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Magenta III

Im Bann der Aspekte
von

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Ein Wichtel kommt selten allein

Unerbittlich stand die Sonne am azurblauen Himmel und sandte ihr grellweißes Licht über die endlosen Sandflächen. Die öde, leere Wildnis glühte unter den sengenden Strahlen. Knochen dörrten im Sand. Die Luft brannte über den todbringenden Dünen, von denen sich eine an die nächste und wieder die nächste reihte. Flirrende Trugbilder gaukelten dem unerfahrenen Wanderer tiefgrüne Oasen und erfrischende Wasserlöcher vor. Die Bewohner der Wüste hingegen wussten es besser. Ihr Leben bestand aus einem starren Aushalten, einem Abwarten, bis die Herrin des Himmels sich endlich zur Ruhe begeben hatte und der Sand auf eine einigermaßen erträgliche Temperatur abgekühlt war. Erst dann durfte man sich hervorwagen und sich auf die Suche nach Nahrung begeben; wenn möglich ohne dabei selbst im Schlund eines der zahlreichen Jäger zu landen. Einzig eine kleine Gruppe von vier Reitern schien sich nicht an dieses ungeschriebene Gesetz der Wüste halten zu wollen.
 

Aus dem einst so zügigen Ausgreifen ihrer Nachtsäbler war längst ein mattes Voranstolpern geworden, das schleifende Spuren im glühendheißen Sand hinterließ. Tiere wie Reiter benötigten dringend eine Pause, doch es gab jemanden, der sie unablässig vorantrieb.

„Wir müssen weiter.“, drängte Emanuelle und sah dabei höchst konzentriert auf die hektisch blinkende Anzeige eines wild vor sich hin piepsenden Geräts. „Seht ihr dort hinten? Da braut sich etwas zusammen. Mein Sturm-Detektor zeigt es ganz deutlich.“

Sie wies mit der Hand in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Der Horizont war in der wabernden Hitze nicht mehr als eine undeutliche, flirrende Linie zwischen brennendem Weiß und stechendem Blau. Doch irgendwo inmitten diesem flimmernden Inferno wuchs ein formloser Schatten heran, der langsam aber unaufhaltsam näher kam.
 

„Wie schlimm kann so ein Sandsturm schon sein?“, stöhnte Deadlyone und wischte sich mit der Hand über die Stirn. Der Schweiß darauf war bereits verdunstet, bevor er die Bewegung zu Ende geführt hatte.

Die Gnomin drehte sich zu dem Nachtelfen herum und machte ein empörtes Gesicht. „Mein Vetter dritten Grades kam einmal in einen Sandsturm. Er hat drei Tage gebraucht, um sich wieder an die Oberfläche zu graben.“ Sie schwieg kurz, bevor sie hinzufügte: „Und außerdem gibt es Dinge in den Sandstürmen in dieser Gegend. Leute verschwinden einfach darin und tauchen nie wieder auf. Als hätte sie die große Metallhand einfach von der Erde gepflückt.“

„Abergläubisches Geschwätz.“, murmelte Easygoing, ließ seinen Nachtsäbler jedoch noch einmal antraben. Nicht ohne ihm erneut eine kleine Portion seiner eignen Kraft zufließen zu lassen. Er hasste es, die Tiere diesen Strapazen auszusetzen, und würde sich darum kümmern, sobald sie nur endlich aus dieser elenden Wüstenei heraus waren. Ein Zeitpunkt, den sie hoffentlich bald erreichen würden.

„Seht!“, rief Ceredrian und deutete auf den vor ihnen liegenden Horizont. Ausläufer einer Bergkette hoben sich trocken und braun aus der spiegelnden Fläche vorgetäuschten Wassers. Flecken schmutzigen Grüns ließen vermuten, dass es dort tatsächlich so etwas wie Vegetation gab. Ein Zeichen, das eigentlich Anlass zur Hoffnung gab. Vor dem Berg jedoch ragte etwas auf, das fremd erschien. Seine Struktur war zu glatt, die Form zu ebenmäßig. Ein schwarzer, scharf umrissener Schatten, der sich aus den vom Sand rund geschliffenen Konturen seiner Umgebung abhob wie ein Parasit. Easygoing spürte, wie ihm trotz der Hitze ein kalter Schauer über den Rücken lief. Was immer das dort vorne war, es war nichts Gutes.

Er verzog das Gesicht und bleckte knurrend die Eckzähne. „Also schön. Reiten wir.“
 


 

Magenta biss sich auf die Lippen, um nicht lauthals loszulachen. Ein Unterfangen, das sich anhand ihrer Gesellschaft als äußerst schwierig erwies. Zumal es ihr schwerfiel zu unterscheiden, ob es sich bei dem Grund ihres Amüsements nun darum handelte, dass die beiden Gestalten, die sich vor ihr lautstark stritten, einfach komisch waren, oder ob ihre Erheiterung nicht viel eher auf der Schadenfreude fußte, dass sie endlich einen Hexenmeister gefunden, der noch schlechter mit seinem Wichtel zurecht kam als sie.
 

„Verdammt nochmal, Impsy, nun halt endlich den Schnabel!“, fauchte Niby, der Allmächtige, und rückte seinen Turban zurecht. „Du blamierst mich ja vor unseren Gästen.“

„Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.“, leierte der Wichtel und drehte seinem Meister eine lange Nase. „Außerdem glaube ich nicht, dass du beim Blamieren meine Hilfe brauchst. Im Gegensatz zu allem anderen versteht sich.“

Der Gnom gab einen erstickten Laut von sich und konnte sich offensichtlich nur mit Mühe zurückhalten, dem Wichtel an den dürren Hals zu springen. Obwohl Magenta es recht lustig gefunden hätte, wenn er ihn noch einmal in Flammen hätte aufgehen lassen. Allerdings wurde ihre Zeit langsam knapp und der Geruch verbrannter Dämonenhaare zwickte sie immer noch unangenehm in der Nase.

Niby, der Allmächtige, schnaufte ein letztes Mal und beschloss dann, seinen Wichtel nicht mehr zu beachten. Stattdessen musterte er Magenta und rollte dabei furchterregend mit den Augen. Zumindest hätte es furchterregend gewirkt, wenn er ungefähr drei Meter größer gewesen wäre. So jedoch sah es lediglich aus, als würde er schielen.

„Du bist also Strahads Schülerin.“, wiederholte er und rollte noch zweimal mit den Augen.

„Jawohl.“, antwortete Magenta artig und versuchte den Wichtel zu ignorieren, der hinter seinem Meister stand und Grimassen schnitt.

„Und du bist hierhergekommen um zu lernen, wie man eine Höllenbestie beschwört.“

„Genau.“

„Und was bei Mannoroths mächtigem Hinterteil bringt dich auf die Idee, dass ausgerechnet er das kann.“, mischte sich der Wichtel ein und erntete dafür einen giftigen Blick seines Meisters.

„Ich kann es und ich werde, jawohl, ich werde es ihr beibringen.“, deklarierte Niby, der Allmächtige, und seine Augen kullerten bei dieser Ankündigung in seinen Augenhöhlen hin und her wie ein paar aufgebrachte Murmeln. „Aber es wird nicht einfach werden. Um eine Höllenbestie zu beschwören, müssen wir Kroshius wieder erwecken. Halte ich erst seinen Höllenstein in Händen, bekommst du ein kleines Stück davon und kannst in Zukunft deine eigene Höllenbestie beschwören.“

Magenta zögerte kurz, da sie befürchtete dumm da zustehen, doch dann siegte die Neugier. „Wer, wenn ich fragen darf, ist Kroshius?“

Kroshius ist natürlich eine Höllenbestie, Dummchen.“, gab Niby, der Allmächtige, ungeduldig zurück. „Allerdings gibt es bei der Sache ein Problem. Kroshius ist seit langer Zeit ausgebrannt und nur seine Überreste liegen noch im Narbengrund verstreut. Du musst einen Weg finden, ihn wieder zu entzünden, ihn dann besiegen und mir seinen Kern bringen.“

Magenta ahnte, dass ihr nichts Gutes bevorstand. „Und wie entzünde ich Kroshius wieder?“

„Nun sagen wir mal, ein einfaches Streichholz wird nicht genügen.“, antwortete Niby, der Allmächtige, augenscheinlich amüsiert. „Ihr werdet Komponenten von anderen Höllenwesen benötigen, um dies zu vollbringen. Aber Impsy wird Euch die Einzelheiten erklären. Ich muss mich mit Wichtigerem beschäftigen.“

Der Gnom rollte noch zweimal vielsagend mit den Augen, raffte dann in einer theatralischen Geste seinen Umhang um sich und verschwand. Das heißt, er stiefelte etwa zehn Meter in den Wald hinein und versank an einem zusammengeschusterten Pult aus dürren Zweigen und Ästen, auf dem ein ziemlich abgegriffenes Grimoire lag, in düsteren Studien. Magenta zog die Augenbrauen nach oben und bemühte ich, nicht allzu sichtbar den Kopf zu schütteln. Das hier war mit Abstand der eigenartigste Vertreter ihres Standes, der ihr je untergekommen war. Mit einem innerlichen Achselzucken wandte sie sich wieder seinem Wichtel zu.
 

Impsy war gerade damit beschäftigt, die Liste an Verwünschungen seinem Meister gegenüber um ein paar sehr interessante Todesarten zu erweitern, als ihm bewusst wurde, dass eine gewisse Hexenmeisterschülerin ihn erwartungsvoll ansah.

Er stoppte mitten im Wort und fauchte: „Was glotzt du denn so? Ist doch wahr! Immer bleibt die Drecksarbeit an mir hängen, weil der feine Herr Hexenmeister ja mich hat. Ich frage dich: wo bleibt da die Gerechtigkeit? Ich will auch so einen Diener, den ich von A nach B scheuchen kann, nur weil es mich amüsiert, wie er sich abstrampelt. Impsy mach dies! Impsy mach das! Den lieben, langen Tag lang. Und nicht ein Wort des Dankes!“

Als er Magentas Gesichtsausdruck sah, wurde die Stimme des Wichtels leiser. „Es ist einfach nicht fair.“, schimpfte er und kickte einen unsichtbaren Stein in die Gegend. „Mag ja sein, dass das für einen Wichtel zu viel verlangt ist. Aber ich hätte wirklich gerne einen eignen Begleiter. Er bräuchte ja nicht einmal lebendig zu sein. Nur etwas, damit ich nicht so einsam bin. Ein bisschen Teufelsstoff würde schon ausreichen, damit ich mit dem Bau meines kleinen Freundes beginnen könnte.“

Magenta war sich sicher, dass der Wichtel jeden Moment in Tränen ausbrechen würde. Sie widerstand dem Drang, dem kleinen Kerl beruhigend auf die Schulter zu klopfen. Stattdessen bot sie ihm, ohne lange darüber nachzudenken, an, ihm etwas Teufelsstoff zu besorgen. Was auch immer das sein mochte.

Impsy sah sie aus glasigen Augen an. „Wirklich, das würdest du tun?“ Er schniefte zweimal. „Das wäre ja so nett von dir. Du bekommst den Stoff bei den Satyren hier in Felwood. Ihre Kleidung besteht daraus und ihre teuflische Magie hat den Stoff so richtig durchtränkt. Ich wäre wirklich sehr, sehr dankbar, wenn du mir etwas davon besorgen könntest.“

Der verschwörerische Tonfall des Wichtels ließ Magenta stutzig werden.

„Was meinst du mit dankbar?“

Impsy sah sich über die Schulter nach seinem Meister um und winkte Magenta dann näher heran. „Ganz im Vertrauen: Die Sache mit Kroshius wäre im Grunde genommen gar nicht nötig. Wie ich und bestimmt auch Niby sofort gesehen hat, ist der Verschlussknopf deiner Robe aus dem Kern einer Höllenbestie geformt. Es würde völlig ausreichen, wenn Niby dir einfach den Spruch verraten würde, und du könntest deine eigene Höllenbestie herbeirufen. Nur hätte Niby dann nichts für sich gewonnen. Für sich und seine großartige Rache, die er hier draußen plant, seit sie ihn in Stormwind rausgeschmissen haben.“

„Ich verstehe.“, sagte Magenta, obwohl sie den Ausführungen des Wichtels nicht ganz folgen konnte. „Und was soll ich nun tun?“

Impsy zog für einen kurzen Augenblick eine Grimasse, die sofort ansatzlos in ein freundliches Lächeln überging. „Du besorgst einfach den Teufelsstoff für mich. Um alles andere kümmere ich mich. Oder hast du vielleicht Lust, durch die halbe Weltgeschichte zu reisen, um mir reine Teufelsessenzen von Sartyren aus Azshara, Jadenar und vom Dunklen Portal zu besorgen. Ich meine, es ist deine Entscheidung.“

„Nun ja…“, begann Magenta und wurde sogleich wieder von dem Wichtel unterbrochen. „Papperlapapp! Niemand würde sagen, dass er das lieber machen will. Niby wird seinen Höllenbestienkern bekommen, keine Bange. Wir müssen ihm ja nicht verraten, dass wir Kroshius nicht wirklich zu seiner vollen Stärke zurückgerufen haben.“

Impsy zwinkerte Magenta verschwörerisch zu und die Hexenmeisterin konnte gar nicht anders, als gehorsam zu nicken. Das Grinsen des Wichtels wurde breiter. „Also abgemacht. Du besorgst mir etwas Teufelsstoff. Und…warte mal. Ich bräuchte noch etwas für die Augen. Etwas fauliges Holz von den Eisenstämmen, die ganz im Norden hausen. Diese Baumgeister würden sich sicher ganz hervorragend dazu eignen. Außerdem brauche ich noch eine Füllung für meinen Begleiter, damit er auch schön kuschelig wird. Voodoofedern, wie sie die Trolle verwenden wären am besten. Meinst du, du kannst welche auftreiben?“

„Ich…ich weiß nicht.“, stotterte Magenta.

„Natürlich kann sie das.“, mischte sich Pizkol ein. Magentas Wichtel hatte sich bis dahin im Hintergrund gehalten und die Entwicklung des Gesprächs mit zunehmend düster werdenderem Gesichtsausdruck verfolgt. Jetzt jedoch war sein Geduldsfaden endgültig gerissen und er baute sich breitbeinig vor dem fremden Wichtel auf, der das mit einem seltsamen Lächeln zur Kenntnis nahm.

„Kommt, Meisterin, wir gehen.“, schnaubte Pizkol und sah aus, als hätte er Magenta am liebsten am Schlafittchen gepackt und hinter sich her geschleift. Das allerdings wurde hinreichend durch die Tatsache verhindert, dass er ihr gerade mal bis zum Knie reichte. Daher beschränkte er sich darauf, Impsy noch einmal drohend anzufunkeln und dann von dannen zu hopsen, so dass Magenta ihm wohl oder übel folgen musste.
 


 


 

„Das ist irgendwie unheimlich.“ In Emanuelles Stimme lag ein für die Gnomin ungewöhnlicher Ton von Verunsicherung, während sie mit gerunzelter Stirn geradeaus starrte. Auch ihren Begleitern erging es nicht anders angesichts der zwei mehr als fünf Nachtelfen hohen, schwarzen Monolithen, die sich vor ihnen aus dem Wüstensand erhoben. Fremdartige Symbole bedeckten die Oberfläche der ansonsten makellos glatten Steinsäulen, die das Licht um sich herum aufzusaugen schienen wie ein Schwamm. Die düstere Aura vertrieb sogar die Wüstenhitze ein wenig und ließ die Nachtsäbler unruhig mit den Schwänzen schlagen, während ihre Reiter sich im Schatten einer der riesigen Säulen versammelten.

„Ich frage mich, wer sie aufgestellt haben mag.“, überlegte Ceredrian laut. Er scharrte mit dem rechten Fuß im Sand und stieß dabei auf einen bleichen Schädel, der ihn aus leeren Augenhöhlen anstarrte.

„Das kann ich dir sagen.“, knurrte Easygoing.

„Ihr könnt diese Schriftzeichen lesen?“, fragte Emanuelle erstaunt. Sie bewunderte noch immer mit zwiespältiger Faszination die Kunst des Architekten, der es fertig gebracht hatte, seine Baukunst buchstäblich auf die Spitze zu treiben, indem er die tonnenschwere Säule auf einer Fläche nicht größer als Emanuelle Hand balancieren ließ, ohne dass das Bauwerk auch nur im Geringsten instabil wirkte. Im Gegenteil machte es eher den Anschein, als wäre es selbst dann noch hier, wenn Nachtelfen, Menschen und Gnome schon längst wieder von der Welt verschwunden waren.

„Nein, kann ich nicht.“, erwiderte Easygoing gelassen. „Aber ich erkenne einen Käfer, wenn ich einen sehe.“

Der Druide wies an der Säule hinauf auf eines der Symbole. Es zeigte eine geteilte Halbkugel, deren äußere Enden spitz nach oben gezogen waren. Darüber war ein Kreis eingeritzt und zwischen ihm und der Kugel verlief ein breiter, gezackter Riss, der den Kreis fast vollständig umschloss. Emanuelle legte den Kopf in den Nacken und kniff ein Auge zu.

„Nicht zu glauben!“, rief sie aus und machte große Augen. „Das ist tatsächlich das Abbild eines Skarabäus. Ich habe solche Bilder schon auf Fundstücken gesehen, die mutige Forscher aus dem wilden Kalimdor…“, sie stockte, als sie die Gesichter der Nachtelfen sah. „Äh, ausgeliehen haben? Haha?“

Easygoing schnaubte abfällig. „Diebe und Plünderer.“, spuckte er in den Sand. „Aber wir haben Wichtigeres zu tun. Diese Säule hat offensichtlich etwas mit den Silithiden zu tun. Wir sind also auf der richtigen Spur.“

„Wenn wir nur wüssten, was die Symbole bedeuten.“, murmelte Ceredrian. Der Priester trat auf die Säule zu und hob die Hand, als wolle er den Stein berühren, doch dann ließ er sie unverrichteter Dinge wieder sinken. „Ich vermute, dass es sich um eine Warnung handelt.“

„Wie scharfsinnig.“, frotzelte Deadlyone und machte ein unanständiges Geräusch. „Was soll es denn sonst sein? Vielleicht ein Schild mit der Aufschrift: Willkommen in Scarab-City, dem Erholungs-Paradies für die ganze Familie?“

„Entschuldige, dass ich meine Gedanken laut aussprach.“, antwortete Ceredrian gereizt. „Ich dachte nur, du hättest es vielleicht nicht mitbekommen. Immerhin hast du ja so deine Schwierigkeiten mit dem Wort: Nein.“

„Vielleicht weil ich es nicht so oft zu hören bekomme wie du.“, stichelte der Schurke.

„Nur weil du nie fragst, sondern dir einfach nimmst, was du haben willst.“, fauchte der Priester.

„Eine Taktik, mit der ich sehr gut fahre.“, lachte Deadlyone böse auf. „Oder soll ich vielleicht lieber auf die Knie fallen und beten und dann darauf hoffen, dass meine Wünsche erhört werden?“

„Es reicht!“, bellte Easygoing und stellte sich mit geballten Fäusten zwischen die beiden Streithähne. „Muss ich euch beiden erst Manieren beibringen? Man könnte meinen, die Sonne habe euch das Hirn verbrannt?“

„Das kann ja bei Deadly nicht viel mehr als ein Strohfeuer gewesen sein.“, giftete Ceredrian.

„Immerhin hab ich kein Kleid an.“, konterte der Schurke mit gefletschten Zähnen.

„Es sind die Steine.“, warf Emanuelle dazwischen. „Sie sind böse und vergiften Eure Gedanken. Los, los, wir müssen von hier weg!“
 

Emanuelle lief zu den drei Nachtelfen, die kurz davor waren, sich an die Kehle zu gehen, und zog mit Nachdruck an Easygoings Hosenbein. Der Druide wirbelte herum, die gnomenkopfgroße Faust bereits zum Schlag erhoben, als er mitten in der Bewegung stoppte. Das Feuer in seinen Augen erlosch wieder und er schüttelte den Kopf, wie ein Bär, der versucht einen Bienenschwarm abzuwehren.

„Ihr habt Recht.“, stöhnte er und fasste sich an die Stirn. „Wir müssen, so schnell es geht, verschwinden. Kommt, helft mir, die beiden anderen von hier fortzubringen.“
 

Easygoing fing mit einer Hand Deadlyones Schlag ab, mit dem dieser sich gerade auf Ceredrian stürzen wollte. Er entwand dem Schurken seinen Dolch und klemmte sich den aufbegehrenden Nachtelfen kurzerhand unter den Arm. Der Druide hatte Mühe, dem sich windenden Körper Herr zu werden, so dass er dem Schurken schließlich eine Kopfnuss verpasste, die ihn benommen zusammensinken ließ. Der Druide schulterte seinen Bruder und lief los, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die verfluchten Steinsäulen zu bringen, bevor diese ihn ebenfalls wieder unter ihre Kontrolle brachten.

Emanuelle sah ihm nach und warf dann einen nachdenklichen Blick auf Ceredrian, der sie fast um das Dreifache überragte. Der Priester hatte die Augen geschlossen und kämpfte in stiller Agonie gegen die Stimmen in seinem Kopf.

„Das könnte jetzt irgendwie schwierig werden.“, murmelte die Gnomin. „Aber vielleicht klappt es so.“

Die kleine Magierin intonierte einen Zauberspruch und warf ihn auf den Priester. Es gab einen Knall, ein Haufen Federn wurde aufgewirbelt und anstelle des Nachtelfen stand plötzlich ein ziemlich dumm aus der Wäsche schauendes, weißes Huhn vor Emanuelle. Es schlug empört mit den Flügeln und gackerte lauthals seinen Protest gegen diese Behandlung heraus.

„Entschuldigung.“, entgegnete Emanuelle. „Es ist wirklich nicht persönlich gemeint.“ Damit nahm sie das Huhn auf den Arm und eilte, so schnell sie ihre kleinen Füße trugen, hinter Easygoing her.
 

Emanuelle fand den Druiden und seinen Bruder ein gutes Stück von den Säulen entfernt im Schatten eines Felsbrockens. Der Schurke hielt sich den Kopf und klagte halblaut vor sich hin, während der Druide bereits nach Emanuelle Ausschau gehalten hatte.

„Wo ist Ceredrian?“, fragte er ohne Umschweife.

„Na hier.“, antwortete Emanuelle und hielt das Huhn in die Höhe. Es gackerte und klang dabei irgendwie beleidigt.

Deadlyone unterbrach seine Litanei des Selbstmitleids und prustete los. „Das ist Cere? So richtig in echt.“

Das Huhn warf ihm einen mörderischen Blick zu.

Easygoing, bemüht nicht ebenfalls laut loszulachen, räusperte sich vernehmlich. „Und wie lange wird diese…äh, Verwandlung anhalten?“

„Oh, normalerweise nicht sehr lange. Eine halbe Stunde vielleicht.“

„GACK?“

Emanuelle zog die Schultern nach oben. „Entschuldigung, aber es schien mir der beste Weg, Euch von da wegzubekommen. Ich konnte Euch doch nicht bei dieser fürchterlichen Säule lassen.“

Ceredrians Gackern machte deutlich, was er davon hielt. Er zappelte und strampelte, bis Emanuelle ihn runterließ. Dort kratzte er mit den Füßen etwas Sand in ihre Richtung und stolzierte dann so würdevoll wie möglich in Richtung des Wegs, der neben dem Stein in die Tiefe führte. Kurz darauf erklang ein angsterfülltes Gackern und das Huhn stürzte in einem Wirbel weißer Federn wieder in ihre Richtung. Auf seinen Fersen vier hungrig aussehende Nachtsäbler.

„Das wirst du ihn niemals vergessen lassen, nicht wahr?“ Easygoing zwinkerte seinem Bruder zu.

„Worauf du dich verlassen kannst.“, gab der Schurke mit einem breiten Grinsen zurück.

„Na gut, wir rasten hier, bis Ceredrian wieder reiten kann.“, bestimmte Easygoing. „Und dann werden wir herausfinden, wohin dieser Weg führt. Es sollte mich nicht wundern, wenn er uns direkt in den Krater von Un’goro führen würde.“

„Wie kommt Ihr darauf?“, wollte Emanuelle wissen.

„Ich habe noch mehr Knochen im Sand entdeckt. Vermutlich von Wanderern, die weniger Glück hatten als wir und von den Säulen in den Wahnsinn getrieben wurden oder sich gegenseitig an die Kehle gegangen sind. Jemand muss sie aufgestellt haben um zu verhindern, dass der Krater betreten wird.“

„Von Nachtelfen zumindest.“, warf Emanuelle ein.

„Warum nur von Nachtelfen?“

„Nun, wie wir gesehen haben, hatten die die Säulen auf mich keine Wirkung.“, erklärte die Gnomin in einem wissenschaftlichen Ton. „Wie es mit anderen Völkern steht, können wir natürlich nur spekulieren. Fest steht jedoch, dass sie auf Nachtelfen eine ziemlich beunruhigende Wirkung haben und wer immer die Säulen aufgestellt hat, muss das gewusst haben.“

Emanuelle grinste breit. „Nur hat er offensichtlich nicht damit gerechnet, auf Gnome zu treffen. Wer auch immer das ist, er sollte sich warm anziehen.“

„Und zwar an allen sechs Beinen.“, stimme Easygoing mit einem Grollen zu.
 


 


 

„Und ich sage, an dieser Sache ist irgendwas faul.“

Magenta seufzte und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich bei ihrem Kampf mit dem Satyr, der jetzt tot vor ihren Füßen lag, aus ihrem Haarknoten gelöst hatte. Die Hexenmeisterin richtete sich auf und seufzte noch einmal.

„Wie oft willst du das jetzt eigentlich noch wiederholen?“, fragte sie an Pizkol gerichtet, der mit verschränkten Ärmchen neben ihr stand. „Ich hab doch schon gesagt, dass du Recht hast. Und dass mit Impsy irgendwas nicht stimmt. Aber wenn ich dadurch die Beschwörung einer Höllenbestie lerne, kann uns doch egal sein, was zwischen diesem merkwürdigen Wichtel und seinem Meister passiert. Oder möchtest du für diese Aufgabe durch die halbe Weltgeschichte reisen?“

„Ich sage ja nur, dass es nicht richtig ist.“, nörgelte Pizkol weiter, während Magenta dem Satyr einen zerlumpten Fetzen Stoff aus dem Pelz herausschnitt. Impsy hatte mit dem Wort Kleidung stark übertrieben, als er von der Beschaffung des Teufelsstoffs sprach. Bis jetzt hatte Magenta nicht ein Stück ergattern können, dass auch nur annähernd so groß war, wie ihre Handfläche. Angeekelt ließ sie das Stück fallen und machte sich auf die Suche nach dem nächsten Satyr.

„Ein Wichtel, der einen Diener hat.“, schnaubte Pizkol. „Das ist einfach lächerlich!“

„Vielleicht bist du ja nur eifersüchtig, weil du nicht auf die Idee gekommen bist.“, stichelte Magenta und setzte dazu an, einen Feuerbrand zu weben und ihn auf einen weiteren Satyr zu werfen, der mit dem Rücken zu ihr über eine Kohlenpfanne gebeugt stand. Kurz bevor sie den Zauber jedoch ausgesprochen hatte, überlegte sie es sich anders und griff stattdessen mit einem Zauber an, der den Satyr schwächte und das Leben langsam aus ihm herauszog, bis seine ausgedörrte Leiche auf den von fauligem Laub bedeckten Waldboden fiel. Zufrieden beobachtete sie, wie sich die Wunde, die einer der Dämonen ihr am Arm beigebracht hatte, von selbst wieder schloss.
 

„Ich bin nicht eifersüchtig.“, meckerte Pizkol. „Es gefällt mir nur einfach nicht, wie er sich aufführt. Und außerdem ist es eine Sache, die Befehle seines Meister nach eigenem Ermessen auszulegen oder sie schlichtweg zu missachten.“

„Also bist du eifersüchtig, weil er cleverer ist als du.“, grinste Magenta und setzte nach, bevor der Wichtel auffahren konnte. „Andererseits müsste ich ja denken, dass du dir tatsächlich um mich Sorgen machst.“

Pizkol, der seinen Mund schon zum Protest geöffnet hatte, klappte ihn daraufhin wieder zu und verfiel in beleidigtes Schweigen. Magenta war das nur Recht, zumal sie endlich einen Satyr gefunden hatte, dessen Robe noch annähernd genug Stoff bot, um die Bedürfnisse des fremden Wichtels zu befriedigen. Mit ihrem Dolch schnitt sie ein etwa taschentuchgroßes Stück aus der zerfledderten Kleidung und strich es mit der Hand glatt. Der Stoff hatte eine dunkelviolette, fast ins Schwarz übergehende Farbe und zeigte ein aufgesticktes Runensymbol von feuerroter Farbe. Sie war sich sicher, dass es Impsy gefallen würde.

„Fehlen nur noch das Eisenstammholz und die Federn. Du hast nicht zufällig eine Ahnung, wo wir die herkriegen, oder?“

Pizkol warf ihr einen Blick zu, der Bände sprach, wohin sie sich ihre Federn stecken konnte.

„Meinst du, es gibt hier irgendwo Trolle?“, fragte Magenta weiter und ignorierte den Gesichtsausdruck ihres Wichtels gekonnt. „Naja, vielleicht versuchen wir es erst mal mit dem Holz und sehen dann weiter.“
 

Magenta rief ihr Teufelsross zu sich und ritt in die Richtung, in der sie den Eisenwald vermutete. Die hohen Bäume waren, wie alle anderen in diesem Landstrich, von der Verderbnis befallen und doch wirkten sie selbst in diesem Zustand noch stolz und unnachgiebig, so als wären sie tief im Inneren noch vom Widerstand gegen die dämonischen Kräfte beseelt. Magenta dachte an Abbefaria, der inzwischen schon fast in Darnassus angekommen sein musste. Sie würde sich beeilen müssen, wenn sie rechtzeitig zu seiner Rückkehr wieder am Smaragd-Refugium sein wollte.

Ein durchdringendes Heulen zu ihrer Rechten ließ Magenta im Sattel erstarren. Das Geräusch wurde von einem lauten Kreischen unterbrochen und dem Übelkeit verursachenden Geräusch reißenden Fleisches. Ein Knurren antwortete darauf und das Zuschnappen mächtiger Kiefer wurde gefolgt von einem trillernden Angstschrei. Ganz eindeutig war dort im Unterholz ein Kampf im Gange. Das Knurren und Kreischen wurde lauter und Magentas Hand wanderte wie von selber zu ihrem Dolch. Wie gebannt starrte sie auf das raschelnde Unterholz, aus dem die Kampfgeräusche kamen. Plötzlichen erklang einem schmerzerfüllten Jaulen und die Geräusche brachen ebenso plötzlich ab, wie sie gekommen waren. Zurück blieb eine drückende, unnatürliche Stille.
 

„Wir sollten nachsehen, was da los ist.“, sagte Magenta und rührte sich nicht von der Stelle.

Pizkol sah zu seiner Herrin auf. „Lass mich raten: Ich soll gehen?“

Magenta nickte nur. Der Wichtel unterdrückte ein Seufzen und machte sich mit einem unverständlichen Fluch auf den Lippen auf dem Weg. Er erreichte den Wegrand, drückte sich unter einem dornigen Busch hindurch und verzog das Gesicht.

„Oh, ich hab´s ja geahnt.“, stöhnte er. „Sind nur ein paar Wildtiere, die sich gegenseitig an die Gurgel gegangen sind. Wie´s aussieht, hat es keines überlebt.“

Magenta glitt hinter ihm vom Pferd und quetschte sich ebenfalls durch das Unterholz. „Hier ist ja überall Blut.“, würgte sie und hielt sich die Hand vor den Mund. „Ist das eklig.“

Auf der kleinen Lichtung lagen die Körper von zwei entstellten Wölfen, bösen Kreaturen, deren übergroße Krallen den Waldboden aufgewühlt hatten. Ihre ausgemergelten Körper waren von zahlreichen, schwärenden Wunden übersät, die nicht allein von diesem Kampf stammen konnten. Daneben lag der zerrupft wirkende Körper einer großen, weißen Eule. Ihre Federn waren überall verstreut und an den meisten davon klebte Blut. Der Kopf des Tieres lag verdeckt und auf eine abstoßende Art und Weise sah es aus, als wäre er Kampf abgetrennt worden. Süßlicher Blutgeruch lag über der Szene wie in klebriger Schleier. Magenta wollte sich gerade wieder umdrehen und diesen Ort, so schnell es ging, verlassen, als ihr eine Idee kam.

„Meinst du, die Federn dieser Eule könnten wir Impsy als Trollfedern verkaufen?“, meinte sie nachdenklich und betrachtete das Tier, das es in seiner Größe sicherlich mit einem der Wölfe hätte aufnehmen können. Allein dass es den Kampf mit zwei der räudigen Bestien hatte aufnehmen müssen, hatte es das Leben gekostet.

„Einen Versuch wäre es wert.“, antwortete Pizkol. „Wenn wir noch ein bisschen von den Brühschlammer-Proben und dem Wolfsblut darauf schmieren, dürfte der Unterschied nicht allzu leicht zu entdecken sein. Immerhin trieft das alles hier geradezu vor Felenergie.“

„Stimmt.“, murmelte Magenta und kniff die Augen zusammen. „Aber weißt du was? An dieser Eule spüre ich nicht die geringste Spur davon. Merkwürdig, oder?“

„Ist vielleicht gerade erst hergeflogen.“, vermutete Pizkol. Er sammelte ein paar Federn auf und hielt sie Magenta unter die Nase. „Also, was ist jetzt?“

„Ja gleich.“, gab die Hexenmeisterin abwesend zurück. „Aber zuerst…“

Sie kniete sich neben den toten Vogel und streckte die Hand nach seinem Kopf aus. Das weiße Gesicht mit dem rasiermesserscharfen Schnabel lag seltsam leicht in ihrer Hand und die Halsmuskeln leisteten keinen Wiederstand mehr. Die Lider waren geschlossen und zum ersten Mal in ihrem Leben sah Magenta, dass Vögel sogar Wimpern hatten. Sie strich gedankenverloren über die kurzen Federn an der Stirn, als die Eule plötzlich die Augen öffnete und einen trillernden Ruf ausstieß.

Mit einem Aufschrei ließ Magenta den Vogelkopf los. Er fiel zu Boden, kullerte herum und sah sie mit merkwürdig trübem Blick an, so als würde sich der Mond in den glasigen Pupillen spiegeln. Dem halb aufgeklappten Schnabel entwich ein pfeifendes Geräusch und eine der Krallen zuckte. Unfähig sich zu bewegen starrte Magenta das Tier an, das dort vor ihr im Sterben lag. Ihr Hals fühlte sich an, als würde sich eine unsichtbare Faust dagegen pressen.

„Sie lebt noch.“, wisperte sie tonlos. „Wir müssen ihr helfen.“

„Und wie bitte sehr sollen wir das anstellen?“, moserte Pizkol und betrachtete den großen Vogel mit schief gehaltenem Kopf. „Ich vermute nämlich mal, das Loch, das die Wölfe da gerissen haben, wird sich nicht so einfach wieder stopfen lassen.“

„So tu doch was!“, fuhr Magenta ihn an. „Sie stirbt.“

„Ich weiß.“, antwortete der Wichtel und zuckte mit den Schultern. „Aber was soll ich denn bitteschön dabei machen. Ich bin Wichtel und kein Tierarzt!“

Magenta gab einen erstickten Laut von sich und griff trotz Pizkols Protest mit beiden Händen nach dem Kopf des Vogels.

„Halte durch.“, flüsterte sie. „Wir holen Hilfe.“

Ein eigenartiges Gefühl durchströmte sie, als sie der Eule direkt in die Augen sah. In ihrem Blick lag eine Intelligenz, die weit über der eines normalen Tiers lag. Es sah fast aus, als hätte sie verstanden, was Magenta gesagt hatte. Noch einmal war der leise, trillernde Rufe zu hören, dann schlossen sich die Augen des Vogels wieder und der Kopf lag plötzlich leblos in ihren Händen. Diesmal eindeutig für immer.
 

Behutsam, fast so, als könnte sie ihm immer noch wehtun, legte Magenta den Kopf des Tieres auf den Erdboden. Ihre Augen brannten und als sie mit der Hand darüber fuhr, wurden ihre Finger feucht.

„Wir begraben sie.“, sagte sie und ihre Stimme klang fester, als sie gedacht hatte.

„Begraben?“, echote Pizkol. „Hast du ne Meise? Oder sollte ich sagen, Eule? Wir sind unterwegs um höchst wichtige, schwarzmagische Utensilien zu besorgen, die Zeit sitzt uns im Nacken und du willst hier erst mal Stunden damit verbringen ein Loch zu buddeln? Für ein Tier? Na vielen Dank auch, aber ohne mich.“

„Richtig.“, antwortete Magenta. „Ohne dich.“

Sie schnippte mit dem Finger und entließ den empörten Wichtel ohne ein weiteres Wort. Dann zog sie die Rute aus dem Rucksack, an deren Ende ein violetter Edelstein funkelte, und murmelte die Beschwörungsformel.

„Fang an zu graben, Sloojhom.“, wies sie den Teufelsjäger an. „Ich kümmere mich derweil um die Wölfe.“
 


 


 

Entschlossen wischte Magenta sich die Hände an ihrer Robe ab und betrachtete ihr Werk. Der kleine Erdhügel verbarg die Leiche der Eule vollkommen und auch von den Wölfen, die sie zunächst verbrannt und dann in den nahen Fluss geworfen hatte, war nichts mehr zu sehen. Sie hatte, ungeachtet des seltsamen Prickelns, dass sie dabei verspürt hatte, fast alle Federn auf der Lichtung eingesammelt und mit der toten Eule begraben. Nur neun der weißen Federn waren noch übrig. Magenta kniete sich neben den Erdhügel und steckte drei von ihnen in den losen Sand.

„Leb wohl, unbekannter Freund.“, sagte sie. „Und danke für deine Hilfe.“

Die Liaison mit diesem Druiden ist definitiv nicht gut für dich, unkte Pizkol in ihren Gedanken. Und was soll das überhaupt heißen: Hilfe? Nur weil du jetzt ein paar Federn von dem Vieh hast.

„Federn, die sich als äußerst nützlich erweisen werden.“, berichtigte Magenta den Wichtel. „Oder hast du nicht bemerkt, dass das hier kein gewöhnliches Tier war. Seine Federn werden es uns leicht machen, Impsy zu täuschen.“

Wie du meinst, du bist der Boss.
 

Magenta verstaute die Federn in ihrem Gepäck und schwang sich wieder auf den Rücken ihres Pferdes. Bis zum Eisenwald war es nun nicht mehr weit. Sie wendete das Pferd und wollte schon losreiten, als ein Geräusch an ihr Ohr drang. Es war ein leiser, trillernder Ruf, der ihr sehr bekannt vorkam. Ihr Kopf ruckte herum und suchte zunächst den Grabhügel ab. Die Erde war unversehrt.

Wieder erklang der Ruf und schwebte einen Moment lang eigenartig körperlos zwischen den Bäumen. Die Luft über dem Grab begann zu flimmern und für einen Augenblick fühlte Magenta den Blick geisterhafter Augen auf sich ruhen. Doch so schnell, wie das Gefühl gekommen war, verging es auch schon wieder. Zurück blieb der Eindruck, dass sie zwar das Richtige getan hatte, doch das es jetzt an der Zeit war zu gehen. Sie war hier nicht mehr willkommen und die Bäume schienen wie drohende Soldaten näher zusammenzurücken. Fröstelnd zog Magenta ihren Umhang fester um sich und drückte dem Teufelsross entschieden die Fersen in die Flanken. Das dämonische Pferd wieherte schrill und sprengte dann in nördlicher Richtung davon, wo der Eisenwald Magenta bereits mit offenen Krallen erwartete.
 


 


 

Nebel und der Geruch feuchter Erde stiegen aus den Tiefen des dicht bewaldeten Talkessels empor. Zikaden schrien, Vögel zwitscherten in allen Tonlagen und langgezogene Rufe unbekannter Tiere gellten zwischen den riesigen, moosbewachsenen Bäumen hin und her. So weit das Auge reichte, spannte sich ein Teppich aus grünen Gewächsen. Schlangengleiche Lianen, meterhohe Farne, Moose, Pilze, Orchideen und Bromelien und immer wieder gigantische Bäume, deren mit Flechten überzogene Kronen ein dichtes Dach über dem dunstverhangenen Tal bildeten und deren breite Wurzelstränge sich wie Adern über den Boden ausbreiteten. Schatten monströser Tiere zogen ungesehen im dichten Dickicht vorbei, gefolgt von einer Schneise zeitweiliger Zerstörung, in die sogleich wieder das wild wuchernde Leben des Duschgels quoll. Das ganze Tal war ein lebender, atmender Organismus, der geboren wurde, wuchs, starb und wieder neu erstand, aus sich selbst heraus und in einem unablässigen Wandel.
 

Easygoing stand auf einem Felsen nahes des Wegs und atmete tief ein. Über seinem Kopf begann ein Vogel ein neues, trillerndes Lied, überlagert vom Grollen eines fernen Donners, der schon bald einen der häufigen Regengüsse bringen würde. Der Druide war beeindruckt von der quirligen Lebendigkeit, die ihm entgegen strahlte. Urtümlich, wild und ungezähmt bot sich der Wald ihm dar, nicht willens sich erobern zu lassen, und bereit jeglichen Fehler umgehend mit dem Tod zu bestrafen. Ein donnerndes Kreischen ertönte und der Vogel verstummte.

„Der Krater von Un’goro.“, bemerkte Ceredrian. „Ich frage mich, was sich in diesem Urwald wohl alles verbergen mag.“

„Im schlimmsten Fall Dinge mit scharfen Zähnen.“, antwortete Deadlyone und seine Finger fuhren fahrig über die Lederscheide seines Dolches.

„Und großen Füßen.“, fügte Emanuelle hinzu und betrachtete neugierig eine Spur auf dem matschigen Boden. Der Abdruck hatte etwa die Länge von drei und die Breite von anderthalb Gnomen.

„Wir müssen auf jeden Fall vorsichtig sein.“, brummte Easygoing. „Die Silithiden sind mit Sicherheit nicht das Einzige, was dort unten lauert.“
 

Sie bestiegen die Nachtsäbler und ritten dann langsam in einer Reihe hintereinander in den Krater ein. Um sie herum steigerten sich die Geräusche des Dschungels zu einem wahren Crescendo. Hundertstimmiges Froschquaken mischte sich darunter, als sie einen flachen Fluss erreichten. Die Tatzen der Katzen sanken tief in den Uferschlamm und hinterließen gut sichtbare Spuren.

„Das gefällt mir nicht.“, murmelte Easygoing, als er es bemerkte. „Wir müssen auf festeren Untergrund.“

Er wendete seinen Nachtsäbler und gab den andere ein Zeichen, ihm zu folgen. Gemeinsam schlugen sie sich zum Rand des Kraters durch, wo die Erde fester war und die Vegetation sich am Fuß der steinernen Felswände verlief. Ab und an führte ein steiler Pfad in die Berge hinauf, doch zumeist war das Gebiet dort unwegsam; so unwegsam, dass sie von dort vermutlich keine unliebsamen Überraschungen zu erwarten hatten.

„Was für ein Reichtum an Pflanzen und Tieren.“, zwitscherte Emanuelle. Die Magierin hatte Mühe damit, all ihre Funde in ihrem Tagebuch zu notieren. Ihr war anzusehen, dass sie am liebsten von allem und jedem hier eine Probe genommen hätte, um diese später genauestens zu analysieren.

„Nur dass die meisten davon uns vermutlich fressen würden.“, brummte Easygoing. Er hatte eine Herde großer Raubechsen entdeckt, die am anderen Flussufer standen und tranken. Die leichtfüßigen Raptoren senkten immer wieder abwechselnd den Kopf zum Fluss, während andere Tiere Wache hielten. Ihr aggressives Schnattern drang bis zu der Gruppe herauf und selbst auf die Entfernung konnte man die messerscharfen Klauen an ihren verkürzten Vorderläufen erkennen. Trotzdem schienen die Tiere nervös, ja fast verängstigt, und bissen und schubsten sich immer wieder gegenseitig in ihrer Unruhe. Plötzlich erklang wieder das ohrenbetäubende Brüllen, das sie schon zuvor gehört hatten. Sofort stoben die Raptoren wie eine Schar aufgescheuchter Vögel in alle Richtungen davon. Schwere, stampfende Geräusche drangen aus dem Dschungel und kurz darauf steckte das, was die Raptoren vertrieben hatte, seinen hässlichen Kopf durch das Blätterdickicht.

„Oh, ist der aber groß.“, entwich es Emanuelle, bevor Easygoing ihr geistesgegenwärtig den Mund zuhielt.

Der Kopf der riesigen Echse, die mit ihrer Schnauze leicht einen stehenden Nachtelfen in einem Stück hätte verschlingen können, pendelte unruhig hin und her, bevor sie sich in ihrer vollen Größe auf die Lichtung schob. Wie die Raptoren ging das Tier nur auf den Hinterläufen, doch waren seine Vorderbeine weniger stark entwickelt als die der Raptoren und wirkten geradezu kümmerlich an dem massigen Körper, der nur aus Muskeln zu bestehen schien. Ebenso wie bei den Raptoren endete der Körper in einem kräftigen Schwanz, der mit Leichtigkeit zwei junge Bäume fällte, als sich das Tier herumdrehte, um an den Spuren der Raptoren zu schnuppern. Es grunzte, wohl in Erwartung reicher Beute, und ließ erneut seinen markerschütternden Schrei hören. Dann stampfte es, eine Spur abgeknickter Pflanzen hinterlassend, von dannen.
 

„Puh, das war knapp.“, stöhnte Deadlyone und sprach damit aus, was alle dachten. Easygoing ließ die kleine Magierin aus seinem Arm zu Boden gleiten, doch selbst, als er die Hand von ihrem Mund nahm, brachte die Gnomin kein Wort heraus. Ein seltener und kostbarer Augenblick, der für Easygoings Geschmack viel zu schnell vorüber ging.

„Meint Ihr, es gibt noch mehr davon?“, fragte die Gnomin. Auf ihren Wangen lag ein rosiger Schimmer und ihre Augen glänzten.

„Hat der eine nicht gereicht?“, knurrte Easygoing. „Immerhin sind wir ihm nur knapp vom Speiseplan gesprungen.“

„Naja, ich meine ja nur. Wenn man sie fangen und abrichten könnte, könnte man vielleicht…“

„Ich glaube nicht, dass irgendjemand so dumm wäre, das zu versuchen.“, brummte der Druide. „Also los, wir müssen dort vorne den Fluss überqueren.“

„A propos überqueren. “, warf Deadlyone mit einem schadenfrohen Seitenblick auf Ceredrian ein. „Warum ging das Huhn über die Straße?“

„Oh bitte…“, stöhnte der Priester. „Verschon mich endlich mit deinen Hühnerwitzen.“

„Kommt ein Fuchs morgens um sechs in den Hühnerstall und ruft: Raus aus den Federn!“

„Deadly…“

„Warum stehen Hühner so früh auf? Na versuch du doch mal auf so einer Stange zu schlafen.“

„DEADLY!“

Für einen Moment verstummte der Dschungel, während das Echo von Ceredrians Schrei über die Lichtung wehte. Jedoch nur um danach mit doppelter Heftigkeit wieder einzusetzen. Easygoing wendete seine Nachtsäbler und fasste die beiden Streithähne scharf ins Auge.

„Wenn ihr nicht sofort mit diesem Unsinn aufhört, binde ich euch beide an einen Baum und lass euch hier, bis ihr wieder zur Vernunft gekommen seid.“

„Ich habe doch gar nichts gemacht?“, versuchte Ceredrian sich zu verteidigen.

„Ist mir egal, wer damit angefangen hat.“, schnaubte Easygoing. „Wir haben eine Aufgabe zu erledigen und wissen noch nicht einmal, wo dieser Silithidenbau eigentlich liegt, und ihr habt nichts Besseres zu tun, als hier herumzualbern.“

„Also in einem Punkt muss ich aber widersprechen.“, mischte sich Emanuelle ein und zeigte auf etwas, das nur wenige hundert Meter vor ihnen aus dem Boden ragte. „Das da sieht mir nämlich sehr stark nach einem Silithidenbau aus.“
 

Wie eine schwärende Wunde ragte der langgezogene Krater bis tief in die fruchtbare Erde hinein. Zitternd, pulsierend, bevölkert mit krabbelnden Leibern, deren Chitinpanzer mit schabenden Geräuschen aneinander rieben. Riesige, Insektenbeinen nicht unähnliche Knochentürme ragten über den Schlund hinweg und zuckten immer wieder wie die abgetrennten Glieder eines sterbenden Käfers. Ein Weg wand sich in die Tiefe und verlor sich in einem brütenden Halbdunkel. Irgendwo dort unten musste die Königin sitzen, bewacht von unzähligen Wachen und Drohnen, die bereit waren, ihr Leben zu geben für den Erhalt des Volkes. Und Leben zu nehmen, wo immer es möglich war, denn ein Staat mit so vielen Bewohnern brauchte immer Futter.
 

„Wie wollen wir vorgehen?“, fragte Deadlyone. Der Schurke hatte seine Albernheiten abgestreift wie eine Schlange ihre Haut und sein Gesicht drückte wilde Entschlossenheit aus.

„Wir nehmen uns am besten einzelnen Arbeiter vor, die am Rand des Baus sitzen.“, sagte Easygoing. „Sobald wir eine der Duftdrüsen ergattert haben, ziehen wir uns zurück. Ich habe keine Lust, mich mit dem ganzen Schwarm anzulegen.“

„Beginnen wir mit dem dort.“, bestimmte Emanuelle und wies auf einem dicken, gelben Käfer mit blauem Rückenmuster, der sich behäbig über den dicht bewachsenen Waldboden schob. „Der sieht nicht ganz so gefährlich aus.“

„Gut.“, nickte Easygoing. „Ihr lenkt ihn ab und lockt ihn hierher und wir erledigen den Rest.“

„Na wenn Ihr meint.“, antwortete Emanuelle gedehnt. „Dann werde ich versuchen, ihn nicht zu töten, bevor er hier angekommen ist. Also los, Rosa, allez-hopp!“
 

Die Gnomin bohrte ihrem Nachtsäbler die kurzen Beine in die Flanken und die große Katze setzte sich gehorsam in Bewegung. Immer schneller lief sie auf den Käfer zu, der jetzt begonnen hatte, einen Busch mit Stumpf und Stiel zu vertilgen.

„BANZAI!“, juchzte Emanuelle, katapultierte sich mitten im Lauf der Katze mit einem gewagten Sprung aus dem Sattel und wob noch im Flug einen Feuerball, dem sie dem riesigen Käfer direkt zwischen die Beißzangen schleuderte. Doch offensichtlich hatte die Gnomin ihren eigenen Schwung unterschätzt. Sie flog über den Käfer hinweg und verschwand mit einem Quieken im Unterholz.

Der Käfer zischte wütend und stürzte sich mit einer für seine Größe erstaunlichen Schnelligkeit hinter ihr her ins dichte Grün. Wütendes Fauchen und spitze Schreie, die mit einem Mal abbrachen, drangen an die entsetzten Ohren der Nachtelfen.

„Los, wir müssen ihr helfen!“, schrie Easygoing und war schon von seinem Nachtsäbler gesprungen. Mit zornigem Gebrüll preschte er in seiner Bärengestalt zu der Stelle, wo er die kleine Magierin in Bedrängnis wähnte. Er sprang und landete mit allen vier Pfoten in einer Lache aus grünem Schleim. Schlitternd rutschte er über den Boden und knallte mit der Schnauze gegen einen Baumstumpf.

„Ist alles in Ordnung?“, hörte er eine helle Stimme hinter sich. Als er sich umdrehte sah er in Emanuelles besorgtes Gesicht. Hinter der Gnomin lag der riesige Käfer mit einem gnomengroßen Loch in seinem Panzer auf dem Rücken. Die Ränder des Lochs schwelten und über der Szene lag ein widerlicher Geruch von verbranntem Horn.

„Ah, ihr seid wohlauf.“, zwitscherte die kleine Magierin und strahlte. „Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Übrigens hat der Käfer leider darauf bestanden, mich im Ganzen zu verschlucken. Entschuldigt, dass ich ihn leider umbringen musste, bevor Ihr Eure Chance hattet.“

Easygoing ersparte sich einen Kommentar. Er beschnüffelte das Innere des Käfers und zog angewidert die Lefzen hoch. Der Käfer stank nach Verwesung und etwas, das ihn an Stinkmorcheln erinnerte. Ein süßer, ekelerregender Gestank, der sich an seine Geruchsnerven setzte wie festgeklebt.

„Ich fürchte, ich habe die Duftdrüse getroffen, als ich mich befreit habe.“, sagte Emanuelle entschuldigend. „Wir müssen wohl einen neuen Käfer suchen.“

Easygoing schnaubte und knurrte die Magierin an, damit sie diesmal hinter ihm blieb. Dann pirschte er sich, so gut es eben auf Bärenpfoten ging, an den nächstgelegenene Silithiden heran. Er hielt kurz inne und stürmte dann mit wildem Gebrüll auf den Käfer los, der mit einem drohenden Zischen herumfuhr und sofort zum Angriff überging.
 

Die kräftigen Kiefer der Dohne klappten nur haarscharf vor Easyoings empfindlicher Nase zusammen, während sie gleichzeitig mit den dornenbewehrten Vorderbeinen nach ihm stach wie mit einer Lanze. Nur der dicke Pelz des Bären bewahrte ihn vor einer ernsthaften Verletzung. Sofort richtete sich die Drohne halb auf und stach mit den kräftigeren Mittelbeinen von beiden Seiten gleichzeitig nach Easygoings Bauch. Der Bär knurrte, schnappte sich eine der hart gepanzerten Gliedmaßen und zog daran. Doch was jeden andere Gegner aus dem Gleichgewicht gebracht hätt, ließ die Drohne nur leicht schwanken, denn sie stand ja immerhin noch auf fünf weiteren Beinen. Sie kreischte empört und riss an ihrem Bein. Es gab einen knackenden, knirschenden Laut und Easygoing stand mit einem abgetrennten Käferbein in der Schnauze da. Grünes Blut tropfte aus einer kleinen Wunde an den Stellen, wo die Panzerplatten aufeinander trafen. Easygoing sah es und wusste, wenn er eine Chance haben wollte, musste er den Käfer an genau dieser Stelle treffen, denn die Panzerung zu durchdringen war schlichtweg unmöglich. Er spuckte das Bein auf den Boden und rammte den Käfer mit der Schulter. Haarscharf bohrte sich eines der spitzen Vorderbeine neben sein Auge. Easygoing warf den Kopf zur Seite und brüllte vor Schmerzen. Nur wenige Zentimeter weiter links und er wäre auf diesem Auge blind gewesen. Dieser Käfer wusste, was er tat. Und er tat es ohne Rücksicht auf eventuelle eigene Verluste. Easygoing brummte böse und beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Er richtete sich auf die Hinterbeine auf und brüllte die Dohne an. Angestachelt von der Herausforderung tat die Drohne es ihm gleich und präsentierte so für einen Augenblick die ungeschützte Unterseite. Sofort ließ sich Easygoing wieder fallen und schlug mit den scharfen Bärenkrallen nach den Weichteilen. Grünes Käferblut spritze in hohem Bogen darauf hervor und die Drohne klappte mit einem röchelnden Geräusch in sich zusammen. Die Beine zuckten noch, während der Übelkeit erregende Geruch wie eine Welle über Easygoing hinwegrollte. Der Bär nieste und verwandelte sich zurück.

„Das war wohl die zweite Duftdrüse.“, urteilte Emanuelle fachmännisch. „Trotzdem ein guter Kampf.“

„Ihr müsst ja auch immer gleich mit brachialer Gewalt vorgehen.“, meckerte Deadlyone, der inzwischen mit Ceredrian herangekommen war. „Jetzt lasst das mal den Fachmann machen. Passt auf und lernt.“

„Da bin ich ja mal gespannt.“, schnaubte Easygoing und fing an, sich notdürftig von dem grünen Schleim zu befreien, der ihn über und über bedeckte.
 

Der Schurke verschwand in den Schatten und die drei Zurückgebliebenen starrten angestrengt in das wuchernde Dickicht, ohne jedoch auch nur eine Spur von ihm oder seinem ausgewählten Gegner zu entdecken. Sie warteten und warteten und mit der Zeit wurde Easygoing unruhig.

„Sollen wir ihn suchen gehen?“

„Keine Angst, der kommt schon.“, beruhigte Ceredrian seinen Cousin. „Wahrscheinlich hat er die Drüse längst und…was ist das?“

Ein wütenden Zischen und Kreischen gemischt mit anfeuernden Rufen, bei deren Verursacher es sich unzweifelbar um Deadlyone handelte. Die zwei Nachtelfen und die Gnomin sahen sich fragend an, als plötzlich ein höchst seltsamer Anblick zu ihnen durch das Unterholz brach.

Der Schurke saß auf dem Rücken eines bockenden und strampelnden Käfers der Arbeiterklasse, der verzweifelt versuchte, den Nachtelfen auf seinem Rücken zu erwischen. Der jedoch saß festgekeilt im Nackenbereich des Tiers und ritt darauf wie auf einem ungezähmten Pferd. Er lachte und winkte und verspottete den Käfer, der seine Beine und Fühler abwechselnd in Richtung seines Peinigers streckt, ihn jedoch an dieser Position unmöglich erreichen konnte.

„Guckt mal: Käfer-Rodeo!“, johlte Deadlyone und hämmerte dem Käfer die Füße zwischen die Panzerplatten. „Los, hopp, mein Kleiner! Zeig, was du draufhast!“

„Deadly, hör mit dem Unsinn auf.“, rief Ceredrian. „Du verletzt dich noch.“

„Machst du dir etwas Sorgen um mich, Hühnchen?“, lachte der Schurke und verlor in diesem Moment fast das Gleichgewicht. „Na gut, dann eben Schluss mit lustig.“

Er schnappte sich einen seiner Dolche, holte damit aus und bohrte die dünne Klinge direkt zwischen die Panzerplatten am Kopf des Tieres. Der Silithid brach wie vom Blitz getroffen zusammen, überschlug sich im Laufen und begrub den kreischenden Schurken unter sich. Seine Beine zuckten noch ein- zweimal, dann war der Kampf vorbei.

„Uff.“, machte Deadlyone und kroch unter dem Käfer hervor. „Das Ende war so nicht geplant.“

„Aber Ihr habt einen ganzen Käfer erlegt.“, freute sich Emanuelle und klatschte in die Hände. „Jetzt müssen wir nur noch seine Duftdrüse entfernen und nach Gadgetzan bringen.“

Deadlyone sah auf den Dolch in seinen Händen, dann zu dem Käfer, wieder zu dem Dolch und dann zu Ceredrian. Und dann drückte er dem verdatterten Priester die Waffe in die Hand.

„Hier.“, grinste er. „Ich hab ihn gefangen, du darfst ihn ausnehmen.“

Ceredrians Gesicht verzog sich vor Abscheu und Ekel. „Da ist jetzt nicht dein Ernst!“

„Mein voller Ernst.“, nickte der Schurke. „Also los. An die Arbeit!“

„Ich hasse dich.“, knirschte der Priester, machte sich jedoch daran, den Körper des Silithiden in seine Einzelteile zu zerlegen. Schließlich legte es einen gelblich schimmernden Hautsack frei, aus dessen Ende eine widerlich riechende Flüssigkeit tropfte.

„Das ist es.“, sagte Easygoing. „Diesen Geruch würde ich überall wieder erkennen.“

„Lecker. Eau de Kefär.“, bemerkte Deadlyone und rümpfte die Nase. „Ist mir schleierhaft, wie das jemanden anlocken soll. Selbst wenn wir unseren kleinen Casanova hier damit einschmieren.“

„Lassen wir Alchemist Pestlezugg das entscheiden.“, antwortete Ceredrian gepresst und drückte dem Schurken den mit Schleim verschmierten Dolch in die Hand. „Und danke für´s Ausleihen.“

„Cere! Du Ar…“

„Ruhe jetzt!“ Easygoing war nach all dem nicht mehr zu Scherzen aufgelegt. „Wir besorgen jetzt noch die Erdproben und dann verlassen wir diesen ungastlichen Ort.“

„Oh, ich habe meine Proben schon gesammelt.“, erklärte Emanuelle und zeigte auf einen Stapel von nicht weniger als fünf großen Säcken voller Erde.

„Was zum…“, begann Easygoing, doch Emanuelle ließ ihn gar nicht zu Wort kommen.

„ Ich dachte mir, ich nehme gleich noch einen Vorrat für Quintis Jonespyre mit.“, erklärte sie. „Meint ihr, es gibt hier irgendwo ein Postamt. Und ob man das wohl per Nachnahme verschicken kann?“

„Wir werden das nicht alles mitschleppen.“, grollte Easygoing.

„Wer spricht denn von wir?“, fragte Emanuelle und blinzelte den Druiden erstaunt an. „Ich habe gedacht, ich mache mich einfach allein nach Gadgetzan auf den Weg. Mit meinem Transporter, den Ihr ja nicht benutzen wollt, bin ich binnen weniger Augenblicke da und muss dann nur noch den Rückweg bewältigen. Aber das krieg ich schon hin. Rosa wird mich begleiten.“

Easygoing glaubte sich verhört zu haben. „Und was sollen wir so lange machen?“

„Oh, ich weiß nicht.“, überlegte Emanuelle. „Ihr könntet versuchen, mir doch so eine Riesenechse zu fangen. Ich würde ihn wirklich gerne in der Halle der Forscher in Ironforge ausstellen. Oder mir ein paar Proben von diese interessanten Kristallformationen besorgen, die ich auf dem Weg hierher gesehen habe. Sie scheinen mir unheimlich potente Kraftquellen zu sein.“

„Kommt nicht in Frage.“, brummte Easygoing.

„Aber sie hat Recht.“, erhielt die Gnomin Schützenhilfe von unerwarteter Seite. Der Druide sah Ceredrian an, als wäre der nicht ganz richtig im Kopf.

„Es ist doch wirklich nicht nötig, dass wir uns alle noch einmal durch die Wüste schlagen.“, sagte der Priester. „Und dieser Landstrich…“, er wies mit einer weit ausholenden Geste auf die grüne Umgebung, „Das hier ist die reinste Form der Schöpfung, die mir je untergekommen ist. Ich würde gern noch eine Weile hierbleiben, um ehrauszufinden, welche Wunder sich hier verbergen.“

Easygoing sah von einem zum anderen und überlegte. Dann seufzte er lautlos. „Ich weiß nicht, wer eigentlich verrückter ist. Du, die Gnomin mit ihrem Vorschlag, oder ich, weil ich diesem Unsinn auch noch zustimme. Aber gut, wir machen es so. In spätestens vier Tagen treffen wir uns am Eingang zum Krater wieder. Also beeilt Euch ein wenig mit dem Zurückkommen.“

„Ich werde sehen, was ich tun kann.“, grinste Emanuelle und zwinkerte Ceredrian zu, der das mit einem knappen Nicken quittierte. „Wir sehen uns dann in vier Tagen.“
 


 


 

Langsam ging der Hippogreif tiefer und landete schließlich am Fuße Teldrassils, des riesigen Weltenbaum, dessen auslandende Äste die Heimatstadt der Nachtelfen beherbergten. Abbefaria glitt vom Rücken seines Reittieres und übergab es den fürsorglichen Händen des Greifenmeisters. Der Nachtelf mit dem ausgeprägten, buschigen Schnurrbart, der sein ganzer Stolz war, nahm Abbefaria die Zügel ab.

„Ishnu-alah, Meister Vesprystus.“, grüßte der Druide. „Bitte sorgt gut für das Tier, es hat eine lange Reise hinter sich. Und haltet bitte ein weiteres bereit, denn ich werde nicht lange bleiben.“

„Wo soll die Reise denn hingehen?“, brummte der Greifenmeister und begann damit, den Hippogreifen trocken zu reiben. „Im Moment habe ich nicht besonders viele Tiere da.“

„Felwood.“, entgegnete Abbefaria. „Es ist wirklich sehr dringend.“

„Ich werde sehen, was ich tun kann.“, versprach der Greifenmeister. „Ah, da kommt Eralas Ambersky. Vielleicht hat er gute Neuigkeiten und ein paar seiner Schützlinge sind inzwischen geschlüpft. Dann besteht noch Hoffnung, dass sich der Bestand an Hippogreifen langsam wieder erholt.“
 

Ein Nachtelf mit kurzen grünen Haaren, gekleidet in die Erdfarben der Druiden, trat zu ihnen und verbeugte sich vor dem Greifenmeister und Abbefaria, der den Gruß sogleich erwiderte.

„Ishnu-alah, Vesprystus. Abbefaria.“, sagte der Nachtelf mit einer sanften Stimme, in der immer ein leichter Hauch von Staunen zu liegen schien. „Wir machen tatsächlich gute Fortschritte. Erst vor ein paar Tagen erhielt ich wieder eine gute Anzahl Eier aus Gadgetzan. Die Zusammenarbeit mit Curgle Cranklehop hat sich als sehr fruchtbar herausgestellt. Und die Wildekinfedern, die mir diese andere Gnomin, Emanuelle, vor einiger Zeit brachte…“

„Sagtet Ihr, Emanuelle?“, horchte Abbefaria auf.

„Ja, das sagte ich. Kennt Ihr sie?“, fragte Eralas Ambersky erstaunt.

„Sie ist…eine Freundin.“, antwortete Abbefaria.

„Ah, dann grüßt sie doch bitte von mir, wenn Ihr sie seht.“, bat Eralas Ambersky. „Ich hätte gerne noch weiter mit ihr zusammen gearbeitet. Die Wildekinfedern, die sie mir aus dem fernen Hinterland brachte, haben meine Forschung schon ein gutes Stück vorangetrieben. Die Federn enthielten doch tatsächlich Spuren von Magie. Stellt Euch nur vor, eine natürliche Magie fernab von allen arkanen Quellen! Allerdings scheint es nicht so, dass die Wildekin sie wirklich aktiv nutzen. Es scheint vielmehr Teil ihres ureigenen Wesens zu sein. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass sie tatsächlich von Elune selbst erschaffen worden sind. Aber ich benötige weitere Proben, um mich zu vergewissern.“

„Ich kann Emanuelle ausrichten, dass sie Euch kontaktieren möge.“, unterbrach Abbefaria den Redefluss des anderen Druiden. „Es wird allerdings sicherlich eine Weile dauern, bis ich sie wiedersehen werde.“

„Oh, das ist sehr schade.“, bedauerte Eralas Ambersky. „Aber vielleicht könnt Ihr mir ja an ihrer Stelle helfen. Wie ich hörte, werdet Ihr nach Felwood reisen. Von dort aus ist es doch nur noch ein Katzensprung bis in das eisige Wintersping. Die dortigen Wildekin wären ganz außerordentlich interessante Forschungsobjekte.“

„Ich weiß nicht, ob ich…“, begann Abbefaria.

„Ich wusste, ihr würdet es tun.“, strahlte Eralas Ambersky und schüttelte dem verdutzten Druiden die Hand. „Ich werde Vesprystus derweil helfen, ein geeignetes Tier auszusuchen, das Euch in Windeseile wieder nach Feldwood bringt. Also habt keine Sorge, mein Freund.“
 

Abbefaria wusste nicht, wie ihm geschah, da war er auch schon durch das magische Portal getreten - oder vielmehr geschoben worden - und die abgeschiedene Ruhe von Darnassus legte sich um ihn wie ein weicher Mantel. Die zwei Wachen, die rechts und links des Portaleingangs postiert waren, musterten ihn nur kurz und nahmen dann wieder Haltung an, ohne ihn weiter zu beachten.

Abbefaria seufzte lautlos und schulterte sein Bündel. Dabei glitten seine Augen suchend über die friedlich daliegende Stadt, mit ihren unzähligen Bäumen, Wasserläufen und Brücken, dem violetten Blätterdach, das das grelle Sonnenlicht dämpfte, und den wohltuend vertrauten Formen nachtelfischer Architektur. Es war gut, nach Hause zu kommen, doch gleichzeitig fürchtete er, hier auf unliebsame Zaungäste seiner Unternehmungen zu treffen. Sein Leben war in den letzten Tagen so gründlich durcheinander gerüttelt worden, dass es es nicht gebrauchen konnte, sich jetzt noch den bohrenden Fragen einer gewissen, jungen Druidin zu stellen. Daher schlich er sich wie ein Dieb durch die Straßen, immer darauf bedacht in Deckung zu bleiben und von niemandem gesehen zu werden.

Ich verstecke mich vor meiner eigenen Schwester, schoss es ihm durch den Kopf und er musste, ohne es zu wollen, leise lachen, während er die Stufen zum Tempel des Mondes hinauf eilte. Was sie wohl dazu sagen würde, wenn sie mich jetzt hier so sehen könnte?

„Ich fasse es ja nicht.“

Ja, so in etwa würde es klingen.

„Was bei Malfurions Bart machst du hier und warum habe ich seit Wochen schon nichts mehr von dir gehört?“

Oh ja, dieser vorwurfsvolle Tonfall war wirklich sehr gut getroffen.
 

Abbefaria blieb wie angewurzelt stehen, als ihm bewusst wurde, dass die Stimme, die er vernommen hatte, mitnichten aus seinem Kopf stammte, sondern von außen an sein Ohr drang. Er drehte sich mit zusammengekniffenen Augen herum, so als könnte sein verschleiertes Sichtfeld irgendetwas daran ändern, was ihn erwartete. Oder etwa den Schlag mindern, der in kurz darauf am Oberarm traf.

DU…!“

Niemand außer seiner Schwester verstand es, so viel Vorwurf in so ein lächerlich kleines Wort zu legen.

„Navala.“, sagte Abbefaria und rieb sich mit schmerzverzerrten Gesicht den Arm. „Du hier? Wie schön!“

„Wo sollte ich wohl sonst sein?“, funkelte die junge Druidin ihn unter ihren grünen Stirnfransen hervor an. Sie trug im Gegensatz zum letzten Mal, als er sie gesehen hatte, eine grüne Robe mit einem Blättermuster, das ganz hervorragend zu ihrer Haarfarbe passte. Als er eine entsprechende Bemerkung machte, wurde das Funkeln in ihren Augen noch eine Spur schärfer.

„Machst du dich jetzt etwa auch noch über mich lustig?“, fauchte sie. „Ich vergehe hier fast vor Sorge um dich, muss mir von deinem lieben Ceredrian das Blaue vom Himmel herunter erzählen lassen und das Einzige, was dir einfällt, ist über meine Kleidung zu reden?“

„Entschuldige.“, murmelte der Druide. „Ich meine ja nur, es steht dir ausgezeichnet. Ceredrian sagte mir schon, dass du dich jetzt verstärkt in den Heilkünsten ausbilden lässt. Liegt dir dieser Zweig des Druidentums?“

„Es geht so.“, gab Navala zurück und zupfte an ihrer Robe. „Ist ungewohnt, aber so langsam hab ich den Dreh raus. Aber jetzt erzähl mir endlich, wo du so lange gesteckt hast. Und was tust du in Darnassus?“
 

Da Abbefaria wusste, dass es nicht viel Zweck hatte Navala anzulügen, umriss er, so knapp er konnte, die Ereignisse auf der Insel Sardor und in Felwood und schloss seinen Bericht damit, dass er sich nun beeilen müsse, um das Mondbrunnenwasser zur Rettung des Uralten zu zurück nach Felwood zu bringen. Dass er bei diesem Abenteuer erneut auf Magenta gestoßen war, ließ er wohlweislich aus.

Navala hörte ihm mit unbewegter Miene zu und sah ihm dann geradeheraus ins Gesicht. „Und was verheimlichst du mir bei der Geschichte?“

„Was?“

„Du hast mich schon richtig verstanden, Bruderherz.“, antwortete die kleine Druidin, verschränkte die Arme vor dem Körper und zog die grünen Augenbrauen zusammen. „Du verheimlichst mir etwas und ich will jetzt wissen, was es ist.“

Abbefaria wand sich wie ein Aal, doch er sah ein, dass er auf verlorenem Posten stand. „Ich…ich habe jemanden kennengelernt. Aber sie ist…kein Nachtelf.“

„Sondern?“

„Ein Mensch.“

Navala brach in schallendes Gelächter aus. „Und das findest du nun so schlimm? Du solltest mich besser kennen.“

„Ja aber sie ist…sie war die Gefährtin eines Freundes.“, erklärte Abbefaria. Und sie beschwört Dämonen.

Die junge Druidin legte den Kopf schief und betrachtete ihren Bruder eingehend. „Liebst du sie?“

Abbefaria dachte einen Augenblick lang über die Frage nach. „Ich habe noch nie so für jemanden empfunden.“, sagte er schließlich leise. „Wenn ich morgens aufwache, denke ich an sie, und wenn ich abends einschlafe, ist sie mein letzter Gedanke. Ich trinke ihre Stimme und atme ihren Duft, wenn sie bei mir ist, und wenn sie es nicht ist, erscheint es mir, als würde mein Herz zerspringen. Selbst jetzt, da ich weiß, dass ich sie bald wiedersehe, bringt es mich fast um den Verstand, dass ich nicht in ihrer Nähe sein kann.“

Navala sah ihn nachdenklich an. „Ich verstehe.“, antwortete sie ebenso leise und lächelte ein kleines, fast ein wenig traurig wirkendes Lächeln. „Dann solltest du dich beeilen. Wenn sie ebenso fühlt wie du – und dass will ich ihr geraten haben – dann verzehrt auch sie sich jetzt vor Sehnsucht nach dir und du solltest sie nicht zu lange warten lassen. Also lauf und pass auf dich auf, großer Bruder.“

Abbefaria trat zu seiner Schwester und drückte sie an sich. „Danke“, hauchte er und strich ihr über das Haar. „Und du weißt, dass du immer die erste Frau in meinem Herzen sein wirst, solange ich lebe.“

„Das will ich dir auch geraten haben.“, brummte die junge Druidin und knuffte ihn in die Seite. „Nun geh schon.“

„Mache ich. Auf Wiedersehen, kleine Schwester.“

„Auf baldiges Wiedersehen, großer Bruder.“
 

Abbefaria grinste noch einmal und spurtete dann die letzten Stufen zum Tempel des Mondes empor. Er wusste nicht warum, aber sein Herz war leicht wie weiße Federwolken und seine Füße trugen ihn schneller, als er beabsichtig hatte. So schnell, dass er am Eingang des Tempels beinahe in eine Gruppe von Priesterinnen hineingerannt wäre. Er stolperte und kämpfte um sein Gleichgewicht bei dem Versuch, ihnen auszuweichen.

„Elune-adore, junger Druide! Wohin so stürmisch?“, fragte eine der Priesterinnen. Sie trug eine elegante, goldgelbe Robe, deren reiche Verzierungen sie als ein hochrangiges Mitglied des Tempels auswies. Angesichts der anderen Nachtelfen, die sich um sie versammelt hatten, schien sie eine der Ausbilderinnen des Tempels zu sein.

„Ishnu-alah, Priesterin.“, antwortete Abbefaria und verbeugte sich eilig. „Entschuldigt mein ungestümes Eindringen. Ich komme, um etwas von den Heiligen Wassern des Tempels zu erbitten.“

„Ein ungewöhnlicher Wunsch.“, gab die Priesterin mit einem Stirnrunzeln zurück. „Zumal für einen Druiden.“

Sie winkte einer zweiten Nachtelfe in einer weniger aufwendigen Tracht. „Jandria, bring die Novizen in die Hallen des Gebets. Ich werde mich persönlich um diese Sache kümmern.“

„Ja, Alathea“, nickte die andere Priesterin. „Folgt mir, Schülerinnen!“
 

Im Inneren des Tempels empfing den Druiden eine kühle Stille, die sich sogleich wie Balsam auf sein Gemüt legte. Unruhe und Hast fielen von ihm ab, während er der Priesterin durch die mit weißem Stein verkleideten Gänge folgte. Der mit Moos und weichem Gras bewachsene Boden des Tempels federte unter seinen Schritten und erzeugte den Eindruck, sich draußen in der freien Natur zu bewegen. Sein Blick fiel auf die Füße der Priesterin, die vor ihm ging, und er bemerkte zum ersten Mal dass sie keine Schuhe trug. Auch die anderen Bewohnerinnen des Tempels, die sie passierten, trugen keinerlei Schuhwerk.

Komisch, dass mir das nie aufgefallen ist, wunderte sich Abbefaria und beeilte sich dann zu der Priesterin aufzuschließen, die bereits die zentrale Halle des Tempels erreicht hatte. Hier stand in einem mit kristallklarem Wasser gefüllten Springbrunnen eine Statue der ersten Mondpriesterin Haidene. Besucher hielten es oft für ein Abbild Elunes, denn die weiße Mamorstatue, die eine Schale in die Höhe hielt, aus der unablässig das Wasser des Brunnen in silbernen Kaskaden herab perlte, kam der Vorstellung vieler, die bleiche Göttin betreffend, sehr nahe. In Wahrheit aber hatte sich die Mondgöttin ihren Kindern noch nie in einer körperlichen Gestalt gezeigt, so dass es nur vage, aus Visionen und Träumen entstandene Bilder einer nachtelfengleichen Gestalt gab, mit alabasterfarbender Haut, silberglänzendem Haar, Augen aus purem Mondlicht und einem Lächeln, dessen besänftigende Wirkung sich nicht einmal die Götter entziehen konnte.
 

Der Brunnen wurde von einer Reihe von Bäumen gesäumt, in dessen Schatten eine Gestalt in einer einfachen, weißen Robe saß. Die Priesterin Alathea bedeutete Abbefaria zu warten und trat dann an die Gestalt im Schatten heran. Der junge Druide konnte einen leisen Stimmwechsel hören, während neben ihm die heiligen Wasser des Tempels plätscherten und sangen. Wie gebannt starrte er in den Brunnen, dessen leuchtende Fluten etwas in ihm zum Klingen brachten. Ohne es zu merken trat er näher und beugte sich über den Rand.

Sein Spiegelbild wurde durch die Bewegung des Wassers verzerrt. Wellen brachen die Oberfläche, von der sich kleine, silberne Lichtpunkte lösten und im Dunst des Brunnens empor stiegen. Der Silberschein des Wassers verstärkte den verzerrenden Effekt noch, aber für einen Augenblick glaubte Abbefaria, so etwas wie ein Gesicht in den Fluten zu erkennen. Es war merkwürdig breit, hatte eine sehr große, schnabelartige Nase, streng blickende, goldene Augen und auf seinem Kopf thronte ein Geweih wie von einem jungen Hirsch, eingerahmt von zwei langen, spitzen Ohren ganz wie seine eigenen. Abbefaria blinzelte überrascht und das Bild verschwand.

„Nun, Abbefaria, habt Ihr gefunden, was Ihr gesucht habt?“

Die sanfte Stimme ließ Abbefaria herumfahren und er drückte sich ertappt an den Rand des Mondbrunnens. Völlig entgeistert starrte er die Nachtelfe sich gegenüber an, bis ihm plötzlich bewusste wurde, wen er da vor sich hatte.

„Hohepriesterin Tyrande!“, entfuhr es ihm unangemessen laut und er ließ sich auf ein Knie sinken. „Verzeiht mein…ich…also…der Brunnen…“

„Ja, ich hörte, dass Ihr gekommen seid, um etwas von dem Wasser zu holen.“, erwiderte Tyrande Whisperwind. „Doch seid so gut und erhebt Euch, bevor Ihr mir die Geschichte erzählt, um derentwillen Ihr den ganzen Weg von Felwood hierher gemacht habt. Ich komme mir albern vor, wenn Ihr so vor mir kniet.“

Unwillkürlich hob Abbefaria den Kopf und sah das amüsierte Glitzern in den Augen der obersten Priesterin und Herrscherin des Nachtelfenvolkes.

„Ihr seid nicht wirklich überrascht, dass ich darüber informiert bin, was in dieser Stadt vorgeht, oder?“, lächelte die Hohepriesterin. „Kommt, setzt Euch und erzählt mir, was einen Druiden des Zirkels dazu bringt, hilfesuchend an die Türen der Schwesternschaft von Elune zu klopfen. Normalerweise schickt ihr dafür doch Euren Freund Ceredrian.“

„Ich…ich…“, stammelte Abbefaria, nicht fähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Die Hohepriesterin wusste, wer er war, und noch dazu, wo er herkam. Vermutlich wusste sie sogar, warum er hier war, und er fand keine Worte, sie um das Wasser des Tempelbrunnens zu bitten, die ihn nicht wie einen Einfaltspinsel dastehen ließen.

Tyrande Whisperwind musterte ihn noch einen Augenblick lang, dann entließ sie ihn endlich aus ihrem Blick. Ihre mitternachtsblauen Haare flossen über ihre Schultern wie ein Wasserfall, als sie sich der anderen Priesterin zuwandte

„Mir scheint, Alathea, du wirst das hier übernehmen müssen. Ich glaube, wir müssen sonst um die Gesundheit des jungen Druiden fürchten.“

Sie wandte sich noch einmal Abbefaria zu und in ihren silbernen Augen lag ein warmer Glanz.

„Ande’thora-ethil, junger Druide.“ Sie hob die Hand, und zeichnete mit dem Daumen einen sichelförmigen Halbmond, das Zeichen Elunes, auf seine Stirn. „Möge Mutter Mond stets über Euch wachen.“
 

Abbefaria war nicht in der Lage sich zu rühren, während die Hohepriesterin sich zurückzog, bis Priesterin Alathea ihn schließlich sanft am Arm berührte.

„Kommt.“, sagte sie. „Erzählt mir, warum Ihr gekommen seid und ich bin mir sicher, dass wir Euer Anliegen gut heißen werden.“

„Eridan. Erdidan Bluewind schickt mich.“, murmelte Abbefaria. Er glaubte den Halbmond auf seiner Stirn immer noch zu spüren wie ein Brandzeichen. „Wir brauchen das Wasser um einen der Uralten aus den Klauen eines Dämons zu befreien.“

„Habt Ihr ein Gefäß mitgebracht?“

Abbefaria deutete fahrig in Richtung seines Gepäcks, während er immer noch in die Richtung starrte, in der Tyrande Whisperwind verschwunden war. „Phiole. In meinem Rucksack.“

Die Priesterin öffnete mit einem unterdrückten Lachen den Beutel und nahm die magische Phiole heraus, die Eridan Bluewind dem Druiden mitgegeben hatte. Sie hielt sie in den Strahl des Mondbrunnens und verkorkte das Gefäß sorgfältig, als es mit silbernem Wasser gefüllt war. Dann drückte sie dem Druiden die volle Phiole in die Hand.

„Hier, nehmt sie und macht Euch, so schnell es geht, auf den Rückweg. Eure Mission duldet doch sicher keinen Aufschub.“

„Ja. Nein.“, stammelte Abbefaria. „Danke.“
 

Amüsiert sah die Priesterin dem jungen Druiden nach, der Mühe hatte, seine Arme und Beine in der richtigen Reihenfolge zu benutzen, und somit mehr schlecht als recht die Stufen vor dem Tempeleingang herunter stolperte. Die Phiole jedoch hielt er fest in Händen und Alathea hatte keinen Zweifel daran, dass sie unbeschadet in Felwood ankommen würde.

„Ein Hauch von Schicksal umweht diesen jungen Druiden.“, hörte sie die Stimme der Hohepriesterin hinter sich. „Ich spürte die Macht von Elune in ihm. Eigenartig und höchst ungewöhnlich.“

Alathea hob fragend die Augenbrauen. „Soll ich ihn beobachten lassen?“

„Nein.“ Tyrande schüttelte den Kopf. „Die Zeit wird zeigen, wie sich die Dinge entwickeln. Mutter Mond wird uns den richtigen Weg weisen, wenn es soweit ist.“
 


 


 

„Hier!“

Magenta ließ den Sack direkt vor Impsys Füße fallen. Die Schnur, die darum gebunden war, löste sich und Stoff, Federn und Holz ergoss sich als buntes Sammelsurium auf den faulenden Waldboden. Der Wichtel blickte zunächst Magenta an und streckte dann seine gierigen Hände nach den Schätzen aus.

„Oh, wie wunderbar.“, säuselte er mit verzücktem Gesicht. Er fischte den Teufelsstoff aus dem Haufen heraus und rieb ihn an seiner Wange. „ Dieser Duft und dieses berauschende Gefühl, wenn es auf der Haut prickelt. Und das Wispern der Teufelsrunen. Oh, ich liebe es. Was hast du noch?“

Er riss den Sack hoch und grabschte hastig nach dessen Inhalt. „Und hier! Dieses atemberaubende Aroma verdorbenen Holzes.“ Er schnüffelte an einem Ast, den Magenta von einem verderbten Baumgeist abgetrennt hatte, nachdem dieser versucht hatte, ihr damit die Augen auszustechen. „Das wird der perfekte Kopf für meine Puppe. Ja wirklich, ganz außerordentlich. Und was… AAAAHH!“

Impsy hatte den Sack mit einem Mal wie eine heiße Kartoffel fallen lassen und hielt sich den Arm, während er greinend auf einem Bein herum hüpfte.

„Du hast mich betrogen.“, heulte er. „Ganz fürchterlich. Wie das juckt! Wie das brennt! Mach, dass es aufhört!“

Magenta, die nicht wusste, wie ihr geschah, griff nach dem am Boden liegenden Sack und blickte hinein. Am Boden befanden sich noch zwei der weißen Federn. Für einen Augenblick glaubte Magenta, daran noch ein blaues Glühen zu erkennen, doch als sie blinzelte, war es auch schon wieder verschwunden. Vermutlich hatten ihr ihre Augen einen Streich gespielt.

„So tu doch was!“, heulte Impsy. „Ich verbrenne! Hol Hilfe! Hol Niby….nein, halt warte, nicht Niby. Der Trottel macht alles nur noch schlimmer. Oh, diese Schmerzen!“

Für einen Augenblick stand Magenta hilflos da und wusste nicht, was sie tun sollte. Mehl, flüsterte es in ihrem Kopf. Auf Brandwunden gehört Mehl. Oder war es Butter? Ach nein, das war für Beulen. Dumm nur, dass ihr weder das Eine noch das andere zur Verfügung stand. In einem Anfall von purem Aktionismus griff sie nach ihrem Rucksack und zog das erstbeste heraus, das ihr in die Hände fiel. Es waren Emanuelles Schleimproben.

„Immer noch besser als gar nichts.“, murmelte sie, schraubte den Deckel von einer Phiole, schnappte sich den vorbeihüpfenden und immer noch wie am Spieß schreienden Wichtel und stopfte seine Hand in das Probengefäß. Es zischte und stank und dann erschlaffte der zappelnde Wichtel plötzlich in ihrer Hand.
 

„Puh.“, machte Impsy. „Das war knapp. Ich hätte tot sein können.“

„Wohl kaum.“, gab Magenta zurück und ließ den schleimbeschmierten Wicht fallen. „Was sollten denn dieser ganze Zirkus?“

„Erklär du´s mir.“, giftete der Wichtel zurück. „Immerhin hast du diese Federn angeschleppt. Woher sind sie und was soll ich damit?“

„Du wolltest Vodoofedern und ich hab dir welche gebracht.“, antwortete Magenta. „Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt.“

Impsy spuckte auf den Boden. „Was immer das auch für Magie ist, sie gefällt mir nicht. Aber warte mal.“

Der Wichtel griff nach einem von Magentas Probengefäßen, öffnete es und spülte es über eine der am Boden liegenden Federn. Der zähe, grüne Schleim tropfte auf die Federn, die für einen Moment aufglühte und dann schwarz wurde. Bevor Magenta protestieren konnte, hatte Impsy sich schon das nächste Gefäß geschnappt und die restlichen Federn hinein gestopft. Er rührte kräftig und holte dann mit einem triumphierenden fünf weitere schwarze Federn aus dem Schleim.

„Perfekt.“, grinste er. „Mir scheint, du hast es doch drauf. Ich spüre deutlich die Magie in diesen Federn. Sehr gut. Sie werden sich sehr gut als Füllung für meine Puppe eignen! Ich mache mich gleich ans Werk.“

„Und ich räume dann hier wohl mal auf.“, brummelte Magenta und machte sich daran, ihre verstreuten Habseligkeiten wieder einzusammeln und die halbleeren Probengefäße wieder ordnungsgemäß zu verstauen. Emanuelles Freund würde eben einfach mit weniger Schleim auskommen müssen, befand sie, denn sie spürte nicht die geringste Lust, sich noch einmal mit den garstigen Brühschleimern anzulegen.
 

„Tadaaa!“, rief Impsy und hielt ein Gebilde hoch, das - höflich ausgedrückt - abgrundtief hässlich war. Ein Kind wäre mit Sicherheit schreiend davor davon gelaufen. Dem Wichtel jedoch schien seine Puppe mit dem übergroßen Kopf und den krummen Armen und Beinen zu gefallen. Die blinden, aus dem Holz herausgeschnitzten Augen, sahen Magenta vorwurfsvoll an.

„H-hübsch.“, stotterte sie, da der Wichtel immer noch auf Beifall zu warten schien. „Ganz außerordentlich.“

„Nicht wahr?“, strahlte der Wichtel und drückte die Puppe an sich. „Du bist wirklich ganz schön nett für einen Hexenmeister.“

„Mhm-mhm.“, machte Magenta und überlegte, wie sie jetzt möglichst geschickt zum eigentlichen Grund ihres Hierseins überleiten sollte. Das war jedoch gar nicht nötig, weil in diesem Moment die keifende Stimme von Niby, dem Allmächtigen, über sie hinweg peitschte.

„IMPSY! Du nichtsnutziger Wichtel. Hast du dieser Schülerin nun endlich das Teufelsfeuer hergestellt, damit sie Kroshius wiedererwecken kann? Ich hab schließlich nicht ewig Zeit.“

„Ja, ja, Meister, gleich!“, brüllte Impsy zurück und fügte etwas leiser hinzu: „Als wenn es einen Unterschied machen würde, ob er es ein paar Stunden früher oder später versaut. So, dann wollen wir mal sehen. Einmal reine Teufelsessenz. Kommt sofort.“
 

Impsy begann damit, in einer unverständlichen Sprache vor sich hin zu murmeln. Dabei rieb er die Hände aneinander, die anfingen zu glühen und immer heller und heller wurden, bis Magenta schließlich geblendet die Augen abwenden musste. Als sie wieder hinsah, verkorkte Impsy gerade einen ihrer Probenbehälter, in dessen Inneren eine grüngelbe Flamme auf und nieder tanzte. Mit einer übertriebenen Verbeugung hielt der Wichtel Magenta die Phiole hin.

„Einmal Teufelsfeuer, bitte sehr.“

Magenta nahm die Phiole entgegen, die erstaunlich kühl war. Sie sah Impsy fragend an.

Der Wichtel rollte, seinem Meister dabei nicht unähnlich, mit den Augen. Er räusperte sich und verkündete laut: „Ganz einfach: Hinreiten, Kroshius‘ Überreste im nördlichen Teufelswald finden, Phiole darüber ausschütten und - peng - haben wir wieder eine wunderbar auferstandene Höllenbestie. An diesem Punkt nehme ich übrigens an, dass Kroshius dich und deine Freunde, die du sicherlich mitbringen wirst, umbringen wird. Also nur, dass wir uns über die Vorrausetzungen dieser Aufgabe im Klaren sind, meine ich.“

Impsy sah über die Schulter zurück und flüsterte dann in verschwörerischem Ton: „Natürlich brauchst du deine Freunde nicht. Und ich bezweifle auch, dass Kroshius hiermit zu besonderer Größe anwachsen wird. Aber sei trotzdem vorsichtig.“

Lauter fügte er hinzu: „Wenn du es allerdings trotz allem schaffen solltest, dieses waghalsige Unternehmen zu überleben, bring mir, äh, Niby den Höllenstein aus Kroshius Inneren und du wirst fürstlich entlohnt werden.“

Der Wichtel zwinkerte Magenta noch einmal zu und hüpfte dann von dannen. Dabei drückte er seine Puppe an sich und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr, das ihn köstlich zu amüsieren schien. Magenta sah ihm nach und wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Schließlich zuckte sie mit den Schultern, rief ihr Teufelsross zu sich und machte sich auf den Weg um Kroshius‘ Überreste zu suchen. Sie hatte immerhin nicht ewig Zeit.
 


 


 

Der Boden des mit Kratern übersäten Narbensgrunds war immer noch warm, ein Überbleibsel aus der Zeit, da das dämonische Feuer vom Himmel gefallen war und alles Leben dieses Landstrichs in Asche verwandelt hatte. Giftiges Wasser hatte sich in den Senken gesammelt und zwischen den ausgebrannten Gebeinen des Waldes streiften entropische Bestien umher, auf der Suche nach neuer Nahrung für ihre flammenden Leiber. An anderen Stellen roch Felwood nach üblen dämonischer Magie und Verderbnis, hier stank es nur noch nach Tod. Das Einzige, was es hier außer den ruhelosen Feuerelementaren und einzelnen, von brutaler Vernichtungswut angetriebenen Höllenbestien noch gab waren…Kakerlaken.

„Pfui, Spinne.“, ekelte sich Magenta und trat mit einem großen Schritt an dem irgendwie schadenfroh aussehnenden Insekt vorbei. „Ich mag keine Kakerlaken.“

„Ich glaube, sie dich auch nicht.“, grinste Pizkol. Der Wichtel sah sich um und pfiff leise durch die Zähne. „Heiliger Höllenschlund. Was für eine meisterhafte Zerstörung.“

„Fühl dich ruhig wie zu hause.“, knurrte Magenta und raffte ihre Robe, um nicht mehr von der Asche am Boden aufzuwirbeln, als unbedingt nötig war. Misstrauisch behielt sie die Umgebung im Auge, denn da hier bereits alles vernichtet war, würden sich die marodierenden Dämonen vermutlich auf alles stürzen, an dem es noch etwas anzukokeln gab, und das war im Zweifelsfall sie.

Die Hexenmeisterin schritt an Baumleichen vorbei, die verkohlten Äste hilfesuchend zum Himmel ausgestreckt, schwelende Kadaver, niedergestreckt in einem Krieg, der nicht der ihre war. Oder vielleicht doch? Magenta dachte an den uralten Baumgeist, den sie mit Abbefarias Hilfe befreien würde, und es drängte sich ihr die Frage auf, ob auch diese Bäume einst eine Seele besessen hatten. Sie schauderte bei dem Gedanken und ihre Schritte wurden unwillkürlich langsamer. Wollte sie wirklich lernen, wie man etwas beschwor, dass so etwas anrichten konnte?

„Kommst du jetzt endlich?“, nörgelte Pizkol von der Kuppe eines nahegelegenen Hügels aus. „Es gefällt mir hier nicht besonders.“

Mir auch nicht, stimmte Magenta insgeheim zu.

„Es gibt hier gar nichts Brennbares mehr.“, nörgelte der Wichtel weiter und hob einen schwarzgefärbten Ast auf, der unter seinen Fingern sofort zerbröselte. „Da ist, als würde man auf eine Party kommen und feststellen, dass die Kartoffelchips schon alle sind.“

Magenta ersparte sich einen Kommentar und drang weiter in den Narbengrund vor. Je weiter sie ging, desto stärker wurde der Brandgeruch, der sich schon bald wie ein öliger Film über sie zu legen schien. Aus Löchern im Boden quoll schmieriger Qualm, der das Atmen schwer machte und Magenta die Sicht nahm. So ihrer Orientierung beraubt wäre sie fast in eine der brennenden Bestien hineingerannt, wenn Pizkol sie nicht im letzten Moment gewarnt und hinter einen verkohlten Baumstumpf gelotst hätte.

Der Geruch des angesengten Holzes stach Magenta in die Nase, und sie versuchte krampfhaft ein Niesen zu unterdrücken, während das Feuerwesen vorbeizog. Der grellleuchtende Flammenkörper des Dämons glühte in einem unnatürlichen Schein und Magenta konnte das gierige Wispern der Flammen hören. Die Bestie blieb stehen und schien in die Luft zu wittern wie ein Hund. Als sie nichts fand, das sie angreifen konnte, stieß sie ein enttäuschtes Fauchen aus und waberte lodernd von dannen Keinen Augenblick zu früh, denn Magenta konnte ihr Niesen nicht länger zurückhalten.

„Hatschi.“, machte sie und kniff die tränenden Augen zusammen. Ihre Lunge brannte von den giftigen Gasen, ihr Hals war rau und wund, ihr Gesicht glühte von der sie umgebenden Hitze und Schweiß lief in kleinen Bächen ihren Rücken hinunter. Sie hätte das alles hier liebend gern hinter sich gelassen und wäre zurück zum Smaragd-Refugium geritten, um dort auf Abbefarias Rückkehr zu warten. Doch als hätte der Gedanke an den Druiden ihr neue Kraft gegeben, erinnerte sie sich daran, warum sie das alles auf sich nahm, und ihr Kiefer spannte sich, als sie die Zähne zusammen biss.

Es gibt jetzt kein Zurück mehr, dachte sie grimmig und entließ den nörgelnden Wichtel zugunsten des blauen Leerwandlers, der mit einem stoischen Ausdruck in seinen rudimentären Zügen neben ihr erschien.

„Es gibt Arbeit für dich.“, erklärte Magenta und bekam – natürlich – keine Antwort. Mit einem Seufzen erhob sie sich wieder und betrat den hintersten Teil des Tals, in dem keine der anderen, dämonischen Bestien mehr zu finden war, denn dies war das Reich von Kroshius.
 

„Beeindruckend unbeeindruckend.“, murmelte Magenta, als sie vor dem riesigen Haufen Steine stand, die einst Kroshius‘ Körper gebildet hatten. Sie nahm die Phiole mit dem Teufelsfeuer aus ihrem Gepäck, entfernte den Verschluss und atmete tief durch.

„Na dann los.“, versuchte sie sich selber Mut zu machen und drehte die Phiole um.
 

Zunächst schien das Teufelsfeuer noch den Gesetze der Natur trotzen zu wollen, so als wolle es betonen, dass es nicht Teil dieser Schöpfung war. Dann jedoch begannen quälend langsam grüne Schlieren dämonischer Glut aus dem Fläschchen zu entweichen. Sie kräuselten sich, wanden sich wie Nattern umeinander und krochen schließlich zielstrebig auf Kroshius‘ Körper zu. Dabei wuchsen sie in die Länge und Breite, dehnten sich aus, umwanden die bis dahin leblos wirkenden Steine mit ihrer teuflischen Macht und versickerten zuletzt in dem Steinhaufen.

Es begann mit einem einzelnen Laut, gleich einem Kiesel, der am Anfang eines Erdrutsches einen Berghang hinunter kullert. Ein leises, schabendes Geräusch, das ein nächstes nach sich zog und dann noch eines und noch eines, lange bevor man eine Bewegung wahrnehmen konnte. Und doch spürte Magenta, dass etwas in dem Haufen in Bewegung kam. Sie macht einen Schritt rückwärts und beobachtete das Spektakel, das mit immer größer werdender Geschwindigkeit von statten ging.

Das Teufelsfeuer ließ die toten Steine in einem gelbgrünen Licht erstrahlen, Sie erhoben sich vom Boden, wirbelten in feurigen Schlieren umeinander, fügten sich zusammen, wuchsen, türmten sich auf, bis schließlich eine gute zwanzig Meter hohe Wand aus brennenden Steinen vor Magenta aufragte. Eine Wand, die bereit war zu töten.

„Oh verdammt.“, fluchte die Hexenmeisterin und nahm die Beine in die Hand, als eine glühende Faust von der Größe eines Fuhrwerks auf sie zuraste. Die brennende Steinmasse traf mit einer Wucht auf, die den Boden unter Magenta Füßen erzittern ließ, während sie wie durch ein Wunder unverletzt weiter stolperte. Enttäuscht brüllte die Bestie auf und setzte zu einem neuen Schlag an.

„Jhazdok!“, brüllte Magenta und der Leerwandler zögerte nicht, sich der Höllenbestie entgegenzuwerfen. Schattenmagie ballte sich um die Faust des Leerwandler zusammen und prallte gegen Kroshius‘ Leib wie ein Eimer Wasser gegen einen Wehrturm. Er führte noch einen zweiten Angriff aus, bevor die Faust der Höllenbestie ihn in den Boden stampfte. Mit einem Ton, als würde Luft aus einem undichten Ballon entweichen, verging die blaue Gestalt und verwehte im feurigen Wind des triumphierend aufheulenden Kroshius.

„Nicht so stark, wie?“, schimpfte Magenta. „Diesem Impsy werd ich was erzählen…wenn ich hier lebend rauskomme.“
 

Die Hexenmeisterin rannte, so schnell sie konnte, während es schien, als wäre um sie herum ein Vulkan zum Leben erwacht. Rumpelnd und fauchend stampfte die Höllenbestie hinter ihr her und es würde nur Sekunden dauern, bis sie Magenta eingeholt hatte.

PIZKOL!“

Bleib endlich stehen und kämpf! , brüllte der Wichtel in ihren Gedanken.

„Aber wie?“, keifte Magenta und warf sich zur Seite, als Kroshius einen verkohlten Baum in tausend Fetzen zerbersten ließ. „Irgendwelche Vorschläge?“

Auf jeden Fall nicht mit Feuerzaubern, war die Antwort des Wichtels, die Magenta fast nicht gehört hätte, da ein weiterer Baum mit einem ohrenbetäubendem Knall neben ihr explodierte.

„Was? WILLST DU MICH VERARSCHEN?“

Magenta war so aufgebracht, dass sie schlichtweg stehen blieb, um den Wichtel anzubrüllen. „Ich laufe hier um mein Leben und brauche ernsthaft deine Hilfe und du kommst mit einem Ratschlag, der so offensichtlich ist, dass es schon lächerlich ist, allein die Energie daran zu verschwanden, ihn auch nur zu denken. Was glaubst du denn? Dass ich als Kind mit dem Klammerbeutel gepudert worden bin? Natürlich greife ich einen brennenden Steinhaufen nicht mit Feuer an. So ein dermaßen nicht hilfreicher Schwachsinn ist mir ja noch nicht untergekommen und DU…“

Sie fuhr herum und zeigte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Kroshius, der stehengeblieben war und die Hexenmeisterin aus brennenden Augen anstarrte. Wäre die Höllenbestie etwas intelligenter gewesen, hätte sie sich in diesem Moment vermutlich kurz vor der wutschäumenden Hexenmeisterin gegruselt und sich dann gefragt, ob, wenn man selbst ein zwanzig Meter hoher brennender Berg war und das da unten etwas, das man mit einem Husten zu Asche verbrennen konnte, dieses Gefühl überhaupt Sinn machte. So aber kannte die Höllenbestie nur zwei Möglichkeiten: Kampf oder Flucht. Und sie entschied sich für Letzteres.

„Was zum…“ Ungläubig starrte Magenta der Höllenbestie nach, die soeben Reißaus vor ihr nahm. „Hey, so haben wir aber nicht gewettet. Bleib gefälligst stehen!“

Doch Kroshius dachte gar nicht daran. Er stolperte blindlings durch den Narbengrund und walzte dabei alles platt, was ihm in den Weg kam und nicht schnell genug zur Seite sprang: Bäume, Felsen, Sträucher und selbst andere Dämonen. Magenta hatte ihre liebe Mühe, der Höllenbestie zu folgen, zumal diese Fußspuren aus geschmolzenem Gestein hinterließ und im Gegensatz zu ihr durch die giftigen Tümpel watete, als wären es Badeseen. Trotzdem blieb sie Kroshius hartnäckig auf den Fersen und bewarf in mit allen Zaubern, die ihr gerade in den Sinn kamen und die irgendwie dazu geeignet waren, dieser rollende Tötungsmaschine irgendwann die Puste ausgehen zu lassen. Aber irgendwann kam es dann, wie es kommen musste: Kroshius hatte bei seiner panischen Flucht sich in einer Ecke des Narbengrunds in eine Sackgasse manövriert und sah sich, da die Möglichkeit zu fliehen nicht mehr bestand, nur noch in der Lage, zum Angriff überzugehen.

Ein steinernes Brüllen erklang und eine Glutwelle heißer Luft rollte über Magenta hinweg, die vor Schreck ob dieser neuerlichen Wendung stehen geblieben war. Kroshius reckte die brennenden Fäuste zum Himmel und machte sich bereit für einen finalen Schlag. Final vor allem deshalb, weil Magenta ihn mit Sicherheit nicht überleben würde. Das wusste die Hexenmeisterin ebenso gut wie ihr klar war, dass sie nicht würde rechtzeitig ausweichen könne. Schweiß glühte auf ihrer Stein und glänzte im Licht der heranstürmenden Höllenbestie, als Magenta alles auf eine Karte setzte und einen letzten Zauber beschwor. Ein hohnlachernder Schädel aus grünen Schatten raste auf Kroshius zu und traf die Höllenbestie mitten in die Brust. Wie von einem riesigen Hammer getroffen blieb das Konstrukt stehen, fast so, als könnte es nicht glauben, was da gerade geschehen war. Es wankte und schwankte und dann brache es plötzlich in sich zusammen. Glühende Felsbrocken kollerten in alle Richtungen und Magenta musste eilig hinter einem aschebedeckten Felsen in Deckung gehen, um nicht noch von einem von ihnen erschlagen zu werden. Als das Gepolter und Getöse vorbei war, lugte sie ängstlich hinter ihrer Deckung hervor und zog eine Schnute.

„Oh ja, toll. Jetzt sieht er wieder genauso aus wie vorher.“, kommentierte sie den gewaltigen Felshaufen, der mitten im Narbengrund lag. „Die Mühe hätte ich mir sparen können.“

Geh hin und untersuch den…äh…Leichnam. Du brauchst schließlich den Höllenstein aus seinem Inneren.

„Vielen Dank, Herr Oberschlau.“, murrte Magenta und begann den immer noch glühend heißen Felshaufen zu durchsuchen. Bald schon waren ihre Hände voller Brandblasen und sie hatte das Gefühl, sich die Augenbrauen angesengt zu haben. Da endlich entdeckte sie mitten in dem ganzen Geröll einen schwachen, grünen Schein, der sich vom Rest des Haufens abhob. Sie schob die darüber liegenden Steine beiseite und entdeckte einen kalbskopfgroßen Felsbrocken, aus dessen Inneren ein an- und abschwellendes, grünes Glühen drang. Sie hatte den Höllenstein gefunden.

„Au, verdammt, der ist heiß.“, fluchte sie und steckte den Daumen in den Mund. Dann verzog sie das Gesicht und spuckte sie den ekligen Ruß, der daran geklebt hatte, auf den Fußboden.

Eine echte Dame, ulkte es in ihrem Kopf.

„Klappe!“, grunzte Magenta. „Sonst lasse ich dich dieses Ding zu Impsy zurückschleppen.“

Weil ich ja auch so ein unheimlich muskelbepacktes Kerlchen bin, feixte Pizkol, der genau wusste, dass sie diese Drohung niemals wahrmachen würde. Wenn du einen Packesel brauchst, nimm doch den blauen Windbeutel. Der hat sich schließlich vorhin nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

„Na dich hätte Kroshius doch eingeatmet und hätte nicht mal husten müssen.“, grinste Magenta und gab dem Wichtel trotzdem stillschweigend Recht. Es war sinnvoller, Jhazdok diese Aufgabe übernehmen zu lassen. Der Leerwandler machte zwar eindeutig ein beleidigtes Gesicht, als sie ihn anwies, das schwere Ding zu stemmen, dass noch dazu mit einer höllischen Aura an seiner schattenhaften Gestalt knabberte, doch er ertrug es wie immer stumm und waberte hinter Magenta her, als diese sich aufmachte, um endlich ihre Belohnung in Empfang zu nehmen.
 


 


 

Abbefaria wusste nicht, wie der Hippogreif es geschafft hatte, die Strecke nach Felwood so schnell hinter sich zu bringen. Vielleicht hatte Vesprystus ihm tatsächlich ein besonders schnelles Tier ausgesucht und vielleicht hatte sogar Eralas Ambersky, der es nicht versäumt hatte, den jungen Druiden noch einmal am Greifenhort abzupassen und ihn an seine Bitte zu erinnern, seine Finger dabei im Spiel gehabt. Doch Abbefaria dachte jetzt nicht an die eisigen Weiten Winterspings, sondern konzentrierte sich darauf, die Phiole mit dem magischen Mondbrunnenwassers nicht etwa noch auf den letzten Metern zu Eridan Bluewinds Hütte fallen zu lassen.

„Ah, Abbefaria, Ihr seid zurück.“, begrüßte ihn die Druidin. „Habt Ihr bekommen, weswegen ich Euch ausschickte?“

Abbefaria nickte und händigte ihr die Phiole aus. Eridan Bluewind nahm sie entgegen und betrachtete den Inhalt einen Augenblick lang voller Ehrfurcht, dann lächelte sie.

„Gut. Nun lasst uns sehen, ob wir den Schaden, den Xavaric angerichtet hat, ungeschehen machen können. Möge Elune meine Hand und mein Herz leiten.“

Eridan Bluewind nahm die runenbedeckte Flöte zur Hand, legte sie vor sich auf den Tisch und begann das Mondbrunnenwasser darüber zu träufeln. Silberne perlte es über das Holz, von dem grünlicher Rauch aufzusteigen begann. Die Druidin legte die Hand auf die Flöte und schloss die Augen.

„Ja, es funktioniert. Ich kann es fühlen. Das Böse wird von den Kräften Elunes zurückgedrängt.“

Sie öffnete die Augen wieder und sah Abbefaria ernst an. „Ein Teil der Aufgabe ist geschafft. Zwar konnte ich die Verbindung zwischen Xavaric und der Flöte mit Hilfe des heiligen Wassers zerstören, doch der Uralte wird in seinem jetzigen Zustand stark geschwächt sein. Vermutlich weiß er nicht einmal, wo er ist. Wir sollten versuchen ihm zu helfen. Wenn wir ihm nahe genug kommen, könnten wir ihn vielleicht mit Hilfe der Flöte herbeirufen, und ihm den Weg in ungefährlichere Gefilde weisen. Schließlich ist das Instrument immer noch ein Teil von ihm. Abbefaria, Ihr müsst Euch in die Nähe von Xavarics Unterschlupf im Norden begeben und den uralten Baumgeist suchen!“

Der Druide verbeugte sich. „Ich werde mein Bestes tun. Aber sagt mir: Habt ihr die…meine Gefährtin gesehen? Ich hatte erwartet, sie hier wieder zu treffen.“

Eridan Bluewind schüttelte den Kopf. „Sie verschwand mit Eurer Abreise und, wenn ich ehrlich bin, bin ich nicht unerfreut darüber gewesen. Ihr wisst, dass ihr etwas Verderbtes anhaftet?“

Abbefaria senkte den Blick und betrachtete seine Stiefelspitzen. Was hätte er darauf auch erwidern sollen? Erdian Bluewind musterte ihn noch einen Augenblick lang, dann seufzte sie.

„Ihr müsst wissen, was Ihr tut, Abbefaria. Und jetzt solltet Ihr Euch vor allem beeilen, damit das Urtum nicht wieder in die Fänge der Dämonen gerät.“

„Ja, Erdian.“, versicherte Abbefaria und hatte es mit einem Mal eilig, die Hütte zu verlassen. Er nahm sich nur die Zeit, seinen Nachtsäbler zu begrüßen und schwang sich dann auf dessen Rücken, um unverzüglich in Richtung Norden aufzubrechen. Dabei sah er sich noch einmal aufmerksam im Smaragdrefugium um, aber er konnte keine Spur von Magenta entdecken.

Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen, dachte er bei sich und ließ sein Reittier antraben. Das würde ich mir nie verzeihen.
 


 


 

„Wenn das nicht unsere vielversprechende Hexenmeister-Schülerin ist.“, Impsy saß auf einem Stein und hielt seine Puppe in der Hand. Am Kopf der hässlichen Figur klebte jetzt ein Büschel grüner Haare, in dessen Mitte eine lange Nadel stak.

„Niby kann Euch leider nicht empfangen.“, erklärte der Wichtel mit einem verschlagenen Lächeln. „Er hat schreckliche Kopfschmerzen. Aber legt den Höllenstein ruhig da ab.“

„Gar nicht erstaunt, dass ich überhaupt wieder auftauche?“, knurrte Magenta, als sie vom Rücken des Teufelsrosses glitt.

„Doch, jetzt, wo Ihr es sagt.“, antwortete der Wichtel und sein Grinsen wurde noch breiter. „Ihr hattet doch nicht etwa Schwierigkeiten mit Kroshius?“

„Überhaupt keine.“, knirschte die Hexenmeisterin.

„Das freut ich zu hören.“, sagte der Wichtel und nickte Magenta zu. „Dort, nehmt Euch etwas von Nibys Sachen. Er wird sie ohnehin nicht mehr brauchen.“
 

In diesem Moment erklang ein wutentbrannter Schrei. „IMPSY! Bring mir sofort meine Robe und meine Hose! Und was hat die Schere neben einem Bett zu bedeuten?“

Der Wichtel fuhr ertappt zusammen und ließ seine Puppe unauffällig neben dem Stein ins welke Laub fallen. „Ich komme, Meister!“

Kurz darauf erschien Niby, der Allmächtige, in seiner ganzen, hüfthohen Pracht. Er rückte seinen Turban zurecht, unter dem ein paar grüne Fransen hervorlugten, und blinzelte zu Magenta empor.

„Ah, Marlena, nicht wahr? Habt Ihr Kroshius‘ Höllenstein geborgen?“

„Er ist hier. Und ich heiße Magenta.“, antwortete Magenta frostig. Sie ließ Jhazdok den Stein vor Niby, dem Allmächtigen, ablegen.

In den Augen des Gnoms stand die reine Gier. Seine kleinen Hände grabschten nach dem Stein und er stieß immer wieder ein leises Glucksen aus, während er daran herumfingerte.

„Oh, wie wunderbar. Wie überaus wunderbar. Jetzt wird die Rache endlich mein sein. Sie werden es teuer bezahlen, was sie mir angetan haben. Oh ja, das werden sie. Mein kleiner, diabolischer Liebling wird sie alle dafür bluten lassen.“
 

Magenta hatte so langsam die Nase voll von dem verwirrten Hexenmeister und seinem hinterlistigen Wichtel und verspürte nicht die geringste Lust, sich noch weitere, selbstbeweihräuchernde Ergüsse von irgendeinem der beiden anhören zu müssen. Sie wollte jetzt endlich ins Smaragdrefugium zurückkehren.

Ungeduldig räusperte sie sich. „Meister, Niby? Ihr wolltet mir doch beibringen, wie man eine Höllenbestie beschwört.“

„Ja ja, winkter der Gnom ab. „Später.“

„Nein, jetzt!“

Die Hexenmeisterin war kurz davor mit dem Fuß aufzustampfen. Oder in einen Schreikrampf auszubrechen. Allerdings schien ihr beides nicht besonders aussichtsreich, so dass sie sich auf ein stummes, hoffentlich entschlossen aussehendes Starren beschränkte. Der Gnom kniff ein Auge zusammen und musterte Magenta aus dem anderen.

„Ihr seid ziemlich hartnäckig, was? Also schön. Hier habt Ihr den Spruch. Einen Höllenstein habt Ihr ja bereits, also brauche ich Euch nichts mehr von Kroshius Kern abzugeben. Und jetzt: Aufgepasst!“
 

Niby, der Allmächtige, warf sich in die Brust und rief mit vor Eifer überschlagender Stimme: „Zurück, ihr Ungläubigen! Ich werde jetzt den mächtigen und alles vernichtenden Kroshius unter meine Kontrolle bringen. Macht Platz, damit Euch nicht der Himmel auf den Kopf fällt!“

Er raffte die Robenärmel und begann dunkle Beschwörungsformeln zu murmeln. Der Höllenstein glühte auf und sein Leuchten wallte in immer schneller und schneller werdenden Wellen aus ihm heraus, bis sie schließlich nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren. Gleißende Blitze aus grüngelbem Licht schossen aus dem Kern hervor. Magenta schloss geblendet die Augen und hörte den Hexenmeister rufen:

„VERBEUGT EUCH VOR NIBY, DEM ALLMÄCHTIGEN! VERBEUGT EUCH VOR MEINEM UNBESIEGBAREN ZERSTÖRER…huhn?“

Magenta öffnete die Augen und anstatt einer glühenden Höllenbestie stand mitten auf der Lichtung ein etwa drei Meter großes, schwarzes Huhn.

„Hahahahaha, Niby, du Idiot!“, prustete Impsy und rollte vor Lachen auf dem Fußboden herum. „Du bist und bleibst ein Versager.“

„Ruhe, Sklave!“, kreischte der Gnom und sein krebsrotes Gesicht sah aus, als würde er gleich explodieren. „Die Rache wird mein sein. TOD FÜR STORMWIND! TOD DURCH HÜHNCHEN!“

„GACK!“, krähte das Huhn und es klang, als hätten sich die Tore der Hölle selbst aufgetan. Die bösartigen Augen des Tiers funkelten tückisch, als Niby der Allmächtige sich auf seinen Rücken schwang und mit seinem Stab fuchtelte. „Los, flieg mein Destro-Huhn! Flieg und bring Tod und Verderben über das Land! HAHA!“

Das schwarze Huhn krähte noch einmal sein schauerliches Krähen, breitete die Flügel aus und machte einen komischen Flatterhopser nach vorn, bei dem der Gnom fast abgeworfen wurde. Halb fliegend, halb hüpfend machte es sich auf den Weg nach Süden, begleitet vom Protestgeschrei des unglücklichen Niby auf seinem Rücken und dem Gelächter seines Wichtels, der sich immer noch ausschütten wollte vor Schadenfreude.

„Hach, so hab ich mich lange nicht mehr amüsiert.“, japste Impsy und wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Zu schön. Ich glaube, den bin ich für immer los. Sollte mich nicht wundern, wenn das Vieh ihn noch bis Nordend trägt, bis ihm endlich einfällt, dass er El Pollo Grande nur wieder entlassen müsste, um sich davon zu befreien. Ich bin dir auf jeden Fall zu großem Dank verpflichtet.“

Magentas starrer Gesichtsausdruck sprach Bände.

„Schön, ich bin vielleicht nicht ganz ehrlich gewesen.“, gab der Wichtel zu und hob entschuldigend die Achseln. „Aber seht es mal so, Ihr könnt jetzt alles behalten, was der Schwachkopf sich in den Jahren zusammengeklaut hat. Und ich verschwinde von hier. Nach Jahren der Knechtschaft endlich frei.“

„Ja, aber…bist du denn nicht an deinen Meister gebunden?“, wunderte sich die Hexenmeisterin und bereute im gleichen Augenblick, dass sie die Frage ausgesprochen hatte. Bevor der Wichtel antworten konnte, wedelte sie abwehrend mit den Händen. „Halt, ich will es gar nicht wissen. Und den Kram da kannst du behalten. Allein diese Sense da. Klar, wen ich als wandelnder Tod herumlaufen wollen würde, wäre das bestimmt nett, aber die Gefahr, dass ich mir damit selbst den Kopf abschneide, ist mir zu groß. Vielen Dank auch und auf Nimmerwiedersehen.“

Mit diesen Worten ließ sie den Wichtel stehen und schwang sich wieder auf den Rücken ihres Teufelsrosses um die Szenerie so schnell wie möglich zu verlassen.

Kannst du mir mal verraten, warum du ihn nicht hast ausreden lassen? , nölte Pizkol in ihrem Kopf. Ich wollte das hören.

Eben drum, gab Magenta zurück und ihrem Pferd die Sporen, damit sie nun endlich in die Arme ihres geliebten Druiden zurückkehren konnte, der sich, ohne dass sie es wusste, schon ganz in ihrer Nähe befand.
 


 


 

„Kannst du irgendetwas sehen?“

Magenta hatte die Stimme gesenkt und widerstand nur mit Mühe dem Drang, ihre Finger wieder in Abbefarias zu verschränken. Der Eisenwald war kein Ort, um Händchen zu halten oder…andere Dinge zu tun. Magenta schwelgte für einen Moment in der Erinnerung an ihr Wiedersehen. Mitten im verderbten Felwood waren sie sich in die Arme gefallen und hatten für einige köstliche Augenblicke alles um sich herum vergessen können. Nur das Gefühl, in seinen Armen zu liegen, den Geruch von frischem Gras und Frühlingsregen in ihrer Nase und seinen Herzschlag an ihrer Wange. Zwei Körper, die ein Ganzes bildeten, verbunden durch die Intimität eines sehr, sehr, sehr langen Kusses.

Die Hexenmeisterin biss sich auf die wunden Lippen. Sie musste sich konzentrieren, denn schließlich lauerten um sie herum nicht wenige Gefahren. Sie hatte immerhin bereits mit einigen davon unliebsame Bekanntschaft gemacht.

„Dort!“, rief Abbefaria aus und deutete auf die Reste eines Bauwerks.

Die Ruine war schon fast vollständig vom Wald verschluckt worden und nur einige Säulen und eine halbhohe Mauer wiesen noch darauf hin, dass hier überhaupt einmal etwas gestanden hatte. Um die Mauerreste herum wuchsen Baumriesen von kolossalen Ausmaßen. Ihre Stämme hätten auch zehn Männer nicht umfassen können und ihre Schatten warfen ein bedrohliches Zwielicht auf die Ruine. Feindselig starrten sie auf das Gebäude herab und hätten es sicherlich dem Erdboden gleich gemacht, wenn sie gekonnt hätten. Doch zu Magentas und Abbefarias Glück waren diese Bäume nicht in der Lage, sich vom Fleck zu bewegen. Man tat allerdings gut daran, ihnen nicht zu nahe kommen, denn sonst riskierte man blutige Striemen und Kratzer von Ästen und Dornen, die auf mysteriöse Weise immer nach dem Gesicht zu schlagen schienen. Zwischen den bösen Giganten streiften kleinere Baumgeister umher und unheimliche Sumpfmoster, halb Tier, halb Pflanze, vegetierten an den Ufern des stinkenden Flusses, der das Gebiet in zwei Hälften teilte, vor sich hin. Immer bereit sich sofort auf einen unvorsichtigen Wanderer zu stürzen und ihn zu verschlingen.

„Ich spüre die Anwesenheit der Geister, die an diesem Ort wohnen.“, wisperte Abbefaria. „Ich bin mir nur nicht sicher, ob es der Geist ist, den wir suchen.“

„Probieren wir es aus.“, schlug Magenta vor und lächelte dem Druiden aufmunternd zu. „Maestro, ein Lied.“

Abbefaria grinste und setzte die gereinigte Flöte an die Lippen. Einige wenige Töne einer getragenen, melancholischen Melodie erklangen, als der Druide das Spiel plötzlich wieder abbrach. Seine Augen wurden groß und richteten sich auf etwas hinter Magenta. Die Hexenmeisterin zog verwundert die Augenbrauen nach oben, drehte sich um und erstarrte.
 

Vor ihr erhob sich ein riesenhafter Baumgeist, der sie aus trüben Augen musterte. Seine ganze Gestalt war durchsichtig und im Licht des verderbten Waldes schimmerte sie grünlich. Ein Gesicht aus Borke und Blättern, eingerahmt von zwei riesigen Stoßzähnen, beugte sich zu den beiden herab und eine knarzende Stimme sagte:

„Wer seid Ihr und warum ruft Ihr mich?“

„Ich! Ich habe Euch gerufen.“, beeilte sich Abbefaria zu versichern und drängte sich vor Magenta, die so geschützt in seinem Rücken stand. „Mein Name ist Abbefaria, Druide aus dem Zirkel des Cenarius. Ich und meine Gefährtin Magenta wollten Eure Ruhe nicht stören, doch wir haben dies den Dämonen abgejagt, die Euren Geist damit gefangen hatten. Jetzt seid Ihr wieder frei.“

„Die Dämonen. Ein Satyr.“ Das hölzerne Gesicht, dass Magenta irgendwie an das eines großen, gutmütigen Hundes erinnerte, schlug Wellen. „Ich erinner mich. Große Schmerzen. Und Angst. Ja, ich glaube, ich hatte Angst.“

Das Urtum richtete sich wieder auf und schüttelte seine Krone. Die langen Glieder knackten und ächzten und geisterhaftes Laub rieselte in einem Schauer zur Erde.

„Arei ist alt geworden.“, sagte er mehr zu sich selbst. „Ich bin alt geworden. Alt und müde.“

Er betrachtete seine Hände, gewaltige Schaufeln aus spitzen Holsplittern, mit denen man drei Menschen auf einmal hätte durchbohren können. „Das Blut Unschuldiger klebt daran. Ich kann es fühlen. So groß. So tödlich.“

„Ihr konntet nichts dafür.“, sagte Abbefaria und trat einen Schritt auf den Baumriesen zu. „Ihr wart nicht Ihr selbst. Xavaric hat Euch dazu gezwungen. Kommt, wir bringen Euch von hier fort.“

Zögernd und ächzend machte der große Geist einen Schritt und dann noch einen, fast so als wäre er am Boden festgewachsen und müsse erst seine Wurzeln aus dem Erdreich lösen. Sein schmerzerfüllter Blick glitt über die verderbte Landschaft.

„Dies war einst ein so friedlicher und heiterer Ort…bis die Legion kam. Die Höllenbestien, das Feuer, Zerstörung, und Chaos. Der Schädel von Gul’dan sorgte dafür, dass niemand verschont wurde. Selbst jetzt als Geist fühle ich noch das Leid dieses Landstrichs. Doch Eure Nähe, junger Druide, gibt mir Kraft. Ich denke, ich werde den Weg bewältigen können.“
 

Unendlich langsam machte sich das geisterhafte Urtum auf den Weg. Abbefaria mühte sich nach Kräften, den Uralten zu unterstütze und beantwortete jede seiner Fragen gewissenhaft. Je weiter sie kamen, desto beweglicher wurde der Geist. Seine Blätter begannen sich zu entrollen, die müden Glieder wurden gelenkiger und das Schleppende in seiner Stimme verschwand immer mehr, je weiter sie an den Rand von Felwood kamen.

Trotzdem musste sie irgendwann eine Pause einlegen, als die Nacht über das Gebiet hereinbrach wie ein hungriges Raubtier. Auf Rücksicht auf ihren hölzernen Gast hatten sie kein Feuer entzündet und so drängten sich Magenta und Abbefaria unter einer Decke zusammen um sich zu wärmen. Die Hexenmeisterin war sich jedoch sicher, dass sie in dieser Nacht kein Auge zutun würde und das lag nicht allein an der aufregenden Nähe ihres Geliebten. Eine Geräuschkulisse wie von einem Sägewerk rollte über die Lichtung hinweg und brachte die umliegenden Bäume zum erzittern. Magenta kniff die Augen zu und stopfte sich die Finger in die Ohren.

„Wie kann man nur so schnarchen.“, grollte sie an Abbefarias Brust gedrückt. „Ich halte das nicht aus.“

„Immerhin hält es die Wölfe und Bären fern.“, grinste der Druide. „Und wo wir doch schon mal wach sind, könnten wir doch auch…“

„Wie kannst du nur jetzt an sowas denken.“, fauchte Magenta und zwickte ihn spielerisch in die Seite.

„Wenn ich dich in den Armen halte, muss ich immer an so etwas denken.“, raunte der Druide und strich ihr Haar hinter das Ohr, um einen kleinen Kuss darauf zu platzieren.

„Oh, komm her, du…“
 


 


 

Abbefaria erwachte ohne sich daran erinnern zu können, dass er eingeschlafen war. Trübes Morgenlicht drang durch das Blätterdach Felwoods und die Blätter raschelten im Wind. Nein eigentlich raschelten sie eher im Sturm. Arei!

Der Druide fuhr hoch, die Hände nach seinem Dolch tastend und bereit zum Sprung. Mit wilden Augen sah er sich auf der Lichtung um. Erst dann wurde ihm bewusst, dass er nackt war.

„Guten Morgen.“, wurde er von Arei fröhlich begrüßt. Das geisterhafte Urtum saß im Schneidersitz auf der Lichtung und vor ihm auf dem Boden hatten sich allerlei kleine Tiere versammelt. Hasen, Eichhörnchen, Mäuse. Das Geraschel, das Abbefaria gehört hatte, war nicht als die Zwiesprache des Baums mit den Tieren, die den Druiden jetzt alle mit unverhohlener Neugier anstarrten.

„Mir scheint, auch Nachtelfen haben die Angewohnheit, ab und an ihr Laub zu wechseln.“, lachte das Urtum und schüttelte fröhlich die mächtige Krone. „Kommt zu mir Druide.“

Abbefaria murmelte etwas Unverständliches und zog sich – mit dem Rücken zu den neugierigen Tieren – zunächst eine Hose an, bevor er in ihren Kreis trat. Die Augen des Urtums waren jetzt klar und blickten mit unendlicher Weisheit auf Abbefaria herab.

„Ich spüre etwas an Euch, das mit bekannt vorkommt.“, brummte der Baumgeist. „Lasst mich sehen, was es ist.“

Die riesigen, geisterhaften Pranken fuhren mit einigem Abstand an Abbefarias Körper entlang, der das mit steigender Nervosität beobachtete. Schließlich blieb eine der Klauen auf Höhe seiner Hüfte stehen.

„Zeig mir, was darin ist.“, verlangte das Urtum und deutete auf den Beutel, der an Abbefarias Gürtel hing. Der Druide gehorchte und breitete ein Sammelsurium von Fundstücken vor Arei aus. Ein Stück Schnur, ein Angelhaken, einige Münzen, eine davon aus Gold mit einem Loch in der Mitte, Reste von verschiedenen Kräutern und…

„Ah.“, sagte Arei und deutete auf die drei Samenkörner, die Abbefaria einst von Hüter Albagorm erhalten hatte. „Ich wusste doch, dass ich sie wiedererkenne.“

„Was wiedererkenne?“

„Nicht was, sondern wen.“, erklärte das Urtum mit erhobenem Zeigeast. „Und ein Vater wird doch wohl noch seine eigenen Kinder erkennen, wenn er sie sieht. Oh, wie lang ist es her, dass ich sie weggab. Aber wirklich gut gediehen sind sie nicht, wie mir scheint. Keine Blätter, kein Spross…habt Ihr sie denn nicht geweckt?“

„Geweckt?“ Abbefarias Gesicht drückte pures Unverständnis aus. „Aber wie…“

„Na indem Ihr sie beim Namen ruft.“ Arei runzelte die Stirn in borkige Falten. „Hat man sie Euch nicht genannt? Wie ungeschickt. Dann lasst sie mich Euch vorstellen.“
 

Arei stieß zunächst ein Geräusch aus, wie das sanfte Säuseln junger Blätter im Frühlingswind, als nächstes folgte ein Rascheln wie ein plötzlicher Windstoß, der in die Krone eines Baumes fährt, und zum Schluss erklang ein Knarzen wie von dicken Ästen im Winterwind. Bei jedem Ton fing einer der Samen in Abbefarias Handfläche an, sich zu bewegen. Dünne, grüne Wurzelstränge quollen daraus hervor, Knospenblätter entrollten sich und wuchsen vor seinen staunenden Augen heran. Schnell legte er die Samen auf den Boden, denn die Gewächse wurden immer größer und größer, bis schließlich drei Treants vor ihm standen, die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Wobei: nicht ganz. Wenn man genau hinsah, entdeckte man, dass das Laub des ersten jungen Baumgeistes etwas heller war, die Äste des zweiten etwas länger und die Nase des Dritten etwas knolliger.

Die drei Baumgeister schüttelten die jungen Kronen und verbeugten sich vor ihrem Vater. Der erste raschelte aufgeregt mit den Ästen, der zweite wedelte mit den Wurzelsträngen, während der dritte etwas Unverständliches knarzte. Arei antwortete ihnen auf dieselbe Weise und zeigte dann auf Abbefaria. Die drei Treants musterten den Druiden daraufhin interessiert und verbeugten sich dann auch vor ihm. Abbefaria starrte sprachlos zurück.

„Sie sagen, sie wollen Euch begleiten, junger Druide. Sie wurden auserkoren, Euch in Eurem Kampf gegen die Feinde der Natur in dieser Welt zu unterstützen. Doch ihre Kraft ist noch begrenzt, so dass Ihr sie immer nur für kurze Zeit rufen könnt, bevor sie wieder in ihre Samenkörner zurückkehren müssen.“

„Aber…wie?“, krächzte Abbefaria.

„Ihr ruft ihre Namen, ganz einfach.“, lächelte Arei gutmütig. „Kommt, wir üben sie gemeinsam auf dem Weg nach Ashenvale. Lasst einen Vater mit Recht stolz auf seine Kinder sein.“
 


 


 

Magenta staunte nicht schlecht, als Abbefaria auf dem restlichen Teil ihres Weges immerzu irgendwelche unverständlichen Geräusche von sich gab. Manchmal sprang daraufhin ein wildgewordener Jungbaum wie ein aufgeregter Hund um sie herum, aber manchmal brach Arei auch in schallendes Gelächter aus und erklärte dem Druiden, er habe soeben „Ich möchte diesen Teppich nicht kaufen.“ auf Baumisch gesagt. Es war eine fröhliche Runde, die schließlich ihr Ende nahm, als die grünen Wipfel Ashenvales in Sicht kamen.
 

„Es wird Zeit, Abschied zu nehmen.“, sagte Arei. „Ich muss mich erholen und Ihr, junge Wesen, habt bestimmt noch viel zu erreichen auf dieser Welt.“

„Ich danke Euch Arei, für die Hilfe, die mir durch Eure Söhne…“

„Und Tochter. <Sanftes Blättersäuseln> ist eine Tochter.“

„Durch Eure Kinder…“, setzte Abbefaria wieder an und verlor verwirrt den Faden. „Wie auch immer, habt Dank.“

„Ich muss Euch danken, junger Druide.“, winkte Arei ab und seine Stimme klang jetzt wieder wie sattes Blätterrauschen eines Sommerwaldes. „Ohne Eure Hilfe und die der anderen Druiden wäre ich jetzt immer noch in der Verdammnis gefangen.“

Die geisterhaften Pranken legten sich um Abbefarias ausgestreckte Hände und schüttelten sie noch einmal in stummer Dankbarkeit. Dann drehte sich der durchscheinende Baumgeist um und stampfte langsam in Richtung Ashenvale davon. Magenta trat neben Abbefaria und berührte ihn leicht an der Hand.

„Geliebter, wir müssen gehen.“

Abbefaria nickte unmerklich und blickte dann auf die drei Samenkörner in seiner Hand, die jetzt wieder unbewegt dalagen.

„Ich werde Euer Geschenk in Ehren halten.“, murmelte er und ließ die Samen wieder zurück in den Beutel gleiten. Dann nahm er Magentas Hand und drückte sie.

„Komm, Geliebte. Brechen wir auf nach Ironforge.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  darkfiredragon
2011-03-14T11:31:23+00:00 14.03.2011 12:31
Ich kann mich da nur anschließen, war ein super Kapi, ich hab lange schon nich mehr so viel gelacht :D
Ich hoffe du schreibst bald weiter!

glg, darkfiredragon
Von: abgemeldet
2011-02-28T01:12:27+00:00 28.02.2011 02:12
Hey, das Kapi war mal wieder geil ;) Und ja, hin und wieder hat sich mal ein kleiner Rechtschreibfehler eingeschllichen, an ein oder zwei Stellen ist auch mal ein Kommata zu viel, aber wie immer wunderbar flüssig zu lesen und man hat eine Menge Spaß dabei!

Liebe Grüße


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