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Nur ein Spiel

von

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Leon Johnson

Schwer atmend, sein agiler, drahtiger Körper berauscht von stoßweiser, kräftigender und so verdammt anstachelnder Ausschüttung von purem Adrenalin, trat Link im fleckigen Lichte misstrauischer Dämmerung auf einst so geweihtem, süßlich duftendem Waldboden. Herbe Pilze, bedeckt von abendlicher, feuchter Luft, die salzige Meerbrise in der Ferne und wenige duftende Gräser vermischten sich zu einer feinen Note der Natur, bewirkten vielleicht sogar, dass der junge Heroe sich sammeln konnte, einen ungehaltenen Zorn in dieser Wildnis begraben konnte. Einmal mehr atmete er stoßweise, ließ seine beiden blutbefleckten Dolche mit einem Wimmern zu Boden krachen und stützte sich auf seine Knie. Einige Schweißperlen rieselten von seiner Stirn an abwärts, sickerten dahin in den weichen Waldboden… sickerten genauso wie das schwarze Blut dahin, das aus tiefen Wunden zahlreicher Wolfskreaturen triefte. Stetig sickerte das böse Blut dahin, tropfte beinahe plätschernd und doch so böswillig…

Entstellt, tödlich verwundet, lagen sie in dem Umkreis ihres Vernichters, zwölf vom Bösen zerfressene Geschöpfe, gejagt und doch nur aufgeschlitzt zur Befriedigung düsterer Bedürfnisse eines jungen Mannes, der die Welt nicht mehr verstand…

Erst vor wenigen Stunden war Link aufgebrochen in eine andere Welt, hatte für wenige Minuten ein Abenteuer in einer Realität fern abseits erlebt, fühlte sich durch jene Geschehnisse wachgerüttelt auf eine Weise als hätte man ihm in einem schlafenden Zustand eine heftige Ohrfeige verpasst. Es war nicht nur, dass er sich durch die Demütigung durch den grimmigen Gott in der Arena der Schande irgendwie schwach fühlte, oder schlichtweg konfrontiert mit Versagensgefühlen, weil Zelda Hunderte von Jahren in einem verblassenden Hyrule wandelte… allein und ohne ihn.

Nein…

Winselnd stützte er sich gegen einen alten Laubbaum, spürte morsche Rinde unter seinen Fingern und grub seine Nägel in das Holz.

Nein, murmelte er in Gedanken. Es war dieses teuflische, hinterhältige und hoffnungslose Gefühl, dass er, seit er denken konnte, sein Leben in die falschen Bahnen gelenkt hatte. Dass er von Anfang an mit mehr Ehrgeiz und Mut an sich und seinen Idealen gearbeitet, für seinen Glauben hätte einstehen müssen. Stattdessen war er wie ein Gespenst seinen Wunschträumen hinterher gelaufen, hatte sich in Tagträumereien verloren und wertvolle Lebenszeit ungenutzt gelassen. Vielleicht hatte er nicht alles falsch gemacht, er war kein Idiot. Aber… und schon wieder waren da diese zweifelhaften Abers…

Er hatte zu viele Fehler gemacht…

Von Anfang an waren da so viele Chancen sich selbst zu finden, zu verstehen, wer er war und vielleicht über dieses Wissen Pläne zu schmieden Zelda zu retten und Ganondorf aufzuhalten. Und stattdessen hatte er ein unbefriedigendes Leben gelebt, sich hingehockt um auf einem Bildschirm sich immer wieder mit Bildern eines möglichen früheren Lebens zu belasten anstatt sich an Impa zu wenden und die weltweite Gefahr zu bannen…

Und es war verdammt nochmal zu spät, dachte Link und grub seine Fäuste beide in die Rinde eines Laubbaumes, spürte den Schmerz nur kurz aufflackern angesichts des Stromes an Adrenalin, das noch immer durch seinen Körper tobte. Es war zu spät für so viele fatale Entscheidungen, für alles, was er hätte anders machen müssen. Die Welt stand an einem unentrinnbaren Abgrund und er hatte nichts getan! Genauso wie er nichts getan hatte Zelda aus dieser Hölle eines leeren, verblassenden Hyrule heraus zu holen!

Wie nur konnte er so unglaublich unreif sein mit allem, was in den letzten Monaten geschehen war. Er war ein dummes, ungeduldiges und naives Kind… Ja, er musste sich geschlagen geben, erkennen, dass die jüngsten Ereignisse ihm irgendwie den Rest gegeben hatten. Ja, vor allem nach den Erlebnissen im Götterreich war Link irgendwie am Ende… am Ende seiner Fragen, am Ende seiner Selbstsicherheit…

Mit einem quälenden Schluchzen aus seinem Mund sank er zu Boden, lehnte sich den Kopf unter den Armen vergrabend an den alten Baum und wusste, dass es niemanden gab, der ihn diesmal aus den Zweifeln herausbefördern konnte. Nicht sein heimlicher Schutzengel, nicht Sian, nicht einmal Zelda… Diese verdammten Gewissensbisse musste er selber aus dem Weg räumen. Das Gefühl untätig gewesen zu sein, während die Welt blutete, musste er selber aushalten… Nur deshalb war er in die Wälder gelaufen, nur um sich irgendwie nützlich zu fühlen, hatte er die dämonischen Wölfe gejagt, aber es war nicht einmal ansatzweise genug…

Seine tiefblauen Augen schillerten in einem verlorenen Glanz ungestillter Erwartungen, während er aufblickte und schattenhafte Ausläufer der Nacht über den geheimnisvollen irischen Wald zogen. Ob Ines, Dar und Richard Raunhold, genauso wie Naranda Leader, die doch um die Bedrohung durch Ganondorf wussten, Pläne geschmiedet hatten? Waren sie, obwohl sie sich scheinbar an ein früheres Dasein erinnern konnten, genauso untätig gewesen wie er? Und was war mit Sian und seinem Vater? Link grub seine vom Kampf gezeichneten, rissigen Hände in das wilde, heublonde Haar, und fragte sich, wie es in nächster Zeit weitergehen würde. Kämen weitere von Ganondorf gesandte Höllenkreaturen so wie der Drache, die er vernichten musste? Hatte Ganondorf Pläne bezüglich dem Umgestalten der gesamten Weltordnung? Verlangte er vielleicht so etwas wie eine Regentschaft? Wie nur würden die nächsten Wochen verlaufen… und wann kam der unausweichliche, große Kampf?
 

Link erhob sich träge, spürte den befriedigenden Nachhall des Kampfes, das Abklingen der anfeuernden Stresshormone und seufzte, mitleidig auf die gefallenen Kreaturen blickend. Was auch immer sein alter Feind beabsichtigte, ein gruseliger Gedanke zog gänsehautproduzierend an Link vorüber, Ganondorf würde nicht dieselben Fehler von damals wiederholen. Es würde nicht bei dämonischen Kreaturen bleiben… Er hatte Milliarden Menschen, die er versklaven und benutzen konnte. Links kräftiges, gesundes Herz trommelte mit einnistenden Entsetzen. Es gab keine Siegelkraft, die ihn bannen konnte. Kein heiliges Reich, in das er gesperrt werden konnte… und vielleicht nur einen einzelnen, schwachen Helden, der ihm noch nicht gewachsen war. Die Erde musste ein riesiges Paradies für diesen alten, kranken Mann sein…
 

Etwas trockener Speichel hing dem Heroen in der Kehle, als er seine schmierig nassen Dolche vom Boden hob. Er versuchte mit dem Speichel alle unerwünschten Gedanken und Zweifel hinunter zu schlucken und richtete seinen Körper in die Höhe, ließ seine Brust anschwellen und ließ einen Hauch seiner alten Natur an die Oberfläche… Verwegen erhob er sich, als die Zweifel in seiner tiefen Seele untergingen, seine leuchtend blauen Augen schnitten durch die zunehmende Dunkelheit wie geeister Stahl…

Zum Trotz, entschied der junge Held. Es gab keinen Zweifel, der ihn davon abhalten würde seine Pflicht zu erfüllen. Es gab keine Pflicht, vor der er zurückweichen würde. Und es gab keinen Kampf, vor dem er weglaufen würde. Er erhob sich auf eine Weise, die sein tosendes Lebenslicht leuchten ließ. Selbst mit der geringsten Chance auf den Sieg würde sich Link seinem Schicksal stellen, würde sich Ganondorf stellen. Und selbst ohne jegliche Erinnerung an sich und seine einstige Persönlichkeit erblühte die Kämpferehre in ihm und sein reinstes Ideal Zelda auf ewig zu beschützen.

Und es war dann, dass er auf seinen flinken, starken Beine durch die Wälder hetzte, einem alten Ruf folgte und weitere Kreaturen der Finsternis jagte. Er war nicht untätig, nicht mehr… und es war in den nächsten Tagen seines Irlandaufenthalts, dass er nur mehr die Einsamkeit suchte, seine Bestimmung mit allem füllte, was ihn auszeichnete, sich selbst endlich als Krieger spürte… Link ging aufs Ganze, schwamm bis zur Erschöpfung in den Fluten des Meeres, durchforstete die gesamte Nacht die angrenzenden Ortschaften nach Menschen, die einen teuflischen Splitter Ganondorfs in sich trugen und befreite diese davon. Wie besessen von einem neuen Kämpferwahnsinn vermied der junge Held den Schlaf, nutzte jede Sekunde, als würde er tatsächlich die Zeit manipulieren. Er vermied den Kontakt zu seinen neuen Bekannten und lauschte einer alten, beinahe gefährlichen Stimme in sich, die ihm strikte Anweisungen gab. ,Kämpfe endlich! Geh‘ an deine Grenzen, prüfe dich.‘ Und Link folgte...
 

Link ahnte es nicht, aber es waren diese Momente voller Zweifel, die Momente, in denen er diese ausräumte, seinen inneren Schatten bekämpfte, und neue Stärke erklomm wie ein Bergsteiger den höchsten Gipfel. Link ahnte nicht im Geringsten wie ungeheuer mutig und mächtig diese Prüfungen ihn werden lassen würden. Und er ahnte nichts von seiner wahren Natur, die in ihm aufbegehrte mit jedem Schwertstreich, mit jedem besiegten Monster und mit jedem überwindbaren, zweifelhaften Hindernis. Er hatte keine Wahl als seinen Körper und Geist mit dieser scheinbar nutzlosen Tat zu fordern. Er tat, was er immer tat… tapfer die Hürden annehmen und bewältigen.
 

Mit etwas mehr Zufriedenheit, die sich Link in den letzten Tagen durch seine Taten erarbeitet hatte, saß er in der Schlafstube des Bungalows und packte seine Taschen. Morgen wäre der Tag, um abzureisen, vielleicht auch um zurückzukehren in die kleine Scheinwelt Schicksalshort, die ihm wie eine Stadt unter einer Glasglocke vorkam. Der junge Mann erinnerte sich träge, dass er doch eigentlich seine Heimatstadt kaum verlassen hatte, obwohl er schon sehr lange die Sehnsucht spürte andere Länder zu bereisen. Noch ein unerwünschter Gedanke, der in ihm brannte. Warum hatte er sich diese Welt bisher kaum angeschaut…

Mit einem Seufzen ließ sich Link auf das Bett sinken und vergrub seine Hände in den wilden, heublonden Strähnen seines vollen Haares. Ob er sich die letzten Tage nicht doch übernommen hatte? Es war nicht so, dass er sich müde oder erschlagen fühlte, nein, eher im Gegenteil. Das erste Mal seit längerer Zeit fühlte er sich voller Ehrgeiz, Tatendrang, beinahe nützlich und hoffte, dass sein Versuch Menschen von der dunklen Energie Ganons zu befreien irgendetwas bewirkte. Ob sein alter Feind dadurch angestachelt wurde erneute Alptraumkreaturen auf ihn zu hetzen, fragte er sich und blickte nachdenklich aus dem Fenster. Die grauenerfüllte Vision vom Verblassen Hyrules weilte kaum mehr in seinen Gedanken, wie alles, was vom Götterreich geblieben war. Es erschien ihm als war da eine göttliche Hand, die ihn davor bewahren wollte seinen Verstand angesichts der traurigen Bilder und des Schmerzes, zu verlieren. Er wusste, was er erlebt hatte, konnte es jedoch nicht mehr mit dieser Intensität der folternden Bilder spüren, wofür er dankbar war. Dennoch… als sich seine tiefblauen Augen beherrscht und eine Mildtätigkeit spiegelnd auf den schattigen, grünen Hügeln Irlands verloren, kam er nicht umher dieses Land der Erde mit dem winzigen Bruchteil einer verblassenden Erinnerung an das Land seiner Seele zu vergleichen. Hyrule war wunderschön und voller Abenteuer, sodass es eine Seele kaum mehr losließ. Wie nur sollte Zelda es jemals loslassen können?

Sie war mit Hyrule untrennbar verwoben.

Sie war von Hylias Blut…
 

Link erhob sich, seine kampfbereite Statur ein unbegreifliches Zeichen des Mutes, als er der Verwirbelung Hunderter Gedanken kaum Struktur abgewinnen konnte. Noch waren so viele Fragen nicht für ihn geklärt worden, noch hingen zweifelhafte Ableger über ihm wie kleine Gewitterwolken, auch wenn er durch seine neuerlichen Taten reinigendes Licht auf diese scheinen lassen konnte, so und nicht anders, entschied Link. Genauso würde er auch den restlichen Fragen auf den Grund gehen, und für sich beantworten. Fragen wie jene nach dem Ursprung Hyrules auf der Erde, das animierte Wunder legendärer Spielmacher und eine unumstößliche Dankbarkeit, die daraus erwuchs. Und die Frage nach Zeldas magischem Erwachen auf der Erde. Wie nur hatte sie es geschafft als geisterhafte Figur in dieser Realität zu stranden in einer vom Nebel erstickter Nacht, und ausgerechnet von Link gefunden zu werden, einem depressiven Jugendlichen mit dem Wunsch der Erde zu entrinnen?
 

Wie hypnotisiert verloren sich Links tiefblaue Augen am geweihten Horizont der modernen Welt, geblendet von einem stürmischen Sonnenuntergang, mit rasendem Tempo schien der sich nähernde Sturm riesige Wolkenfetzen hinter sich her zu ziehen, schleuderte gefahrprophetisch dunkle Flecken Wolkenmasse über die abendliche Welt… Mit alten Wünschen auf den Lippen krabbelte der junge Held über das Bett und stützte sich auf die Fensterbank. Es war vielleicht das erste Mal in seinem Leben, dass er das Bedürfnis verspürte beten zu müssen. Seine Augenlider fielen hinab, sein konzentriertes Gesicht ein Spiegel seiner Aufrichtigkeit und Treue für seine Ideale. Er faltete die Hände, ein bisschen eigenwillig vielleicht, nicht in einer Haltung, die auf der Erde üblich war, und doch ebenso bedeutungsvoll und rein. Er betete für einen guten Ausgang der Ereignisse, für die Sicherheit der erfahrbaren Welt, betete für ein wenig Hoffnung und ein kleines Wunder. Er betete zu Hylia, die einzige Göttin, die ihm in diesem tiefgehenden, edlen Wunsch beistehen konnte… Welcher Gott sollte seinen Zwiespalt jemals mit diesem Verständnis und anteilnehmender, mitfühlender Herzensgüte begegnen außer Hylia? Und je mehr er betete, andächtig, hoffnungsvoll, umso schwerer fühlte sich sein Herz an, beladen mit uralten Gedanken an grausame Fügungen, sodass er einen kratzigen Laut aus seiner Kehle rollen ließ…
 

Gerade da bemerkte er seinen Mitbewohner Patrick, den Link seit einer Woche vermieden hatte zu sehen. Nach dem Drachenkampf und den halboffenen, und umso merkwürdigeren Gesprächen, die sie beide geführt hatten, war Link nicht sehr erpicht gewesen, noch weitere Details seiner Legende aus seinem vorlauten Mund erklingen zu lassen. Außerdem… er wollte den neugierigen Zeldafan nicht mehr als nötig in die weiteren Geschehnisse hineinziehen, auch er gehörte zu den Menschen, die beschützt werden mussten.
 

Patrick van der Hohen blickte überprüfend zu Link, vielleicht um sicher zu gehen, dass er sich ihn nicht eingebildet hatte oder vielleicht auch nur um sich von seinem körperlichen Zustand zu überzeugen. Er würde es Link nicht auf die Nase binden, aber… aber er gab gerne zu, dass er sich irgendwie als Zeldafan Sorgen um den Helden aus Hyrule machte und nicht nur das. Er nahm wirklich Anteil an dem Schrecken, den Link durchmachte, nahm Anteil an allen Schicksalsschlägen und würde sein Bestes geben, um Link zumindest ein Unterstützer zu sein. Aber im Augenblick fiel es ihm wahrhaft schwer den heroischen Blondschopf überhaupt anzusprechen, immerhin war es fünf Tage her, dass er ihn zuletzt gesehen hatte…
 

„Ich war nicht sicher… ob du noch hier in Irland bist“, begann Patrick zaghaft. Er hatte eine jungenhafte Stimme, klar und sortiert, keine raue Begleitung. „Wie… wie geht es dir?“, setzte er unsicher hinzu. Oh ja, er war verdammt unsicher, und auch Link hörte dies mit seinem sechsten Sinn, einem leichten Zittern in der Stimme. Aber Pats Besorgnis überraschte ihn dennoch, sodass sich Link vom Fenster abwand und mit glasigen Blicken den unsicheren des Jugendlichen begegnete.

„Ich glaube, ganz gut soweit…“, entgegnete Link, noch immer irritiert, weshalb Patrick sich wirklich um ihn sorgte… so wie er hier auftrat, den Kopf beflissen geneigt, ein ,Breath of the Wild‘- T-Shirt an seinem dürren Oberkörper. Doch da setzten sich Links Gedankengänge fort, entwarfen ein verzweigtes Puzzle, das ihn beinahe in Erstaunen versetzte. Patrick war einer der vielleicht größten Zeldafans, er war ein konsolenliebender Narr mit beneidenswerter Phantasie und himmelte eine Geschichte an, die nur oberflächlich ein wunderschönes Märchen war. Unter der Oberfläche lag eine Jahrtausende alte Geschichte über dämonische Abgründe, fallende und siegende Helden und Verzweiflung edler Regenten. War er wirklich um Links Wohlergehen bemüht? Ahnte er um den dunklen Vorhang, der sehr bald über die Welt fallen würde?

„Morgen geht’s endlich wieder heim“, sprach er leise und schien dem Helden nicht in die Augen blicken zu können. Leichte Röte zog sich in Patricks Gesicht, vermischt mit kantigen Stillhalten in seinen straffen Gesichtszügen. Konnte es sein, dass er mit aller Gewalt versuchte jede Regung zu unterdrücken. Fürchtete er sich vielleicht vor dem, was Link in seinen Zügen entdecken könnte?

„Freust du dich denn nicht auf zuhause“, fragte Pat, beinahe starr und schluckte. Da wurde Link bewusst, dass Patrick nervös war. War er nervös wegen ihm? Weil er der Held Hyrules war? Der leibhaftige Link. Der, der wirklich atmete und keine Einbildung. Wie musste sich der van der Hohen fühlen, als er verstand, dass sein Lieblingsspiel real war?

„Doch schon“ und damit brach Link weiterhin die Stille, seine Stimme klang kratziger und verwaschener als er es wollte. „Es ist nur, dass ich…“ Er wusste nicht einmal, wie er aussprechen sollte, was auf ihn wartete. Dass er noch viel vor sich hatte? Dass er vielleicht nicht mehr lange leben würde?

Noch immer hing der Zeldafan wie eine erstarrte Marionette im Raum, traute sich kaum aufzublicken. „Es ist… wie es ist, was?“, murmelte dieser. „Du musst nichts erklären“, setzte Patrick hinzu. Eine gute Antwort, wie Link fand. Eine beruhigende Antwort… Wie auch sollte der einstige grüne Mützenträger irgendetwas erklären? Patrick van der Hohen wusste, dass Link auf die ein oder andere Weise die Wiedergeburt des Helden der Zeit, Helden des Windes, Helden der Wildnis, des Triforce, von Hyrule oder was auch immer war, er wusste, dass der Blondschopf Dolche und ein Schwert mit sich herum geschleppt hatte, dass er in der Lage war einen Drachen zu töten. Er hatte ja sogar mit bekommen, dass Link im Schlaf eine merkwürdige Sprache sprach oder den Namen seiner Prinzessin auf den Lippen hatte. Überhaupt wäre es ein sehr verdächtiger Zufall, wenn ein Jugendlicher Link hieße und ohne schicksalhafte Fügung eine Dame kennen würde, die Zelda als Namen trug. Wie viele Beweise sollte er noch benötigen? Und an den Anschlag auf sein Leben ausgeführt durch Tommy, von dem nichts mehr gehört wurde, wollte Link nicht einmal denken.

„Hyrule… die Legende von Zelda… weißt du“, sprach Patrick leise. „Sie hütet so viele Elemente alter Geschichten der Erde. Es ist eigentlich… wenn man länger darüber nachdenkt, gar nicht so verwunderlich, dass sie real sein könnte… natürlich nur, wenn man an Wunder glaubt.“ Patrick ließ sich ebenfalls auf sein eigenes Bett sinken und atmete tief ein und aus, faltete seine Hände im Schoß. „Die Legende von Zelda entspringt mehr als nur einem Spiel… allein das Konzept von Seelenverwandtschaft und Wiedergeburt ist so verdammt schön verarbeitet. Dann die Geschehnisse um das Schwert der Legende wie in der alten Artussage zieht der Held das Schwert aus dem Stein. Und natürlich die Vorstellung des Bösen…“ Da aber brach Patrick ab, ihm stockte leicht der Atem, wohl, weil er doch zu viel gesagt hatte. Erneut mit Nervosität gefüttert, biss er sich auf die Unterlippe. „Entschuldige“, murmelte er. „Ich hoffe, ich habe damit nicht…“ Doch auch Link unterbrach Patrick mit einem Seufzen und einer ablenkenden Handbewegung. Er erhob sich, genauso sicher und felsenfest wie er sich nach dem Drachenkampf gefühlt hatte. „Das Böse existiert…“, sprach er leiser und schwächer, als er es beabsichtigt hatte. Seine Stimme war unterlegt mit einer leisen Ahnung von Trübsinn und Traurigkeit.

Patrick krümmte sich etwas auf dem Bett und schloss die Augen. „Deshalb verfluchst du Ganondorf in deinen Träumen, nicht wahr?“

Diese Information allerdings ließ Link dann doch die Augen aufreißen. „Wann…“, sprach er durchdringend. Link blickte betreten zur Seite, er hatte nicht gewusst, dass er Ganondorf in seinen Träumen verfluchte.

„Du wusstest das nicht?“

Banal schüttelte der Heroe den Kopf, sodass seine wilden Haarsträhnen baumelten.

„Ich habe es einige Nächte mitbekommen… du redest nicht nur von Zelda oder in deiner eigenen Sprache.“

Der junge Held fuhr sich ungeduldig durch sein mittlerweile viel zu langes blondes Haar und schnaubte. „Na prima“, sprach er entrüstet. Dann grinste er halbherzig. „Es gibt immer noch Dinge, die mich überraschen.“ Kopfschüttelnd trat er in die Mitte des Raumes, auch er fühlte sich nun etwas unpässlich und versuchte sein unruhiges Gemüt durch Bewegung zu beruhigen. Dass er Ganondorf in seinen Träumen verfluchte, war ein absurder Gedanke für ihn. Er hatte ja bis vor kurzem nicht einmal daran gedacht, dass er wirklich gegen diesen uralten, personifizierten Dämon antreten müsste. Link wusste nicht warum, aber diese simple und doch so logische Schlussfolgerung hatte seine Gehirnwindungen einfach nicht erreicht. Nicht, dass er es verdrängt hätte aus Furchtgefühlen, nein, aus einem nebulösen Grund heraus, war ihm dieser Gedanke beinahe fremd. Dabei hatte er den leibgewordenen Dämon sogar schon beobachtet…

„Ist er… hier… auf der Welt?“, hauchte Patrick über seine Lippen. Es war so deutlich in seinen gebrochenen, stockenden Worten zu spüren, dass er die Antwort darauf schon ahnte und sich ängstigte. Wenn Link ihm dies mitteilen würde, hätte er nicht mehr die Chance sein jugendliches, unbeschwertes Leben fortzuführen.

„Bei Hylia“, murmelte der Heroe. „Was willst du denn jetzt von mir hören?“

„Das war eine blöde Frage, hm?“, entgegnete der Jugendliche. „Es tut mir leid, Link, es steht mir nicht zu.“

Doch diese Aussage machte den jungen Helden beinahe rasend. Natürlich stand es Patrick zu ihn zu fragen, jeder Mensch auf dieser Welt hatte das Recht zu wissen, was los war und zu wissen, dass ein wahnsinniger, von Hass und Missgunst zerfressener Dämon auf der Erde dieser Dimension seine Pläne schmiedete und absolut niemand ihm Einhalt bot… weil diese Welt zu groß, zu fortschrittlich und vielleicht auch zu anonym war…

„Doch… du hast ein Recht es zu wissen, genauso wie alle anderen Menschen auf der Welt…“ Seufzend ließ sich Link wieder auf das knarrende Bett sinken. „Es ist nur alles so verdammt… unheimlich…“ Link kniff die Augen zusammen und suchte nach den richtigen Worten irgendwo in seiner Seele. Er konnte Patrick nicht in alles einweihen, oder doch? War er jemand, der ihm vielleicht in Hyrule begegnet war? Hatte Sian nicht gemeint, dass jeder, den er hier auf der Erde kennenlernte etwas mit Hyrule zu tun hatte? Was war mit Maron, der wunderschönen Farmertochter und was war mit Rick, diesem treuen Freund, den er hatte?

„Bist du auf der Erde geboren worden? Ich meine… wenn du der Held aus Hyrule bist, warum bist du dann hier?“, meinte der Oberstufenschüler, der sich so unsterblich in das Zeldaspiel verliebt hatte.

„Darauf kenne ich keine Antwort… aber ja, ich bin ein Mensch dieser Welt nur mit einem gewissen Extra“, Link lachte über seine eigenen Worte. Es war beinahe so, als brachen diese Worte das Eis und Patrick atmete seine Unsicherheit und Sorgen hinaus und entspannte sich. „Mit einem gewissen Extra also“, lachte auch er. „Himmelherrgott, wer hätte gedacht, dass ausgerechnet ich dich in Irland treffe. Du hast mein gesamtes Weltbild auf den Kopf gestellt…“ Link kratzte sich verlegen am Kinn daraufhin. „Aber nicht nur jetzt… schon seit ich das Zeldaspiel das erste Mal in der Hand hielt…“

„Es ist nur… dass die Dinge nicht so einfach sind wie im Spiel…“, murmelte Link und lehnte sich an die Wand neben dem Fenster. Es war ihm so egal ob er mit seinen Straßenschuhen auf dem Bett saß, und er tat es. „Eine Spielfigur hat mehrere Anläufe. Wenn eine Spielfigur stirbt, ist das vollkommen belanglos, man kann ja wieder von vorne beginnen. Eine Spielfigur hat eine Wahl. Der Spieler steuert sie… irgendwohin. Er weiß genau, was er tut. In der Realität jedoch liegen die Dinge anders. Ich habe keine Dutzenden Anläufe, um irgendeine Alptraumkreatur zu besiegen, ich habe keine Wahl, die hatte ich nie, vorausgesetzt wir sind keine Spielfiguren…“ Das war vielleicht ein gruseliger Gedanken, über den er noch nie nachgedacht hatte. Was war, wenn diese Erde, auf der er lebte, auch nur ein gigantisches Spiel war? Link stand auf und kramte seine Dolche hervor, er schwang sie einige Male, ließ den Dolch in der Hand kreisen, als ob er jahrelange Erfahrung damit hatte.
 

„Eigentlich…“, sprach Patrick schwach. „Ist das alles total irre, was du mir hier erzählst.“ Aber er war nicht auf Beleidigungen aus, in seinen grünlich schillernden Augen stand Aufrichtigkeit und Anteilnahme. „Ich meine, du bist Link, der reale, leibhaftige Link aus einem Spiel. Du kennst Zelda, die Prinzessin aus Hyrule. Und jeder Gedanke, der sich fortsetzt führt zu mehr und mehr Verwirrung. Denn es bedeutet, dass die Welt um mich herum sehr viel komplexer ist als ich mir vorstellen konnte… und dass es…“ Einmal mehr brach er in den Worten ab, als er den Trübsinn in Links Gesichtszügen sah. Patrick schüttelte den Kopf angesichts seiner unnötigen Gedanken. Er wollte nicht wie ein überdrehter Fan klingen, aber was sollte er auch tun? Ja, er himmelte das Zeldaspiel einfach an. Link war für ihn niemals nur eine stumpfsinnige Spielfigur gewesen.

„Link“, meinte er, und wie merkwürdig es doch war diesen Namen über die Lippen gleiten zu lassen. „Ein Spiel ist und bleibt nur ein Spiel... aber du bist real. Du bist ein wirklich anständiger, netter Kerl.“ Link grinste daraufhin, beobachtete in den Gesichtszügen von Pat wie schwer es ihm fiel diese Worte zu sagen. „Du bist keine Spielfigur…“ Da war so viel Aufrichtigkeit von dem Zeldafan, dass es Link das Herz wärmte.

Der Heroe nickte daraufhin, fühlte sich irgendwie erleichtert, dass der van der Hohen es so formulierte. Natürlich war er keine Spielfigur, aber vermutlich musste es erst einmal jemand aussprechen, damit es sich für den Helden auch so anfühlte. Bei allen Zweifeln in der letzten Zeit tat es gut diesen Zeldafan vor sich sitzen zu haben, der es schaffte ihn mit seiner Bewunderung einzunehmen. Vor allem mit dem Wissen, dass er noch sehr viel vor sich hatte, was niemand sonst tun konnte. Niemand sonst war in die Ereignisse um Ganondorf so verwoben wie er. Und Link musste erst verstehen lernen, dass bei all den Kämpfern und Kriegern, die es vielleicht in anderen Ländern auf dieser Erde gab, es doch nur einen Kämpfer preiste, der die Macht des Mutes so verinnerlichte wie Link es tat.

„Du hast Zweifel über dich und deine Kräfte, was?“, sprach Patrick schließlich. Überrascht sah Link auf. Mit einem Zwinkern ließ er Patricks Worte in seine Gedankenwelt sinken. Entschuldigend hob dieser im gleichen Moment seine langen, schmalen Hände und nutzte seine Mimik zur Verdeutlichung seiner Grenzüberschreitung. „Sorry, ich sollte nicht mutmaßen.“

„Hast du nicht… natürlich habe ich Zweifel…“, bemerkte Link widerwillig. „Es ist ja nichts Falsches dran diese zu haben.“ Aber auch ihm selbst musste dies erst klar werden. „Es war ein langer Weg um endlich zu verstehen wer ich bin… akzeptiert habe ich es noch lange nicht.“ Link schloss sinnierend die schönen, tiefblauen Heldenaugen.

„Hast du… naja… hast du Hilfe, ich meine, Unterstützer?“

Die Frage überraschte den jungen Heroen ebenfalls. Je mehr er mit Patrick über sein Heldendasein sprach, umso erschreckender kamen ihm die Selbstverständlichkeiten vor, über die sich sein Zimmermitbewohner informieren wollte. Es erschien dem jungen Helden fast so, als würde er nach und nach aus einem düsteren Traum aufwachen, als hätte er vorher über diese ganzen Optionen nicht nachgedacht. Warum hatte Link das Gefühl, er müsse alle Zweifel und anstehenden Kämpfe alleine meistern? Der Heroe schlug sich auf die Stirn, als er an eine mögliche Vergangenheit dachte. War die Ursache seines Eigenbrötlertums in der Vergangenheit zu suchen?

Link hob seinen Blick in Richtung seines neuen Bekannten und fixierte ihn mit nachdenklichen Blicken. Es war kein Zufall, Patrick zu treffen, ebenso wenig wie es Zufall war Sian zu begegnen oder Tommy… Patricks Worte machten verdammt viel Sinn. Ob sich Link bezüglich der Bedrohung durch Ganondorf nicht vielleicht doch an Polizei, FBI oder generell an Menschen mit Einfluss wenden sollte? Es wurde Zeit sich nicht länger vom Schicksal tragen zu lassen, sondern ernsthaft zu kämpfen und die Geschehnisse in die Hände des Guten zu legen. Dutzende Chancen taten sich für den jungen Helden gerade auf, ermutigende Möglichkeiten dem Bösen Einhalt zu gebieten. Er musste die Leute antreffen und informieren, die entscheidende Weichen für die Zukunft stellen konnten und Link hatte schon eine Idee, wo er anfangen musste.

„Du hast Recht… ich brauche Unterstützer, vielleicht habe ich im Moment noch zu wenige davon“, sprach Link. Wie unfähig naiv war er gewesen keine dieser Wege zu beschreiten? Beinahe… kindisch… Musste er tatsächlich erst ins Götterreich reisen um wach gerüttelt zu werden?

„Und was du vorhin gesagt hast… über das Böse…“, sprach Patrick und schüttelte sich dann, nicht nur innerlich. „Es existiert hier… in unserer Welt…“ Es war beinahe so, als erhoffte sich Pat noch einmal eine Bestätigung, die Link ihm mit einem lapidaren Kopfnicken gab. „Das Böse… du meinst Ganon?“ Eine Gänsehaut fuhr dem Zeldafan über seinen Rücken bis hinab zu seinen Zehenspitzen. Er dachte an die Zerstörungsgewalt der Monster in der Zukunft von ,Ocarina of Time‘, dachte an die Horden von Wächtermaschienen, die gesteuert von Ganons Willen über die Welt tobten in ,Breath of the Wild‘. Was würde Ganon auf dem Planeten Erde anrichten?

„Es ist nicht Ganon… sondern seine menschliche Manifestation“, erklärte Link, nicht sicher, was schlimmer war. Ein Dämon, der eine Gestalt besaß, die ihn vielleicht unauffällig in dieser Zeit und Welt wirken ließ oder ein Dämon, der wie ein machtbesessener Riese über die Welt stapfte und sich nicht zurückhielt.

Patrick verstummte, als eine schattenhafte Furcht über sein Gesicht lief. Er senkte den Kopf und verlor sich mit seinen Augen am staubigen Boden. In dem Jugendlichen zerbrach alle Sicherheit, die er in seinem Leben gespürt hatte. Jede Langeweile, die er im Leben verflucht hatte, fühlte sich nun an wie ein rettendes Ufer…
 

„Ich weiß sogar… wo er sich aufhält… eigentlich müsste ich schon lange zurück nach Hause reisen“, murmelte Link und rieb sich die Augen. Wie viel Mut doch in ihm steckte überhaupt darüber zu reden, mit einer Selbstverständlichkeit nahm er seine Bestimmung Ganondorf zu begegnen an. „Ich bin nur hier, weil ich das Bedürfnis spürte einige Fragen für mich klären zu müssen. Es war richtig hierher zu kommen, bedeutsame Menschen zu treffen und auch zu verstehen, dass sich Ganondorfs Pläne nicht nur auf meine Heimatstadt beschränkt haben.“ Link seufzte und biss leicht seine Zähne aneinander. Wie eine Dampfwalze überrollten ihn alle neuen Erkenntnisse, alle neuen Gedanken und Einsichten.

„Das ist ja alles nur noch gruselig…“, schimpfte Patrick und lief zügig von einer Ecke zur nächsten. „Und bist du dir sicher, dass er nicht noch andere Verstecke hat.“

Link zwinkerte, öffnete seinen Mund einen Spalt und hob seinen linken Zeigefinger in die Höhe. Auch diesen Gedanken musste er erst einmal verdauen. Aber ja! Was für ein dummer Irrtum steckte in allem, was der jugendliche Retter Hyrules in letzter Zeit getan hatte. Und was für ein absurder Gedanke! Vielleicht besaß Ganondorf mehrere Aufenthaltsorte, genauso wie sich seine Pläne über die gesamte Erde streckten.

Link trat an Patrick heran und klopfe ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Danke…“, sprach er. „Du hast mir gerade geholfen einige Fragen zu klären. Und das war bitter nötig. Vermutlich hat Ganondorf überall auf der Welt Orte, die er ausgekundschaftet hat. Möglicherweise verweilt er nur in meiner Heimatstadt, weil er weiß, dass ich dort aufgewachsen bin…“ Link hatte das Gefühl, er bewegte sich nun auf purem Glatteis und die Hoffnung, die er doch so versucht hatte am Leben zu halten, hing nur noch an einem seidenen Faden. Wenn Ganondorf tatsächlich mehrere Hauptquartiere besaß, wie nur sollte Link ihn aufhalten? Seine Pläne zunichte machen.

„Er weiß zum Glück nicht… dass Zelda lebt. Sie ist sicher… direkt vor seiner Nase“, sprach Link und versuchte sich anhand des Gedankens zu stärken. Zumindest in dieser einen Sache war das Gute ihm voraus. Link würde nicht zulassen, dass die Prinzessin des Schicksals in seine Fänge geriet, dieses Mal nicht, schwor er sich.

„Du wirst dich ihm stellen, nicht wahr?“, sprach Pat und Link war sich nicht sicher, was er auf den Gesichtszügen des langen, aschblonden Kerls vor ihm sah. Gramerfüllt verengten sich seine Augen, sodass sich kleine Sorgenfältchen in seinem Gesicht zeigten. War es Mitgefühl und Angst? Link unterließ es zu antworten, ja, vielleicht war gar keine Antwort nötig. Patrick wusste ohnehin, dass der Held Hyrules seiner Pflicht nachging, eine Wahl hatte er nicht. Vielleicht war jene Frage nur aus Sorge um Link erklungen… und er schätzte dies.

„Patrick“, sprach der Heroe langsam und erfüllt mit Dankbarkeit. „Es ist in Ordnung. Niemand ist an meinem Schicksal schuld. Es ist meine Lebensaufgabe, Seelenaufgabe, wie immer ich es auch nennen kann. Ich bin vorbereitet alles anzunehmen, was auf mich wartet.“ Mit tiefen, beinahe ruhigen Blicken in den malerischen Sonnenuntergang thronte Link neben ihm, lächelte schwermütig und doch entschlossen. „Alles hat seinen Sinn… und ich freue mich darauf noch mehr zu lernen, zu kämpfen und die nächsten Hürden zu meistern. Ich spüre es mit jedem Atemzug, mit jeder Faser meines Herzens. Wenn der große Kampf beginnt, werde ich alles tun, was ich kann, auch wenn es bedeutet, dass ich den Frieden nach dem Kampf nicht erleben werde.“ Und der jugendliche Zeldafan wusste, so konnte nur der Held Hyrules sprechen, mit diesem unentrinnbaren Edelmut, dieser verinnerlichen Hoffnung und starkem Glaube an die Vorsehung. Seine Worte ließen den van der Hohen, der doch immer so viel redete, sprachlos werden. Reiner Stolz und die stärkste Form von Selbstsicherheit brachten Patrick zum Staunen. Er war ein Fan von Link, aber auf diese Weise hatte er den Heroen noch nie erlebt. Seine Worte sanken tief in Herzen und hinterließen nichts als Ehrfurcht… Er verstummte, lächelte leicht, aber traute sich nicht diesen bedeutsamen Moment mit Worten zu zerstreuen…
 

Eine Pause entstand, in welcher beide Jugendliche ihre Koffer mit den restlichen Habseligkeiten füllten. Ein aufhetzendes, abendliches Glühen drang von dem uralten Feuergott in das Zimmer, bescherte eine Stimmung, die nach Ruhe, Schlaf und dem Ende des Tages verlangte. Link schloss gerade seine Reisetasche und stopfte seine Zeldaspielesammlung in den Rucksack, als ihm erstmals auffiel, wie lange es doch her war, dass er überhaupt an den Konsolen saß. Warum sollte er auch noch spielen? Für das Gefühl Link zu sein? Um die Prinzessin zu sehen?
 

Der junge Heroe wollte gerade den Raum verlassen, als Patrick ihn davon abhielt. „Kann ich dich noch etwas fragen… etwas nun ja, Prekäres… bevor du gehst?“ Da war ein sichtbares Schamgefühl in den Gesichtszügen des van der Hohen. Seine rundliche Nase wackelte mit einer Spur Röte darüber. Link lächelte zaghaft.

„Zelda ist die coolste Videospielprinzessin für mich, aber ich frage mich schon sehr lange. Was ist das eigentlich zwischen ihr und dir…“ Link wich irritiert nach hinten, ahnend, in welche Richtung Patricks Frage ging. Der Gedanke an seine Prinzessin füllte sein Herz mit lieblicher Wärme und sonderbarer Ruhe.

„Vor allem ,Skyward Sword‘ und ,Breath of the Wild‘ erzählen von eurer Verbindung. Ich weiß ja, es geht mich nichts an, nur… eure Form von Seelenverwandtschaft hat mich irgendwie von Anfang mitgerissen.“

Link hatte Tausende Worte auf seinen Lippen und wusste doch nicht ob eines davon jemals ausdrücken könnte, was er dachte. Ja, natürlich waren Zelda und er verbunden auf ewig… über ein unsterbliches Band, das sich nicht einmal die Götter erklären konnten. Aber wie sollte Link ohne seine Erinnerungen an Hyrule Pats Frage ehrlich und aufrichtig beantworten?

„Das Problem ist… ich kann mich an nichts erinnern. Ich wurde auf dieser Welt geboren, ich weiß, dass ich der Held aus Hyrule bin, aber ich kann nichts von Hyrule erinnern. Du siehst, es ist komplizierter als du ahnst. Und Zelda…“ Mit unerfüllter Sehnsucht gelangte ihr teurer Name über seine spröden Heldenlippen

„… Es geht ihr nicht gut, oder?“

Link schwieg dazu und ließ eine Spur Schmerz an die Oberfläche seiner Gedanken, dort an die sichtbaren Eigenheiten seines Gesichts.

„Ich habe es schon geahnt… erinnerst du dich, als du letztens davon gesprochen hast, dass sie vielleicht trauriger ist als ein normales Mädchen…“ Link schluckte und versuchte dem aufkommenden Schmerz, den diese Worte herausforderten, standzuhalten.

„Du liebst sie, nicht wahr?“ Der Ernst in Pats Worten ließ Link erst gar keine Schamgefühle angesichts dieser Frage entwickeln… und wie sehr er sie liebte… Er wusste nicht einmal mehr wie er die tiefe Liebe für seine Prinzessin jemals in Worte fassen konnte. Und wie sollte er es ihr jemals begreiflich machen? Es gab nur sie für ihn und das schon seit einer halben Ewigkeit. Er würde tun, was immer auch nötig war, um das Ausmaß seiner Loyalität, seines Vertrauens und seiner Liebe für sie zu behüten.

„Sagst du ihr, dass sie Fans hat.“

Link lachte daraufhin, ein ehrliches, befreiendes Lachen, tief aus der Kehle.

„Hey, ich meine das ernst. Wie gesagt, sie ist für mich die coolste Videospielprinzessin, egal, welches Spiel… naja, obwohl ich Tetra blöd finde.“ Und da lachte Patrick über seine eigenen Worte, während Link ebenfalls sein Lachen nicht unterbinden konnte. Ehrlich, dachte er, er wusste nicht einmal, was überhaupt so lustig war, aber dieses Lachen wirkte gerade wie Seelenmedizin.

„Ja, Pat, ich werde es ihr sagen, ich verspreche es.“ Daraufhin hatte der van der Hohen etwas Feuchtigkeit in den Augen, die er sich wegwischte. Es bedeutete ihm so viel diese Worte an Link, sein Vorbild, seinen Kindheitsheld, zu richten.

„Patrick… ich danke dir“, murmelte Link. „Es hat mir gut getan mit dir zu reden. Du bist mir ein guter Freund geworden.“ Etwas sprachlos nickte der Zeldafan und drehte sich zu seinem Koffer.

„Ich muss noch etwas klären diese Nacht“, informierte Link den Zeldafan. „Aber ich wäre froh, wenn ich mich morgen in aller Frühe von dir und Patrizia verabschieden kann.“

„Wir sehen uns morgen“, meinte Patrick und grinste. Und schließlich, mit einem Grinsen so mutig und linktypisch, hetzte der Heroe aus dem Raum…
 

Als Link aus der mit hellblauer Farbe bemalten Tür des Bungalows heraustrat, war er sich völlig im Klaren, dass er auch in dieser Nacht kaum den Schlaf finden würde, den er seit einer Woche vermied. Er hatte ein weiteres, klares Ziel vor Augen und würde diesbezüglich der Sturheit in seinem jugendlichen Heldenkopf Folge leisten. Er hatte auch Sian seit einer Woche nicht mehr gesehen, obwohl Link vielleicht sogar ein wenig darauf gehofft hatte, dass der einstige Shiek sich an seiner Hetzjagd Dämonen zu zerstören, beteiligte. Aber Sian Johnson verhielt sich genauso wie man es sich von dem Schattenvolk Hyrules erwartete. Wenn er kämpfte, dann nur im Schatten, unsichtbar, von der Dunkelheit aus zog er seine Fäden…

Link heftete seinen klaren Blick in Richtung des geheimnisvollen Schlosses auf dem Hügel und marschierte zielstrebig darauf los. Einerseits wollte er Shiek noch einmal antreffen, zumal er morgen in aller Frühe abreisen würde… und zum anderen…

Sian hatte immer wieder von seinem Vater erzählt, der Geheimnisse über Hyrule hütete wie einen zerbrechlichen Schatz. Und Link spürte den widerspenstigen Hauch von Verrat in dem Namen Leon Johnson, er spürte, dass dieser alte Mann nicht der war, für den er sich ausgab. Dieser jemand hatte etwas Entscheidendes mit Hyrule zu tun… und es war genauso wie Patrick es verdeutlicht hatte. Link brauchte mehr Informationen und Unterstützer. Und egal was es auch war, was Leon Johnson verheimlichte, Link würde dem auf den Grund gehen. Er würde Druck ausüben und nicht eher aus Irland verschwinden bis dieser Mann mit ihm geredet hatte! Er war von so vielen Seiten im Unklaren gelassen, und damit war jetzt Schluss. Schnurstraks trat Link in der versenkenden Abendröte vorwärts, gezähmte Wut rang in seinem Bauch nach Gehör, legendärer Mut brannte in seinen schimmernden, blauen Augen, Hoffnung breitete Schwingen in seinen Gedanken…
 

Und so lief Link so schnell ihn seine Beine tragen konnten, lief den schicksalhaften Weg weiter, hinein in seine Bestimmung. Je weiter er dem Schloss kam, umso unebener wurde die geteerte Straße und der bemitleidenswerte Zustand des reichlich vorhandenen Gartens vor dem Residenzhaus sprang dem Heroen ins Auge. Rosenhecken wuchsen wild, kreuz und quer, die wenigen Laubbäume, die wie alte Zeitzeugen in dem Garten aufragten, waren übersät mit Efeu, wirkten grotesk und beinahe lebendig. Allein die Mauer, die den Garten vor Eindringlingen schützen sollte, war an vielen Stellen zerrüttet. Waren die Johnsons nicht eigentlich wohlhabend? Warum ließ Leon sein Hab und Gut so zugrunde gehen? Selbst das Schloss erweckte den Anschein eines leerstehenden Gebäudes… ohne sichtbare Vorhänge, ohne einladende Farben… leer und einsam… als hausten tatsächlich nur Gespenster im Inneren. Leon Johnsons Schloss war kein Märchenpalast, eher klein, drei Stockwerke, ein einzelner Ostturm bescherte einen verzweifelten Blick zur See in der Ferne. Link überlegte, ob er diesmal wieder über die Mauer springen sollte, als aber eine alte Weise, melancholisch und mächtig, an seine gesunden Ohren drang. Der Wind trug sie näher, eine Melodie, so süß und unsterblich vernebelte sie den Verstand. Schwermütig und gigantisch erklangen Töne eines Klaviers, deutlich und mit jeder Note entsetzlicher… Eine Melodie, die sich anfühlte wie eine warme Hand auf der Schulter und gleichzeitig so kalt wie ein gewaltiges Meer, das Welten verschlang.

Gefangen in der Schwere des Musikstücks trottete der junge Held nun doch zum Eingangsbereich, wo er ein altes Gitter mit einem Quietschen zur Seite schob und eine Schwelle zu mehr Verstehen und Wissen übertrat, einfach und ohne sich bewusst, wen er in diesen andächtigen Stunden sprechen würde. Sein Blick verlor sich einmal mehr am Horizont, wo die abendliche Stimmung angefochten durch jene beinahe majestätische Melodie scheiterte und sich durch einen sich nähernden Sturm verlor. Ein hämmernder Sturm, der alles einsog und doch die Hoffnung auf Reinigung und Abwaschen des Alten spendete…
 

Mit sturen, fordernden Schritten trat Link vorwärts, lauschte seinen raschelnden Schritten, während er durch hohes Gras zu einer hohen Eingangspforte trat. Ein wenig erinnerte ihn der Eingangsbereich mit zwei Löwenkopfstatuen aufragend an wenigen Treppenstufen an die Villa von Ines Schattener, wenngleich Impa ihre Behausung in einem gepflegten Zustand hielt. Selbst die zehn steinernen Treppenstufen hinauf zur Eingangstür waren teilweise zerrüttet, beladen mit altem Laub. Der unsinnige Gedanke streifte ihn, ob dieses Schloss vielleicht eher in einer anderen Wirklichkeit zuhause war. Träge hob der junge Held seinen Schwertarm um eine große Glocke, ebenfalls in Form eines Löwenkopfs, zu betätigen, spürte gerade das verrostete Metall, als er ein Augenpaar in seinem Nacken wahrnahm und noch im gleichen Augenblick herum wirbelte, alle zehn Treppenstufen auf einmal nahm und mit vorbereiteten, kühlen Blicken die Szenerie beleuchtete. Er wusste, dass hier jemand war, sich geschickt versteckt hielt, beinahe mit den Schatten der Nacht verschmolz…

Links Sinne malten Bilder in die durchtriebene Nacht und je mehr er sich konzentrierte umso gespenstischer und gefahrprophetischer summte das alte Laub der knorrigen Bäume, peitschte das viel zu hohe Gras unter Links Füßen, und umso langsamer schien der sich nähernde Sturm die Wolken voranzutreiben. Link war schon einige Male dieser erstaunlichen Wahrnehmung erlegen, dem unbeirrbaren Zerrinnen von Zeit in seinem Empfinden, er konnte es für sich nicht einmal beschreiben und doch war es da… ein heimliches melodisches Tick Tack, das sich dehnte und dehnte… immer weiter dehnte bis es das Gesicht der Zeit spaltete… Ja, er erinnerte sich. Seit er denken konnte, war diese Wahrnehmung ein Teil seines Weltbildes. Seit er denken, konnte verlangsamte sich gelegentlich die Zeit für ihn…

Er erinnerte sich außerdem mit einem leichten Grinsen, das um seine Lippen spielte, dass er deshalb in der Schule bei Prüfungen und auch seiner Mutter gegenüber manchmal einen unfairen Vorteil besaß. Und auch jetzt machte er sich dies zunutze, erspähte mit seinen Augen durchforstend das tanzende Gebüsch und das raunende Wurzelwerk bis er eine Gestalt entdeckte, die sich wie ein Assassine auf einem der morschen Bäume versteckte. Anhand der Umrisse erkannte Link den schlanken, sportlichen Mann durchaus, selbst seine rubinroten Seelenspiegel sah der Heroe leuchten…
 

„Habe ich dich erschreckt, Held“, sprach es raschelnd und mit einem dumpfen Ploppen hüpfte Sian Johnson von seinem Versteck in dem raschelnden Mantel der Bäume. Link begrüßte Sian flach und schüttelte den Kopf. Er wusste, dass er kaum mehr von jemandem heimlich beobachtet werden würde.

„Ich bin beeindruckt von deiner Wachsamkeit“, bemerkte der Irländer und trat näher. Nicht nur sein Verhalten glich das eines Kriegers der Schatten. Sein schwarzes Muskelshirt und eine dunkle Lederhose wand sich sehnig um seine vitale Figur. Und da bemerkte Link, warum er den reichen Johnson-Sohn so spät wahrgenommen hatte… er war barfuß, bemüht nicht ein Geräusch zu hinterlassen.

„Deine Anwesenheit ist mir nicht entgangen, aber… sagen wir beinahe“, meinte Link und genoss das angenehme, vertraute Gefühl in Sians Nähe. Irgendwie würde er ihn vermissen, dann wenn er morgen zurück nach Hause fahren würde. Der Schattenkämpfer wirkte, als ob er Links Gedanken gelesen hatte, etwas verlegen wanderten seine Blicke nach oben in Richtung des einzelnen Schlossturmes, wo auch die schwere Klaviermelodie nostalgisch flackerndes Kerzenlicht begleitete.

„Ich hoffe, du hast die letzte Woche so nutzen können wie es für dich notwendig erschien.“ Als kannte Sian die Wahrheit über Links Distanz funkelten seine rubinroten Augen wie Leuchtfeuer in der zunehmenden Schwärze der Nacht. Der leichte Sarkasmus in jenen Worten ließ Link dennoch aufhorchen, gerade Sian, der immer sehr beherrscht in seinen Reaktionen und Interaktionen mit anderen Menschen agierte, hatte einen tiefen Grund für Gefühle von Ärger oder auch Traurigkeit.

„Du reist morgen schon ab…“, sprach er dann, nun mit Bedauern und Aufrichtigkeit. Und da ahnte Link, was das eigentliche Problem war. Konnte es sein, dass Sian ihn ebenfalls als einen wertvollen Kumpanen realisierte und Links Abreise eine trübsinnige Stimmung über ihn hereinbrechen ließ. Und eine weitere Erkenntnis kam über ihn… der einstige Shiek war Zelda in seiner Persönlichkeit vielleicht ähnlicher als es zunächst den Anschein nahm.

Link nickte lethargisch und ließ sich auf eine der rissigen Treppenstufen sinken. Er wusste nicht, wie er auf Sians Stimmung reagieren sollte und biss sich auf die Unterlippe. „Sian…“, murmelte Link und nahm in dem Klang seiner Stimme Anteil an dem Gemütszustand seines Freundes. „Du weißt, ich wäre nicht gefahren ohne mich zu verabschieden.“

Auch Sian ließ sich auf die Treppenstufe sinken, während der Wind über das Grundstück peitschte und die knorrigen Bäume wie Schaukeln klappern ließ. „Es ist gut, dass du hier bist, ich vermute, du hast noch etwas anderes vor, nicht wahr?“ Sians Blicke waren stechend, selbst in dieser düsteren Nacht, analytisch bohrte er sich einen Weg in Links Gedankenwelt.

„Du willst meinen Vater sprechen, habe ich Recht?“

Schwungvoll kam Link auf die Beine und ballte die Hände zu Fäusten. „Das ist richtig.“ Insistierend kamen die Worte über seine rosa Lippen. „Und ich werde nicht eher gehen, als dass ich die Antworten erhalten habe, die ich benötige.“ Überraschenderweise grinste Sian daraufhin mit Wohlgefallen und Zustimmung. „Mein Vater hat wohl gehofft, er könnte das Gespräch mit dir vermeiden, aber mir soll es recht sein. Du hast mehr als seine Antworten verdient und mehr als seinen Respekt, es wird Zeit, dass er sich mit dir auseinandersetzt.“ So formuliert klang es beinahe bedrohlich, was Sian sich erhoffte. War da ein alter Groll des Sohnes gegen den Vater.

„Sian, es steht mir vermutlich nicht zu… aber was ist los mit deinem Vater?“

„Deine Entschlossenheit ehrt dich, aber Link, du kannst dir denken, dass mein Vater, wenn er aus Hyrule stammt und sich erinnert, eine sehr bittere Zeit mit vielen Lektionen hier auf der Erde erfahren hat. Seit ich mich erinnern kann, und seit ich Zeldas Kummer spüre, ist das Leben für ihn noch erbarmungsloser geworden.“ Sian seufzte. „Und seine Herangehensweise an die heutigen Probleme… seine Mutlosigkeit erzürnt mich.“

„Wie kann ich helfen?“

Doch da lachte Sian hell und rein, lachte dankbar. Nur Link konnte in einer solchen Situation sofort seine Hilfe anbieten.

„Hab‘ ich was Falsches gesagt?“

Sian schmunzelte schäkernd, gluckste beinahe. „Nein, nein“ und er strich sich sein hellblondes Haar, das selbst in der Nacht zu glänzen schien, von der Stirn. „Es ist nur deine Persönlichkeit, dein Eifer den Menschen um dich herum Freude und Schutz zu bieten, der mich lachen lässt. Du bist genau der Link, den ich aus Hyrule erinnern kann… Held der Zeit.“

Erstaunt, aber auch umschmeichelt von diesen Worten öffnete Link seine Lippen einen Spalt, nur um nicht zu wissen, was er sagen sollte. Er schwieg, konnte Sian nicht begreiflich machen wie viel ihm diese Worte bedeuteten.

„Also gut“, meinte Sian. „Ich möchte dich gerne zum Abendessen einladen. Lass‘ uns herausfinden, was mein Vater bereit ist zu erzählen.“

„Danke“, sprach Link, mit jedem Gefühl der Ehrfurcht, das er aufbringen konnte. Er dankte Sian für sein Verständnis in den letzten Wochen, für all die wertvollen Worte und Hoffnung. Nur wegen Sian war Link in das Götterreich gelangt und hatte Entscheidendes über sich selbst erfahren. Entscheidendes über seine Ideale und seine Zuversicht…
 

Sian klopfte derweil an das Tor mit seinen seltsamen Löwenköpfen, ließ einen dumpfen Schlag durch das Gemäuer dröhnen. Der einstige Shiekah wählte mit Bedacht die Glocke, wo er doch hier zuhause war. Er wollte das Zeichen senden für einen Gast und seinem Vater dies mitteilen, denn schlagartig verstummte das Klavier. Die junge Haushälterin mit dem pechschwarzen Haar, in das sie rote, grüne und blaue Strähnen eingearbeitet hatte, öffnete rasch die Pforte, hieß Sian willkommen und lächelte dem jungen Heroen mit einem bedeutungsschwangeren Zwinkern zu. Ja, erinnerte sich Link. Dies war die Dame vom Anmeldungsbüro, die aber auch als Reitlehrerin tätig war. Es überraschte Link nur, dass sie um diese späte Uhrzeit tatsächlich noch als Haushälterin bei den Johnsons arbeitete. Sie hatte ihr wildes Haar in die Höhe gesteckt und bezirzte mit einem kurzen Schwarzen mit Spitze und Tüllrock. Entgegen ihrer verschrobenen Persönlichkeit versah sie sich gerade mit edlem Geschmack, galant und bemüht um Etikette. Ein wissender Ausdruck in ihren schwarzen Augen erschreckte den Heroen beinahe, als er sie musterte. Obwohl er ihr nicht zugetan war, so umhüllte sie gerade eine eigensinnige Präsenz und Attraktivität.

„Willkommen Sian, dein Vater wartet bereits auf dich“, sagte sie mit einer bewusst tiefen, ernsten Stimme. Sie ließ ihren Charme spielen und machte eine einladende Geste. Ihre rechte Hand winkte Link in den Innenraum. Mit leichter Verwirrung musterte er die Dame, die sich in das Leben der Johnsons geschlichen hatte. Das verruchte Leuchten in ihren umbrafarbenen Augen erzählte von einem Wesen, das er an einem anderen Ort angetroffen hatte. Mit einer Spur Misstrauen spannten sich Links hellbraune Augenbrauen und ein aporetischer Blick war das, was folgte.

„Wird dieser junge Mann mit deinem Vater und dir speisen?“ Sie zwinkerte dem Heroen zu, als nur er ihrem Blick verfolgen konnte. Skeptisch begegnete Link dem Blick, stur und stark, bis die seltsame Dame blinzeln musste. Er nahm sich die Oberhand über diese Blickgefechte, und ahnte nicht im Geringsten, warum er überhaupt auf diese Frau reagierte.

„Ja, Dinafa, mach‘ dir keine Umstände“, bemerkte Sian flach. Es war so deutlich zu spüren, dass Sian eine Abneigung gegen jene Dame entwickelt hatte. Und es überraschte Link nicht sonderlich. Dinafa, hieß sie also… ein Name, der mit einer seltsamen Vorahnung über Links Lippen hing und doch sprach er jenen nicht aus. Es irritierte ihn ein wenig, dass, obwohl er sie nun das dritte Mal antraf, er bisher noch nicht ihren Namen wusste. Sein Blick wanderte verstohlen an ein reichlich verziertes Deckengemälde mit Drachen hoch über den Köpfen der drei Personen, hier in einem geschmackvoll eingerichteten, in kupferroten Farben gehaltenen Empfangssaal.

Keine weiteren Worte an die junge Haushälterin richtend, lief der frühere Shiek zielstrebig an ihr vorbei und nahm die riesige Treppe im Erdgeschoss nach oben. Link trat mit aufzuckendem Erstaunen in den hallenden Empfangssaal ein, noch immer auf das beeindruckende Deckengemälde starrend. Drei Drachen, ineinander verwoben, durch die Lüfte marschierend, mächtig und gefährlich… wie als pochten ihre kraftvollen Schwingen aus dem Gemälde heraus… Links Blick verlor sich mehr und mehr, bis er ahnte, dass jene drei göttlichen Wesen eine erschütternde, und doch märchenhafte Erinnerung aus Hyrule verbargen… ein blauer, roter und gelber Drache… Symbole für drei ultimative Kräfte… dezent gestalteten sie sich, gemalt mit zarten pastellfarbenen Tönen… eine Atmosphäre transportierten sie wie sie jene im Reich der Götter war… als lebte hier in dieser Festung jemand, der neben Hyrule auch dieses Reich im Vergessen erfahren hatte.

Links Blick glitt weiter, zu dem riesigen, kupferfarbenen Kronleuchter an der Decke, der ganz unterschwellig zitterte, wackelte wie angestupst von Geisterwesen, die seit Jahrhunderten hier in diesem Schloss spukten. Der Gedanke, er könnte sich von seinen Ankerrungen lösen, ließ Link in Richtung Treppe laufen. Nach einigen Stufen blickte er zurück, fühlte sich von der transzendenten Stimmung des Saals eingesogen. Überwältigend hingen obskure Porträts von Orten jenseits menschlicher Vorstellungskraft und Schwerter an den Wänden, sowie alte, überdimensionale Kerzenständer ragten wie Statuen auf, lichteten alle Geheimnisse dieses Gemäuers. Alte Ritterrüstungen standen wie versteinerte Wachposten an fast jeder Tür, die aus der Halle herausführten. Phantastische Schränke unermesslichem Wertes, auf denen Gegenstände wie Vasen und Öllampen aufgetürmt waren. Und alles war entgegen dem äußeren Schein des Schlosses blitzblank poliert. Link sputete sich um Sian in das erste Stockwerk zu folgen, von wo aus man über einen Wandelgang eine gute Sicht auf das Erdgeschoss hatte. Dort angekommen, staunte der Heroe über die ganzen Türen, die in andere Bereiche des Schlosses führten. Von außen wirkte dieses Residenzhaus beinahe winzig und nun befand er sich in einem Labyrinth.

„Sag’ mal, wie schaffst du es eigentlich, dich hier nicht zu verlaufen“, meinte Link belustigt.

Der heimliche Krieger der Schatten schwieg, aber grinste mit seinen kirschroten Augen ein fröhliches Gefühl verbergend in sich hinein, Link wusste nicht, ob es daran lag, dass er ein Gespräch mit seinen Vater durchgesetzt hatte und Sian dies mit stillem Sarkasmus genoss oder ob er ein Geheimnis bezüglich dieser gigantischen Behausung hütete. Er durchquerte eine große, verzierte Holztür, über einen langen Gang in den Ostflügel des Schlosses, dorthin wo der einzige Turm aufragte und das schummrige Licht nach draußen drang. Gespenstisch still war es hier in den Gängen, wo selbst das Fallen winziger Staubkörner raschelte. Dort folgten sie beide einer hölzernen Wendeltreppe erneut ins Erdgeschoss. Selbst hier standen überall wertvolle Kunstobjekte wahllos aus allen Epochen und Erdteilen zusammengewürfelt, chinesisches Geschirr, Wandteppiche aus dem Orient, handgefertigte Puppen, ausgestopfte seltene Tiere, Schmuck und Kristalle, Karten… Dieses Schloss war ein Paradies für Kunsträuber, dachte Link. Etwas benommen von dem unermesslichen Wert dieses riesigen Haufens an Museumsinhalten, verlangsamte er seine Schritte, sodass plötzlich die Haushälterin an ihm vorüber trat. Als gehörte sie zum nebensächlichen Inventar hatte Link sie völlig ignoriert, genauso wie vor wenigen Tagen am Strand. Etwas an ihrer Persönlichkeit ließ sie beinahe unsichtbar werden…

„Nun, Link“, sprach sie, „gibt es etwas, das du gerne trinken würdest?“ In ihren Worten verbarg sich eine leichte Gereiztheit, kaum wahrnehmbar. Ob sie bezüglich ihrer Begegnung am Gestüt nachtragend ihm gegenüber war, immerhin hatte er ihr einfach keine Beachtung geschenkt. Es war für Link jedoch sehr ungewöhnlich, normalerweise schenkte er jedem Menschen, den er traf Respekt und Beachtung. Selbst Ilena, und Link erinnerte viele unangenehme Situationen mit ihr, hatte er nie ignoriert, sich in jugendlicher Unreife hinreißen lassen sie zu verspotten und zu beleidigen, aber niemals ignoriert…

„Ähm, entschuldige, ja…“, meinte er und suchte nach einer Reaktion in den dunklen Augen dieser Dame. Wie nur hatte sie es geschafft sich bei Leon Johnson einzuschmeicheln, so dass sie diese Arbeiten verrichtete.

„Wie wäre es, wenn du uns einfach eine Auswahl zusammenstellst, und bitte bring‘

den speziellen Rotwein meines Vaters zum Tisch“, sprach Sian streng.

„Wie du wünschst“, entgegnete sie, genauso gereizt wie vorher auch. Damit trat sie an Sian vorüber, öffnete eine weitere, riesige Tür, die versehen war mit Malereien. Schwungvoll riss sie die Tür auf, quietschend, und gab damit den Blick zu einem beinahe gemütlichen Speisesaal wieder. In der Mitte ragte eine lange Tafel auf, wo zehn Personen Platz fanden. Karminrote Vorhänge verzierten riesige Fenster mit kunstvoll gefertigten Eisenbeschlägen. Unheimlich beruhigend, einschläfernd, war die Stimmung in dem Speiseraum, wo etliche Kerzen brannten. Dinafa verschwand mit einem hämmernden Rhythmus teurer Absätze in einem Nebenraum und kam beinahe im selben Augenblick mit einem gedeckten Tablett zurück, nach und nach brachte sie Köstlichkeiten zum Tisch, die ebenfalls irgendwie… zusammengewürfelt wirkten. Da war Cheddar aus Irland, direkt vom Bauern, teurer Prosciutto, indische Linsensuppe mit Chilli, der die Luft leicht verstörend färbte, duftende Brötchen, noch warmes Bauernbrot, Steaks mit Pfeffersauce, knusprige Hähnchenschenkel und Thunfischsalat. Einmal mehr verschwand sie und kümmerte sich um die Getränke.

„Eure Haushälterin ist wirklich etwas… unheimlich, was?“ Link versuchte etwas Heiterkeit in die festgefahrene, ernste Stimmung zu bringen. Diese festliche Räumlichkeit, obwohl der Speisesaal mit Gemütlichkeit und Charme bestach, brachte nun doch etwas Anspannung in Links frische, jugendliche Gestalt. Es war so untypisch für ihn in solchen Räumlichkeiten zu speisen, so untypisch in einem Schloss als Gast auf die Antwort alter Rätsel zu hoffen… Ein Teil in Link jedoch ahnte nun immer mehr, weshalb er Leon Johnson treffen musste… und wer sich hinter dem Vater des einstigen Shiek verbarg…

„Ach, Dinafa tut doch nur so“, beschwichtigte Sian. Es war in seinen gelangweilten Gesichtszügen abzulesen, dass er sich mit dieser Dame nicht beschäftigen wollte und es wohl auch nicht hatte. Wer nur war diese mysteriöse Person?

„Nimm‘ bitte Platz, Link, mein Vater erscheint sicherlich gleich.“

Sian und Link setzten sich am Ende der Tafel gegenüber, ließen die Spitze frei. Link schnupperte an dem Essen, genoss die Düfte in seiner spitzen, neugierigen Nase, als Dinafa eine feine Auswahl alkoholischer Getränke brachte. Ein dunkler, dicker Wein in einer vertrauten, rundhalsigen Flasche zog Links gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Er konnte die Erinnerung sehen, spüren, und in seinem Herzen brennen angesichts einer fatalen Gewissheit. Zarte, schmale Hände, die eine solche Flasche ohne jedwede Aufschrift in den Händen gehalten hatten. Zarte, schmale Hände, so weich und geschmeidig, die er berührte, als er diese Flasche in seine Hände nahm. Ein Wein, vollmundig und süß, gewebt aus einer Frucht, die Leben spendete. Ja, er erinnerte sich mit ein wenig Druck auf dem Herzen. In dem Traum, als er Zelda besuchte, in diesem heimischen Schlossgemach, ihre Lippen das erste Mal auf seinen spürte, hatte er genau diesen Wein mit ihr getrunken… Herzbeerenwein aus Hyrule. Der Geschmack ruhte jetzt gerade auf seiner Zunge, als ihn die Erinnerung überfuhr. Erschrocken heftete sich Links Blick auf die ungewöhnliche Flasche, worauf Dinafa ihm sofort und wortlos ein Glas davon reichte. Link kostete mit Irritation und fühlte sich zurückversetzt in den wundervollen Traum mit seiner Prinzessin. Wie kam dieser Wein, und er schmeckte eben nicht nach Trauben, nur hierher?
 

Gerade da schwenkte Links Blick in Richtung der großen Pforte, denn an seine Ohren drangen dumpfe Schritte, wackelig, humpelnd, so spürbar willenlos. Link seufzte mit gespannter Erwartung und verwundert, wie viel ihm doch ein paar Schritte sagen konnten. Aus dem Gang erhob sich der Schatten Leon Johnsons, und vielleicht war er tatsächlich nur der Schatten seiner selbst. Sein grau gesträhntes Haar hing verwaschen, klebrig über seinen breiten Schultern, als er seinen Schädel durch den Türspalt steckte und mit einer seiner großen Hände die Tür ein Stückchen weiter aufschob. Er war schlicht gekleidet, zumindest die Kleidung wirkte sortiert und gut gewählt, eine blaue Jeans und ein dunkles Hemd, lediglich der rote Mantel, der Leons Gestalt schützte, wirkte unpassend, deplatziert und angesichts der warmen Sommertemperaturen unnötig.

Erneut funkelten diese eindringlichen Augen, diese zarte, himmelblaue Farbe drang wunscherfüllt in Links Geist… schockierten ihn. Wie nur konnte es sein, dass er mit diesen Blicken so eine Macht über Link ausübte?

Leon wirkte nicht verwundert, dass Link und Sian an der Tafel saßen, etwas in seinem Blick machte deutlich, dass er den Heroen erwartet hatte… dass er es ertragen würde sich auseinanderzusetzen, es ertragen würde, alte Wunden zu spüren. Gemächlich und tatsächlich wackelig auf den Beinen schwankte er zu der Spitze der Tafel, vermied Links Blick aufs erste und ließ seine breite Gestalt in den abgenutzten Sessel sinken.

„Sei willkommen, Link“, sprach er dann endlich, mit deutlichem Gespür für Höflichkeit, aber seine lebenserfahrenen Augen ruhten im Nirgendwo. Quälende Erinnerungen schienen an ihm vorüber zu ziehen, versunken in dieser himmelblauen, angenehmen Augenfarbe. Er nahm sein Weinglas, nippte daran und auch er schien eine Vorliebe für Herzbeerenwein zu haben.

„Nun, Link, hattest du einen aufregenden Aufenthalt im herrlichen Irland“, fragte Leon mit Hunderten Wahrheiten in der rauen, tiefen Stimme, was den Heroen darauf aufmerksam machte, dass Leon seine Schritte genaustens verfolgt hatte. Er wusste ganz genau, dass Link morgen bereits nach Schicksalshort zurückkehrte.

„Hier in Irland zu sein, war sehr…“ Link suchte nach dem richtigen Wort. „… aufschlussreich.“ Ja, das war es in der Tat, setzte er in Gedanken hinzu. Er wollte nicht sarkastisch klingen, aber ein leichtes, unterschwelliges Gefühl von Zorn nahm ihn ein. Er war nicht ohne Grund hier erschienen, er war nicht hier um sich den Bauch voll zu schlagen. Er musste das tun, was er seit einer Woche tat, an einem Weg arbeiten Ganondorf aufzuhalten!

„Aber ehrlich gesagt, sehne ich mich nach zuhause, obwohl dort ein Dämon aus Hyrule auf mich wartet.“ Dezent klingen war wirklich nicht seine Stärke, dachte Link und ärgerte sich über seine eigenen Worte. Es war albern das Gespräch mit Leon Johnson so zu beginnen, sollte er nicht einfach die Wahrheit über sein Erscheinen hier darlegen?

„Nun, das ist… verständlich“, Leon klang genauso vielschichtig wie er selber und hielt ihm einen ärgerlichen Spiegel vor die Nase.

Link seufzte nachdenklich, betreten in Sians fahles Gesicht blickend. Der schweigsame, junge Kerl, erstarrte beinahe und sah im rinnenden Kerzenlicht aus als trug er eine kahle Maske.

„Bitte bediene dich, Link“, sprach Leon schließlich, sein Blick ein gewichtiges Buch der Rätsel. Er war bemüht dem Heroen mit Achtung zu begegnen, aber zu schwer lag das Gewicht eigener Verantwortung auf seinen angeschlagenen Schultern… vielleicht trug er deshalb diesen schweren, roten Mantel. Um sich an eine alte Last zu erinnern, an sein eigenes schulterbrechendes Versagen… Je mehr er den alten, gebrochenen Mann in seinem eigenen Schmerz beobachtete, umso mehr tat es Link leid mit seinen sturen Zielen hier erschienen zu sein. Er konnte nicht nach Antworten bohren, während ihn diese betroffenen Blicke aus Leons Augen musterten. Da war so viel reuevoller Schmerz, beinahe Selbstmitleid, dass es dem Heroen schwer fiel überhaupt Worte an den Hausherren zu richten.

Währenddessen huschte Dinafa noch einmal um die Tafel, überprüfte ihre Arbeit sorgfältig und wurde dann von Sian für den heutigen Abend entlassen… aus gutem Grund. Es war unumgänglich über Hyrule zu reden, Link einzuweihen und dabei musste keine neugierige Haushälterin anwesend sein.

Der Heroe begann seinen Teller mit den duftenden Köstlichkeiten zu beladen. Er wusste nicht mehr, wo er beginnen sollte das Gespräch mit Leon einzufädeln. Er war so entschlossen gewesen schlafende Hunde mit seinem Wunsch nach Antworten zu wecken, und nun hing er über ein paar Steaks, leckerem Brot und nippte schuldbewusst an dem verwirrenden Herzbeerenwein.

Leon Johnson, zusammengesunken saß er in seinem beinahe hoheitlichen Sessel, schien Links Sorgen wahrzunehmen, seufzte und begegnete dem leise anklagenden Blick seines eigenen Sohnes. Sian war niemals vor den Wahrheiten weggelaufen, Sian war der bessere Teil Leons, den er weggeschlossen hatte. Und es war Sians Erwartung und Hoffnung eines Sohnes, der Leon das Eis brechen ließ. Schnaufend legte Leon sein Besteck beiseite, stützte sich auf seine grauen, faltigen Hände und suchte nach einem Beginn des Gesprächs in Links tiefblauen Augen. Auch der Heroe legte das Besteck beiseite und hatte angesichts der unangenehmen, tristen Stimmung, die mit Leon Johnson in diesen gemütlichen Speisesaal gekrochen war, seinen Appetit verloren.

„Link“, sprach der ältere Herr nach einer ewigscheinenden Pause. „es ehrt dich deine sture Unnachgiebigkeit das Gespräch mit mir zu suchen.“ Seine leicht kratzige Stimme verriet Milde und eine Güte, die der junge Held vorher kaum wahrgenommen hatte. „Es ist unumgänglich, dass wir über das verblasste Land Hyrule reden und über die weltweite Bedrohung.“

„Wenn es so notwendig ist, warum so spät?“, sprach Link schneller als er es beabsichtigt hatte. Natürlich lag Groll in seinen Worten, natürlich konnte er den Ärger über solche Geheimnistuerei nicht im Zaum halten. „Ich reise morgen schon ab.“

„Deine Fragen sind berechtigt, ich stehe zu meinem Wort, diese zu klären“, entgegnete der Mann mit Ruhe in den Worten und es war das erste Mal, das Leon lächelte, zaghaft, aber bestimmend. Das Lächeln in seinem faltigen Gesicht ließ ihn eine bekümmerte Weisheit ausstrahlen. „Du hast dich nicht verändert… noch immer schlägst du dich mit allen Hürden so wacker, bist neugierig und entschlossen.“

Link wusste, was er meinte. Natürlich kannte Leon ihn aus Hyrule, natürlich…

Der Schlossherr lächelte aus seinem Gesicht hervor… nein, er mühte sich zu lächeln. Da waren an die fünfzig Falten, die sich durch Grübeleien in seine vom Leben ausgehungerte Haut gefressen hatten. Der Heroe wollte die Geste erwidern, Leon auf diese Weise willkommen heißen, aber der innere Groll war einfach da, und er wuchs mit jeder Sekunde.

„Wenn Sie wirklich den Wunsch haben mit mir zu reden, warum… haben Sie mich das nicht wissen lassen? Müssen erst drei Wochen vergehen, muss erst ein Drachenangriff geschehen, unzählige Menschen von dämonischen Splittern befallen werden und dämonische Wölfe über das Land hetzen, ehe…“ Und da bremste Link seine überschäumende Anklage, sah die verwirrende Hilflosigkeit in kristallblauen Augen seines Gegenübers, als ihn eine weitere Erinnerung heimsuchte. Er kannte diesen Blick voller düsterer Zweifel… er kannte diese wunderschöne Augenfarbe…

„Es tut mir leid…“, murmelte Link und verschränkte die Arme abweisend.

Reuevoll blickten jene kristallblauen Augen drein, dort in den Seelenspiegeln lagen verkaufte Wünsche und sterbende Hoffnungen.

„Nein, Link, das muss es nicht“, sprach Leon sicherer und es wirkte als erhob er sich innerlich von seinem Platz aus, als beflügelte ein tiefer Atemzug die alte Stärke seiner selbst. „Dein Ärger ist berechtigt, nur, kann ich dir zumindest versichern, dass ich bezüglich der Bedrohung durch Ganon nicht untätig war… auch wenn ich wohl in mancher Hinsicht Fehler gemacht habe.“ Link seufzte und wusste nach wie vor nicht, wie er diesem inneren Zorn Luft machen sollte. Irgendetwas an Leon enttäuschte ihn maßlos, als hätte der alte Irländer ein Vorbild sein müssen, als hätte er sein Leben auf der Erde einem höheren Zweck opfern müssen. Und er hatte nur zugesehen, als Ganondorf seine Pläne schmiedete, hatte zugesehen als Zelda in diese Welt kam… aus Feigheit! Oder war etwas im Gange, in das Link nach wie vor nicht eingeweiht war? Weiterer Ärger loderte in Link… natürlich war er nicht eingeweiht, einmal mehr!

„Sag‘ mir, Link“, murmelte Leon schließlich, erhob sich und trat an eines der langen Rundbogenfenster. Er wollte den Blick des Heroen vermeiden, zu anklagend waren seine tiefblauen, mutigen Augen… vielleicht konnte der alte Mann diese Entschlossenheit und Tapferkeit nicht ertragen, diese unermüdliche Energie eines wahren Helden. „Warum bist du nach Irland gereist? Ausgerechnet hierher, wo Sian und ich leben?“ Die Spiegelung Leons lebensmüden Gesichts im Fensterglas ließ Link den Atem stocken… nur diese himmelblauen Augen leuchteten mit einer Erinnerung an vergessene Stärke.

Irritiert sah Link erneut auf seinen Teller. „Das ist ein Umstand… über den ich mir noch keine Gedanken gemacht habe. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht… ich hatte schlichtweg dieses Gefühl, dass Irlands grüne Hügel… und die Weitläufigkeit des Landes… der richtige Platz sind um…“, und Leon wand sich um seine eigene Achse, fixierte den Jugendlichen, nagelte ihn mit Ungläubigkeit fest. „Es war kein Zufall… wer oder was hat dich ausgerechnet hierher in diese Jugendherberge verschlagen?“ Auch Link kam der Gedanke mit einem Mal zum Frösteln vor. Hatte jemand dies eingefädelt? Etwa Ganondorf, der Link von Schicksalshort fernhalten wollte?

Betroffen musterte Link auch die Verwirrung in Sians bildschönen Gesichtszügen. Selbst der einstige Shiekahkrieger fühlte Beklemmung. „Erinnerst du dich, wo du von dieser Herberge gelesen hattest?“, fragte Sian. Der blonde Heroe grübelte, erinnerte schließlich einen Flyer, der vor einer Weile in der Schule auslag. Es war ein Flyer, den er in die Hände bekam, lange bevor Zelda überhaupt nach Schicksalshort fand, lange vor dem Brodeln von Links Bestimmung, lange bevor er überhaupt ahnte, wer er war.

„So oder so“, sprach Leon standhaft. „wir leben in einem riesigen Spinnennetz, wo jede Fügung zu einer anderen Abzweigung führt. Wir haben nicht den Einblick in die größeren Wahrheiten und können nur hoffen, dass wir nicht scheitern… gerade wegen dieser schicksalshaften Verkettungen kann auch ich mich nicht in alle Geschehnisse einmischen.“ Leon versuchte zu erklären, warum er sich in den Schatten hielt und zog dies mit einer argumentativen Brillanz an Links eigenen Wegen auf. Aber für ihn klang es mehr und mehr nach einer üblen Ausrede.

„Ist das also der Grund, weshalb Sie glauben, wir können nichts gegen die Abläufe auf dem Planeten Erde tun? Ist das ihre Entschuldigung dafür sich nicht einzumischen und bei all dem, was an Katastrophen auf der Welt geschieht, lieber Däumchen zu drehen?“ Vor Ärger und Anspannung klopfte Links Herz ihm bis in seine Kehle hinauf, eine dicke Blutader an seinem Hals pochte heftig, verriet den stürmischen Rhythmus seines gesunden Herzens.

„Link, bitte beruhige dich“, nun erschien Sian die Situation doch zu aufgewühlt und ohne Ziel. Es half niemanden, wenn Leon Johnson und der heimliche Heroe dieser Welt aneinander gerieten. „Wir wissen, dass durch Zarnas Splitter die Welt mit dunkler Energie, Ganons Energie, überflutet wird, wir sind nicht untätig“, erklärte Sian.

„Die zunehmenden Anschläge… und selbst die Naturkatastrophen sind also wirklich Ganondorfs abscheuliches Werk?“, sprach Link. „Wie ist das überhaupt möglich?“ Damit begegnete Leon erneut dem anklagenden Blick des Helden und schritt mit hängenden Schultern zurück zu seinem Platz. Er hatte noch nicht einen Bissen gegessen…

„Als es in Hyrule geschah… nannten wir es seine Verseuchung… weil er die Welt mit dunklen Energien überflutet hatte. Selbst magische Wesen wie Drachen unterlagen damals seiner blutroten, von Rache und Hass gesteuerten Energie, sie wurden befallen wie von einer ansteckenden Krankheit. Einfaches Volk, Soldaten, sogar ehrbare Ritter… sie alle fielen der Verseuchung zum Opfer, verwandelten sich in niedere Kreaturen mit bösartigem Willen. Es war ein Sturm des Elends, der damals über Hyrule zog, ließ die Sonne kaum mehr durch die Wolkendecke dringen, ließ die letzten Angehörigen der Völker in Angst und Schrecken leben. Die alternative Zeit… war das grausamste Martyrium, das sich Menschen vorstellen können… Genauso wie die Weisen und Zelda haben ich noch eine Erinnerung daran…“ Leon erklärte mit schwacher Stimme, in seinen himmelblauen Augen blitzte der namenlose Schrecken von Damals auf, als wurde er lebendig. Allein die von Leon beschriebene Vorstellung der alternativen Zeit löste bei Link Magendrücken aus. Plante Ganondorf das gleiche Grauen über die Welt hereinbrechen zu lassen wie damals in Hyrule? Link erhob sich und stützte seine flachen Hände auf dem Tisch ab. „Aber wenn wir das wissen“, mutig blitzten seine tiefblauen Augen auf. „warum tun wir nichts gegen Ganons dunkle Energie, wie können wir dagegen arbeiten?“

Darauf ließen sowohl Sian als auch Leon ihre Blicke zu Boden sinken. Erst jetzt realisierte Link die Ähnlichkeit der beiden in den Gesichtszügen und im Verhalten… beide verhielten sich auf ihre Weise so vorsichtig in Ausdrücken und in Bewegungen. Beide wirkten edel, geheimnisumwittert und wie aus einer anderen Welt… Sie konnten ihre Herkunft aus Hyrule genauso wenig ablegen wie Zelda…

Diese klagenden Schimmer aus Hyrule.

Eine weitere Erinnerung kroch umher und sank hinein in des Heroen Herz. Ein festlicher Saal… ein Thron… verziert mit Symbolen aus Hyrule, gegossen aus Gold…Armlehnen gepolstert mit royalem Blau.
 

„Link“, murmelte Sian, beinahe hingebungsvoll, sodass es jenem Burschen eine Gänsehaut über den Rücken jagte. „Wir haben jeden Tag nach einer Lösung gesucht, wir haben jedoch noch nichts gefunden, was gegen diesen Fluch arbeiten könnte. Wir haben nach einer Lösung gesucht, aber wir konnten keine Neutralisation finden… es ist uns kaum möglich gegen Ganondorfs Pläne zu arbeiten.“ Schuldbewusst wiederholte er sich mehrfach, bekräftigte seine Worte mit Nachdruck und lauter werdender Stimme.

„Das stimmt nicht ganz“, sprach Leon endlich und erzeugte weiteres Schuldbewusstsein in Sians Gesichtszügen. Konnte es sein, dass auch Sian nicht in alles eingeweiht war?

„Schon vor deiner Geburt“, begann der Schlossherr und blickte seinem Sohn mit einer schmerzenden Aufrichtigkeit entgegen, „habe ich nach Impa gesucht, erfreut dass ich unsere älteste Vertraute tatsächlich finden konnte. Dann, als ich mich erinnerte und Hyrules Geschichte auf mich einstürzte wie eine Lawine…“ Ein leichtes Lächeln in seinem Gesicht verriet, dass er große Stücke und eine unermessliche Dankbarkeit gegenüber Impa empfand. „Auch Darunia und Rauru zu begegnen war tröstlich. Und ja“, Leon fixierte Link schließlich mit seinen kristallblauen, klaren Augen, dieser beinahe unwirklichen Augenfarbe, „ja… wir haben uns damals schon Gedanken gemacht eine Bedrohung durch Ganon hier auf dieser fortschrittlichen Erdenwelt, einer Erde von so vielen, aufzuhalten.“

Leon erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen, als die junge Miss Schattener vor seinem Schloss hier in Irland stand, so hochgewachsen und kriegerisch wie sie immer war. Er erinnerte sich an ihre muterfüllten Augen, in denen Pflichtgefühl und Hoffnung sich vermischten. Und ab da begannen sie und die anderen inkarnierten Weisen nach und nach sich in den Verlauf der politischen Geschehnisse der Welt einzumischen, Kontakte zu knüpfen, immer aus den Schatten heraus zu interagieren. Und als andere Weisen wie Naranda Leader ebenfalls das Licht dieser Welt erblickten, wurden auch sie eingeweiht. Wachsam hielten sie die Augen offen, beobachteten die Geschicke der Welt, hofften und bangten in so vielen Angelegenheiten. Natürlich hatten die Weisen ihr Pflichtgefühl in den Dienst dieser Welt gestellt. Wie damals agierten sie im Untergrund um Ganondorfs Pläne zu vereiteln. Was sie jedoch nicht versuchten, war einen Weg zu finden Hyrule aus seiner verblassenden Gefangenschaft zu befreien…
 

„Moment… Darunia und Rauru sind ebenfalls… hier inkarniert?“ Link fiel vor Erstaunen die Kinnlade herunter.

„Wusstest du das nicht, Link?“, meinte Sian und zupfte sich am Kinn.

„Ich sehe schon, du bist mehr im Unklaren als ich dachte… ich verstehe nun, warum du so verärgert bist, Link.“ Leons Milde und Verständnis beruhigten den Heroen ein wenig. „Du kennst die beiden sogar. Richard Raunhold und Dr. Dar Gordon. Gemeinsam mit Ines haben wir bereits einige von Ganondorfs inszenierten Attentaten verhindert…“

Link klopfte sich frustriert gegen die Stirn. Aber ja, von Anfang an hatten die beiden sich seltsam verhalten, angefangen bei dem merkwürdigen Gespräch, dass Raunhold mit Direktorin Schattener geführt hatte. Nach und nach setzten sich alle Puzzleteile zusammen, nach und nach wurde alles so klar und verständlich. Nicht nur für seinen Weg ins Götterreich war er nach Irland gereist, erst jetzt erkannte er diese entsetzliche Notwendigkeit alles in seinem Leben neu zu bedenken und neu zu bewerten. Dann sah er nachdenklich zur Seite, edel, melancholisch. Sein Blick, der fern abseits der Welten lag, hüllte seine Silhouette in pure Schönheit.

Der Heroe seufzte. „Ich weiß einfach nicht, wie das alles sein kann. Hyrule war Wirklichkeit… erschreckende, so absolut heftige Wirklichkeit. Ich glaube, das werde ich nie wirklich in meinen Kopf kriegen…“ Er fuhr sich mit beiden Händen durch das wilde, heublonde Haar.

„Doch, Link, das wirst du“, sagte Leon, diesmal erhaben und stark. Es war das erste Mal, dass Link den Eindruck gewann eine wahrhaft mächtige Persönlichkeit verbarg sich hinter dem alten Schlossherren. Je mehr dieser Abend voranschritt, umso deutlicher legte Leon seine Maskerade ab, zeigte das stolze Gesicht eines Mannes der Tat. Verwundert blitzten Links tiefblaue Augen auf.

„Du hast alle Hürden gemeistert… immer“, sprach er, diesmal mit noch mehr Standhaftigkeit als vorher… mehr noch, in seinen faltigen Gesichtszügen ruhte ein Lächeln der Bewunderung. War das gerade wirklich ein Kompliment, das Leon über seine so ernsten Lippen brachte… mit seiner aufrichtigen, festen Stimme?

„Egal, welche Prüfung das Leben dir auferlegt hat, du hast dich immer dem Guten verpflichtet und alles gegeben für Hyrule, für die Königsfamilie… du hast alles gegeben, sogar dein Leben.“ Und eine weitere Stimmung atmend in seinen Worten empfing Link mit seinen Antennen. Schuldgefühle… erneute Schuldgefühle und sogar etwas Neid. Denn gerade Leon hatte niemals jene Opferbereitschaft und jenen Heldenstolz erklimmen können, den doch der einzig wahre Träger des Masterschwerts erreicht hatte. Ja, dachte der Heroe, Leon musste eine bedeutende Stellung in Hyrule eingenommen haben, und doch war er angesichts des Helden von Hyrule an seinen eigenen Prüfungen gescheitert… nur das Abbild eines Mannes, der alles verloren hatte. Alles… sogar seine Tochter.

Link ahnte es. Er sah diese wunderschönen himmelblauen Augen, die ihn über Zweifel und Grausamkeit belehrten… diese unentrinnbare Augenfarbe, die ihn in den Tiefen seiner Seele erreichte. Je mehr Leon an alten Wahrheiten über seine Lippen gleiten ließ, seien es Komplimente dem Heroen Hyrules gegenüber, oder Eingeständnisse seiner eigenen Fehler, seien es Versuche über politische Kontakte das Geschick der Welt zu verändern, umso mehr verriet er sich. Link ahnte nun sehr deutlich, wer Leon Johnson war und warum er sich so versteckt hielt.

„Hast du denn gar keinen Hunger mehr“, meinte Sian schließlich an den heroischen Blondschopf gerichtet. Er spürte die erstarrende Unbeugsamkeit dieser Konversation, die sich kaum verflüchtigte. Link schüttelte nur mit dem Kopf. Es war wohl das erste Mal, dass dem Helden der Appetit vergangen war. Er schwieg, verkrampfte sich beinahe an seinem Platz, die Hände auf den Tisch gelegt und schwieg…

Es war ja schön und gut, dass Leon ihn bewunderte… aber wofür? Es war nicht so, dass er in seinem jetzigen Leben auf der Erde irgendetwas Bedeutendes getan hätte. Es war nicht so, dass er auf dieser Welt in der Lage wäre der eine Held zu sein. Leon übertrieb mit seiner Bewunderung, mit seiner Hoffnung… und beinahe schürte es weiteren Ärger in Links Gemüt. Es war so viel einfacher die Verantwortung abzuschieben als selbst mit Ehrgeiz an der eigenen Reife zu arbeiten. Wie verteufelt das alles für Link war. Hier saß ein Mann wie ein König an seiner Tafel, erzählte von weit zurückliegenden Taten eines Helden ohne zu realisieren, dass dieser Held nichts getan hatte um an diesem Kampf mitzuwirken! Was waren schon seine billigen Versuche Dämonen auszuschalten, wo Hunderte nachkommen würden? Und was waren schon seine Bemühungen ein paar Dorfbewohner von bestialischen Splittern zu befreien? Selbst diese irrwitzige Fahrt in das Götterreich erschien dem Helden als so sinnlos, albern und unnötig. Was hatte es gebracht außer der Demütigung von Fierce Deity?

Das Götterreich…

Doch da schoss dem Heroen ein Geistesblitz durch den Kopf. „Was ist mit dem gereinigten Splitter?“, sprach er laut und eindringlich. Erneut erhob er sich, seine linke Hand zur Faust geballt. Leon stutzte und verzog das Gesicht mit Unverständnis, es machte sein Lächeln breit und unsicher. Sian hatte ihm also davon nichts berichtet, was Link beruhigte. Sian war absolut, in jeder Hinsicht vertrauenswürdig.

„Er muss einen Nutzen in dieser Situation erfüllen, das war es, was mir Hylia gesagt hat.“ Daraufhin ließ sich Leon geräuschvoll in seinen Sessel sinken und starrte Link auf eine Weise an, die er sich bisher nicht getraut hatte. Tiefsinnig, auf der Suche nach Hoffnung. Und Sian wirkte genauso schockiert wie zu dem Zeitpunkt, als Link von der Götterwelt zurückgekommen war. Daraufhin begann Link die Situation in knappen Worten zu erläutern und erzählte in wenigen Minuten von seinem Abenteuer in der anderen Welt. Leon und Sian waren fasziniert, dass Link der einstigen Schutzgöttin Hylia begegnet war, vielleicht vor allem weil es beiden das Gefühl schenkte, dass ein Kampf gegen Ganondorf doch noch möglich war, dass niemand aufgeben musste, auch in dieser ausweglosen Situation nicht.

„Ob wir diesen Splitter irgendwie vervielfältigen können?“, bemerkte der Schlossherr spitzfindig und zupfte sich an seinem grauen Bart. Seine Gesichtszüge wirkten plötzlich um zehn Jahre jünger, jetzt, wo er den mächtigen Arm von Glaube und Zuversicht spürte.

„Ich kenne einen Alchemisten“, sprach Sian laut. Mit seinen feuerroten Augen, die gerade auf eine besorgniserregende, euphorische Weise zu leuchten begannen, schien er nahezu zu explodieren. Endlich ein neues Ziel, auf das er zu arbeiten konnte.

„Einen Alchemisten?“, wiederholte Link, nur um sicher zu gehen, dass er sich nicht verhört hatte. „Jemanden, der ebenfalls aus Hyrule stammt?“

Sian nickte, eher beiläufig als interessiert und schien in seinen labyrinthischen, weitverzweigten Gedankensphären zu versinken. Er arbeitete an einem Plan, gerade in diesen wenigen Sekunden, verschalteten sich alle Neurone in seinem Kopf zu einer brillanten Idee. „Dieser jemand ist mir noch einen riesigen Gefallen schuldig, er wird diese Aufgabe für uns erfüllen.“ Sian sprach wie immer in seinen Rätseln und ließ Link bewusst nicht daran teilhaben.

„Schön und gut, aber was passiert dann, wenn wir diesen Splitter vervielfältigt haben?“, meinte Link. Hylia hatte nichts davon erzählt, wie man diesen Splitter in irgendeiner Form verwenden konnte.

„Wenn Hylia persönlich Zarnas Splitter umgeformt hat in etwas Reines, dann müssten diese Splitter in der Lage sein, die dunkle Energie Ganons aufzuheben“, erklärte Sian, ebenfalls eher nebensächlich und war bereits mit der Suche nach seinen Kontakten am Smartphone beschäftigt. Er erhob sich schließlich in Windeseile, machte deutlich, dass er nun einer wichtigen Aufgabe nachgehen würde. „Link, wir werden uns morgen früh sicherlich noch begegnen. Aber jetzt ziehe ich mich zurück, es ist dringend“, sprach er und lächelte. Und wie er plötzlich lächeln konnte. Als hätte er ein überschäumendes Glücksgefühl erfahren, hüpfte er aus dem Raum und ging seiner Aufgabe nach… Auch Link lächelte. Das war es also, Sian fühlte sich nur vollständig, wenn er gegen Ganondorfs üble Pläne vorgehen konnte. Er fühlte sich absolut glücklich, wenn er seinen Lebenszweck erfüllen konnte.
 

Aber plötzlich war die Atmosphäre hier im Raum nun doch etwas sonderbar… mit Leon Johnson alleine im Speisesaal zu sitzen, erschien dem Heroen irgendwie… merkwürdig. Auch der Schlossherr schien dies zu bemerken, räusperte sich und läutete eine kleine goldene Glocke, worauf in Windeseile die Haushälterin erschien. Dinafa war also immer noch hier im Haus, dachte Link. Schon immer fand er es befremdlich, wenn Menschen ihre gesamte Zeit in den Dienst eines anderen stellten… obwohl… hatte er dies nicht auch in der ein oder anderen Form gemacht? Wenn er wirklich am Hofe Hyrules gelebt hatte, dann hatte er seine gesamte Lebenszeit der Königsfamilie geopfert. Der Gedanke war unausweichlich. Ob er selbst damit glücklich gewesen war?

„Darf es noch etwas sein?“, sprach sie.

„Nein, ich bitte dich nun abzudecken, danke Dinafa“, murmelte Leon zufrieden. Und einmal mehr erkannte Link die Persönlichkeit, die vor ihm saß in allen Zügen. Ja, Leon wurde gerne bedient, vielleicht hatte er Dinafa deshalb eingestellt. Er mochte es seine wichtige Stellung mit Untergebenen zu spüren, sich hoheitlich zu fühlen…

Dinafa ignorierte nun auch Links Anwesenheit, bedachte ihn mit keinem Blick, was ihn nicht sonderlich beschäftigte und begann den Tisch abzuräumen. Link trank sein Weinglas leer und erhob sich, fühlte sich nun etwas unwillkommen und fragte sich, ob er nicht gehen sollte. War nicht alles… irgendwie… geklärt?

Dennoch… da brannten noch Dutzende Fragen auf Links Herzen. Ob Leon ihm etwas mehr darüber berichten konnte, wie sich die Vergangenheit für ihn gestaltete? Wenn er wirklich der Held der Zeit gewesen war, was hatte er nach den Ereignissen um Majoras Maske getan? Und wie war seine Stellung in Hyrule? Hatte er einen Platz am Königshof… bei Zelda?

„Link, es liegt mir fern, dich jetzt fortzuschicken“, betonte Leon, etwas zu sachlich. „Ich stehe zu meinem Wort von vorhin dich in alles einzuweihen.“

Der junge Held entließ einen entspannten Atemzug und bewegte lösend seine angespannten Schultern. Ja, er war tatsächlich angespannt in Leons Nähe, was ihn zu dem Verdacht brachte, dass es sich auch in seinem früheren Leben so verhielt. Steif, in starrer Haltung dem Regenten gegenüber, wie es die Regeln des Adels vorschrieben…

Gerade da zuckte ein Blitz über den Himmel, ließ Leon aufhorchen, sodass er in Richtung Tür trat. Ein Sturm näherte sich gefahrprophetisch, ein tosendes Unwetter, das unreine Absichten wegwaschen würde. Link hatte den Sturm vorhin schon in der Luft gerochen, salzig, neu und frisch…

„Folge mir, Link“, sprach Leon und der junge Mann folgte ihm, sich sicher, dass er damit ein Bündnis einging. Symbolisch trat er hinter ihm her, während der Himmel sich über ihnen entlud und große Regentropfen an die riesigen Fensterscheiben schwappten.

Stumm folgte Link dem älteren Herren, dessen dunkelroter Mantel am Boden schleifte. Er folgte ohne Widerworte durch eine weitere riesige Metalltür, lief eine Wendeltreppe immer weiter hinab und beobachtete stetig den Menschen vor sich und konnte sich trotz seiner Ahnung, wer er war, irgendwie keinen Reim aus ihm machen. Wenn er wirklich Hyrules Herrscher gewesen war, Zeldas Vater… ja, Zeldas Verwandter! Warum hatte Link nicht schon früher etwas von ihm gehört, dann als Zelda sich erinnerte und sie sich versöhnt hatten? Warum hatte seine Prinzessin kein Wort über Leon verloren? Das passte für Link nicht ins Bild. Da musste etwas sehr Dunkles oder Schmerzhaftes vorgefallen sein, dachte er.

Leon riss ihn plötzlich mit seiner kratzigen Stimme aus den Überlegungen. „Sian erzählte mir, du hast dein Schwert verloren.“

„Ja, das ist richtig“, sprach Link erklärend. „Es ist mir nach dem Drachenangriff... abhanden gekommen.“ Sie traten den Turm hinab, wo groteske Holzschnitzereien an den Mauern den Zugang zu den Kerkern bewachten. Unheimlich war es hier, dachte Link, dunkel, und außen heulte der Sturm wie ein klagender Geist.

„Was ist schon ein Held ohne Schwert?“, meinte Leon und Link konnte anhand seiner sachlichen Stimme nicht erkennen, ob dies mit Sarkasmus oder Bemühen Link gegenüber über seinen Mund gelangte. „Ich möchte dir gerne das Angebot machen“, erklärte der Mann weiterhin, „dich von unserer Waffenkammer zu bedienen.“

Link grinste über beide Ohren, denn der Verlust seines Schwertes hatte ihm schon beträchtlich zu schaffen gemacht… für ihn war es mittlerweile ein bedeutender Teil seines Daseins, er brauchte das Gefühl einer kraftvollen Klinge in der Hand um sich als Held zu bestätigen. „Sie leihen mir wirklich ein neues Schwert, wirklich?“ Link grinste nicht nur, er strahlte!

„Nein, ich schenke es dir sogar“, sprach der Mann und trat ohne jedweden Blick weiter. „Und bitte Link, du bist wirklich der letzte Mann, der mich so höflich ansprechen sollte…“ Link verstummte einmal mehr angesichts der vielschichtigen Melancholie in Leons Stimme. Wenn er ein König war, sollte er es nicht genießen mit Achtung und Würde, ja sogar einer höfischen Anrede angesprochen zu werden? Auch das passte für den jungen Helden nicht ins Bild. Da waren Momente an diesem Abend, die Link mit nahezu hundert prozentiger Sicherheit die Identität Leons bestätigten und dann wiederum zeigten sich so viele Zweifel… Zweifel, die Leons Lebenskraft wie Blutegel aussaugten.

Vor den Türen zu den Verliesen, Waffenkammern und Vorratskellern blieben sie stehen. Leon öffnete die großen dunklen Tore knarrend, sodass ein Schwall hässlicher Staub aufgewirbelt wurde und Links spitze Nase kitzelte. Es musste eine Weile her sein, dass jemand sich hier aufhielt. Leon entzündete eine Fackel und schritt vorwärts, als floh er mit dem lichten Feuer durch ewigscheinende Katakomben… eine weitere Erinnerung brannte in dem Heroen, entzündete Aufregung und ein pochendes Gefühl in seiner Kehle. Eine Erinnerung an Hunderte Träume, wo Fackellicht ihn begleitete… ein bisschen Wärme in den dunkelsten Ecken der Welt.
 

In der stillen Waffenkammer angekommen konnte Link seine Augen von den ganzen Waffen nicht mehr abwenden. Äxte, Bögen, Dolche und Unmengen von Schwertern… sogar Schilde… aufgetürmt in staubigen Vitrinen, an den Wänden hängend, sodass kaum Mauerwerk sichtbar war. „Sagenhaft“, murmelte Link. „Ich habe noch nie so viele Waffen auf einem Haufen gesehen.“ Er war überwältigt von der Waffenkammer, fragte sich aber sogleich wozu Leon überhaupt eine besaß. So wie die Waffen hier verwahrt waren, musste der Schlossherr sogar schon vor Sians Geburt begonnen haben diese zu sammeln.

Als ob Leon die Gedanken des jungen Mannes gelesen hatte, sprach er: „Tatsächlich habe ich mich sehr früh auf eine Wiederkehr Ganons vorbereiten wollen…“

„Sie… ich meine, du hast dich schon sehr früh an Hyrule erinnern können?“, meinte Link leise, als ob ihn die Ehrfurcht vor so viel Stahl erblassen und verstummen ließ. Seine tiefblauen Augen wanderten fasziniert umher, beinahe ruckartig las er die Realität. Er hatte vielleicht zu spät realisiert, wie bedeutend die Frage für sie beide war.

„Seit ich denken konnte…“, Leons Stimmte zitterte angesichts dieser Frage. Der Kummer, den er immer versuchte zu verbergen, trat mit jener Frage an die Oberfläche. „Link, wenn du dir ein Schwert ausgesucht hast, musst du mir noch zu einem weiteren Raum folgen“, sprach er benommen, etwas geheimnisvoll, sodass der Held ihn musterte.

„Ich möchte, dass du auch für… Zelda einige Waffen aussuchst. Sei bitte nicht sparsam und nimm‘, was dir wichtig erscheint.“ Allmählich kam dem Helden dieser alte Herr wie ein reiner Verschwender vor, wie jemand, der genug Geld hatte, sodass es beinahe keinen Wert mehr besaß… Jemand, der gelernt hatte den Wert der Welt nicht mit materiellen Dingen zu füllen… Jemand, der erst alles verlieren musste um zu dieser Form von Lebenserfahrung zu gelangen.

Jemand, für den Link gerade jetzt nur ein trostloses Gefühl hatte. Mitleid… unermessliches Mitleid. Der Kummer in Leon kristallblauen Augen erzählte von seiner eigenen Verdammnis und einer fehlerbeladenen Bürde, von einem Wahren seines hoheitlichen Gesichts und Stellen von Erwartung über Erwartung an alle Wesen in seiner Umgebung, wo kaum Platz war für Bedürfnisse von ehrlicher Zuneigung, wonnevoller Wärme und tröstender Gesellschaft. Die Zwänge seines eigenen Hofes hatten ein leeres Gefäß aus ihm gemacht…

Und noch etwas fiel dem Heroen auf… legte sich wie ein Schatten nieder in seine Gedanken… die verstockte Art und Weise wie er den Namen der Prinzessin des Schicksals aussprach. Beinahe mit Bedauern… beklemmend und furchtsam.

Zelda… Link suchte in seinen Gedanken nach dem schönsten Bild von ihr und konnte doch nicht anders als nur an den märchenhaften Traum zu denken, den er vor wenigen Tagen träumte. Zelda, ihre seidenen Haare im kupfernen Feuerschein hochgesteckt, mit ihrem samtroten Nachtgewand… Sorgfältig überlegte der Heroe welche Waffen für seine Prinzessin von Vorteil wären. Mit welchen Waffen konnte sie umgehen? Link entschied sich schließlich für einen hochwertigen Bogen, beinahe wie ein Elfenbogen geschmiedet mit Geduld und Hingabe, kunstvoll, vielleicht unnötig verziert. Und endlich betrachtete Link die Schwerter in den Vitrinen, bis eine Waffe ihm unvermittelt ins Auge sprang. Silberner Griff, eher schlicht gehalten, ein royalblaues Emblem der Königsfamilie Hyrules war in die Klinge eingefasst. Ein wunderbarer Einhänder. Link konnte förmlich riechen wie edel der Stahl war.

„Nimm‘ es, Link“, sprach Leon. „Es ist das beste Schwert in meiner Sammlung, ein Schwert, das ich als Nachbildung für mein eigenes aus Hyrule schmieden ließ… perfekt ausbalanciert, noch nicht einmal benutzt… aber ich garantiere dir, es strotzt vor Willen und Kraft. Die perfekte Waffe für einen Helden.“

„Das kann ich nicht annehmen“, sprach der Beschenkte. Ungläubig blickte er in die vor Staub triefende Vitrine. Die Waffe schimmerte durch den Sand der Zeit, als bettelte sie benutzt zu werden.

„Doch Link, du musst. Mehr kann ich dir nicht bieten… und ich wünschte, ich könnte es. Du hast keine Ahnung davon, wie sehr ich in deiner Schuld stehe.“

Nein, das wusste Link nicht, all‘ diese Einsichten lagen in einer fernen Vergangenheit verschüttet. Und genau diese Fehlbarkeit drückte grausam an Links reinem Herzen…

Er schluckte und verbat sich tiefer nachzubohren. Oder sollte er Leon Johnson, nein, den König von Hyrule, wirklich nach der Vergangenheit fragen? Link rang mit sich, aber wusste, er konnte dabei kaum sachlich bleiben, da war so viel Unverständnis und Zorn in ihm, dass er dem einstigen Regenten sicherlich Vorwürfe machen würde. Wortlos öffnete der junge Heroe den Glasbehälter und nahm die edle Klinge an sich, irritiert über die angenehme Schwere der Waffe und etwas verwundert wie gut sie in seiner linken Hand lag. Hatte Leon dieses Schwert tatsächlich für sich selbst hergestellt?

Der Schlossherr lächelte, ein heimlicher Triumph flackerte in seinen Gesichtszügen auf wie blaues Feuer. Er war äußerst zufrieden Link diese Waffe zu überlassen und verschleierte seine Gedanken nicht. Er winkte dem Heroen zu, der sich angesichts der Geschmeidigkeit und Schönheit der Klinge kaum davon losreißen konnte und schritt aus dem Raum. Link folgte mit einem hinterhältigen, gutmütigen Grinsen.
 

Schließlich betraten sie ein weiteres großes Gewölbe, riesig, uralt und abgestützt mit teilweise zerborstenen Holzpfeilern, düster und leer, als Lichtquelle nichts außer einigen Fackeln an den Wänden, die auf seltsame Weise ewig zu brennen schienen. Nur ein hoher Spiegel in Form eines Dreiecks ruhte wie ein alter Zeuge in der Mitte des Raumes. Das Gewölbe wirkte wie ein Endgegenerraum, dachte Link, als hätte eine fremde Macht einen jener Räume in diese Wirklichkeit transportiert, vollkommen kahl, gigantisch für nur einen Spiegel, der jedoch mehr als ungewöhnlich war. Ein hoher Standspiegel, auf dessen Oberfläche Unmengen von Staub lag, und er besaß in die Höhe zulaufend drei Flächen, pyramidenartig…

Als Link näher trat, stellte er jedoch fest, dass es sich nicht um Staub handelte, sondern, dass das Spiegelglas so neblig und rau war, undurchdringlich an jeder der Seiten. Und obwohl der grünbemützte Erdenbewohner sich selbst nicht erblicken konnte, der Spiegel nichts wiedergab, das real war, so spürte er eine beinahe magnetische Anziehungskraft, die ihn forderte und verhinderte, dass er sich dem Blick in den Spiegel entzog.

Da waren die dichtesten, breitesten Nebelschleier, die auf dem Glas vorüberzogen, als würde man auf dunkelgrauen Gewitterwolken schweben und durch sie hindurch sehen wollen, um die Erde zu erblicken, um zu erkennen, dass der Nebel schmolz… Argwöhnisch trafen Links tiefblaue Augen jene des vergessenen Herrschers, der an der Eingangstüre trat, zu ängstlich, was der Spiegel doch wiedergab, zu wissend, was dort als zermürbende Erinnerung ruhte. Leon hütete so viele Geheimnisse, so vieles, dass er kaum preisgeben wollte und vielleicht war es ihm schwergefallen dem einstigen Helden Hyrules diese Gegebenheit zu erklären, beinahe so, als würde er sich schämen…

Link legte eine Hand auf das raue Glas und konnte nicht definieren, was geschah, konnte kaum begreifen, welcher Mechanismus diese Arbeit ermöglichte und welcher Macht diese Ingenieurskunst zugrunde lag. Link sah nur fremdländische Symbole an der Fassung des Spiegels, dumpfes, bläuliches Leuchten, das ihn an etwas erinnerte. Aber ja, dachte er, Symbole der Shiekah fügten dieses Meisterwerk eines Spiegels zusammen. Und als Link wusste, dass dieser Spiegel vielleicht mehr wie ein Computer funktionierte, wusste er auch, woher er stammte. Die Shiekah hatten ihn konstruiert, er stammte aus Hyrule, ebenso wie einige Gegenstände, die der Fürst des Schreckens für seinen Plan verwendet hatte. Link grübelte innerlich weiter, und ahnte, dass es irgendwo auf der Welt einen verborgenen Zugang nach Hyrule geben musste. Wie sonst kamen diese Gegenstände hierher?

„Leon, warum zeigst du mir das?“ Und Link ließ seine Hände vom Glas sinken.

„Sieh‘ hinein, Link, solange du nur standhalten kannst.“

Link folgte der Aufforderung ohne wenn und Aber, aber vor allem wohl deshalb, weil Leons Sätze nach Risiko klangen. Oh ja, er konnte standhalten. Leon forderte ihn heraus mit verbotenem Ehrgeiz, und wusste wohl genau, das Link darauf anspringen würde.

Und als der junge Heroe erneut den Blick in dieses milchig weiße Glas sinken ließ, und auch beide Hände mit Nachdruck spüren wollten, welches Rätsel dieser Gegenstand hütete, war da eine neue Anziehung, magnetisch, als versuchte der Spiegel den Helden mit aller Gewalt an sich zu binden, drückend, reißend. Und Link hielt stand, blickte hinein, immer weiter und weiter durch die verschlingenden Nebel bis er diesen als unersättlichen, fauligen Alptraum erkannte… Und genau da zerbrach für ihn das raue Glas, eine Barriere irgendwo in seinem Kopf, die Schleier verpufften wie Dekubomben und sichtbar wurde eine vielschichtige Landschaft der grünen Hügel, Gebirgsketten und weiten Wiesen. Verstört wich Link zurück, aber das Bild blieb, auch als er seine Hände vom Glas löste, auch als er mehrere Schritte zurücktrat. Selbst dann als er kurz zu Leons trübsinnigem Gesicht blickte.

Link kannte die Antwort längst, brauchte nicht einmal seine Stimme zu erheben, als der vergessene Regent es bereits bestätigte.

„Hyrule“, sagte er leise. Es fiel ihm schwer, den Namen jenen Landes auszusprechen, ungeheuer schwer. Seine verbrauchte, kratzige Stimme zitterte, beklemmend wie zu dem Zeitpunkt, als er Zeldas Namen über seine vernarbten Lippen gleiten ließ. Link sah die Verbitterung, die kaum enden wollende Traurigkeit in seinen schönen Augen, dieser saphirblauen Farbe, die ihn immer wieder mit so viel Hoffnung erfüllen konnte. Diese Farbe, in der er so gerne versank… Es konnte keinen Zweifel mehr geben, dies war Zeldas Vater, definitiv, dachte Link.

Leon lief auf den Spiegel zu, mit schweren Schritten leise und standhaft zugleich hauchend: „Es war mir immer möglich das alte Land zu beobachten, Link. Das, was von Hyrule noch geblieben ist… Genauso, wie ich Zeldas Antlitz manchmal erblicken konnte, Zelda… der Juwel Hyrules… wie ein Gespenst in den Gefilden des vergessenen Reiches ist sie umhergewandelt. Ich habe viele Jahre mit angesehen, wie sie sich selbst mit Einsamkeit bestrafte, mit diesem herben, dummen Glücksentzug, da sie davon überzeugt gewesen ist, die Schuld am Untergang Hyrules zu tragen. Aber es war nie ihre Schuld.“ Damit wand sich Leon um seine Achse und blickte direkt in Links tiefblaue, ernste Augen, Scheu und Scham sprachen aus seiner Mimik, so viele Schuldeingeständnisse, dass es Link die eigenen Augen verschließen ließ. Es schmerzte wie Leon über Zelda sprach, diese tiefe Zuneigung überschattet mit Hilflosigkeit.

„Ich konnte nicht länger mit ansehen, wie sie litt…“ Er schwankte nun ein wenig, und erst da bemerkte Link trotz dieses muskulösen, breiten Körpers den schwachen Zustand des Mannes. Die Erinnerung an Hyrule musste an ihm gezehrt haben wie ein Hirnsauger, einer ekelhaften Monsterart in Hyrule, die nur an den dreckigsten Orten zuhause war.

„Deshalb bat ich die Götter der alten Welt um einen letzten Gefallen. Ich habe gebetet, sie mögen Zeldas Seele endlich erlösen und sie zu guter Letzt ihr Glück finden lassen. Ich konnte nicht länger ertragen, wie sie sich selbst zerstörte. Vor einem halben Jahr geschah schließlich etwas, womit ich nicht mehr gerechnet hatte. Zeldas Seele gelangte in diese Welt und ihrer Reinkarnation wurde ein neuer Anfang gewährt.“

Links tiefblaue Augen füllten sich mit all den aufrichtigen Empfindungen seiner Prinzessin gegenüber, und sanken zu Boden. Leon war sich nicht sicher, ob der Heroe für seine Prinzessin tatsächlich Tränen vergießen zuließ. Aber der tapfere Jüngling schwieg, sein Herz beladen mit Schmerz und Kummer. Die reuevolle Empfindung Zelda im Stich gelassen zu haben brannte wie im Götterreich…

Leon sprach weiter, als sich das Spiegelglas stabilisierte und der Spiegel seinen Einblick beendete. „Dennoch… dass die Prinzessin ausgerechnet von dir gefunden wurde, war wohl eine Fügung des Schicksals. Nicht einmal die Weisen hätten ahnen können, dass du es schließlich warst, der Zeldas Rufe hören würde.“ Dann zeigte sich ein stolzes Lächeln auf Leons Gesicht, und mit jenem Lächeln zeigte sich das erste Mal eine beinahe väterliche Seite des gefallenen Regenten. Ja, er respektierte Link, achtete ihn und vertraute ihm wie einem Sohn.

„Und es war nicht Zelda oder mein Gebet allein, das ihre Rückkehr in Gang setzte. Ich vermute, du warst es… du hast sie zu dir gewünscht, auf eine faszinierende, aufrichtige und tapfere Weise, es war deine starke Seele… weil du sie brauchst… Du hast einen Wunsch ausgesprochen, der ein so machtvolles Relikt wie das Triforce nicht benötigt hat. Das lässt uns zweifeln, ob wir in unseren Herzen nicht noch größere Mächte tragen…“

Und erneut lächelte Leon ergeben, als wollte er vor Link auf die Knie sinken. Dies war einer der Gründe, warum er in Links Schuld stand, soviel verstand der junge Mann. Zelda war vielleicht nur wegen Link in diese Welt gelangt… aber war das wirklich das, was die Prinzessin des Schicksals wollte?

Entgegen des dankbaren Lächelns, das Link in Leons alten Falten entstehen und blühen sah, verspürte er trotz allem nur Härte und eine weitere Kette an Vorwürfen, die in ihm hochkochten. Dass Leon im Endeffekt nur auf Links Einmischen gewartet hatte, machte ihn traurig und wütend. Er hatte jahrelang zugesehen wie Zeldas Gleichgewicht an ihrem unnötigen Halten an Hyrule zerbrochen ist. Er hatte einfach nur zugesehen und erst dann etwas getan, als Link bereits siebzehn Jahre auf dieser Welt gelebt hatte?

Ein simples Warum schallte durch Links Gedanken… ein weiteres Warum, diesmal unverständlicher, zorniger… und noch eins. Warum! Bis das Warum so laut in ihm brüllte, dass er es nicht mehr aushielt!

Warum habt ihr alle versagt!

Er erhob das Wort wie ein Gott, stur und grimmig, beinahe so wie der Tonfall des Kriegergotts in dem Götterreich gewesen war. „Warum hat keiner von euch versucht sie früher dort rauszuholen?“ Erbarmungslos krachte seine Stimme in dem düsteren, kargen Gewölbe nieder, so laut, dass es dieses Gemäuer verließ.

„Zelda ist gebrochen… Sie ist innerlich völlig zerstört, traurig und ohne jedwede Hoffnung. Selbst als sie sich nicht erinnern konnte, hing er schon über ihr, dieser krankhafte Schatten und nicht einmal ich habe es verstanden, als sie in diese Welt kam…“ Link erschrak er an der Gewalt seiner eigenen Worte, aber die Vorwürfe platzten aus ihm heraus wie vergessene Magie. „Zelda leidet, sie leidet mehr als wir alle erahnen können… Und niemals würde sie es zugeben, sie würde immer ihre Fassade aufsetzen, schauspielern. Und du stehst hier um mir zu danken für deine Unfähigkeit deine eigene Tochter aus der Hölle eines verblassenden Hyrules herauszuholen. Du thronst hier und schmeichelst mir für etwas, das weder Dank noch Lob erfordert…“ Aufgeregt brachte Link sich kaum unter Kontrolle, fühlte seine Lunge angesichts der tosenden Stärke seiner Stimme dampfen. „Du weißt nichts darüber, was sie seit dem Wiederfinden ihrer Erinnerung mit sich herumschleppt. Du weißt nichts darüber, wie schlecht es ihr geht. Und ich habe mit meinem dummen Verhalten alles noch schlimmer gemacht… weil auch ich es nicht verstehen konnte. Sie konnte nicht ehrlich sein, nicht sagen, dass sie Angst hat, dass sie sich einsam fühlt, auch mir gegenüber nicht, weil man ihr mit königlichen Absichten scheinbar aberzogen hat, dass es in Ordnung ist, auch einmal schwach zu sein und Angst zu haben…“ Der Held schnappte nach Luft und konnte nicht fassen, dass er so die Kontrolle verloren hatte. Er war nicht der Typ für Gefühlsausbrüche oder anklagende Reden und nun…

„Es tut mir leid…“, sprach er dann, benommen, fasste sich schuldbewusst an die Stirn und trat in Richtung Ausgang. Tief atmend lehnte sich der junge Held an die eisige Kerkertür. ,Toll gemacht, du Held‘, tadelte er sich in Gedanken. Er konnte nicht vor Hyrules König so in Wut und Zweifel versinken… das war schlichtweg unnötig und keine Hilfe für irgendwen.

Mit Milde und einer Form von gruseliger Unerschrockenheit trat Leon hinter Link und er wirkte nicht verärgert noch verzweifelt. Er legte dem Heroen eine mitfühlende Hand auf die Schulter. Ja, er hatte Links emotionalen Ausbruch und Zorn kommen sehen, natürlich hatte er das… Er wusste um seine Fehler und würde dem Helden für diese Worte eher danken als ihn zurechtstutzen. „Nein, mir tut es leid… und es ist richtig, Link. Ich habe an mir selbst versagt…“, sprach er. Die unerschütterliche Ruhe, die Leon ausstrahlte, beruhigte den Helden und seine Wut flaute ab… verschwand nicht, aber flaute etwas ab.

„Deswegen musste ich trotzdem nicht so ausrasten…“, entschuldigte sich der Heroe zähneknirschend.

„Ich ahnte, dass sie dir nichts erzählt hat…“, murmelte Leon noch.

„Nein… und ehrlich gesagt, ich war… einfach naiv…“ Link ballte seine Fäuste. „Wenn ich zuhause bin, werde ich Zelda darauf ansprechen. Ich werde versuchen mit ihr zu reden… vielleicht…“ Er sprach nicht weiter und ließ die Worte im Raum stehen. Er hoffte auf dieses Vielleicht… vielleicht konnte sich Zelda ihm öffnen und anvertrauen.

„Tu’ das, Link. Ich würde sie gerne sehen“, gestand Leon und noch immer kein Anzeichen von Verärgerung in seinem Gemüt. Auch er hatte wohl die Zwänge des Hoflebens lernen müssen, hatte gelernt eigene Sorgen zu verbergen.

„Das wirst du. Irgendwann werde ich euch mit ihr besuchen kommen.“ Leon lächelte aus seinem alten Gesicht hervor, während Links Stimme hoffnungsvoll erklang. „Zelda wird ihren Vater sicher ebenso gerne sehen wollen.“

„Du hast mich ziemlich schnell durchschaut, nicht wahr?“

Link nickte. „Ja… es war deine Augenfarbe, die Zelda geerbt hat…“

Leon seufzte. Es irritierte ihn, dass es so offensichtlich für den Heroen war. Mehr und mehr erkannte der vergessene Regent den jungen Helden aus der Vergangenheit wieder. Und vielleicht erschreckte es ihn sogar, stachelte einen Hauch Neidgefühl an. Denn Link war seiner Tochter emotional immer näher als er es als Vater sein konnte. Sogar jetzt. Ob Leon Johnson wusste, dass der Heroe seine Prinzessin vergötterte? Wusste er es in der Vergangenheit?

„Warum hast du dich bei Zelda nicht gemeldet, oder… habt ihr bereits Kontakt?“

Leon schüttelte den Kopf, während er mit der Fackel in der Hand zurück in die Gänge trat. Er überlegte die Antwort sorgfältig. „Nein, wir haben noch keinen Kontakt, Link… Du bist da schon richtig informiert“, erklärte er. Schwermütig trottete er weiter durch die finsteren Gänge. „Ich wollte ihr damit Zeit lassen“, sprach er weiterhin und richtete ferner sehr ehrliche, aufrichtige Worte an Link. „Unser Verhältnis war in Hyrule nicht das Beste. Sie hat in ihrer Situation, mit all dem Kummer weder mich noch sonst jemanden gebraucht. Sie brauchte nur dich…“ Die Worte schickten eine bedrängende Gänsehaut über Links Rücken. „Wie auch nicht… Ich weiß schließlich, dass eure beiden Seelen verdammt wurden immer dann, wenn Hyrule in Gefahr schwebt, wiedergeboren zu werden. Dieses Schicksal bindet euch aneinander, egal, ob es euch gefällt oder nicht.“

Link schluckte auf diese Aussage. Was sollte er damit anfangen? Waren er und Zelda in der Vergangenheit mit Desinteresse aneinander in die Kämpfe gegen Ganon gegangen?

„Aber… ich kann dir versichern, dass ihr euch mochtet.“

Link nahm einen tiefen Atemzug. Das war zumindest ein beruhigender Gedanke. „Du weißt es, ich meine… dass ich die Wiedergeburt des Helden der Zeit bin?“, murmelte Link und folgte dem festen, langsamen Schritt des einstigen Herrschers irgendwie andächtig. Bemüht genauso langsam vorwärts zu schreiten, tapste er hinter ihm her.

„Allerdings. Und so wie du auftrittst, irre ich mich dahingegen nicht. Schon damals warst du so neugierig wie jetzt und kaum mit einer einfachen Antwort zufrieden. Dreist und schweigsam warst du damals gelegentlich… Ich erinnere mich daran, als du dich heimlich ins Schloss von Hyrule gestohlen hast, um Zelda zu sehen. Ich habe dich einige Male beobachtet, habe dich aber nicht daran gehindert.“ Ein Grinsen spielte um Links Lippen. Er hatte sich ins Schloss gestohlen… wie hinterhältig musste er gewesen sein!

„Nein? Wieso? Ich glaube nicht, dass ich das Recht dazu hatte.“

„Die Befugnis hattest du bei Weitem nicht, aber meine Tochter hat sich immer auf deine Besuche gefreut. Das konnte ich ihr nicht verbieten, da sie zu mal so wenig von ihrem Leben hatte.“ Sie schwiegen für eine Weile, während außerhalb der Sturm mit peitschendem Regen und Hagel über die Grafschaft hinwegdonnerte. Es hatte abgekühlt und war äußerst ungemütlich geworden.

„Habe ich Zelda oft besucht?“ Wenn Leon schon etwas über das Leben in Hyrule berichtete, würde Link weiter nachbohren. Er konnte sich nicht erinnern, also stand es ihm nur zu nachzufragen.

„Du warst ihr bester Freund, ja, das hast du.“ Link strahlte innerlich. Verdammt, dachte er, es tat so gut etwas über die Vergangenheit zu erfahren, zu wissen, wie er war… zu wissen, dass er für seine Prinzessin da war.

„Außerdem, hast du schon damals Anteilnahme und die Bereitschaft zu helfen für jeden Menschen gezeigt, ohne etwas dafür zu verlangen… wie auch heute.“ Sollte das ein Kompliment sein?

„Ich bin nicht so gut wie alle denken… ich kämpfe andauernd innerlich mit meinen Zweifeln“, erklärte er.

„Das macht dich ja auch aus, was?“

Link wusste, wovon der Schlossherr sprach. Jeder hatte seine Zweifel, bedeutsam war es, zu den eigenen Entscheidungen zu stehen und sich immer treu zu bleiben, der Held zu bleiben, der er sein wollte. Das machte Link aus und machte ihn stark. Er besaß seine Ideale, die er niemals hintergehen würde.

„Dennoch… wenn ich ehrlich bin“, gestand er. „… habe ich viele Hürden und Kämpfe… doch nur für Zelda gemeistert.“ Etwas Scham kroch über seine Wangen hinweg, machte seine Gesichtszüge unschuldig und gutmütig.

„Und“, lachte Leon, überwältigt von so viel Aufrichtigkeit und Treue. „ist das ein Problem?“

Zwinkernd sah Link auf. Ja, dachte er, Leon wusste es. Leon wusste, dass er Zelda begehrte. War es etwa für Leon Johnson in Ordnung? Der Gedanke ging genauso wie ein Donnerschlag außerhalb in Links Gedanken nieder und erschreckte ihn. Wusste der König von Hyrule etwas über Link und Zeldas Beziehung oder wie auch immer der junge Held ihre Verbindung bezeichnen konnte?

„Ich glaube nicht…“, sprach Link fragend. „… dass es da ein Problem gibt.“

Und Leon lachte nur, so befreiend mit seiner rauen Stimme, dass es Link das Schamgefühl aus dem Körper entweichen ließ. Wenn es lustig war, war es sicherlich kein Problem…

„Link, du kannst dir sicher sein, dass ich nur dir mit weitem Abstand meine Tochter Zelda anvertrauen würde, vor allem, wenn es darum geht sie zu schützen“, sprach Leon und erneut spielte ein geheimnisvolles Lächeln um seine Lippen. Ein Lächeln, das tiefere Gefühle verbarg als Link erahnen konnte. Was mochte diese Aussage bedeuten? In welchen Belangen sonst noch würde der König Hyrules nur ihm seine Tochter anvertrauen?

Unschlüssig folgte Link dem älteren Herren zurück in das Erdgeschoss und obwohl ihm noch viele weitere Fragen auf der Seele lagen, so stellte er sie nicht. Es war ohnehin schon so spät, weit nach Mitternacht. Der Abend war lang genug gewesen und Link musste noch ein paar Stunden Schlaf finden ehe er Irland morgen verließ. Link begann leicht zu gähnen, streckte sich und Worte des Abschieds lagen auf seinen erneut geschlossenen Lippen. Alles, was er gerade noch spürte war Dankbarkeit und Hoffnung. Trotz seines von Anklagen geplagten Gemüts fühlte er sich… irgendwie erleichtert. Es hatte gut getan Leon Johnson kennenzulernen und dessen Sichtweise über alles zu erfahren. Außerdem beruhigte es Link, dass die einstigen Weisen Hyrules tatsächlich gegen Ganondorfs finstere Pläne arbeiteten…
 

„Ich sehe schon, es ist reichlich spät. Willst du denn hier übernachten, Link?“, sprach Leon. Link wollte zunächst ablehnen, aber warf dann einen Blick hinaus in die vom Sturm beherrschte Welt. Es war mehr als ungemütlich draußen.

„Ähm, das wäre toll, wenn es nicht zu viele Umstände macht“, sprach er… irgendwie tollpatschig.

„Aber nicht doch“, entgegnete Leon, rief erneut seine Haushälterin, worauf jene dem Heroen eines der Gästezimmer zuwies. Mit einem Gutenachtgruß entfernte sich Leon Johnson und verschwand in der Bibliothek. Nachdenklich tapste Link der schweigenden Haushälterin hinterher und versuchte sich alle Details des Gesprächs erneut in Erinnerung zu rufen. Ja, irgendwie fühlte sich der junge Held nach der letzten, anstrengenden Woche hier in Irland, erschlagen… nicht wegen des wenigen Schlafs der letzten Tage, sondern eher, weil ihn das Wissen über Hyrule mehr belastete als er dachte…
 

Natürlich war ihm wohl dabei, endlich zu wissen, was vor einem halben Jahr geschehen war. Es half ihm die aus Unverständnis geborene Wut abzulegen. Und dennoch… zu verstehen, sich zu erkennen, war aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Und dann erdrückte ihn die Last seines eigenen Pflichtgefühls. Egal wie viel er aus Hyrules Geschichte erfuhr, es änderte nichts daran, dass er sich eines Tages Ganondorf entgegen stellen musste. Es änderte nichts daran, dass sein Schicksal erfüllt werden musste…

Link seufzte, als er begann sich in dem geschmackvollen Gästezimmer umzublicken. Er war so in seine Gedanken versunken, dass er die merkwürdige Haushälterin Dinafa erneut nicht wahrgenommen hatte. Still trottete sie hinter ihm her, aufgetakelt, kaum als Dienstmädchen erkennbar, wäre da nicht der Stapel frischer Bettwäsche auf ihren Armen. Auch sie hatte bisher kein Wort verloren und huschte in dem Gemach umher um dieses seit Ewigkeiten nicht mehr benutzte Quartier als vorzeigbar darzustellen. Sie entzündete einige Kerzen, denn Strom gab es hier in diesem Bereich des Schlosses nicht. Sie überzog das Bett, putzte mit einigen Handgriffen das Badezimmer, das sich angrenzend befand. Spärlich war der Raum eingerichtet und doch gemütlich mit diesem altehrwürdigen Himmelbett, antiken Möbelstücken, Wappen und Schilden an den Wänden… erneut diese weinroten Farben, warm, besinnlich, verführerisch. Das dämmrige Licht trug ebenfalls zu dieser sehnsuchtsvollen Stimmung bei, ließ Link träumen…

Genauso still wie sie erschienen war, aber mit einem starren Blick in seine tiefblauen Augen, stechend, als ob für sie die Zeit stoppte, verließ sie den jungen Mann. Und kurz bevor sie ging, war da ein erinnerndes Funkeln in dunklen Augen, zu kurz als jenes als real zu definieren. Link zwinkerte und konnte nicht sagen, ob er sich diesen Schein gerade eingebildet hatte. Er schüttelte sich, gähnte erneut und kam sich albern vor. Diese Dame war eine Irländerin, warum sollte er gerade ein übernatürliches Glühen in ihren Blicken wahrgenommen haben. Link tapste gähnend ins Badezimmer und der Gedanke an Dinafa, die Haushälterin, erlosch.

Nachdenklich tauchte er sein Gesicht in kühles Wasser und kam nicht umher, sich zu wünschen, sie wäre jetzt bei ihm, sie… sein warmes Licht, welches ihn immer wieder anzog. Leicht genervt tupfte er sich das Wasser mit einem weichen Handtuch vom Gesicht und hatte nur ein Wort in seinen Gedanken.

Sehnsucht…

Sehnsucht nach gestern.

Sehnsucht nach der Wahrheit und eine übertriebene Sehnsucht nach Zelda…

Und schon wieder dachte er an sie, obwohl er sich geschworen hatte, den Rest des Urlaubs nicht an sie zu denken, obwohl…

Aber war Sehnsucht denn gerade jetzt der richtige Begriff für dieses rufende Gefühl, bei ihr zu sein? Abrupt blieb Link stehen, starrte ins Nichts und doch kamen ungewollt Worte über seine Lippen, die ein vergessener Teil seiner Seele erschuf.

,Ist das deine Wahrheit? Ist das alles, wonach du gesucht hast? Kann dir eine Prinzessin geben, was deine Seele braucht?’ Der Heroe kniff die Augen zusammen, als er gesteuert von seinem alten Ich weiterredete. ,Ist das alles? Mehr zeichnet deine Hoffnung nicht aus? Du bist nur das Überbleibsel einer stärkeren Persönlichkeit.’

Link schüttelte verwirrt den Schädel und trat wieder in das kleine Gemach ein, warf sich zufrieden in das knarrende, bequeme Himmelbett und schloss die Augen mit Zelda in seinen Gedanken.

,Sie soll nicht mehr traurig sein’, dachte der junge Mann und wünschte sich gleichzeitig, sie hätte ihr Gedächtnis niemals wieder erlangt. Sie könnte leben, loslassen, sie könnte endlich sie selbst sein. Seine Gedanken setzten sich unfreiwillig fort… Wenn Link ihr Anker in diese Welt gewesen war, dann bedeutete es, dass er Schuld war, dass sie sich hier so gefangen und verloren fühlte. Wenn Link sie zu sich gewünscht hatte, dann hatte er entgegen ihres Wunsches gehandelt. Aber durfte er in dieser einen Hinsicht denn nicht egoistisch sein? Egoistisch… ein einziges Mal! Er warf sich von der einen Seite des knarrenden Bettes zur anderen.

Er liebte sie, mit jeder Faser seines Herzens. Er respektierte und achtete sie, wünschte sich auf so aufrichtige Weise ihr Glück. Hatte er nicht das Recht sie zu sich zu wünschen? Ein absurd egoistischer Gedanke...
 

Link zog das Kissen über sein verliebtes Gemüt, roch die alten Federn darin und ließ auch seine letzten Erinnerungen an das Götterreich Revue passieren. Er war Zeldas Held, er war für sie verantwortlich, und vielleicht war es auch okay, auch einmal, nach all den Kämpfen etwas dafür zu verlangen… zumal…

Link gähnte erneut, sich fragend, warum er nicht schlafen konnte, obwohl er vor Müdigkeit nicht mehr klar denken konnte. Alles an ihm schrie vor lauter Sehnsucht.

Wenn Zelda doch nur hier wäre, dachte er. Hier in diesem gemütlichen Schlossgemach, hier in seinen beschützenden Armen, während draußen die Stürme über die Welt zogen.

Sie ging ihm nicht aus dem Kopf… Ihr Lächeln, so bezaubernd. Ihre Augen, so sanft. Und ihre Lippen, so… sinnlich… warm… weich… verführerisch… liebkosend…

Genervt öffnete Link die Augen wieder und drehte sich auf die andere Seite, wünschte sich dieses verliebte, dusslige Gemüt würde sich nicht verselbstständigen und Dinge tun, die er nicht mehr kontrollieren konnte.

Zelda hier… Zelda da… mehr gab es im Moment in seinem Kopf nicht mehr. Zelda lächelnd… und einmal trübsinnig. Und doch war jeder Seite von ihr so wunderbar für ihn. Sie war einfach… so…

Ihm fielen die Augenlieder wieder zu und er driftete ab in eine Welt jenseits von Schmerz, Trauer und Angst, träumte von Zelda wie schon einmal und vergaß den wohl schönsten Traum mit ihr wieder… einen sinnlichen, unsterblichen Traum, der schon viele lange Jahre in seinem Gedächtnis verankert war. Doch es würde die Zeit kommen, wann er jenen Traum erinnern würde. Und jener Tag brächte Tränen und Leid hervor…
 

Am frühen Morgen verabschiedete sich der Held von Leon und Sian und versprach so bald wie möglich mit Zelda zu Besuch zu kommen. Zufrieden und gewappnet für die kommenden Erlebnisse in Schicksalshort schnappte er sich seine mit etlichen Waffen vollgepackten Taschen und ging mit Pat und Patrizia zum Bus. Nach einem komischen Gesicht, welches der Busfahrer machte, als er Links tonnenschwere Taschen in dem Reisebus verstaute, stiegen sie ein. ,Ich werde Kevin und Anja sobald es geht einen Brief schreiben‘, überlegte er, ,und Sian anrufen, wenn ich daheim bin.‘

Link kramte das kleine Medaillon hervor, welches er sich umgehängt hatte, während der Bus über die holprige Straße fuhr und sein Irlandaufenthalt endete.

Mit etwas Melancholie betrachtete Link sich nun intensiv das alte Medaillon, das er als Andenken und Geschenk für Zelda besaß. So genau hatte er es sich noch gar nicht angesehen und war neugierig auf dessen Geheimnisse. Der Anhänger war ungefähr so groß wie die Innenfläche einer Hand und rund. Es bestand aus purem Gold, dachte Link irrtümlich, ein so reines Metall, dass man sich selbst darin erblicken konnte. Auf der runden Fläche befand sich ein exaktes gleichseitiges Dreieck, welches in weitere vier gleichseitige Dreiecke aufgespalten war, das Triforce… Link drehte das Schmuckstück von einer auf die andere Seite, etwas irritiert, warum ihm nicht vorher aufgefallen war, welche Dicke das Schmuckstück doch besaß, und plötzlich… Klick.

Es hatte sich geöffnet. Überrascht sah sich der einstige Hylianer das Innere an. Er hatte gar nicht gewusst, dass man es öffnen konnte und fand das Innere des Medaillons schlichtweg überwältigend… magisch… irgendwie unwirklich. Im Innenraum befand sich eine seltsame Uhr, mit merkwürdig verschnörkelten Ziffern, die er zwar lesen konnte und von eins bis zwölf gingen, aber aus einer fremden und doch vertrauten Sprache herrührten. Erneut Shiekahtechnologie, fragte er sich? In der Mitte war ein Baum dargestellt, der allmählich gelbe, rote und braune Blätter trug und ab und zu einige zu Boden fielen. Moment… da musste ein Stromkreis fließen, oder wie konnte es sein, dass da tatsächlich Bewegung in dem Bild passierte. In einem nächsten Ring befand sich das normale Ziffernblatt einer Uhr und schließlich im äußersten Ring liefen ein Mond und eine Sonne ihre Kreisbahn. Das Medaillon musste uralt und unheimlich wertvoll sein, aber es gab nicht die aktuelle Zeit wieder, dachte er. Und Link konnte nicht erkennen, dass er das Gehäuse öffnen konnte. Auch war nirgendwo ein Hebel um die Uhrzeit einzustellen. Link fragte sich, ob es nicht vielleicht sogar magisch war und aus Hyrule stammte…
 

Es dauerte einige Stunden und sie überquerten mit der Fähre den Ozean. Link verabschiedete sich schließlich von seinen neuen Freunden Pat und Patrizia.

„Es tut mir leid, dass ich so eine Nervensäge war… Ich möchte dir Glück wünschen, Link, für alles, was noch auf dich wartet“, sprach Patrick und schien Tränen in den Augen zu haben. „Hau‘ dem Bösen so ordentlich eins auf die Schnauze!“

„Das werde ich“, sprach der Heroe. Und vielleicht waren dies die letzten Worte, die er an Patrick und Patrizia richten konnte.

„Und grüße die Prinzessin von uns.“ Patrick und Patrizia stiegen bereits in den Zug, der sie zurück nach Hause brachte, als Link ihnen mit ganzem Herzen hinterher winkte. Ob die beiden nicht vielleicht doch zu seiner Vergangenheit in Hyrule gehörten? Ja, wer wusste das schon…
 

Am Abend des nächsten Tages kam der Held, nach einigen ungemütlichen Stunden Schlaf in einem Sitz des Zuges, in Schicksalshort am Bahnhof an. Er hatte noch nicht zuhause angerufen und wollte seine Eltern, ebenso wie Sara überraschen. Er nahm seine Taschen, worauf er seinen Entschluss schon wieder bereute und lief in Richtung seines Elternhauses. Dort angekommen blieb er schnaufend vor der Haustür stehen und warf genervt die Taschen ab. Unglaublich erschien es ihm, damals in Hyrule ein gewichtiges Schild und ein Schwert mit sich herumgeschleppt zu haben…

Link kramte gerade nach seinem Haustürschlüssel, fand ihn aber weder in der Hosentasche, noch im Rucksack, und erinnerte sich daran, dass er sich vermutlich in den Tiefen der riesigen Reisetasche befand, als plötzlich die Tür geöffnet wurde. Sara kam herausgesprungen und fiel schwungvoll in seine Arme. „Hallo, Bruderherz, ich hab’ dich furchtbar vermisst“, rief sie euphorisch. Link erwiderte die herzliche Begrüßung und freute sich wahnsinnig wieder zuhause zu sein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2008-01-08T17:25:17+00:00 08.01.2008 18:25
Sian fehlt mir jetze schon...V_______________V, aber ich hoffe das du ihn nomma vorkommen lässt(einfach weiterlesen un ich werd es sehen!) naja wie immer tolles Kapi


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