Zum Inhalt der Seite

Magenta III

Im Bann der Aspekte
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Trollige Angelegenheiten

„Ah, wenn es hier nicht so viele Goblins gäbe, könnte man hier glatt Urlaub machen.“, seufzte Emanuelle.

Die Gnomin rutschte vom Rücken ihres Nachtsäblers und erklomm eine nahe Düne, um den Ausblick zu genießen. Vor ihr lag ein kilometerlanger, weißer Sandstrand, auf den in gemächlichem Tempo die Wellen des südlichen Meeres rollten. Palmenblätter raschelten im heißen Wind, der Salz und Sandkörner über die Panzer der großen, in der Sonne dösenden Schildkröten blies. Schwärme von bunten Fischen schossen nur wenige Meter von der Wasserlinie entfernt kreuz und quer durch das kristallklare Blau und über den Köpfen der kleinen Gruppe kreiste ein Schwarm kreischender Möwen.

In einiger Entfernung konnte man eine Ansammlung von sandfarbenden Häusern erkennen, die sich allesamt um einen großen Anlegesteg geschart hatten. Ein Schiff legte gerade ab und verschwand, eine riesige Rauchfahne hinterlassend, in Richtung Horizont. Emanuelle legte die Hand über die Augen und deutete mit ihrem kurzen Arm auf den Steg.

„Das dort ist das Dampfdruckpier. Größtenteils anständige Leute. Für Goblins, meine ich.“

„Die Worte Goblin und anständig in einem Satz zu hören, erscheint mir trotz unserer Bekanntschaft mit Alchemist Pestlezugg immer noch ein Paradoxon zu sein.“, antwortete Ceredrian und blickte nachdenklich in Richtung der Stadt.

„Oh, sie sind vermutlich ebenso verdorben und geldgierig wie allen anderen Goblins.“, erklärte Emanuelle. „Nur wird aus dem gierigsten Gauner ganz schnell ein anständiger, auf das Gesetz pochender Bürger, wenn ein noch größerer Fisch im Becken auftaucht. Die Küste weiter südlich wimmelt nur so von Piraten.“

„Lasst jetzt endlich das Geschwätz und kommt.“, knurrte Easygoing. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“

„Den ich uns auf magische Weise verkürzen werde.“, erinnerte ihn Emanuelle freundlich und ignorierte den Blick, mit dem sie der große Druide durchbohrte. „Aber gut, reiten wir.“
 

Die Bewohner des Dampfdruckpiers, größtenteils Goblins sowie einige Trolle, beäugten die Neuankömmlinge abwartend, während sie Fischernetze stopften, den Fang des Tages zum Räuchern aufhängten oder in großen Salzfässern einlagerten. Verkäufer von Töpferwaren, geflochtenen Körben und Lebensmitteln traten vor die Tür und sahen den vier großen Raubkatzen misstrauisch nach. Eine Goblindame steckte verächtlich die Nase in die Luft, bevor sie wieder in ihren Laden zurückwackelte, in dem es allem Anschein nach vor allem Hüte in allen Variationen zu kaufen gab. Der Betreiber einer kleinen Bar, einer der wenigen Menschen in der Stadt, kippte den Inhalt eines Eimers auf die Straße, bevor er die Reiter bemerkte. Er runzelte die Stirn und murmelte einen halblauten Fluch in seinen stoppeligen Bart. Nachdem sie ihn passiert hatten, zögerte er noch einen Augenblick, stellte dann seinen Eimer ab und eilte davon, um sich mit einem Freund zu treffen.
 

„Dort hinten wohnt Yeh’kinya.“, sagte Emanuelle, als sie fast bei einer kleinen Hütte direkt neben dem Pier angelangt waren. Davor saß eine gebückte Gestalt, die ihnen den Rücken zuwandte. Als die Vier näher kamen, drehte sie sich herum und erwies sich als Troll mit dunkelgrüner Haut und einer rostroten Haarmähne, die ihm in wirren Büscheln vom Kopf abstand. Sein Mund verzog sich über den ein wenig schiefen Stoßzähnen zu einem Grinsen.

„Emanuelle! Willkommen zurück!“, rief der Troll und winkte mit einer Hand. „Komm rein und wir essen zusammen. Musst Hunger und Durst haben nach der langen Reise.“

Seine Gemeinsprache war ausgesprochen gut, aber er stieß beim Reden mit der Zunge an, was seiner Stimme einen zischelnden Unterton gab. Als er bemerkte, dass die drei Nachtelfen hinter Emanuelle abgesessen waren, wurde sein freundlicher Gesichtsausdruck vorsichtig. Er wies mit dem Daumen auf die finster dreinblickenden Gestalten. „Wer sind deine Freunde?“

„Wir sind nicht…“, begann Deadlyone, doch ein Blick seines Bruders brachte ihn schnell zum Schweigen.

„Wir reisen mit der Gnomin als Geleitschutz.“, knurrte Easygoing. „Und wir werden nicht von ihrer Seite weichen.“

„Oh, das ist sicher ne gute Sache, Maan.“, erwiderte der Troll und kratze sich am Hinterkopf. „Aber weißt du, Yeh’kinyas Hütte is ziemlich klein. Wird schwierig werden, euch alle da reinzuquetschen.“

„Ach, das wird schon gehen.“, zwitscherte Emanuelle. „Komm, ich habe dir das Ei mitgebracht.“

Der Troll zuckte unmerklich zusammen. „Das Ei?“, flüsterte er. „Du hast das Ei tatsächlich gefunden?“

„Natürlich habe ich es gefunden.“, strahlte Emanuelle. „Warte, ich habe es gleich…“

„Shh.“, machte Yeh’kinya und schob Emanuelle in Richtung seiner Hütte. „Das besprechen wir lieber drinnen weiter.“

Easygoings Augen wurden schmal. Er winkte Deadlyone zu sich und sagte, ohne den Troll aus dem Blick zu lassen: „Du bleibst hier draußen. Ich traue dem Kerl nicht. Falls er türmen will…kümmere dich darum.“

„Ist mir ein Vergnügen.“, grinste der Schurke breit. „Und es ist sowieso alles besser, als sich mit diesem stinkenden Artefakt in einer kleinen, engen Hütte zu befinden. Als viel Spaß dabei, Bruderherz.“ Er klopfte den Druiden aufmunternd gegen die Schulter.

„Von Spaß kann gar keine Rede sein.“, brummte Easygoing und folgte Emanuelle zusammen mit Ceredrian ins Innere der Hütte.
 

Yeh’kinyas Wohnstätte bot einen kargen Anblick. Schrank, Bett und Tisch schienen aus Treibholz gemacht und die Stühle passten nicht zueinander. Von der Decke hingen allerlei Kräuterbündel und Dinge, die Easygoing nicht identifizieren konnte, von denen er aber annahm, dass sie einmal Teile irgendwelcher Tiere zu Land oder zu Wasser gewesen waren. Ein Gebilde aus Knochen und Federn baumelte direkt über der Schlafstatt, neben der sich einige zerlesene Folianten stapelten.

Wie zufällig blieb der große Druide direkt vor der Tür der bescheidenen Behausung stehen, während Ceredrian sich in der Nähe des Fensters postierte. Dem Priester war anzusehen, dass er liebend gerne mit Deadlyone getauscht hätte. Währenddessen wickelte Emanuelle das uralte Ei aus dem luftdicht versigelten Wachspapier, auf dem die Nachtelfen während ihrer Reise von Gadgetzan durch die Wüste bestanden hatten.

„Du hast das Ei wirklich gefunden.“, hauchte Yeh’kinya, während Easygoing sich Mühe gab, nur noch durch den Mund zu atmen. „Ich verbeuge mich vor dir, kleine Magierin. Deine Tapferkeit und Schlauheit wird der Welt noch lang im Gedächtnis bleiben.“

„Was geschieht jetzt mit dem Ei?“, wollte Emanuelle wissen. Sie saß auf einem Hocker, hielt ein Glas kühlen Melonensaft in der Hand und ließ die Beine baumeln. Ihren beiden Begleitern hatte der Troll nichts angeboten.

Yeh’kinyas Lippen wanderten in die Breite. „Das Ei wird dazu dienen, die Essenz von Hakkar aufzunehmen. Nur so kann die Welt von diesem uralten Bösen befreit werden.“

„Wie willst du das anstellen?“, fragte Emanuelle weiter. Sie schien das Ganze äußerst spannend zu finden.

Der Troll warf einen schnellen Blick auf die beiden Nachtelfen, leckte sich die Lippen und fuhr fort: „Jemand muss das Ei ins Sanktum des Gefallenen Gottes in den Tiefen des Tempels von Atal’Hakkar bringen. Dort muss der Avatar des Blutgottes beschworen und besiegt werden, um seine Essenz in das Uralte Ei bannen zu können.“

Emanuelle lauschte gebannt. „Und was passiert dann?“

„Ich werd das Ei an mich nehmen und es sicher dort verwahren, wo kein Sterblicher es erreichen kann. Nur so kann gewährleistet werden, dass es nicht in falsche Hände gerät.“

„Das klingt nach einem guten Plan.“, jubelte Emanuelle und klatschte in die Hände. „Darf ich das Ei dorthin bringen? So ein alter Tempel ist sicherlich unheimlich aufregend.“

„Wenn du willst.“, antwortete Yeh’kinya und vermied es, einen der Nachtelfen anzusehen. „Es wäre eine ehrenvolle Aufgabe.“
 

„Dieser Tempel.“, ließ sich Easygoing vernehmen und schob sich in das Gesichtsfeld des Trolls. Ein unüberhörbares Grollen lag in seiner Stimme. „Liegt er in den Sümpfen des Elends?“

„J-ja.“, stotterte Yeh’kinya. Er wich ein Stück vor dem Nachtelfen zurück und drückte sich mit dem Rücken gegen den Tisch. Seine Arme zuckten, als wäre er versucht, sie vor das Gesicht zu nehmen.

„Erzählt mir mehr davon.“, verlangte der Druide.

Der Troll schluckte. „Naja, was soll ich sagen. Vor langer Zeit gab es eine Menge Trolle, die zu Hakkar gebetet haben. Er gab ihnen viel Macht, aber er verlangte auch große Opfer. Vor allem aber wolle er in die wirkliche Welt übertreten, um sich am Blut und den Seelen der Lebenden zu laben. Die Priester, die ihm am treuesten ergeben waren, die Atal’ai, wollten diesen Wunsch in die Tat umsetzen. Doch die Zweifler an der Macht des Gottes erhoben sich gegen die treuen Anhänger und ein Krieg entbrannte, von dessen Grauen man bis heute nur flüsternd zu erzählen wagt. Es gelang den Aufständischen schließlich den Avatar von Hakkar zu zerstören und die Priester hinfort zu jagen. Das große Imperium der Gurubashi jedoch zerbarst an den Folgen des Krieges und versank in der Vergessenheit.

Die geächteten Priester flüchteten in die Sümpfe des Elends, wo sie erneut einen Tempel für Hakkar errichteten, um die Ankunft des Blutgottes in unsere Welt vorzubereiten. Der grüne Drachenaspekt Ysera hörte von diesen Plänen und ließ den Tempel mit all seinen Anhänger in den Fluten der Sümpfe versenken. Bis heute werden die Ruinen von den grünen Drachen bewacht, damit niemand hinein oder hinaus gehen kann.“

„Grüne Drachen sagst du?“ Easygoings drohende Haltung entspannte sich ein wenig. „Wenn die Träumende sich der Sache angenommen hat, gibt es keinen Grund, uns in ihre Angelegenheiten einzumischen. Es wäre respektlos.“
 

Yeh’kinya legte den Kopf ein wenig schief und betrachtete den Nachtelfen, der jetzt in seine eigenen Gedanken versunken war. Wenig erfreuliche Gedanken, wie es schien. Die Augen des Trolls leuchteten auf.

„Du hast sicher Recht, Druide, doch es gibt ein Problem bei dieser Sache.“, zischelte er und bleckte die Vorderzähne zu einem verkappten Grinsen. „Die Drachin hat nicht alle Priester vernichtet. Tief unten in den Ruinen gibt es immer noch Trolle, die versuchen, Hakkar zu beschwören. Deswegen muss jemand dorthin und dies ein für allemal verhindern.“

Er machte eine Pause, in der er Easygoing nicht aus den Augen ließ, bevor er weitersprach. „Außerdem sind die Truppen, die sie zurückließ, befallen vom Wahnsinn dessen, was man im Allgemeinen den Alptraum nennt. Ohne Hilfe werden sie auf ewig darin gefangen sein. Unter ihnen soll sogar einer sein, der dem grünen Aspekt besonders teuer ist. Wer ihn befreit, würde sicherlich in ihrem Ansehen steigen.“

Easygoing starrte den Troll an, als könnte er nicht glauben, was er soeben gehört hatte. Seine Brust hob und senkte sich und seine Hände waren zu Fäusten geballt. Schließlich schüttelte er entschlossen den Kopf.

„Das ist nicht möglich. Nicht mehr als Gerüchte.“

„Gerüchte…das ist wahr.“, sinnierte der Troll. „Doch auch das kleinste Gerücht birgt immer einen wahren Kern.“

„Er hat Recht.“, rief Emanuelle. Die Wangen der Gnomin waren vor Aufregung leicht gerötet. „Lasst uns dorthin reisen. Oh biiitteeee!“

Easygoing grunzte etwas Unverständliches. Er sah zu Ceredrian, der nur mit den Schultern zuckte.

„Ich kann das nicht entscheiden.“, erklärte der Priester glatt. „Ich denke, wir sollten zunächst einmal unsere Reise nach Darnassus fortsetzen. Sollte unsere Hilfe im Kampf gegen die Silithiden noch weiter von Nöten sein, sollten wir diesem Auftrag den Vorrang geben.“

Es war Easygoing anzusehen, dass ihm diese Antwort nicht gefiel. Doch der große Druide neigte zustimmend den Kopf. „Du hast Recht. Reisen wir nach Darnassus.“

„Oh ich muss erst noch den Forschungsbericht zu Narain Soothfancy bringen.“, erinnerte Emanuelle den Druiden und strahlte ihn an. „Aber dann geht´s in Nullkommanichts zu Euch nach Hause.“
 

Die Gnomin erwartete einen erneuten Protest, eine brummige Bemerkung oder einen scharfen Kommentar, doch Easygoing hatte sich bereits umgedreht und verließ die Hütte ohne ein weiteres Wort. Sie sah zu Ceredrian, der erneut mit den Schultern zuckte.

„Ich werde ebenfalls draußen warten.“, erklärte der Priester. „Beeilt Euch ein wenig…und verpackt dieses Ding dort gut. Dieser Gestank ist buchstäblich atemberaubend.“

„Wird gemacht, Chef.“, grinste Emanuelle und ließ sich von Yeh’kinya noch einmal genau erklären, was sie zu tun hatten, wenn sie den Tempel von Atal’Hakkar erreichten. Sie zweifelte nicht daran, dass der große Nachtelf ihrem Drängen nachgeben würde. Dazu war sein Gesichtsausdruck viel zu entschlossen gewesen.
 


 

Ungläubige Stille breitete sich im Thronsaal von Stormwind aus, während Schakals Worte wie ein Echo von den Wänden zurückzuspringen schien. Man hätte die sprichwörtlich fallende Stecknadel hören können, wenn nicht die Aufräumarbeiten um sie herum einen solchen Lärm veranstaltet hätten. Magenta, die die Tragweite von Schakals Eröffnung nicht ganz begreifen konnte, wollte schon eine entsprechende Frage stellen, als Hochlord Bolvar Fordragon allen Anwesenden mit erhobener Hand befahl zu schweigen.

„Seid ihr Euch ganz sicher“, fragte er an Schakal gewandt, „dass die Dunkeleisenzwerge wirklich von einem roten Drachen sprachen?“

Schakal nickte. „Es besteht kein Zweifel, Herr.“
 

Die Augen des Hochlords richteten sich auf das von Onyxia zerstörte Fenster, doch sein Blick schien in eine unbekannte Ferne zu schweifen. „Ich kann nicht sagen, dass ich jetzt vor Freude in die Hände klatsche. Drache bleibt nun einmal Drache, egal von welcher Farbe. Es heißt, es gäbe noch mehr von ihnen da draußen, als wir ahnen. Einige von ihnen leben sogar unerkannt unter uns. Wie man sieht.“

Der Hochlord wendete sich wieder den drei Abenteurern zu. „Ich muss zugeben, dass diese Sache mit den Verwandlungen und Amuletten und all dem ein wenig über meinen Horizont geht. Für so etwas haben wir normalerweise Magier. Allerdings fürchte ich, dass unsere Beziehungen zur Kirin Tor ebenfalls unter Onyxias Intrigen gelitten haben und wir haben keine Zeit, den eitlen Tröpfen in Dalaran erst noch wochenlang Honig um den Bart zu schmieren, bevor sie sich dazu herablassen, uns zu helfen. Deswegen ist dieser rote Drache wohl die beste Spur, die wir im Moment haben. Ich betraue Euch daher mit der Aufgabe, erneut in den Blackrock zu reisen und diesen Drachen zu finden. Beten wir zum Licht, dass er tatsächlich gewillt ist uns zu helfen.“
 

Der Hochlord straffte sich und bedachte jeden der drei Abenteurer mit einem strengen Blick. „Das hier“, er hielt das zerbrochene Amulett in die Höhe“, ist der Schlüssel zu unserem Sieg. Ich vertraue ihn Euch an, doch seid gewarnt. Solltet Ihr ihn verlieren oder Euch gar einfallen lassen, bei dieser Mission zu versagen, werde ich Euch persönlich bis in die tiefsten Abgründe der Hölle verfolgen, um Euch für dieses Verfehlen büßen zu lassen. Habe ich mich da klar ausgedrückt?“

„Aye.“, knurrte Schakal. „Aber zuerst einmal reisen wir nach Ironforge. Es gibt da noch etwas zu erledigen.“

Hochlord Bolvar Fordragons Stirn legte sich in Falten. „Was kann es in diesem Moment Wichtigeres geben, als die Welt von diesen Untier zu befreien?“

Schakal schien etwas antworten zu wollen, besann sich dann jedoch eines Besseren. Geistesgegenwärtig sprang Magenta in die Bresche.

„Wenn mich nicht alles täuscht, liegt die Hauptstadt der Zwerge doch ohnehin auf unserem Weg.“, sagte sie und versuchte sich an einem bezaubernden Lächeln. Dem Gesichtsausdruck des Hochlords nach zu urteilen, war sie nicht sehr erfolgreich „Wir werden einfach von dort aus zum Blackrock reisen. Und möglicherweise können wir in der Halle der Forscher ja noch etwas Nützliches über die Blackrock-Spitze erfahren.“

„Wie Ihr meint.“, brummte Bolvar Fordragon. „Ich werde derweil ein Schreiben nach Dalaran schicken. Für den Fall, dass Ihr versagt. Und Lady Jaina Proudmoore muss über die Vorgänge unterrichtet werden. Es wäre möglich, dass wir ihre Unterstützung beim Kampf gegen Onyxia gut gebrauchen können.“

Mit einer Geste entließ der Hochlord die drei Abenteurer und wandte seine Aufmerksamkeit den diplomatischen Angelegenheiten zu. Magenta war sich nicht sicher, wer von ihnen das schlechtere Los gezogen hatte.
 

„Wohin jetzt?“, fragte die Hexenmeisterin, als sie wieder vor das Schloss getreten waren. Die neugierige Masse hatte sich aufgrund der Gesteinsbrocken, die über den gesamten Hofplatz versprengt waren, inzwischen aufgelöst.

„Die Untergrundbahn.“, erklärte Schakal knapp. „Es ist der schnellste Weg nach Ironforge.“

„Untergrundbahn?“ In Abbefarias Stimme lag Erstaunen. „Was ist das?“

„Der Ort, an dem Schakal und ich uns kennengelernt haben.“, antwortete Magenta mit einem verschwörerischen Grinsen. „Komm, es wird dir gefallen.“
 


 


 

Ceredrian trat hinter Easygoing und sah eine Weile auf das Meer hinaus, das unablässig an den Strand lief. Die Haut des Druiden war von einer feinen Salzschicht bedeckt und in seinen blauen Haaren klebten weißliche Kristalle.

„Schwimmen gewesen?“, fragte der Priester im unverfänglichen Plauderton.

„Etwas.“

„Und? War es schön?“, fuhr Ceredrian fort. Der Wind fing sich in seinen Haaren und zauste seine Robe.

„Was wird das?“, knurrte der Druide. „Versuchst du mir ein Gespräch aufzudrängen?“

„Ich versuche lediglich herauszufinden, was vorhin in der Hütte des Trolls vor sich gegangen ist.“, erklärte Ceredrian. Seine schmalen Finger pflückten eine weiße Muschel aus dem Sand und er betrachtete sie so intensiv, als wäre die Antwort auf seine unausgesprochene Frage in die Wellenmuster der Kalkschale eingegraben. Bis auf das Säuseln des Windes herrschte intensives Schweigen. Schließlich jedoch seufzte Easygoing und drehte sich halb zu dem immer noch geduldig wartenden Priester herum.

„Du würdest es ohnehin nicht verstehen. Das geht nur…uns Druiden etwas an.“

„Du hast an Abbe gedacht?“ Ceredrians Frage wirkte ins Blaue hinein geraten, doch sie traf ihr Ziel genau, wie man an Easygoings Gesichtsausdruck erkennen konnte.

„Es ist…es gibt…ich kann so viel Dinge besser als er.“, sprudelte es plötzlich aus dem großen Druiden heraus. „Ich bin größer und stärker als er. Ich laufe weiter und schwimme schneller. Ich habe meine Tierformen besser im Griff und weiß mehr über Pflanzen und heilende Tränke, als er jemals in seinen Querkopf hineinbekommen wird.“

„Aber?“

„Er ist ein Träumer.“

Ceredrian lachte auf. „Das wissen wir doch alle.“

„Nein, du verstehst nicht.“ Easygoing wirkte ungeduldig. „Er hat eine intensivere Beziehung zum Smaragdgrünen Traum als ich. Diese Begabung ist bei Druiden unterschiedlich ausgeprägt. Und glaube mir, es gibt Bessere als ihn. Aber der Traum…er spricht zu ihm. Wir beide sind bereits darin gewandert, doch noch nie hat eines der Wesen der Traumebene mit mir gesprochen. Aber Abbe…er hört sie, die Stimmen des Traums.“

Ceredrian zog eine der langen Augenbrauen nach oben. „Du hast Recht, ich verstehe es nicht. Wie kann man auf Stimmen im Kopf eifersüchtig sein?“

Der große Druide knurrte gereizt. „Dann stell dir halt vor, Elune würde direkt zu dir sprechen. Oder halt eben nicht zu dir, sondern nur zu deinem Priesterkollegen. Egal was du machst, wie sehr du dich auch anstrengst, du hörst ihre Stimme einfach nicht.“

Ceredrian schwieg eine Weile. „Ich verstehe.“, sagte er dann. „Obwohl ich dir sagen muss, dass dein Vergleich ziemlich hinkt. Die Entscheidung Priester zu werden beruht in erster Linie auf dem Glauben und nicht auf dem Können desjenigen.“

Er wehrte einen Einwurf Easygoings mit einer sachten Handbewegung ab. „Ich verstehe trotzdem, was du meinst. Und du bist der Meinung, dich jetzt in einem Abenteuer beweisen zu müssen?“

„Ich muss gar nichts beweisen.“, knurrte Easygoing. „Ich will nur einfach Abbes blödes Gesicht sehen, wenn ich ihm erzähle, dass sich der grüne Drachenschwarm persönlich bei mir bedankt hat.“

„Na wenn das kein hehres Ziel ist, dann weiß ich auch nicht.“, grinste Ceredrian. „Aber komm jetzt! Die anderen warten bereits und ich würde es bedauern, wenn durch unser zu langes Fortbleiben irgendwelche Verletzungen oder Verwandlungen begünstigt würden.“

Easygoing sprang auf.

„Du meinst, Emanuelle und Deadlyone sind allein zurückgeblieben?“, fauchte er den Priester an. „Warum hast du das nicht gleich gesagt? Gehen wir lieber, bevor noch etwas passiert.“
 

Sie fanden die Magierin und den Schurken ungewohnt friedlich vereint am Rand der kleinen Stadt. Emanuelle hatte die Nase tief in einem kleinen Leinensäckchen vergraben und Deadlyone war…war…gut drauf?

„Hal-lo L-leute!“, rief der Schurke und winkte überschwänglich. Seine Stimme bebte und stolperte beim Sprechen und er schien ebenso Schwierigkeiten mit den Worten wie mit seinem Gleichgewicht zu haben. Das einzig Konstante an ihm war ein breites Grinsen, das wie festgenagelt in seinem Gesicht hing.

Easygoing betrachtete seinen Bruder einen Moment lang zweifelnd, dann wandte er sich an Emanuelle.

„Was habt Ihr ihm gegeben?“, verlangte er zu wissen.

„Iiiich?“ Emanuelle schien äußerst empört. „Mich trifft überhaupt keine Schuld an diesem unzweifelbar maßlos übertriebenen Gebrauch widerrechtlich angeeigneter, halluzinogener Ingredienzien. Ich hatte auf einer Retournierung selbiger bestanden, was jedoch aufgrund hartnäckiger Renitenz der gegnerischen Partei zum Scheitern verurteil war. Mir könnte daher lediglich unterlassene Hilfeleistung in einem mittelschweren Fall selbst herbeigeführter Toxikation zur Last gelegt werden, wobei ich hierbei die Ausschließlichkeit der aufgrund meines Hangs zum Pazifismus unterbliebenen Intervention betonen möchte.“

Easygoing machte ein dummes Gesicht. „Äh…was?“

„Ich übersetzt mal.“, mischte sich Ceredrian ein. „Deadly hat irgendwelche Trollkräuter geklaut, Emanuelle hat ihm gesagt, er soll sie zurückbringen, er hat sich geweigert und weil sie ihn nicht mit Gewalt davon abgehalten hat, hat er sich das Zeug komplett einverleibt und strahlt jetzt wie ein Honigkuchenpferd auf der Kirmes.“

Easygoing sah zuerst seinen grinsenden Bruder an, dann die schmollende Gnomin und schließlich den selbstzufrieden lächelnden Priester.

„Ich bin hier nur von Irren umgeben.“, murmelte er und sagte zu Emanuelle: „Macht uns jetzt endlich dieses Portal, damit wir es hinter uns haben. Wir trödeln hier schon viel zu lange herum.“

Die Magierin schnüffelte noch ein bisschen und zierte sich, doch zum Schluss ließ sie unter den wachsamen Augen des Druiden ein magisches Tor entstehen, durch das man bereits das angenehme Halblicht der Hauptstadt der Nachtelfen erkennen konnte. Easygoing unterdrückte ein erleichtertes Seufzen.

„Bitte nach Euch.“, forderte er die Gnomin auf, bevor er selbst durch das Portal schritt, dicht gefolgt von Ceredrian, der den inzwischen nicht mehr lächelnden Deadlyone stützte. Der Schurke hielt sich den Kopf und jammerte leise vor sich hin.

„Du hättest den magischen Effekt ruhig sanfter entfernen können.“, war das Letzte, was man aus seinem Mund hörte, bevor sich das Portal mit einem leisen „Plopp“ wieder schloss.
 

Kurz darauf betraten zwei sehr unterschiedliche Gestalten den Ort, an dem nur noch die Fußspuren im Sand von der Anwesenheit der nachtelfischen Besucher kündeten.

„Wir sind zu spät.“, sagte der Mann, den ein aufmerksamer Beobachter als denjenigen wiedererkannt hätte, der bei der Ankunft von Easygoing und seinen Gefährten das Weite gesucht hatte. Die Gestalt neben ihm war um ein gutes Stück kleiner als er. Ein bleicher, schwarz gekleideter Zwerg mit einem großen, schwarzen Hut und einem eindrucksvollen, zu langen Zöpfen geflochtenen schwarzen Bart. Unter der Krempe seines Hutes leuchteten seine Augen rot.

„Aye, Stoley, ich seh´s.“, knurrte der Zwerg. „Und du bist dir sicher, dass sie bei Yeh’kinya waren?“

„Es besteht kein Zweifel.“, nickte der Mann. „Was machen wir jetzt?“

„Du machst gar nichts.“, erklärte der Zwerg bestimmt. „Ich habe bereits Einiges in die Wege geleitet, um diesem Troll in die Quere zu kommen. Es sollte nicht allzu lange dauern, bis die Ergebnisse meiner Bemühungen ihren Weg zu uns finden. Yeh’kinya darf auf keinen Fall Erfolg haben.“

„Wäre es dann nicht besser gewesen, die vier gleich auszuschalten?“, erkundigte sich Stoley und rieb sich mit der Hand über das stoppelige Kinn. „Hätte uns ne Menge Ärger erspart.“

„Aye, das hätte es wohl.“, stimmte der Zwerg zu. „Aber sei´s drum. Mit Chance kommen die vier ohnehin nicht lebend von ihrem Ausflug in die Sümpfe zurück. Und wenn doch…“ Der düstere Zwerg blickte noch einmal auf die Stelle, wo die Abenteurer verschwunden waren. „Dann werden wir Ihnen einen gebührenden Empfang bereiten.“
 


 


 

Abbefaria war sich nicht sicher, ob „gefallen“ das richtige Wort für die Art der Fortbewegung war, zu der Magenta und Schakal ihn genötigt hatten. Der rasante Wechsel von Licht und Schatten, während man mit blitzartiger Geschwindigkeit im Bauch einer großen Maschine durch einen unterirdischen Tunnel raste, bereitete dem Druiden ein flaues Gefühl in der Magengegend, das er nicht unbedingt als positiv beschreiben würde.

„Gleich wird es noch besser.“, hörte er Magenta neben sich und noch bevor er fragen konnte, was sie meinte, tauchte sie der Tunnel in blaugrünes Halbdunkel. Die Tunnelwand war von einer riesigen Glasscheibe abgelöst worden, hinter der der Druide Wasserpflanzen und Fische erkennen konnte.

„Was zum…?“, entfuhr es ihm und er rückte unwillkürlich näher zum Rand des rasenden Zugschlittens.

„Passt auf, dass Ihr nicht rausfallt.“, rief Schakal vom vorderen Ende des Waggons. „Der Fußweg nach Ironforge ist nicht eben kurz und manchmal schleichen sich hier auch ziemlich große Ratten ein. Einige davon tragen Symbole der Horde.“

Es dauerte ein wenig, bis Abbefaria verstand. Er gab ein gequältes Geräusch ob des schlechten Witzes von sich und widmete sich wieder der faszinierenden Aussicht, die viel zu schnell von den vorbeihuschenden Tunnelwänden abgelöst wurde. In Ermangelung einer interessanten Beschäftigung, fragte er Schakal: „Was werdet Ihr Eurem König sagen?“

Schakal brummelte etwas Unverständliches vor sich hin und antwortete lahm: „Die Wahrheit. Vermutlich.“

„Wie wird er darauf reagieren?“, wollte Magenta wissen.

„Was weiß denn ich?“, polterte Schakal plötzlich los. „Ich meine, bin ich etwa König? Begeistert wird er sicherlich nicht sein, wenn ich ihm erzähle, dass seine Tochter sich nicht nur in der Hand seines größten Feindes befindet, sondern zu allem Überfluss auch noch dessen Bastard erwartet.“

„Wir werden Euch auf diesem Weg begleiten.“, sagte Abbefaria bestimmt und obwohl es den Anschein hatte, dass Schakal dieses Angebot zunächst ablehnen wollte, schien der Zwerg in gewisser Weise froh, diesen schweren Gang nicht allein hinter sich bringen zu müssen.
 

Sie erreichten Ironforge in ungewohnter Stille und auch auf dem Weg zum königlichen Thron wechselten sie kaum mehr als zwei Worte. Es war, als läge der Schatten des Blackrock immer noch über ihnen und dieser Schatten wuchs mit jedem ihrer Schritte.

Eine Wache hieß sie in einem kleinen Raum neben dem Thronsaal warten und eilte unter Rüstungsklappern davon, um den König zu benachrichtigen. Es dauerte nicht lang, da schwang die schwere, hölzerne Tür der kleinen Kemenate auf und der König der Zwerge betrat den Raum.
 

Abbefaria war beeindruckt von der gedrungenen Gestalt, die zwar nicht so hochgewachsen wie der Hochlord der Menschen war und auch die kühle Eleganz der nachtelfischen Führerin vermissen ließ, aber ebenso viel Macht und Würde ausstrahlte. Er war mit einem gewaltigen Kriegshammer an seiner Seite bewaffnet und trug eine vollständige Rüstung, deren Gewicht einen ausgewachsenen Mann vermutlich zu Boden gedrückt hätte. Dem Zwergenkönig hingegen war das Gewicht nicht anzumerken. Seine Schultern schienen vielmehr von der Last von Kummer und Sorgen gedrückt zu sein, die der Nachtelf selbst auf dem von einem Bart fast bedeckten Gesicht zu erkennen vermochte. Der von Gram durchtränkte Blick richtete sich auf Schakal und wurde von einem hoffnungsvollen Funkeln abgelöst.

„Ah, mein Spion ist zurückgekehrt.“, rief er mit polternder Stimme und winkte einer blondbezopften Bediensteten, die sogleich davon eilte und mit einem Tablett zurückkehrte, das sich unter der Last von Köstlichkeiten schier bog. Der König schob Schakal einen Becher mit schäumendem Bier hinüber und forderte ihn und seine Freunde auf zu trinken.

„Mit feuchter Kehle erzählt es sich besser.“, lachte er.
 

Schakal nahm höflich einen kleinen Schluck und stierte dann auf den schwindenden Schaum. Als der König das sah, kniff er misstrauisch die Augen zusammen. „Du lehnst ein Bier aus einer der besten Brauereien in ganz Ironforge ab? Was für Neuigkeiten könnten einen Zwerg dazu veranlassen? Schnell, sprich es aus!“
 

Ungewöhnlich leise berichtete Schakal, was sich im Blackrock zugetragen hatte. Er schilderte auch, was sich weiter im Schloss von Stormwind ereignet hatte, doch der König der Zwerge war bereits aufgesprungen und wanderte unruhig vor dem kleinen Kamin des Raums hin und her. Als Schakals Bericht schließlich endete, breitete sich Stille aus.

Minuten vergingen, ohne dass jemand etwas sagte. Schließlich gab der König der Zwerge ein Stöhnen von sich, das aus den tiefsten Tiefen seiner Seele zu stammen schien. Er sank auf einen Stuhl neben Schakal und vergrub das Gesicht in den Händen. „Meine Tochter hat…mit diesem…ein Kind?“

Abbefaria schrak zusammen, als kurz darauf die Faust des Zwergenkönigs auf den Tisch krachte und diesen merklich zum Wanken brachte.

„Das kann nicht sein!“, tobte der König. „Dieser Hundsfott hat mit seinen schwarzen Künsten einen Zauber über sie gewebt und sie sich zu Willen gemacht. Aber ich schwöre, dass dies seine letzte Untat gewesen sein wird. Dieser Frevel verlangt nach Rache.“

Die Augen des Zwergenkönigs glühten in einem unheimlichen Feuer. „Ich werde diesen elenden Verräter umbringen lassen. Mit seinem Tod wird der Zauber, der Moira in seinem Bann hält, getilgt werden. Sagt mir, Freund Schakal, Seid Ihr willens noch einmal in die Tiefen hinabzusteigen und meine Tochter aus den Klauen dieses Bösewichts zu befreien?“
 

„Ähm…“

Schakals Blick irrte ein wenig hilflos zwischen seinem König und seinen beiden Begleitern umher. „Also im Prinzip ja schon, nur fürchte ich, dass Lord Bolvar irgendwie schneller war als Ihr, mein König. Er hat uns schon in die Spitze des Blackrocks beordert, um dort den Schlüssel zu Onyxias Vernichtung zu suchen.“

„Bolvar?“, schrie der Zwergenkönig und reckte drohend die Faust. „Diesem doppelzüngigen Hund werde ich den Kriegshammer auf die Brust setzen. Nur weil er und diese falsche Schlange Katrana Prestor ihren eigenen Leuten die Unterstützung versagt haben, nur deswegen ist meine süße, kleine Moira überhaupt aus der Sicherheit ihres Nestes geflogen und dann in den Klauen dieses Aasgeiers Thaurissan gelandet. Und ich…ich habe sie GEHEN LASSEN!“

Der Zwergenkönig griff das Erstbeste, was ihm auf dem Tisch unter die Finger kam, und schmetterte es gegen die Wand. Ein klebriger Brei aus Äpfeln und Kirschkuchen blieb für einen Augenblick an den Steinen kleben und rutschte dann langsam zu Boden.

Schakal, der unwillkürlich den Kopf eingezogen hatte, hüstelte schüchtern. „Mein König…Ihr habt schon mitbekommen, dass Lady Katrana Prestor in Wirklichkeit der schwarze Drache Onyxia war, zu dessen Vernichtung uns Bolvar jetzt ausgesandt hat, oder?“

„Was? Ein Drache?“ Die buschigen Augenbrauen des Zwergenkönigs wanderten nach oben. „Ich hab ja gleich gewusst, dass eine Frau in einer Führungsposition nichts zu suchen hat.“
 

Magenta neben ihm schnaubte abfällig, aber Abbefaria verkniff sich einen Kommentar dazu, dass das Volk der Nachtelfen sehr gut mit einer weiblichen Führerin zurechtkam. Es hätte die Laune des Zwergenkönigs, der jetzt wieder ruhelos vor dem Kamin auf und ab wanderte, vermutlich nicht unbedingt verbessert.

„Elende Magie und Schwarzhexerei.“, grollte der König und schickte einen saftigen Fluch in der poltrigen Sprache der Zwerge hinterher. „Was ist aus den Zeiten geworden, als ein ordentlicher Kampf das Geschick eines Volkes entscheiden hat. Diese ganze Diplomatie und das viele Gerede. Man sieht ja, wohin das führt. Von Drachen unterwandert, ha! Sowas gäbe es bei uns Zwergen nicht.“

König Bronzebeard blieb stehen und raufte sich die üppigen Haare. „Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren mit diesem Kind.“, brummte er und wedelte ungeduldig mit der Hand. „Für Erste seid Ihr entlassen. Lasst Euch von meinem Schatzmeister eine angemessene Belohnung auszahlen und dann geht mir aus den Augen. Ich muss nachdenken, was weiter zu tun ist. So eine vertrackte Sache…“
 

Wieder vor der Tür schüttelte Schakal den Kopf. „Jetzt weiß ich wieder, warum ich lieber Junggeselle bleibe. Frauen allein machen ja schon genug Ärger, aber wenn erst das Thema Kinder auf dem Tisch ist, wird es höchste Zeit zu packen. Da nehme ich es doch lieber mit einem feuerspeienden Drachen auf.“

„Dazu werdet Ihr vermutlich früher Gelegenheit bekommen, als Euch lieb ist.“, erwiderte Abbefaria.

„Erinnert mich nicht daran.“, stöhnte Schakal. „Und jetzt kommt, wir holen uns unsere Belohnung. Und ich für meinen Teil, werde sie auch gleich anlegen.“

„In einer neuen Rüstung?“, fragte Magenta interessiert. „Ich bräuchte dringend ein Paar neue Schuhe.“

„Nein, in Bier natürlich.“, erklärte Schakal frostig. Er stapfte mit der fest entschlossenen Miene eines wahrhaft Durstigen an der großen Schmiede vorbei und steuerte zielsicher die nächstgelegene Kneipe an. Er hatte sie fast erreicht, als sich ihm eine Gestalt in den Weg stellte. Eine Gestalt, die ihm fröhlich zuwinkte.
 

„Schakal!“, rief eine poltrige Stimme und kurz darauf trieb ein kräftiger Schlag auf den Rücken dem Schurken die Luft aus den Lungen. „Hab ich mir doch gedacht, dass ich dich früher oder später in Bruuks Ecke treffe.“

„Gambrosch.“, hustete Schakal und rieb sich die schmerzende Schulter. „Wie schön.“

Schakals Ironie tropfte von dem fremden Zwerg ab wie Wasser von einer gut geölten Bratpfanne. Er strahlte Schakal unter seinem üppigen Bart an und meinte augenzwinkernd. „Willst du mich deinen Freunden nicht vorstellen?“

„Freunde – Gambrosch. Gambrosch – Freunde.“, knurrte Schakal. „Was willst du?“

„Oh, ich habe hier einen Brief für dich.“, erklärte Gambrosch und begann, in seinen Taschen herumzuwühlen. Er förderte allerhand Kleinkram zutage, den er Schakal kurzerhand in beide Hände drückte, bis er schließlich eine reichlich zerdrückte Pergamentrolle hervorzog. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck reichte er sie an Schakal weiter.

Der Schurke nahm die Rolle und betrachtete sie mit gerunzelten Augenbrauen. „Die sieht aus, als hätte jemand daran herum gekaut.“

„Oha, ja, das war Ätsch.“, antwortete Gambrosch fröhlich und stopfte seine Habseligkeiten wieder zurück in seine Taschen. „Wenn ich geahnt hätte, dass das mit dem Allesfresser so wörtlich gemeint war…“

„Wer oder was ist Ätsch?“, fragte Schakal abwesend, während er versuchte, die ausgefransten Ränder der Schriftrolle so zu glätten, dass sie beim Ausrollen nicht vollständig in Fetzen gerissen wurde. Er überflog die Nachricht und sein Gesicht verdüsterte sich.

„Ätsch ist mein Schwein.“, erklärte Gambrosch. „Warte, ich rufe ihn mal.“
 

Der Zwerg stieß einen schrillen Pfiff aus, dem ein fast ebenso schrilles Quiekgeräusch aus dem Inneren der Zwergenkneipe antwortete. Es schepperte, rumpelte und klapperte, jemand – der Höhe der Stimme nach zu urteilen eine Frau – schrie erschrocken auf und dann polterte ein wild grunzendes Tier mit der Statur einen kleinen Bierfasses die kleine Treppe zum Eingang hinab. Neben Gambrosch blieb das Tier stehen, ließ die Vorderbeine einknicken, streckte den borstigen Hintern mit dem dünnen Pinselschwanz in die Höhe und grunzte auffordernd. Der Zwerg wühlte einen Apfel aus den Tiefen seiner Taschen hervor und warf ihn dem Schwein hin. Das gewaltige Maul mit den spitzen Hauern schnappte zu und Sekunden später war der Apfel mit Stumpf und Stiel verschwunden. Wenn Abbefaria richtig gesehen hatte, hatte es nicht einmal gekaut.

„Verfressener, kleiner Stinker.“, grinste Gambrosch und kraulte das Schwein hinter den Ohren. Wohlig grunzend schupperte sich das Tier dabei an seinem Bein und sah ihn aus glücklichen Schweineäuglein erwartungsvoll an.

„Jetzt ist aber Schluss, du bekommst nichts mehr.“, schimpfte der Zwerg und drohte dem bettelnden Schwein mit dem Zeigefinger. Abbefaria war sich inzwischen sicher, dass es sich bei ihm um einen Jäger handeln musste. Der gezähmte Begleiter und die Schrotflinte auf seinem Rücken ließen diese Vermutung zumindest entstehen.

„Nettes Schwein.“, brummelte Schakal und man meinte förmlich zu hören, dass er dem Tier mehr Sympathie als dessen Herren entgegen brachte. „Und danke noch mal für den Brief. Wir, äh…müssen jetzt gehen.“

„Oh, warum denn?“, fragte Gambrosch und hörte auf Ätsch zu kraulen. Das Schwein quittierte dies mit einem vorwurfsvollen Grunzen. „Ihr seid doch gerade erst gekommen und müsst durstig sein.“

Schakal schüttelte den Kopf. „Nein, wirklich, es geht nicht. Ganz dringende Geschäfte. War nett dich mal wieder zu sehen.“
 

Ohne sich weiter um Gambroschs Protest zu kümmern, ließ Schakal den anderen Zwerg stehen und eilte, die zerknitterte Schriftrolle unter das Wams stopfend, davon. Abbefaria und Magenta hatten im Getümmel der lebhaften Zwergenstadt Mühe, mit ihm Schritt zu halten, und waren froh, als er sie in die Deckung eines Hauseingangs winkte.

„Spart Euch irgendwelche Fragen.“, knurrte er und sah sich nach allen Seiten um. „Gambrosch ist eigentlich ein sehr netter Kerl, hilfsbereit und zuverlässig. Leider ist er auch schrecklich neugierig und eine der größten Klatschbasen, die ich kenne. Ich fürchte, wir müssen sofort aufbrechen, wenn wir nicht riskieren wollen, dass uns noch irgendjemand in die Quere kommt. Wir nehmen nur das Nötigste mit und treffen uns in einer Stunde am Greifenhorst. Und jetzt entschuldigt mich, ich muss noch etwas erledigen.“
 

Damit ließ Schakal Abbefaria und Magenta allein in den Schatten zurück und verschwand wieder im Strom der Besucher von Ironforge. Die beiden sahen sich an.

„Was tun wir jetzt?“, fragte der Druide und zog die Hexenmeisterin tiefer in die dunkle Ecke, wo er ihr einen Kuss auf den Hals drückte. Er mochte ihren Geruch und die weiche Haut unter seinen Lippen. Zu gern hätte er noch mehr davon gekostet.

„Oh, ich hab da schon eine Idee.“, kicherte Magenta und schmiegte sich mit verräterischem Augenaufschlag an ihn. „Wir gehen einkaufen. Wir brauchen noch Vorräte und hatte ich schon Schuhe erwähnt?“

Warum habe ich nur gefragt? , dachte Abbefaria bei sich und ergab sich dann seufzend in sein Schicksal. So viele Schuhe konnte man ja innerhalb einer Stunde nicht anprobieren.
 


 


 

„Narren!“ Die Stimme der jungen Nachtelfenpriesterin bebte und ihre Nasenflügel blähten sich vor unterdrücktem Zorn. „Sie sehen einfach nicht, welche Gefahr sich hier auftut. Ihr irrationaler Hass auf die Horde macht sie blind für alle anderen Bedrohungen. Wie viele Beweise für den Aufstieg der Silithiden soll ich denn noch erbringen? Ich kann sie ja schlecht zu einem ihrer Schwarmbauten schleifen, damit sie es begreifen. Ich…“

Gracina Spiritmight unterbrach sich, als sie bemerkte, dass sie nicht allein war. Ihre Wangen nahmen eine dunkelviolette Färbung an und sie stammelte eilends eine Begrüßung.

„Elune‘adore, Freunde. Verzeiht mein ungebührliches Auftreten. Ich hatte nicht erwartet, Gäste zu haben.“

„Ishnu-alah, Schwester Gracina.“, antwortete Ceredrian. „Mir scheint, wir kommen im rechten Augenblick.“ Der weißhaarige Priester zog den Forschungsbericht von Alchemist Pestlezugg aus der Tasche.

„Oh, Ihr seid es, Ceredrian. Und wieder kommt Ihr in Begleitung der kleinen Gnomin zu mir. Das kann nur bedeuten, dass Ihr Nachrichten aus Tanaris bringt. Setzt Euch! Ich werde Euch und Euren Freunden Erfrischungen bringen lassen, derweil ich das hier studiere.“
 

Während eine Novizin sie mit allerlei darnassischen Köstlichkeiten versorgte und die Priesterin sich in den hinteren Teil des Raums zurückzog, wo sie den Bericht in der Hand haltend auf und ab lief und gedankenverloren mit ihrem langen, grünen Zopf spielte, beugte sich Easygoing zu Ceredrian hinüber und flüsterte: „Mir scheint, sie mag dich.“

Der Priester grinste, nahm sich ein Glas Trichterwindentau und zwinkerte dem Druiden über den Rand hinweg zu. „Tun sie das nicht alle?“

Easygoing rollte mit den Augen. „Unverbesserlich.“, grollte er und warf Deadlyone einen warnenden Blick zu. Der Schurke hatte zu interessiert auf eine der silbernen Dosen gestarrt, die die Priesterin auf einer flachen Kommode aufbewahrt hatte.

„Deadly!“, zischte der Druide und zog seinen Bruder neben sich auf die flachen Sitzpolster. „Nimm dir einen Wildreiskuchen und lass die Finger ansonsten, da, wo ich sie sehen kann! Haben wir uns verstanden?“

Der Schurke murmelte eine halbwegs zustimmende Antwort, schnappte sich einen der samtigen Pfirsiche vom Tisch und biss mit unverhohlenem Trotz hinein. Dass ihm dabei der Saft über die Finger lief und auf die Sitzgelegenheit tropfte, schien ihm dabei eine Art grimmige Befriedigung zu verschaffen. Easygoing wollte ihn gerade zu Recht weisen, als Gracina Spiritmight zurückkehrte.
 

„Pestlezuggs Bericht ist interessant. Vor allem bestätigt er meinen Verdacht, dass sich die Silithiden inzwischen auch im Krater von Un’goro ausbreiten. Ihre Quelle jedoch scheint sich woanders zu verbergen. Aber ich fürchte, dass nicht einmal diese Nachricht Staghelm und die anderen davon überzeugen wird, dass die Bedrohung durch die Silithiden ernst genommen werden muss. Er hat mir wortwörtlich gesagt, dass die Silithiden kein Problem darstellen. Seine Arroganz wird nur noch durch seine Ignoranz übertroffen. Man sollte meinen, dass gerade er dieses Thema ernst nimmt.“

Sie schlug erschrocken die Hand vor den Mund. „Verzeihung.“, murmelte sie und warf Easygoing einen schnellen Blick zu. „Es steht mir nicht zu, derart über Fandral Staghelm zu sprechen. Immerhin ist er der Erzdruide und ein Held unseres Volkes.“

„Wir werden Ihn nicht über Eure Reden in Kenntnis setzen.“, versicherte Ceredrian in ruhigem Tonfall.

„Vielleicht sollte ich noch einmal mit ihm reden.“, bot Emanuelle an. Die Augen der kleinen Gnomin funkelten verdächtig. „Ich meine, er muss doch einsehen, dass diese Käfer eine Bedrohung sind.“

Gracina Spiritmight schüttelte traurig den Kopf. „Der Erzdruide hat mir ausdrücklich verboten, ihn noch einmal mit dem Thema zu belästigen. Vielleicht…vielleicht sind es auch einfach nur die schmerzlichen Erinnerungen, die ihn quälen. Er verlor seinen Sohn beim ersten Angriff der Silithiden.“

„Es gab bereits einen Angriff?“, rief Emanuelle aus. „Wo? Wann?“

Auf Gracinas Gesicht erschien ein kleines Lächeln. „Das ist mehr als tausend Jahre her, kleine Emanuelle. Unter schweren Verlusten wurden die Silithiden damals zurückgedrängt und in ihre eigene Festung gesperrt. Eines der Opfer des Krieges war Fandral Staghelms Sohn Valstann. Die Befehlshaber über die Silithidenarmeen, die Qiraij, haben Staghelms Sohn damals in eine Falle gelockt und ihn dann vor den Augen seines entsetzten Vaters in Stücke gerissen. Ich nehme an, dass sie damit den Willen des großartigen Anführers, der er damals war, brechen wollten.“

„Das ist furchtbar.“, hauchte Emanuelle mit weit aufgerissenen Augen. „Der arme Mann.“

„Ja, es muss entsetzlich gewesen sein.“, bestätigte die Priesterin. „Ich selbst war damals nicht zugegen, sondern versorgte die Verwundeten innerhalb des Stützpunktes in Silithus. Kurz darauf mussten wir Burg Cenarius verlassen und uns weit ins Landesinnere zurückziehen. Wie es letztendlich gelang, die Qiraij zu besiegen, wissen nur wenige. Es heißt jedoch, dass die Drachen etwas mit der Bannung der Gefahr zu tun hatten.“
 

Für einen Moment schwiegen die Anwesenden und jeder schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Emanuelle zog schließlich das kleine Leinensäckchen hervor, das sie bereits in Tanaris in der Hand gehabt hatte, und schüttelte den Inhalt nachdenklich.

„Vielleicht sollte ich mein Morgenkorn doch dem Erzdruiden bringen. Ich wette, er freut sich darüber.“

Easygoing blickte ungläubig auf den prall gefüllten Beutel. „Was? Das alles habt Ihr in der kurzen Zeit geerntet? Unmöglich!“

Die Gnomin blickte den Druiden aus großen, blauen Augen an. „Ich hatte Glück, schätze ich.“

„Glück?“, ächzte der Druide. „Ich habe in derselben Zeit nicht einmal halb so viel herangezogen. Ihr habt gemogelt!“

Die Gnomin zog die Nase kraus. „Nun ja...vielleicht hat es doch etwas mit dem Superwachsomat zu tun, den ich erfunden habe. Er bündelt das Sonnenlicht und…das wollt Ihr gar nicht wissen, oder?“

Easygoings säuerlicher Gesichtsausdruck sprach Bände.
 

„Wenn ich es mir so recht überlege“, meinte die Gnomin und rückte ein Stück von Easygoing weg, „bringe mein Morgenkorn doch lieber zu Quintis Jonespyre. Wir hatten ja eine Abmachung.“

„Das klingt nach einer guten Idee.“, stimmte Ceredrian schnell zu. Der Priester erhob sich und verbeugte sich vor Gracina Spiritmight. „Habt Dank für Eure Gastfreundschaft, Gracina. Es tut mir leid, dass wir Euch nicht mehr unterstützen konnten.“

„Eure Hilfe war mehr als willkommen, Ceredrian.“, entgegnete die Priesterin lächelnd. „Die Zeit wird kommen, da ich Eure Hilfe wieder benötigen werde. Zunächst jedoch werde ich den Bericht noch einmal genau studieren und mich vielleicht noch mit einigen andere beraten, die den Geschehnissen rund um die Silithiden mehr Beachtung schenken.“
 

Die Priesterin riss ein Stück unbeschriebenes Pergament von Pestlezuggs Bericht ab und schrieb einige kurze Zeilen darauf. „Bitte, nehmt diese Notiz und bringt sie zu Idriana in der Bank von Darnassus. Sie wird Euch aus meinem persönlichen Besitz aushändigen, was Euch gefällt. Es ist das Mindeste, was ich tun kann.“

Sie versuchte Ceredrian das Pergament zu überreichen, doch der weißhaarige Priester faltete ihre Finger wieder darum. Dann nahm er ihre Hand in beide Hände und platzierte einen flüchtigen Kuss auf ihren Fingerspitzen.

„Eure Dankbarkeit und die Gewissheit, Euch und damit auch den Völkern von Azeroth einen Dienst erwiesen zu haben, ist uns Belohnung genug, Mylady.“, sagte er und sah der Priesterin dabei unablässig in die Augen. Im Hintergrund hörte man Würggeräusche, als habe sich gerade jemand an einem großen Stück Pfirsich verschluckt.

„D-danke.“, antwortete Gracina Spiritmight und blickte den drei Nachtelfen und ihrer gnomischen Begleiterin noch eine ganze Weile nach, bis diese schließlich den Tempel des Mondes verließen und außer Sichtweite gerieten. Erst dann wurde ihr bewusst, dass sie die ganze Zeit den Bericht über die Silithiden an ihre Brust gedrückt hatte. Stirnrunzelnd entfaltete sie den Brief wieder und begann erneut zu lesen.
 


 

Magenta musste sich ob des Anblicks, der sich ihr bot, zusammenreißen, um sich nicht zu übergeben. Vor ihnen lag eine Leiche, deren Rasse nur noch anhand der neben dem Toten liegenden, zwergengroßen Rüstungsteile zu erkennen war. Augenscheinlich handelte es sich um den Nicht-Überlebenden eines Gefechts zwischen den Dunkeleisenzwergen und den Blackrock-Orks.

„Vollkommen zerfetzt.“, urteilte Schakal und untersuchte den toten Körper weiter, was Magenta einen erneuten Ekelschauer entlockte. „Der Kopf wurde von einem Axt- oder Schwertstreich fast vollkommen gespalten. Ob bevor oder nachdem die Gliedmaßen abgetrennt wurden, lässt sich jetzt nicht mehr erkennen. Und…sind das Bissspuren?“

Der Zwerg erhob sich und schüttelte den Kopf. „Widerwärtig. Ich bin zwar kein Freund der Dunkeleisenzwerge, aber immerhin fressen die ihre Gegner nicht auf.“

„Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Sache.“, ließ sich Abbefaria vernehmen. Der Druide hielt die kleine, goldene Münze in der Hand und sein Blick schweifte unruhig über die Balkone und Brüstungen, die über ihren Köpfen lagen.

„Das Ganze ist ja eigentlich auch kompletter Schwachsinn.“, brummelte Schakal. „Ich frage mich, wie wir Euren komischen Drachenverbündeten da oben finden sollen.“

„Wir müssen eben vorsichtig sein.“, sagte Magenta wenig überzeugt von ihren eigenen Worten. „Wie wäre es, wenn wir uns wieder verkleiden?“

„Eigentlich kein schlechter Plan.“, murmelte Schakal. „Das Dumme ist nur, dass ich auf jeden Fall auffallen werde. Unser Freund Nachtelf hier geht ja vielleicht noch als Troll durch und du als ziemlich magerer Ork, aber ich…“

„Dann nutzt eben Eure Fähigkeiten, Freund Zwerg, und lasst Euch nicht sehen.“, schlug Abbefaria vor. „Ihr habt uns vorhin berichtet, die Blackrock-Orks besitzt auch Hexenmeister. Wenn wir einigermaßen bestimmt auftreten und Magenta einen ihrer…Diener beschwört, könnte es klappen.“

Magenta blinzelte ein paar Mal, bis ihr klar wurde, was Abbefaria da gerade vorgeschlagen hatte. „Du willst, dass ich meine Dämonen einsetze?“

Der Druide verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. „Es ist jetzt nicht der Augenblick, um wählerisch zu sein. Glaub mir, wenn mir etwas Besseres eingefallen wäre, hätte ich es vorgeschlagen.“
 

Die Hexenmeisterin blies die Backen auf und ließ langsam die Luft entweichen. „Also schön…wen nehme ich da?“

Diese Frage ist jetzt ja wohl nicht dein Ernst, empörte sich Pizkol in ihrem Kopf. Du wählst natürlich den schlauesten.

Jahzdok? Ich glaube nicht, dass ich mit so einem auffälligen, blauen Kerl durch die Blackrockspitze spazieren sollte.

Hey!

Magenta musste ob des quakenden Protests ihres Wichtels grinsen.

Ich könnte Sloojhom mitnehmen. Gegen die orkischen Zauberer wäre er bestimmt eine große Hilfe, überlegte sie weiter.

Bitte? Diese sabbernde Töle mit dem Gehirn von der Größe einer Erbse verläuft sich doch in ihrem eigenen Hundekörbchen. Außerdem ist er nicht stubenrein. Er wäre dir nur im Weg.

Magenta war kurz davor laut loszuprusten.

Oh, na wenn Euer Hochwohlgeboren meinen, keifte der kleine Dämon weiter. Mirdochegal! Ich reiße mich nicht darum, von einem Oger zerstampft oder von einem Ork pulverisiert zu werden.

Ich wähle Fierneth.

Was?

Magenta empfing gleich zwei Arten von Erstaunen. Die eine war gepaart mit feuriger Wichtelempörtheit und die andere mit der mentalen Entsprechung des unschuldigen Augenaufschlags einer Katze, die gerade den Kanarienvogel gefressen hatte. Unsicher, ob sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte, holte Magenta die Lederpeitsche hervor und beschwor ihre Sukkubus zu sich.

Die Dämonin nahm ihre Waffe entgegen, stemmte kokett die Hand in die Hüfte und spitze die Lippen zu einem süffisanten Lächeln. „Fasst nichts an, was ihr Euch nicht leisten könnt.“

„Fierneth!“, schnappte Magenta, viel eher ärgerlich über die Reaktion ihrer männlichen Mitstreiter als über die der Sukkubus. Herunterhängende Kinnladen gehörten jetzt nicht unbedingt zu den Dingen, die die Hexenmeisterin brauchen konnte. Ihr schlotterten ohnehin schon die Knie und sie hatte inzwischen festgestellt, dass die Redewendung „Mir ist ganz schlecht vor Angst“ nicht unbedingt metaphorisch gemeint war.
 

Schakal, der inzwischen seinen Mund wieder zugeklappt hatte, runzelte die Stirn. „Bist du dir sicher, dass du die da mitnehmen willst. Ich meine, sie ist irgendwie ein wenig…auffällig.“

„Wenn du etwas verstecken willst, tu es da, wo es jeder sehen kann.“, antwortete Magenta und versuchte, so gut sie konnte, das Zittern in ihrer Stimme unter Kontrolle zu bringen. „Ich erinnere mich noch genau, wie Milli mich einmal mein Nobelgartengeschenk hat suchen lassen. Ich habe die halbe Küche auf den Kopf gestellt, nur um dann festzustellen, dass das Geschenk die ganze Zeit auf dem Tisch lag.“

Schakal zog die Augenbrauen nach oben. „Ich verstehe nicht ganz…“

„Fierneth wird die Blicke auf sich ziehen.“, erklärte Magenta, während sie die Dinge in ihrem Rucksack durchwühlte und schließlich einen alten Kapuzenumhang daraus hervorzog. Ein Schwall stechenden Kräutergeruchs wehte ihr entgegen, als sie ihn entfaltete. „Mit ihren Fähigkeiten wird sie unsere Gegner verwirren und ablenken und wir können uns klammheimlich vorbei schleichen. Und das alles, ohne dass es zu einem Kampf kommt.“

„Das klingt alles sehr logisch.“, gab Abbefaria zu.

„Du bist befangen.“, konterte Schakal und warf die Hände in die Luft. „Aber da wir sowieso keine Wahl haben, ist ein dummer Plan ebenso gut wie der andere. Bleibt nur noch zu hoffen, dass die Orks einen ähnlichen Geschmack haben wie...äh…Menschen.“

„Oh glaubt mir, das haben sie.“, schnurrte die Sukkubus. „Sie sind sogar noch gieriger.“

Schakal verzog das Gesicht. „Das will ich gar nicht wissen. Also los jetzt. Statten wir der Blackrock-Spitze einen Besuch ab.“
 

Während sie diesmal über die gewaltigen Kettenglieder nach oben krabbelten, konnte Magenta nicht umhin darüber nachzudenken, was es wohl mit den verschiedenen Drachenfarben auf sich hatte. Sie war bis jetzt – ähnlich wie Hochlord Bolvar Fordragon – immer davon ausgegangen, dass mit keiner dieser übergroßen Eidechsen besonders gut Kirschen essen war. Dass sie jetzt einen von ihnen aufzusuchen gedachten, damit er ihnen im Kampf gegen einen anderen beistand kam ihr, gelinde gesagt, merkwürdig vor. Andererseits hatte sie ja auch schon Seite an Seite mit einer Paladina gekämpft. Trotzdem fragte sie Abbefaria danach, als sie einen etwas breiteren Felsvorsprung erreichten und dort eine kleine Rast einlegten.

„Ich hab mich bis jetzt nur sehr wenig mit Drachen befasst.“, gab der Druide zu. „Ich weiß jedoch, dass es viele verschiedene Drachensorten gibt. Die fünf wichtigsten Schwärme sind an den Farben ihrer Schuppen zu erkennen. Es gibt rote, schwarze, blaue, grüne und bronzene Drachen. Ein jeder von ihnen gebietet über eine eigene Form der Kraft.

Die blauen Drachen sind Träger der Magie. Allerdings sind sie fast vom Gesicht Azeroths verschwunden und es hat seit Jahren niemand mehr von ihnen berichtet. Die bronzenen Drachen nennt man die Wächter der Zeit. Ihr Anführer heißt Nozdormu. Mehr ist mir leider über sie nicht bekannt.

Diejenigen, mit denen ich mich am meisten befasst habe, sind die grünen Drachen. Ihre Anführerin Ysera, die Herrin des Smaragdgrünen Traumes, ist es, die uns Druiden viel über den Umgang mit unseren Kräften gelehrt hat. Es soll schon Druiden gegeben haben, die selbst die Ehre hatten, sich mit ihr zu unterhalten und sie um Rat zu fragen. Allerdings leben die grünen Drachen allesamt sehr zurückgezogen und viele von ihnen besitzen nicht einmal eine körperliche Gestalt, sondern bewegen sich lediglich in der Astralebene des Smaragdgrünen Traums.“

Er zögerte kurz bevor er hinzufügte: „Ich habe schon ein paar Mal mit einem von ihnen gesprochen. Sie sind scheu, doch ihr Wissen um die Macht des Traums ist groß. Manch einen Zauber habe ich dank ihrer Hilfe schneller gelernt als…andere.“

„Und was ist mit schwarzen und roten?“, fragte Magenta, während sie versuchte, sich all diese neuen Informationen zu merken.

„Diese beiden Gruppen sind von je her Erzfeinde. Während die roten Drachen über die Kräfte des Lebens gebieten, herrschen die schwarzen über Tod und Zerstörung. Seit einst Alexstrasza, die Königin des roten Drachenschwarms, aus den Händen der Orks befreit wurde…

„Unter anderem von einem Zwerg!“, warf Schakal grinsend ein.

„…und anschließend mit Hilfe der andere drei Aspekte – das sind die Anführer des jeweiligen Schwarms – den schwarzen Aspekt des Todes, der sich selbst den Namen Deathwing gegeben hat, tötete, herrscht wieder ein offener Krieg zwischen den beiden Schwärmen. Die schwarzen Drachen werden zudem von allen anderen lebenden Wesen gejagt, wo man sie nur erwischen kann, denn wo sie auftauchen, verbreiten sie nur Leiden und Tod.“

„Und die Orks, die da oben wohnen, haben sich gedacht, das wären doch eigentlich mal ganz prima Verbündete für uns, wo wir doch vorhaben, ganz Azeroth in Flammen aufgehen zu lassen.“, witzelte Schakal trocken. „Und genau deswegen stehen wir jetzt hier.“

„Klingt ja verlockend.“, murmelte Magenta und machte sich zusammen mit den anderen daran, auch noch den Rest des Aufstiegs hinter sich zu bringen.
 

Der lange Gang, der den Eingang zur Blackrockspitze bildete, war eng und düster. Seine Mauern waren rußgeschwärzt von den Pechfackeln, die die drei Abenteurer in flackerndes Licht tauchten. Ein warmer, stinkender Wind wehte über sie hinweg und Magenta fühlte sich unwillkürlich an den Atem eines großen Tiers erinnert.

Na toll, dachte sie. Anstatt uns als in den steinernen Gedärmen des großen Blackrocks herumzutreiben, spazieren wir ihm diesmal also direkt ins Maul.

Sie lauschte, ob irgendeine Erwiderung ihres sonst so mitteilungsbedürftigen Wichtels zu hören war, doch der kleine Bursche schwieg beleidigt.

Soll mir auch recht sein, grollte Magenta innerlich und zog die Kapuze tiefer in ihr Gesicht. Neben ihr tat Abbefaria dasselbe und Schakal verschmolz, so gut es eben ging, mit den Schatten. Derart vorbereitet wagten sie den ersten Schritt in die Eingangshalle der Festung der Blackrock-Orks.
 

Vor ihnen lag etwas, das Magenta im ersten Moment an ein schäbiges Flüchtlingslager erinnerte. Überall saßen muskulöse, grauhäutige Gestalten um kleine Lagerfeuer und Kohlepfannen herum. Sie fläzten sich auf schmutzige Felle, wo sie schliefen oder sich in der rauen Sprache der Orks miteinander unterhielten. Ganze Schweine wurden am Spieß geröstet und ihr Duft mischte sich mit den wilden Ausdünstungen der Orks, die unangenehm in Magentas Nase kribbelten. Alles wirkt ruhig und es schien niemand einen Angriff zu erwarten. Somit stellten die Orks im Grunde genommen keine Gefahr dar. Allerdings mochte der erste Eindruck täuschen, denn jede der monströsen Gestalten hätte Magentas Genickt mit nur einer Hand brechen können wie einen trockenen Zweig. Auch sah die Hexenmeisterin auf einer Balustrade eine bis an die Zähne bewaffnete Patrouille die Gegend absuchen und die zwei Gruppen, die sich dem Eingang am nächsten befanden, waren beim Eintritt der Fremden merklich aufmerksamer geworden.
 

„Jetzt nur keinen Rückzieher machen.“, zischte Schakal irgendwo aus dem Dunkel hinter ihnen. Magenta war klar, dass sie handeln musste. Schon hatten die ersten Orks nach ihren Waffen gegriffen und die wachsamen Blicke, die ihr zugeworfen wurden, waren beileibe nicht so träge, wie die Hexenmeisterin es gerne gehabt hätte.

„Na los, Fierneth, zeig was du kannst.“, murmelte Magenta und schob die Sukkubus nach vorne. Mit gekreuzten Fingern beobachtete sie, was geschah.
 

Die Dämonin genoss sichtlich die Gelegenheit, sich einmal in der realen Welt blicken zu lassen, und setzte ihre Fähigkeiten in geradezu verschwenderischem Maße ein. Sie gurrte und kokettierte mit Blicken und Augenaufschlägen, ließ ihre Hüften rollen und verbreitete so viel ihrer süßlich-klebrigen Magie, das Magenta ihr am liebsten vor die Hufe gekotzt hätte. Allerdings musste die Hexenmeisterin zugeben, dass die Sukkubus ihre Sache gut machte, denn kaum einer achtete noch auf die beiden vermummten Gestalten, die der rolligen Dämonin in einigem Abstand folgten. Dummerweise begannen jetzt einige der Orks sich zu erheben, um den interessanten Gast aus der Nähe zu betrachten.

„Hey, nur gucken, nicht anfassen.“, murmelte Magenta und wurde von Abbefaria in die Seite geknufft.

„Nicht vergessen, die sprechen nur Orkisch!“, flüsterte er eindringlich.

Magenta hätte sich selbst ohrfeigen können, weil sie das vergessen hatte.

„Fierneth, nicht so viel.“, wisperte die Hexenmeisterin daraufhin, doch die Sukkubus achtete gar nicht auf sie. Sie lachte und girrte Sachen, die Magenta nicht verstand und von denen sie nur annehmen konnte, dass es irgendwelche Unanständigkeiten auf Orkisch waren.
 

Ein bellender Befehl brachte die gierige Meute mit einem Schlag zur Raison. Auf der Balustrade war eine Orkfrau erschienen. Ihr Gesicht erinnerte Magenta am ehesten an einen verschrumpelten Apfel. Einen sehr hässlichen, verschrumpelten Apfel. Die violette Robe, die sie trug, ließ Magenta in ihr eine Magierin oder Hexenmeisterin erkennen. Vermutlich eher das Letztere, denn Magenta konnte die dämonische Aura fühlen, die sie umgab.

Verdammt, ich habe nicht bedacht, dass ein anderer Hexenmeister auf Fierneth aufmerksam werden könnte.

Mit flammendem Blick und ein paar gut gezielten Stockschlägen scheuchte die Ork die lüsternen Krieger wieder auf ihre Plätze zurück und fauchte dann Magenta so wütend an, dass die junge Hexenmeisterin mit Spucketröpfchen übersät wurde. Eine durch und durch unangenehme Erfahrung. Vor allem, weil sie kein Wort von dem verstand, was die grauhäutige Orkfrau ihr zähnefletschend ins Ohr brüllte.

„Fierneth!“, wimmerte Magenta in der irrigen Hoffnung, die Sukkubus würde ihr helfen. Und zum großem Erstaunen der jungen Hexenmeisterin tat sie das sogar.

„Sag bitte.“, schnurrte die Sukkubus, während sie sich zwischen die Orkfrau und ihre Meisterin schob. Dabei strichen ihre Finger sanft über die Wange der Ork-Hexenmeisterin, deren Blick mit einem Mal seltsam benebelt wirkte. Der Unterkiefer mit den gelben Stoßzähnen war leicht geöffnet und ihr Atem wurde zunehmend schneller. Die Sukkubus beugte sich vor, stellte sich auf ihre Hufspitzen und hauchte der Ork etwas ins Ohr, dass sie aufstöhnen ließ.
 

Magenta fühlte ihre Eingeweide rebellieren. Bevor sie jedoch überlegen konnte, was jetzt weiter zu tun war, zog eine starke Hand sie in den Schatten eines Gangs hinein, der unter der Balustrade entlang nach rechts führte.

„Was zum…du hättest sterben können.“

Mit Mühe löste Magenta ihren Blick von der immer noch bewegungslos dastehenden Orkfrau und wandte ihn dem zornigen Nachtelfen vor sich zu. Abbefaria schäumte vor Wut.

„Mach das nie wieder!“, herrschte er die Hexenmeisterin an. „Von jetzt an übernehme ich die Führung und du versuchst ab jetzt, kein Aufsehen mehr zu erregen. Und schaff mir dieses Ding aus Augen, bevor ich mich vergesse.“

Gehorsam murmelte Magenta Fierneths Entlassungsformel und verpackte die lederne Peitsche sorgfältiger, als nötig gewesen wäre. Dabei versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. Sie war wütend auf Abbefaria, weil dieser den Vorschlag mit den Dämonen schließlich selbst gemacht hatte. Warum also war er jetzt so gemein zu ihr? Immerhin waren sie doch an den ersten Orkgruppen vorbeigekommen.
 

Widerwillig zottelte die Hexenmeisterin daraufhin hinter Abbefaria her, dessen Blick starr auf die goldene Münze in seiner Hand gerichtet war, als wäre es ein Kompass. Insgeheim bezweifelte Magenta, dass dieses Stück Edelmetall sie tatsächlich irgendwohin führen konnte. Vermutlich würde es irgendwann nur die Aufmerksamkeit eines der Orks erregen und dann waren sie…

Oh warum muss ich nur immer Recht haben.

Die Gruppe war mittlerweile in eine zweite Halle gelangt, deren Ausmaße die erste bei weitem übertrafen. Sie wirkte viel mehr wie eine Höhle, in die jemand Terrassen, Übergänge und Brücken hinein gebaut hatte. Während die Decke noch von unbehauenem Stein gebildet wurde, konnte man tief unten das Schimmern der roten Lava erkennen, die sich träge durch die Dunkelheit wälzte. Überall lungerten Orks in niedrigen Zelten herum. Kisten, Unrat und Felsbrocken bedeckten große Flächen zwischen den Lagern. Der Geruch von faulendem Fleisch und billigem Alkohol lag in der Luft. Und jetzt stand ein breit gebauter Ork direkt vor ihnen auf dem Weg und musterte sie aus tiefliegenden Augen. Strubbliges, zu unordentlichen Zöpfen geflochtenes, graues Haar hing zu beiden Seiten an seinem flachen Schädel herab und die weiß-rote Robe mit den goldenen Ornamenten wirkte abgetragen und schmutzig.
 

Abbefarias Hand schloss sich um die funkelnde Münze, doch es war zu spät. Der Ork hatte sie bereits gesehen. Mit angehaltenem Atem wartete Magenta ab, was er tun würde. Anstatt jedoch, wie die Hexenmeisterin befürchtet hatte, grunzend und stampfend auf sie zuzustürmen, blickte sich der Ork kurz nach seinen Kameraden um und gab Magenta und Abbefaria dann ein unauffälliges Zeichen, ihm zu folgen.

„Das ist garantiert eine Falle.“, flüsterte es aus den Schatten neben ihnen. „Ich vertrau doch keinem dahergelaufenen Ork.“

„Ganz ruhig, Freund Schakal.“, wisperte Abbefaria tonlos zurück. „Wir sind hier, um jemanden zu suchen und die Münze ist unser einziger Hinweis. Da der Ork nicht Alarm geschlagen oder sonst wie Hilfe geholt hat, sollten wir es meiner Meinung nach riskieren, ihm zu folgen.“

„Oh, na meinetwegen.“, grunzte die Finsternis. „Aber beschwert Euch nachher nicht bei mir, wenn ihr einen Dolch zwischen den Rippen habt oder Schlimmeres.“

Der Nachtelf gab dem Zwerg keine Antwort mehr, sondern beeilte sich dem Ork zu folgen, der sich langsam seinen Weg durch die Lager bahnte. Er steuerte einen entlegenen Winkel der Höhle an, wo er zwischen großen, von der Decke herab gestürzten Felsbrocken verschwand. Magenta war versucht, Abbefaria aufzuhalten, doch der Nachtelf war dem Ork bereits gefolgt, so dass Magenta nicht viel anderes übrig blieb, als sich ebenfalls durch den Felsspalt zu quetschen.

In fast völliger Finsternis konnte die Hexenmeisterin nur fühlen, wie der Boden unter ihr allmählich anstieg. Lose Steine rutschten unter ihren Füßen die Rampe hinunter und sie konnte Schakals hinter sich leise fluchen hören. Vor ihr jedoch wartete nur lautlose, rabenschwarze Finsternis. Die Hände ausgestreckt tastete sie sich weiter vor und verwünschte Abbefaria im Geheimen, weil er nicht auf sie gewartet hatte.
 

Der Anstieg wurde steiler und endete dann so abrupt, dass Magenta beinahe gestürzt wäre. Suchend sah sie sich in der Dunkelheit um und entdeckte hinter sich eine ihr wohlbekannte Silhouette. Schon wollte sie auf Abbefaria zu eilen, als ihre inneren Alarmglocken mit Macht zu läuten begannen. Der Druide bewegte sich nicht. Wie erstarrt stand er zwischen ihr und der muskulösen Gestalt des Orks, der sich jetzt, da Magentas Augen sich langsam an das graue Zwielicht gewöhnt hatten, als dunkler Schatten vor dem Hintergrund der gewaltigen Höhle abzeichnete. Der mysteriöse Ork hatte die Hand erhoben und seine Finger deuteten unmissverständlich auf Abbefaria, während er leise eine Beschwörungsformel vor sich hin murmelte.

Schakal hatte Recht! Es ist eine Falle, schoss es Magenta durch den Kopf. Die Hexenmeisterin überlegte nicht lange und stürmte ohne zu zögern auf den heimtückischen Ork zu.
 

Sie kam zwei Schritte weit, bis ihr Körper ihr den Dienst versagte. Wie festgenagelt stand sie neben Abbefaria, unfähig, auch nur die Hand zu heben, geschweige denn den Mund zu öffnen um zu zaubern oder auch nur zu schreien. Der fremde Zauber nahm ihr jegliche Kontrolle und sie fühlte, wie etwas Fremdartiges ihren Geist berührte. Ohne Gegenwehr musste sie es hinnehmen, dass die Kraft ihre Gedanken durchkämmte, als suche sie nach etwas Bestimmten.

Habt keine Angst, erklang eine Stimme in ihrem Kopf, die definitiv nicht Pizkol gehörte. Es ist gleich vorbei.

Augenblicke, die Magenta wie Stunden vorkamen, stand sie gefangen von dem fremden Zauber da, der sie so plötzlich wieder freigab, dass sie um ein Haar erneut fast gefallen wäre. Kräftige Arme fingen sie auf und als sie aufblickte, sah sie in Abbefarias Gesicht.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er sanft.

„In Ordnung?“, fauchte sie und machte sich los. „Es ist überhaupt nichts in Ordnung. Dieser…“

Magentas Stimme versagte, als sie auf den Platz blickte, an dem bis vor einigen Augenblicken noch der Ork gestanden hatte. Vor ihr erhob sich jetzt die Gestalt eines Mannes, der sie um mehr als Haupteslänge überragte. Er trug immer noch dieselbe Robe wie der Ork, doch wirkte diese jetzt nicht mehr alt und verschlissen. Überhaupt hatte sich die gesamte Ausstrahlung des Orks…Mannes…was auch immer völlig verändert. Er wirkte auf seltsame Art erhaben und Magenta musste zugeben, dass sie ihn sehr gut aussehend fand, auch wenn sie normalerweise nicht wirklich etwas für rothaarige Männer übrig hatte.
 

Der Mann deutete eine Verbeugung an. „Ich grüße Euch, Fremde, und muss mich noch einmal in aller Form entschuldigen. Ich habe Eure Gedanken sondiert um herauszufinden, in welcher Absicht ihr hier seid.“

„Das schafft doch gleich eine richtige Vertrauensbasis.“, grollte die Dunkelheit hinter Magenta und Abbefaria und spuckte kurz darauf einen höchst verschnupft aussehenden Zwerg aus. Offensichtlich hatte der Fremde auch bei Schakal seine Gedankenleserkünste angewandt.

„Ihr habt also in unseren Köpfen herum geschnüffelt. Das erspart uns ja die Vorstellung.“, brummelte der Zwerg weiter. „Aber hättet Ihr vielleicht jetzt die Güte, Euch vielleicht einmal vorzustellen?“

Der Mann wirkte bedrückt. „Entschuldig meine Manieren. Es ist…recht einsam hier. Ich habe lange warten müssen, bis ich jemanden gefunden hatte, der es würdig war, mein Wissen mit ihm zu teilen. Mein Name ist Vaelan.“

Abbefaria trat einen Schritt näher. In seiner Hand sah Magenta wieder die goldene Münze. „Wir kamen hierher, weil wir um Hilfe ersuchen wollten. Wir sind auf der Suche nach einem roten Drachen.“

Vaelan wirkte zunächst erstaunt, dann stahl sich ein Lächeln auf seine Züge. „Mir scheint, meine Verkleidung ist nicht so gut, wie ich gehofft habe. So wisset denn, dass ihr ihn gefunden habt.“

„Ihr seid ein roter Drache?“, staunte Schakal. Die Augen des Zwergs waren rund wie Untertassen.

„In der Tat.“, bestätigte Vaelan und stutzte für einen Augenblick. Misstrauisch streckte wieder die Hand in Abbefarias Richtung aus. Sein Gesicht verriet Anspannung. „Ich fühle etwas bei Euch, das dort nicht sein sollte. Ein Hauch von böser, uralter Magie. Drachenmagie. Von einem schwarzen Drachen. Was ist es, dass Ihr bei Euch tragt?“
 

Abbefaria langte in seinen Beutel und zog das zerstörte Amulett hervor. Vaelan sog scharf die Luft ein und ließ sie zischend wieder entweichen.

„Dieses Amulett…es trägt nicht nur die Magie eines schwarzen Drachens in sich, es ist ein Stück von ihm. Eine Schuppe umgearbeitet zu einem zauberkräftigen Amulett. Woher habt Ihr es?“

„Onyxia hat es benutz, um den Hochlord der Menschen, Bolvar Fordragon, mit einem Zauber zu belegen und ihn gefügig zu machen. So hat sie lange Zeit die Geschicke der Menschen von Stormwind aus manipuliert.“, antwortete der Druide.

„Onyxia?“ Vaelan zog die Augenbrauen nach oben. „Das passt zu ihr. Es scheint mit eine Ironie des Schicksals, dass ihr ausgerechnet denjenigen aufsucht, der direkt unter der Nase ihres Bruders, versucht die Machenschaften der Schwarzen zu sabotieren.“

„Onyxias Bruder?“, fragte Magenta.

„Nefarian oder auch Lord Nefarius, wie er sich in seiner menschlichen Gestalt nennt, ist der selbst ernannte Herr des Blackrocks. Seine Streitkräfte sind es, die dort draußen lagern. Er ist der älteste Sohn Deathwings und steht seinem Vater in keinster Weise in Machtgier und Grausamkeit oder Wahnsinn nach. Würden ihn die Kämpfe mit Ragnaros‘ Truppen nicht immer wieder Zeit und Männer kosten, wäre vermutlich schon Schlimmeres passiert. Doch jetzt zu diesem Amulett.“

Vaelan nahm Abbefaria das zerbrochene Amulett aus der Hand und prüfte es sorgfältig. „Tatsächlich, eine von Onyxias Schuppen. Wäre es nicht zerstört, so hätte Euch dieses Kleinod Zugang zu ihrem Hort gewährt. In diesem Zustand ist es jedoch vollkommen nutzlos.“

Magenta konnte sich einen triumphierenden Blick in die Runde nicht verkneifen. „Ich hab´s ja gesagt. Aber wie reparieren wir es?“

„Das würde eines von zwei Dingen erfordern.“, antwortete Vaelan langsam. „Entweder eine neue Schuppe, an die ihr ohne ein intaktes Amulett jedoch nicht gelangen werdet. Oder aber das Blut eines schwarzen Großdrachenhelden.“

„Und wo bekommen wir dieses Blut her?“, fragte Magenta weiter.

„Es gibt einen…sein Name ist General Drakkisath.“, erklärte Valean weiter, doch sein Gesicht verriet Sorge. „Er ist der Kommandant von Nefarians Truppen und residiert am oberen Ende der Blackrock-Spitze. Und genau dort liegt das Problem. Um dort hin zu gelangen, braucht Ihr wiederum einen Schlüssel.“

Magenta konnte nicht umhin, laut aufzustöhnen. „Noch einen Schlüssel? Aber warum das denn?“
 

Vaelans Züge formten ein Lächeln. „Sterbliche.“, sagte er und schüttelte sachte den Kopf. „Ihr habt es immer so furchtbar eilig. Ich will Euch erklären, warum Ihr nicht einfach so in die Spitze des Blackrocks gelangen könnt.

Als er die Dunkeleisen-Zwerge, die diese Festung einst erbauten, von hier vertrieben hatte, hat Nefarian sein Reich in strenge Bereiche unterteilt. In der oberen Hälfte residieren er selbst und seine schwarzen Drachen sowie die Elite der orkischen Streitkräfte. Hier unten befindet sich der größere Teil der dunklen Horde, wie sie sich selbst nennen. Größtenteils finden sich hier verschiedene Divisionen von Orks, aber auch Trolle und Oger. Sie alle werden von einem einzelnen schwarzen Drachen befehligt, Oberanführer Wyrmthalak.

Um in den oberen Teil der Blackrock-Spitze zu gelangen, gibt es ein strenges Auswahl-Verfahren und um zu verhindern, dass sich jemand ungebeten Zutritt verschafft, hat man eine magische Barriere vor diesem Bereich errichtet. Erst, wenn ein Kämpfer ein vollständiges Siegel des Aufstiegs erlangt hat, darf er in den oberen Bereich einziehen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich selbst noch nie dort oben war. Die Barriere würde mich selbst im Besitz eines solchen Siegels sofort erkennen und enttarnen.“

„Und wie bekommen wir ein solches Siegel?“, fragte Abbefaria, der wie gebannt an den Lippen des roten Drachen gehangen hatte.

„Den ersten Teil davon tragt Ihr bereits bei euch. Es ist die goldene Münze, die Ihr bei Eurem ersten Besuch hier fandet. Ich habe sie mit einem Zauber versehen, der es mir möglich macht, den Besitzer zumindest in meiner näheren Umgebung aufzuspüren.“

„Dann wart Ihr es, der mich die ganze Zeit beobachtet hat.“, entfuhr es dem Nachtelfen.

Vaelan seufzte. „Eine Schwäche, die ich mit einigen meiner Art teile, fürchte ich. Die Geschicke der Sterblichen faszinieren mich, vor allem, wenn der schwarze Schwarm versucht, sich in sie einzumischen. Das muss um jeden Preis verhindert werden.“

„Gut, gut.“, nickte Schakal, der sichtlich ungeduldig wurde. „Wir haben also diese goldene Münze. Und weiter?“

„Wie Ihr seht, hat die Münze drei Vertiefungen. Für diese benötigt Ihr drei Edelsteine, jeweils von einem der Anführer und Ausbilder der unteren Blackrock-Spitze. Normalerweise stellt dies sicher, dass ein Anwärter von jedem der drei einer Prüfung unterzogen und für würdig befunden wurde. Nach Erhalt der drei Edelsteine schmilzt Oberanführer Wyrmthalak die Edelsteine und die Münze zu einem vollständigen Siegel zusammen. Allerdings glaube ich kaum, dass er das für Euch tun wird, daher werde ich selbst Euch das Schmuckstück fertigstellen, sobald Ihr die Edelsteine habt.“

„Ach.“, knurrte Schakal. „Ist ja reizend. Und wie bitte kommen wir an diese Edelsteine?“

Vaelans Blick bohrte sich in Schakals dunkle Augen. „Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich in Euren Gedanken gesehen, dass Ihr es gewohnt seid, in fremde Heime einzubrechen und die Bewohner um ihr Besitztum zu erleichtern?“

Schakal plusterte sich empört auf. „Aber das ist doch….“ Er knurrte unwillig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber nur ganz selten. Und ich nehme nie alles mit.“
 

Vaelan ließ an amüsiertes Lachen hören. Seine Augen jedoch, blieben ernst. „Manchmal, Freund Schakal, kommt man an einen Punkt, wo man sich entscheiden muss, zwischen dem was richtig und dem was einfach ist. Aber seid ohne Furcht. Ich werde Euch etwas mitgeben, das Euch auf Eurem Weg helfen wird. Hier, nehmt es.“

Der rote Drachen drückte dem verdutzen Zwerg eine matt schimmernde, violette Kugel in die Hand. Goldene Verzierungen darauf bildeten vage den Umriss eines Drachen.

„Was ist das?“, fragte Schakal und drückte auf der Kugel herum. Es gab einen Knall und eine Rauchwolke hüllte den Zwerg ein. „E’chuta nata ka? Chabita ta Juju!“

Vaelan betrachtete die Gestalt, die aus der Rauchwolke auftauchte, mit größtem Interesse. „Wie es aussieht, hat die Täuschungskugel unseren Freund in einen Troll verwandelt. Wie interessant.“

Der Troll, der einmal Schakal gewesen war, stieß einen erneuten Fluch aus, der vermutlich sowas wie „Steck dir dein interessant wo hin, wo keine Sonne scheint!“ zur Bedeutung hatte. Magenta fühlte ein Glucksen ihre Kehle hinauf wandern.

„Ich finde, grün steht dir.“, grinste sie, bemüht nicht laut loszulachen. „Und diese Haarmähne ist ganz allerliebst. Sogar deine Lederrüstung wurde in eine entsprechende Größe transformiert.“

Der Troll, der ganz offensichtlich über zu viele Arme, Beine und Ellenbogen verfügte, blickte Magenta finster an und verzog den Mund mit den gewaltigen Stoßzähnen zu einem bösartigen Zähnefletschen. „Makaba Zul!“

Vaelan räusperte sich und erklärte Schakal: „Die Kugel wurde von mir verändert. Normalerweise schafft sie eine eher schwache, äußere Illusion. Mit diesem Exemplar werdet Ihr in der Lage sein, auch die Sprache der Orks und Trolle zu verstehen, die Euch begegnen werden. Ihre Wirkungsdauer ist allerdings begrenzt und Ihr werdet vorsichtig sein müssen, damit Ihr Euch nicht mitten unter Euren Feinden auf einmal zurückverwandelt. Doch lasst mich Euch nun erklären, wo und wie Ihr die drei Edelsteine erlangen könnt.“
 


 

Die Enklave des Cenarius lag friedlich am nördlichen Rand von Darnassus. Eichhörnchen liefen über die Äste des großen Baums, in dem die Druiden untergebracht waren, und in seinem Schatten lagerten etliche Nachtsäbler in den verschiedensten Farbschlägen. Freundliche Treants wandelten als Wächter zwischen den Gebäuden hin und her und schüttelten zur Begrüßung die Äste, als Easygoing näherkam. Doch der große Druide hatte in diesem Moment keinen Blick für die Ruhe und den Frieden des Ortes. Seine Hand umklammerte den Beutel mit Morgenkorn, der, wenngleich er es auch ungern zugab, sehr viel kleiner war als der, den Emanuelle mittels eines Boten zur Insel Sardor hatte senden lassen. Easygoing holte noch einmal tief Luft und trat ein.
 

Mildes Zwielicht empfing den Druiden, denn innerhalb des Baum gab es, um den immer noch lebenden Organismus nicht zu sehr zu schädigen, nur wenige Fenster und die einzige Lichtquelle bildete ein Mondbrunnen, der in den Boden des Baums eingelassen war. Am Rand des Brunnes sah Easygoing einige bekannte Gesichter. Fylerian Nightwing und Denatharion, zwei von Easygoings Lehrern grüßten ihren Schüler mit angedeutetem Nicken, bevor sie wieder in ihrem Gespräch versanken. Einige weitere, noch sehr junge Schüler, die Easygoing nur flüchtig kannte saßen im Kreis um einen der älteren Schüler herum und lauschten seinen Erzählungen.

Mit leichtem Grollen erwiderte Easygoings dessen überschwängliche Begrüßung. „Inshnu’alah, Cenarus.“

„Ishnu’alah, Easy!“, rief der andere Druide und winkte. „Komm, gesell doch zu uns. Du wirst doch sicherlich auch etwas für die Ausbildung des Nachwuchses tun wollen.“

„Nein danke, kein Bedarf.“, antwortete Easygoing knapp und beeilte sich dann, den Lernkreis hinter sich zu lassen. Cenarus, so hatte er die unerfreuliche Erfahrung machen müssen, war ein rechter Besserwisser, der einem ständig ins Wort fiel und zu allem und jeden noch einen Kommentar abzugeben hatte. Was er sagte, war zwar nicht falsch, aber Easygoing konnte ihn trotzdem nicht ausstehen und mied seine Gesellschaft, wo es nur ging. Zudem hatte Easygoing es eilig.

So flog er förmlich den gewundenen Weg zur mittleren Ebene des Baums empor und wäre dort beinahe mit einem Nachtelfen zusammen geprallt, der sich gerade an einigen Kisten zu schaffen machte. Der große Druide prallte zurück und beeilte sich, eine Entschuldigung vorzubringen, als er erkannte, wen er vor sich hatte.

Mathrengyl Bearwalker schmunzelte nur. „Der junge Easygoing. Wie immer in Eile. Wo wollt Ihr denn hin?“

„Ich muss zum Erzdruiden.“, erklärte Easygoing. „Ich habe…ich bringe ihm Morgenkorn.“

„Oh, damit musst du den Erzdruiden nicht persönlich belästigen.“, lachte der Lehrer und streckte die Hand nach Easygoings Beutel. „Ich werde ihm sagen, dass du da warst. Bis dahin werde ich es zu den anderen in die Kisten geben.“

Der Druidenlehrer blickte auf den Stapel neben der Tür und schauderte kurz aber merklich. „Ich muss zugeben, allein nur in der Nähe dieses Krauts zu sein, bereitet mir Unbehagen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie der Erzdruide es aushält, die beachtlichen Mengen, die wir bereits gesammelt haben, ständig um sich zu haben. Aber das ist nichts, worüber ich mir meinen Kopf zerbrechen sollte. Hier, nehmt dies als kleine Anerkennung für Eure Mühen, junger Druide.“

Mathrengyl Bearwalker reichte Easygoing einen Beutel, in dem einige Flaschen leise aneinander klirrten. Ein schneller Blick verriet dem jungen Druiden, dass es sich größtenteils um Mondbeerensaft handelte, doch er entdeckte auch zwei Manatränke zwischen den Vorräten.

„Habt Dank, Shan‘do Bearwalker.“, sagte Easygoing. Er zögerte, bevor er weitersprach. „Ihr sagtet, der Erzdruide hätte schon sehr viel Morgenkorn angesammelt. Wie viel ist es denn bisher? Und was beabsichtigt er damit zu tun?“

Mathrengyl Bearwalker hob warnend den Zeigefinger. „Diese Frage steht dir im Grunde genommen nicht zu, junger Schüler.“, maßregelte er Easygoing. „Und selbst wenn ich dir diese Frage beantworten wollte, ich könnte es gar nicht, denn der Erzdruide hält seine Forschungsergebnisse streng geheim. Ist mir auch Recht, denn je weniger ich mit diesem verfluchten Zeug zu tun habe, desto besser. Daher zögert nicht, auch Euer weiteres Morgenkorn hier abzugeben. Ich bin sicher, der Erzdruide wird es einem guten Zweck zu führen.“

Easygoing war mit dieser Antwort nicht sehr zufrieden, doch er beugte sich dem Befehl seines Lehrers. „Habt Dank für Eure Zeit, Shan’do.“, sagte er und verbeugte sich. „Ande'thoras-ethil!“

„Ande'thoras-ethil, Easygoing!“, erwiderte der seinen Abschiedsgruß, bevor er sich wieder dem Verladen des Morgenkorns widmete.
 

Der junge Druide wandte sich schon zum Gehen, als er über sich Stimmen hörte. Sie wehten durch eine Öffnung herein, hinter der eine Außentreppe zu den Gemächern des Erzdruiden führte. Eine der Stimmen gehörte Fandral Staghelm.

„Ich habe von dem Kristall von Zin-Malor gehört. Seinem Besitzer wurde durch den Kristall unglaubliche, arkane Macht gewährt, aber nur, wenn er wirklich würdig war. Ich bin beeindruckt, dass Ihr den Kristall nicht nur gefunden habt, sondern auch so weise wart, ihn nicht selbst zu benutzen. Hier, nehmt diese Entschädigung für Eure Mühen. Ich werde den Kristall sicher verwahren. Mögen die Geister, die den Kristall einst bewachten, für immer Frieden finden. Und jetzt geht, meine Kinder.“

Easygoing wurde sich bewusst, dass, wer immer auch beim Erzdruiden gewesen war, gleich direkt vor seiner Nase auftauchen würde und ihn damit vermutlich beim Lauschen ertappen würde. Wider besseres Wissen verwandelte er sich in seine Katzenform und sprang kurzerhand aus der Türöffnung nach draußen.
 

Seine Landung war hart und ein stechender Schmerz fuhr ihm durch die Vorderpfoten bis in die Schultern hinauf. Der Druide unterdrückte ein Aufjaulen und verschwand mit einem beherzten Sprung hinter einem Busch. Kurze Zeit später traten zwei Nachtelfinnen aus der Enklave. Sie sahen einander so ähnlich, dass es sich um Schwestern, vermutlich sogar um Zwillinge handeln musste. Die eine von ihnen schien ebenso wie Easygoing eine Druidin zu sein, die andere identifizierte er anhand des Bogens über ihrer Schulter als Jägerin. An ihrer Seite lief eine weiße Katze mit schwarzen Flecken, ein Schneeleopard.

„Das war merkwürdig.“, sagte die Druidin. „Man hätte fast meinen können, er wolle uns loswerden.“

„Du siehst das zu schwarz, Whisp.“, antwortete ihre Schwester. „Seien wir lieber froh, dass wir nicht mehr in diesem furchtbar kalten Wintersping unterwegs sind. Obwohl es Ghostpaw gefallen hat.“ Sie klopfte der Katze an ihrer Seite liebevoll gegen den Hals.

„Du hast Recht.“, stimmte die Druidin zu. „Gehen wir etwas essen.“
 

Die beiden Schwestern entfernten sich und ließen einen nachdenklichen Easygoing zurück. War vielleicht doch etwas an den Vermutungen von Quintis Jonespyre dran? Führte der Erzdruide wirklich etwas im Schilde, das dem Volk der Nachtelfen schaden konnte? Easygoing mochte und konnte es sich nicht vorstellen. Doch er musste zugeben, dass das Gebaren des Erzdruiden mehr als merkwürdig war und er beschloss, sich einen triftigen Grund zu besorgen, um sich einmal persönlich mit Fandral Staghelm zu unterhalten.

Und dafür kommt mir ein Ausflug in diesen versunkenen Tempel gerade Recht, überlegte der Druide, während er auf samtenen Katzenpfoten zurück zu seinen Freunden trabte, um ihnen seine Entscheidung mitzuteilen. Die Sümpfe des Elends konnten sich auf einen ausgedehnten Besuch gefasst machen.
 


 

Schakal hatte das Gefühl, bereits seit Stunden durch das Gewirr von Ork-Lagerstätten zu schleichen. In Wahrheit hätte er, wenn er sich umgedreht hätte, noch den Felsvorsprung sehen können, auf dem er Magenta und Abbefaria zusammen mit diesem Vaelan zurückgelassen hatte. Aber er drehte sich nicht um. Zu groß war die Gefahr, dass jemand sein Verhalten bemerkte und seine Tarnung aufflog. Schakal schwitzte, und dass die Haut, über die sein Schweiß herablief, jetzt grün war, machte die Sache nicht besser. Auch sein Blickwinkel hatte sich stark verändert. Konnte er normalerweise einem Ork die Faust mit Leichtigkeit dorthin rammen, wo es wehtat, hatte er jetzt die Möglichkeit, ihm auf den Kopf zu spucken. Wenn er ehrlich war, hätte er die erste Möglichkeit vorgezogen.
 

Er überquerte eine wackelige Hängebrücke und stellte befriedigt fest, dass zumindest sein guter Gleichgewichtssinn nicht unter der Transformation gelitten hatte. Ohne Mühe überwand er das Hindernis, unter dem es mehrere hundert Meter tief in einen felsenbedeckten Abgrund ging. Wenn Schakal nicht alles täuschte, konnte man unten die Knochen und Schädel derer erkennen, die hatten feststellen können, wann die Brücke repariert werden musste. Oder vielleicht hatten sie auch nur ein Spiel Knochenwürfel verloren, das sich bei den Orks großer Beliebtheit erfreute. Wer nicht schlief, aß oder seine Ausrüstung pflegte, war damit beschäftigt, seinen Sold beim Würfeln zu riskieren.

Schakal sollte es Recht sein, denn so schenkte keiner dem vorbei trottenden Troll besondere Beachtung. Bis jetzt.
 

„Hey, du, Smolderthorn!“, bellte ein Ork, der mindestens ebenso groß wie breit war. Und mindestens doppelt so schlecht gelaunt. „Was schleichst du hier herum? Verzieh dich in Euer Gewölbe.“

Schakal, der schon den Eingang zu den Räumen der Spirestone-Oger entdeckt hatte, neben dem zwei der plumpen Gestalten mit großen Keulen Wache hielten, hob abwehrend die Hände. Dass er dabei nur drei Finger hatte, empfand er als ziemlich irritierend.

„Keine Aufregung, Maan.“, sagte Schakal. „Ich geh hier nur mal so durch. Mach doch nicht so krassen Wind, Maan.“

„Ich mach gleich Wind, aber mit dir.“, knurrte der Ork und griff nach einer Axt, die ebenso lang war, wie Schakal in seiner normalen Gestalt. Der Zwerg/Troll schluckte.

„Kein Grund gleich so aggressiv zu wer’n, Maan.“, stotterte er. „Ich mach dir´n Vorschlag: Ich geb dir’n Bier aus und du legst die Axt wech. Ha‘m wir beide was von.“

Die Augen des Orks glitzerten verräterisch. Wie es schien, hatte er dem Alkohol schon kräftig zugesprochen. Außerdem vermutete Schakal, dass das Würfelspiel, bei dem er gerade noch gesessen hatte, nicht so verlaufen war, wie er gehofft hatte. Alles in allem hatte er es also mit jemandem zu tun, der in jeder Sprache dieser Welt eine Garantie für eine gebrochenen Nase und Schlimmeres darstellte.
 

Der Ork sog witternd die Luft ein und verzog den Mund zu einem bösen Grinsen. „Was meint ihr, Freunde? Findet ihr nicht, dass es hier nach Troll stinkt?“

Zustimmendes Gemurmel antwortete ihm.

„Wer ist dafür, dass wir dieses dreckige Langohr dahin zurückwerfen, wo es hergekommen ist?“

„Kriegsmeister Voon wird darüba nicht glücklich sein, Maan.“, versuchte Schakal einzuwerfen.

Das Grinsen des Orks wuchs in die Breite. „Dein Kriegsmeister ist aber nicht hier, Troll. Also los, ab mit ihm in die Grube!“

Wie ein Mann stürzten sich die Orks auf Schakal. Er steckte Tritte und Knüffe ein und fühlte sich plötzlich von mehreren, rauen Händen in die Luft gehoben.

„Gute Reise, Maan!“, höhnte der Anführer der Orks, dann drehte sich die Welt um Schakal, als er über den Rand der Balustrade in die Tiefe geworfen wurde.
 

Er landete nach einem dankenswert kurzen Fall vergleichsweise weich, bevor ihm ein scharfer, heißer Schmerz durch den Fuß fuhr. Ein gedämpfter Aufschrei verriet ihm, dass er offensichtlich auf jemandem gelandet war. Schnell kam der Schurke wieder auf die Füße und sah sich einer Gruppe von Trollen gegenüber, die ihn aus großen Augen anglotzte. Eine Trollin mit Dutzenden geflochtenen Zöpfen rappelte sich gerade wieder auf und klopfte sich die glühenden Stücke eines Lagerfeuers von der angesengten Kleidung.

„Hey, Maan, was wird das? Pass gefälligst auf, wo du landest.“, motzte ein großer Troll, der in geduckter Haltung neben dem Feuer saß.

„Sorry, Maan.“, erwiderte Schakal. „Die Orks da oben ham mir Flugstund‘n verpasst, aba ohne Windreita. Echt krass, Maan.“

„Dämliche Schweine.“, grollte die Trollin, auf der Schakal gelandet war. „Haste dir was getan?“

„Nein, nix passiert.“, antwortete Schakal schnell. Er wollte nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen. Außerdem fühlte er ein Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern, das, wie Vaelan ihm gesagt hatte, seine Rückverwandlung ankündigte. Er musste sich schnellstmöglich eine ruhige Ecke suchen, um die Verzauberung der Täuschungskugel zu erneuern.

„Komm schon, Maan. Setz dich zu uns.“, rief der erste Troll wieder. Er hielt Schakal eine Pfeife hin, deren Rauch süßlich und verlockend roch. „Hier nimm. Is gutes Kraut.“

„Nein, danke, Maan. Muss weita.“, gab Schakal etwas gehetzt zurück. Das Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern wurde immer schlimmer und verdeckte jetzt sogar den Schmerz der Verbrennung, die er sich am Feuer zugezogen hatte.

„Dann nimm wenigsten die Salbe.“, sagte die zweite Trollin und reichte Schakal einen Tiegel, aus dem es erbärmlich stank. An ihrem Arm klackerte ein Lederband mit weißgebleichten Knochen und um ihren Hals hingen Dutzende von Amuletten. „Is gut für deinen Fuß.“

„Danke.“, presste Schakal hervor und schob sich langsam aus dem Sichtfeld der Trolle die Rampe hinab. „Is wirklich nett von euch, Leute. Krassen Dank und so.“

In letzter Sekunde drehte sich Schakal herum und flüchtete in den rettenden Schatten zweier mannsdicker Säulen. Schon spürte er, wie sein Körper schrumpfte, der Bart spross und die Anzahl seiner Finger wuchs. Kurz darauf stand er wieder als Zwerg in einem dunklen, feuchten Gewölbe, in dem die Schimmelpilze wuchsen wie andernorts Teppiche. Ein Hauch von Moder lag in der Luft, durchsetzt mit dem Aroma wilder Tiere und dem durchdringenden Geruch verbrennender Kräuter. Von irgendwo her drangen düstere Sprechgesänge an Schakals Ohr. Es war der Teil der Blackrock-Spitze, der von den Smolderthorn-Trollen bewohnt wurde

Wie praktisch, dass ich hier auch einen der Edelsteine besorgen muss, dachte Schakal. Ich hab nur leider so überhaupt keine Idee, wie. Und außerdem ist da noch dieser Brief.
 


 


 

„Meinst du, er schafft das allein?“, fragte Magenta Abbefaria. Die Hexenmeisterin lag in seinen Armen und gemeinsam mit dem geheimnisvollen, roten Drachen Vaelan warteten sie auf Schakals Rückkehr.

Der Druide strich seiner Liebsten durch das Haar. „Ich weiß es nicht, doch ich hoffe es. Wir brauchen diese Edelsteine dringend. Aber ich kann mir auch niemanden vorstellen, der besser geeignet wäre, sie zu beschaffen.“

„Mhm…“, machte Magenta und drückte sich näher an ihn. Zwar war die Umgebung nicht unbedingt das, was man als anheimelnd bezeichnen würde, doch Magentas Anwesenheit machte die Dunkelheit und erdrückende Masse des Bergs über ihm erträglich. Sie half allerdings nicht gegen die wachsende Unruhe des Druiden, der hier festsaß und dazu verdammt war zu warten. Das lag ihm nicht besonders und er hätte Schakal am liebsten begleitet. Doch das hätte geheißen, Magenta allein zurückzulassen, und das gefiel ihm noch weniger. Trotzdem konnte er nicht weiter stillsitzen und nichts tun. So schob er die Hexenmeisterin von sich und begab sich nebenVaelan an die Kante des Felsvorsprungs.
 

„Was sucht Ihr dort unten?“, fragte er leise und ließ seinen Blick über die Ork-Lager streifen.

„Nichts Bestimmtes.“, antwortete Vaelan vage. „Das Beobachten ist einfach zu meiner zweiten Natur geworden. Ich sammle Informationen, die nützlich sein könnten, um Nefarian und seine Brut zu Fall zu bringen. Eines Tages werden wir so vielleicht den Schlüssel zum Untergang des schwarzen Schwarms entdecken.“

„Es muss schwer sein, nichts tun zu können.“, sagte Abbefaria fast mehr zu sich selbst. Zu seinem Erstaunen seufzte Vaelan tief auf.

„Ihr ahnt gar nicht, wie sehr.“, sagte der rote Drache leise. „In früheren Jahrzenten längst vergangener Kriege und Konflikte wurde unsere Art fast ausgerottet. Wir mussten viel erdulden. Den Ansturm der Brennenden Legion. Die Dämonenseele. Die geteilten Aspekte. Die Versklavung unsere geliebten König Alexstrasza durch den Dragonmaw-Clan. Doch haben wir den Kampf um unser schwindendes Leben in dieser Welt nie aufgegeben und versuchen auch das ihrer anderen Bewohner zu schützen, wo wir können. Nefarian stellt momentan eine der größten Bedrohungen für alle lebenden Wesen dar. Er plant etwas und ich kann lediglich so viel sagen, als das es kaum etwas Gutes sein wird. Da ich jedoch nicht in den oberen Teil der Blackrock-Spitze gelangen kann, sitze ich hier unten fest und warte und warte und warte.“

„Ihr…“ Abbefaria zögerte, bevor er weitersprach. „Verzeiht, ich will nicht respektlos sein, aber Ihr seid ein Drache, mein Lord. Ihr habt Hunderte von Dunkeleisenzwergen auf einmal in die Flucht geschlagen. Das wart doch Ihr, der uns auf unserer Flucht geholfen hat?“

Vaelan nickte und ein kleines, bitteres Lächeln stahl sich in sein Gesicht. „Die Zwerge an dieser Stelle zu treffen, war leicht. Und gleichzeitig war es unheimlich leichtsinnig von mir. Wenn einer der Orks mich entdeckt und meinen Existenz an Nefarian weiter gemeldet hätte, säßen wir jetzt nicht hier zusammen. Immerhin ist er auch ein Drache. Trotzdem war es von enormer Wichtigkeit, dass Ihr den Blackrock lebend verlassen konntet. Wie hättet Ihr sonst jetzt zu mir zurückkehren können. Mit Euch werde ich vielleicht endlich Zugang zu Nefarians Plänen bekommen.“
 

Abbefaria dachte über die Worte des roten Drachen nach. Etwas daran, gefiel ihm nicht, aber er konnte den Finger nicht darauf legen, was es war. In Ermangelung eines weiteren Gesprächsthemas, ließ er den Drachen allein auf seinem Beobachtungsposten sitzen und kehrte zu Magenta zurück, die es sich auf dem Steinfußboden leidlich bequem gemacht hatte.

„Lass uns ausruhen.“, sagte er mit der Gewissheit, dass er nicht würde schlafen können. „Wir haben noch einen anstrengenden Weg vor uns.“
 


 


 

Schakal konnte sein Glück kaum fassen. Vor ihm lag genau das, was er gesucht hatte. Zum Greifen nah. Dummerweise war es auch derart unhandlich, dass der Zwerg es auf keinen Fall würde mitnehmen können. Er raufte sich den mittlerweile wieder grünen Haarschopf und dachte angestrengt nach, während er auf die mit unverständlichen Zeichen bedeckte Steinplatte starrte.

Ich muss etwas finden, mit dem ich den Text kopieren kann. Aber wie soll das gehen? Ich habe weder Tinte noch Schreibfeder dabei. Ganz davon abgesehen, dass ich den Text auf dieser dämlichen Steintafel gar nicht lesen kann. Bei Magnis Bart, was für ein Schlamassel!
 

Ärgerlich zupfte Schakal noch einmal die Schriftrolle aus seinem Wams und überflog die Zeilen. Zwei Schrifttafeln, zu suchen im Besitz der Smolderthorn-Trolle in der unteren Blackrock-Spitze. Finden, mitnehmen und nach Tanaris bringen. Ein alter Bekannter hatte ihn um diesen Gefallen gebeten und Schakal hatte es als Wink des Schicksals verstanden, dass ausgerechnet jetzt die Schrifttafeln in greifbare Nähe gerückt waren. In greifbare, aber eben nicht in transportierbare. Es war zum Verrücktwerden!

Schakal ließ sich in die Knie sinken, um die Tafel besser betrachten zu können. Dabei drückte etwas hart gegen seinen Oberschenkel.

Was? Ach ja, die Salbe.

Nachdenklich betrachtete Schakal den unappetitlichen Inhalt des kleinen Tiegels, dessen harmlosere Bestandteile vermutlich Kröteneier und Katzenpisse waren. Zumindest roch das Zeug danach. Er verrieb etwas davon mit den Fingern. Die Paste hinterließ einen schwärzlichen Film auf seiner Haut. Einer plötzlichen Eingebung folgend, nahm er den Brief, drehte das Pergament mit der beschriebenen Seite zum Stein und begann mit sanftem Duck, die Paste auf dem Papier zu verteilen. Wie durch Zauberhand wurden die auf dem Stein abgebildeten Schriftzeichen jetzt auf der Rückseite des Briefes sichtbar.

An mir ist ein Inschriftenkundler verloren gegangen, grinste Schakal in sich hinein. Und gut kopiert ist besser als schlecht selber gemacht.
 

„Was machst du da?“ erklang eine Stimme hinter ihm. In böser Vorahnung drehte Schakal sich herum und versuchte dabei den kopierten Text so gut es ging hinter seinem Rücken zu verbergen.

Vor ihm stand eine Trollin, die von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet war. Die langen Ohren waren mit unzähligen Ohrringen geschmückt und an ihrem Hals funkelte ein Anhänger in Form eines Schlangenkopfes. Sie hatte insgesamt ein gepflegtes Äußeres, doch ihre Augen schienen Schakal regelrecht aufzuspießen und um ihren Mund lag ein grausamer Zug, der ihn zum Frösteln brachte. Das hier war mit Sicherheit kein nettes Weibchen.
 

„Ich…ich steh hier nur so rum, Maan.“, antwortete er, nachdem die Trollin ihre Frage wiederholt hatte. „Nix Besonderes und so.“

„Verarsch mich nicht.“, fauchte sie. „Was hast du gestohlen?“

„Ich? Nix hab ich gemacht! Ich schwör’s!“

Die Lippen der Trollin verzogen sich zu einem hinterlistigen Lächeln. „Du wagst es also, Schattenjägerin Vosh’gajin zu widersprechen, du kleiner Wurm? Was bist du? Anwärter? Dann wollen wir doch gleich mal sehen, wie‘s um deine Kampfkünste bestellt ist.“
 

Ohne weitere Vorwarnung griff die Trollin an und Schakal entging nur um Haaresbreite einem Dolchstoß, der direkt auf sein Herz zielte. Im Schein einer nahen Fackel sah Schakal, dass die Klinge feucht glitzerte.

Na bitte, das kann sie haben, dachte er und trat nach der Körpermitte der Trollin.

Offensichtlich hatte sie nicht mit Gegenwehr gerechnet, denn Schakals Fuß traf sie und schleuderte sie ein Stück weit durch den Raum. Leichtfüßig wie eine Katze landete sie, fing den Sturz mit einer halben Rolle ab und zog einen zweiten, wesentlich längeren Dolch.

„Also gut, spielen wir.“, gurrte sie und lachte meckernd, bevor sie sich wieder auf ihn stürzte.
 

Es hagelte Schläge und Tritte, so dass Schakal bald nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Ab und ab gelang es ihm, ebenfalls einen Treffer zu landen, doch der ungewohnte Körperbau machte ihm zu schaffen und er verschätzte sich mehr als einmal, was die Distanz zwischen sich und der Trollin betraf. Dadurch erwischte er sie wesentlich härter, als es seine Absicht gewesen war, mit der Faust am Kinn, so dass sie benommen einige Schritte rückwärts stolperte. Grinsend fuhr sie mit dem Finger über ihre blutende Lippe und kostete die rote Flüssigkeit.

„Gar nicht mal übel.“, sagte sie und schnalzte anerkennend mit der Zunge. „Mir scheint, wir haben einen neuen Kandidaten für einen Test des Kriegsmeisters. Komm mit!“

Bevor Schakal reagieren konnte, hatte die Trollin sich eines seiner Ohren geschnappt und zog ihn daran hinter sich her. Unverhohlen schadenfrohes Grinsen folgte ihm, als er jammernd durch eine große Halle geschleppt wurde, in der verschiedene Gruppen von Trollen lagerten. Nicht wenige der ihm nachgerufenen Kommentare zielten darauf ab, was die Schattenjägerin wohl mit ihm anstellen würde und wie viele Tage danach er nicht würde laufen können. Doch so sehr er es auch versuchte, er konnte sich ihrem Griff nicht entwinden, und handelte sich lediglich eine grobe Maulschelle ein. Schließlich fügte er sich in das Unausweichliche und ließ sich willig mitschleifen.
 

Vosh’gajin schleppte ihn in eine Kammer, die von einem monströsen Troll bewacht wurde. Der Muskelberg warf nur einen Blick auf die Schattenjägerin und ließ sie und Schakal mit einem dunklen Grollen passieren. So gelangten sie in einen Raum, der vor Waffen nur so strotzte.

„Voone, ich hab dir was mitgebracht.“, rief Vosh’gajin und schleuderte Schakal zu Boden. „Der Welpe hier sieht vielversprechend aus.“

Mit einem unguten Gefühl hob Schakal den Kopf und blickte in eine grässliche Fratze des wohl größten Trolls, den er je gesehen hatte. Er war an die drei Meter groß und hatte zudem noch einen Kamm aus giftgrünen Haaren auf dem Schädel, der ihn noch größer erscheinen ließ. Seine Stoßzähne bogen sich bis zu seinen Ohren. Sein grobschlächtiges Gesicht war, wie Schakal auf den zweiten Blick erkannte, mit blauer und weißer Farbe bemalt worden. Die tiefligenden Augen wirkten verschlagen. Am prominentesten waren jedoch die riesigen, dreizahnigen Kriegsäxte, die locker an seinem Gürtel und somit genau vor Schakals Nase baumelten. Der Schurke sah, dass noch Blut daran klebte.

„Vosh’gajin! Warum störst du mich? Etwa wegen dem Fliegenschiss da?“

Die Schattenjägerin stemmte die Hand in die Hüfte. „Die halbe Portion ist nicht schlecht. Nicht allzu stark, kein Brecher. Aber ‘n ordentlicher Messerkämpfer könnt er werden.“

Der Kriegsmeister taxierte Schakal, der kaum zu atmen wagte. Ständig musste er daran denken, was geschah, wenn seine Verkleidung genau jetzt den Geist aufgeben würde. Das wäre vermutlich mal eine richtige Überraschung für die Trolle gewesen.

„Gut, er kriegt nen Versuch.“, nickte der riesige Troll endlich. „Lass ihn auf das Ziel werfen. Wenn er trifft, kriegt er den Stein.“
 

Schakal glaubte fast, sich verhört zu haben. Sollte es tatsächlich so einfach sein? Ein paar lockere Zielübungen und er würde den ersten Edelstein erhalten?

Ein Quietschen und Kreischen erregte seine Aufmerksamkeit. Zwei Trolle schleppten eine keifende, fauchende und spuckende Kreatur zur Tür herein. Sie war ebenfalls grün und hatte lange, spitze Ohren, war jedoch wesentlich kleiner als die Trolle.

„Ein Goblin.“, entfuhr es ihm ohne sein Zutun.

Die Trolle banden den – oder vielleicht auch die, Schakal war sich diesbezüglich nicht ganz sicher - Goblin an einem Pfahl, wo er (oder sie) strampelnd und allerlei Verwünschungen geifernd böse zu allen Anwesenden herauf starrte.

„Dein Ziel.“, sagte die Schattenjägerin und drückte Schakal drei Wurfdolche in die Hand. „Haben wir gestern beim Herumschnüffeln aufgegriffen. Du hast drei Versuche.“

Schakal sah von den Wurfdolchen zu dem wehrlosen Goblin und dann wieder zu den Dolchen. Er brachte der kleinen, bösartigen Kreatur keine besondere Sympathie entgegen. Vermutlich hätte der Goblin an seiner Stelle nicht lange gezögert. Doch es widerstrebte Schakal, einen Wehrlosen zu töten. Aber vielleicht gab es einen Weg, dass sie beide etwas von der Situation hatten, denn Schakal hatte hinter Kriegsmeister Voone etwas entdeckt, dass seine Aufmerksamkeit erregte.

„Das euer Ernst, Maan?“, fragte er und versuchte gelangweilt auszusehen. „‘n unbewegliches Ziel zu treffen schafft jedes Baby. Macht ihn los und ich zeig euch, was Zielübung’n sind.“

„Hört, hört.“, lachte der Kriegsmeister auf. „Der Welpe nimmt den Mund ganz schön voll. Dann lass uns sehen, was hinter deinen großen Worten steckt. Bindet den Goblin los.“

Gehorsam löste einer der Wachtrolle die Fesseln.
 


 


 

Leise lachend zog Schakal sich in den Schatten zurück, während um ihn herum aufgeregte Trolle durch die Gegend liefen und der Geruch von Schwarzpulver in der Luft lag. Sein Plan war wirklich perfekt aufgegangen.

Als man den Goblin losband, hatte dieser genauso reagiert, wie Schakal es erwartet hatte, nachdem er die Rauchbomben am Gürtel des kleinen Kerls gesehen hatte. Schakal hatte sich die Freiheit genommen, die Menge der lungenstrapazierenden Dämpfe noch um seine eigenen Rauchbomben zu ergänzen, und so war der Raum des Kriegsmeisters binnen Sekunden in dichten, stinkenden Nebel gehüllt worden.

Während die Trolle sich daraufhin damit beschäftigt hatten, wieder des Goblins habhaft zu werden, was der sprichwörtlichen Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gleichgekommen war, hatte Schakal sich zur hinteren Wand vorgetastet und dort in aller Eile eine Abschrift der zweiten Schrifttafel angefertigt. Und wo er schon einmal da war, hatte er sich auch gleich noch einen der orangefarbenden Edelsteine geschnappt, die der Kriegsmeister in einer kleinen Schatulle neben seiner Waffensammlung aufbewahrt hatte. Danach war der Schurke klammheimlich aus der Kammer geschlichen, in die immer mehr Trolle gestürmt kamen, um nach der Quelle des Lärms zu suchen.

Es geht eben nichts über eine gepflegte Ablenkung, dachte er bei sich und schickte sich an, dem Goblin zu folgen, den er gerade die obere Rampe hatte hinaufklettern sehen. Er hatte ja gewusst, dass die kleine Ratte garantiert den Ausweg aus diesem Labyrinth kannte. Jetzt musste er ihm nur noch folgen.
 


 


 

Abbefaria erwachte mit dem Gefühl angestarrt zu werden. Er fuhr aus dem Schlaf hoch und blickte in die finstere Fratze eines Trolls. Instinktiv tastete der Druide nach seinem Dolch und schob sich zwischen den Troll und die immer noch schlafende Magenta. Seine Muskeln spannten sich zum Sprung.

„Tikki baka?“, fragt der Troll und grinste breit. „Moz reka ba tiefen Schlaf. Si ma buga ta Kehle im Schlaf durchgeschnitten. Ecko?“

Abbefaria blinzelte überrascht, als sich nach der Stimme des Trolls auch der Rest von ihm zu verwandeln begann. Die schlaksige Gestalt schrumpfte merklich zusammen, die Haarfarbe wechselte von grün zu braun, die Stoßzähne verschwanden, dafür wuchs die Anzahl an Fingern und ehe der Nachtelf sich versah, stand ein immer noch breit grinsender Zwerg vor ihm, in dessen Augen der Schalk glitzerte.

„Hast dich erschreckt, was?“, gluckste Schakal. „Dein Gesichtsausdruck war wirklich Gold wert. Und wusstest du eigentlich, dass du im Schlaf schmatzt, Elf?“
 

Abbefaria knurrte etwas Unfreundliches und weckte dann vorsichtig Magenta.

Schlaftrunken rieb sich die Hexenmeisterin die Augen. „Wassn los?“, gähnte sie und kuschelte sich in den Umhang, den Abbefaria über ihr ausgebreitet hatte. Beim Anblick ihrer rosigen Wangen und dem schlafgetränkten Blick hätte Abbefaria sie am liebsten genommen und geküsst, bis ihnen beiden die Luft wegblieb. Doch dazu war jetzt keine Zeit.

„Ich nehme an, Ihr habt die Edelsteine?“, fragte er Schakal in leicht frostigem Ton. Er mochte es nicht geweckt zu werden. Noch dazu auf diese Art und Weise.

„Aye, alles erledigt.“, nickte Schakal und klopfte auf einen kleinen Beutel an seinem Gürtel. „War gar nicht so einfach, die Dinger zu bekommen. Den letzten musste ich den Händen eines ziemlich überraschend verstorbenen Orks entreißen. Ich glaube, der hatte sich seine Beförderung auch irgendwie anders vorgestellt.“

„Und die anderen beiden?“, murmelte Magenta immer noch gähnend.

„Oh, einen habe ich schlichtweg geklaut.“, erwiderte Schakal. Er steckte die Daumen in seine Wamstaschen und wippte auf den Fersen hin und her, während sein Gesicht einen zufriedenen Ausdruck annahm. „Und den dritten…nun sagen wir mal, Oger sind erstens nicht besonders schlau und zweitens nicht besonders gut im Hütchen-Spielen.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass mir diese Worte einmal über die Lippen kommen würden“, sagte Abbefaria nicht ohne Bewunderung in der Stimme, “aber Ihr seid wahrlich ein Meisterdieb. Ich verbeuge mich vor Eurer Kunst.“

Abbefaria legte die Hände aneinander und neigte den Oberkörper in einer rituellen Ehrenbekundung nach vorn. Schakal, dem das sichtlich unangenehm war, winkte ab.

„Ach, war halb so wild. Außerdem hatte ich ein wenig Hilfe, wie ich zugeben muss.“

„Hilfe?“ Abbefaria zog die Augenbrauen nach oben. „Hier? Mitten im Herzen des Blackrocks? Wer könnte außer uns noch so verrückt sein, sich hier herumzutreiben.“

Verrückt trifft den Nagel genau auf den Kopf.“, brummte Schakal. „‘S war ein Goblin. Eine Goblinfrau um genau zu sein. Ihr Name ist Bijou und sie ist hier im Auftrag der Horde unterwegs. Anscheinend passt bei denen auch jemandem nicht, was hier Im Blackrock vor sich geht.“

„Ihr habt Euch mit einem Spion der Horde verbündet?“ Abbefaria glaubte seinen Ohren nicht zu trauen.

Schakal guckte böse. „Die Auswahl an Verbündeten war halt nicht besonders groß.“, knurrte er. „Außerdem hatte dieses Weib eine Art an sich, einen dazu zu bringen, genau das zu tun, was sie will. ‘S gibt solche bei allen Rassen Azeroths und glaubt mir, Ihr tut gut daran, wenn Ihr ihnen aus dem Weg geht. Aber in Anbetracht der Lage schien es mir besser, mit ihr zusammen zu arbeiten, als gegen sie. Nachdem wir ein kleines Missverständnis bei unserem ersten Zusammentreffen beseitigt hatten, lief es eigentlich recht gut.“

„Missverständnis?“, hakte Magenta nach.

„Oh, sie hielt mich für einen Troll, der ihr an Leder wollte.“, grinste Schakal. „Ich hatte Glück, dass meine Rückverwandlung im richtigen Moment einsetzte, sonst hätte sie mir vermutlich den Kopf weggesprengt. Stattdessen erhielt ich von ihr eine Karte, die mich sicher führte. Glaubt mir, das da unten ist das reinste Labyrinth. Die haben da sogar Ställe, in denen sie riesige Kriegsworgs züchten. Außerdem hat Bijou bestätigt, was unser Freund Vaelan schon angedeutet hat. Die Orks, Trolle und Oger hier unten sind nur Kanonenfutter. Die wirkliche Bedrohung sitzt weiter oben im Berg.“

„Dann sollten wir uns beeilen, ihr endlich Einhalt zu gebieten.“, mischte sich eine tiefe Stimme in ihr Gespräch.
 

Mit gesenktem Kopf trat Abbefaria beiseite und ließ Vaelan vorbei. Der Mann trat zu Schakal und streckte die Hand aus.“Gebt mir die Edelsteine, Zwerg. Ich werde sie zusammen mit der Münze zu einem Siegel des Aufstiegs verschmelzen.“

Schakal reichte die funkelnden Steine an Valean weiter und kratzte sich am Kopf. „Ich frage mich nur, wie Ihr das machen wollt. Ihr habt weder Meißel noch Schleifer hier, um die Steine einzufassen. Ganz zu schweigen von einem Schmiedefeuer, um das Metall zu bearbeiten.“

Vaelan ließ ein leises Lachen hören. „Oh Zwerg, Ihr seid ein rechter Zweifler. Feuer sollte nun wirklich unser geringstes Problem sein. Wartet nur einen Moment!“
 

Abbefaria stockte der Atem, als sich die Gestalt des rothaarigen Mannes zu wandeln begann. Sein Gesicht wurde länger und spitzer, Mund und Nase vereinigten zu einer breiten Schnauze und ein langer Schwanz schnellte unter seine Robe hervor. Er krümmte sich zusammen, fiel auf Hände um Knie, während seine Gliedmaßen in die Länge schossen. Krallen, die aus den Händen hervor brachen, schabten über den steinernen Boden, während die Gestalt sich in die Höhe schraubte. Flügel brachen aus dem Rücken hervor und erstreckten sich bis an die Decke des Raumes, bevor sie sich um den Leib des riesigen, roten Drachen zusammen falteten, der sie aus goldenen Augen musterte.

Eine Welle überwältigender Gefühle erfasste den Druiden und zwang ihn auf die Knie. So sehr wie der Anblick Onyxias ihn aufgewühlt und voller Hass hatte werden lassen, so sehr zitterte er jetzt vor Ehrfurcht und eigenartiger Glückseligkeit, die ihn an das Wiedererwachen des Lebens nach einem langen Winter erinnerte. Die Aura des Drachen war fast mehr, als der Druide ertragen konnte. Dann endlich ließ die Wirkung nach und der Nachtelf wagte wieder zu atmen.
 

„Rasch.“, sagte Vaelan, dessen Stimme dunkler und voller geworden war. „In diese dunkle Ecke dürfte sich normalerweise kein Späher verirren, aber man weiß es nie. Auch werde ich meine Anwesenheit in dieser Form nur kurz verbergen können. Legt die Münze zu den Edelsteinen vor mich auf den Boden.“

Abbefaria tat, wie ihm geheißen war. Der rote Drache machte eine ungeduldige Geste mit einer seiner vorderen Tatzen. „Tretet zurück und bedeckt Euer Gesicht. Die Flammen des roten Schwarms können ebenso Leben nehmen wie es erschaffen.“
 

Der Druide zog sich zusammen mit Schakal und Magenta in die äußerste Ecke der steinernen Höhle zurück. Doch während er Magenta zwang, sich hinter seiner Gestalt zu verbergen, konnte Abbefaria nicht umhin hinzusehen, als der mächtige, rote Drache sein Maul öffnete, um Feuer zu speien.

Eine einzelne, grellweiß lodernde Flamme traf die am Boden liegenden Gegenstände. Der Stein um sie herum glühte rot, während Feuer und Magie im Inneren des Feuerstrahls ihr Werk vollbrachten. Schließlich brach der Feuerstrom ab. Der rote Drache schloss sein Maul und blickte auf den kleinen, goldenen Gegenstand, der sich in der Mitte des winzigen, flimmernden Infernos befand, das er selbst angerichtet hatte. Mit einer Kralle angelte er das Kleinod heraus und blies aus den mächtigen Nüstern darauf, um es abzukühlen. Dann wandte er den Kopf mit den gewaltigen Hörnern zu den drei Abenteurern.

„Es ist vollbracht.“, verkündete er, während seine Gestalt bereits wieder zu schrumpfen begann. Binnen weniger Augenblicke stand er wieder als Mensch vor ihnen und hielt in seiner Hand einen kleinen goldenen Ring. Runenzeichen, die Abbefaria an die Steintafeln von Marschall Windsor erinnerten, liefen über seine Oberfläche und verschwanden kurz darauf wieder. Der Druide meinte etwas wie ein Flüstern zu hören, das jedoch nur in seinen Kopf zu existieren schien.
 

„Ich habe mir erlaubt, das Siegel ein wenig anders zu gestalten als die, die die Anhänger der Schwarzen Horde für gewöhnlich bei sich tragen.“, erklärte Vaelan. „Es wird Euch genau wie die Siegel, die von einem schwarzen Drachen geschmiedet wurden, in den oberen Teil des Blackrocks bringen. Doch zusätzlich dazu, wird Euch das Siegel ermöglichen, mit mir Kontakt aufzunehmen und – wenn alles gut geht – mir ebenfalls Zugang zur oberen Blackrock-Spitze zu ermöglichen. Benutzt den Ring trotzdem nur im äußersten Notfall. Zwar brenne ich darauf, mich Nefarian entgegen zu stellen, doch ich bin kein Narr, der sich leichtfertig in eine Schlacht wirft, die er nicht gewinnen kann. Ich vertraue auf Euch, Sterbliche. Die Hoffnung des roten Drachenschwarms liegt in Euren Händen.“
 

Mit diesen Worten legte er den kleinen, goldenen Ring in Abbefarias Handfläche. Das Metall war noch warm und fühlte sich fast an, als hätte der Druide etwas Lebendiges in der Hand. Zuversicht und Hoffnung durchströmten ihn, als er den Ring über den Finger streifte. Sein Blick kreuzte den des Drachen und einen kurzen Augenblick lang sahen sie sich von Angesicht zu Angesicht in die Augen Im Blick des Drachen lag ein Ausdruck, der Abbefarias Innerstes berührte. Eine tiefe Sehnsucht in dem sonst so alterlosen Gesicht. Etwas, dass der Druide bei einem anderen Volk vielleicht als Heimweh bezeichnet hätte. Unfähig dem Blick seines Gegenübers weiter standzuhalten, senkte Abbefaria die Lider, legte die Hände aneinander und verbeugte sich tief vor dem roten Drachen.

„Wir werden Euch nicht enttäuschen, mein Lord.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  darkfiredragon
2011-08-14T22:45:26+00:00 15.08.2011 00:45
Juhu, es geht weiter!!!! *einen Freudentanz aufführe*
So, wenn du dann schonmal ein neues Kapi hochlädst muss ich das doch gleich noch lesen, trotz leicht vorgerückter Stunde :D
Das Kapi is zwar wirklich etwas lang, aber mal wieder absolut genial - allein Schakal als Troll^^ Aber da ich diese ganzen alten Questreihen nich unbedingt alle gemacht habe und auch nicht immer wirklich geschaut habe was ich da überhaupt mache hat das ganze auch noch einen informativen Wert xD
Und glaub mir, du hast noch Leser, auch wenn die meisten wohl schwarzlesen :D
Ich werde auf jeden Fall sehnsüchtig auf das nächste Kapi warten.

glg


Zurück