Vierter Teil: Wir leben! von abgemeldet (Fortsetzung von "Dkmnudhdm", "GiKuS" und "DLdW") ================================================================================ Kapitel 21: Spuren im Sand -------------------------- Sie meisterten den Rest des Schultages, soweit es die Nerven und die Konzentration zuließen. Schweigend und recht verhalten zogen sie von einem Raum zum nächsten, lauschten einem Lehrer… lauschten auch dem nächsten und spätestens, als der Letzte den Unterricht begann, kapitulierten Joeys Nerven und zogen seinen Kopf unweigerlich hinab auf den Tisch. Dort lag er dann, hielt die Wange bequem auf der Federtasche und starrte aus dem Fenster. Wie unwichtig und belastend selbst so ein Schultag wurde… so nahe er auch den Prüfungen war… wenn der Tag noch solche Dinge bereithielt. Es gab soviel zu tun… soviel musste er herausfinden, soviel erledigen. Die Polizei, das Lawell und anschließend etwas, das er sich auch trotz aller Mühe nicht vorstellen konnte, oder es wagte. Undeutliche Vorhaben, die nur nach weiteren Katastrophen rochen und von denen derjenige, der dort in der ersten Reihe tief in den Stuhl gerutscht war, nichts wusste, ja, nichts ahnte. Langsam wandte der Blonde den Kopf höher, lugte von Kaiba zum Lehrer… auch kurz zur Tafel, bevor er die Augen schloss und sich an der Nase juckte. Minute für Minute wartete er, erfüllte seine Schulpflicht durch seine hohle, pure Anwesenheit und löste sich erst von dem spontanen Kissen, als die Melodie der Schulglocke ertönte. Endlich… und träge schloss er sich der allgemeinen Bewegung der Klasse an. Sofort wurden Hefter in den Rucksäcken verstaut, heiter erhoben sich die Stimmen und ein Gähnen unterdrückend, rieb sich Joey den deutlichen Abdruck der Federtasche von der Wange. Geschafft. „Gehen wir heute in die Eisdiele?“ Lachend zog ein Mitschüler an ihm vorbei, heiter wurde ihm geantwortet und resigniert dachte sich Joey: >Nehmt mich mit< Man könnte so viele andere Dinge tun. „Was denkst du, wie lange es dauern wird?“, erkundigte er sich, als er sich hinter Kaiba ins Freie schob. Durch die breite Tür und hinaus auf den großen Schotterplatz. Kaiba ging in zügigen Schritten, zerrte flüchtig an seinem Jackett und hielt nach der Limousine Ausschau. Natürlich war sie pünktlich. Dort auf der Straße stand sie und Schulterzuckend änderte er die Richtung. „Kann ich nicht sagen.“ „Wer kann das schon.“ Seufzend schloss sich Joey seinem Tempo an, zerrte die Tasche höher und winkte flüchtig der Clique, deren Weg heute in die entgegengesetzte Richtung führte. Sofort wurde zurück gewunken. Heute gab es keine Zeit für gemeinsame Unternehmungen, keine Möglichkeit, zusammen zu sein und dem Blonden entrann ein weiteres Seufzen, als er sich hinter Kaiba in die Limousine schob, die Tasche von der Bank rutschen ließ und die Tür hinter sich schloss. Und kaum hatte sich der Wagen in Bewegung gesetzt, klickte neben ihm ein Feuerzeug. Kaiba sah auch nicht aus, als wäre er mit diesem Tag zufrieden. Er saugte an dieser Zigarette, als hätte er es dringend nötig und nach einer kurzen Musterung, ließ sich Joey tiefer sinken, zerfloss regelrecht auf der bequemen Bank und starrte aus dem Fenster. Vorerst waren wenigstens die persönlichen Differenzen geklärt. Wenn es auch bei diesem kurzen Gespräch geblieben war, dieses eine Problem schien geklärt und was auch immer im Polizeipräsidium auf sie wartete… er wurde alles daran setzen, dass es nicht zu alten Eskalation kam, nicht zu dem vollständigen Kontrollverlust. Die Kontrolle war in schweren Zeiten wie diesen zu schwer zu erkämpfen, dass man jedes Quäntchen sicher zu verwahren hatte. Nach einem viel zu kurzen Weg, erreichten sie bereits das Ziel und es war die zweite Zigarette, die Kaiba auf dem Gehweg austrat, bevor er die Tür hinter sich schloss und gemeinsam mit Joey auf das große Gebäude zusteuerte. Eine richtige Gesprächigkeit wollte auch auf dem Weg zur richtigen Etage nicht bei ihnen eintreten. Sie blieben stumm, vertieft in ihre eigenen Gedanken und fanden erst zur Sprache zurück, als der Inspektor aus einer der Türen trat, sich zu sich winkte und ihnen die Hände schüttelte. „Gut, dass Sie kommen konnten.“ Sein Verhalten machte auf eine gewisse Anspannung aufmerksam und schon wurden die beiden in das Zimmer gelotst und zu zwei Stühlen, auf denen sie sich niederließen. Und natürlich war es gut… auch, wenn einem von ihnen nicht wirklich eine Wahl gelassen wurde. Joey fühlte sich deutlich unwohl, als er sich auf dem Polster zurecht rückte und die Tasche mit dem Fuß näher zum Stuhl schob. Flüchtig verfolgte er die Bewegungen des älteren Mannes, als sich dieser hinter seinem Schreibtisch niederließ, musterte seine Mimik, auch die Unterlagen, die sich vor ihm türmten und es ging nicht anders, auch zu Kaiba spähte er, bemerkte dessen Aufmerksamkeit, die angespannten Erwartungen. Und alleine mit seiner Miene machte er dem Inspektor deutlich, dass keine Zeit verschwendet werden durfte, bevor man zum Wesentlichen kam. Beiläufig bekamen Joeys Zähne die Unterlippe zu fassen, langsam versenkte er die Hände in den Hosentaschen und schloss sich den Beobachtungen seines Sitznachbars an. Was hatte die Polizei erreicht…? „Kommen wir gleich zum Wesentlichen“, spurte der Inspektor und sofort wurde mit einem Nicken geantwortet. Kaiba richtete sich auf. „Sie hatten vor, die Suche nach Charles Bankroft zunächst auf seine Schule zu beziehen“, hob er an und neben ihm rieb sich der Blonde den Mund. „Wurde er dort verhaftet?“ Vom Boden drifteten Joeys Augen zurück zu dem Inspektor. Erwartungsvoll, und er setzte nichts daran, seine eigene, schnell aufkeimende Anspannung zu verbergen. Und auf der anderen Seite wurde der Kopf geschüttelt. Auf gewisse Art und Weise hatte er es erwartet. Er war nicht wirklich überrascht, während sich Kaiba ächzend gegen die Stuhllehne zurücksinken ließ. „Als wir die Schule des Verdächtigen erreichten, war dieser dort nicht aufzufinden. Nach den Aussagen des Vaters und des Bruders, soll er sich aber dort aufgehalten haben, was zu dem Schluss führt, dass er gewarnt wurde und deshalb die Möglichkeit zur rechtzeitigen Flucht hatte.“ Er wurde gewarnt…? Die Miene des Blonden verzog sich. Von wem? Weder Jason, noch dem Vater dürfte etwas daran liegen, das schwarze Schaf der Familie in Schutz zu nehmen. Vor allem der Vater dürfte der Letzte gewesen sein, der sofort zum Telefon griff. Und Jason…? Der Mund des Inspektors bewegte sich weiter. Er fuhr fort und in den nächsten Momenten war es nur Kaiba, der seinen Worten sichtlich unzufrieden lauschte. Gesetzt den Fall, die Beiden hätten wirklich zusammengearbeitet, wie der Inspektor meinte, dann war es möglich. Eine schmerzhaft gute Tat, um einen düsteren Plan am Leben zu erhalten. Es dürfte ihm keine andere Wahl geblieben sein. Wer das Herzstück dieses Vorhabens war, war nicht schwer zu erraten. Auch nicht, dass Jasons Handeln ohne Charlies Denken wohl schon längst ins Stocken geraten wäre. „Wir haben Charles Bankroft zur Fahndung ausgeschrieben.“ Der Inspektor faltete die Hände auf dem Tisch, blickte von einem zum anderen und erhielt spätestens jetzt die volle Aufmerksamkeit. „Wenn er sich noch in Domino aufhält, wird er der Verhaftung nicht entgehen können.“ „Was ist mit dem Durchsuchungsbefehl?“ Kaiba verschwendete keine Zeit. „Er wird die Unterlagen nicht bei sich tragen, geschweige denn, mit in die Schule genommen haben.“ „Den Durchsuchungsbefehl haben wir so gut wie in der Hand.“ Endlich eine gute Nachricht aber von einem Freudentaumel war Kaiba dennoch weit entfernt. Sein Gesicht zeigte kaum eine Regung. „Wann“, murrte er nur und kurz durchstöberte der Inspektor den Schreibtisch. Die Unterlagen raschelten, er ließ sich Zeit und lauernd verfolgte Kaiba jede seiner Bewegungen. „Sie können sich darauf verlassen, dass wir die Räume des Verdächtigen noch heute durchsuchen werden.“ Er wurde fündig, zog einen scheinbaren Notizzettel hervor. „Damit wir wissen, wonach genau wir zu suchen haben, ist es nötig, mir die Unterlagen nachher genau zu beschreiben.“ Es folgte ein knappes Nicken, flink wurde eine Kleinigkeit niedergeschrieben und bevor sich Joey versah, wandte man sich an ihn. „Herr Wheeler“, der Inspektor holte tief Luft und sofort ließ der Blonde die Hand sinken, bekam sie endlich vom Mund los, „der Ermittlungen im Fall ‚Jason Bankroft’ sind bei weitem schwieriger. Da die Bankräuber noch immer flüchtig sind, ist es nur Ihre Aussage, die ihn belastet. Und letztendlich bleibt es bei Ihnen auch nur eine Vermutung, da Jason Bankroft nicht am Ort des Geschehens war und sonst auch keine weiteren Beweise vorliegen. Der Schlüssel zu diesem Fall wäre es, wenn man die Bankräuber zu fassen bekäme. Sie sind das Bindeglied, das uns fehlt.“ „Wie stehen die Chancen, dass man das schafft?“ Mehr als ein Nuscheln war es nicht. Wie erwartet. Wirklich großartig. Und die Reaktion des Inspektors war dabei auch nicht sehr hilfreich. Eine eindeutige Reaktion, die eigentlich keine Worte brauchte. Waren sie denn noch in Domino? Sahen sie denn noch so aus, wie zu dem Zeitpunkt des Überfalles? Es war zum Verrücktwerden und zermürbt winkte Joey ab. „Alles, um was ich Sie heute bitten möchte, ist, sich die Phantomzeichnungen anzusehen, die wir mit Hilfe der anderen Geiseln anfertigen konnten. Vielleicht fällt Ihnen noch das eine oder andere auf, was es uns leichter machen würde, die Täter aufzuspüren.“ „Natürlich.“ Dazu erklärte er sich gerne bereit. Es hieß nichts anderes, als dass er nicht mehr viel Zeit in diesem Haus verbringen musste. Dass er ganz schnell wieder auf freiem Fuß war und endlich dazu fähig, sich um die anderen Sachen zu kümmern. Jason Bankroft… wie sehr seine Verhaftung in den Hintergrund rückte, wenn er sich auf Charlie konzentrierte. Ganz gleich, was der Tag noch brachte… jeder Erfolg im Fall ‚Charlie’ würde auch zu Veränderungen im Fall seines Bruders führen und so erhob er sich flink, nachdem er das nächste Zimmer zugewiesen bekam. Kaiba würde hierbleiben… würde mit dem Inspektor über Dinge reden, die ihn hier und jetzt nicht interessierten. Wichtig war nur, dass Kaiba zu abgelenkt war, um auf die Frage nach Ace’ Telefonnummer zurückzugreifen. Und natürlich auch, dass er höchstwahrscheinlich immer noch hier saß, wenn er schon längst zurück auf die Straße gesprungen war. Ein wichtiger Vorsprung. Trotzdem betrachtete er sich die Phantombilder genau. In einem anderen Raum, in Gesellschaft eines anderen Polizisten, der fast permanent an seiner Kaffeetasse hing und deutlich überarbeitet aussah. Von einem Papier zum nächsten und jedes sah er sich genau an. Den einen oder anderen erkannte er… eher die, die auf sich aufmerksam gemacht hatten. Die waren deutlich, während die, die nicht viel mit zu tun gehabt hatten, aussahen, wie beliebige Männer, die einem auf der Straße begegneten. Was diese Bilder anging, war er keine große Hilfe und Kopfschüttelnd legte er sie letztendlich zurück und griff nach dem Nächsten. Der Anführer, der war ihnen gut gelungen. Auch der Jüngste. Aber waren die Haare nicht etwas länger gewesen? Er rieb sich das Kinn, drehte und wendete das Papier, rückte auf dem Stuhl herum und legte es vor sich ab. Vielleicht fehlte ein Leberfleck unter dem Ohr… Hatte er dort einen gesehen? Die Einzelheiten dieser panischen, angespannten Momente, waren nicht leicht zu erfassen und am Ende stand er auf und verabschiedete sich, ohne irgendeinen Verbesserungsvorschlag zu geben. Die Augen der hatten genug gesehen. Es war schon gut so, wie es war und kaum war eine viertel Stunde vergangen, bevor er in den Gang hinaustrat, von jeder Befragung losgeeist wurde und keine Pause einlegte. Schnell den Gurt der Tasche über die Schulter gezogen, sofort zur Seite gebogen und ohne der Umwelt Aufmerksamkeit zu schenken, passierte er die große Eingangstür. Eine eisige Böe erfasste ihn, ließ ihn am seinem Mantel rücken und nur kurz verschaffte er sich einen Überblick, bevor er sich durch die parkenden Autos schlängelte und über die Straße eilte. Zum Lawell… und wie praktisch, er sah es schon vor sich. Dort, auf der anderen Straßenseite, die er flink erreichte. Die Dinge liefen gut. Eilig schob er sich durch die gläserne Tür ins warme Innere des Cafés, folgte dem vertrauten Weg zum Büro des Chefs. Dass es bei der Polizei so schnell ging, hatte er nicht erwartet und wie wunderbar war die Vorstellung, auf diesen einen Erfolg würde ein Zweiter folgen… und ein Dritter. Mehr bräuchte er an diesem Tag nicht. „Was denken Sie, wer Sie sind!“ Giftig wurde er durch den Rauch der Zigarre angestarrt. Mit diesen kleinen Augen, die den Chef umso furchteinflößender machten. Sein dicker Bauch quetschte zwischen Schreibtisch und Stuhllehne und während Joey noch fast nicht zu Wort gekommen war, hörte er gar nicht mehr auf, sie ihm vernichtend entgegenzuschmettern. „Denken Sie nicht, dass sie bei Ihren letzten Schichten immer etwas abwesend waren? Kam Ihnen das nicht so vor?“ Unauffällig blähte Joey die Wangen auf, starrte resigniert zur Seite. „Einen Patzer entschuldige ich aber in letzter Zeit haben Sie sich zu viele von ihnen erlaubt und zur letzten Schicht sind Sie gleich gar nicht aufgetaucht! Nicht zur Arbeit zu kommen, ist schon einmal unerhört aber Sie haben es ja nicht einmal nötig, sich zu entschuldigen! Ist ein kurzer Anruf zuviel verlangt?!“ Unter den Umständen, die sich ‚Geiselnahme’ nannten, vermutlich schon. Schon eher war Joey die Tageszeitung aufgefallen. Dort, auf der Schreibtischkante und wie jede andere Zeitung auch, hatte der Chef sie höchstwahrscheinlich auch schon gierig gelesen, während die Angestellten sich draußen bei den Gästen bekloppt rannten. Es sah fast so aus, als ginge es hier nicht um irgendeine Rechtfertigung. In diesem Büro wollte man so etwas hier und jetzt nicht hören und so ging Joey davon aus, dass derzeit entweder keine Aushilfe gebraucht wurde oder dass er nicht der Einzige war, der dem anderen gegenüber eine gewisse Antipathie hegte. Wohl nur ein guter Grund, um ihn loszuwerden und während der Chef immer noch Dampf abließ, rieb er sich die Schläfe. Ein Erfolg? Er hatte soeben seinen Job verloren. Genervt trat er bald darauf aus dem Lawell. Lustlos die Tür hinter sich geschlossen und dann stand er da, starrte zurück auf das Präsidium und rümpfte die Nase. War es ein schlechtes Omen? Ein Erfolg und ein Misserfolg… von nun an könnte es in jede Richtung gehen. Gut, jedenfalls hatte er auch hier nicht viel Zeit verschwendet. Er hatte gewartet, bis der Mann eine kurze Pause machte. Ihm einfach zu sagen, dass er gefeuert war, hatte ihm scheinbar nicht gereicht und so hatte er einfach den ersten und letzten Schritt getan und sich verabschiedet. Auf Wiedersehen, Lawell. Es war eine schöne Zeit. Langsam raffte er den Rucksack höher, verstaute die Hände in den Manteltaschen und drehte sich um, um einen letzten Blick zum verzierten, edlen Schild des Ladens zu werfen. Hier hatte er Kaiba bedient, war ihm nähergekommen… hatte mit ihm gesprochen, hatte ihm und seinen Launen standgehalten. Ein Ort, der mit vielen Erinnerungen verknüpft war und unter einem tiefen Atemzug kehrte er dem Lawell den Rücken, wandte sich ab und folgte dem neuen, alten Weg. Nur wenige schlendernde Schritte, bevor er zügiger ging und einen Zettel hervorzog. Er faltete ihn auseinander, lauschte dem Tratschen und Lachen, das von einer nahen Gruppe aus Schulmädchen zu ihm drang. Kurz blickte er auf, traf auf dieselbe Aufmerksamkeit wie die, die er schon in der Schule nicht losgeworden war und starrte auf den Zettel zurück. An der Gruppe zog er vorbei und versuchte sich zu orientieren. „Das ist er!“, drang das berauschte Keuchen an seine Ohren, als er zu einem Straßenschild spähte. „Wo?“ „Na, da!“ „Er ist viel größer, als auf dem Bild!“ Und prompt bog er ab und betrat eine kleine Seitenstraße. Auf zu Ace. Auf zu Einsichten und Neuigkeiten, die sich hoffentlich verdauen ließen. Den ganzen Weg über wurde er von einem finsteren Gefährten begleitet, der sich ‚Befürchtung’ nannte. Unentwegt flüsterte er ihm zu, wie es wäre, was passieren könnte und wie schwer es selbst war, die Wahrheit zu finden. Verbissen versuchte er sich vor den pessimistischen Gedanken zu verschließen und immer wieder festigte er sich in dem Glauben, Recht zu haben… dass Charlie ungerechterweise belastet wurde… schuldlos war und einfach so, wie er sich in seinem sonnigen und heiteren Gemüt zeigte. Nach einigen Minuten, in denen er einen Häuserblock nach dem anderen hinter sich gelassen hatte, begann er Ausschau zu halten. Hier musste es sein. Irgendwo hier wohnte der, mit dem er unbedingt sprechen musste. Das Viertel Dominos, welches er nun auf der Suche durchstöberte, war ansehnlich und gepflegt. Noble Häuser reihten sich an den Straßen und viele saubere Grünanlagen boten zum Ausruhen ein. Doch Joey war dem so fern, wie man es nur sein konnte. Unruhig bearbeitete er mit den Fingernägeln die Hände, blickte von einem Straßenschild zum nächsten und wurde bald fündig. Unbewusst verlangsamte er die Schritte, als er eine Straße überquerte und nun nur noch nach der richtigen Hausnummer Ausschau halten musste. Wenn es nach ihm ginge, würde er das Aufeinandertreffen herauszögern, doch er wusste selbst am besten, dass er niemandem einen Gefallen damit tat. Am wenigsten seinen Nerven, die endlich Gewissheit haben wollten. Konnte er sich so in einem Menschen täuschen…? War es so einfach, ihm etwas vorzuspielen…? War Charlies Flucht nur die erste, unüberlegte Handlung auf eine unberechtigte Verdächtigung? Ein schmerzhafter Stich lebte in seiner Herzgegend auf, als er vor einem eindrucksvollen Wohnhaus stehen blieb. Die hohen Fassaden bestanden zur Hälfte aus feinem Glas, welches in der schwachen Sonne schimmerte. Ein kantiger Schnitt ließ es zu einer Besonderheit werden und große Balkone und Terrassen verschönerten das Bild weiterhin. Langsam legte Joey den Kopf in den Nacken, blickte an dem Haus hinauf und ballte beide Hände zu Fäusten, bevor er an die Tür herantrat und den Finger zu dem ‚Wilson’-Klingelschild hob. Er zwang sich mit allen Kräften dazu, von nun an nicht mehr zu zögern und betätigte die kleine Taste. >Es wird bestimmt nicht lange dauern<, versuchte er sich zu beruhigen, als er angespannt wartete. >Ich stelle ihm nur ein paar Fragen und dann… heute Abend weiß ich sicher, wie die Dinge stehen. Wie es… um Charlie steht. < Unter einem leisen Geräusch wurde ihm die Tür geöffnet und er drückte sich mit der Schulter dagegen und spürte sofort die angenehme Wärme, die im Treppenhaus herrschte. Flüchtig sah er sich um, betrachtete sich sein Umfeld und fand dennoch kein Interesse daran. Wie schön wäre es, Ace nur zu besuchen, um zu üben… Songtexte zu schreiben, über die Band zu reden und deren Zukunft. Zermürbt ließ Joey die wenigen Stufen hinter sich und die erste Tür, die er erreichte, wurde bereits geöffnet. Ace trug ein lockeres Shirt, verbunden mit bequemen Jeans und zwischen seinen Lippen klemmte ein Bleistift, der sich bewegte, als er Joey begrüßte. „Hattest du Probleme, es zu finden?“, erkundigte er sich und trat in derselben Bewegung schon zur Seite, Joey mit einer Handgeste bittend, einzutreten. Der Blonde brachte nur ein brüchiges Lächeln zustande, als er an ihm vorbeizog und die Wohnung betrat. „Nein“, murmelte er, als in einem säuberlichen und äußerst großen Vorraum stehen blieb, „ging schon.“ Hinter ihm wurde die Tür schlossen und Ace schlenderte an ihm vorbei und schob sich durch den Spalt einer kunstvollen gläsernen Schiebetür, die die Wohnräume vom Eingangsbereich trennte. „Komm rein“, hörte Joey ihm rufen. „Kann ich dir was anbieten?“ Unter einem tiefen Seufzen hoben und senkten sich Joeys Schultern und unter einem gedrungenen „Nein, danke“ schlüpfte er aus den Schuhen, schob die Schultasche in eine kleine Ecke und passierte die Glastür. Ein riesiges Wohnzimmer tat sich vor ihm auf. Ein riesiges und hohes Regal nahm eine gesamte Wand ein, war gefüllt mit unglaublich vielen Büchern. Ein großer Fernseher war ausgeschaltet, stattdessen der flache Tisch vor ihm annähernd versteckt unter unzähligen Heftern, Büchern und anderweitigen Unterlagen. Schweigend betrachtete sich Joey all das, während Ace in einer großen Küche werkelte, die offen an das Wohnzimmer anknüpfte. „Sieht ziemlich unordentlich aus“, kommentierte der Langhaarige und warf einen knappen Blick in den Kühlschrank. „War gerade am Lernen.“ „Hm.“ Joey nickte stockend und drehte das Gesicht, bis er eine breite geschwungene Treppe erspähte, die in die nächste Etage der Wohnung führte. Beiläufig begann er seinen Mantel aufzuknöpfen und wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich der Kühlschrank wieder schloss und Ace mit einer Getränkebüchse zu ihm zurückkehrte. „Setz dich.“ Abermals trottete er an Joey vorbei, trat an ein bequemes Sofa heran und räumte einige Bücher fort, die dieses gänzlich in Besitz nahmen. Nickend folgte Joey der Bitte und während er sich auf dem Polster niederließ, kniete sich Ace vor den flachen Tisch und begann etwas zu kramen. Entspannt schloss er einige Bücher, räumte Hefter auf einen Stapel und suchte die Stifte zusammen, die in einem wahllosen Durcheinander den Boden bedeckten. „Also“, murmelte er unterdessen, „worum geht’s denn?“ Der Blonde befeuchtete die Lippen mit der Zunge, ließ kurz den Blick streifen und lenkte ihn zaudernd zu Ace zurück. Dieser warf einen konzentrierten Blick in ein Notizbuch, klappte auch dieses zu und tastete unterdessen nach der Büchse. Das leise Zischen ertönte, als er den Deckel eindrückte und einige Schlucke trank. Annähernd abwesend starrte Joey ihn an und Ace schien sein Schweigen kaum aufzufallen. Er war abgelenkt und der Blonde räusperte sich, kämpfte um Entspannung und lehnte sich letztendlich gegen die großen Kissen. „Ace?“, hob er anschließend an und dieser murmelte an der Büchse eine knappe Erwiderung, unter der Joey die Lippen aufeinander presste. Rascheln ertönte vor ihm. „Ace.“ „Mm?“ Endlich löste dieser die Augen von dem Papier, um sie erwartungsvoll auf Joey zu richten. „Ja, was denn?“ „Hör zu, es ist wichtig.“ „Ja, okay.“ Locker ließ Ace die Hefter sinken, wandte sich ihm zu und fläzte kurz darauf mit der Büchse vor ihm. „Ich höre.“ >Und wie fange ich richtig an?< Joey kratzte sich in nervöser Geste am Kinn und Ace musterte ihn gelöst. „Wie lange kennst du Charlie schon?“, fragte er kurz darauf und könnte sich selbst ohrfeigen für diesen unsensiblen Beginn. Und Ace hob die Augenbrauen, wirkte überaus überrascht und zeigte es, als er die Büchse sinken ließ. „Schon länger“, verriet er skeptisch. „Was ist denn das für ein Thema?“ „Nein, nein.“ Joey schüttelte flüchtig den Kopf, hob verwerfend die Hand und lehnte sich kurz darauf zu ihm. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, die Hände ineinander gefaltet, studierte er Ace mit einer gezwungenen Entschlossenheit. „Ich will dich nicht auf den Arm nehmen und habe auch nicht vor, mich in irgendetwas einzumischen, was zwischen euch ist.“ „Wieso fragst du dann?“, erkundigte sich Ace sofort und Joey senkte die Lider. „Ich bitte dich, mir zu glauben, dass es ernst ist“, fuhr er fort. „Und ich werde dir auch erklären, worum es geht, wenn du mir geantwortet hast.“ Wirklich überzeugt schien Ace nicht zu sein. Den Blick irritiert auf Joey gerichtet, nahm er noch einen Schluck aus der Büchse und zuckte mit den Schultern, als er sie sinken ließ. „Gott, ist ja auch kein großes Geheimnis. Es dürften drei Jahre sein.“ „Und…“, fuhr Joey gleich fort, „… war er von Anfang an so, wie er jetzt ist?“ „Wie meinst du das?“ Ace schnitt eine Grimasse und piepelte an seiner Büchse. „So… quietschfidel und tapsig.“ Joey rieb sich den Mund, die Schläge seines Herzens fielen bereits aus dem monotonen Rhythmus und es kostete ihn viel Überwindung, Ace nicht die Frage zu stellen, die so direkt war, dass man sie nicht missverstehen konnte. Sofort begann dieser zu grinsen und bevor er abermals die Büchse zum Mund hob, meinte Joey, ihn sogar lachen zu hören. „Ja ja“, nickte er und trank. „Das ist es, was ihn ausmacht. So war er immer und ich glaube fast, er wird es noch als Rentner sein.“ Er schmunzelte, doch Joey konnte sich dem nicht anschließen. Seine Miene blieb verbittert und ernst und Ace entging diese Tatsache nicht lange. Mit leiser Verblüffung registrierte er Joeys Stimmung und stellte die Büchse ab, um seufzend die Hände ineinander zu falten. „Okay“, stöhnte er. „Jetzt sag mir, was los ist.“ „Ich kam nicht drum herum, zu bemerken, dass Herr Bankroft Charlie nicht wie Jason behandelt“, fiel Joey ihm beinahe ins Wort und Ace’ Bewegungen erstarben. Vorerst abschätzend, dann kritisch. „Du wirst ganz schon persönlich.“ „Ich habe keine andere Möglichkeit.“ Joey spreizte die Finger, blähte die Wangen auf und rollte mit den Schultern. Ace schwieg und als sich die braunen Augen wieder auf ihn richteten, ließ er nachdenklich den Kopf sinken. Ziellos durchstreifte die Hand das lange Haar und ein vorerst unverständliches Gemurmel kam über seine Lippen. „Ja… gut, zwischen den Beiden steht es nicht zum Besten.“ Somit sah er Joey wieder an, erwartungsvoll die Augenbrauen hebend, darauf hoffend, dass er es verstand und diese Erklärung genügte. „Okay?“ „Wie schafft es ein Mensch, so eine Lebensfreude zu behalten, wenn er mit solchen Zuständen aufwächst?“, begann Joey laut zu grübeln und Ace runzelte die Stirn. „Er ist ein starker Mensch und einer der wenigen, die damit umgehen und sich Menschen suchen, denen er wirklich etwas bedeutet. Beginnen wir über meinen Freund zu philosophieren? Tut mir leid“, er musterte Joey streng, „da mache ich nicht weiter mit. Sag mir sofort, worum es geht.“ „Ich glaube, das bin ich dir allmählich wirklich schuldig.“ Der Blonde nickte langsam und spürte ein gewisses Kribbeln in seinem Inneren. Doch begleitend eine zurückkehrende Ruhe, die annähernd gruselig war. Er behielt die Nerven und nahm sich vor, strikt an der Thematik festzuhalten. So holte er tief Luft und erwiderte Ace’ Blick offen. „Gegen ihn liegt ein Haftbefehl vor“, hauchte er und verfolgte jede Regung des anderen Gesichtes, welches augenblicklich an Farbe verlor. „Ebenso wurde eine Fahndung nach ihm ausgeschrieben, nachdem er wie vom Erdboden verschwand, bevor die Polizei bei ihm in der Schule auftauchte.“ Eine knappe Regung seines Gegenübers zeugte davon, dass er damit etwas anzufangen wusste. Das Verschwinden Charlies… natürlich war es ihm nicht entgangen. „Er wird polizeilich gesucht, Ace. Wegen Diebstahles streng geheimer, firmeninterner Unterlagen, den Verdacht auf eigene Verwendung und Raubes fremder Erfindungen. Ebenso soll er seinen Bruder, Jason Bankroft, dazu veranlasst haben, einen Banküberfall durchzuführen, also besteht ebenso die Gefahr der räuberischen Erpressung, Freiheitsberaubung, Geiselnahme und illegalen Waffenbesitzes. Er soll Drahtzieher eines Vorhabens sein, mit welchem die Firma Bankrofts und Bankroft selbst in den Ruin getrieben werden sollten. Es handelt sich um Milliarden, Ace. Um die Existenz zweier einflussreicher Firmen, von welchen eine Kaiba unterliegt. Und Kaiba wird keine Gnade zeigen.“ Stumm und wortlos blieben Ace’ Lippen einen Spalt geöffnet, während er Joey anstarrte, ohne zu blinzeln. Nichts anderes hatte Joey erwartet, mit nichts anderem gerechnet. Ebenso schweigend blieb er sitzen und tat es einige Augenblicke, bis Ace die Fähigkeit zur Regung zurückerlangte. Perplex blinzelte der junge Mann, ziellos und fahrig glitten seine Pupillen von einer Seite zur anderen, bevor er mit stockender Bewegung den Kopf schüttelte. Ein brüchiges, ungläubiges Grinsen zerrte an seinen Lippen und verschwand so schnell, wie es gekommen war. „So ein Schwachsinn…“, seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern und mit einem Anflug von Zorn blickte er zu Joey zurück, um diesen annähernd feindselig anzustarren. „Wie kommst du auf so einen Mist!“ „Ich bin nicht darauf gekommen, Ace“, erwiderte Joey. „Diese Frage solltest du der Polizei Dominos stellen. Und einem Cheaf-Inspektor, dem erdrückende Beweise vorliegen.“ Unentschlossen begann sich Ace auf dem Boden zu regen. Benommen wich er Joeys Augen aus, zog die Nase hoch und machte kurz Anstalten, aufzustehen. Letztendlich blieb er jedoch sitzen und seine Hand langte nach der Büchse. „Erzähl es mir“, raunte er, bevor er trank und sich seine Hand fest um die Büchse schloss. Joeys rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und seufzte leise. „Alles weiß ich auch nicht“, antwortete er selbst etwas unbeholfen und entschied sich, all das an Ace weiterzugeben, was er selbst erlebt und in Erfahrung gebracht hatte. Vom Banküberfall, in welchen er hineingeriet, von Jason, den er hinter jener Kamera ausmachte und die Bestätigung durch die Geiselnehmer. Ebenso von Kaiba und dessen tagelangen Rückzug in die Firma, dessen Bericht über fehlende Unterlagen und den festen Verdacht, der sich einzig und allein auf Charlie lenkte… „… der Mann, der von Charlie beauftragt worden sein soll, jene Unterlagen zu stehlen…“, beendete er die Erzählung und starrte auf den Boden. „… dieser Mann hat bereits gegen Charlie ausgesagt. Und so steht es. Und es steht nicht gerade gut.“ Ace, dem es kaum gelungen war, während der Erzählung die Augen von Joey abzuwenden, blieb auch jetzt noch sprachlos. Die Lippen leicht geöffnet, wurde die Getränkedose schon längst vernachlässigt und es war deutlich, wie schwer es ihm fiel, die Gedanken zu ordnen. Er hatte Tatsachen anzuerkennen, die einem Alptraum entsprungen sein mussten. Sein Gesicht hatte einen weiteren Teil der Farbe eingebüßt und Joey ließ ihm Zeit. Irgendwann wandte sich Ace doch ab, starrte mit verzerrtem Gesicht auf die schulischen Unterlagen und verharrte auch weiterhin nur reglos. Nur das leise Ticken einer Uhr bestimmte die Atmosphäre, in der sich beide schweigend gegenübersaßen. Wenigstens war es jetzt ausgesprochen. Ace war im Bild und verstand dieses genauso wenig, wie Joey, der öfter die Stirn runzelte, nach einer scheinbaren Ewigkeit der erdrückenden Stille nachdenklich aufblickte. „Warum“, hob er unentschlossen an und sofort lugte Ace zu ihm, „… hat er die Schule verlassen, bevor die Polizei kam?“ Die Brauen seines Gegenübers zuckten. Kurz regten sich auch seine Finger an der Büchse und letzten Endes starrte Ace doch nur auf den Boden zurück. „Es ist nicht so, dass das nie vorkommt“, murrte er nach kurzen Überlegungen. „Charlie hat öfter noch etwas… zu tun oder erinnert sich plötzlich an irgendwelche…“, knapp gestikulierte er mit der Hand, „… Termine.“ „Du warst nicht dabei?“ Finster wurde der Kopf geschüttelt. „Das hat nichts zu bedeuten, okay?“ „Das will ich auch glauben“, versicherte Joey. „Es kann ein Zufall gewesen sein, nicht wahr?“ „Ja, natürlich.“ Und trotzdem wurde Ace immer kleiner und kleiner. Er rutschte in sich zusammen, die Verbitterung schien mit jedem Augenblick zu steigen und plötzlich fand es Joey es fast schon bedauernswert, wie sie hier saßen und hoffnungsvoll von solchen seltsamen Zufällen sprachen. Sie beide hatten noch ihren Glauben, ihre Zuversicht und unter einem tiefen Atemzug rieb sich Ace das Gesicht. Die schulischen Unterlagen hatten jede Aufmerksamkeit verloren und nachdenklich verfolgte Joey, wie sich Ace ziellos umblickte. „Es ist so“, hob er dann an. „Kaiba sitzt zu diesem Zeitpunkt bestimmt noch bei der Polizei. Es sah so aus, als gäbe es viel zu besprechen aber wenn er diese Gespräche hinter sich hat, könnte es problematisch werden.“ „Wie meinst du das?“ Ächzend hob Ace die Büchse auf den Tisch. „Charlie wird ihm wohl kaum in die Arme laufen.“ „Und weil das nicht passieren wird, wird Kaiba für das Gegenteil sorgen.“ Joey streifte sich den Mantel zurück, suchte nach irgendeiner Bequemlichkeit und lauschte dem leisen Quietschen, als Ace die Büchse über den gläsernen Tisch bewegte. Vor und zurück, ihn unterdessen aber nicht aus den Augen lassend. „Kaiba hat so einige Möglichkeiten, an Informationen zu kommen“, erklärte er also. „Ich weiß nicht, wie er es macht aber gerade in solchen Fällen wird er keine Mittel scheuen und wenn wir Pech haben, findet er heraus, wo Charlie ist und stattet ihm einen Besuch ab.“ „Solche Sachen sollte er der Polizei überlassen…!“, fauchte Ace und irritiert hob Joey die Brauen. „Ace? Wir sollten die Sache auch nicht der Polizei überlassen, findest du nicht?“ „Gott!“ Unter einem plötzlichen Fluch raufte sich Ace die Haare und bevor sich Joey versah, hatte er seine Schultasche zu sich gezerrt und sie aufgerissen. „Das ist alles ausgemachter Schwachsinn!“ Grob betastete er vereinzelte Innentaschen, schob die Hand zwischen die Bücher und kam nicht um ein humorloses Grinsen. Er war angespannt, stand unter Strom. „Aussagen und Beweise… das kann doch alles getürkt sein! Haben die Polizei oder Kaiba daran mal gedacht?“ „Weder Kaiba, noch die Polizei hat Zeit dafür“, bedauerte Joey und erspähte ein Handy, das eilig hervorgezogen wurde. Ace war fündig geworden. „Was hast du vor?“, erkundigte sich Joey sofort. Stirnrunzelnd verfolgte er, wie sich hastige Finger an den Tasten zuschaffen machten. „Ace, wenn wir in Betracht ziehen, dass er doch etwas damit zu tun hat, dann verschaffst du ihm damit die Möglichkeit, sich…“ „Ist schon okay“, wurde er knapp und barsch unterbrochen. Schon wurde das Handy zum Ohr gehoben und Joey traf ein düsterer Blick. „Wenn ich ihm sage, dass ich ihn einfach nur sehen will, dann ist das nichts Außergewöhnliches!“ „Ist es das nicht?“ Nicht wirklich beruhigend aber dieses schnelle Handeln machte es doch möglich, dass sie doch die Ersten waren, wie Charlie fanden und zur Rede stellten. Es konnte kein Fehler sein und so lehnte er sich langsam zurück, verfolgte akribisch, wie Ace in das Handy lauschte. Permanent machten sich seine Finger unterdessen am Teppich zu schaffen und fast glaubte Joey, das Rufsignal dringe bis zu ihm. Wenn sich Charlie jetzt wirklich meldete… Wenn Ace ihn wirklich zu fassen bekam… Joey wüsste nicht, weshalb Charlie ein Treffen mit seinem Freund ausschlagen sollte. Er war doch einer der Menschen, denen er vertraute. Vermutlich einer der wenigen. Er spürte das weiche Polster des Sofas im Rücken, als er weiterhin zurücklehnte. Die Augen auf Ace gerichtet und jedes Hoffen auf das gewisse Knacken in der Leitung, kam ihm doch plötzlich eine Einsicht, die ihn erstarren ließ. Abrupt löste sich seine Aufmerksamkeit von Ace, seine Lippen bewegten sich stumm und mit einem Mal wurde er in eine völlige andere Situation versetzt. Wenn Charlie wirklich ein anderer war… Wenn er sich vor ihm verstellt hatte… Stockend spähte er zu Ace zurück. Dann vielleicht auch vor ihm? Wenn es wirklich der Fall war… Joey schluckte… und unter einem lauten Ächzen ließ Ace das Handy sinken. Der gescheiterte Anruf wurde mit einem bitteren Kopfschütteln kommentiert und immer noch in diese neue Befürchtung verstrickt, nahm Joey es kaum wahr. Das Handy wurde zur Seite geworfen. „Eigentlich hat er es immer bei sich.“ Eigentlich und normalerweise. Etwas schien nicht zu stimmen und abwägend verfolgte Joey das Benehmen seines Gegenübers. Wenn man ihn fragen würde, gäbe es so einiges, woran er dachte, was er tun und unternehmen wollte. Es gab Möglichkeiten, um nicht untätig herumzusitzen. Vor allem mit Ace. Nein, nur mit ihm. Über das Handy war Charlie also nicht zu erreichen… war es in der nächsten Zeit bestimmt auch nicht. Welche Wege blieben übrig? Er regte sich im Mantel und faltete die Hände ineinander, während ihm gegenüber das Gesicht gesenkt und erneut geschwiegen wurde. Ein unerwarteter Misserfolg, der Ace sichtlich zu schaffen machte. Fragen, die er sich einfach nicht beantworten konnte… Beweise, gegen die Zuversicht kläglich versagte… Unruhig rieben Ace’ Finger die Schläfen, rieben die Stirn, das Nasenbein. Einige Momente war er nur mit sich beschäftigt, kämpfte um Konzentration, um Ruhe und durchkämmte das Haar mit beiden Händen. Was sollte man tun? Mit geschlossenen Augen verharrte er reglos, wurde hin und wieder ein leises Ächzen los und es schien wie eine Ewigkeit, bis er abrupt die Hände sinken ließ, sich aufrichtete und auf die Beine kam. Der Platz, an dem er scheinbar lange gesessen und gelernt hatte, wurde plötzlich verlassen, alles stehen und liegen gelassen und nach wenigen Schritten erreichte er einen kleinen Sessel. Ein Mantel war es, nach dem er grabschte und eilig schlüpfte er hinein. „Wir suchen ihn“, murrte er. Noch ein Schritt, dann hatte Kaiba das Präsidium auch endlich hinter sich. Die kalte Luft der Außenwelt tat gut, nach einem beinahe zweistündigen Gespräch. Diese Gespräche wurden sogar nicht belastender, wenn nicht wirklich viel dabei herauskam. Reiner Austausch von Informationen und nur die Tatsache, dass sich der Inspektor in Kürze mit einigen Kollegen auf den Weg zum Bankroft-Anwesen machte, um eine Durchsuchung durchzuführen… diese Tatsache war fast wie eine kleine Rettung, die doch noch Zuversicht zuließ. Fast schon Zufriedenheit, eine kurze Verschnaufpause, um an neue Hoffnung heranzukommen. Die Möglichkeiten standen gut… und vielleicht hielt er die verlorenen Unterlagen schon heute Abend wieder in den Händen. Kühl zerzauste der Wind sein Haar und gemächlich machte er sich an den Knöpfen des Mantels zu schaffen, schloss sich und schützte sich. Selbst so eine Brise war eisig nach einer langen Zeit in einem überhitzten, drückenden Raum. Somit warf er sich die Schultasche über die Schulter, hielt kurz Ausschau und setzte sich in Bewegung. Die Limousine stand am alten Platz. Geduldig hatte Jeffrey gewartet und mit einem kurzen Wink hinderte Kaiba ihn daran, auszusteigen. Die Türe bekam er jetzt schon noch alleine auf und kaum hatte er sie Schultasche auf die gepolsterte Sitzbank geworfen, meldete sich der Vibrationsalarm seines Handys spürbar in der Hosentasche. Sofort zog er das kleine Gerät hervor, schob sich in den warmen Innenraum des Wagens und hob das Handy zum Ohr. Jeffrey, kurz davor, seinen Kaffee zur Seite zu stellen, sah jetzt doch noch eine Möglichkeit und während sich Kaiba meldete, gönnte er sich noch einen Schluck. „Seto?“ Es war Mokuba, der in die Leitung seufzte und kurz rückte sich Kaiba zurecht, zog an dem Mantel, der im Rücken drückte. „Hast du viel zu tun? Könntest du kurz nach Hause kommen?“ „Ist etwas passiert?“ Sofort hielt Kaiba in jeden Bewegungen inne, spähte auf und atmete durch, als Mokuba fortfuhr. Und wieder ein Seufzen. „Muss was passiert sein, damit du vorbeikommst?“, fragte er etwas brummig. „Der Lehrer hat mir einen Brief mitgegeben und ein Blatt wegen der Klassenfahrt. Darüber wollte ich bloß mit dir reden.“ „Ach so.“ Endlich hatte es Kaiba bequem und während Jeffrey noch an seinem Becher nippte, warf er einen Blick auf seine Uhr. Was sprach dagegen? Was sprach dafür? Was genau hatte er sich eigentlich vorgenommen? Er streifte den Ärmel etwas höher, starrte erneut auf das saubere Ziffernblatt. Sechzehn Uhr. Und es fiel ihm ein. So eine wichtige Angelegenheit und trotzdem war er nach all dem Trubel nicht sofort darauf gekommen. Es handelte sich wohl um Charlie Bankroft und um sein mangelndes Vertrauen in die Polizei. Das stärkste Vertrauen hatte er in seine eigenen Fähigkeiten und in das Wissen, Charlie möglicherweise selbst finden zu können. Der erste Schritt…? Er verdrehte die Augen, hielt das Handy noch immer am Ohr und ließ den Hinterkopf auf das Polster treffen. Die Telefonnummer. Er hatte es versäumt, Joey wieder auf sie anzusprechen. In der Schule hatte es wahrscheinlich nicht die passende Gelegenheit gegeben. Nicht, während Joey so abfällig auf jede seiner Vermutungen reagierte. Sollte er in die Firma und sich selbst nach ihr erkundigen? Wie hieß Ace noch gleich mit Nachnamen? Er könnte Alfons fragen… Ein müdes Grinsen zog an seinen Lippen. Oder besser doch nicht. Es gab gerade einfach Menschen, die nicht gut auf ihn zu sprechen waren. „Setooo!“ Das Maulen des kleinen Bruders brachte ihn zurück in die Realität und ein knappes Blinzeln half ihm, sich auch von den letzten Grübeleien zu lösen. Nein, ein Besuch in der Firma brachte ihm am Ende bestimmt nicht viel mehr, als weitere Frustration. Sein Kopf war nicht einmal frei genug, um den Nachnamen preiszugeben und eigentlich war er schon genervt, wenn er daran dachte, sich hinter seinen Schreibtisch zu setzen und drauflos zu tippen. Wenn Joey ohnehin verspätet in der Firma auftauchen würde, dann würde es wohl nicht schaden, wenn er sich auch etwas mehr Zeit ließ. Die Telefonnummer bekam er später immer noch von ihm. Also kein Grund zur schädlichen Eile. „Ja“, antwortete er endlich, kapitulierte. „Ich komme.“ „Super! Dann zeige ich dir die gute Note, die ich heute bekommen habe!“ „Ja, ich bin in zehn Minuten da.“ Nach der heiteren Verabschiedung seines Bruders ließ er dann das Handy sinken. Haltlos hinab auf den Schoß und mit einem leichten Wink machte er Jeffrey auf sich aufmerksam. „Bringen Sie mich Nachhause.“ *~to be continued*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)