühe nicht besorgt zu klingen, oder war er es ausnahmsweise nicht? Ich konnte es nicht richtig deuten. Seine Finger glitten durch mein Haar, ich wollte gar nicht erst erfahren, wie seine Meinung zu meinem neuen Haarschnitt, welchen mir Esme in der Küche hatte zukommen lassen, war. Es sah einfach bescheuert aus, meine Haare ragten nun gerade noch so knapp über die Schultern. „Mir geht es gut.“ Ich streckte mich ein wenig und küsste ihn sanft auf die Lippen. „Lass uns nicht jetzt darüber reden, Renesmee hat sich schon genügend Sorgen gemacht. Ich will sie nicht noch mehr durcheinander bringen“, fügte ich in Gedanken hinzu. Doch er schien nicht groß Geduld zu haben und richtete sich an Renesmee: „Gehst du noch ein wenig mit Jacob spielen, Schatz? Ich muss kurz mit Momma reden.“ Sie schaute ein wenig argwöhnisch, ließ aber von seinem Rücken ab und rannte wieder in Richtung Baum. Edward nahm meine Hand und ging mit mir ums Haus herum. Ich dachte erst, dass er zur Hintertür hinein wollte, doch er führte mich zwischen den Bäumen hindurch, weg von den anderen. Ein ungutes Gefühl überkam mich, warum war es nicht möglich, im Haus darüber zu sprechen? Plötzlich blieb er stehen und riss mich an sich. Ich war so erschrocken, dass ich kurz aufhörte, zu atmen. „Ich bin so stolz auf dich“, fing er an und ich verstand zuerst nicht. „Du hast allem standgehalten, dem Verlangen nach Blut, dem Wunsch, ihnen die Köpfe einzuschlagen...“ Er ließ ein wenig Abstand entstehen, um mich anzusehen, seine Finger stahlen sich in mein Gesicht, irritiert und gleichzeitig beschämt schaute ich ihn an. „Woher weißt du davon?“ „Ich konnte doch schließlich alles sehen“, schien er ein wenig zerstreut auf meine Frage. „Wirklich?“ Welcher Blick mehr Verwirrung preisgab, war wohl gerade ziemlich schwer festzustellen. „Ja, natürlich. Dein Schild war die ganze Zeit unten… War das nicht deine Absicht?“ Anstatt zu antworten, konnte ich nur leicht mit dem Kopf schütteln. Hatte ich vergessen, ihn wieder hoch zu fahren? War ich durch dieses komische Verlangen so abgelenkt gewesen? „Und jetzt? Kannst du jetzt sehen, was ich denke?“ Ich klang garantiert ein wenig panisch. „Nein.“ Er schüttelte den Kopf, seine Hände hatten meinen Körper derweilen verlassen. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ „Ich weiß nicht…“ Ich biss mir auf die Lippe. Sofort sprang eine Spur von Furcht in sein Gesicht. „Nein, ich denke, es ist alles in Ordnung. Ich habe wohl einfach nur vergessen, ihn wieder hochzufahren.“ Ich lächelte, doch wie erwartet nahm er mir dies nicht so richtig ab. War es denn so gewesen? Bis jetzt war mir nicht einmal bewusst, dass ich meinem Schild den Befehl für den Normalzustand geben musste. „Ich habe Angst“, brach es auf mir heraus. Sofort lag seine Aufmerksamkeit wieder auf mir. „Wovor?“ „Vor so vielen Dingen.“ Ich schaute mich um, ein kleiner Vogel schien uns zu beobachten. Die Hasenfamilie war bereits schnell weggehoppelt, als wir uns diesem Punkt genähert hatten. „In Forks ist so vieles schief gegangen, was wenn ich hier auch einen Fehler nach dem anderen mache?“ „Du hast nichts falsch gemacht.“ Er zwang mich, ihn anzusehen. „Bella, entschuldige meine nächste Aussage…“ Er lächelte zuckersüß. „… aber du bist schon lange nicht mehr so naiv wie damals in Forks.“ Er stoppte kurz, doch ich konnte ihm nicht einmal böse für seine Aussage sein. „Du bist in deinem Charakter so stark gewachsen, du bist Mutter, Ehefrau, Geliebte, ein wichtiger Teil der Familie. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass du nie etwas tun würdest, was irgendeinen von uns in Gefahr bringen könnte.“ „Ja, absichtlich vielleicht nicht. Aber es gibt-“ Seine Finger pressten meine Lippen zusammen und hielten mich vom weitersprechen ab. „… so viele Din-“ Mit einem sinnlichen Kuss stoppte er auch mein gedankliches Weitersprechen. Es war so einfach, sich zu verlieren, wenn er mich küsste, so leicht an nichts zu denken. Er liebkoste mich sanft mit seiner Zunge, seine Zähne zupfen verführerisch an meinen Lippen. Ich war schon mehr als bereit, mich ihm jetzt einfach hinzugeben, als er sich wieder von mir trennte. „Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich auch.“ Er strich abermals durch mein Haar. „Ich liebe deinen neuen Haarschnitt.“ „Das sagst du nur, weil du weißt, dass sie nicht mehr nachwachsen.“ Er küsste mich kurz auf die Nase und presste seine Stirn gegen meine. „Ich würde dich niemals belügen.“ „Es ist auf jeden Fall praktischer… Ich meine, auf der Jagd und so… nicht wahr?“ Meine Lippen verzogen sich ein wenig, als hoffte ich selber, an meine Worte zu glauben. „Ja“, versicherte er mir, bevor er mich näher an sich zog. „Und was deine Ängste angeht… wir schreiben einfach ein ganz neues Buch und morgen fangen wir mit dem ersten Kapitel an.“ Kapitel 09 - Schneidendes Verlangen - Ende Hosted by Animexx e.V. 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