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Nur ein Spiel

von

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Zeldas Zwiespalt

Ines fuhr in strömenden Regen die Einfahrt zu ihrem Anwesen hinauf. Ihr Haus, welches vielmehr an eine alte Villa erinnerte, lag wie ein dunkles Schloss auf einem kleinen Hügel, umgeben von Pappeln, die ihr Anwesen noch märchenhafter erscheinen ließen. Zelda hatte, seitdem sie in das Auto gestiegen war, nicht mehr mit ihr geredet. Sie sah die ganze Zeit aus dem Fenster, versuchte ihre Tränen und Erinnerungen zu unterdrücken. Sie erinnerte sich an fast alles… an den bestialischen Zeitkrieg, an die vielen Opfer, auch an die glücklichen Stunden in Hyrule, aber allen voran an ihre Zeit mit Link… und die Welt, in der sie jetzt lebte, erschien ihr irgendwie so fremd, so seltsam, so neu und irgendwie leer…

Sie spürte, dass hier irgendetwas für sie fehlte, vielleicht nicht nur, weil die Magie, in Hyrule so lebendig, hier kaum atmete, sondern weil sie kein Ziel hatte, nichts, was sie in dieser Welt sein sollte, keine Aufgaben, die im Augenblick auf sie warteten. Teilweise fühlte Zelda sich sogar fehl am Platz. Wie sollte sie hier leben mit den Erinnerungen an eine Zeit, die vergessen war? Wie sollte sie hier leben mit ihren Eigenheiten, mit ihrem Trauma, das vom Zeitkrieg geblieben war? Alles war so anders und furchterregend.
 

Die einstige Prinzessin der hylianischen Lande, und Hyrule war ein riesiges Königreich gewesen, das gerechteste Land unter der Sonne, fortschrittlich und reich, öffnete die Wagentür, sah verwundert zu der Villa und ließ ihren Blick über die von hier sichtbaren Wohnhäuser in der Stadt schweifen. Alles war so modern, so perfekt… die Technik, der Fortschritt. Es schien, als gingen die Menschen nur diesem einen Ziel hinterher. Warum? In Hyrule trachtete man vielleicht ebenso nach Reichtümern, nach Macht. Aber ein solches Interesse an der Zukunft hegte man dort nicht. Die Völker ihrer Welt glaubten an das Schicksal, an die Götter. Zelda schien es unverständlich, ob es in dieser Welt noch Dinge wie diese gab. Sie begriff schlagartig, wie sehr sie sich doch von den Menschen unterschied… Link war in diese Welt geboren worden, lebte hier, ganz gewöhnlich… Sie aber könnte das nicht. Wie auch? Sie hatte nicht einmal den Wunsch dieses Leben zu nutzen, ihr fehlte jegliche Motivation hier zu leben, zu genießen und Hyrule… zu vergessen…

„Impa. Sag’ mir, wie du es schaffst hier zu leben“, sagte Zelda, als Miss Schattener die große Eingangstür öffnete.

„Wie habt Ihr es geschafft, hier zu leben, als ihr noch keine Erinnerung an Euer wahres Ich hattet?“, entgegnete sie verständnisvoll.

„Ich habe mich fast gefühlt, wie ein normales Mädchen.“

Impa machte eine Geste, sie solle eintreten. Als Zelda dann im Gebäude stand, war sie mächtig verwundert über die Zusammenstellung der Möbel in der großen Halle.

„Ich verbinde einfach die Vergangenheit mit der Gegenwart, so fühle ich mich sowohl Hyrule, als auch dieser neuen Zeit zugehörig“, erklärte sie und entledigte sich ihres dunklen Ledermantels, den sie auf einen Garderobenständer hing. Zelda blickte umher und begriff, was Impa meinte. In dem riesigen Raum standen sowohl alte als auch neue Gegenstände. An der Decke hing ein riesiger Kronleuchter, auf dem alte Kerzen aufgereiht waren. Schränke, wie sie in Schlössern standen, glänzende, rote Teppiche, ein etwas modernerer Kleiderständer, moderne Vasen, neuartige Gemälde.

„Als ich noch in Hyrule war, besser gesagt, als mein Geist noch dort verweilte… konnte ich euch alle beobachten. Ich sah die Welt, in der ihr jetzt lebt… war glücklich und gleichzeitig traurig über das Schicksal, das euch zuteilwurde. Und ich ahnte, bis ich es wusste, dass ihr Weisen… eure Erinnerung wiederfinden würdet. Aber nur ihr, da ihr zu den Göttern Kontakt hattet. Link allerdings…“ Zeldas Augen füllten sich mit Tränen, ohne dass Impa es sehen konnte. „Er weiß nichts über Hyrule, die Welt, die einst durch ihn das Licht der Sonne zurückerhalten hatte. Er kennte sein Schicksal nicht, weiß nicht wer er ist…“

„Prinzessin…“, murmelte die einstige Shiekah und legte dem Mädchen eine Hand auf die Schulter. „Letztlich wissen nicht einmal die Weisen, was in den nächsten Wochen geschehen wird und niemand von uns kann erahnen, welchen Weg das Schicksal einschlagen wird… Ihr solltet Vertrauen haben in das, was noch kommt, so wie damals. Und was bringt es der Vergangenheit nachzutrauern… wir leben nun in einer modernen, vielleicht besseren Welt. Und auch Ihr habt jetzt neue Chancen und Möglichkeiten. Hyrule ist nicht mehr… es ist verblasst…“

Doch die einstige Königstochter wollte Impas Worte nicht verstehen. Wie nahm sie nur an, dass Zelda daran interessiert war ein Leben in dieser ihr fremden Welt zu führen? Sie war immer für Hyrule da gewesen, und sie würde nicht durch einen ungerechtfertigten Götterwillen ihr Zuhause vergessen!

„Du hast Hyrule… völlig vergessen, nicht wahr, Impa?“, meinte Zelda streng und wand sich ab. „Was redest du hier? Neue Chancen in einer anderen Welt! Ich habe Hyrule nicht aufgegeben, auch jetzt nicht…“

Irritiert wich die Direktorin zurück. Sie ahnte, dass ihr Schützling verzweifelt war, aber Zelda schien dieses neue Leben überhaupt nicht akzeptieren zu können. Impa wusste, dass es nicht einfach sein würde, die Prinzessin Hyrules bei sich aufzunehmen, dafür zu sorgen, dass sie es gut hatte, aber sie hatte zumindest gehofft, dass sie sich auf diese neue Welt einließ. Immerhin war sie einige Zeit bei Link gewesen, bei dem einzigen Freund, den sie jemals hatte…

„Zelda… das tut Euch nicht gut…“, murmelte Impa. „Ihr habt keine andere Wahl als Euch auf dieses Leben einzulassen, auch wenn es weh tut.“

„Das weiß ich“, murrte sie zickig. „Aber das heißt nicht, dass ich gutheißen muss, wie du und scheinbar auch die anderen Weisen mit Euren Erinnerungen an Hyrule umgeht. Hat denn jemals einer von Euch versucht etwas zu tun, um das alles zu verstehen. Hat einer von euch versucht nach Hyrule zu gelangen und es zu retten?“
 

Impa war völlig sprachlos. Die eisigen Vorwürfe aus Zeldas hübschem Mund hätte sie nicht erwartet. Sie hatte gehofft, dass auch Zelda sich über die Jahrhunderte verändert hatte, nur schien ihre Liebe zu Hyrule sich mittlerweile in Zorn und Hass gewandelt zu haben. Impa schüttelte fassungslos ihren Kopf. „Es ist besser Ihr bringt zunächst Euer Temperament und Eure Verzweiflung unter Kontrolle… Ihr wisst nicht, wie es uns ergangen ist in dieser Welt. Urteilt nicht zu leichtfertig, Prinzessin…“

Zelda wollte noch etwas sagen, aber schwieg dann. Sie konnte gerade vielleicht wirklich nicht auseinander halten, welche Gefühle in ihrem Inneren kämpften. Sie konnte nicht erklären, warum sie Impa nun Vorwürfe machte… vielleicht war es tatsächlich ihre Verzweiflung und der Umstand nun hier zu sein, obwohl sie es eigentlich nicht wollte, was an ihrem Gleichgewicht rüttelte.

„Verzeih‘ mir, Impa…“, sprach sie leise, und verkniff sich weitere Tränen.

„Es ist in Ordnung, Zelda… ich kann mir vorstellen, wie Euch gerade jetzt zumute ist, vielleicht wäre es gut, wenn Ihr zunächst ein warmes Bad nehmt… und dann reden wir über alles in Ruhe.“
 

Die einstige Prinzessin nickte schwermütig, ließ sich von Impa das große Badezimmer in der Villa zeigen und versuchte Entspannung zu finden. Wie in Trance folgte sie den einfachen Handgriffen in einem sehr großen Badezimmer, wo eine runde Badewanne in der Mitte stand. Der Raum war nobel in lila, grauen Farben eingerichtet, geschmackvoll mit Details aus vergangenen Zeiten und doch modern. Trübsinnig stand Zelda vor einem großen Spiegel, der an der weißen, gefliesten Wand montiert war. Sie schluchzte, jetzt, da ihre Erinnerungen da waren, und sah das traurige Kind im Spiegel, das sie immer war, und sie sah ihre Bürde. Dann wanderte ihr Blick zu den Ohrringen, die sie von Link geschenkt bekommen hatte und dann zu dem Falkensmaragdring… Sie streichelte den Ring, nahm jenen und die Ohrringe ab und verstaute diese auf einer Ablagefläche. Lethargisch ließ Zelda die durchnässte Kleidung von ihrem Körper fallen und sank in die heiße Wanne. Ihre himmelblauen Augen, einen Spalt geöffnet, leidend, erzählten eine grausame Geschichte über eine Vergangenheit, die sich mit Erinnerungen früherer Leben vermischte… und je länger sie in der Wanne lag, kristallene Tränen ihre zartrosa Wangen hin abtropften, umso kälter und grauer wurde das schöne Blau ihrer Augen. Sie ruhte hier wie in Trance und schloss ihre Augen. Sie ruhte und doch… herrschte in ihrer Seele ein grausames Chaos. Sie wusste nicht, wo sie beginnen sollte die Vergangenheit und diese Gegenwart zu bewältigen. Da waren die Erinnerungen an Hyrule, die tiefe Liebe zu ihrem Land, der Hass, und Taten des Bösen und schließlich ihre Gefühle für Link. Sie schluchzte bitter und versuchte dieses Gedankenwirrwarr erst einmal zu verdrängen…
 

Wenig später trat die einstige Prinzessin der hylianischen Lande mit einem weißen Bademantel aus dem Raum, wo heißer Dampf die Luft erfüllte. Sie hörte Impa in einem Raum herum werken, hörte Teller klappern, und tapste barfuß dorthin, wo sie ihre damalige Zofe vermutete. Und tatsächlich befand sich ihre Ziehmutter in der Küche, und auch diese war teuer und geschmackvoll eingerichtet. Mit einem Gesicht wie zehn Tage Regenwetter nahm Zelda am Tisch Platz, ein ovaler Tisch mit weißen Stühlen und blauer Polsterung. Sie beobachtete Impa schweigend, die eine Suppe auf den Herd setzte und irgendetwas zubereitete, das Zelda fremd war. Erst nach einigen Minuten brach das blonde Mädchen das Schweigen. „Impa… ich wollte… Danke sagen, dass du dich kümmerst… Verzeih‘ mir wegen vorhin, es war nicht meine Absicht dir Vorwürfe zu machen…“, sprach sie klar und versuchte zu wirken wie einst. Standhaft für ihr Land. Sachlich und ruhig. Und kühl…

Doch einstige Shiekah seufzte: „Ihr braucht Zeit, Prinzessin, um Euch an dieses Leben zu gewöhnen, es ist in Ordnung.“

Aber Zelda schaute zweifelnd zur Seite, fast so, als glaubte sie Impa ihre beruhigenden Worte nicht. „Nein, es ist eben nicht in Ordnung… Du hast ein neues Leben, Impa, es ist nicht selbstverständlich, dass du mich noch unterstützt…“

Doch da kniff Impa ihre bräunlich roten Augen zu, stoppte ihre kochende Tätigkeit. Sie drehte sich mit einem warnenden Blick zu ihrem Schützling um. „Meint Ihr denn wirklich, ich hätte Euch einfach im Stich gelassen?“ Sie trat näher und hob Zeldas Kinn in ihre Richtung. „Ausgerechnet Euch, wo ich immer bewundert habe, wie Ihr Euch für Hyrule eingesetzt habt… Alles, was Hyrule zugestoßen ist, alles, was die Völker der alten Welt erleiden mussten, Ihr habt alles ertragen und gekämpft. Wie könnt Ihr annehmen, dass die Weisen Euch einfach so vergessen haben. Selbst Link…“

Doch da winkte Zelda ab. „Bitte lass‘ dieses Thema…“

Impa wollte mit dem Kopf schütteln, schloss aber dann die Augen. ,Scheinbar war auch zwischen Link und ihr noch alles beim Alten‘, dachte die Direktorin. Schon damals vermied die Prinzessin das Gespräch über den Helden der Zeit…

„Zelda, meine Liebe, wie ist es Euch eigentlich gelungen, nun doch noch in diese Welt zu gelangen. Ihr wolltet einem nächsten Leben entsagen… und jetzt steht ihr vor mir, zwar ohne spitze Ohren, aber ihr seid immer noch die kleine Prinzessin, die mehr Wildfang war als eine königliche Hoheit, die kleine Prinzessin aus der alten Welt.“ Impa versuchte Zelda abzulenken und sie zum Lächeln zu bringen, aber sie war schließlich nicht die Person, die Zelda an ihr Herz ließ…

Zelda seufzte und begutachtete die Suppe und die Köstlichkeiten, die Impa auf eine gewellte Platte gepackt hatte und versuchte den Duft zu hylianischen Gewürzen zuzuordnen, aber es war einfach nicht möglich. Sie wollte Impa auf diese Frage nicht antworten, vielleicht auch, weil sie es einfach nicht konnte. „Impa, gerade das… hatte ich gehofft von dir zu hören. Ich weiß es nicht…“

Aber auch Impa spürte deutlich, dass die blonde Schönheit ihr gegenüber nicht ehrlich war. Sie belud die Teller mit der weißlichen, cremigen Topinambursuppe und hoffte, dass diese Gemüsesorte Zelda mundete. „Wie dem auch sei. Nun seid Ihr hier. Mit all’ Euren Erinnerungen…“

„Fast allen…“, erwiderte die Prinzessin und kostete die Suppe. Es schmeckte ihr zwar, aber nach dem heutigen Tag und dem Hereinbrechen ihrer Erinnerungen hatte sie schlichtweg den Appetit verloren. Sie schob den Teller zur Seite und machte deutlich, dass sie keinen Hunger mehr hatte.

„Nun gut. Irgendwie müssen wir es schaffen, aus Euch ein normales Mädchen zu machen, auch wenn nur augenscheinlich“, sprach Impa und räumte den Tisch teilweise wieder ab.

Zelda nickte. Auch wenn es ihr schwerfallen würde, hier zu sein, dieses Leben zu akzeptieren, eine andere Wahl hatte sie im Augenblick nicht. Das hieß aber nicht, dass sie ihre Zeit hier verschwenden oder tolerieren würde. Irgendwo in ihrem Herzen erwachte ein starker Drang sich weiterhin mit Hyrule zu beschäftigen… und wenn sie dafür sorgte, dass das alte Land auferstand. Doch da kam ihr ein weiterer Gedanke. „Impa, ich habe noch eine Frage. Wieso gibt es von Hyrule ein Spiel? Das kann doch eigentlich nicht sein.“

Impa starrte an die weiße Zimmerlampe an der Decke. „Nun. Wir, die Weisen, wissen, dass die Götter Hyrules damals, genauso wie Ihr, nicht für immer aufgeben wollten.“ Impa lief dann zur Küchentür und deutete Zelda an, ihr zu folgen. „Folgt mir, ich habe ein Zimmer für Euch eingerichtet.“ Impa lief in schnellen Schritten weiter und die Treppe hinauf. „Jedenfalls sind sich die Weisen über Hyrules Vermächtnis einer Meinung. Als eine Art der Wirklichkeit wurde es sicherlich aufgegeben. Aber dennoch trägt Hyrule noch ein Antlitz- ob als Geschichte… oder als Spiel. Die Götter haben den Legenden von damals ein Denkmal gesetzt, ein Vermächtnis, und vermutlich schon bevor Hyrule endgültig verblasste… und die Weisen zum Beispiel, wir leben ebenso mit der Erinnerung an die alte Welt, und wir lieben Hyrule noch heute. Es gab immer Hoffnung und gibt sie noch. War das nicht der Satz, den ihr immer sagtet?“

Zelda verstand langsam und versuchte ihren Groll und den daran geknüpften Schmerz ruhen zu lassen. „Dennoch ist es unheimlich traurig.“

Impa blieb stehen und sah Zelda mit den Augen einer Mutter an. „Nun, Prinzessin, es hat keinen Nutzen im Augenblick darüber nachzudenken. Sicherlich ist diese Situation unerträglich, wenn man Hyrule kannte, aber was sollen wir auch tun? Jetzt möchte ich nur eins von Euch.“ Impa kniete nieder. „Ich möchte, dass Ihr endlich loslasst… beginnt endlich zu leben- wie ein einfacher Mensch.“

„Ich…“ Zelda wusste, dass Impa recht hatte, aber sie würde es nicht können. Sie log, wie so oft in der Vergangenheit… „Ich werde es versuchen…“ Sie sah trübsinnig ins Leere.

„Noch etwas, könntet Ihr mich Ines nennen?“

„Und Impa, hör‘ endlich auf mit deiner höfischen Anrede, sonst bin ich wohl gezwungen, mich wie eine Prinzessin zu benehmen“, murrte sie. Als sie geendet hatte, ertappte sie sich dabei, dass sie selbst so redete, wie Link es immer tat…

Einige Minuten waren vergangen und Miss Schattener führte sie in einen langen Gang, an dessen Ende ein großer Raum sein musste. Zelda öffnete die braune, große Tür mit den verzierten Griffen. Das Bild eines wunderschönen Zimmers erhellte Zeldas Herz. Der Raum hatte Balkon und an der anderen Seite noch ein großes Fenster, sodass genügend Licht hier hereinfallen konnte. Ein wunderschönes, großes Bett stand in der Mitte. In einer Ecke ein Schreibtisch, einige kleine antike Schränkchen mit roten Deckchen und überhaupt war der Raum in weichen, hellbraunen und roten Farben gehalten. Rechts neben dem Bett stand ein weiterer wichtiger Gegenstand… eine mit goldenen Schriftzeichen versehene Harfe. Das Instrument, das Zelda sehr oft gespielt hatte…

Zelda blickte sich um und lächelte das erste Mal, seit sie in Impas Villa eingetreten war. „Ich danke dir, Ines. Jetzt fühle ich mich etwas mehr hier angekommen… Weißt du, ich will gar keine Prinzessin mehr sein.“

„Du wolltest nie eine sein.“
 

Zelda setzte sich auf das Bett und ließ sich einfach fallen. „Irgendwie eine Ironie des Schicksals, dass Link keinerlei Erinnerungen hat. Ich will aber auch nicht, dass selbst, wenn nur in geringster Weise, er seine Erinnerungen zurückerhält. Es würde ihm nur unnötig Leid zufügen. Endlich kann er einmal ein ganz normaler Mensch sein… in einer ganznormalen Welt… in einer Welt, in der er…“ Zelda beendete den Satz nicht, ihre Stimme versagte. Liebte sie einen Menschen, so hieß das nicht immer, auch mit ihm glücklich werden zu dürfen, erst Recht nicht in ihrer Position als Thronerbin. Möchte sie, dass es denen, die ihr so viel bedeuteten gut ging, musste sie zwangsläufig Opfer bringen. Und Zelda würde ein Opfer bringen, das tat sie immer.

Link lebte nun nicht mehr in ihrer Welt. Er hatte eine andere Zukunft vor sich, er würde einen anderen Weg gehen. Und sicherlich, auch wenn es weh tat, irgendwann, würde er seinen Weg finden, der nichts mit Hyrule, nichts mit dem Bösen zu tun hatte, nichts mit Zelda. Er würde sie vergessen… und könnte endlich der sein, der er immer sein wollte, ein junger Mann mit edlen Zielen, nicht der erbarmungslose Krieger, der dem Abschaum Hyrules die Köpfe absäbelte und nicht ihr Beschützer und ihr Opfer…

„Könntest du mich alleine lassen, bitte Ines.“

Sie nickte und verließ schwerfällig das Zimmer.

Zelda schluchzte, drückte den grünfunkelnden Ring, den sie hatte an ihr Gesicht, ließ sich weiter in das Bett sinken und weinte endlich. Es war soweit, dass die ganzen Ereignisse sie überforderten und sie endgültig durcheinander brachten. Erinnerungen an Hyrule, an die Tage mit ihrem Helden brachen hoch und sie versuchte diese wegzusperren, zu verbannen, hoffte, sie könnte die Erinnerungen einfach in die Träume sperren, genauso ihre Gefühle…

,Ja, so sollte es sein‘, entschied sie. Sie würde sich in Links Leben nicht einmischen. Er war frei, konnte leben, ohne quälende Erinnerungen… Und sie würde dafür sorgen, dass er dieses Leben ohne den Kampf genießen konnte…

Es machte keinen Unterschied, ob Zelda ihren Titel trug oder nicht. Es spielte keinerlei Rolle, sie war und würde mit all den Bildern einer verlassenen Welt in ihrem Herzen immer die Prinzessin Hyrules bleiben. Ein Leben, wie es andere und wie Link es führte, gab es für sie nicht. Und es war damals ihre Entscheidung gewesen, Hyrule niemals alleine zu lassen, wie es heute ihre Entscheidung sein würde, Link die Möglichkeit eines gewöhnlichen Lebens zu schenken, eines Lebens in einer anderen, neuen Welt, ohne das Böse, ohne Hyrule und ohne… sie.

Mit Tränen in den Augen stand Zelda auf, lief zu dem Balkon und schaute hinaus in den Himmel. Was hieß Freiheit in einer anderen Zeit schon, wenn man verflucht war, die Erinnerungen zu behalten? Und Zelda könnte davor weglaufen, vor ihren Visionen, ihrer Einsamkeit und Angst, aber die Bilder würden bleiben, auch wenn sie sich verleugnete.

Sich selbst umarmend lief sie in das andere Ende des Zimmers und setzte sich an die Harfe, spielte von Einsamkeit, von Hoffnung und Sehnsucht… In ihrem Inneren traf sie endgültig ihre Entscheidung. „Link“, entkam ihren Lippen. Es belastete sie, dass sie ihm erneut weh tun würde, um seiner selbst willen, für sein Bestes, wie damals, als sie ihn in der Zeit zurückschicken musste. Es tat weh, dass sie ihm niemals gesagt hatte, wie viel er ihr bedeutete. „Leb’ wohl…“

Impa stand außerhalb des Raumes und ahnte um Zeldas folgenschwere Entscheidung. Denn so einfach, wie Zelda sich das vorstellte, würde das nicht funktionieren. Link würde so lange versuchen herauszufinden, was vor sich ging, bis er es wusste. Auch wenn Zelda versuchte, ihm auszuweichen, sie hatte es schließlich mit Link zu tun. Er hatte zwar keine Erinnerungen mehr, aber Impa kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er alles, grenzenlos alles tun würde, um die Prinzessin zur Rede zu stellen. Außerdem gab es eine weitere wichtige Sache, von der Zelda keine Notiz nahm. Sie ignorierte es, litt zu sehr an ihrem Trauma, als dass sie einen Gedanken daran zulassen wollte. Zelda schob den Gedanken an das Böse, das auch Hyrule heimsuchte, einfach von sich. Denn das Böse versiegelt in der vergangenen Welt, hatte genauso wie sie, einen Weg auf die Erde gefunden… Früher oder später war es unumgänglich, dass die Kinder des Schicksals zueinander fanden und das Böse in seine Schranken verwiesen. Irgendwann benötigten sie alle Links Hilfe. Denn er war die auserwählte Seele mit dem heiligen Mut. Er würde kämpfen müssen, ob er wollte oder nicht, mit Schwert oder seinen blanken Fäusten. Ja, es ging nicht ohne ihn und es war gut so. Mit einem leichten Lächeln folgte Impa den Treppen ins Erdgeschoss.
 

Währenddessen erklärte Link seinen Eltern alles und ging dann trübsinnig in sein Zimmer. Er fühlte aus irgendeinem Grund eine Art Druck in seinem Inneren, wie jene Gefühle der Ohnmacht, wenn man bei einem schrecklichen Ereignis einfach nur daneben stehen und nicht helfen konnte. Er fühlte sich, als ob er in naher Zukunft einen Verlust erleiden würde. Vielleicht der Verlust einer Freundschaft oder der Verlust von tiefen Gefühlen, die nicht mehr erwidert wurden.

Ein einfacher Gedanke an Zelda wirbelte in seinem Kopf herum und er fragte sich, ob es denn wirklich die beste Lösung war, Zelda bei der Direktorin wohnen zu lassen? Was hatte Ines Schattener mit Zelda zu tun? War sie tatsächlich ihre Tante? Wenn ja, warum ging Zelda nicht in Schicksalshort zur Schule? Warum hatte er nicht schon viel früher ihr Gesicht einmal gesehen? Es gab so viele Fragen in seinem Kopf und er konnte die ganzen Zusammenhänge nicht begreifen. Wie sollte er auch? Immerhin kannte er Zelda jetzt gerade eine Woche lang. Er war ein gewöhnlicher Jugendlicher, nicht mehr… Aber warum fühlte jener einfache Jugendliche sich so verantwortlich dafür, dass sie hier war? Wieso? Er hatte schließlich nicht dazu beigetragen, ihr Gedächtnis zu löschen…

Er wagte einen Blick auf die Uhr und fühlte sein schlechtes Gewissen brodeln, da er schon wieder den Unterricht schwänzte. ,Hey‘, sagte er zu sich selbst. Das war ja schließlich nicht seine Schuld, oder? Die Direktorin hatte ihm doch erlaubt, den Tag zuhause zu verbringen. Da würde er sicher keinen Ärger kriegen…

Link setzte sich einige Minuten auf den Fußboden und betrachtete die Nintendokonsole vor ihm. Mmh- Zeit für das Spiel. Sara drückte ja noch die Schulbank und war logischerweise noch nicht da, konnte also nicht meckern, wenn er die Konsole einschaltete… und da konnte er doch mal wieder zocken, das Spiel um Hyrule genießen… langsam schaltete er den Gamecube ein.

Er fragte sich, ob denn erneut etwas Unvorhergesehenes mit ihm geschehen würde, nur weil er ein Konsolenspiel zockte und dachte mit Zweifeln an die merkwürdigen Wunden, die er sich beim Spielen zugefügt hatte. Ganz kurz strich er sich mit der Rechten über die Narben und grinste halbherzig. Link war wohl einerseits wissbegierig und andererseits zu übermütig, um es nicht auszuprobieren. Mit einem tiefen Atemzug und irgendwo vorbereitet auf ein merkwürdiges Ereignis führte er den grünbemützten Heroen durch die riesige, hylianische Steppe, mit ihren grünen Hügeln und einsamen Pfaden.

Während er auf den Fernseher blickte, gerade zu gebannt die Abläufe beobachtete, schienen sich seine Augen zu verwandeln… sie nahmen nun ein noch dunkleres Blau an, als sie ohnehin schon hatten. Link starrte auf den Fernseher, als gäbe es nichts anderes mehr. Und auf dem Bild, welches die Konsole auf den Fernseher projizierte, war plötzlich eine andere Person, die neben dem erwachsenem Link her trabte. Der Schüler zwinkerte, fuhr sich mit der linken Hand durch das blonde Pony und rieb sich seine Augen. Erneut starrte er auf den Bildschirm und sah tatsächlich eine kleinere Person neben dem erwachsenen Link herlaufen. „Das ist ja schräg“, murmelte Link, rückte näher an seinen Fernseher und ließ den Helden der Zeit mitten auf der Steppe stehen. Er legte den Controler aus der Hand und sah sich ein kleines Kind neben der Spielfigur an, das ihn mit einem Lächeln aus dem Bild heraus anblickte. Link zwinkerte erneut und klopfte an seinen Fernseher, aber musste wohl tatsächlich annehmen, dass er sich das Kind neben dem Helden der Zeit nicht einbildete. Es war ein Junge mit hellblondem Haar, das einen ähnlichen Schnitt besaß wie der erwachsene Heroe. Und auch sonst war der Junge dem erwachsenen Hylianer sehr ähnlich. Der kleine Kerl trug grünliche Kleidung, eine Tunika, sogar ein golden schimmerndes Kettenhemd, das unter dem Leinenstoff herausragte, aber seine Kleidung wirkte sehr edel, was gar nicht zu dem Helden im Spiel passte. Die Tunika hatte einen goldenen Saum an Ärmeln und Hüfte und ein weißer Gürtel war um die Hüfte des kleinen, vielleicht fünf Jahre alten Knirpses geschnallt. Link lief in die andere Ecke des Zimmers und schüttelte seinen Kopf. Eigentlich hatte er gerade Lust diesen in die Wand zu schlagen, weil er sich fragte, ob er noch bei Verstand war, und drehte sich dann wieder zu dem Fernseher um. Doch der Junge war noch immer darauf, winkte ihm zu und plötzlich hörte Link den Jungen sprechen. Er hatte eine glockenhelle Stimme und sie klang fast lärmend in seinem Kopf. „Die Menschen in dieser Welt sind in Gefahr. Der dunkle Lord versucht, sie unter seinen Willen zu ziehen und das Gleichgewicht der Welt zu stören. Verhindere die drohende Gefahr.“ Link schreckte hoch, taumelte dann zu seinem Schreibtisch und hoffte krampfhaft, nicht doch noch verrückt zu werden. Er sah noch einmal zum Spiel. Doch der Knabe, der ihm und der Spielfigur des Helden der Zeit ähnlich sah, war verschwunden. Mit rasendem Puls sinnierte Link über die Worte des Kindes, schüttelte den Kopf und knallte sich auf sein Bett. Konnten diese Halluzinationen ihn nicht endlich in Ruhe lassen. Erst Zeldas Stimme in seinem Kopf, dann die Wunden, der Angriff des Schattens in der Trainingshalle und nun ein Bengel, der mit ihm telepathisch kommunizierte? ,Welche drohende Gefahr konnte dieses Kind denn meinen‘, dachte Link und ärgerte sich gleichzeitig, dass er überhaupt über diesen Unsinn nachdachte. Es reichte langsam… er wollte diesen Irrsinn nicht…
 

Link schloss seine Augen, genoss die Musik der hylianischen Steppe, die durch sein Zimmer dröhnte und schwelgte in seinen Gedanken. Er legte sich auf seinen Bauch, gähnte, und dachte an die Erlebnisse der letzten Tage. An Zelda, an den merkwürdigen Mann, der vor dem Polizeipräsidiums stand, und auch die Geschehnisse in der alten Kirche wollten ihm nicht aus dem Sinn. Wer zum Teufel war diese Schreckensgestalt? Dunkler Lord?

Hastig richtete er sich auf, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Hatte der Bengel im Spiel etwa den Mann gemeint, der in der Kirche Schicksalshort hauste? Und aus einem warnenden Gefühl heraus, spürte Link, dass er sich irgendwie… darum kümmern musste. Egal wie viele Fragen jene Kreatur in Link hervorrief, irgendwann, in naher Zukunft, so spürte er, würde er diesem Hünen gegenüberstehen, wissen, wie bestialisch seine Absichten waren und wie erfroren sein Herz, irgendwann würde er sich wünschen, seinen Namen nicht zu kennen. Und dieser Tag rückte mit jeder Minute näher…

Das Schicksal entwarf gerade die Puzzleteilchen, die sich zu einem großen Ganzen in seinem Leben fügen würden. Die Frage schien nur, wie viele Puzzleteilchen noch fehlten… Link starrte von seinem Bett aus an die braune Zimmerdecke. Alles in seinem Dasein würde sich ändern. Er würde sehr bald nicht mehr derselbe sein…
 

Zu diesem Zeitpunkt ging eine verträumte Sara gerade auf die Haustür zu. Das gesamte Gymnasium hatte sie nach ihrem die- Schule- als- sinnlos- abstempelnden Bruder abgesucht und war über die Maßen enttäuscht von ihm. Ja, ja… und wenn er sie dann wieder mit seinem unschuldigen Grinsen liebäugelte, so würde sie erneut nachgeben. Aber allmählich könnte er noch Probleme bekommen, wenn er die Schule so einfach ins Jenseits schickte- und natürlich die notwendige Angewohnheit eines Schülers, sich dort jeden Tag blicken zulassen. Sie öffnete die Haustür, ging in die Stube und fand einen Zettel, wo drauf stand, dass ihre Eltern erst gegen Abend heimkämen. Und anders als ihr werter Bruder, stellte Sara ihren Rucksack höflich und nett in das dafür vorgesehene Fach. Und ein blödes, aber bemerkbares Magenknurren erinnerte sie daran, dass sie heute noch kein Mittag hatte. Dann bemerkte sie einen unangenehmen Geruch, der aus der Küche kommen musste. Es stank fürchterlich nach Verbranntem. In der nebligen Küche fand das fünfzehnjährige Geschöpf dann den Grund für das Übel. Zwei Töpfe standen auf dem Herd, die beide nicht wiederzuerkennen waren. Aus dem einen kam eine hohe Stichflamme und der andere war so verkohlt, dass der Inhalt dessen nicht mehr identifiziert werden konnte.

„Link!“, brüllte Sara und drehte schnell und geschickt den Herd zurück, griff nach den erstbesten Handschuhen und zog die Töpfe von den glühenden Herdplatten. Noch einmal rief sie wütend nach ihrem großen Bruder. Hatte dieser Trottel schon wieder das Essen vergessen? Eine Angewohnheit Links, für die Sara ihn Köpfen, Vierteilen und Vergiften könnte.

Schläfrig kam Link dann von seinem Nachmittagsschlaf angelaufen und schnupperte ebenso mit seiner Nase.

„Hast du das Essen vergessen, Hohlkopf?“, murrte sie wie ein ausgebüchster Stier, der Rot gesehen hatte.

Link wich unschuldig grinsend einen Schritt zurück und hob beschwichtigend seine Arme in die Höhe. „Oh… das…“, fing er an und probierte es mit seinem allseits typischen Unschuldslächeln.

Doch Sara beruhigte sich nicht. Sie grabschte den erstbesten Gegenstand, erkannte diesen als hölzernen Kochlöffel und hatte das Ziel damit auf Link los zugehen. Dessen Augen standen weit vor Schreck, als seine kleine Schwester nun keineswegs mehr so harmlos aussah wie sonst. Ihre Wangen waren kochendrot vor Wut und ihre braunen Haare standen ihr zu Berge. „Du Blödmann. Kannst du nicht einmal in deinem Leben aufpassen?“ Und mit Zorn in der Stimme, mit überschäumender Ärgernis rannte sie hinter Link her, der hilfesuchend vor ihrem Wutausbruch die Flucht ergriff. Doch aus irgendeinem Grund war Sara diesmal schneller und sie gab Link einige Schläge mit dem Löffel auf den Deckel. Hilfeschreie und ein verständliches „Ich ergebe mich“, schallten in dem Haus umher, bis Sara ihr ausgeflipptes Temperament unter Kontrolle brachte.

„So, ich hoffe, das wird dir eine Lehre sein“, sagte sie höhnisch, als sie sich beide wieder in der Küche befanden.

Link tastete murrend auf seinen Beulen herum und Sara legte endlich den Kochlöffel beiseite. „Ja, Madam.“

„Und wehe, du bildest dir ein, dass ich das nur spaßhaft gemeint habe.“

Einmal kräftig schluckend grinste Link seine kleine Schwester an und hoffe, sie würde sich endlich wieder beruhigen. Es war vielleicht das erste Mal, dass sie so überdreht und gefährlich reagiert hatte.

„Und guck’ mich nicht so an“, ergänzte sie zähneknirschend. „Sonst bekommst du noch eine, aber diesmal mit der Schöpfkelle.“

„Ja, Madam“, wiederholte er.

„Und hör’ auf mit deinem Sarkasmus, den kann ich heute nicht gebrauchen.“

„Ein schlechter Tag, Sara?“

„Und ob, da mein werter Bruder mein Mittagessen ruiniert hat.“

„Tut mir leid, Sara.“

Mit einem Schnauben setzte sie sich gegenüber von Link auf einen Stuhl. „Gibt es wenigstens einen Grund für deine Schusseligkeit? Wo ist überhaupt Zelda abgeblieben. Oder ist sie etwa der Grund für deine nervtötende Schusseligkeit?“

Link starrte an die Decke, wie immer, wenn er nach einer alternativen Antwortmöglichkeit suchte. „Sie… ist jetzt dort, wo sie hingehört“, meinte er, sich fragend, wie er dies annehmen konnte.

„Und wo ist das bitte schön?“, meinte Sara, die sich ihren knurrenden Bauch rieb und dann den wehrlosen Kühlschrank überfiel.

Link lehnte sich mit einem langgezogenen Gesicht zurück und beobachtete das Schauspiel. Sara begutachtete jedes der Fächer, schaute verzweifelt in die leeren Schachteln und schnupperte mit ihrer koboldartigen Nase an einem verfaulten Ei. „Sie ist mit der Direktorin verwandt“, murmelte Link und machte sich auf dem langen Teil der Sitzbank breit. „Und daher hat Ines Schattener sie vorhin abgeholt.“

Daraufhin sah Sara interessiert auf. „Nicht wahr!“

„Doch wahr…“, sagte Link und legte seine Hände hinter den Kopf.

„Oh Mann, wenn die Direktorin meine Mutter wäre, würde ich meines Lebens nicht mehr froh werden. Erst Recht, wenn die Schattener meine Mutter wäre. Die Strenge in Person…“

„Ich glaube, so schlimm ist sie gar nicht. Vielleicht ist es besser, Zelda hat ihr normales Umfeld wieder, jetzt da sie ihre Erinnerungen wiedergefunden hat. Außerdem ist Ines nicht ihre Mutter“, meinte Link.

Sara gesellte sich zu ihm und aß genüsslich von ihrer kostbaren Toastbrotscheibe. „Moment mal, heißt das, Zelda ist ihr wirklicher Name?“ Sara fiel vor Schreck das Brot aus dem Mund. Link lächelte leicht und schloss seine Augen. Und Sara hatte Recht. Zelda war ihr wirklicher Name, was vieles bedeutete, was Link noch mehr verwirrte als bisher. „Das ist ja… unheimlich“, sagte Sara langsam. Sie beäugte ihren großen Bruder genau und sah das stille Lächeln auf seinem Gesicht. „Du findest das nicht bedenklich, Link?“

Er schüttelte seinen Kopf und machte sich nicht die Mühe die blauen Augen zu öffnen. „Ich freue mich viel zu sehr für sie, als dass ich ihren Namen unheimlich finden könnte.“

„Verstehe“, sagte Sara und grinste bestätigend.

„Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie eure Woche gelaufen ist.“

„Schön“, murmelte Link umständlich, sodass Sara ihn nun genauer unter ihre alles sehende Lupe nahm. Link dachte an die langen Tage mit Zelda, die so selbstverständlich geworden sind, als kannte er sie schon sein ganzes Leben lang. Und doch war jeder neue Tag mit ihr, so wunderbar, so einzigartig und aufregend, als würde er an jedem Tag eine neue Seite von ihr entdecken.

„Hat’s dich erwischt?“ Und das Hinterhältige an Saras Gemüt kam zum Vorschein.

Daraufhin richtete sich Link verärgert auf und funkelte Sara streitsüchtig an. „Jetzt halt’ die Luft an. Soweit kommt’s noch“, schnaubte er. Aber… armer Link, die roten Wangenbäckchen verrieten wohl zu viel. „Ich kenne sie doch kaum, also bilde dir nicht so einen Schrott ein. Wer ist denn hier diejenige, die pausenlos zu Mike rennt?“

Sara verging das Grinsen wieder. Das Grübchen an ihrem Kinn spannte sich, die Ecken ihres Mundes verzogen sich nach unten und ihre blaugrauen Augen formten sich zu zwei gefährlichen Schlitzen, aus denen ihre Sicht der Dinge strebsam hervor blitzte.

Angesichts dessen brach Link in einen herrlichen Lachanfall aus und kugelte sich auf dem Boden.

„Du bist blöd“, fauchte Sara. „mehr als blöd, du hast deinen gesamten Verstand verloren, seit Zelda in dieser Stadt ist.“

„Na dann, du wusstest, dass ich noch nie sehr viel Wert auf einen gutfunktionierenden Verstand gelegt habe.“ Und Link hüpfte mit einem großen Sprung auf seine Beine. Es tat so gut, fröhlich zu sein.

„Leider, du Hornochse.“ Und ihr großer, durchgeknallter Bruder warf ihr wieder sein Unschuldsgrinsen zu, welches ohne Umstände dazu führte, dass sich Saras Augenbrauen anhoben und sie mit ihrem klugen Kopf auf und ab wippte. „Wenn du nicht so ein wunderbares Grinsen im Gesicht hättest, hätte ich dich schon lange umgebracht, du Trottel.“ Link hatte sein Ziel erreicht, auch wenn Sara beim Herausgehen aus der Küche ihm noch eine beleidigte Zunge herausstreckte.

Seine Schwester pflanzte sich in der Küche auf das Sofa und aß eine im wahrsten Sinn ungenießbare Beutelsuppe, die sie nur hinunterwürgte, da ihr Magen sein unsägliches Knurren nicht unterbinden wollte und wartete auf Link, der ihr immer noch zu erzählen hatte, was die Woche denn so Schlimmes geschehen sein sollte. Denn, dass etwas nicht stimmte, hatte sie bereits von Rick in der Schule erfahren. Maron sollte, so seine Worte, das Opfer von bösen Machenschaften geworden sein… Was hatte das wohl zu bedeuten, fragte sie sich.

Wenig später kam Link in das Wohnzimmer und hatte seine Okarina in der Hand.

Mit großen Augen starrte Sara auf das Instrument. „Was ist das denn? Ich wusste gar nicht, dass du eine Okarina hast.“ Link winkte diesbezüglich ab und trällerte einige Töne herunter.

„Das Verrückte ist, dass ich sie bisher nicht spielen konnte. Zelda hat es mir aber dann beigebracht…“

„Aha.“ Und vergnügt stopfte sich Sara eine weitere Toastbrotscheibe in den Mund. Würde man nicht wissen, dass die beiden Geschwister waren, könnte man sie bedenkenlos an ihren großen Appetit in dieselbe Familie einordnen.

„Ich habe auch eine lange Zeit Flöte gespielt, weißt du noch?“

Link nickte. Seine kleine Schwester hatte tatsächlich ein sehr gutes Gehör und eine sagenhafte Begabung für jenes Instrument bewiesen, leider hatte sie ihre Leidenschaft für das Flötenspiel für andere Hobbys aufgegeben. Aber die Fähigkeit dafür war schließlich geblieben. Sie nahm Link die Okarina ab und spielte ein sehr lustiges, aufheiterndes Lied, ohne dass sie jemals eine Okarina in der Hand hätte haben müssen. Sie konnte es einfach, genauso gut wie Link.

„Du bist gut darin, Sara.“

„Ich weiß“, kicherte sie und reichte Link das Instrument wieder. Eine Pause entstand, in der Link ans Fenster lief, aber nicht hinaus schaute, sondern seine Augen schloss.

„Willst du sie denn nicht besuchen?“, meinte Sara wissbegierig, da sie irgendwie wusste, wie gern Link seine Zeit jetzt lieber mit Zelda anstatt mit seiner kleinen Schwester verbringen wollte, die viele, viele Jahre schon seine Nerven strapazierte.

„Ja, schon… aber, ich nehme an, dass sie jetzt lieber alleine sein möchte, jetzt, da sie sich erinnert.“

„Hat sie dir denn erzählt, woran sie sich erinnert?“

In dem Moment schossen Tausende verwirrende Bilder durch Links Gedankengänge. Bilder von Zelda, ihrem stillen Lächeln und den traurigen Augen. Bilder aus seinen eigenen Träumen, von Dämonen, Blut und Finsternis. Zelda erinnerte sich… aber woran? Konnte es sein, dass sie vielleicht doch nicht in die moderne Menschenwelt gehörte? Und schließlich das letzte Bild derjenigen Zelda, die mit Tränen in den Augen bei Regen und Kälte auf der kleinen Lichtung im Wald saß und Link einen schwermütigen Blick zuwarf. „Nein… sie ist dann sofort mit Ines mitgegangen. Aber das seltsamste war das, was sie zu mir sagte, als sie verschwand…“ Und Link lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, sah dem goldenen Pendel der Wohnzimmeruhr zu. „Sie sagte: ,Danke für alles… mein Held.’ Und es war vielleicht das erste Mal, dass mir dieser Titel nicht den Tag verdorben hat.“

„Das lag bestimmt daran, dass es aus ihrem Mund gekommen ist. Hätte Ilena diesen Satz gesagt, wärst du ausgetickt…“, meinte Sara und sah, wie sich Sorgenfalten auf Links Stirn bildeten.

„Ist was?“

Aber Link schwieg und ließ sich nachdenklich auf die Couch sinken, stütze seinen Ellenbogen auf der Glasplatte des Tisches davor ab und verfiel einmal mehr seinen Grübeleien. „Erinnere mich bloß nicht an dieses billige Flittchen.“

Und Saras Kopf sank auf eine ihrer Schultern. „Hat sie was verbrochen, ich meine natürlich, außer dich anzuhimmeln?“

Link schlug mit seiner Faust. „Ja, verdammt, sie hätte Zelda beinahe umgebracht“, fauchte er.

„WAS?“ Und Sara hüpfte zu ihrem großen Bruder auf die cremefarbene Couch.

„Wir waren in dem großen Modegeschäft Lydias, als Ilena Zelda die Rolltreppe hinuntergestoßen hatte.“

„Nicht wahr. Ist die noch bei Trost?“ Entsetzt starrte Sara ins Nichts.

„Es geht nicht nur um Ilena. Die gesamte Woche sind komische Sachen passiert. Da wäre beispielsweise ein merkwürdiger Vogel auf dem Friedhof, oder eben die Geschichte mit Maron.“

„Erzählst du mir jetzt endlich mal, was mit Maron passiert ist?“

Und der ohnehin verunsicherte Link atmete tief ein, pustete einen Luftstrom an den Ansatz seines Haares und machte den Eindruck nicht darüber reden zu wollen. „Glaubst du an Dämonen, Sara?“, fragte er dann herumdrucksend.

Aber Sara schien über diese Frage so wenig erstaunt zu sein, wie Zelda über die Tatsache, dass Menschen nicht irgendwelche magischen Fähigkeiten besitzen könnten. Sie zuckte teilnahmslos mit ihren Schultern und schüttete sich den Inhalt eines großen Joghurtbechers in den Wanst.

„Ist das ein Ja?“

„Nun Link. Wenn du sagen willst, dass Maron von Dämonen besessen gewesen war, dann glaube ich dir das eben, weil du mein Bruder bist. Rick erzählte mir, du warst der letzte in der brennenden Turnhalle und hast Maron wieder zur Vernunft gebracht.“

„Ja, das habe ich. Danach hatte ich die Schnauze dermaßen voll…“

Sara legte eine Hand auf seine Schulter. „Du hast Maron in gewisser Weise gerettet, Link. Du kannst stolz auf dich sein.“

Er nickte dämlich grinsend und stand dann auf. „Trotz allen haben wir noch ein gewaltiges Problem, Sara.“

Daraufhin blickte sie verstört drein. „Hör zu, ich sagte, ich glaube dir, Link, aber Lust auf Probleme habe ich einfach nicht, weil ich noch einen Berg von Schularbeiten bewältigen muss.“

„Auch, wenn die Sache viel wichtiger ist als Schule?“

„Jetzt rück’ endlich mit der Sprache heraus, Grünschnabel.“

Link hatte einen grauenvollen Verdacht und irgendwie ein Gefühl der Vorahnung, als ob in naher Zukunft sehr viel geschehen sollte, Schreckliches passierte, Grausames… Wenn dieses Ungetüm in der Kathedrale Schicksalshorts ernst meinte, was es sagte, dann schwebten Dutzende von Leuten in Gefahr. Dieser Mistkerl wollte sie unter seinen Bann ziehen und dann zu seinen Sklaven machen. Genauso wie er es mit Maron getan hatte. Und Link wusste, dass der unheimliche Hüne in der alten Kirche für die seltsamen Ereignisse verantwortlich war. „Ich mache mir vielleicht auch bloß unnötige Gedanken…“

Daraufhin lachte Sara laut auf. Sie blickte Link direkt in seine tiefblauen, ernsten Augen. „Es muss schon etwas geschehen sein, dass ausgerechnet du mal so gedankenvoll, statt gedankenlos handelst.“

„Ich bin nicht gedankenlos und handle auch nicht so“, rechtfertigte er sich, blickte aber im selben Augenblick mit einer unechten Schnute an die Decke. Nun ja. Einige seiner dummen Jugendstreiche kamen ihn in den Sinn. Vor vier Jahren zum Beispiel hatte er das Färbemittel seiner Mutter für die Haare gegen ein hochwirksames Bleichmittel ausgetauscht, was ihm sehr in Erinnerung blieb. Einer der besten Brüller, die er sich je geleistet hatte. Aber egal. „Also, Sara, ich denke, du hörst gut zu. Das, was ich dir zu sagen habe, hat nichts mit dem Möglichen zu tun.“ Link erzählte ihr von dem rätselhaften Mann, den er zuerst auf der Straße getroffen und dann in der alten Kirche belauscht hatte. Auch das Vorhaben dieses Unholdes teilte Link Sara mit.

„Link bist du dir sicher, dass du dir das nicht einbildest?“

„Was?“

„Seit ich dich kenne, planst du immer irgendwelche Streiche an den Menschen deiner Umgebung. Du bist kein schlechter Mensch, aber das ist…“ Sara wich ihm aus.

„Aber Sara, das ist die Wahrheit.“

„Link, das ist einfach nicht denkbar. Ich glaube dir, wenn du sagst, dass Maron irgendwie besessen war und ich glaube an Dämonen. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass so jemand hier in Schicksalshort herumwandert und niemand etwas gegen ihn tut. Das will mir nicht in den Kopf.“

„Mir auch nicht…“, murmelte Link.

„Wie wäre es mit Polizei? Oder besser gleich das FBI?“ Diesmal lachte Link auf. „Nur blöd, dass uns sowieso niemand glaubt…“, murrte Sara ergänzend.

„Vielleicht würde mir die Direktorin glauben“, fiel Link spontan ein. Als er aber Saras rätselhafte Miene sah, vergaß er den Gedanken wieder. „War nur eine Idee.“

„Eine bescheuerte Idee. Der Schattener würde ich niemals irgendetwas sagen, selbst wenn mein Leben daran hing. Ich habe einfach Angst vor ihr. Guck sie dir doch mal an, welcher normale Sterbliche hat schon rote Augen.“

„Ach Sara. Meinst du nicht, dass du übertreibst?“

Sie stand auf und stützte ihr ganzes Gewicht auf der gläsernen Tischplatte vor ihnen ab. „Sie sieht mit ihrem muskulösen Body aus wie eine Horrorbraut“, murrte sie. Bellend fing Link an zu lachen, konnte kaum glauben, dass seine wohlerzogene Schwester derartige Begriffe überhaupt kannte und jauchzte und jauchzte, hielt sich krampfhaft den Bauch und spürte schon seine glasigen Augen zunehmen. Tz… Tz… Horrorbraut….

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Zelda bei der sicher ist.“ Und geräuschvoll pflanzte sich Sara auf einen breiten Sessel.

„Ich hatte den Eindruck, dass Zelda sehr vertraut mit Ines umgegangen ist“, sagte Link dann. „Sie ist in der alten Villa wahrscheinlich zuhause.“

„Und weshalb besucht Zelda dann nicht die Schule?“

„Keine Ahnung.“

„Warum haben wie sie in dieser Stadt noch nie gesehen? Ihr hübsches Gesicht wäre dir doch aufgefallen.“

„Keine Ahnung“, wiederholte Link und fühlte Ärgernis und ein hinterhältiges Unwohlsein bei diesem Gedanken. Saras Einwände waren zwar berechtigt und sprachen wohl für sich. Zeldas gesamte Vergangenheit schien ein großes Rätsel zu sein… Aber Link wollte das einfach nicht hören. Es kümmerte ihn nicht. Er wusste, dass er Zelda vertrauen konnte, er kannte ihre wahre Natur. Welche Bedeutung hatte dann ihre merkwürdige Vergangenheit? „Ist das denn so wichtig für dich, Sara?“, murrte Link dann und sprang von seinem Platz auf.

„Ja.“

„Mir aber nicht, mich interessiert das so wenig wie die kommenden Klausuren“, schimpfte er.

„Link, kann es nicht sein, dass du dir einige Dinge wirklich nur einbildest? Ich meine, vielleicht suchst du nach komplizierten Erklärungen, wo es die einfachsten gibt.“

„Wie meinst du das?“

„So wie ich es sagte. Ich denke, dass nicht alles an dem, was du gesehen hast, wirklich so abgelaufen ist. Vielleicht hast du die Dinge nur mit deinen Augen sehen wollen.“

„Du glaubst, ich habe Dinge gesehen, die so nicht abgelaufen sind?“

Sara nickte betrübt, auch wenn sie ihrem großen Bruder damit verletzen könnte. „Schön, dann nimmst du also an, dass ich den Verstand verloren habe. Danke für dein Vertrauen“, murrte er ironisch, schnappte sich seine Okarina und ging aus der Stube hinaus.

So erledigte Link gegen seine Art die belastenden Matheaufgaben, zu denen Ableitungen bilden oder Zeichnen von stupiden Exponentialfunktionen gehörten. Wenige Sekunden später donnerte ein frustrierter Oberschüler seine Hefte, die Federmappe und das dicke Mathebuch gegen die sich in seiner unmittelbaren Nähe befindlichen Wand. Die Stifte purzelten aus der Mappe, das Buch wurde durch den harten Aufprall gespalten und Link sah scherzhaft zu, wie sich sein Heft selbstständig machte und mit Gleichungen beschriebene Blätter in der Luft herumwirbelten. Link sah kurz aus dem Fenster und erblickte den glühenden Feuerball am Himmel untergehen. Das Glühen der letzten Strahlen erschien ihm so fremd. Statt eines warmen roten Schimmers nahmen sie ein beängstigendes Violett an. Ein dunkles Violett zog über die Stadt, machte Schicksalshort zu einer Stätte der Wiedergeburt für finstere Kreaturen, einem Ort der Einöde, wo die Windgeister selbst keine Atemzüge mehr nahmen.

Links Fernseher lief noch, als er auf seinem Bett lag und seine tiefblauen Augen durch die Düsternis des Raumes leuchteten. Die Nachrichten erklangen nebenbei, zogen seine Aufmerksamkeit aber nur teilweise zurück in die Realität. Die Berichte von irgendwelchen Naturkatastrophen häuften sich. Letzte Woche zum Beispiel waren am anderen Ende der Welt zwei Vulkane ausgebrochen, von denen angenommen wurde, sie wären schon vor Hunderten Jahren erloschen. Hurrikane traten öfters auf, Küsten wurden überschwemmt. Mutter Natur schien einen Groll gegen jemanden oder irgendetwas zu haben. Es gab jede Menge Spendenaktionen für die Opfer der Naturkatastrophen und der ein oder andere Beteiligte, der in den Nachrichten befragt wurde, sprach von einer dunklen Zeit, die auf die Erde zu raste. Link knipste seinen Fernseher desinteressiert aus. Unglücke auf diesem Planeten waren nicht zu verhindern, das wusste er, es würde immer Opfer geben und immer solche, die aus Katastrophen wachsen würden… Die Welt brauchte Schicksalsschläge und dunkle Ereignisse, erst dann wuchsen die Menschen… und erst dann wurden diejenigen, die reifen mussten, stärker…
 

So verging die Zeit wie im Fluge und einige stressige Tage. Es war schon wieder Mittwoch und Link, der von Zelda die Woche noch nichts gehört hatte, wollte sie endlich wieder sehen. Er kam mit einem vergnügten Grinsen nach Hause, warf seinen Rucksack noch vergnügter in die erstbeste Ecke, auf das niemand diesen mehr beachtete. Er war allein zuhause. Sara war sicherlich wieder bei Mike oder bei ihren Freundinnen und seine Eltern arbeiteten noch fleißig.

Langsam trottete er in das Gästezimmer und sah Zelda wie in einer verblassenden Erinnerung an der Tür zum Gästezimmer stehen. Sie lächelte. Und obwohl Zelda sich nicht wirklich hier befand, sah er ihr Bild direkt vor sich. Etwas überfiel ihn dann von einer Sekunde auf die andere- eine Art wirrer Gedankenspaziergang- ein Gefangensein im teuflischen Labyrinth der Erinnerung, die tief in der alten Seele Links verschlossen war.

Er sah Zelda über eine gigantische grüne Wiese laufen, und doch kehrte sie ihm den Rücken zu, traute sich nicht ihn anzusehen, als ob Link bei Entscheidungen, die sie zutreffen hatte, trotz seines Edelmutes, seinem Mitgefühl für andere, im Wege stand. Und sie lief, rannte über jene Wiese mit den lebendigen Grashalmen und mit jeder Sekunde, die sie davon hastete, wurde ihr Bild verschwommener. Sie verblasste… langsam und leise, so als ob er sie nicht mehr erinnern dürfte. Sie verschwand, wie eine weitzurückliegende Erinnerung, deren Farben grau wurden. Sie wurde vergessen, sie wurde unwirklich…

Link kämpfte gegen jene Visionen an, versuchte sie zu unterdrücken, da sie nicht nur verwirrten, sondern auch weh taten. Er lehnte sich für einen Augenblick an die Wand des Korridors und kniff seine Augen zusammen. Dieses Bild zermürbte innerlich, als ob er für kurze Momente sah, was man ihm genommen hatte. Doch jenes Bild auf weiten, grünen Wiesen wurde so schnell es ging wieder in seinem Inneren versiegelt, da er es nicht wissen durfte- es gehörte vielleicht nicht zu seiner Bestimmung, das Vergessene zu erinnern.

So tapste Link auf das Gästezimmer zu, als wäre nichts gewesen und er stempelte seine Vision, die er sowieso nicht verstand, als Halluzination oder Gedächtnisschwund ab. Er öffnete die Zimmertür und blickte zu dem Schrank, in welchem das samtene, weinrote Kleid hing. Er nahm das Kleid an sich und fuhr mit seinen Händen verträumt über den weichen Stoff. Er legte die Schachtel mit dem Diadem und das kostbare Kleid zurück und hüpfte frohen Herzens die Treppenstufen ins erste Stockwerk hinab. Er murmelte geistesgegenwärtig den Namen seines Gastes von der vorherigen Woche, zog sich eine dunkelgrüne Jacke über und lief auf die Haustür zu. Gerade wollte er aus der Haustür hinaus, als der Wagen der Direktorin die Einfahrt hinein fuhr. Zelda hatte offensichtlich die gleiche Idee. ,Vielleicht könnten sie ja den Nachmittag zusammen verbringen‘, dachte Link erfreut.

Zelda stieg sehr vorsichtig, vielleicht ein wenig unsicher aus dem Wagen und hatte ihr Äußeres ein wenig geändert. Sie war vermutlich beim Friseur gewesen, denn ihr goldenes, langes Haar war etwas kürzer, teilweise gelockt. Sie wirkte gepflegt, trug sogar etwas dezentes Make-Up und war mit Jeans und ihrer rosa Strickjacke bekleidet. Sie lief auf Link zu, ohne ihm in die Augen zu sehen.

„Ich wollte lediglich das Kleid, also meine Sachen, und dieses Diadem abholen.“ Sie sprach unsicher und unbeholfen. Noch immer scheute sie seinen Blick. Link verstand ihr Verhalten nicht, wusste nicht, warum sie sich ihm gegenüber so abweisend und distanziert verhielt.

„Hey“, meinte er und ging einen Schritt näher auf sie zu. Doch Zelda wich mit geschlossenen Augen unsicher zurück und neigte ihren Kopf ablehnend zu Seite. Auch Link blieb nun zurückhaltend stehen, suchte nach ihrem Blick, ihrem Lächeln.

Aber Zelda tat nichts dergleichen und sagte leise: „Das Kleid hängt bestimmt noch in dem Schrank im Gästezimmer.“

„Das Diadem… ist auch noch dort“, sagte Link und fühlte mehr als Unbehagen in sich aufkommen. War das alles, war Zelda nur wegen ihren Sachen hergekommen? Und was war mit ihm und seinen Gefühlen?

Sie atmete tief aus und blickte zu dem grünen, frisch gemähten Rasen. Es war schwer für sie, ihn nicht einmal zu beachten, aber hatte sie denn eine Wahl um dafür zu sorgen, dass er sie nicht mehr kennen sollte? Hatte sie eine Wahl, ihm erneut Steine in den Weg zu legen. Sie tat es doch nur für ihn… Sie ballte ihre Fäuste und drehte sich schließlich ganz um.

„Ist das alles, was du willst?“, sagte er energisch.

Zelda nickte bloß. Verärgert drehte sich Link um und rannte die Treppenstufen hinauf. Er holte Zeldas Sachen und schlug frustriert die Tür zum Gästezimmer zu. Allmählich verstand er die Situation ganz gut… Er fühlte Wut in seinem Bauch und bemühte sich nicht ausfällig zu werden. Er lief wieder zu ihr und reichte ihr die Sachen. Zelda nahm die Dinge an sich und holte eine kleine Geldbörse aus ihrem Rucksack. Mit einem Klacken öffnete sie den Verschluss und holte einige Scheine aus dem Innenraum. Sie reichte diese Link und blickte direkt an ihm vorbei.

„Was soll das?“

„Für die Kleidung und die Umstände, die ich dir bereitet habe.“ Umstände? Als ob er es nicht genossen hätte, dass sie bei ihm war. Als ob er sie nur aus Mitleid in dem Haus seiner Eltern hatte wohnen lassen…

Verärgert sagte Link: „Du hast mir nie Umstände bereitet, Zelda.“

Sie wünschte, sie könnte einfach vor ihm weglaufen, vor seinen Gefühlen, die doch da waren, aber sie musste diese Geschichte jetzt klären und abschließen. „Nimm’ das Geld, Link. So viel bin ich dir schuldig.“ Erneut reichte sie ihm die Geldscheine.

Link fühlte von einem Moment auf den anderen eine hinterhältige Leere in sich, jetzt, da er langsam verstand, was der Preis gewesen war, für diese schönen Tage mit jemandem, nach dem sein Herz gerufen hatte. Und im nächsten Augenblick diese Empörung und Zorn. Ungehalten schlug er ihr die wertlosen Geldscheine aus der Hand. „Ich will dein verdammtes Geld nicht.“

Schockiert kniete Zelda nieder und hob die Scheine auf. Sie kämpfte mit den Tränen und den Erinnerungen an die wundervollen Tage mit ihm. Sie wich ihm noch mehr aus, als zuvor, trat einen Schritt zurück und neigte ihren Kopf.

„Warum tust du das?“, fragte Link und packte sie an den Oberarmen, aus Angst sie könnte sich wieder in Luft auflösen.

„Ich habe im Moment keine Zeit“, sagte sie leise und mit zitternder Stimme, als ob Link ihr jemals weh getan hätte, als ob er die Intension verspürte, sie zu verletzen…

„Ach so. Und deswegen siehst du mich nicht einmal an?“, fauchte er gekränkt. Verwirrt ließ er sie los und sah zu Boden. „Wirst du denn jemals wieder Zeit haben?“

Sie schüttelte mit dem Kopf. In dem Augenblick begann nicht nur Links Verstand die Tatsache zu begreifen, nein, auch sein Herz akzeptierte langsam…

„Bitte nimm’ das Geld an“, betonte sie.

„Ich will dein verdammtes Geld nicht“, wiederholte er und spürte das Umschlagen der Wut in Selbstmitleid. „Alles, was ich jemals wollte, war deine Freundschaft. Und wenn du, jetzt, da du deine Erinnerungen wiederhast, nicht mehr bereit bist, diese mir zugeben, dann ist es wohl besser, wenn du dich hier nicht mehr blicken lässt“, sagte er kalt. Seine Mundwinkel verzogen sich wieder und unklar war, ob Link jetzt wieder sein Lächeln finden würde. „Verschwinde!“, brüllte er und drehte sich um. „Hau‘ ab, wenn das alles ist, was du für mich empfunden hast. Such’ dir einen anderen, den du ausnutzen kannst. Verschwinde“, tobte Link, hetzte ins Haus und schlug frustriert die Tür zu. Das Licht in seiner Seele war nun wieder verschwunden. Der junge Mann ging in die Stube und sah aus dem Fenster. Zelda stand mit traurigem Blick immer noch vor der Tür und rührte sich nicht. Ihre Lippen bewegten sich, aber Link konnte diese Worte nicht hören oder identifizieren. Sie warf das Portemonnaie in den Briefkasten und lief mit schweren Schritten zu dem Wagen, aus dem zwei trübsinnige rote Augen hervor sahen. Ines sagte irgendetwas und Zelda wischte sich etwas aus ihrem Gesicht. Link verschwendete nicht einen Gedanken daran, dass dies vielleicht eine Träne war. Sie stieg wieder in den Wagen ein und Link verstand die Welt nicht mehr. Verletzt ließ er sich auf einen Sessel sinken und starrte Löcher in die Wände.

Sie hatte ihn wohl niemals als einen Freund respektiert und nun mied sie jede Begegnung mit ihm. Das war nicht das Mädchen, das er im Wald gefunden hatte, die Person, die ihm so viel bedeutete. Diese Dame hatte er nie kennen gelernt. Für Link war das nicht mehr Zelda. Link ging niedergebeugt in sein Zimmer und folgte wieder dem Trott seines bemitleidenswerten Lebens, von dem er glaubte, es könnte sich ändern, nun da sie hier war… seine Seelenverwandte…

Aber nichts würde sich ändern. Schon wieder eine Enttäuschung, alles bloß wegen seiner ungewöhnlichen Einstellung zu der Welt und der Tatsache, dass er an Zelda geglaubt hatte, ihr vertraut hatte. Und nun wusste sie tiefe Geheimnisse über Link, wusste Dinge, die er niemandem sagen wollte, und das zu Unrecht. Mit ihrem jetzigen Wissen konnte sie Link vielleicht noch mehr verletzen als ohnehin schon. Er konnte ihr nicht mehr vertrauen. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben. Sie war eine Fremde, sie war niemand mehr für ihn.

,Was zum Kuckuck hatte er denn falsch gemacht‘, fragte er sich. Hatten sie einander nicht angelächelt, immer und immer wieder? Hatte Zelda denn nichts für ihn übrig gehabt und die gesamte Zeit geschauspielert? Link verstand sie nicht mehr, er wollte sie nicht mehr verstehen… War er nicht derjenige gewesen, der sie gerettet hatte, der sie beschützt hatte?
 

In dem Augenblick klingelte jemand aufgeregt an der Haustür. Schlecht gelaunt hastete Link zu der Tür und schaute durch den Spion. Nanu? Josh und Hendrik, die beiden Zwillinge standen vor der Tür. Was wollten die denn? Link öffnete und murmelte ein einfaches Hallo vor sich hin.

„Hey, ist denn Zelda da?“, fragte Hendrik.

„Sie wohnt nicht mehr hier. Wenn ihr sie besuchen wollt, geht zu Ines Schattener, ist soweit ich weiß, ihre Tante“, sagte er kurzangebunden und kühl.

„Auch gut“, entgegnete Josh und warf dann seinem Zwilling einen vielsagenden Blick zu. „Eigentlich wollten wir ja zu dir“, setzte Josh leise hinzu. „Es geht um die Sache mit dem Friedhof.“

Daraufhin trat Link aus der Haustür heraus und vergewisserte sich, das Thema des Gespräches verstanden zu haben. „Was ist damit?“

„Sagst du’s ihm?“, meinte Josh.

„Nein, sag’ du’s ihm“, erwiderte Hendrik. Und so machten beide eine Wissenschaft daraus, die Neuigkeiten an andere, hier in diesem Fall Links Ohren, zu bringen.

„Also“, fing Josh an, der von seinem Zwillingsbruder und dessen verflixter Schauspielkunst zum Nachteil Joshs überzeugt wurde. „Letzte Nacht war Drokon nicht alleine auf dem Friedhof. Er wuselte in den Gräbern herum und irgendwann standen etwa zehn andere Leute neben ihm. In der Dunkelheit konnten wir die Gesichter dieser selbstverständlich nicht ausmachen und so beobachteten wir nur, wie sich diese Brut humpelnd vom Friedhof entfernte.“

„Und was erzählt ihr ausgerechnet mir das?“, sagte Link grantig.

„Weil du und Zelda ebenso davon wissen und…“ Link sah Hendrik eindringlich an. „… und weil du normalerweise nicht so leicht aus der Fassung zu bringen bist… naja… und du hast den Ruf an der Schule ziemlich mutig zu sein…“

„Und ihr erwartet jetzt von mir, dass ich der Sache auf den Grund gehe?“

Die Zwillinge nickten bestätigend und zufrieden mit ihren Köpfen.

„Ihr spinnt doch. Sucht euch einen anderen, der die Drecksarbeit macht“, fauchte Link so sauer wie noch nie in seinem Leben. Verdatterte Gesichter standen vor ihm, die seine plötzliche Wut nicht verstehen konnten.

„Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, meinte Josh maulend.

„Sorry“, nuschelte der junge, zukünftige Held den beiden entgegen. „Ich habe bloß einen schlechten Tag.“

„Das merkt man“, meinte Hendrik.

Link fuhr sich nachdenklich durch die blonden Haarsträhnen, die so ungezwungen in seine tiefblauen Augen fielen. Drokon und sein angeblicher Lord hatten irgendwelche Pläne, so viel wusste Link aus den Gesprächen dieser zwei Gestalten in der Kirche. War es möglich, dass Link deren Pläne irgendwie vereiteln konnte, wenn er Drokon auf dem Friedhof hinderte, seine Pflicht zu tun. Das war ein furchteinflößender und doch überraschend aufregender Gedanke. Link könnte dadurch endlich seinen Mut testen und herausfinden, was in ihm steckte. „Und was wollt ihr jetzt machen?“

„Wir dachten daran, heute Nacht wieder auf den Friedhof zugehen und diesen Drokon endlich zur Rede zu stellen.“

„Klingt gut, auch wenn nicht ganz ungefährlich.“

„Genau und deswegen wollten wir uns Kapuzen aufsetzten, um nicht erkannt zu werden und sicherheitshalber unsere Bögen mitnehmen. So was hast du doch auch zuhause.“ Link nickte. Und obwohl er den Zwillingen nichts über den Aufenthaltsort Drokons in der alten Kirche erzählt hatte, war ihr Einsatz irgendwie fragwürdig.

„Was springt für euch dabei raus?“, fragte Link wissbegierig. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die beiden diese Geschichte nur zum Spaß klären wollten.

„Erstens finden wir diese Sache unheimlich und wollen diesem Drokonspinner bei seinen mysteriösen Ritualen einen Strich durch die Rechnung machen und zweitens brauchen wir eine neue Story für die Schülerzeitung.“ Den letzten Punkt hätte Link lieber überhört. Diese Beiden unterschätzten die Gefahr der Situation maßlos und dachten wohl an Nichts anderes als ihre Zeitung, die von Josh und Hendrik als Chefredakteure geleitet wurde.

„Ist nicht euer Ernst.“ Die Zwillinge grinsten. Und Link verstand die Zwei nun ganz gut. „Wann soll’ losgehen? Ich bin dabei.“ Und Links Einverständnis gab den Zwillingen wohl Grund genug für laute Freudenrufe.

„Neun Uhr an der alten Porzellanfabrik. Wir gehen dann zu dem Friedhof und warten auf den Kerl.“

„Gut“, meinte Link abschließend, wusste aber nicht, dass Josh und Hendrik so dreist sein würden, ihre Photoapparate und eine Videokamera mitzunehmen…

,Wenn es nur erst Abend wäre‘, dachte Link. Es war nicht die Nervosität und das leichte aufgeregte Gefühl, nachts auf dem alten Friedhof herumzulungern, es gab einen anderen Grund, weshalb er sich wünschte, dass es so schnell es ging Abend wurde. Ein wenig Abwechslung würde ihn davon abhalten, ständig an Zelda zu denken. Es musste doch einen Grund für ihn abweisendes Verhalten geben. Hatte er einen Fehler gemacht?
 

Und so verging der Nachmittag eines grübelnden Link, der mit der Zeit immer nachdenklicher wurde. Als Sara heimkam, bemerkte sie sehr wohl seinen Trübsinn, konnte aber nichts aus ihm herauslocken. Er schwieg und wollte einfach nicht darüber reden. Und als es dann endlich Abend wurde, rückte der Gedanke an die verlorene Freundschaft weit abseits. Bewaffnet mit seinem Bogen und einer dunklen Jacke mit Kapuze als Verhüllung schlich er, ohne jemandem etwas zu sagen, durch die zunehmende Nacht.

Er kam einige Minuten zu spät an der Porzellanfabrik an, aber Hendrik und Josh waren auch noch nicht da. Link lehnte sich einige Minuten an das mausgraue Mauerwerk des Gebäudes und wartete.

„Tu‘ das nicht. Man darf nicht wissen, dass du bereit bist zu kämpfen. Du darfst das nicht tun“, schallte es aus einer Ecke. Eine glockenhelle Kinderstimme rief ihm diese Worte zu. Aber das Böse ahnte schon lange, schon sehr lange um die Existenz seines Gegenspielers, obwohl es glaubte, es hätte ihn schon vor Jahren ausgelöscht. Link drehte sich geschwind um, hastete zu der Stelle, wo diese Worte herkamen. Aber er fand niemanden.

„Du bringst dich damit in Gefahr. Tu‘ das nicht“, schallte es erneut.

Aber Link interessierten jene Sätze nicht, dachte ohnehin daran, dass sie wieder nur eine seiner Einbildungen wären und schüttelte seinen Kopf. Dann klatschte er sich mehrmals mit der Hand an die Stirn. ,So ein Quatsch‘, dachte er. Und wenn er sich in Gefahr brachte, dann konnte er sich damit etwas beweisen. Er würde, nur weil er einen komischen Vogel auf dem Friedhof beobachten wollte, nicht gleich im Gefängnis landen. Außerdem… Er konnte schon auf sich selbst aufpassen. Gefahr? Was sollte schon so gefährlich daran sein, irgendeinem Ekel den Abend auf dem Friedhof zu vermiesen. Link zuckte mit den Schultern und tat das eben Erlebte wieder als pure, hirnrissige Halluzination ab.

In dem Moment erschienen zwei weitere Gestalten aus der Dunkelheit. Zwei grüne Augenpaare funkelten aus in Kapuzen gehüllten Gesichtern hervor. „Guten Abend, Link“, meinten Josh und Hendrik gleichzeitig. ,Weniger guten Abend‘, dachte Link, verkniff sich diesen Kommentar aber und nickte zur Begrüßung. Stolz präsentierten sie Link ihre Kamera und den Photoapparat, worauf dieser nur kopfschüttelnd seine Augen verleierte. Alsdann machten sich die Jugendlichen auf den Weg und erreichten kurz vor zehn den Friedhof. Sich hinter einigen Bäumen auf die Lauer legend, beobachteten sie, was vor sich ging.

Es dauerte zwei Stunden, ehe sich auf dem finsteren Friedhof etwas regte. Pünktlich um Mitternacht humpelte ein Sinnlosigkeit faselnder Drokon auf den Friedhof, geisterte von einem Grab zum anderen und schaute hin und her, als würde er warten, als würde er nervös werden. Ein heller Vollmond wurde von grauen Wolken preisgegeben und warf sein kühles Licht über den Friedhof.

„Dumm… so dumm…“, murmelte Drokon mit seiner quietschenden Stimme. Link spitzte seine Ohren. Wovon redete dieser komische, wahnsinnige Mönch? Drokon setzte sich auf ein Stückchen Wiese, welches einging und sich verfärbte, als er dies tat und wuselte erneut in dem kalten Erdboden herum. „So dumm die Erschaffungen, durch den Auftrag des Meisters Gnade, sie doch nicht überlebten“, piepste er. Dann plötzlich tauchten in etwa zehn Gestalten neben ihm auf, wie aus dem Nichts, und im selben Moment zerbrachen diese in Stücken verfaulte Erde. Die Klumpen lagen verstreut und ohne Bedeutung um Drokon herum, der daraufhin einen schrecklichen Seufzer von sich gab. „Wenn der Lord das erfährt, der böse Drokon schlug wieder fehl.“ Und der kleine Mönch rieb mit seinen langen, dreckigen Fingernägeln über seine kahle Stirn.

Link sah dem merkwürdigen Treiben entsetzt zu. Wenn das nicht Magie war, und dazu noch schwarze Magie, dann wusste er nicht, was es sonst sein sollte. Link blickte sich um und wunderte sich, wo denn Hendrik und Josh abgeblieben waren? ,Das gibt’s doch nicht‘, dachte Link, die haben sich einfach aus dem Staub gemacht. Diese Feiglinge…

Link ballte ohne es zu merken seine Fäuste und wurde nun auch allmählich nervös. Vielleicht hätte er nicht herkommen sollen. Diese Sache ging ihn nichts an, genauso wenig, wie er sich in das Leben Zeldas einmischen konnte. Als er jedoch Drokon in der Dunkelheit nicht mehr erblickte, wurde ihm mulmiger zumute. Link lief einige Schritte durch die Düsternis, hörte das Knacken seiner Turnschuhe, die sich durch das staubige Gras bewegten. Abrupt blieb der junge Mann stehen, spürte eine Art Hecheln hinter seinem Rücken und ahnte… ahnte Gefahrvolles.

„Zeigt sein Gesicht, die junge Wiedergeburt… Gut! Gut. Wahrhaftig, wenn der Meister erfährt von seinem Gegenspieler“, erklang jene grausige Stimme Drokons. Link aber drehte sich nicht um, sondern blieb gelassen.

„Du kennst mich nicht“, sagte Link mutig und drehte sich um.

„Das glaubst du zu wissen, aber dein Wissen kann dich belügen.“ Daraufhin lachte der griesgrämige Mönch mit dem schamhaften Äußeren und seiner Erbarmungslosigkeit vor sich hin. „Link… haha… Link… ja, ja, ein toller Name.“

Doch die Augen des jungen Mannes gegenüber Drokons weiteten sich nur, anstatt zu begreifen. „Woher weißt du meinen Namen?“

Drokons dunkle Augen blitzten glühend auf, aber erzählten Link nicht das große Geheimnis seiner Existenz. Die schmierige Gestalt lief langsam zu einem hohen Grabstein.

„Was machst du hier überhaupt?“, sagte Link, entschlossen diesen Typen zur Rede zu stellen. Es musste doch eine logische Erklärung dafür geben, dass dieser Kerl den Namen des Oberstufenschülers wusste. Hatte sich Drokon über ihn und seine Eltern informiert? Wenn ja, aus welchem Grund? Das ergab für Link einfach keinen Sinn. War es möglich, dass Drokon nur geraten hatte?

„Ich feiere die Auferstehung alter Krieger, aber sie wollen nicht gelingen.“ Und Drokon schaute fast bedauernd zu den am Boden liegenden Erdhäufchen. Ein Wunder, dass Drokon so dumm war, Links Fragen zu beantworten. Oder war es keine Dummheit, war es vielleicht eiskalte Berechnung?

„Gut, dann wirst du jetzt damit aufhören und den Friedhof verlassen, Drokon“, sagte Link befehlend. Daraufhin wich Drokon vor Links Erscheinungsbild zurück, anstatt sich über seine drohenden Worte lustig zu machen. Link sah dem Kerl überrascht hinterher. Eigentlich hatte er mit fiesen Worten, oder einem möglichen Angriff von dieser abscheulichen Witzfigur gerechnet und hielt schon mal seinen Bogen bereit. Aber der fette, missgeratene Mönch kroch schleimend und irgendetwas vor sich hin murmelnd weiter, bis er von dem Friedhof verschwunden war. Konnte es sein, dass jene Kreatur zu viel Respekt oder sogar Angst vor Link hatte, anstatt ihn herauszufordern? Bedenklich.

Der junge Mann mit dem grünen Basecape blieb weitere Augenblicke gedankenverloren auf dem Friedhof stehen. Die Realität spielte ihm wieder einen Streich und schickte Gefahr, nicht nur für ihn, auch für die Menschen, denen er etwas bedeutete. Denn Drokon würde seinem Meister, von dem Link keine Ahnung hatte und davon, wie sehr sein Schicksal an das dieses bedrohlichen Schattens gebunden waren, genausten darüber in Kenntnis setzen, dass auch diese Welt ihre kampfbereiten Helden hatte. Helden, die man vielleicht nicht mehr sehen konnte, die aber ihre Ideale besaßen und für jene einstehen konnten.
 

Drokon jedoch tapste kriechend durch die Straßen Schicksalshorts und trat in die dunkle Kirche ein, als sich über der Kleinstadt ein Gewitter zusammenbraute. Sein Meister saß selbstherrlich wie immer an einer Tafel und schien Löcher in die Wände zu starren.

„Hat deine Kreation wieder versagt, du Wurm?“, maulte er schlechtgelaunt und schleuderte eisige Energiebälle in der Kirch umher, zertrümmerte einige heile Holzbänke und erfreute sich an Drokons ängstlichem Gesicht.

„Der Held war auf dem Todeshof… er hat mich vertrieben…“

„Der Held sagst du…“

„Ja, der Held…“

„Und du bist vor dieser billigen Wiedergeburt einfach weggelaufen, die elender Feigling?“

„Aber mein Lord… er drohte… den unseren…“

Der Fürst des Schreckens verdrehte die Augen und schwebte durch den Raum, packte Drokon am Kragen und zerrte ihn hinunter in die Krypta. „Arbeite jetzt an dem Gefängnis der Finsternis. Ich will die hübsche Königstochter darin sehen… wie sie verrückt wird… wie sie ihre Seele verliert… wie sie leidet…“ Krankhaft und eine innere Befriedigung erfahrend, allein bei dem Gedanken wie die Prinzessin Hyrules in jenem Gefäß leiden, weinen und verzweifeln würde. Mit Freuden erinnerte er ein Ereignis aus der Vergangenheit, als er ihre Seele beinahe zerquetscht hätte wie eine fette Fliege in der Hand. Lachend erinnerte er sich an das wimmernde, flehende Gesicht dieser Hure, wie er hylianische Weiber gerne nannte… und er hatte jeden Augenblick genossen ihr weh zu tun, ihr die Würde und Selbstachtung zu nehmen, hätte nicht der damalige Held der Zeit sich eingemischt…

„Das also wollt Ihr mit dem Gefäß erreichen“, stellte Drokon fest. „Ihr wollt die Seele der Prinzessin darin einfangen.“

„Ja, du Dummkopf… wenn niederes Gesocks wie du nur nicht so schwer von Begriff wäre“, fauchte er und verschwand aus der Krypta.

Drokon aber arbeitete weiterhin eifrig, fast besessen an dem gefährlichen Seelenfänger…
 

Inzwischen war es ein Uhr nachts und Link verspürte nicht den geringsten Hauch von Müdigkeit. Mit Zelda in seinen Gedanken kam ein trübsinniger Link nach Hause und fand das gesamte Haus dunkel vor, lediglich in der Küche brannte Licht. Langsam und gewappnet für das Gemeckere seine Mutter kam Link in jenes hellerleuchtete Zimmer und sah seine Mutter mit ihrem weißen Nachthemd auf einem Stuhl sitzen. Sie hatte ihm den Rücken zugedreht und ihr schulterlanges, dunkelblondes Haar mit einer langen Nadel umständlich in die Höhe gesteckt. Ihre Lesebrille auf der Nase las sie ihren Schmöker, saß am Küchentisch und wartete vermutlich auf ihren Sohnemann, der freudlos in den Raum trat und zunächst keinen Mucks von sich gab. Sie drehte sich begutachtend zu ihm um und schüttelte mit dem Kopf, ohne irgendetwas zusagen.

„Entschuldige Mum…“

Meira stand auf und schüttelte immer noch den Kopf. Sie schwieg weiterhin und lief mit gesenktem Blick auf ihn zu. Link unterließ es in ihr vor Wut kochendes Gesicht zusehen und murmelte ein weiteres ,Entschuldige’ vor sich hin. Noch ehe Link verstehen konnte, was geschah, spürte er einen gemeinen Schmerz auf seiner rechten Wange. Entgeistert sah er seine Mutter an, die ihm eine gewaltige Schelle verpasst hatte. Er rieb sich langsam die wunde Wange.

„Mum?“, sagte er fragend.

„Hast du eine Ahnung, was ich mir für Sorgen gemacht habe?“, fauchte sie gekränkt. „Du sagst niemandem, wohin du gehst. Du rufst nicht an, schreibst keine SMS und hast auch sonst nichts gesagt. Zudem hast du morgen Schule und kommst so spät heim. Wo, beim Teufel, warst du?“

Und Link hatte nichts anderes als einen unsinnigen Kommentar zu bieten. „Ich war bei einem Teufel.“

Jetzt war’ s aus. Links Kommentar hatte seiner Mutter den Rest gegeben. Sie war kurz vorm Explodieren. Das Rot ihrer Wangen passte farblich perfekt zu ihrem weißen Nachthemd, welches feine rote Farbstreifen aufwies und zu der weißen Haube auf ihrem wütenden Kopf. „Du landest gleich bei einem richtigen Teufel, wenn du mir nicht auf der Stelle sagst, wo du warst!“, brüllte sie lautstark, sodass die Gläser in den Schränken klapperten. Aber Link schwieg und verkniff sich die nächste bissige Bemerkung. Genervt ließ er den Kopf hängen. Er konnte seiner Mutter doch nicht ernsthaft die Wahrheit sagen!

„Warst du bei Zelda?“

„Nein!“ Und nun wurde Link laut. Der Gedanke an Zelda und ihr abweisendes Verhalten ihm gegenüber kamen wieder hoch. „Wenn du es wissen willst, ich war auf dem Friedhof, jawohl“, sagte er energisch.

„Lüg’ mich nicht an“, wetterte sie herum.

„Aber ich lüge doch nicht“, meinte er unverblümt.

„Soll ich erst bei den Schatteners anrufen?“, schimpfte sie und hielt ihm ihren spitzen Zeigefinger unter die Nase.

„Von mir aus. Mach‘ doch.“

„Hast du vorgesorgt und Zelda angewiesen, nichts zu verraten, ja? Das denkst du dir. Pah!“, predigte sie. „Ab ins Bett und bilde dir nicht ein, dass du aus diesem Zimmer wieder herauskommst. Du hast Hausarrest und diesmal wirklich. Und sieh’ mich nicht mit deinem dämlichen Grinsen an. Jetzt hast du’s verbockt. Und es ist mir egal, ob du bald volljährig bist. Du bist ein hoffnungsloser Fall.“

Ihr Brüllen hörte Link noch, als sie mit einem aufgebrachten Stapfen die Küche verließ und die Treppen geräuschvoll hinauf ging. Meinte sie das ernst mit dem Hausarrest? Mit einem lauten Seufzen verschwand Link in seinem Zimmer und ließ sich erschöpft in sein Bett fallen. Er wollte die Geschehnisse des Tages noch einmal überdenken, aber da war es schon zu spät und Link schlief ein. Er hatte auch diese Nacht seine Alpträume. Und richtig schlafen konnte er nicht, da die Nacht die reinste Hölle war. Er hörte alle möglichen Stimmen in seinen aus Bilderfetzen bestehenden Träumen, hörte Zeldas Stimme, hörte Drokons Stimme und zwischendrin vertraute Stimmen von Rick und anderen Leuten. Ständig wachte er mit rasendem Herz auf, ständig schlief er wieder ein, da er sich gegen den Traum nicht wehren konnte. Insgesamt hatte der arme Kerl die Nacht vielleicht drei Stunden geschlafen und stolperte gegen sechs mit herunterhängenden Schultern und seinen gewohnten Augenringeln die Treppe hinunter.

Er lief in die Küche und hielt sich eine Hand über die Augen, als das morgendliche Sonnenlicht ihn blendete. Seine gesamte Familie saß am Tisch, aber keiner würdigte ihn eines Blickes. Stumme Begrüßungsformeln erklangen. Wenn es etwas gab, was Link mehr hasste als den erniedrigenden Anpfiff seiner Mutter, dann mit Sicherheit das Schweigen seiner ganzen Familie. Kein Wort fiel und Link war er erste, der das Haus verließ. Er fühlte kaum Schuldgefühle, warum auch… er war beinahe erwachsen und er hatte sich bisher immer verteidigen können, wenn irgendetwas Gefährliches geschehen war. Und der Mönch von gestern hatte sich auch von ihm einschüchtern lassen…

In der Schule hatte er ein ausführliches Gespräch mit Josh und Hendrik, die ihm ohne Umschweife mitteilten, dass sie gestern Abend auf dem Friedhof einfach Angst hatten und kurzum Reißaus machten. Und so verging die Schule in ihrer Gewöhnlichkeit. Aber Link ging nach der Schule nicht nach Hause.

Er trottete wahllos in der Stadt herum. Es war Donnerstag, ein blöder Donnerstagnachmittag. Link lief über den mit Menschen gefüllten Marktplatz und alles schien seinen gewohnten Lauf zunehmen, alles war so selbstverständlich- das rege Treiben, die Marktschreier, die eifrigen Leute, die nach den besten Preisen jagten, sogar die vielen grauen Tauben auf dem alten Pflastergestein. Link wandelte schwerfällig durch die Menschenmassen und ihm war, als stach er aus den Massen heraus, wie ein kleiner bunter Punkt unter vielen grauen. Es war einfach nicht fair. Er wollte sich nicht mehr so fühlen, wie er sich fühlte, er brauchte einige Antworten, die möglicherweise alles waren, was ihm fehlte. Langsam folgte Link seinem Weg, vorbei am Park und seinen sauberen Wegen, die ihn überall hinbrachten, bloß nicht dorthin, wo sein Herz gern wäre…
 

Von weitem sah er das Anwesen der Direktorin auf jenem einsamen Hügel liegen und blieb geistesgegenwärtig stehen. ,Geh’ zu ihr und rede mit ihr‘, sagte sein Herz. Aber irgendwie wusste er auch, dass Zelda ihn nicht wiedersehen wollte, aus welchem Grund auch immer… Er atmete tief ein, um sich Mut zu machen, kletterte über eine hohe Mauer und ging zweifelnd zu der hohen Tür jener Villa, die an ein großes, magisches Tor eines Schlosses erinnerte. Er suchte nach einer Klingel, fand diese in Form einer Glocke mit Löwenkopfverzierung und läutete, überrascht von dem lauten, fast klagenden Klang.

Ines Schattener öffnete die Tür. „Link?“ Fragend sah sie den Jugendlichen an und schaute dann zurück in das Haus, schaute zu einer mit dem Kopf schüttelnden Zelda, die trübsinnig auf der Treppe in der Halle stand. „Was führt dich her?“, sagte die Direktorin und ging zu ihm nach draußen, schloss leise die Tür.

Der junge Mann mit dem grünen Basecape sah hilflos an der Mauer des Anwesens hinauf und zählte aus Nervosität die Stockwerke. „Nichts“, murmelte Link vor sich hin. Genau, nichts… Er hatte hier nichts zu suchen. „Ich sollte besser wieder verschwinden“, ergänzte er schwerfällig und trat von einem Fuß auf den anderen. Gott, er kam sich so bescheuert vor, war hier, um jemanden zusehen, den er seit knapp zwei Wochen kannte und dieser Jemand wollte doch nie wieder mit ihm reden. Reden, genau reden…

Ines gab ein Schnauben von sich und drehte sich wieder in Richtung Tür, als Link murmelte: „Warten Sie! Eigentlich wollte ich…“

Mit einem leichten Lächeln drehte sich Ines um. „Ja?“

„… ich wollte mit Zelda reden.“

„Ich weiß.“ Und Verständnis zeigte sich auf dem fast gutmütig aussehenden Gesicht jener Lehrerin. „Und ich weiß, dass Zelda dir aus dem Weg gehen will.“

Link nickte und grub seinen Kopf in die Hände. Mutlos ließ er sich auf die Treppenstufe sinken. „Habe ich irgendwas falsch gemacht?“

Ines setzte sich neben ihn und schüttelte mit dem Kopf.

„Warum redet sie dann nicht mit mir? Es gibt so vieles, was ich ihr erzählen muss.“

„Zelda hat einige Dinge mit sich selbst zu klären, Link. Lass’ ihr Zeit. Ich bin mir sicher, es kommt alles wieder ins Lot.“

Er sah verdutzt auf. „Wirklich?“

Sie nickte lächelnd. „Da fällt mir etwas ein.“ Und Ines gab ihm einen kleinen Hinweis. „Zelda wird nachher in dem Supermarkt am Ende der Straße einkaufen gehen, so in einer halben Stunde werde ich sie dorthin schicken. Alles klar?“ Zuerst verstand Link diese Sache nicht wirklich, aber dann machte es Klick und ein Grinsen kam auf seinem ansehnlichen Gesicht zum Vorschein.

Und der gutmütige, hinterlistige Jugendliche wartete knapp eine halbe Stunde auf Zeldas Erscheinen. Er würde sie abpassen. Er würde sie zur Rede stellen. Denn er brauchte sie und konnte in der nächsten Zeit nicht mit diesem inneren Druck leben, dass Zelda nichts mehr von ihm wissen wollte. Sie musste ihm einfach Antworten geben, sie musste mit ihm reden…

Dann erschien Zelda mit einer verwaschenen Jeanshose, einer sommerlichen rosa Jacke und hatte einen Einkaufskorb unter ihrem Arm. Als Link sie entdeckte, trat er aus der Gasse, in welcher er sich zuvor noch gut versteckt hatte und behinderte ihren Weg. Er breitete seine Arme aus und hielt sie davon ab, weiterzugehen.

Sie sah ihn kühl an, zunächst geschockt und so, als wollte sie am liebsten vor ihm weglaufen. Dann wandelte sich ihr überraschter Blick zu einem, der seine Opfer versteinern konnte. Nicht ein Gefühl lag mehr in ihren blauen Augen. In dem Moment wusste Link endgültig Bescheid darüber, wer sie wirklich war, was sie tatsächlich für ihn fühlte… Es war keine Freundschaft, keine Form der Zuneigung, nur Unbehagen in seiner Gegenwart, vielleicht sogar Abscheu. Und sie war kalt, eisig… und unnahbar.

„Rede mit mir!“, sagte Link und behinderte sie weiter an ihrem Weg.

„Es gibt nichts zu reden“, sagte sie eisern.

Link packte sie an ihren Oberarmen, drückte sie sanft gegen eine Hauswand und stützte seine Hände beidseitig ihres Kopfes ab. „Ist das dein wahres Gesicht, ja?“, fauchte Link gekränkt.

„Ich trage nur ein Gesicht und das wirst du niemals sehen können“, erwiderte sie zynisch.

„Du hast also die ganze Zeit geschauspielert? Du hast meine Freundlichkeit nur ausgenutzt?“

Dann lachte Zelda verzweifelt auf, wirkte ängstlich und panisch zugleich. Ihre Worte kamen wie als hätte sie jene auswendig gelernt über ihre Lippen. „Komm’ schon, du Held, bist du so naiv, dass du dir einbildest, du würdest einen Menschen kennen können, wenn dieser sein Gedächtnis verloren hat und gerade mal eine Woche mit dir verbracht hat? In welcher Welt lebst du eigentlich?“ Ihre Worte taten weh und doch sagte sie die bittere Wahrheit. Link war einfach zu naiv und gutgläubig gewesen, genauso wie die Spielfigur. Er hatte sein Vertrauen verschenkt, mit der Gewissheit ein Teil dessen verloren zu haben und nun forderte das verräterische, zu Unrecht verschenkte Stück seiner Selbst einen unaufbringbaren Preis.

„Bist du so dumm, dass du geglaubt hast, ich würde dich brauchen? So dumm, dass du dachtest, ich wollte meine Zeit mit jemandem wie dir verbringen, der so jämmerlich ist, dass er Wunden trägt, die er sich einbildet von einem Spiel zu haben? Denkst du wirklich, ich habe es nötig, dein dummes Geschwätz und deine witzlosen Scherze zu ertragen?“ Sie lachte weiter und reckte ihre Nase in die Höhe.

Link jedoch drehte sich geschockt um. Er war sprachlos und fühlte sich auch so, dumm, minderwertig, als hätte er nichts zusagen.

„Tu’ mir einen Gefallen und geh‘… geh‘ einfach und lass‘ mich in Ruhe… Ich kann nicht… mit dir reden… und ich will nicht… Du störst mich.“

Link schluckte den Klumpen in seinem Hals herunter und schüttelte mit dem Kopf. „Schauspielerin… du bist eine schlechte Schauspielerin“, murmelte er. Seine Beine setzten sich in Bewegung und er lief langsam die Straße hinab, hörte ein unechtes Schluchzen hinter sich, bis er rannte, nicht mehr zurückblickte und nichts mehr hörte.
 

Als Link außer Reichweite war, lehnte sich Zelda mit einem Wimmern gegen die Straßenlampe, ließ den Einkaufskorb fallen und stürzte weinend in sich zusammen… Sie musste es einfach tun, sie konnte ihn nicht in die Kämpfe hineinziehen. Nayru möge ihr für diese Grausamkeit vergeben, denn sie hatte nur edle Absichten. Sie wolle sein Glück, sie wollte sein kostbares Leben nicht noch einmal zerstören…

Und irgendwo in der Nähe, nicht sichtbar für die meisten Menschen, kaum fühlbar, saß ein in grünen Gewändern gekleideter Junge mit leuchtenden, blauen Augen auf einer Mauer. Sein ansehnliches, aber blasses Kindergesicht war traurig und vergrämt. Er hatte Tränen in den Augen, wohl, weil er etwas sah, das er nicht ertragen konnte. Er hatte eine weiße Rose in der Hand, die er der vergessenen Prinzessin schenken wollte. Aber er wusste auch, dass die Blume ihr nicht helfen würde über ihren Herzschmerz und Liebeskummer. Auf unsichtbaren Pfaden verschwand er wieder, wissend, er würde sich noch einige Male in die Geschehnisse einmischen…



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2008-01-04T19:12:12+00:00 04.01.2008 20:12
oh hat ja lang keiner mehr was geschrieben...ich bin wahrscheinlich die einzige bei Animexx die noch hier rumhängt...naja ich hol das schon auf...voll cool wie Link das auf der letzten seite gemacht hat*Link an die Macht**Linkfahne schwenk**Linky*Linky*Linky*
Von: abgemeldet
2006-07-29T07:16:25+00:00 29.07.2006 09:16
Hallo ich bins schon wieder wollte nur sagen das du dich in diesem Kapitel wieder selbst übertroffen hast!XD


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