Snowflakes keep falling on my head (Ryu x Tats) von Norileaf ================================================================================ Kapitel 1: Let's go - to Tokyo! ------------------------------- Tjo, ne... Mir gehört kein Gravitation, kein Chara und nur die Idee zur FF, mit der sich kein Geld verdienen lässt. T T Trotzdem viel Spaß und über Kommis würde ich mich tierisch freuen. ^^ Let's go - to Tokyo Ich stützte den Arm auf mein Pult und starrte nach vorn auf die grüne Tafel, aber mein Gehirn hatte sich schon längst verabschiedet. Das einzige, wofür es noch den Dienst übernehmen wollte, war, meine Augen vor dem endgültigen Zufallen zu bewahren. Wer braucht japanische Geschichte? Also, mir fallen auf Anhieb keine fünf Berufe ein, für die man so etwas benötigt. Meine Lebensgeister erwachten erst, als die Schulklingel ertönte. Schnell packte ich meine Tasche zusammen und hatte es nur eilig, bis ich vor der Zimmertür angekommen war. Die Klassenkameraden gingen an mir vorbei und ich wartete, bis endlich ein Mädchen mit schwarzem Haar an mir vorbei lief. "Hey, Aika!", machte ich auf mich aufmerksam und sie blieb wirklich stehen. Normalerweise muss ich sie dreimal rufen, bis sie mich hört. Ach, ja, vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen - bin ja gut erzogen worden. Mein Name ist Uesugi Tatsuha und vor wenigen Tagen bin ich in die Liga der Siebzehnjährigen aufgestiegen, auch wenn mich viele für älter halten. In der Schule bin ich eigentlich nur für zwei Dinge bekannt: Ich bin ein schlimmer Weiberaufreißer und wahrscheinlich der größte Fan von Nittle Grasper. Nun gut, für ersteres bin ich wohl in ganz Kyoto bekannt. Aika ist übrigens keine meiner Freundinnen, falls ihr jetzt das denkt. Nein, sie ist einfach ein nettes intelligentes Mädchen, das mir manchmal in japanischer Geschichte Nachhilfe gibt. Und wir verstehen uns wunderbar, weswegen ich sie auch in Ruhe lasse. Sie musterte mich mit einem gelangweilten Blick und tippte mit der rechten Fußspitze pausenlos auf den Fußboden. Eine wirklich nervige Angewohnheit von ihr. "Was, du bist noch hier? Wollte dich deine Schwester nicht nach der Schule abholen?" Tja, hier habt ihr den Grund, warum ich an diesem einen Tag so besonders getrödelt hab. "Juhu, ne Woche nach Tokyo und mir dort eine Belehrung nach der anderen anhören müssen. Die Erfüllung all meiner Träume", gab ich tonlos zurück. Es ist nicht so, dass ich Mika hasse, aber manchmal kann sie echt ein Drache sein, wenn ihr was nicht passt. Aika ging weiter und ich lief neben ihr her. Wir steuerten auf den Schuleingang zu. "Tokyo ist tausendmal besser als Kyoto", sagte sie und ich musste nicken. Dennoch war ich mir sicher, dass mir die Vorzüge der Millionenmetropole vorenthalten bleiben würden, wie so oft. Deshalb zuckte ich die Schultern. "Ich werde versuchen, das Beste draus zu machen." Inzwischen waren wir vor dem Schulgebäude angekommen, wo viele schwatzende Schüler um uns herum waren, die sich alle auf die kommenden freien Woche freuten. Glückspilze. "Du wirst es überleben, ist deine Familie", meinte sie noch, klopfte mir auf die Schulter und ließ mich mit meinem Schicksal alleine. Langsam trabte ich in Richtung Straße, an deren Rand mich schon ein roter Sportwagen erwartete. Ich öffnete lustlos eine der beiden hinteren Türen und warf meine Schultasche hinein, bevor ich mich auf die Rückbank setzte. Ein Blick nach vorn verriet mir, dass Mikas ,Bärchen' am Steuer saß. Ihr denkt, dass ich mich über die beiden lustig mache? Okay, ein wenig, aber diesen schmierigen Kosenamen hat meine Schwester Tohma wirklich schon mal in meiner Gegenwart an die Backe geklebt. "Tag, alle miteinander." "Tatsuha, sag mal, bist du auf deinem Pult eingeschlafen, oder was?", fuhr mich sofort mein brünettes Schwesterherz an. Nya, fast. "Hallo, Tohma-san. Was führt dich denn nach Kyoto?" Denkt nicht, dass ich Probleme mit Autoritäten habe - nur nach neun Stunden Unterricht wäre wohl kaum jemand noch in der Stimmung für unnötige Höflichkeitsfloskeln, oder? Mein Schwager ließ den Motor an und fuhr los. "Nun, ich hatte noch was Geschäftliches hier zu klären und da Mika sagte, sie wolle dich abholen, dachte ich mir, man könne das Angenehme doch mit dem Praktischen verbinden." Wobei ich mir sicher war, dass ich nicht das Angenehme sein sollte. "Soso." Ich schnallte mich an und lehnte mich zurück. Eines muss man Familie Seguchi ja lassen. Die Autos, die sie besitzen - drei an der Zahl - fahren so wunderbar, dass man gar nicht merkt, wie man sich fortbewegt. Schade nur, dass ich diese feinen Vehikel immer von der Rückbank aus sehen werde. "Habt ihr meine Tasche von zu Hause geholt?" "Ja", antwortete Mika. "Ich hab allerdings einigen unnötigen Kram ausgepackt und dafür ein paar Pullover eingesteckt." Ich hasse es, wenn sie solche Dinge tut! Ich bin siebzehn und keine verdammte elf mehr, also warum behandelt sie mich dann noch wie ein Kind? Wutschnaubend nahm ich meine Tasche, die ich soeben am Ende der Rückbank entdeckt hatte, und wühlte darin herum. Würg. Ich hasste diese Pullover und das wusste sie! Aber das war nicht mein Problem. "Mein Discman und die CD?" "Hab ich raus getan." Schön cool bleiben, Tats! Nein, du wirst deiner Schwester jetzt nicht an die Gurgel springen! Das kannst du machen, wenn ihr im Hause Seguchi angekommen seid. "Du weißt, dass ich ohne die CD nicht leben kann!", schnappte ich. Keine Übertreibung, eine Woche ohne die göttliche Stimme Sakuma Ryuichis ist mein schlimmster Alptraum. Wenn mich Mika wieder wegen irgendwas voll meckert, kann ich mir danach meinen Discman anschalten und schon bessert sich meine Stimmung. Sie versteht das allerdings nicht und genauso wenig begriff sie im Auto, dass ich sauer war. "Herrje, Tatsuha! Die kennst du doch schon auswendig!", antwortete sie genervt. "Was hat das denn damit zu tun, dass ich die CD eben gern höre?!" "Schon gut." Seufzend nahm sie ihre Sonnebrille ab und ich meine Abwehrhaltung ein. "Shuichi wird dich sicher eine seiner eigenen CDs hören lassen." "Wieso Shui..." Ich brach ab. Oh Gott, nein! Das konnte sie mir nicht antun! "Warte mal", begann ich langsam. "Sorry, aber Tohma und ich haben die Woche viel zu tun und deshalb habe ich Eiri gefragt, ob du bei ihm bleiben kannst." Eine Woche bei meinem Bruder. Bei Mr. ,Ich schließ mich in meinem dunklen Kämmerlein ein und kille jeden Eindringling'. Ich wiederhole mich gern: Das konnte sie mir nicht antun! Dennoch wusste ich, dass sie sicher keinen Scherz gemacht hatte, auch wenn sie sich wohl deutlich über den pädagogischen Antiwert dieser Aktion im Klaren war. Folglich gab ich nur ein resigniertes Schnauben von mir und starrte aus dem Fenster, während man mich in das ,Fort Eiri' verfrachtete. Irrte ich mich oder war es in Tokyo wirklich kälter als in Kyoto? Zumindest bekam ich augenblicklich eine Gänsehaut, als ich aus dem Auto stieg und meine beiden Taschen an mich nahm. Möglicherweise rührte die Gänsehaut auch von diesem unfreundlichen Ort her - das Haus, in dem sich Eiris Wohnung befand. Ich liebe meinen Bruder, wirklich, aber seit unseren Kindertagen hatte sich einiges verändert und ich hasse es, in seine kalten Augen zu blicken. Und Shuichi... ja, der ist ganz okay. Ist auch meinem Sakuma-san sehr ähnlich, bloß verdammt unreif. Ich schleppte mich und die Taschen die Treppen hinauf - ,Fahrstuhl außer Betrieb' - und gab ein erleichtertes Seufzen von mir, als ich endlich vor der Tür stand. Hm, Klingeln oder Klopfen? Ein Grinsen haftete sich in meinem Gesicht fest. Klingeln, sonst fühlte sich Eiri womöglich nicht gestört. Shuichi öffnete fast augenblicklich, als hätte er nur auf meine Ankunft gewartet. Im zweiten Hinblick muss ich wohl eingestehen, dass er das auch sicher getan hatte. Eine Sekunde lang sah es so aus, als wolle er mich umarmen, doch dann schien er sich an unser erstes Treffen zu erinnern und ließ es doch bleiben. Ziemlich kindisch eben. Ich hätte es ja verstanden, wenn er hetero wäre, aber der Typ ist mindestens bi, wenn nicht sogar homo. Und so schlecht bin ich ja nun wirklich nicht, zumal ich äußerlich wie Eiri in dunkel aussehe. Andererseits muss ich zugeben, dass ich vielleicht doch wieder auf den Geschmack gekommen wäre, hätte er seinen zierlichen Körper an meinen gedrückt. "Hi, Tatsuha!", quiekte er fröhlich und nahm beide Taschen, die er unter Ächzen und Stöhnen in das Wohnzimmer brachte und neben die Couch stellte, auf der schon eine Decke und ein Kissen lagen. "Ich schlafe auf der Couch", stellte ich trocken fest und kratzte mir den Hinterkopf. "Und wo sollst du dann schlafen?" Im gleichen Moment wurde Shuichi ein wenig rot. Er setzte zu einer Antwort an, als die Luft von Eiris kühler Stimme durchschnitten wurde. "Im Bett, wo denn sonst?" Nicht verwunderlich, dass ich einen kleinen Satz machte, als ich registrierte, dass Aniki direkt hinter mir stand. Wer mag es schon, den Atem des bösen Buhmannes direkt im Nacken zu spüren? Aber einen Vorteil hatte er im Gegensatz zu Mika: Er würde mir sicher nicht eine Standpauke nach der anderen halten. "Hi, Eiri", grüßte ich ihn. "Schläft dein Koi nicht mehr auf dem Sofa?" Doch er nahm nur seine Zigarette aus dem Mund, blies mir den Rauch direkt ins Gesicht und ging wieder in sein Arbeitszimmer. Das war wohl sein einziger Auftritt für diesen Tag gewesen, aber mit Shu-chan konnte man sowieso viel mehr Spaß haben, weil er auch ein Nittle Grasper Fan ist. Ich sah wieder zu Shuichi, der mich irgendwie mit einem merkwürdigen Blick anstarrte und ich begriff erst, was los war, als ihm Katzenohren aus den Haaren sprossen. "Yuki hat gesagt, ich darf mit im Bett schlafen, während du da bist." Jeder andere hätte nun gesagt: Na ja, so viele Optionen gab es ja wohl sonst nicht. Ich sage: Der Balkon, die Küche, die Badewanne, Fußböden im Allgemeinen und natürlich der Hausflur. Von daher konnte man von einer wirklich guten Wendung der Sache zugunsten von Shuichi reden und ich war mir fast sicher, dass ich einen Monat hätte bleiben könne, wenn es nach ihm gegangen wäre. Aber da hätte er wohl zwei gegen sich gehabt - Aniki und mich. "Aber seid nachts nicht zu laut, denn ich brauche meinen Schlaf", neckte ich ihn und wie erwartet wurde er rot. Wenn man weiß, wie man jemanden ärgern kann, dann tut man es doch bei jeder Gelegenheit, richtig? "Hast du eine Karte für das Nittle Grasper Konzert am Dreiundzwanzigsten?", schoss er zurück und es traf, das kann ich euch sagen. Ich hatte keine Karte, zur Hölle! Erstens waren die Karten schon seit Monaten ausverkauft und zweitens bin ich kein erfolgreicher Sänger oder Romanautor, der für den Partner gleich noch Geld mitscheffelt. Nein, ich bin ein Oberschüler, der den Mädels hin und wieder einen Drink oder so etwas ausgibt, um vielleicht den einen oder anderen Treffer zu landen. Dass ich zufällig mit dem Keyboarder, Manager und zugleich Produzenten der Band verwandt bin, spielt da keine Rolle. Und dass Shuichi eine Karte hatte, das konnte man ihm regelrecht im Gesicht ablesen. Allerdings hatte er die Frage mit solch einer Naivität gestellt, dass wohl kein böser Gedanke dahinter gesteckt hatte. Getroffen war ich allerdings, also ließ sich der verwundete Fan auf das Sofa sinken. "Ich habe keine Karte. Mir fehlen eben die Beziehungen." Er neigte leicht den Kopf und glotzte mich nur fragend an. Dabei müsste er doch begriffen haben, dass in unserer Familie manche Verwandtschaften nicht mal dazu taugen, ein jämmerliches Video zu kriegen. Schließlich hüpfte er zum Videorekorder, schob eine Kassette hinein und sprang dann neben mich auf die Couch. Shuichi schaltete den Fernseher ein und sofort war meine miese Stimmung weggeblasen. Er hatte den neuesten Konzertmitschnitt eingeworfen, den es erst in einer Woche zu kaufen geben würde. Das ließ mein Fanherz natürlich sofort höher schlagen und er wusste das. Shu-chan ist echt kein übler Typ und er hat mehr Feingefühl, als man ihm so zutraut. Eben ein Mann mit zu vielen Östrogenen. Es waren wundervolle zwei Stunden, in denen ich nur Sakuma Ryuichi beobachtete, und ich hätte meinen Allerwertesten drauf verwetten können, dass Shuichi das Tape auch von diesem hatte. "Magst du was essen?", riss mich Shuichi aus meinen Gedanken und ich nickte nur. Wahrscheinlich hatte ich die letzten fünf Minuten den Ameisen auf dem Bildschirm zugeschaut. Zusammen gingen wir in die Küche und Shuichi holte eine Tiefkühlpizza hervor, die er schwungvoll in den Backofen schob. Ohne Backpapier darunter zu legen und vorzuheizen, versteht sich. Zumindest das erste erledigte ich noch schnell und er sah mich leicht peinlich berührt an. "Ich kann nicht sonderlich gut kochen", meinte er. Ich wusste das, allerdings verbiss ich mir einen dummen Kommentar. Als Dank für das Video, wenn man so will. Die zwanzig Minuten, in denen wir auf die Pizza warteten, unterhielten wir uns zuerst über mögliche Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten in Tokyo und dann über Nittle Grasper. Scheint wohl so ein Naturgesetz zu sein, dass, wenn man zwei Fans in einen Raum setzt, sie spätestens nach fünf Minuten auf ihr gemeinsames Lieblingsthema zu sprechen kommen. Endlich holte er die warme Mahlzeit aus dem Ofen und ich erkannte, dass ich schon ziemlich Kohldampf schob. Unser humaner Shuichi teilte die Pizza in zwei größere und ein kleineres Stück. Jedes legte er auf einen Teller, nahm die beiden großen Stücke und stellte eines vor mich. Dann verließ er die Küche und kam nach zwei Minuten mit leeren Händen wieder. Okay, Jugendliche wie Shu-chan und ich haben nichts gegen Pizza, aber ob Eiri die gleiche Meinung vertritt, wage ich zu bezweifeln. Shuichi nahm sich sein eigenes Stück, setzte sich mir gegenüber und wir aßen gemeinsam. Ich schätze Gesellschaft wirklich sehr und er ist eine angenehme, wenn auch teilweise etwas zu aufgedreht. Und voraus hat er mir wohl nur eines: Er ist monogam. Nach dem Essen sagte er mir gute Nacht und verschwand in das Schlafzimmer. Aniki blieb natürlich im Arbeitszimmer und ich bezog mein Lager auf dem Sofa. Es war nicht so unbequem, wie ich immer geglaubt hatte. Da ich noch nicht müde war, schaltete ich das Video erneut an. Irgendwann mittendrin muss ich dann wohl eingeschlafen sein. tbc... Kapitel 2: Reach out for your star ---------------------------------- Jaaa, das letzte Kapi ist etwas her, ich schäme mich so. War nur zu faul zum Hochladen. *wein* Danke für den Kommi beim letzten Mal. ^^ ~ Reach out for your star ~ Am nächsten Morgen war ich noch nicht einmal eine halbe Stunde lang wach und langweilte mich schon zu Tode. Shuichi war auf Arbeit und von Konversation mit meinem Bruder war gar nicht zu sprechen. Ich nahm ein kleines Frühstück und öffnete dann die Tür zum Arbeitszimmer. Mann, kann Aniki böse gucken! Er erklärte mir in weniger als zwei Sätzen, dass er und Shuichi den Abend zusammen essen sein würden und ich mich benehmen solle, wenn ich allein bin. Wie gesagt, ich bin kein kleines Kind! Es war immerhin der zweite Advent und da konnte man sich in Tokyo sicher gut amüsieren. Als ich die Tür des Arbeitszimmers wieder schloss, kehrte auch die Wärme in meine Umgebung zurück und ich warf mich in Pullover und Jacke, um nach draußen zu gehen. Im Winter hocke ich ungern in der Bude, wobei Eiri ja eher Ganzjahreshöhlentier ist. Kaum war ich vor der Haustür, setzte der erste Schnee des Jahres ein. Ich streckte die Hand aus, wartete, bis eine Schneeflocke meine Haut berührte und sah ihr dann zu, wie sie schmolz. Diese Neigung teilt zwar nicht jeder, doch ich liebe Schnee. Kurz schloss ich die Augen und hielt mein Gesicht gen Himmel, um die zarten kühlen Berührungen der Flocken zu genießen. So ein Verhalten verstehen die wenigsten, aber ich bin nicht der Typ für weltliche Sachen. Manchmal finde ich wie ein Kind eine närrische Freude an den kleinsten Dingen. Schließlich öffnete ich die Augen wieder, um meinen Weg durch die Stadt anzutreten. Ich ging vielleicht zwei Stunden durch die Straßen, beobachtete die Menschen und erfreute mich der weihnachtlichen Schaufensterdekorationen. Langsam bekam ich halte Hände und Hunger hatte ich auch, also hielt ich an einem kleinen Stand und kaufte mir einen Hot Dog. So ließen sich immerhin zwei Probleme mit einem Mal erledigen. Da ich am Rande des Stadtparks stand, entschloss ich mich, mich dort auf eine Bank zu setzen und in aller Ruhe mein Essen zu verzehren. Der Schnee lag noch nicht besonders hoch, weshalb noch keine spielenden Kinder zu sehen waren. Ich fand eine Bank, die vor einer Weide stand, und nahm drauf Platz, obwohl bereits jemand darauf saß. Wie gesagt, ich habe nichts gegen Gesellschaft, auch wenn sie nichts sagt. Einige Sekunden lang starrte ich auf meinen Hot Dog und versuchte auszumachen, was wohl alles drauf war. Dann bemerkte ich, wie der andere Typ auf meine Mahlzeit starrte. Er trug zwar eine Sonnenbrille und ein rotes Basecap - im Winter eine Sonnenbrille? - doch ich war mir ziemlich sicher, dass er mein Essen anglotzte. Ich kannte diesen Blick. So einen hatte auch eine meiner Freundinnen drauf, wenn sie Hunger hatte. Und Scheiße, den hat sie wirklich oft. Sie ist nicht fett oder so, aber ihre Figur hat sie eigentlich nicht verdient, bei so einer Ernährung. "Ist was nicht mit dem Hot Dog okay?", fragte ich daher. Er hob den Kopf, was wohl hieß, dass er mich ansah. "Ich frage mich nur, warum jemand am zweiten Advent einen Hot Dog isst?" Seine Statur war eher zierlich und groß war er auch nicht, beinahe einen Kopf kleiner als ich. Also entschied ich mich, ihn mit ,Du' anzusprechen, da er wohl kaum älter als dreiundzwanzig war. "Na ja, ich hatte eben Hunger. Was isst du denn am zweiten Advent?" Sofort begann er, wie verrückt in seinen Jackentaschen zu wühlen, und holte schließlich eine Packung Lebkuchen heraus. "Europäischen Lebkuchen!", erklärte er breit lächelnd. Ein wenig erinnerte er mich an Shuichi. Zu Weihnachten und diesem ganzen Festtagskommerz habe ich jetzt nicht so eine enge Bindung, dass mein Mittagessen aus Lebkuchen bestehen würde. Trotzdem musste ich grinsen. "Gut, das ist wohl besser als ein Würstchen in einem Stück Brot mit Gurken drauf." Er nickte und hielt mir die Tüte entgegen. "Magst du was haben?" Um ehrlich zu sein, hatte ich nie zuvor Lebkuchen gegessen, aber einen Versuch war es doch wert, oder? Also griff ich einfach mal nach einem der schokoladigen Teile und kostete. "Gar nicht so übel." Plötzlich sprang er jubelnd auf, als hätte ich bekannt gegeben, dass der Weihnachtsmann einen persönlichen Besuch bei ihm abstatten würde. Wie verrückt hüpfte er auf die Bank und rief: "Ich habe jemanden gefunden, der es lecka findet!" Kein Scherz, er rief wirklich ,lecka'. Ich hingegen saß nur da und starrte ihn an wie ein Gestörter. Nun, *so* verrückt war Shuichi nun auch wieder nicht. An sich war der Typ, der da vor mir fröhlich wie ein Kind rum sprang, aber kein schlechter Kerl. Hatte ich schon erwähnt, dass ich auch auf Männer stehe? "Wollen wir in die Spielhalle?", fragte er gerade heraus und setzte sich so nahe neben mich, dass sich unsere Arme berührten. Ich blinzelte nur wie so ein Vollidiot und starrte ihn an. Also, schüchtern war er jedenfalls nicht. Und die beste Antwort, die mir dazu einfiel, war... Ich zuckte die Schultern. "Hm." Er interpretierte das als klares Ja und zerrte mich von der Bank. Wir waren vielleicht eine Stunde in der Spielhalle gewesen, in der er mich pausenlos beim Autorennen geschlagen hatte, und traten nun wieder raus in die frische Luft. Zugegeben, wir hatten viel Spaß gehabt und waren auch dementsprechend gut gelaunt. Wir lachten über meine jämmerlichen Fahrkünste und inzwischen hatte ich auch aufgehört, mich zu fragen, warum er pausenlos eine Sonnebrille trug. Womöglich wollte er ein blaues Auge verstecken oder es war schlicht und einfach ein verrückter Modetouch von ihm. Der Schneefall war schlimmer geworden und ich zog meine Jacke höher, um meinen Nacken vorm Erstarren zu schützen. Ihm - dessen Name ich übrigens noch immer nicht kannte - ging es genau so. Einen Moment blieben wir stehen und sahen uns zitternd an, dann griff er mich wieder am Ärmel und zerrte mich in ein Klamottengeschäft. Nicht nur, dass es da drin wunderbar warm war - nein, die Auswahl an Schals war riesig! Habt ihr schon mal einen Siebzehnjährigen und einen erwachsenen Mann dabei beobachtet, wie sie verschiedene Schals anprobieren und sich dabei kaputt lachen? Ich kann nur sagen, das ist ein ziemlich komischer Anblick. Wir probierten alle möglichen Farben und Materialien aus und einige Dinge waren echt ulkig. Schlussendlich kamen wir zu dem Ergebnis, dass uns beiden ein roter Baumwollschal am besten steht. Seiner war ein wenig kürzer als meiner, denn bei ihm musste man schon aufpassen, dass die Enden nicht unter der Jacke herausschauen. Beide bezahlte er mit der Erklärung, ich könne ihm das Geld für meinen Schal später zurückgeben. Wie ihr euch vielleicht denken könnt, fragte er nie mehr nach dem Geld und winkte ab, als ich es ihm später geben wollte. Mit dem neuen Kleidungsstück war es viel angenehmer, durch Tokyo zu laufen, und wir schwatzten über ziemlich banale Kleinigkeiten. Wie wir unseren Tee am liebsten tranken und wo wir so hin gingen, wenn wir spazieren gingen. Er sagte, dass er den Schnee wirklich liebe, und erst jetzt fiel mir auf, dass er auf der Parkbank den Kopf in den Nacken gelegt hatte. Vorher hatte ich gedacht, er wäre vielleicht müde gewesen, doch das war natürlich um einiges logischer. Ich gebe euch einen Tipp: Redet mit jemandem, den ihr nur flüchtig kennt, über alles mögliche, und ihr werdet feststellen, dass ihr den gleichen Tee bevorzugt, auf die gleiche Klamottenmarke steht oder beide einen Faible für geringelte Socken habt. Wirklich große Dinge, wie Namen, Familie oder Beruf, wurden nicht angesprochen und dennoch hatte ich das Gefühl, ihn nun besser zu kennen als meine eigene Schwester (und die ist meistens ziemlich leicht gestrickt). Wir setzten uns in ein kleines Café und tranken in Ruhe zusammen eine heiße Schokolade - er erklärte, dass Kaffee ihn nervös macht. Seine gute Laune hatte schon längst auf mich abgefärbt und wir waren praktisch nur noch am Lachen und Scherzen. Ob ich nun sein Freund sein oder ihn flachlegen wollte, darüber war ich mir allerdings noch nicht im Klaren. Danach waren meine finanziellen Möglichkeiten für diesen Tag erschöpft, weshalb ich mich entschloss, den Heimweg anzutreten. Als ich ihm sagte, dass ich nun nach Hause müsste, wurde er auf einmal ganz still und nickte nur leicht. Super, jetzt war er traurig. Also fragte ich ihn, ob er nicht noch ein paar Stunden mitkommen wolle, da Aniki und Anhang ja eh nicht da waren. Ich erhielt ein promptes ,Ja'. "So, hier sind wir", sagte ich und stieß die Tür zu Anikis Wohnung auf. Ich war mir sicher, dass er mich gekillt hätte, hätte er mitbekommen, dass ich fremde Typen in seine vier Wände schleppte. Noch im Türrahmen stehend sah er sich nach allen Seiten um, gab ab und zu einen bewundernden Laut von sich und verstummte plötzlich, als er über uns beide sah. Ich folgte seinem Blick und hob eine Augenbraue. Direkt über uns im Rahmen hing - haltet euch fest! - ein Mistelzweig. Ich war mir sicher, dass Shuichi ihn dort aufgehängt hatte, mit dem eindeutigen Ziel, einen Kuss meines Bruders zu erhaschen. Nur war das Problem, dass ich nicht Eiri und der Typ neben mir nicht Shuichi war. "Ein Mistelzweig!", jauchzte er vergnügt. "Das kenn ich! Wenn man sich darunter trifft, muss man sich küssen!" Eigentlich kam es mir ganz gelegen, da ich so schon einmal antesten konnte, wie weit man bei ihm gehen konnte. Wenn er auf Männer stand, hatte ich eventuell Glück. Als er seine beiden Hände an meine Wangen legte, um mein Gesicht zu seinem zu ziehen, bemerkte ich zum ersten Mal, wie zierlich diese eigentlich waren. Ganz weich und sanft, so wie ich mir die Hände von Shuichi auch vorstellte. Der Kuss an sich war nicht lang, eher eine kurze und flüchtige Handlung. Aber es reichte, um seine Lippen zu schmecken und ich muss sagen, dass es Schlimmeres als Kakaogeschmack vermischt mit zarter Haut gibt. Danach sprang er schnell aus seinen durchfeuchteten Sportschuhen. "Wohin kann ich meine Jacke tun?" "Häng sie einfach dort an die Garderobe." Wir zogen beide unsere Jacken und Schals aus und gingen dann ins Wohnzimmer, wo er sich auf das Sofa setzte. Nun sah man noch deutlicher, was für eine zierliche Gestalt er hatte, und in gewisser Weise machte mich das, was dort unter dem dunkelblauen Pullover versteckt lag, heiß. Hey, urteilt nicht über mich, ich bin erst siebzehn! Ich ging in die Küche, um uns Tee zu machen. Wieder fragte ich mich, warum er sein Basecap und die Sonnenbrille auf behalten hatte. Zwar verstanden wir uns blendend und wenn der Abend für uns im Bett enden sollte - Aniki verstand das sicher... - dann war mir das auch recht. Nur gab mir diese Sonnenbrille immer das Gefühl, ihn nicht *richtig* zu kennen. Als verschwieg er mir die ganze Zeit etwas. Nach ein paar Minuten gesellte ich mich zu ihm auf's Sofa und gab ihm seine Tasse Tee. Er bedankte sich überschwänglich und hatte sein Getränk schneller geleert, als ich es auch nur sehen konnte. Dabei war der Tee total heiß, weswegen ich meine Tasse vorerst auf den Tisch stellte. Ich überlegte, was wir tun konnten, und mir fiel auch gleich etwas ein - nein, nicht das, was ihr denkt. "Interessierst du dich für Musik?", fragte ich ihn und einen Moment sah er mich stumm an, bis er kräftig nickte, so dass es aussah, als würde sich sein Kopf jeden Moment vom Hals lösen. Sozusagen eine Parodie auf Marie Antoinette. "Weißt du, der Freund meines Bruders hat ziemlich gute Kontakte und jetzt rate mal!" Ich setzte mein übliches Grinsen auf, wenn ich an den unvergleichlichen, göttlichen, außergewöhnlichen... blablabla ... Sakuma Ryuichi dachte. "Dort im Videorekorder", ich zeigte auf das Gerät, "liegt das neueste Video von Nittle Grasper, das erst in einer Woche veröffentlich wird." Er sah mich an und kaute stumm auf seiner Unterlippe herum. Was komisch war, denn er war den ganzen Tag über der unterhaltende Part gewesen. Es sah aber auch nicht so aus, als wäre er von dem Video so abgeneigt, also griff ich zur Fernbedienung und schaltete einfach an. Ich lehnte mich zurück und starrte wohl wie ein Zombie auf den Bildschirm, aber das war mir egal. Wenn der Typ nicht mit meinem überdrehten Fanatismus klarkam, dann konnte er eh gleich wieder gehen. Während des Videos bemerkte ich oft aus dem Augenwinkel, wie er mich ansah, dafür aber kein Interesse an dem Konzert zeigte. Ich hasse es, wenn ich dasitze und gucke und der andere glotzt in der Gegend rum. Nur war *ich* nicht ,Gegend'. Nach zwei Dritteln schaltete ich das Video aus und seufzte. So machte das doch keinen Spaß. "Magst du Nittle Grasper nicht?", erkundigte ich mich daher. Besser, ich erfuhr es gleich. Wieder nagte er auf seiner Unterlippe und starrte mich an - zumindest nahm ich das an. Ich erkannte, dass das bei ihm ein Ausdruck von Nervosität sein musste. Endlich griffen seine Finger nach der Sonnebrille und ich starb fast schon vor Spannung, als ich Schritte im Flur hörte. Oh, verflucht! Schnell war mein Gegenüber aufgesprungen und zu Aniki und Shuichi gerannt. Vor mir lag nun nur noch eine einfache Sonnenbrille, sein Gesicht hatte ich allerdings noch nicht gesehen. Ein dumpfer Laut erklang aus dem Flur, gefolgt von einem "Shu-chan!", dann das Seufzen von Eiri. Ruckartig stand ich auf und folgte den Geräuschen, um zu sehen, was passiert war. Was ich sah, ließ mich blinzeln. Dort auf dem Boden lag Shuichi und auf ihm saß der Typ und lachte glücklich! Aniki stand daneben und er sah echt angepisst aus, anders kann man es nicht sagen. Shuichi blickte den Gast an und seine Augen weiteten sich vor Überraschung. "Sakuma-san!" Dieser Moment ließ mich sterben. Sakuma? Hatte ich wirklich mit dem leibhaftigen Ryuichi den gesamten Tag verbracht? Das war sicher ein Scherz oder ein Traum, aber keinesfalls real. Der Typ nahm sein Basecap ab und drehte sich zu mir um. Er grinste kurz kindlich, bevor er zu Aniki hoch guckte, der noch immer ziemlich wütend wirkte. Dann stand er auf und schenkte allen ein unschuldiges Grinsen. "Hallo!" "Was machst du denn hier?", kam es von dem perplexen Shuichi, der noch immer auf dem Boden hockte. "Tatsuha und ich haben zusammen lustige Sachen gemacht!", verkündete Ryuichi lautstark und half ihm auf. Jetzt wurde mir bewusst, dass Ryuichi gewusst hatte, wer ich war. Natürlich, immerhin war ich Tohmas Schwager und Mika hielt mich immer auf Distanz, wenn wir die Band bei einer Probe besuchen mussten. "Lustige Sachen", brummte Aniki und ich konnte mir schon vorstellen, dass sein nächster Gang in das Schlafzimmer führen würde, um zu schauen, ob die Laken zerwühlt waren. Was sie nicht sein würden. Ryuichi sah auf seine Armbanduhr und erklärte dann: "Oh, ich muss jetzt los, sonst macht sich Kumagoro Sorgen!" "Gut, wir gehen dann schlafen." Und schon hatte Aniki seinen Koi ins Schlafzimmer gezerrt. Jetzt standen nur noch ich und Ryuichi, der sich anzog, im Flur. Noch immer hatte ich nichts gesagt und überhaupt fühlte sich mein Hals seltsam trocken an. Ich wusste nur, dass ich diese eine Chance meines jungen Lebens nicht gehen lassen wollte. Ryuichi sprang mich an und klammerte sich kurz an mich. "Gute Nacht, Tatsu-chan!" "Tats, bitte nenn mich Tats wie alle meine Freunde." Was für eine schlaue Erwiderung. Allerdings schien ihm das außerordentlich gut zu gefallen und ich schätze, es war das Wörtchen ,Freunde', das ihn so breit lächeln ließ. "Gute Nacht, Tats!" Er ging zur Tür und legte seine Hand auf die Klinke, als ich endlich mal was Sinnvolles raus brachte. "Warte!" Langsam drehte er sich um, musterte mich und gab dann einen wissenden Laut von sich. Er griff in die Innentasche seiner Jacke, holte etwas heraus und drückte es mir in die Hand. Ein schwarzer Signierstift. Auf meinen fragenden Blick hin sagte er: "Gib mir deine Handynummer!" Parallel dazu schob er seinen linken Ärmel hoch und streckte mir den nackten Unterarm entgegen. Zögerlich schrieb ich die Nummer darauf und kaum war ich fertig, zog er den Arm zurück und verließ summend die Wohnung. Und ich stand da und glotzte auf die geschlossene Tür. tbc... Kapitel 3: Meeting ------------------ So, da es ja letztes Mal einige Problemchen beim Hochladen gab und letztendlich eines meiner Kapis dreifach vertreten war, hab ich erst mal dafür gesorgt, Überflüssiges zu löschen. Tja, was kann ich noch mehr sagen? - Ach ja! Viel Spaß beim lesen. ^^ ~ Meeting ~ Wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, lief die Nacht für mich alles andere als ruhig ab. Nervös wälzte ich mich von einer Seite auf die andere, bekam aber kein Auge zu. Es ist verrückt, was einem für Dinge durch den Kopf gehen, wenn am Tag etwas Aufregendes passiert ist. Die ersten zwei oder drei Stunden freute ich mich tierisch (animalische Bedürfnisse eingeschlossen) und mir gingen tausend Sachen durch den Kopf, die bei unserem nächsten Treffen geschehen konnten. Oder die ich machen wollte. Aber dann überlegte ich mir plötzlich, dass es verdammt dumm gewesen war, ihm die Nummer zu geben, selbst aber nichts zu verlangen. So machte ich es doch auch mit manchen Weibern. Nimm die Nummer und ruf nicht zurück, ganz leicht. Ich war dazu übergegangen, an die Decke zu starren und mir pausenlos durch das Haar zu fahren. Mit einem Mal war ich mir sicher, dass er nicht anrufen würde. Wieso sollte er auch, er war ein Star und hatte genug andere Kontakte, denen er den Vorrang gab. "Bist du noch wach?", murmelte jemand vom Türrahmen aus und ich setzte mich auf. Es war Shuichi - wohl bemerkt nur mit Boxershorts bekleidet - der eine Tasse Kaffee in der Hand hielt und sich über die Augen rieb. "Das könnte ich dich fragen", gab ich zurück, doch er lachte nur leise. "Muss in einer Stunde zur Arbeit." Ich sah auf meine Armbanduhr und musste blinzeln, um die Ziffern im Dunkeln zu erkennen. Schon morgens um fünf. "Du sag mal..." Langsam drehte ich den Kopf zu Shuichi und streckte mich ein wenig. Durch das ewige Herumdrehen auf dem Sofa tat mir meine Schulter ziemlich weh. "Was ist denn, Shu-chan?" Er trank einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. Nachdem er den Kopf kurz geschüttelt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. "Hast du mit Sakuma-san... nya...?" Nun streckte ich auch mein rechtes Bein und kratzte mir den Nacken. "Ich antworte generell nur auf ganze Fragen, Alter." Es war wirklich ein Spektakel, Shuichi dabei zuzusehen, wie er versuchte, ein Wort über die Lippen zu bringen, das für mich bereits an existenzieller Bedeutung gewonnen hatte. Er scharrte mit dem nackten Fuß über den Boden und trotz der schlechten Lichtverhältnisse sah ich, wie sein Gesicht rot aufleuchtete. "Habt ihr miteinander S-Sex gehabt?" Gegen meinen Willen seufzte ich und ließ mich zurück auf das Sofa fallen. "Nicht die Andeutung..." "Was habt ihr dann den ganzen Tag gemacht?" Wieder nippte er an der Tasse und wieder verzog er das Gesicht. "Wir waren in der Spielhalle, spazieren und Kakao trinken. Echt, wenn ich gewusst hätte, dass es sich bei dem Typen um Ryuichi handelte...!" "Dann hättest du ihn flachgelegt", meinte Shuichi nur und sah nicht besonders begeistert von der Idee aus. "Wahrscheinlich, und? Die Chance ist jetzt eh flöten gegangen." Genervt verschränkte ich die Arme hinter dem Kopf. Daran musste er mich nun wirklich nicht erinnern. "Ich finde es besser so." Er stellte die Tasse auf dem Tisch ab und griff nach seinem Sweatshirt, das auf der anderen Seite des Sofas lag. Deswegen war er wohl überhaupt erst ins Wohnzimmer gekommen. "Weißt du, Sakuma-san hat vorhin echt glücklich ausgesehen und ich denke, hättest du mit ihm geschlafen, wäre einer von euch beiden im Endeffekt ziemlich enttäuscht und traurig gewesen." " ,Im Endeffekt' läuft es doch nur darauf hinaus, dass wir uns so schnell nicht wieder begegnen werden." Nun sah Shuichi echt verwirrt aus und starrte mich aus seinen großen glänzenden Augen heraus an. "Habt ihr denn keine Nummern getauscht?" Ich lachte und dieses Lachen klang ziemlich verbittert. "Ich hab ihm meine gegeben, aber bleiben wir doch mal in der Realität... Er wird nicht anrufen." "So ein Quatsch!", entgegnete mir Anikis Koi sofort. "Wenn er dich nicht mögen würde, hätte er es dir doch schon längst gesagt. Er ruft dich ganz sicher an." Wie auf's Stichwort klingelte das Handy in meiner Hosentasche und ich sprang auf, da der Vibrationsalarm eingeschalten war. Shuichi grinste nur breit, dann verschwand er mit dem Sweatshirt im Arm. Ich kramte mein Handy hervor und ging ran. "Tats." "Ohayo, hier Ryu-chan! Hab ich dich geweckt?" Und wenn er nachts um Drei angerufen hätte und ich noch tief geschlafen hätte, er hätte mich nicht wach gemacht. "Nein, keine Sorge." "Ich hab heute frei und wollte dich Kuma-chan vorstellen. Wollen wir was zusammen machen?" Das letzte Wort zog er in die Länge und wurde dabei ein paar Töne höher. Fast schon unangenehm für mein armes Ohr. Trotzdem war es für mich wie Musik. "Natürlich, ich hab den ganzen Tag Zeit." (und die ganze Nacht, hehe.) "Cool!", quietschte es mir entgegen. "Wollen wir uns in drei Stunden zum Frühstück treffen? Ich kenne da ein ganz supitolles Café, na no da!" "Okay, und wo treffen wir uns?" Innerlich vollführte ich einen Freudentanz, der jede von Shuichis überdrehten Performances in den Schatten gestellt hätte. Meine Stimme blieb allerdings ruhig. "Kuma-chan und ich holen dich ab. Bis dann!" Und schon hatte er aufgelegt. Ich starrte kurz auf mein Handy, dann steckte ich es wieder ein. Genau in diesem Moment kam Shuichi fertig angezogen ins Wohnzimmer zurück und war gerade dabei, seinen orangefarbenen Rucksack aufzusetzen. Er sah mich an und grinste. "Ich hab's dir doch gesagt, Tatsuha. Habt ihr ein Treffen vereinbart?" Ich nickte nur und ging dann auf ihn zu. Shuichi verzog das Gesicht und wich instinktiv einen Schritt zurück, doch ich war schneller und legte meine Hand auf seinen Kopf. "Aniki weiß echt nicht zu schätzen, was er an dir hat." Ich wollte an ihm vorbei gehen, jedoch versperrte mir ein blonder Griesgram den Weg. Aniki sah mich sauer an und keiner von uns beiden störte sich daran, dass er splitterfasernackt war. Allerdings konnte ich feststellen, dass wir uns gar nicht so sehr ähneln, wie alle immer sagen - Viel Spaß beim Interpretieren dieses Satzes. Seine Haare ließen darauf schließen, dass er sich frisch aus den Laken gequält hatte. "Morgen, Eiri." "Sagt mal, was macht ihr hier für einen Krach?", wetterte er sofort los. Eben ganz Mikas Bruder, aber diesen Kommentar verkniff ich mir um meines eigenen Lebens Willen. "Ich brauche meinen Schlaf." "Oho, Onii-san braucht seinen Schönheitsschlaf", neckte ich ihn. "Nein, ich muss meine Kräfte sammeln, damit ich dich nachher über's Knie legen kann, du Rotzgöre!" "Na, ob Mika davon so begeistert wäre..." "Sie wird mir den erzieherischen Eingriff verzeihen." Wir begannen beide im gleichen Moment zu grinsen und Shuichi sah nur konfus von einem zum anderen. Tja, Brüder unter sich. Die drei Stunden, bevor es an der Tür klingelte, krochen zäh wie flüssiger Teer vor sich hin. Doch als es endlich so weit war, riss ich die Tür weit auf und sprang hinaus auf den Flur, wobei ich fast Ryuichi umgerissen hätte. Er trug schwarze Jeans und eine blaue Lederjacke, die sehr warm aussah, dazu den roten Schal, den er am Vortag gekauft hatte. Einfach ein wunderbarer Anblick. "Hi, Tats!", rief er und umarmte mich kurz. Von solch einer Berührung hatte ich vor zwei Tagen nicht einmal mehr zu träumen gewagt. Aber es war echt und ich erwiderte die Umarmung. Dann griff er in seine Jackentasche und zauberte einen pinken Stoffhasen hervor. Ich kannte ihn von einigen wenigen Fotos und wusste, dass es sich dabei um Kumagoro handelte. "Das ist Tats", stellte er mich dem Plüschtier vor, bevor er dieses dann mir vorstellte. Ganz nach Manier eben. Schnell verschwand der Hase wieder an seinen alten Platz, was Ryuichi damit erklärte, dass der das Klima nicht gewohnt sei und daher im Winter leicht friere. Seine Augen wandten sich wieder mir zur und musterten mich. "Du hast den Schal an, na no da!", sagte er begeistert und machte eine Art Freudenhüpfer. Mein Magen knurrte. Wir standen beide da und sahen uns wortlos an, bis er laut zu lachen begann. "Tats hat Hunger, also müssen wir schnell essen gehen, na no da!" Er hatte mich in ein kleines Café gebracht, wo wir uns in eine ruhige Sitzecke setzten. Drinnen war es angenehm warm, so dass wir beide unsere Jacken öffneten und die Schals abnahmen. Danach griff ich zur Speisekarte und überflog das Frühstücksangebot, das vor allem amerikanischer Natur zu sein schien. Gebratener Speck, Rührei, Pancakes mit Ahornsirup, Würstchen... Mir fiel ein, dass Ryuichi ja drei Jahre in den USA zugebracht hatte, da war es irgendwie logisch, dass er mich hierher geschleppt hatte. Ryuichi trug wieder eine Sonnenbrille und Basecap und mir war so, als beobachte er mich durch die getönten Gläser, während ich mir ein Frühstück aussuchte, bei dem mein Magen nicht sofort protestieren würde. "Weißt du nicht, was du essen sollst?" Ich hob den Kopf und blickte direkt in ein pinkes Plüschgesicht, das einen Zentimeter von meinem eigenen entfernt war. Im ersten Moment war ich zu überrascht, um etwas zu erwidern. Dann nickte ich. "Dann nimm die Pancakes, die sind super!", riet mir Kumagoro und wippte dazu begeistert mit dem Kopf. "Gut, dann vertrau ich dir." Mir kam es nicht dumm vor, mit einem Plüschtier zu reden, da ich dies in meiner Kindheit selbst getan hatte. Um genau zu sein, war es Mika gewesen, die immer mit mir gespielt und die Stofftiere sprechen lassen hatte. Die Kellnerin kam und sowohl ich, als auch Ryuichi bestellten Pancakes mit Ahornsirup. Er nahm dazu eine heiße Schokolade und ich einen Kaffee. Als sie wieder weg war, wandte sich Kumagoro wieder an mich: "Und du bist ein Fan von Ryu-chan?" "Ja!", kam es, wie aus der Pistole geschossen, zurück. Das war die schnellste Antwort, die ich ihm gegenüber bis dahin gegeben hatte. "Ein sehr großer Fan!" Kumagoro und Ryuichi nickten zusammen. "Ryuichi mag Fans." Immerhin war er damit schon einigen Stars voraus. Unsere Bestellung kam und ich aß, als hätte ich ein Jahr lang bei den tibetanischen Mönchen von Reis und Gemüse gelebt. Natürlich, ich *bin* ein buddhistischer Mönch, aber damit prahle ich nicht, weil es nichts ist, wofür ich stolz wäre. Juhu, Uesugi Tatsuha wird eines Tages den Tempel seines Vaters übernehmen. Was eigentlich Eiris Aufgabe wäre, aber der hatte es im Gegensatz zu mir geschafft, ,Nein' zu sagen. Ryuichi hatte eine sehr eigenwillige Art zu essen. Er aß noch schneller als ich, stopfte, kaute, schluckte, und zum Schluss hingen ihm tausende Krümel im Mundbereich. Schon gewohnheitsmäßig griff er danach zu seiner Serviette und wischte sie alle weg. "Das war ein gutes Frühstück", versicherte ich ihm und ich hatte mein Ziel nicht verfehlt. Er strahlte so sehr, dass seine Mundwinkel fast die Ohren berührten. "Und jetzt gehen wir in die Spielhalle, ja?", bettelte er und sah mich gemeinsam mit Kumagoro flehend an. Natürlich hatte ich nichts dagegen und so sagte ich ,Ja'. Diesmal hielten wir uns nicht eine Stunde lang an diesem Rennspiel auf, sondern probierten so ziemlich alles aus, was man zu zweit spielen konnte. Ich entdeckte sogar das ein oder andere Genre, in dem ich ihn vernichtend schlug. Immer, wenn ich ihn besiegte, stieß er mir mit dem Ellenbogen in die Seite und wir lachten. Ihr dürft das nicht falsch verstehen, an meinem Plan, ihn flachzulegen, hatte sich nichts geändert, aber wenn man vorher noch ein bisschen Spaß zusammen haben konnte - warum nicht? Mir war klar, dass, hatten wir es dann erst einmal getan, ich nur noch ein simpler One Night Stand sein würde. Gut, es wäre schade gewesen, diesen netten Kontakt dann einfach abbrechen zu lassen, aber die Prioritäten lagen bei mir woanders. Als wir wieder nach draußen gingen, war es schon fast Mittag. Ich schlug vor, ihn in ein Sushirestaurant einzuladen, doch er zog es vor, sich und mir einen Hot Dog an einem Stand zu holen. Ich aß also das gleiche Mittagessen wie am Vortag und wir setzten uns sogar auf die gleiche Bank im Park. Dort saßen wir stundenlang und unterhielten uns wieder. Und wieder waren es die kleinen Dinge, die uns gegenseitig am meisten interessierten. Die Musik ließ er ganz außen vor, doch das störte mich nicht, denn ich wusste eh alles, was man in Musikzeitschriften lesen konnte. Mein Zimmer in Kyoto war praktisch mit Postern und Zeitungsartikeln von Sakuma Ryuichi tapeziert. Die Dunkelheit setzte ein und ich begann zu zittern. Schnee fiel nun etwas stärker und ich zog den Schal in mein Gesicht, da ich alles bis zur Nase hinauf kaum noch spüren konnte. Auch Ryuichi fror sich wohl gerade so einiges ab, denn seine Wangen und Nase waren ganz rot und er zitterte ebenfalls, während er sich selbst umarmte in der kümmerlichen Hoffnung, sich so wärmen zu können. "Wir gehen wohl besser lieber langsam", murmelte ich und unterdrückte ein Zähneklappern. Er nickte sofort, blieb jedoch sitzen und zog sein Stofftier aus der Jacke. Fast sah es so aus, als würden sie sich stumm beraten, und ich sollte mit meiner merkwürdigen Vermutung Recht behalten. "Kumagoro und ich fragen uns, ob du vielleicht mit zu uns kommen willst." Ohnmachtsanfall, du kriegst mich nicht! Plötzlich war mir nicht mehr kalt, sondern heiße Aufregung durchfuhr mich und weckte meinen durchgefrorenen Körper. "Das wäre nicht schlecht." Nicht schlecht... das wäre hervorragend! Ja, gehen wir zu dir und lassen endlich die Bettfedern quietschen! Schnell war er aufgesprungen und hatte mich am Arm gepackt, um mich auf die Beine zu ziehen. Er sah so glücklich aus, dass ich befürchtete, er müsse gleich platzen. Und, um ehrlich zu sein, war ich derjenige, der fast vor Freude explodiert wäre. Sein Apartment war nicht so riesig, wie ich es mir als Fan immer vorgestellt hatte. Schlafzimmer, Bad, Wohnzimmer, Küche. Alles klein und gemütlich, keine unnötigen Extrazimmer, die er zum Arbeiten oder so benutzte. Aber warm, ja, das war es. Ryuichi lotste mich zu dem blauen Sofa, wo ich mich setzte, und verschwand dann in die Küche. Sofa, Fernseher, Tisch, ein Bild an der Wand, zwei Grünpflanzen auf der Fensterbank... In diesem Wohnzimmer konnte praktisch jeder wohnen, nur einen Star hätte man nicht vermutet. Ryuichi kam mit zwei Tassen Tee zurück und setzte sich neben mich. Meine Hände kribbelten angenehm, als ich das heiße Getränk entgegennahm. Ich nahm einen kleinen Schluck und stellte es dann auf dem Tisch ab. Er tat dasselbe und musterte dann neugierig mein Gesicht. "Was ist?", fragte ich, während ich meine Hände aneinander rieb. "Dir ist noch immer kalt", stellte er fest. Damit erzählte er mir nichts neues, aber ich war mir sehr sicher, dass ihm ebenfalls noch kalt war. Weswegen er wohl auch gefragt hatte. "Wollen wir uns gegenseitig wärmen, dann geht es schneller." Und wieder einmal wollte ich meinen eigenen beiden Lauschern nicht trauen. Er wollte echt engen Körperkontakt mit mir? Na, wenn das nicht ein Wink des Schicksals sein sollte, dann weiß ich auch nicht. Ryuichi schlang seine Arme um mich und drückte sich an meinen Körper. Er hatte Recht, es war angenehm warm, aber das konnte auch eine Einbildung meinerseits sein, die von hohem Hormonausstoß ausgelöst wurde. Egal, ich genoss seine Hände, die auf meinem Rücken ruhten. Seine Wange streifte meine und es war beinahe ein heiliges Ereignis, als ich seine Brust an meiner spürte. Tatsächlich war er wärmer als ich, was sich für mich nicht unbedingt als Nachteil erwies. Langsam ließ ich meine Hand über seinen schmalen Rücken nach oben wandern, bis ich seinen Nacken erreicht hatte und diesen streichelte. Ein ganz leises Seufzen drang an mein Ohr und ich schloss die Augen. Seine Nähe war einfach berauschend, wie eine Droge, die einem später kein mieses Gefühl bereitete. Mir stieg der Geruch von leichtem Aftershave und Erdbeeren in die Nase und ich fragte mich, wie so eine Kombination so angenehm sein konnte. Seine Haare kitzelten immer wieder meine Finger, während ich seinen Nacken kraulte, und seine Hand erkundete schüchtern meinen Rücken. Es bereitete mir eine Gänsehaut. Es war egal, wie lange wir dort so saßen, denn es war einfach wunderbar. Irgendwann wagten sich meine Lippen über seine rechte Wange und den Hals entlang. Seinen Mund sparte ich aus, denn Küsse sind etwas Besonderes, sie bedeuten so viel mehr als eine einfache Berührung. Küsse sind wie Gefühle, das weiß sogar ich. Es kam mir so vor, als neigte er den Kopf leicht zur Seite, um mir so mehr Fläche zu lassen. Ich nutzte sie. Meine Hände streichelten seinen Rücken, seinen Nacken. Schließlich drückte ich ihn sanft zurück auf das Sofa, nutzte jeden Zentimeter, den seine Sachen nicht verdeckten, um seine Haut mit meinen Lippen zu erforschen. Nach einiger Zeit gelangte ich bei seinem linken Ohr an, hörte sein Seufzen und plötzlich ging mir die Frage durch den Kopf, ob er überhaupt wusste, was ich da im Begriff zu tun war. Immerhin war er in mancher Hinsicht ziemlich kindlich. Also hob ich prüfend den Kopf und betrachtete sein Gesicht eingehend. Ryuichi schloss kurz seine Augen und, als er sie wieder öffnete, blickten sie direkt in meine. Wer in diesem Moment nicht dabei war, kann niemals nachvollziehen, was bei diesem Blick in mir vorging. Aber wäre noch jemand außer uns beiden im Raum gewesen und hätte Ryuichi wie ich gesehen, wäre es demjenigen genau so ergangen wie mir. Die meisten Menschen, die ich kenne, glauben nicht an Liebe auf einen Blick - Scheiße, ich selbst hab bis dahin nicht dran geglaubt! - aber just in dieser einen Sekunde, als sich unsere Augen trafen, machte es ,Bumm!'. Plötzlich war es nicht mehr diese ,Fan vergöttert Idol und will es flachlegen'-Leidenschaft, sondern... Liebe. Ja ihr habt richtig gehört: Uesugi Tatsuha, den seine Freunde ,Tats, den Aufreißer' nennen, hatte sich verliebt. Verliebt in Sakuma Ryuichi. Okay, nun eine Multiple Choice Frage: Was tat Tats, als in seinem Bauch tausend Schmetterlinge beschlossen, einen Rundflug zu starten? a) er wurde rot b) er vernaschte Ryuichi, wie geplant c) er vernaschte Ryuichi, auf unanständigere Weise als geplant d) er bekam Skrupel und brach sein dunkles Vorhaben ab Wer auf a) getippt hat, kriegt fünfzig Punkte. Wer auf d) getippt hat, kriegt auch fünfzig Punkte. Und wer a) und d) getippt hat, kriegt die volle Punktzahl. Tats, du Idiot! Ich landete auf dem Boden neben der Couch und bekam mit, wie er sich aufsetzte und zu mir hinunter guckte. Er sah überrascht aus und seine Augen hatten diesen fragenden Ausdruck, für den man ihn einfach süß finden musste. Mein Arsch hingegen tat weh wie Hölle. "Ich muss auf's Klo!", erklärte ich schnell, stand auf und flüchtete in den nächsten Raum. Verdammt! Ich war in der Küche gelandet. Jetzt noch einmal rausgehen war peinlich und drin bleiben, ließ mich auch nicht unbedingt glaubwürdig erscheinen. Ich blieb trotzdem und setzte mich an den Tisch. Die nächsten fünf Minuten brachte ich damit zu, meine Gedanken mit Klebezettelchen zu versehen und nach einem neu erfundenen Alphabet zu ordnen. Mein Herz schlug noch immer Saltos und eine unerträgliche Hitze hatte sich in mein Gesicht geschlichen. ,Das ist nicht gerade passiert', versuchte ich mir einzureden, ,Du warst nicht gerade kurz davor, Ryuichi flachzulegen, als du vom Sofa gefallen bist!' Dazu muss ich vielleicht noch sagen, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass ich mich verliebt hatte. Dass ein unbeschreibliches Gefühl von mir Besitz ergriffen hatte und mein ganzes Denken und Tun zu steuern begann. Ich hielt es einfach für ein Missgeschick, auch wenn ich mich selbst nicht verstand. Warum ich rot war, warum ich in der Küche saß und auf die Tischplatte starrte, warum ich von ihm abgelassen hatte, das alles konnte ich mir nicht erklären. "Tatsuha-chan?" Ich zuckte zusammen. Von der Lautstärke seiner göttlichen Stimme her erkannte ich, dass er direkt hinter mir stehen musste. Was er auch tat. Dann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und versteifte mich unweigerlich. Diese Berührung war so seltsam vertraut und doch sehr zurückhaltend. "Bist du krank? Du bist so rot im Gesicht, na no da!" Langsam drehte ich mich um und sah direkt in seine blauen Augen. Diese wunderbaren, klaren Augen, die man auf keinem Nittle Grasper Tape der Welt zu sehen bekommt. "Nee, mir ist jetzt nur schön warm." Ryuichi nickte zufrieden. "Warte, ich hole deinen Tee!" Dann setzte er Kumagoro auf meine Schulter und flitzte zurück in das Wohnzimmer. Ich starrte das Stoffhäschen an und seufzte schließlich. Er hatte es wirklich nicht begriffen, dass ich ihn beinahe flachgelegt hätte, und - Gott! - ich hätte es sogar geschafft, da war ich mir sicher. Nach kaum einer Minute kam er mit meiner Tasse zurück, stellte sie vor mich und setzte sich auch an den Tisch. Kuma blieb da, wo man ihn hingesetzt hatte. Endlich nahm ich wieder einen Schluck Tee, er war eklig lauwarm. "Sorry." Es war nicht meine Absicht gewesen, mich für irgendetwas zu entschuldigen, aber manchmal ist der Mund einfach schneller. Er hob nur den Kopf, legte ihn leicht seitlich. "Wofür?" Gute Frage. Ich wusste es nicht. Immerhin hatte ich ihn zu nichts gezwungen und auch sonst hatte ich mich für meine Verhältnisse nicht übel benommen. Folglich sagte ich nichts. "Es ist spät, ich fahr dich lieber nach Hause." Ryuichi gab mir ein sonniges Lächeln und stand auf, was ich ihm gleichtat. Gemeinsam zogen wir wieder unsere warmen Jacken und Schals an und er führte mich aus seiner Wohnung, hinunter in die Tiefgarage des Hochhauses. Suchend nach einem Wagen, der seiner würdig war, schaute ich mich nach allen Seiten um, bis er plötzlich direkt vor mir stehen blieb und ich in ihn hineinrannte. Ich murmelte eine Entschuldigung, betrachtete dabei aber schon das Auto. Ein violetter Sportwagen, womöglich doppelt so teuer wie Mikas. Ein Schlitten, der jedem Mann das Herz verglühen lässt. Ryuichi öffnete die Türen dank Zentralverriegelung, während er auf das Auto zuging. Er wollte gerade einsteigen, als er sah, dass ich wie angewurzelt dastand. "Willst du nicht mitfahren, Tats?" Verdammt, das wollte ich! Schnell sprintete ich zur Beifahrerseite und ließ mich auf den schwarzen Ledersitz fallen. Dieses Auto war tausendmal besser als jedes andere, in dem ich zuvor gesessen hatte. Die Heimfahrt war einfach genial - wir flogen beinahe über den Asphalt - aber auch viel zu kurz. Wir hielten direkt vor dem Wohnhaus, in dem sich Eiris Apartment befand, und stiegen aus. "Na gut, dann geh ich mal und kassier meinen Anschiss", murmelte ich und wollte mich gerade abwenden, als Ryuichi mich noch einmal fest umarmte. Wieder streiften sich unsere Wangen und ich war völlig machtlos gegen das warme Kribbeln, das diese Berührung auf meiner Haut hinterließ. "Gute Nacht, Tats!" "Gute Nacht." Dann ging ich wirklich rein. tbc... Kapitel 4: Friendship --------------------- Soo, ein neues Kapi ist da. Mit diesem habt ihr dann 21 von 32 Seiten gelesen, also zwei gute Drittel. Vielen Dank für die Kommis vom letzten Mal und natürlich würde ich mich auch jetzt wieder tierisch über welche freuen. ^^ Viel Spaß - Kat ~ Friendship ~ Auf dem Weg nach oben zu Anikis Wohnung hatte ich die Hände tief in den Jackentaschen vergraben und dachte nach. Zumindest versuchte ich zu denken, doch alles war viel zu wirr und verschwommen. Wie ein Knäuel aus Fäden, wo man keinen einzelnen an sich unterschieden und herausziehen konnte. Möglichst leise schloss ich die Tür zur Wohnung auf, zog die Schuhe aus und trat auf Zehenspitzen ein. Ich war unheimlich spät dran und wenn Aniki mal nicht den gesamten Tag in seiner Höhle zugebracht hatte, hatte er das bemerkt. Was zwangsläufig hieß, dass ich mir sein Gemotze anhören durfte, von wegen, ihm sei die Aufgabe aufgedrückt worden, auf mich aufzupassen, also solle ich gefälligst vor Zehn meinen Arsch wieder in seiner Wohnung haben. Glücklicherweise überlebte ich meinen Weg ins Wohnzimmer ohne ein Zusammentreffen mit einem wild gewordenen Romanautor. Auf der Couch saß Shuichi mit angezogenen Beinen und starrte auf den Fernsehbildschirm. Als er mich bemerkte, drehte er den Kopf. "Yuki hat sich Sorgen gemacht." Ich war mir sicher, dass der Kleine mal wieder alles hoch puschte. Aniki machte sich nie ernsthafte Sorgen um irgendwen. "Aha." "Aber ich habe ihm gesagt, dass alles okay ist. Du warst ja mit Sakuma-san zusammen unterwegs und der kann schon aufpassen." Ich nickte nur stumm und setzte mich neben ihn. Er hatte so eine dämliche Spielshow laufen, bei der Menschen um die Wette Sushi aßen und nebenbei Fragen beantworteten. "Und, hast du Sakuma-san... na ja... du weißt schon... ins Bett gekriegt?" Musste er mich jetzt daran erinnern? "Ich hab's versucht, aber..." "Aber...?" Ich entschied mich, ihm die Story zu erzählen. Er ist kein schlechter Typ, der über das Leid anderer lacht, und außerdem ist er ein kleines Sensibelchen. Was bedeutete, er konnte die Situation besser deuten als ich, oder? "Irgendwie konnte ich plötzlich nicht mehr. Er lag unter mir, ich hab seinen Hals geküsst und dann hab ich ihn angesehen, er hat mich angesehen und..." Shuichi sah mich mit großen erwartungsvollen Augen an, wie ein Kind, das der Märchentante lauschte. "Und?" "Dann bin ich rot geworden und vom Sofa gefallen. Und danach habe ich die Flucht in die Küche ergriffen und mich gefragt, was zum Geier das für eine Aktion gewesen sein sollte." "Warum hast du es nicht noch mal versucht?" Man muss sich mal vorstellen, dass diese Frage von Shuichi himself kam. "War die Stimmung weg oder hat Sakuma dich voll geschnauzt?" Resigniert schüttelte ich den Kopf. "Weder, noch. Ich weiß selbst nicht, was da in mich gefahren ist. Danach war ich auch total eingeschüchtert und habe kaum noch was gesagt. Mist, ich hatte sogar schon fast Berührungsängste, weil es sich plötzlich so seltsam angefühlt hat." Er sah mich lange schweigend an, bis er zweimal blinzelte und fragte: "Bist du schon mal verliebt gewesen?" Okay, meine Reaktion war etwas... heftig. "Bist du irre?! Wieso sollte ich?!" "Na ja, du warst doch schon immer gewissermaßen besessen von Sakuma-san und flachlegen wolltest du ihn auch." Shuichi zuckte mit den Schultern. "Liegt es denn da so fern, dass du dich in ihn verliebt haben könntest?" "Es *liegt* fern!" "Okay." Damit war die Unterredung für ihn beendet und seine Aufmerksamkeit gehörte wieder dem Fernseher. Wahrscheinlich hat er in der Beziehung mit Aniki gelernt, wann er die Klappe halten musste. Ich selbst lehnte mich zurück und starrte mit leeren Augen auf die Mattscheibe. Ich hatte mich nicht verliebt, da war ich mir sehr sicher. Die Nacht schlief ich endlich mal durch, auch wenn ich es vorher nicht wirklich erwartet hatte. Erst gegen Mittag wachte ich auf, als das Handy in meiner Hosentasche zweimal piepte. Leicht verschlafen setzte ich mich auf und kramte das Ding hervor, um die SMS zu lesen. Sie war von Ryuichi und in ihr stand - mit einigen Rechtschreibfehlern versehen - dass es ihm Leid täte, dass wir uns am Tag nicht treffen konnten, aber ob ich nicht vielleicht Lust habe, mit ihm den Abend in eine Disco zu gehen. Ich schrieb zurück, dass ich mich wirklich sehr freuen würde, bekam darauf jedoch keine Antwort. Und von da an war ich den ganzen Tag über hibbelig und ich nehme an, dass ich sogar Shuichi nach einer Weile mit meinem nervösen Herumgelaufe auf die Nerven ging. Was, wenn Ryuichi mich nur hatte ärgern wollen und die Frage gar nicht ernst gemeint gewesen war? Oder wenn er es aus reiner Höflichkeit geschrieben hatte, mit der Hoffnung, dass ich absagen müsse? Dieser eine Gedanke fraß sich wie Salzsäure in mein Gehirn und machte mich fast wahnsinnig. Je weiter die Zeit voran schritt, umso schlimmer wurde es. Aniki war zu Beginn des Tages in der Küche gewesen, hatte sich jedoch bald in sein Arbeitszimmer verkrümelt, als er gemerkt hatte, wie ich drauf war. Es war gegen Acht. Noch immer war ich aufgedreht wie wahnsinnig, saß auf dem Sofa und wippte unruhig mit dem rechten Bein auf und ab. Die Vorstellung, dass er mich versetzen und sich einfach nicht mehr melden würde, war für mich unerträglich. Ich verstand mich ja selbst nicht richtig. Ich hatte in meinem Leben schon mehr Weiber hängen lassen als ich Körbe kassiert hatte. Es war ganz einfach und ich hätte ihm sicher nicht einmal böse deshalb sein können. Überrascht hob ich den Kopf. Ich dachte über das alles tatsächlich nach, als wäre es ein Date. Wie so eine dumme Pute, die auf ihren Prinzen im weißen Anzug wartete, der sie zum Schulball abholen sollte. Es mochte daran liegen, dass ich noch immer etwas von Ryuichi wollte und wenn man etwas von jemandem will, legt man automatisch jedes Treffen als Date aus. Es klingelte an der Tür und mal wieder war ich so schnell da, um zu öffnen, dass ich mich über meine eigene Geschwindigkeit wunderte. Tatsache, vor mir stand Ryuichi und grinste mich an. Der Anblick verschlug mir glatt die Sprache. Er trug ein rotes Stirnband, das seine Haare noch wilder in alle Richtungen abstehen ließ, eine halb durchsichtige Sonnenbrille, ein rotes T-Shirt mit schwarzem Aufdruck und dazu eine dunkle Jacke und eine ebenso dunkle Hose, beide aus Leder. Was nicht so ganz ins Bild passte, war der rote Schal, der seinen Hals zierte. Nun gut, es war auch tierisch kalt draußen. "Sorry, dass ich nicht auf deine SMS geantwortet hab", erklärte er schuldbewusst und wippte auf den Füßen vor uns zurück. "Meine Mittagspause war da gerade zu Ende. Verzeihst du mir?" Welcher Arsch hätte darauf schon mit ,Nein' geantwortet? "Ach, halb so wild. Also steht das mit der Disco?" Er nickte. "Ja! Allerdings solltest du dich umziehen, was?" "Okay." Ich ließ ihn rein und sprintete dann zurück in das Wohnzimmer und zu der Tasche, die auf dem Boden neben dem Sofa stand. Die Befürchtung kroch in mir hinauf, dass Mika vielleicht meine Abendklamotten ausgepackt haben könnte, um einem dieser kratzigen Rollkragenpullover Platz zu machen. Zum Glück lief einmal alles gut. Nach fünf Minuten stand ich fertig in schwarzen Jeans und schwarzem ärmellosem Shirt, auf dem ein roter Drache aufgedruckt war, vor ihm. Ryuichi musterte mich kurz und gab mir dann meine Jacke und Schal, die ich mir sofort überwarf. Den Weg zur Disco bewältigten wir zu Fuß. War schon ein feines Ding, das muss ich gestehen. Nicht zu verraucht, nicht zu laute Musik, die einem fast das Trommelfell raus springen lässt... Ryuichi zog mich zur Bar, bestellte uns beiden je eine Cola und schleppte dann mich und die Gläser zu einer Sitzecke. Ich entledigte mich meiner Jacke und dem Schal und warf beides auf den kleinen Haufen, den bereits seine eigenen überflüssigen Klamotten gebildet hatten. Wir setzten uns beide nebeneinander und tranken unsere Cola, während wir die Menge beobachteten, die sich zu der Musik bewegte. Alles war in blaues Licht getaucht und nur einige Scheinwerfer beleuchteten einzelne Stellen des Raumes "Tanzt du gern?", fragte er schließlich, was ich mit einem Nicken beantwortete. "Ich auch, na no da!" Natürlich wusste ich das bereits. Jeder einzelne Grasper Konzertmitschnitt verriet, wie sehr er Performances und das Tanzen liebte. Und mit Sicherheit wusste er es selbst, dass er das auf jedem Konzert nur zu deutlich zeigte, sich seinem Können bewusst war. Neben ihm sah jeder andere Sänger wie ein Deutscher in Lederhosen mit einer Ziehharmonika aus. "Komm, lass uns tanzen!" Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er nach meinem Arm und zerrte mich zur Tanzfläche. Ich kenne einige Menschen, die dabei erstarrt wären und sich gar nicht mehr hätten rühren können, doch ich war anders. Ich weiß, dass ich tanzen kann und ich muss gestehen, dass ich durch meine geschickten Bewegungen schon das ein oder andere Mädchen rumgekriegt habe. Fast natürlich tanzte ich zur Musik und ich hatte riesigen Spaß. Auch Ryuichi amüsierte sich und von Sekunde zu Sekunden nahm er meine Blicke mehr gefangen. Wenn ich seine Videos sah, dachte ich immer, dass die Musik ihn völlig beherrschte, doch ich erkannte nun, dass es genau umgekehrt war. Er beherrschte die Musik. Seine Bewegungen waren flüssig, locker, perfekt. Der Rhythmus der Bässe gehörte ihm. Leichte Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und er war völlig im Tanzen gefangen. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Vielleicht bildete ich es mir auch ein, aber die Tanzfläche wurde voller. Irgendwann so eng, dass seine Arme und Hüfte mich ab und zu leicht streiften. Plötzlich fiel es mir sehr schwer, mich auf die Musik und den Beat zu konzentrieren. Mit jeder Berührung wuchs die Hitze um mich herum, bis ich es nicht mehr länger ertrug und wieder zurück zu unseren Plätzen ging. Dort kippte ich erst mal meine gesamte Cola, um mich abzukühlen. Der Tropfen auf dem heißen Stein. Ich saß da etwa zehn Minuten, bis Ryuichi auch zurückkam. Er ließ sich neben mich sinken, atmete tief durch und exte seine eigene Cola. Dann sah er mich an und grinste. "Hat Spaß gemacht!" Das konnte er nicht wirklich einschätzen, zumindest was es mich anbetraf. "Ja, wir haben ganz schön lange getanzt." Ryuichi nahm das als Stichwort, um auf seine Uhr zu sehen. "Schon nach Mitternacht. Wird dein Bruder nicht böse sein, wenn du so spät kommst?" Ich schluckte. "Das wäre milde ausgedrückt." "Dann ab nach Hause." Wir standen auf und gingen. Warum hatte die Zeit nicht stehen bleiben und uns für immer auf der Tanzfläche festhalten können? Der nächste Morgen hielt für mich Kopf- und Nackenschmerzen bereit. Das Sofa kann schon bequem sein, allerdings nicht, wenn man in irgendwelchen seltsam verrenkten Positionen darauf schlief. Fragt mich nicht, wie ich meinen linken Oberarm in die rechte Kniekehle geklemmt bekam. Ein Blick auf die Uhr. Hatte ich ,Morgen' gesagt? Ich meinte ,Mittag'. Aus der Küche drang die Stimme Anikis, der sich über etwas aufzuregen schien. Im Wechsel dazu vernahm ich auch Shuichis Stimme, die einen weinerlichen Ton angeschlagen hatte. Gott, bitte nicht! Kein Beziehungskrieg, wenn ich da war! "Du bist gemein, Yuki!" "Ich brauche meinen Schlaf! Entweder schlafen wir also zu unterschiedlichen Zeiten oder du vertreibst Tatsuha vom Sofa. Wenn du Weichbirne mit einem übergroßen Herz für Möchtegerncasanovas -" Wer war hier ein Möchtegerncasanova?! "- es jedoch nicht über dich bringst, dann schlaf meinetwegen in der Wanne oder auf dem Balkon!" "Es ist Winter!" "Dann friert vielleicht deine Klappe ein und du schnarchst nicht die Nachbarn aus dem Schlaf!" Daher wehte der Wind. Shuichi hatte geschnarcht. Nun ja, das soll ja hin und wieder bei leicht erkälteten Männern vorkommen. "Dann stoße mich an, wenn ich schnarche!" "Dazu ist mir mein Schlaf zu wichtig. Häng dich doch kopfüber an die Decke, du nichtsnutziger Blutsauger!" "Du bist herzlos!" Ich konnte mir nicht helfen - Shuichi tat mir furchtbar Leid. Jeder schnarcht mal und jetzt, wo er es ins Schlafzimmer geschafft hatte, wollte ihn Aniki eben deswegen wieder rauswerfen. Ich fragte mich, ob Eiri nicht die ganze Zeit auf so eine Gelegenheit gewartet hatte. Langsam stand ich auf und streckte meine Glieder. "Du willst deinen eigenen Bruder vom Sofa jagen?" "Ist mir scheißegal, wer von euch beiden auf dem Boden pennt. Meinetwegen mach's dir auf dem Boden bequem, aber verschwinde bloß aus dem Bett!" Stille folgte. Ich kam in der Küche an und betrachtete die beiden Streithähne. Eiri drückte gerade eine Zigarette im Aschenbecher aus, griff kampfeslustig schon nach der Zigarettenschachtel in seiner Tasche. Shuichi hingegen schien noch kleiner geworden zu sein, als er ohnehin schon war, und sah ihn wütend und verletzt an. Besonders fair war Aniki wirklich nicht. Onii-san entdeckte mich. Wütend funkelte er mich an: "Raus mit dir, Tatsuha!" Das beeindruckte mich nicht im Geringsten, dazu kannte ich ihn einfach schon viel zu lange. Ich trat vor, packte Shuichi am Arm und stieß ihn leicht in Richtung Tür. "Lass uns bitte mal zu zweit, Shu-chan!" Der sah mich nur mit großen feuchten Augen an, bewegte sich allerdings kein Stück. "Aber..." "Da will ich mich einmal auf deine Seite schlagen, also geh jetzt", verlangte ich ruhig von ihm und es wirkte. Er verließ die Küche. "Was mischst du dich da ein?", fauchte Eiri. "Es war kein gerechter Kampf, denn Shuichi lässt sich viel zu leicht unterkriegen." Ich deutete den Daumen an, mit dem Eiri immer sinnbildlich auf Shuichi drückte. "Warum willst du ihn unbedingt aus dem Schlafzimmer vertreiben?" "Weil der verdammte Idiot mich um den Schlaf bringt!" "Wenn es dir wirklich um deinen Schlaf ginge, hättest du ihn schon am Sonntag Morgen rausschmeißen können", erklärte ich kühl. Im Gegensatz zu Shuichi bin ich eine harte Nuss und weiß, wie man kühlen Kopf bewahrt. Zumindest in solchen Lagen. "Macht es dir etwa Angst, dass er sich nachts an dich schmiegt und du ihn beim Schlafen beobachtest?" Er biss die Zähne zusammen und knurrte leise. Ich hatte ihn. "Jeder schnarcht mal und immerhin habt ihr eine Beziehung. Wenn du ihn jetzt aus dem Schlafzimmer jagst, schießt du dir ein Eigentor, aber voll." Aniki hasst die Jugendsprache, aber was soll's? Ich bin nun mal ein Jugendlicher. Er drückte die halb aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. "Warum hältst du dich nicht einfach da raus, du Bastard?" "Danke, aber ich wurde in Ehe geboren." "Verpiss dich, du gehst mir so auf den Keks! Ich habe dich hier nur aufgenommen, weil Mika bettelnd zu mir kam und mich ihre dämliche Heuchelei angekotzt hast, also bilde dir nichts drauf ein, dass ich dich auf dem Sofa pennen lasse!" Ihr könnt euch vorstellen, dass ich gerne etwas Netteres gehört hätte. Meine Antwort klang kühl, aber in meinem Inneren schrie eine Wunde, die in den letzten sechs Jahren nie verheilt war. Er machte mir nur zu deutlich klar, dass ich nicht mehr den Bruder besaß, mit dem ich zusammen aufgewachsen war. "Weißt du, ich mag kein perfekter Mensch sein und nicht immer die selbstlosesten Absichten haben, aber so ein egozentrischer Arsch wie du werde ich nie." Ich verließ die Küche. Auf dem Flur begegnete ich Shuichi, der mich angsterfüllt ansah. Natürlich hatte er gehört, was Aniki zu mir gesagt hatte, aber eine Mitleidsbekundung sollte er besser für sich behalten. Wortlos ging ich an ihm vorbei, zog mich an und ging aus der Wohnung. Manchmal frage ich mich, warum sich Menschen für andere ohne bestimmten Grund einsetzen, auch wenn sie dafür nur Spott und Verachtung kassieren. Gibt es so etwas wie völlig gute und selbstlose Menschen? Ich blickte in den eisblauen Himmel und blieb stehen. Ja, ich kannte jemanden. Die folgenden Stunden verbrachte ich damit, ziellos durch Tokyo zu spazieren und die Leute zu beobachten. Alle waren im Weihnachtsstress, da es nur noch knapp zwei Wochen bis zum Heiligabend waren. Hier und da hörte man Menschen lachen, schwatzen oder schimpfen. Ich glaube, nirgends sieht man das Leben deutlicher und facettenreicher als in der Großstadt. Keiner kennt den anderen und man verhält sich dadurch ungezwungener. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich immer hoffte, Ryuichi würde mich auf dem Handy anrufen. Er hatte es mir schließlich am Vorabend versprochen. Seufzend holte ich mein Handy hervor und sah auf das Display. Mein Herz blieb stehen. Der Akku war leer. Habt ihr auch schon mal den Drang verspürt, alle Leute um euch herum zu rütteln und jedem einzelnen von ihnen euer Unglück entgegen zu schreien? Planlos stand ich da und starrte auf mein Handy - sicher drei Minuten lang - bevor ich mich wieder in Gang setzte. Ich hatte keineswegs vor, den Tag ohne Ryuichi zu verbringen. Ich hatte mich schon fast zu sehr an seine Nähe gewöhnt. Eine weitere Stunde später stand ich vor seiner Apartmenttür. Draußen war es schon dunkel und Schnee bedeckte meine Schultern und Haare. Mir war verdammt kalt und meine Zehen spürte ich schon gar nicht mehr. Wenn er jetzt nicht da war, würde ich mich vor die Tür setzen und warten, so viel war sicher. Ich klopfte an. Es dauerte nicht lange und schon wurde geöffnet. Da stand Ryuichi in einem übergroßen roten Pullover und sah mich verdutzt an. "Tats?" Ich hob leicht die rechte Hand und winkte. "Hi." "Komm rein, dir ist doch kalt, na no da!" Er zog mich in die Wohnung und stieß mich direkt auf das Sofa. Dann verschwand er und kam wenig später mit einer großen Wolldecke, einem Pullover und einer Tasse Tee zurück. Verrückt, dass er das alles auf einmal tragen konnte. Ich zog meine Jacke aus, den Pullover an, wickelte mich in die Decke ein und nahm dankend den Tee. Ryuichi setzte sich neben mich und mir fiel wieder brühend heiß ein, was das letzte Mal geschehen war, als wir auf dem Sofa gesessen hatten. Doch heute wollte ich mich zurückhalten. "Wird es dir langsam warm?", fragte er besorgt. Um ihn zu beruhigen, nickte ich lächelnd. Der Tee war schnell geleert und tatsächlich breitete sich die Wärme wieder in meinem Körper aus. "Wollen wir was spielen?" Ich drehte den Kopf und blinzelte. Spielen? Na ja, den Begriff kann man weit fassen. Es gibt tausende von Spielen und ich kenne auch das eine oder andere unanständige. Auf meine ungestellte Frage hin deutete er auf eine Spielkonsole, die vor dem Fernseher stand. Playstation One, also nicht das neuste Modell. Es gab inzwischen bessere Konsolen mit fabelhafter Grafik, doch das war wohl für ihn zweitrangig. Er sprang auf und sprintete zur Playstation, neben der eine Spielhülle lag, die er mir zeigte. "Das hat mir Nori-chan geschenkt!" Es war ein Rennspiel. Gut, das erklärte, warum ich fast nie gegen ihn in der Spielhalle gewonnen hatte. "Okay, lass uns das spielen!", sagte ich und sofort hatte er das Gerät und den Fernseher eingeschalten, war neben mich gesprungen und hatte mir einen Controller in die Hand gedrückt. Wir spielten bestimmt drei Stunden lang und ich wurde ein immer härterer Gegner für ihn. Zum Schluss gewann nur noch ich und frustriert stieß er mir den Ellenbogen in die Seite. "Tats ist zu gut, na no da!" Ich musste grinsen. "Übung macht den Meister." Ryuichi schaltete die Playstation aus. "Wann musst du zu Hause sein?" "Eigentlich vor Zwölf, aber Aniki wäre überglücklich, wenn ich gar nicht mehr bei ihm auftauche." Es herrschte Ruhe. Ryuichi sah mich mit großen blauen Augen an, blinzelte und nahm dann Kumagoro zur Hand. Stumme Beratung. "Möchte Tats vielleicht bei uns übernachten? Wir können Videos gucken, na no da." Dieses Angebot war die süßeste Verlockung und ich bin mir sicher, dass ich keinen Nittle Grasper Fan gefunden hätte, der das abzulehnen bereit gewesen wäre. "Aber dann müsste ich zumindest bei Aniki Bescheid sagen." "Kein Problem, na no da!" Ryuichi drückte mir das schnurlose Telefon, das auf dem Tisch gelegen hatte, in die Hand. Ich wählte langsam die Nummer. Endlos war ich dabei, zu beten, dass es nicht Eiri war, der abheben würde. Bitte nicht Eiri, bitte nicht Eiri, bitte nicht... "Hallo?" Shuichis Stimme, gefolgt von einem kaum hörbaren Keuchen. Ups. In manchen Situationen kann ich echt naiv sein, aber manche verstehe ich auch auf Anhieb. Was ich wusste, war, dass ich wohl mit meinem Anruf gerade verdammt störte. "Hier ist Tatsuha. Ich werde bei Ryuichi übernachten." Schon hatte ich aufgelegt. "Warum hast du so schnell aufgelegt?" Unbehaglich sah ich ihn an. Das wollte ich ihm sicher nicht erklären und zudem spürte ich, wie ich leicht rot wurde. Wieso war mir in letzter Zeit so vieles in seiner Gegenwart peinlich? "Dann lass uns jetzt Animes gucken!", entschied er, hüpfte zum Schrank und gab durch das Öffnen einer Tür den Blick auf wahrscheinlich hunderte von DVDs frei. Wir sahen vier Stunden lang einige seiner Lieblingsfolgen. Manchmal lachten wir gemeinsam, manchmal auch nur Kumagoro. Ryuichi erklärte, der Hase habe einen seltsamen Sinn für Humor, aber es war dennoch zu süß. Schließlich legten wir eine Pause ein, in der er frisches Popcorn in der Mikrowelle machte. Zusammen saßen wir um die Schale und knabberten, bis er plötzlich die angenehme Stille brach. "Kommst du zu unserem Konzert am Dreiundzwanzigsten?" Ich verschluckte mich. Oh Hölle, das war die furchtbarste Frage, die er mir stellen konnte! Helfend klopfte er mir auf den Rücken und obwohl ich kurz vorm Ersticken war, wünschte ich mir doch, der Hustanfall würde nicht enden. Was er zu meinem Unglück im Glück tat. "Hab keine Karte mehr bekommen", bekam ich trocken heraus und bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Obwohl man ja nichts dafür kann, wenn man den Ticketverkauf nicht rechtzeitig abfängt. "Aber ich will, dass du mich singen siehst!", beharrte er wie ein Kleinkind, als ob ich etwas an den Tatsachen drehen konnte. Konnte ich zu meinem Bedauern nicht. "Wie gesagt, ich würde es ja gerne sehen, aber ohne Karte geht das nicht." Ich erklärte es so behutsam wie möglich, obwohl er die Tatsachen natürlich selbst kannte. "Warte!", rief er, als könne ich im nächsten Moment aus dem Fenster springen, und begann, in seinen Hosentaschen zu wühlen. Ein wenig ratlos gab er es auf, bis ihm dann einfiel, wo das Gesuchte zu finden war. Ryuichi verschwand blitzschnell aus dem Wohnzimmer und kam fast im selben Moment wieder zurück. In der erhobenen Hand hielt er - Mein Herz machte einen Hüpfer, so dass es fast meinen Kehlkopf berührte - ein Ticket für das Konzert, versehen mit einem goldenen Sicherheitsstreifen. Komisch. Shuichis hatte einen silbernen. Ryuichi hockte sich wieder neben mich und drückte mir das Ticket in die Pfote. "Jetzt kannst du kommen, na no da!" Ich sah es mir an und bekam zuerst keinen Laut heraus. ,Special Visitor' stand da ,Backstage entrance permission'. Das war zu gut, um wahr zu sein. Ohne mir weiter irgendwelche Gedanken zu machen, umarmte ich ihn überschwänglich und rief: "Danke, das ist super!" Als ich ihn wieder losließ, grinste er glücklich. "Kumagoro und ich freuen uns auf dich!" Ich nickte und drückte das Ticket gegen meine Brust. So ein tolles Weihnachtsgeschenk im Voraus hatte ich noch nie erhalten. "Wir sind doch Freunde, oder?" Mit dieser Frage überraschte er mich. Sie kam aus heiterem Himmel und ich musste mir selbst eingestehen, dass ich nie so darüber nachgedacht hatte in den letzten Tagen. Wir hatten so viel Spaß miteinander gehabt, dass mir die Antwort allerdings leicht fiel. "Ja, das sind wir." "Für immer und immer, versprochen?" "Versprochen." Ich wusste nicht, dass ich dieses Versprechen bald brechen würde. Nun war es er, der mich umarmte, und ich erwiderte die Geste lachend. Wir waren Freunde geworden. tbc... Kapitel 5: Confessing is being honest to myself ----------------------------------------------- Der Mond stand voll am Himmel und ich betrachtete ihn durch das Fenster, während ich mich leicht nach links drehte, um in eine angenehmere Liegeposition zu kommen. So angenehm es eben in einem Schlafsack auf dem Boden sein konnte. Um das gleich mal klarzustellen, Ryuichi lag in seinem eigenen Schlafsack neben mir, hatte sich also nicht in sein warmes Bett verkrochen. Zudem war die Raumtemperatur sehr angenehm und ein großes violettes Kissen lag unter meinem Kopf. Ich sah zu Ryuichi, der vor einer knappen Stunde eingeschlafen war, und musste lächeln. Im Gegensatz zu ihm hatte ich die Geschehnisse des Tages noch einmal im Kopf umgewälzt und war dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass Eiri ein riesiger Arsch war von der Größe Eurasiens. Ryuichi hatte Kumagoro eng an sich gedrückt und lächelte im Schlaf ein wenig. Wenige Strähnen fielen in sein Gesicht, das so friedvoll aussah, dass dieser Anblick mich durch und durch wärmte. Seine Haut schimmerte im Mondlicht und ich fragte mich, ob sie wohl so weich war, wie ich sie mir vorstellte. Langsam streckte ich meine rechte Hand aus und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Leicht streifte ich seine Wange und meine Fingerspitzen prickelten leicht. Etwas mutiger fuhr ich mit dem Zeigefinger über seine Wange, diese wundervolle Stelle, die sich tagsüber in der Kälte rot färbte. Mein Finger wanderte weiter vorsichtig zu seinen Lippen und blieb dort liegen. Sie glänzten leicht und mich überfiel das unglaubliche Verlangen, diese Lippen an meinen eigenen zu spüren. Es verblüffte mich selbst, dass ich ihn so unbedingt küssen wollte. Okay, noch zwei Tage zuvor hatte ich ihn flachlegen wollen, aber das hier war etwas ganz anderes. Es lag Dimensionen davon entfernt. Ich hielt inne. Was, wenn nun Shuichi Recht gehabt hatte? Es jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Es sprach so vieles dafür und so wenig dagegen, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Ich strich eine weitere Strähne aus seinem Gesicht. Was meine Chancen anging, machte ich mir jedenfalls keine Illusionen. Er war ein Star, ich ein Nichts. Er war zweiunddreißig, ich siebzehn. Er war ein Mann, ich... Schnell zog ich meine Hand zurück. Mir war nie in den Sinn gekommen, wie viel wirklich zwischen uns lag. Zu viel, als dass es für mehr als eine Freundschaft gereicht hätte. Und selbst mit der konnte ich mich als glücklichster Mensch auf Erden wähnen. Ich drehte mich um, verbannte das Bild Ryuichis aus meinem Blickfeld, und schloss die Augen. Im Endeffekt kann ich nicht genau sagen, wann ich einschlief, aber es war irgendwann früh morgens. Ich wachte auf, als freche Finger die Haut auf meinem Bauch neckten und ich loslachen musste. Indem ich meine Augen aufschlug, entdeckte ich Ryuichi, der breitbeinig auf meinem Schlafsack hockte und mich durchkitzelte. Schnell setzte ich mich auf und drückte ihn lachend ein Stück weg, bevor ich ihn packte und zur Seite riss. Nun lachten wir beide. Zwar ist er älter als ich, doch ich bin ihm durch meine Körpergröße weit überlegen. "Endlich bist du wach!", quiekte er, bevor er meine Hände nahm und mich fast schon gewaltsam aus dem Schlafsack zerrte. "Ryu-chan hat sich gelangweilt, na no da." "Warum hast du denn nicht mit Kumagoro gespielt?", fragte ich. Er zog einen Schmollmund und schielte zu dem Stoffhäschen, das in seinem Schlafsack lag. "Er ist ein gaaaanz doofer Langschläfer und lässt mich morgens immer hängen, na no da." "Tja, dann muss ich mich wohl mit dir beschäftigen." "Aber erst wird gefrühstückt!", befahl er und griff meine rechte Hand, um mich in seine Küche zu führen. Ich sah auf unsere beiden Hände, spürte die Wärme der seinigen und wünschte mir plötzlich, er würde loslassen. In der Küche löste er endlich seinen Griff. Wir deckten gemeinsam den Tisch, machten frischen Toast - Reis gab es bei ihm selten, wie er mir erklärte - und setzten uns. Beim Essen hob er seinen Kopf, schluckte herunter und fragte: "Du kommst aus Kyoto, das hab ich doch richtig verstanden?" Ich bejahte. "Und wann muss Tats zurückfahren?" Es war... Donnerstag. Ich zuckte leicht zusammen bei der Erkenntnis. "Mika holt mich heute Abend bei Aniki ab." Kurzweilig glommen Trauer und Enttäuschung in seinen Augen auf. Dann waren sie mit einem Schlag verschwunden und er lächelte wieder. "Ist ja nur eine Woche und dann besuchst du mich auf dem Konzert!" Da hatte er Recht, auch wenn mir der Gedanke missfiel, ihm bald Auf Wiedersehen sagen zu müssen. "Ja, das mache ich." Bis zum Mittagessen setzten wir uns in das Wohnzimmer und spielten noch etwas Playstation. Kumagoro war noch nicht aufgewacht. Ich hatte eine echte Glückssträhne und gewann ausnahmslos jedes Rennen. "Duuuuuu!", rief Ryuichi nach dem letzten Spiel und stürzte sich auf mich, um mich durchzukitzeln. Ich lachte beinahe Tränen. Irgendwann bekam er wohl doch Mitleid und zeigte sich gnädig, indem er von mir abließ, jedoch weiter auf meinem Schoß sitzen blieb. Nachdem ich mich beruhigt hatte, fuhren meine Gefühle Achterbahn. Es war schön, ihn so nahe bei mir zu haben - keine Frage - aber andererseits machte es mir auch Angst, dass ich etwas Dummes tun könnte. Zu allem Übel beugte er sich auch noch vor. Meine Kurzschlussreaktion darauf war, dass ich ihn kräftig von mir wegstieß und er auf dem Boden landete. "Oh, Gott! Es tut mir so Leid, so Leid!", wiederholte ich immer wieder, während ich ihm aufhalf. Ryuichi sah so aus, als hätte sich die Welt soeben in ein riesengroßes Mysterium verwandelt. Irritiert sah er mich an, legte den Kopf schief, blinzelte. Einige Sekunden herrschte absolute Stille. "Ich wusste nicht, dass Tats so kitzlig ist!", lachte er plötzlich los und zerwuschelte meine Haare. "Das ist witzig, na no da." Ich rang mir ein schwaches Grinsen ab. Ich persönlich fand es leider weniger witzig. Der Rest des Tages sollte sich für mich als endlose Tortur erweisen. Wir aßen in diesem Amerika-Imbiss Mittag. Er hielt mir eine seiner Pommes vor den Mund, doch ich lenkte schnell ab, indem ich fragte, ob wir echte Coca Cola bestellt hatten. Später waren wir im Park spazieren. Wieder schneite es und nach einer Weile froren wir furchtbar. Ryuichi sagte, ihm wäre sehr kalt, und ich gab zurück, dass es mir genauso ging. Also hakte er sich bei mir ein und drückte sich eng an meine Seite. Irgendwann bemerkte er wohl meinen verkniffenen Blick und meine steife Haltung, also ließ er mich wieder los. Ich atmete daraufhin tief durch und wünschte mir im selben Augenblick, es nicht getan zu haben. Ryuichis Augen waren auf mich gerichtet und schon aus dem Augenwinkel sah ich echte Trauer in ihnen. In meinem Inneren zog sich alles zusammen. So ging das den ganzen Tag über. Immer, wenn ich der Meinung war, dass er mir zu nahe kam, verkrampfte ich mich. Und mit jedem Mal nahm ich wahr, wie er ein wenig betrübter wurde. Ich wollte ihm nicht wehtun, ihm am allerwenigsten auf der Welt. Aber ich wusste nicht, wie ich sonst mit der Situation umgehen sollte. Ich hatte mich in jemanden verliebt, der uns beide als Freunde betrachtete. Meine innere Verzweiflung wuchs. Gegen Fünf standen wir vor Anikis Wohnhaus. Ryuichi lächelte mich an und ließ Kumagoro winken. "Kuma-chan wird dich vermissen, na no da." "Ich werde Kuma-chan auch vermissen", gab ich zurück und eine Lüge war es nicht. Es war so süß, wenn er mit oder durch seinen Plüschhasen sprach. Ryuichi steckte das Häschen weg und nahm meine rechte Hand. "Ryu-chan wird dich auch sehr vermissen, na no da." Seine Berührung ängstigte mich und ich schlug und trat mich innerlich selbst für meine idiotische Weichheit. "Du wirst mir auch fehlen, Ryu." Er hielt meine Hand fest und sah in meine nervösen Augen. "Habe ich etwas falsch gemacht?" Mein Kopf füllte sich augenblicklich mit tausenden von Fragen. Die wichtigste von ihnen stellte ich. "Wie kommst du darauf?" "Ich habe das Gefühl, du hast Angst vor mir", gab er offen zu und sah darüber alles andere als glücklich aus. "Wir sind doch noch Freunde, oder?" Es brachte mich fast um, ihn so verzweifelt zu sehen. Ich hatte nicht ahnen können, dass es ihm so zusetzen würde. Auf einmal fühlte ich mich wie ein verdammter Heuchler, ein Lügner, einfach kein echter Freund. Nicht das, was Ryuichi einen Freund nannte. Mir wurde klar, dass ich ehrlich zu ihm sein musste. Ich konnte ihn weiter belügen oder endlich mit der Sprache herausrücken. Beides würde wehtun. Ich zog meine Hand zurück und schluckte. "Nein, Ryuichi." "Was?", fragte er fassungslos. "Ich würde gern dein Freund sein, wirklich, aber ich habe in den letzten Tagen erkannt, dass es nicht geht." Meine Kehle war staubtrocken und meine Stimme klang ungewohnt rau. Das war der Moment, der die ganze Geschichte auf die Schlucht zulenkte. Der Absturz war unvermeidlich. "Aber warum denn?" Pure Ungläubigkeit stand in seinem Gesicht und seine Worte hatten einen flehenden Unterton, der mir das Herz bluten ließ. Er konnte nie ahnen, wie furchtbar ich diesen Augenblick hasste. "Weil ich... Weil ich dich liebe." Schnell beugte ich mich vor und gab ihm einen letzten Kuss. Meine Unterlippe zitterte schrecklich und ich war mir sicher, dass er es spürte. Als ich mich von ihm löste, hielt ich den Blick gesenkt, murmelte ein "Es tut mir Leid", bevor ich in das Haus rannte und die Eingangstür laut hinter mir zuschlug. Auf dem Weg nach oben rannte ich wie besessen über die Treppen und hoffte so sehr, ich würde bald stolpern und mir das Genick brechen. Mein Hals schmerzte furchtbar und ich bin mir sicher, viele von euch kennen das Gefühl und wissen, was es bedeutet. Kurz bevor ich das Stockwerk erreichte, spürte ich, wie sich etwas Feuchtes aus meinem rechten Auge drückte und über meine Wange rann. Es gibt nichts, was ich so sehr hasse wie Weinen. Mein ganzes Leben lang hatte ich immer mutig die Zähne zusammengebissen, war der Letzte gewesen, der geweint hatte. Vater und Mika waren daher immer sehr stolz auf mich gewesen, aber ich glaube, als wir Kinder gewesen waren, hatte sich Eiri deswegen am meisten um mich gesorgt. Und ich gebe zu, ich hatte eine Maske, unter die nie jemand sehen durfte. Denn hinter dem selbstbewussten, vorlauten Tatsuha gab es noch einen anderen, der seine Mutter vermisste, die ihn verlassen hatte, als er ein Jahr alt gewesen war, und der sich nach Wärme sehnte. Nie hatte mir etwas so wehgetan wie der Augenblick, als ich vor Ryuichi weggerannt war. Ich schlug die Wohnungstür hinter mir zu und ging ins Wohnzimmer. Alles war still, also war Shuichi wohl auf Arbeit. In der Einsamkeit des Raumes fühlte ich mich noch verlorener. Kälte umfing mich und ich wurde mir bewusst, dass es niemanden gab, den ich wirklich interessierte. Als Zweitgeborener erhält man eben nicht so viel Anerkennung und es war auch nicht so, dass ich mir in meiner Familie besonders viele Freunde zu machen versuchte. Ich ließ mich auf das Sofa sinken und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Heiße Tränen tropften durch meine Finger. Warum musste alles nur so kompliziert sein? Warum hatte ich mich ausgerechnet in jemanden verlieben müssen, der meine Liebe mit Sicherheit nicht erwidern und schon gar nicht verstehen konnte? Ein Schluchzen entwich mir und ich verfluchte mich selbst für so vieles. Dafür, dass ich die Unverschämtheit besessen hatte, mich an ihn ranzuschmeißen mit dem Ziel, ihn ins Bett zu kriegen. Dafür, dass ich ihn geküsst hatte. Was, wenn ich nun mein Problem auch zu seinem gemacht hatte? Ich hoffte es nicht. Von Sekunde zu Sekunde wuchs meine Hoffnungslosigkeit. Ein Arm legte sich um meine Schultern und zog mich an eine vertraute und doch so fremde Schulter. Sie war mir so willkommen und ich weinte ohne jede Scham. Eiri hielt mich einfach nur fest, fragte nicht, was geschehen war, und dafür war ich ihm dankbar. Ihn interessierten keine Gründe, es war nur wichtig, dass es mir schlecht ging. Die ganze Zeit über schwieg er, doch ich empfand diese Ruhe als angenehm. An diesem Tag hatte ich etwas sehr Wichtiges unter Schmerzen verloren, doch einen Teil meines Bruders hatte ich wieder zurück gewonnen. Für eine Tür, die sich schließt, öffnet sich eine andere. Der Freitag in Kyoto verlief für mich nicht besonders gut. Ich erledigte die Arbeiten auf der Tempelanlage, aber alles irgendwie nur halbherzig. Normalerweise würde der Rasen von Wimbledon unsere Wiese beneiden, aber diesmal mähte ich nicht (in Kyoto hatte es nicht geschneit). Ich stapelte das Holz falsch, vergaß beinahe das Gebet am Morgen und kam zur Trauungszeremonie eines Paares mit ungekämmten Haaren (vielleicht haben andere Mönche deshalb Glatzen?). Am Abend betrat ich mein Zimmer und wurde nahezu von meinem größten Problem erschlagen. Ryuichi war über meinem Bett, am Schrank, neben dem Fenster, über dem Schreibtisch... einfach überall. Nun, womöglich war das meine Strafe, verdient hatte ich es. Ab dieser Zeit des Tages hatte ich Freizeit, meine täglichen Pflichten waren erfüllt. Normalerweise hörte ich dann immer Musik, las, lernte oder traf mich mit Freunden. Das alles übte nun keinen Reiz mehr auf mich aus. Um genau zu sein, hatte ich gänzlich die Lust an allem verloren. Ich wollte für mich allein sein, nichts tun, nichts essen, nichts trinken. Mich einfach in eine dunkle Ecke setzen und dahinvegetieren. Ich setzte mich auf das Bett und ließ meinen Blick schweifen. Überall Ryuichi. Meist waren die Poster so übereinander geklebt, dass man nur ihn sah, selbst wenn es ein Bild von der gesamten Band war. Hier und da ragte auch eine Noriko aus den unzähligen Gesichtern hervor, aber das war sehr selten. Alle diese Poster hatte ich in einer Zeit an meine Wand geklebt, als ich noch der fanatische Idiot gewesen war, der ein bisschen zu viele Sexualhormone besaß. Als Sakuma Ryuichi ein unerreichbarer Gott gewesen war, der für mich den Stern symbolisierte, den ich immer greifen wollte. Und nun war mir dieses Zimmer fremd. Es gehörte nicht mehr mir. Nicht mal eine ganze Woche hatte meine Welt von links nach rechts umgekrempelt. Ich lehnte den Kopf gegen die Wand, während ich an die Decke starrte. Dort oben hing das Poster, auf das ich immer besonders stolz gewesen war. Es zeigte Ryuichi in schwarz-roten Sachen auf der Bühne, wie er das Mikro in die Luft hielt und den Kopf leicht nach oben geneigt hatte. Fast wie eine Siegespose, doch es war mehr. Er genoss die Musik, die Menge, die Atmosphäre. Ich kannte den Konzertmitschnitt. In diesen zwei Stunden hatte ihm die gesamte riesige Konzerthalle gehört, alle hatte er in seinen Bann gezogen. Dieses Poster war eine limitierte Spezialauflage gewesen. Nie wäre ich an so etwas rangekommen, aber Tohma hatte es mir zum Geburtstag geschenkt. Es war das einzige, das er mir je von Nittle Grasper hatte zukommen lassen, doch dieses eine Poster war etwas Besonderes. Es trug sogar Ryuichis Namen in Ryuichis Handschrift, geschrieben mit einem silbernen Signierstift. Und nun... Nun versetzte mir eben dies einen Stich. Stars geben Fans Autogramme, das ist so üblich. Ich besaß genau sechs Autogramme und alle anderen fünf hatte ich mir persönlich nach den Konzerten besorgt, auf denen ich gewesen war. Ryuichi hat die Angewohnheit, den Besitzer der Autogrammkarte kurz anzulächeln, aber ich hatte mir nie Illusionen gemacht. Er sah so viele Gesichter, dass ihm meins wahrscheinlich nie länger im Gedächtnis geblieben war. Aber der Punkt war, dass ich diese Grenze überschritten hatte. Ich hatte meinen vorbestimmten Posten als Fan verlassen und mich zu seinem Freund gemacht... fast. Tatsache war, dass ich etwas getan hatte, was nicht für mich angedacht war. Und für so etwas gibt es immer Strafen und Sanktionen. Ein Klopfen an meiner Tür ließ mich zusammenzucken. Vater konnte es nicht sein, der klopft nie an. Aber wer sonst? "Ja?" Die Tür ging auf und Aika kam herein. "Tats, du...!" Sie sah mich an und verstummte. "Hi, Aika", meinte ich tonlos. "Was führt dich her?" "Du wolltest mich anrufen, wenn du wieder aus Tokyo zurück bist", erklärte sie nun ruhiger und stellte sich vor mein Bett. Es war nicht schwer zu erkennen, dass es mir dreckig ging. "Ist dort irgendwas vorgefallen?" Ich zog die Knie an meine Brust und schlang meine Arme darum. Mir war nicht wirklich nach einer Auswertung der Lage zumute. Sie sah besorgt aus. Es war offensichtlich, dass ich nicht unbedingt darüber reden wollte. Aika ging zu meiner Stereoanlage, suchte sich eine CD aus dem kleinen Regal aus und legte sie ein. Seltsamerweise hatte ich nicht vorausgeahnt, was nun unweigerlich folgen musste. Nittle Grasper breiteten sich im Raum aus und Ryuichis göttlich singende Stimme drang an mein Ohr. Es war schöne Musik, aber so fühlte es sich nicht an. Nicht für mich. "Bitte mach aus, Aika", bat ich daher. Sie sah mich nur verständlich los an, hielt noch immer die Hülle in der Hand. Wir beide lieben Nittle Grasper und ich hatte ihr auch schon ein Autogramm von Tohma besorgt, den sie über alles verehrt. Allerdings wusste sie nicht um meine Verwandtschaften, denn mit Tohma, Eiri und Shuichi habe ich schon einen ganz schönen Haufen Volkslieblinge um mich. "Bitte stell die Musik aus." Noch immer rührte sie sich nicht. Es war, als konnte sie nicht glauben, dass so ein Satz ausgerechnet von mir kam. Und so war es wohl auch. "Mach aus." Endlich drückte sie auf die Power-Taste. Stille. Aika schien meiner Tiefstimmung nun langsam müde zu sein und setzte sich neben mich auf das Bett. "Erzählst du mir nun endlich, was los ist?" Ich sah sie an und fragte mich, ob ich es ihr wirklich anvertrauen konnte. Es war kein großes Geheimnis, dass ich zwar bevorzugt aber nicht ausschließlich Mädchen flachlegte. Also sorgte ich mich nicht wirklich darum, wenn jemand erfuhr, dass ich mich in einen Mann verliebt hatte. Nein, mein Problem war ein anderes - ich wollte keinem meine eigentliche Verzweiflung zeigen. Es ist nicht so, dass ich mich von der Welt abkapseln wollte, aber die Welt kannte mich nicht. Und das war der Zustand, in dem ich mich sicher fühlte, wo keiner durch die Hülle blicken konnte, die tiefe Teile meiner Seele verdeckte. Aber Aika ist meine Freundin und sie ist sehr zuverlässig... Ich vertraue ihr einfach. "Na gut, ich erzähle es dir", gab ich mich geschlagen und legte das Kinn auf die Knie. Ich wollte sie nicht ansehen, wenn ich ihr die Geschichte erklärte. Dann begann ich mit der Story. Ich erzählte ihr alles - wer mein Bruder war, wer mein Schwager war, wie ich Ryuichi getroffen hatte und so weiter und sofort. Ich erwähnte nicht einmal solche Worte wie ,Liebe' oder ,verliebt', aber am Ende war ich mir sicher, dass Aika genau wusste, was los war. Sie legte mir einen Arm um die Schulter und zog mich an sich. Offenbar wusste sie als Mädchen, wie man das Richtige tut, denn sie sprach mir keinen Mut zu. Zu sagen, dass es für mich doch eine Chance gab, war einfach eine Lüge und das wussten wir beide. Nach ein paar Minuten sprang sie auf und zog mich auf die Beine. "Jetzt machen wir eine Teufelsaustreibung!" Ich hatte keine Ahnung, was sie damit meinte oder bezweckte. "Hä?" Plötzlich sah sie total motiviert aus und baute sich vor mir auf wie die Herrscherin der Welt. "Wir lassen dein Nittle Grasper Zeug verschwinden!" "Das ist nicht dein Ernst!", empörte ich mich. "Ich werfe das doch nicht alles weg!" Zu meiner ungemeinen Erleichterung schüttelte sie nur den Kopf und grinste leicht. "Wir machen deine ganzen Poster ab, packen sie zusammen mit den CDs und Autogrammkarten in eine Kiste und ich nehme sie mit, bis die Sache ausgestanden ist und du es wieder haben möchtest. Es geht dir also nichts verloren." Einen Moment ließ ich mir diese Idee durch den Kopf gehen, bis ich sie als gut befand und nickte. Eine Stunde später waren wir fertig und sie klappte die große Pappkiste zu. "Wunderbar, jetzt lässt dein Zimmer mal wieder etwas Wand erkennen." Es stimmte, und irgendwie wirkte der Raum nun auch größer. "So, ich nehme jetzt die Kiste und gehe nach Hause", sagte sie, als ihr noch etwas einfiel. "Ach, ja, und dein Handy möchte ich haben." Irgendwie ging das jetzt zu weit. Was wollte sie mit meinem Handy?! "Wieso das denn jetzt?" "Du hast seine Nummer im Speicher", kam es trocken zurück. "Aber ich kann die Nummer auf einen Zettel schreiben, dir geben und sie dann aus dem Handy löschen." "Trotzdem hat er dann noch deine Nummer." Darauf fiel mir kein Gegenargument ein. Ich bezweifelte zwar, dass Ryuichi je wieder was von mir hören wollte, aber manchmal kann das Schicksal wirklich böse sein. Seufzend kramte ich das Handy aus meiner Hosentasche und gab es ihr mit der Bitte, mich über wichtige SMS und Anrufe zu informieren. Sie verließ unsere Tempelanlage mit der Kiste und meinem Handy und am nächsten Tag lobte mich Vater dafür, dass ich mich endlich von diesem "unwichtigen Unsinn" gelöst hatte. Zu behaupten, dass es mir in der darauf folgenden Woche gut ging, wäre schlicht und einfach eine Lüge, für die man als Mistkäfer wiedergeboren werden müsste. Zwar kam ich meinen Arbeiten wieder so nach, dass es Vater sehr zufrieden stellte, aber irgendwie konnte ich mich nicht so recht freuen. Irgendwo schien immer eine graue Gewitterwolke über meinem Kopf zu hängen, die nur darauf wartete, einen Blitz auf mich hinab zu schießen. Aika sagte, es wäre ganz natürlich, dass Liebeskummer nicht nach ein paar Tagen verschwindet. Ich wünschte, es wäre so... Nachts wälzte ich mich unruhig hin und her und bekam kaum ein Auge zu. Schuldgefühle und Schmerz nagten an mir und ich fragte mich, was wohl meine Mitschüler sagen würden, würden sie erfahren, dass ich so ein Weichei sein kann. Das alles war aber nicht das größte Problem. Besser gesagt hatte ich zwei. Das erste war, dass ich ein Konzertticket in meinem Portemonnaie mit mir herumtrug und jemandem versprochen hatte, dorthin zu gehen. Ich bin generell jemand, der Versprechen einlöst. Problem Nummer zwei kam am einundzwanzigsten Dezember in mein Zimmer und sagte, ich solle schnell ein paar Dinge zusammen packen. Okay, es ist vielleicht etwas gemein, Mika als ,Problem' zu bezeichnen, aber sie wollte mich über Weihnachten mit nach Tokyo nehmen. Sie meinte, ich hätte mir es verdient, da Eiri keine Beschwerden über meinen Aufenthalt bei ihm gehabt hätte. Ich schätze es, Feiertage mit meiner Familie zu verbringen - wirklich! Aber wie soll man bitte von Nittle Grasper plus Frontmann loskommen, wenn die eigene Schwester mit deren Manager, Produzent und Keyboarder zugleich verheiratet ist? Da hätte selbst die größte Posterverbrennung in der Geschichte des J-Rock nichts gebracht. Na ja, auf jeden Fall konnte ich nicht mehr widersprechen, als sie in mein Reich platzte. Die Tasche war schnell gepackt und Mika meinte: "Und zieh dich ordentlich warm an, in Tokyo ist es kühler", bevor sie zu ihrem Auto vorging. Seufzend zog ich meine Jacke an und griff nach dem roten Schal. Ich hatte ihn seit meiner überstürzten Aktion Ryuichi gegenüber nicht mehr getragen. Als ich ihn um meinen Hals geschlungen hatte, merkte ich, dass was nicht in Ordnung war. Er war mir zu kurz. O Gott, beruhige dich, mein Herz! Dieser Schal gehörte Ryuichi. Am liebsten hätte ich ihn wieder abgelegt, aber ich besaß keinen anderen, also behielt ich ihn wohl oder übel um. tbc... Kapitel 6: All I need --------------------- Hallöli, Erst mal vielen Dank für die Kommis vom letzten Mal. Die Sache mit Tatsuhas Geburtstag... Nun, ich wusste schon, dass er irgendwann im Dezember hat, aber eigentlich finde ich es nicht wichtig, wann Animefiguren Geburtstag haben (ich will ihnen ja nichts schenken ^^°), deswegen habe ich den Fakt geflissentlich übersehen. In den ersten Kapiteln wird ja erwähnt, dass Tatsuha vor kurzem Geburtstag hatte. Die Freiheit hab ich mir erlaubt. =^.^= Hoffe, ihr verzeiht mir. Hier kommt schlussendlich der letzte Teil und ich hoffe, er gefällt euch. ich habe die FF im Herbst zuende geschrieben und irgendwie mag ich das Ende nicht mehr so, aber na ja... Viel Spaß trotzdem beim Lesen. Kat ~ All I need ~ Im Hause Seguchi war es anders als normalerweise. Zwar verhielten sich Mika und Tohma noch immer wie das frischste Ehepaar und bewarfen sich mit felligen und klebrigen Kosenamen, aber Schwägerlein war immer nur zur Hälfte anwesend: Physisch. Bereits beim Frühstück am Zweiundzwanzigsten merkte ich, dass er anders war. Wir frühstückten zu dritt in der Küche, keiner sprach ein Wort (irgendwie halten sie es wohl für angenehm, wenn eisiges Schweigen herrscht) und ich kaute lustlos mein Müsli. Tohma saß da, schob sich in regelmäßigen Abständen die Brille höher auf die Nase und starrte wie besessen auf ein paar Blätter, während er fast mechanisch seinen Kaffee trank. Ich machte mir nicht die Mühe, nachsehen zu wollen, was es war, das er da las. Bestimmt irgend so ein langweiliger Firmenmist. Den Rest des Tages verbrachte ich im Gästezimmer und las. Nichts extrem Anspruchsvolles, nur einen Manga. Mehrere Male hörte ich Schritte neben meiner Tür, sie kamen und gingen. Ich fragte mich, was da wohl los sein mochte, und warf einen vorsichtigen Blick aus dem Zimmer. Es war Tohma, der im Flur auf und ab ging, den Blick wieder auf ein Blatt gerichtet, sich das Kinn reibend. "Und das drei Tage vorm Konzert, das ist absolut unprofessionell. Und jetzt darf ich den Karren auf Kopfsteinpflaster bringen..." Theoretisch hätte ich ihn fragen können, was mit dem Konzert war, doch ich ließ es. Tohma und ich hatten uns nie viel zu sagen gehabt, er ist mir nicht geheuer. Stattdessen ging ich in die Küche und machte mir einen Tee. Ich telefonierte mit Shuichi, bekam sogar ein kurzes Brummen von Aniki zu hören, und verabredete mich mit dem Koi meines Bruders für das Konzert. Zu zweit war es immer lustiger, sofern ich überhaupt noch Spaß haben können würde. Mika kam ebenfall in die Küche und musterte mich mit schwesterlicher Sorge. "Willst du nicht ein bisschen nach draußen spazieren gehen, Tatsuha? Du bummelst doch gerne durch Tokyo." "Nein, hab keine Lust." Das stimmte und es lag auch daran, dass es seit meiner Abreise nicht mehr in Tokyo geschneit hatte und nun der alte Schnee zu schmelzen begann, wobei er sich in einen Haufen schmutzigen Matsch verwandelte. Ich hasse so etwas. "Dann mach dir doch ein wenig Musik an. Ob nun Tohma unten auf seinem Keyboard rumhämmert oder du dir eine CD rein wirfst, ist mir am Ende auch egal." Synthesizer, Mika. Das Ding, was Tohma unten im umgebauten Keller stehen hat, nennt sich Synthesizer. "Hab keine CDs dabei." Der Blick, den sie mir daraufhin zuwarf, war einfach für die Götter. "Du hast nicht deine Musik dabei?" "Nein." Langsam nervte sie, also stand ich auf, nahm meine Tasse Tee und ging in mein Zimmer. "Wirklich, ich kann mich beschäftigen." Tatsache war, dass ich den restlichen Nachmittag damit zubrachte, Löcher in die Luft des Gästezimmers zu starren. Am Abend verspürte ich ganz leichten Durst und verließ den Raum, froh darüber, etwas zu tun zu haben. Gerade war ich am Kopf der Treppe angekommen und wollte nach unten gehen, als ich Mikas und Tohmas Stimmen aus dem Wohnzimmer vernahm. "Du solltest dir keine Sorgen machen, Mika." "Tu ich aber. Tatsuha war schon immer ein Wildfang und dass er den ganzen Tag über im Gästezimmer war, stimmt mich unbehaglich." "Auch er wird mal keine Lust haben, so ist das in dem Alter." "Es ist nicht nur das..." "So?" "Als ich ihn abgeholt habe, habe ich sein Zimmer gesehen. Die Wände waren völlig blank, er hat alle seine Poster abgenommen." Kurzes Schweigen. "Nun, vielleicht hat sich einfach sein Interessenschwerpunkt verlagert. Manche Fans bleiben, anderen wird es irgendwann langweilig." Hätte ich nicht heimlich gelauscht, sondern hätte im Wohnzimmer gesessen, wäre ich Tohma augenblicklich an die Kehle gesprungen. Nittle Grasper würden nie langweilig für mich werden! Ein Seufzen von Mika. "Irgendetwas ist da und er sagt es mir nicht. Er lässt sich sonst nie so gehen." "Manche Dinge muss man einfach mit sich selbst ausmachen. Du wirst sehen, irgendwann wird er wieder der Alte sein." Das bezweifelte ich. Das Lauschen langweilte mich einerseits und kotzte mich andererseits an, also ging ich wieder in mein Gästezimmer. Am nächsten Tag würde das Konzert sein. Ich schlief schlecht. Vor dem Zepp Tokyo hatten sich bereits unglaubliche Menschenmengen zusammengefunden, als ich am darauf folgenden Abend dort ankam. Es dauerte eine Weile, bis ich einen kleinen Typen gefunden hatte, der Sonnenbrille und Basecap trug, unter dem ein pinker Haarschopf hervorlugte. Ich machte mir den Spaß, mich von hinten anzuschleichen und ihm auf die schmale Schulter zu hauen. "Abend, Shu-chan!" Nach dem ersten Schreck, der sich bei ihm als Aufsprung und hohes Quietschen äußerte, drehte er sich um und blaffte: "Mensch, brüll das hier nicht so rum! Muss nicht jeder wissen, dass ich hier bin." "Wenn Nittle Grasper auftreten, interessieren Bad Luck eh keinen." Erstaunlich, wie leicht man Shuichi ärgern kann. Er ließ die Schultern hängen und sein Kopf kippte nach vorn. Was haben Shuichi und eine schwangere Frau gemeinsam? ,Sie haben mit einem Mann geschlafen'? ... Ja, das auch. Aber in erster Linie sind es die Stimmungsschwankungen. "Ich war schon ewig nicht mehr bei einem Nittle Grasper Konzert!", schwärmte er. "Sie waren lange getrennt...", gab ich weniger enthusiastisch zurück. "Du hast doch ein Ticket von Sakuma-san geschenkt bekommen, nicht?" Vielleicht hätte ich ihm besser sagen sollen, dass es ein Thema gab, das er nicht erwähnen sollte, wenn sein Abend angenehm verlaufen sollte. Aber dann hätte er eine Begründung verlangt und das lag jenseits von dem, auf das ich jetzt Lust hatte. "Schläfst du eigentlich wieder auf der Couch?", fragte ich daher. Wie ein verlegenes Mädchen zog er die Schultern hoch und wurde etwas rot. "Sieht so aus, als könne ich jetzt für immer im Bett schlafen." Shuichi, ,für immer' ist eine verdammt lange Zeit... "Da hab ich ja gut nachgeholfen", meinte ich mit einem Grinsen, was er mit einem Nicken quittierte. Die Mädels begannen zu kreischen und drängen, also hatten sie wohl die Eingangstüren aufgesperrt. Früher war ich immer einer von denen gewesen, die sich mühsam bis ganz nach vorn gedrängelt hatten, nur übte das keinen Reiz mehr auf mich aus. Zum Schluss sah mich Ryuichi noch in der Menge und dann war ich wirklich hüfttief in die Scheiße gewatet. Wir gingen rein und bei der Ticketkontrolle warf mir Shuichi einen neidischen Blick zu. "Ein Special Visitor Ticket? So eines habe ja nicht mal ich!" "Du kannst es nach dem Konzert haben und Backstage gehen", bot ich an. "Aber willst du denn nicht...?" Ich hatte den Blick wieder starr nach vorn gerichtet und wühlte mich mit ihm weiter durch die Massen. Endlich waren wir im vorderen Drittel der Halle angekommen, wobei ich uns allerdings an den Rand brachte, worüber Shuichi nicht völlig glücklich war. Reichte es denn nicht schon, dass ich überhaupt gekommen war? Da musste er nicht auch noch nerven. Die Lichter gingen aus und alles war nun in völlige Dunkelheit gehüllt. Die Gespräche um uns herum stoppten schlagartig und alle richteten ihre Blicke auf die Bühne. Das Intro von Shining Collection ertönte und zwei Bühnenscheinwerfer wurden eingeschaltet, so dass sie direkt Tohma und Noriko beleuchteten, die jeweils links und rechts auf der Bühne an ihren Synthesizern standen und bereits völlig in ihrem Element waren. Plötzlich schoss Rauch empor und hüllte den Raum zwischen ihnen in einen weißen Nebel. Ein dritter Scheinwerfer ging an und deutete direkt auf die Stelle im Zentrum der Bühne, die noch leer war. Gerade als sich das Intro dem Ende genähert hatte, zerschnitt ein Schatten den weißen Rauch und Er trat hervor bis in das Scheinwerferlicht. Alles war zeitlich hervorragend abgepasst, denn kaum hatte er den Lichtkegel betreten, begann er auch schon zu singen. Shuichi neben mir drehte fast durch, weil es eben Shining Collection war. Ich hingegen schluckte. Ryuichi trug ein Bühnenoutfit, das einerseits schlicht und andererseits einfach wahnsinnig sexy war: Schwarze, enge Lederhosen, ein dunkelblaues T-Shirt und ein weißes Schweißband um das linke Handgelenk. Gegen diese Präsenz konnte man sich nicht wehren und ich war sofort von seinem Anblick gefangen. Und obwohl ein Teil des Fans in mir erwachte und Freudensprünge vollführte, nagte doch etwas tief in mir drin. Meine Gefühle in diesem Moment waren so voller Zwiespältigkeit, dass ich kurz den Kopf schüttelte, bevor ich wieder nach vorn blickte. Irgendwann mitten im Song merkte ich, wie Shuichi neben mir ruhiger wurde. Als das erste Stück geendet hatte und eine kurze Pause eintrat, sah ich ihn fragend an. "Ist was nicht in Ordnung?" Zu einer Antwort kam er nicht, denn schon rief eine vertraute Stimme durch den gesamten Saal: "Hallo, ihr alle!" Kreischen folgte. Ryuichi ließ mit einem sicheren Grinsen den Blick über die Menge schweifen. "Super, dass ihr heute alle hier seid! Bei so vielen Fans geben wir natürlich unser Bestes. Viel Spaß wünsche ich euch!" Schon ertönte das Intro zu Angel Dust, einem etwas älteren Song. Gut war er dennoch ohne Zweifel. Das Konzert dauerte über zwei Stunden und mit jedem Song spürte ich, wie mir die Seele schwerer drückte. Aus dem leichten Schmerz zu Beginn war nun eine richtige Qual geworden. Ryuichi zog das Publikum in seinen Bann, sang aus vollem Leib, performte, bis ihm der Schweiß von der Stirn troff. Es ging ihm gut. Das war richtig, das, was ich gewollt hatte... oder? Sleepless Beauty endete. Irgendwie schaffte er den Übergang und fügte noch ein paar Zeilen eines Songs an, den er nicht geschrieben hatte. "I see your true colours shining through, I see your true colours, that's why I love you. So don't be afraid..." An dieser Stelle endete er und sah mit einem leicht verträumten Lächeln in sein Publikum. "Wisst ihr", begann er, "Ich liebe diesen Song so sehr, weil er etwas mit Ehrlichkeit zu tun hat. Ehrlichkeit ist etwas Wichtiges. Ich habe jemanden verletzt, der ehrlich zu mir war. So ehrlich, dass er wahrscheinlich sein Versprechen eingelöst hat und heute Abend hier ist. Und bei demjenigen möchte ich mich entschuldigen. Es tut mir Leid." Das letzte Intro setzte ein und mein Herz einen Schlag aus. Das konnte nicht sein. Sicherlich hatte ich es mir in einem Anflug jugendlichen Übermutes eingebildet. Aber so war es nicht. Shuichi sah mich an, blickte in mein versteinertes Gesicht. "Tatsuha?" Das Intro war mir unbekannt. Die ersten Worte, die Ryuichi sang, waren wir unbekannt. Alles hier war mir plötzlich unbekannt. Die Leute schienen mich einzuengen, die Luft wurde dünner. Ich musste raus, sofort! Die Ballade drang nur schwach an meine Ohren, ich nahm sie kaum war. Ich drehte mich um und drängte mich durch das Publikum. Shuichis Rufen ging im Rauschen meines Kopfes unter. Hals über Kopf flüchtete ich aus der Konzerthalle. Eisig kalte Finger hielten mein Herz umklammert. An diesem Abend kam ich spät zurück nach Hause. Ich hatte nicht geweint, nicht geschrieen, mir nur den eisigen Wind um das Gesicht fegen lassen. Der vierundzwanzigste Dezember war gekommen. Der Tag versprach, normal zu werden. Mal abgesehen davon, dass meinem Liebesleiden noch einmal richtig Kohle zum Anheizen zugeschaufelt worden war, ging es mir wirklich... dreckig. Ich sprach kaum ein Wort und Mika sah man an, dass sie sich noch mehr um mich sorgte als die Tage zuvor. Irgendwie war wohl auch Tohma darauf aufmerksam geworden, woran ich vielleicht nicht ganz unschuldig war. Denn bereits am Morgen hatte ich ihn gefragt, wie der letzte Song hieß und weshalb ich ihn nicht gekannt hatte. Er hieß Tearless und ich hatte ihn nicht gekannt, da Ryuichi ihn erst vor wenigen Tagen geschrieben hatte, war die Antwort. Damit hatte ich mich auch zufrieden gegeben und war in mein Zimmer gegangen. Den Abend sollte ich allein verbringen, da Mika und Tohma zu einer Weihnachtsveranstaltung eingeladen worden waren. Aber Schwesterherz hatte mir versprochen, sie würden vor um Eins nachts wieder zurück sein - als ob ich ein kleines Kind wäre, das nicht auf sich selbst achten kann! Gegen Sechs verabschiedete sich das Ehepaar Seguchi und ich nahm das Wohnzimmer in meinen Besitz. Zuerst machte ich den Kamin an (Mika hatte wirklich eine gute Partie mit einem so wohlhabenden Gatten gemacht), dann machte ich mir eine heiße Schokolade und setzte mich auf das Sofa. Es war angenehm warm, das Licht ging nur vom Feuer aus und ansonsten war es still. Absolute Ruhe. Genau das Richtige für einen Weihnachtsabend, wenn man allein zu Hause ist. Und doch... Ruhe und Einsamkeit sind eng miteinander verwandt. Und wenn man keinen hat, der einen ablenkt, verfällt man unweigerlich ins Philosophieren oder in Melancholie. Bei mir trat Melancholie ein. Allein am Weihnachtsabend, das hatte schon etwas Trauriges. Aber es war ja nicht so, dass man mich vergessen hätte. Mika hatte sogar gesagt, sie werde sehen, dass sie so früh wie möglich nach Hause kämen. Es war mir egal. Heiligabend war mir egal. Zufällig sah ich aus dem Fenster und registrierte mit einem Lächeln die Schneeflocken, die durch die Dunkelheit tanzten. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Ich trat an das Fenster und sah hinaus. Es war inzwischen um Acht und der neue Schnee hatte sich zentimeterdick auf die Wege und Häuserdächer gelegt. Ein wunderschöner Anblick. Es klingelte. Einen Moment überlegte ich, ob ich aufmachen sollte. Wenn es einer von Tohmas Arbeitspartnern war, würde das für mich eine unangenehme Situation werden. Nach einem weiteren Klingeln ergab ich mich seufzend und ging zur Tür. Ich öffnete. Nichts. Ich sah verwirrt nach draußen in die Dunkelheit, bis mir etwas auf der Türschwelle auffiel: Ein rosa Stoffhase. Als wären meine Glieder taub, bückte ich mich und hob ihn auf. Es handelte sich um Kumagoro, keine Frage. Kaum hielt ich ihn in Händen, ertönte auch schon eine verstellte Stimme. "Ist Tatsuha sauer auf Ryuichi?" Hitze stieg in mir auf. Er war hier und diesmal konnte ich nicht flüchten. Aber eine Stimme in meinem Inneren sagte mir, dass ich es ohnehin nicht tun sollte. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, dazu hätte ich gar keinen Grund." Ryuichi trat von rechts in den Türrahmen und sah mich an. Schnee lag auf seinem Haar und den Schultern, meinen roten Schal hatte er sich dreimal um den Hals gewickelt und sein Gesicht bis über die Nase darunter versteckt. Seine katzenartigen blauen Augen fixierten mich, bis er die linke Hand hob und den Schal nach unten schob, so dass ich sein ganzes Gesicht sehen konnte. Er lächelte. Ich konnte nichts sagen, mir fiel einfach nichts ein, was in dieser Situation angebracht gewesen wäre. Und selbst wenn mir ein Geistesblitz gekommen wäre, so wäre ich doch so sprachlos gewesen, dass mir das auch nichts gebracht hätte. "Entschuldige, Kumagoro war einfach schneller an der Tür als ich", erklärte er mit ruhiger Stimme. Er wirkte so ausgeglichen, kein Vergleich zu dem überdrehten Ryuichi, mit dem ich ein paar Tage verbracht hatte. "Woher wusstest du, dass ich hier bin?", fragte ich heiser. Mein Gehirn wollte einfach nicht normal arbeiten und alles lief so ab, als wäre es ein Film auf Leinwand und ich nur ein Zuschauer. "Ich habe gestern versucht, dich auf dem Handy zu erreichen, aber..." "Aika." Du Heuchlerin, und so jemand nennt sich Freundin?! "Ja, sie hat es mir gesagt." Ryuichi ging einen Schritt auf mich zu und ich wich leicht zurück. "Hast du Angst vor mir?" Nicht vor dir, nur davor, zu was du mich bringen kannst. "Das glaube ich nicht", beantwortete er seine eigene Frage. Noch immer sah er mich so seltsam ruhig und wissend an mit diesen Augen, die selbst in das Tiefste der Seele blicken konnten. Darauf konnte ich nichts erwidern, also wechselte ich einfach das Thema. "Komm doch rein, möchtest du Tee? Ich kann dir auch eine heiße Scho..." Er hob seine kalten Hände und umfasste mit ihnen meinen Kopf. Dann zog er mich ein Stück nach unten und begrüßte meine Lippen mit seinen. Zuerst wusste ich nicht, was eigentlich geschah, ging nur zögerlich darauf ein. Seine vorwitzige Zunge schlüpfte durch meine Lippen und drang zu meiner vor, um sie zu necken. Ich dachte, ich müsse jeden Moment verbrennen. Der Kuss fand schließlich sein Ende. Als wir uns voneinander lösten, war ich wie betäubt. Ich konnte ihn einfach nur fragend ansehen und auf eine Antwort hoffen. "Was guckst du so?", gab er mit einem Grinsen zurück. "Ich gebe zu, es hat lange gedauert, aber du hast mir ja damals nicht die Chance gegeben, etwas auf dein Geständnis zu erwidern. Sieh es als Antwort." Daraufhin konnte ich nicht anders, als nach Luft zu schnappen. Wir hätten jeder Liebesromanze im Film Konkurrenz gemacht, da war ich mir sicher. "Ryuichi..." Ryuichi schloss die Tür hinter sich und nahm den Schal ab, um ihn mir zu geben. "Der gehört dir, glaube ich. Und ja, eine heiße Schokolade wäre schön." Mir war klar, dass er mich nicht so tief liebte wie ich ihn, aber es war etwas da, auf das man durchaus aufbauen konnte. Liebe kann sich entwickeln und an diesem Weihnachtsabend reichte mir das. Es war alles, was ich für den Moment brauchte. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)