Die Weiße Schlange von MorgainePendragon ================================================================================ Kapitel 33: In my arms... ------------------------- Saito lachte. Ein grausames, abgrundtief böses und kaltes Lachen, das Takeo an diesem Tag bereits allzu oft hatte hören müssen. Der junge Samurai konnte sich nun kaum noch auf den Beinen halten. Nach jedem Schlagabtausch nutzte er seine Klinge als Stütze, um nicht schlichtweg zusammenzubrechen. Saito belauerte ihn. Er genoss Takeos Schmerzen und seine Erschöpfung in vollen Zügen. Er spielte mit ihm. Längst hätte er den jungen Mann töten können. Aber er tat es nicht. Noch nicht. Er wollte ihn leiden sehen. Er wollte den berüchtigten Mörder leiden sehen und ergötzte sich an seinem langsamen Zusammenbruch. "Ich hatte mehr von dir erwartet, Hitokiri.", sagte Saito nun in gespielt verletztem Ton. "Das kann unmöglich alles gewesen sein. So wirst du mich niemals besiegen. Schon gar nicht, wenn du nicht bereit bist ein weiteres Mal zu töten. Ich LASSE dich nicht gehen - und auch nicht sterben, bis du es nicht ein einziges Mal ernsthaft versucht hast." Takeo hob in einer ungemein müde wirkenden Geste seinen Kopf. Er war so schwer. Das alles war so schwer. Nichts war mehr wichtig. Bald würde es vorbei sein. Und seine Schuld getilgt. "Mach dich nicht lächerlich, Saito.", sagte Takeo leise durch zusammengebissene Zähne. "Ich WERDE sterben. Aber nicht als Hitokiri." Plötzlich wurde der "Wolf von Mibu", vielmehr das, was von ihm übrig war, sehr ernst. Ganz langsam, mit gesenkter Waffe, trat er Takeo entgegen. Beinahe nachdenklich war der Blick in seinem einzigen, unergründlich dunklen Auge. "Ich fürchte...", sagte er nun beinahe flüsternd, "... in diesem Punkt irrst du dich, Yamazaki." ~~~oOo~~~ Madoka jagte dicht über den Hals Akumas gebeugt durch den Wald dahin. Gehölz krachte und knackte unter den donnernden Hufen des Pferdes. Äste peitschten ihr ins Gesicht, ritzten ihre Haut - sie spürte es nicht einmal. Sie krallte sich in Akumas Mähne, verbissen darauf bedacht nicht den Halt zu verlieren bei dem wilden Galopp, den das Tier an den Tag legte. Es war, als könne das Pferd spüren, dass etwas nicht in Ordnung war und dass sein Herr in Gefahr schwebte. "Lauf, Akuma! Bring mich zu ihm! Bring mich zu deinem Herren!" Akuma schnaubte laut und steigerte noch einmal sein Tempo, als Madoka sich noch tiefer über seinen Hals beugte. 'Schneller! Bitte, schneller! Lieber Gott, lass es noch nicht zu spät sein...' ~~~oOo~~~ Takeo sah auf. Er begegnete dem Blick Saitos und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was dieser ihm sagen wollte. Aus der Nähe betrachtet sah das Gesicht des ehemaligen Shinsengumi-Kommandanten noch schrecklicher, noch verheerter aus. Takeo wurde leicht übel, als er deutlich die Zähne hinter der aufgerissenen Wange sehen konnte. Die leere Augenhöhle schien ihn hämisch anzublinzeln. Wie konnte dieser Mensch... dieses Etwas noch leben? "Du wirst mich töten. Als Attentäter. Ein Mal wird der Hitokiri noch kommen. Und dies wird dein Untergang sein. Wie passend, dass ich durch die Hand des Mörders sterbe, den ich erschaffen habe..." Es dauerte eine Weile, bis Takeo sich der ganzen Tragweite dessen bewusst wurde, was er da gerade gehört hatte. Ungläubig sah er ihn an, während Saito wieder ein Stück zurücktrat, die Klinge zwischen sich und den Gegner hob. "Was..." "... ich damit meine?" Saito lächelte abfällig. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich es dir jetzt schon sagen sollte. Ich hatte es mir für das "große Finale" aufgehoben. Bist du wirklich schon bereit für die Wahrheit, mein junger Freund?" In Takeos Blick glomm völliges Unverständnis. "Nun gut, nun gut. Ich sage es dir.", seufzte der "Wolf" ergeben, als hätte Takeo darum gebettelt es zu erfahren. "Ich habe deinen Bruder getötet, nicht wahr? Das ist ja nicht neu für dich - obwohl es mich erstaunt hat, dass allein diese Tatsache nicht schon ausgereicht hat den Hitokiri erneut hervorzubringen." Er machte eine kurze Kunstpause, in welcher er den Blick des jungen Samurai unerbittlich mit dem eigenen gefangen hielt. "Aber... du kannst gar nicht wissen, dass auch ich es gewesen bin, der... nun... wie soll ich es besonders geschmackvoll ausdrücken..., der deinen Zieheltern die Kehlen durchgeschnitten hat. Und glaube mir: Auch wenn meine Berufung als Shinsengumi-Kommandant so manches Mal wahrlich kein Vergnügen mit sich brachte - DAS habe ich genossen..." ~~~oOo~~~ Madoka schoss auf dem Rücken des wie ein schwarzer Dämon dahinjagenden Pferdes aus dem Wald heraus. Binnen weniger Augenblicke hatten sie den Stadtrand von Kyoto erreicht und noch immer glomm ein orangener Feuerschein durch die hereinbrechende Dämmerung zu ihnen herüber. "Schneller, Akuma!" Sie glaubte nicht mehr atmen zu können. Das Gefühl, das etwas Unabwendbares herankam war nun direkt über ihr, in ihr. Es passierte. Jetzt. Und sie wusste, auch wenn es sie innerlich schier zu zerreißen drohte, dass sie es nicht rechtzeitig schaffen konnte. ~~~oOo~~~ Takeo stand wie versteinert. Er stand einfach nur da und starrte. Ohne zu blinzeln. Ohne zu atmen. Der Schmerz war grauenhaft. Wie die Faust eines Riesen, die sich um seine Eingeweide legte und erbarmungslos zudrückte fühlte es sich an. Alles Leben, das den jungen, unbedarften Takeo ausgemacht hatte, schwand dahin - und würde nicht mehr zurückkehren. Er wusste es. Er versuchte sich dagegen zu wehren. Mit aller Kraft versuchte er das Kommen des Attentäters zu verhindern - und verlor den Kampf. Mit jedem Schlag seines Herzens blitzten Bilder vor seinem inneren Auge auf. Die Mutos, mit durchschnittenen Kehlen in ihrem Blut. Mamoru, blutüberströmt in seinen Armen. Wieder und wieder. Immer wieder diese grausamen, leeren Augen der Mutos und die Hand seines sterbenden Bruders, die sich um seine eigene klammerte, um dann leblos herabzufallen. Und die Schläge seines Herzens wurden lauter, bis sie schließlich wie ein gewaltiger, zeremonieller Gong das Kommen des Hitokiri einläuteten. Unaufhaltsam. Und unabänderlich. Takeo hob sein Katana und drehte es herum. Saito lächelte äußerst zufrieden. "Und ich heiße willkommen den Mann, den ich ins Leben gerufen habe. Mein Feind und zugleich mein größter Fehler. Meine Aufgabe war es, das Volk von Kyoto zu schützen. Die Shinsengumi war nie etwas anderes, als die Schutztruppe für die Samurai und das gemeine Volk. Doch ich habe den größten Feind dieses Volkes selbst erschaffen. Ich war es, der Tod und Mord unter die Menschen brachte, indem ich zugelassen habe, dass du zum Attentäter wurdest. Ich hätte warten und dich gleich an jenem Tag erledigen sollen, als ich auch deine Zieheltern umbrachte. Diesen Fehler werde ich nun korrigieren. Spät, aber besser als niemals. Jetzt, wo du die Wahrheit kennst, jetzt wo du mir wahrhaft als Hitokiri gegenüberstehst, jetzt kann und werde ich dich vernichten. Und sollte ich dabei sterben, dann ist dies MEINE Art Buße zu tun. Ich schätze, dass ich allein noch deshalb lebe, um dich mit mir in die Hölle zu nehmen. Und ich schwöre, ich werde es tun!" Er hob sein Schwert. Und mit einem unmenschlichen, markerschütternden Schrei warf sich Takeo auf den "Wolf von Mibu", begann der endgültige, letzte und alles entscheidende Kampf auf Leben und Tod. ~~~oOo~~~ Madoka konnte den Hafen unter sich sehen. Akumas Hufe donnerten durch die Straßen Kyotos und die Häuser huschten so schnell an ihnen vorüber, dass sie nur als Schemen zu erkennen waren. Gemeinsam jagten sie den Hügel hinab, auf welchem die Stadt erbaut worden war, und die junge Frau hatte freien Ausblick auf das Hafengelände und die umliegenden Stadtviertel - vielmehr auf das, was von ihnen noch übrig war. Das Feuer hatte sich verlagert. Es handelte sich noch immer um einen Großbrand, aber er wütete nun in Höhe des alten Kaiserpalastes, hatte eine breite Schneise der Zerstörung hinter sich zurückgelassen. Das ehemals beinahe beschauliche Hafenviertel glich nun einer Alptraumlandschaft aus grauer Asche und schwarz-verkohlten Schutthaufen. Hier und da glomm noch ein kleiner Brandherd vor sich hin. Madoka konnte überwiegend Rauchsäulen und einen beständigen Ascheregen ausmachen, der es ihr schwer machte überhaupt zu atmen. Akumas Hufe wirbelten die Asche auf, sodass es aussah als würde ein grauer Orkan herannahen. Die Sonne war untergegangen. Dunkelheit zog herauf wie eine alles verhüllende Decke. Jeden Moment hatten die den Hafen erreicht. Madoka wappnete sich. Sie wappnete sich für den schlimmsten Anblick ihres Lebens. ~~~oOo~~~ Funkensprühend trafen sich blanke Klingen und trennten sich wieder, nur um noch verbissener, noch heftiger aufeinander zu prallen. Wieder und immer wieder, wie in einem wilden, unerbittlichen Tanz, drangen die Schwerter aufeinander ein, ihre Besitzer ständig auf der Suche nach einer Schwäche in der Deckung des Gegners. Und sie waren schnell. Beide, Takeo und auch Saito, waren wahrlich Meister des japanischen Schwertkampfes. Schlagabtausch auf Schlagabtausch erfolgte derart schnell, dass die Bewegungen einem schemen- und alptraumhaften Kräftemessen dunkler, fremdartiger Dämonen glich. Vor dem immer dunkler werdenden Hintergrund des Himmels schienen die schlanken Körper der Kombattanten in verbissener Wut miteinander zu ringen, wobei sich die Kampfstile der Männer jedoch gänzlich unterschieden. Saitos Kampf war gradlinig, hart und schien genau berechnet, während Takeos Stil leicht und nicht vorhersehbar war. Saito kämpfte immer am Boden. Takeo jedoch sprang, umkreiste und drehte Saltos über den Gegner, um ihn unerwartet von oben oder der Seite angreifen zu können. In Punkto Schnelligkeit und Ausdauer nahmen sich beide Kämpfer kaum etwas - und dies war erstaunlich, wo Saito doch eher tot als lebendig aussah und Takeo aufgrund seiner starken Verletzungen eigentlich längst zusammengebrochen sein müsste. Es sollte nie bekannt werden, woher die beiden Gegner ihre Kraft nahmen, um sich so lange und bis aufs Blut zu bekriegen. ~~~oOo~~~ Über Madokas Gesicht liefen Tränen. Sie mochte sich einreden, dass es an dem Wind und der Schnelligkeit lag, in der sie voranstürmten. Doch sie wusste innerlich, dass es Tränen der Hilflosigkeit, ja sogar des Zorns waren - denn auch wenn sie nun den Hafen direkt vor sich liegen sah, nur noch ein Paar hundert Meter entfernt, so ahnte sie doch mit immer größer werdender Gewissheit, dass sie nicht mehr verhindern konnte was nun geschah. Und sie hatte plötzlich Angst davor den Kai zu erreichen. ~~~oOo~~~ Wunden, gerissen von blutbesudelten Klingen, die niemals mehr verheilen würden. Langes, durch die Luft peitschendes, rotes Haar. Schweißgebadete Körper, unter deren Haut stahlharte Muskeln unablässig arbeiteten. Umherspritzendes, warmes und dunkles Blut. Wut- und schmerzverzerrte, beinahe maskenhafte Gesichter. Brennende Augen, den Tod direkt vor sich und doch unnachgiebig, und entschlossen. Keuchender Atem aus zwei zum Schrei geöffneten Kehlen. Takeo kannte keine Furcht mehr. Er kannte auch keinen Schmerz mehr - zumindest ließ er ihn nicht mehr an sich heran. Sein Leben war zu Ende. Er spürte es mit jeder Faser seines Körpers. Der Hitokiri in ihm hatte gesiegt. Er würde niemals mehr der Takeo sein, den die Menschen kannten, den Madoka liebte, und der Shidos Freund gewesen war. Und er wollte nicht, dass man ihn so sah. Was für Saito galt, das galt für ihn nicht weniger: Er würde vielleicht sterben. Aber er würde auch alles daransetzen, um den verhassten, lange gesuchten Feind mit sich in die Hölle zu nehmen. Es war gut, dass niemand von Takeos Freunden jetzt hier war, um Zeuge dieses letzten, blutigen Tanzes zu werden, Zeuge der Rückkehr des unbarmherzigen Mörders, den man den "Roten Schatten" nannte. Und ein "Roter Schatten" - das war er wahrhaftig. Über und über mit Blut besudelt, das Gesicht mit dunkelroten Schlieren überzogen, dass Haar schwer und feucht von Blut und Schweiß sah er aus, wie ein leibhaftiger Dämon, der aus den roten Feuern der Hölle gekommen war, um noch ein einziges Mal eine Seele zu fordern. So, wie er nun aussah, gab er den abstrakten, jedoch passenden Gegenpol zu Saito ab, der mit seinem verbrannten, verheerten Körper beinahe unermüdlich schien, und sich scheinbar dazu entschlossen hatte, seine Seele möglichst teuer zu verkaufen. Es wurde Zeit diese Farce zu beenden. Es war Zeit für die ultimative und letzte Attacke, die Takeo kannte. Auf diese Technik hatte er Jahre hingearbeitet und es hatte ihn wahrhaft viel Zeit und Selbstbeherrschung abverlangt sie zu meistern - aber letzten Endes war es ihm gelungen. Muto Koji, sein Ziehvater, hatte sie ihm gezeigt. Wie passend, sie nun seinem Mörder präsentieren zu können. Grimmige Freude wallte in dem Attentäter auf der er war, als Takeo sich nun einige Schritte rückwärtsgehend von Saito entfernte. Dieser hielt inne. Leises Erstaunen war in seinem Blick zu erkennen. Er beobachtete jede von Takeos Bewegungen sehr genau, als dieser nun die Hand auf das Heft seines Katana sinken ließ, die Battojutsu-Stellung einnahm - allerdings mit einem Unterschied: Er hatte den linken Fuß vorn, wo eigentlich der rechte vorn stehen sollte - und sich für einen neuen Angriff bereit machte. Doch selbst Saito konnte spüren, dass sich nun etwas geändert hatte. Der Hitokiri wirkte ganz ruhig, längst nicht mehr so voll von blindem Zorn und Mordlust wie gerade noch vor ein Paar Augenblicken. Was jetzt kam, war ein sehr genau überlegter und gezielter Angriff. Und der "Wolf von Mibu" begriff, dass er seinen Gegner wohl doch unterschätzt hatte - denn diese Technik war ihm gänzlich unbekannt. Takeo schloss die Augen. Er atmete tief und gleichmäßig. Körper und Geist wurden eins: Ein Wille, ein Ziel. Und er spürte wie ihn eine Kraft durchströmte, die zwar nur geliehen war, jedoch auch nur noch ein einziges Mal benötigt werden würde. Er spannte sich. Die lichtgleiche Geschwindigkeit, die er nun entwickeln würde und mit der er gleich angreifen würde, lag jenseits all dessen, was an herkömmlichen Attacken bekannt war. Es war DIE Mitsurugi-Geheimtechnik. Wenn Saito schon nicht genau sehen konnte, was Takeo wirklich vorhatte, so ahnte er jedoch, dass nun ein ernst zu nehmender Angriff erfolgen würde. Vielleicht ein tödlicher. Aber er war gewarnt. Gewarnt durch die eben etwas andere Ausgangsstellung, die der junge Hitokiri eingenommen hatte. Im Battojutsu war es üblich, auf dem rechten Fuß anzugreifen, damit man nicht Gefahr lief, sich beim Ziehen selbst zu verletzen. Wieso sollte der Hitokiri auf dem linken Fuß angreifen? Er würde sich nur selbst behindern. Saito nahm erneut die Gatotsu-Stellung ein. Leicht würde er es Takeo nicht machen. Auch er selbst hatte Varianten des Gatotsu-Angriffs entwickelt, die niemand kennen konnte außer ihm selbst. Er würde dem Attentäter ein kleines Präsent mit auf den Weg geben. Sekundenlang standen sich beide Gegner schweigend und schwer atmend gegenüber. Sie konzentrierten sich. Als der Angriff schließlich kam, da war es diesmal wahrhaftig so, dass man der Bewegung nicht mehr folgen konnte. Takeo schoss vor, während Saito den Angriff ruhig erwartete. Ein schwarzer Schemen vor dem samtenen Dunkel des Abendhimmels - Yamazaki schien zu fliegen. Die Klingen blitzten, reflektierten das letzte Licht des sterbenden Tages. Und jetzt erkannte der "Wolf", aus welchem Grund der Attentäter auf dem linken Fuß angegriffen hatte. Die Zeit schien stehen zu bleiben. In diesen wenigen Zehntelsekunden, schien Saito absurderweise klarer zu sehen als jemals zuvor. Takeo war mit dieser Art des Angriffs seinem Gegner von Anfang an und im wahrsten Sinne des Wortes einen Schritt voraus. Er drehte den Oberkörper und entwickelte ein derart atemberaubendes Tempo beim Ziehen der Klinge und gleichzeitigen Voranstürmen, als würde er wahrhaftig fliegen. Und noch etwas erkannte Saito in diesem Augenblick - und verstand es nicht. Takeo hatte sein Schwert wieder gedreht... Der Moment verging und die Zeit lief nun scheinbar doppelt so schnell weiter. Das Geräusch mit dem Takeos Waffe auf Saitos Schwert traf war markerschütternd. Ein Kreischen und Schreien, gleißend stoben Funken in die kommende Nacht. Das Geräusch berstenden Metalls. Dann war Takeo auch schon an seinem Gegner vorbei, kam hinter ihm zum Stehen, all das so schnell, dass man den Eindruck hatte, er hätte sich von einem zum anderen Standort teleportiert. Er atmete nicht einmal schneller als vorher, stand wieder in der Battojutsu-Haltung da, als würde er sich noch immer auf die Attacke vorbereiten, nicht, als hätte er sie soeben durchgeführt. Singend flog die Spitze von Saitos Katana davon, wirbelte blitzend durch das Dunkel und schlug klirrend auf dem Boden auf, wo es noch ein gutes Stück davonschlitterte. Zunächst sah es nicht danach aus, als wäre Saito überhaupt getroffen worden. Dann jedoch, mit einem seltsam dumpfen, reißenden Geräusch, platzte die restliche Kleidung und die Haut über seiner Brust bis hinab zur Hüfte mit einem jähen Ruck auseinander, gab eine Fontäne dunklen Blutes Preis, einen Strom pulsierenden Lebens, der beständig aus ihm herausströmte. Saito zuckte zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass auch eine stumpfe Klinge bei ausreichender Wucht solche Wunden herbeiführen konnte. Er gab keinen Laut von sich. Und wie durch ein Wunder blieb er auf den Beinen. Doch noch während Takeo mit fliegenden Haaren zum Stehen kam hatte Saito seine Überraschung überwunden, folgte der Bewegung des Hitokiri und wirbelte unerwartet zu ihm herum - etwas, womit Takeo eindeutig nicht gerechnet hatte. Noch nie zuvor war es vorgekommen, dass jemand nach diesem Angriff noch aufrecht stand. "Amakakeru-Ryo-No-Hirameku" war ein Angriff, den er selbst aus der von Muto Koji vermittelten Basis an Kampf-Techniken weiterentwickelt hatte. Hierbei war es nicht unbedingt notwendig zu töten. Takeo konnte die Heftigkeit des Angriffs variieren und zurücknehmen wenn er es wollte. Der Hitokiri beherrschte nun sein Handeln vollkommen. Doch ein letztes Mal hatte sich Takeo, der Vagabund, in ihm aufgebäumt und dafür gesorgt, dass er mit der stumpfen Klinge angriff und dass er so der Attacke die größte Wucht nahm. Der Attentäter in ihm schrie wütend auf, verlangte nach seinem Vorrecht, den Mörder seiner Zieheltern nicht zu schonen. Doch für einen weiteren Angriff reichte die Zeit nicht mehr. Saito, der weniger einem Menschen, als vielmehr nun einem leibhaftigen Dämon glich, war zwar - höchstwahrscheinlich tödlich - getroffen, dachte jedoch nicht daran zusammenzubrechen, sondern nutzte den Schwung seiner Drehung aus, sein zerbrochenes Schwert nach Takeos Rücken zucken zu lassen. Die Klinge riss die Kleidung und Haut des jungen Samurai von der linken Schulter bis hinunter zum Rückrad auf. Saito beendete seine Drehung jedoch noch nicht, sondern sprang vor, wirbelte noch in der Luft erneut um die eigene Achse und stieß von oben herab auf Takeo zu. Eindeutig handelte es sich auch hierbei um Gatotsu - allerdings in abgewandelter Form. Scheinbar hatte nicht nur Takeo eine Geheimtechnik entwickelt. Noch während Yamazaki versuchte, nach der ersten, schrecklichen Attacke nicht das Gleichgewicht zu verlieren und einen scheinbar schwachen Versuch unternahm, sich herumzudrehen und den Schwertarm zur Verteidigung zu heben, drang Saitos zerstörtes Katana bis zum Heft in seine Brust. Vom eigenen Schwung nach vorn gerissen, war er nun so dicht vor Takeo zum Stehen gekommen, dass dieser den Wahnsinn im Blick des "Wolfes" erkennen konnte - den Bruchteil einer Sekunde, bevor Saito vollkommen überrascht zu keuchen begann. Plötzlich trat Blut über seine verbrannten Lippen und Sekunden bevor seine Augen brachen flüsterte er leise, jedoch mit einem verkniffenen Lächeln: "Böses... muss... bestraft werden. Ich nehme meine Strafe... an." Er zitterte, seine Hand krallte sich in Takeos Kleidung. "Wir... sehen uns in der... Hölle..., Takeo...“ Saito sackte in den Armen des Hitokiri zusammen, fiel zu Boden, nun nur noch Fleisch und Knochen und vollkommen ohne Leben. Takeo zog sein Schwert aus dem Körper des Toten, in das Saito einfach hineingelaufen war. Er selbst blickte auf das Heft von Saitos Katana hinab, das mitten in seiner Brust steckte, und spürte, wie das Leben aus ihm wich. Er konnte seine Beine bereits nicht mehr spüren. Sein Blick verschwamm. Gleich. Gleich war es zu Ende. ~~~oOo~~~ Madoka schrie. Sie flog beinahe von Akumas Rücken, als die den Kai erreicht hatte und sich ihr das so gefürchtete und doch nun grausame Realität gewordene Bild bot, vor dem sie so viel Angst gehabt hatte. "NEIN! Takeo..!" Sie konnte sehen, dass der junge Mann bei ihrem Schrei langsam den Kopf hob. Dann taumelte er, seine Beine gaben nach und er brach an Ort und Stelle zusammen. Madoka lief wie von Furien gehetzt zu ihm. Sie erreichte ihn in dem Moment, als er endgültig in die Knie brach und sein Oberkörper nach vorn kippte. Mit weit ausgebreiteten Armen fing sie ihn auf. ~~~oOo~~~ Der Mond zog in diesen Tagen früh herauf. Zu sehen war davon jedoch bis zum Einbruch jener einen, scheinbar nicht enden wollenden Nacht nicht viel. Zu schlecht waren die Wetterverhältnisse der letzten Tage gewesen. Doch in dieser Nacht, jener einen Nacht, die auf so viel Tod, Verderben und Trauer herabsah, in dieser einen Nacht riss die Wolkendecke auseinander und gab einen Vollmond preis, der so hell strahlte, dass alles in silbernes Licht gebadet wurde. Verschwunden war das blutige Rot, in das alles um sie her getaucht gewesen war. Es gab nur noch die Schwärze tiefer Schatten und das Silber hellen Mondlichtes. In Takeos Augen spiegelte sich dieses Licht, als würde er in weite Ferne schauen und dort etwas unbeschreiblich Helles und Strahlendes sehen, etwas, das im Stande war all die Schatten dieses Tages und auch der Vergangenheit endgültig zu verdrängen. Madoka saß am Boden inmitten gefallener Krieger und getaucht in dasselbe Mondlicht, das Takeos Augen leuchten ließ. Sie hielt ihn im Arm. Sie konnte spüren, wie mit der pulsierenden Wärme seines Blutes, dass ihren Kimono tränkte, auch das Leben aus ihm wich. Langsam, aber unaufhaltsam. Sie wusste, dass er nicht überleben konnte. Aber sie wollte ihn nicht verlieren. Sie wollte ihn nicht gehen lassen. Noch nicht jetzt. Und eigentlich auch niemals... Sie weinte nicht. Der Schrecken und die Verzweiflung, die von ihr Besitz ergriffen hatten waren jenseits aller Tränen und breiteten sich wie eine betäubende Welle in ihren Gedanken aus, schienen sie zu lähmen. Sie war momentan zu einfach nichts anderem fähig als dazusitzen, ihren Geliebten festzuhalten und sich leise vor sich hin murmelnd vor und zurückzubewegen - den Verletzten scheinbar wie ein kleines Kind in den Armen wiegend. Zärtlich strich sie ihm das lange Haar aus dem Gesicht. Takeos Lippen bewegten sich leicht. Er stöhnte. "Es ist so still, Madoka... Ich höre sie nicht mehr. Die Stimmen... sie sind... fort...Die Stimmen all der Menschen, die ich..." Er lächelte. Tatsächlich brachte er es fertig zu lächeln, obwohl die Schmerzen unerträglich sein mussten. "Sie lassen mich gehen..." Madoka zitterte. Nicht vor Kälte, sondern aufgrund der beinahe schon überbordenden Gefühle, die sie gänzlich ausfüllten. Sie beugte sich hinab und küsste seine beängstigend kalten Lippen, dann lehnte sie ihre Stirn an seine und flüsterte: "Bitte hör auf zu sprechen, Takeo... Du musst deine Kräfte schonen... Halte durch, ich bitte dich…" Sie brach ab und presste die Lippen fest zusammen. "Madoka... Ich kann dich... nicht um Verzeihung bitten. Nicht... für etwas, dass zu tun mir bestimmt... und unvermeidlich war. Aber..." Er zuckte zusammen. Ein Schauer durchlief seinen geschundenen Leib und dunkles Blut trat auf seine Lippen. Er griff nach ihrer Hand, genauso wie es vor einigen Stunden Mamoru bei ihm selbst getan hatte. "Auch, wenn es anmaßend ist... bitte vergib... mir trotzdem. Ich musste es tun." Er keuchte plötzlich vor Schmerz, schloss gepeinigt die Augen. Als er sie wieder öffnete dauerte es eine Weile, bis er ihr Gesicht wieder fixiert hatte. Er blinzelte. Sein Blick verschwamm erneut und ungleich stärker als vorhin. Er konnte ihr Gesicht nur noch als hellen Schemen über seinem eigenen ausmachen. "Jetzt... bist du frei. Kehre zurück... in deine Zeit, Madoka-chan." Madoka drückte seine Hand. "Wie kannst du so etwas sagen? Weißt du überhaupt, was in mir vorgeht? Ich liebe dich! Und ich werde dich nie vergessen, dich nie hinter mir lassen können und auch nie frei von dir sein! Ich WILL es auch gar nicht!" Takeo hustete schwach. Es war, als könne sie seinen Schmerz am eignen Leib spüren. Sie strich sanft über seine Wange, über die Narbe. "Ich werde... nie wieder jemanden so sehr lieben, wie..." "Nein, Madoka..., das weißt du nicht. Du hast noch... ein ganzes Leben vor dir. Und ich... will das du glücklich wirst. Ich bin... ganz sicher, dass... es jemanden geben wird, der..." Abrupt krümmte sich sein Körper unter einem neuen, nie gekannten Schmerz in ihren Armen - und sie konnte nur dasitzen und seine Hand halten. Entsetzt schaute sie auf Takeo hinab; ihr Verstand hatte längst noch nicht begriffen, was hier geschah. "Mamoru...?", hauchte Takeo plötzlich leise und ungläubig. Madoka sah überrascht zu ihm hinunter. Sein Blick war an ihr vorbei auf einen unbestimmten Punkt gerichtet. Doch als sie hinter sich schaute, konnte sie niemanden sehen. Natürlich nicht. "Mamoru! Warte! Bitte..." Mit jähem Schrecken erkannte die junge Frau, dass ihr Takeo entglitt. Sie würde ihn verlieren. Nicht gleich, nicht in ein Paar Stunden oder Tagen, sondern JETZT. Takeo starb. Mit einem Ruck beugte sie sich vor und zwang sein Gesicht zu sich herum. "NEIN! Takeo, bleib bei mir, hörst du? Du MUSST wach bleiben! Sieh mich an! Bitte sieh mich an! TAKEO!" Noch immer keine Tränen. Allerhöchstens Hysterie. Panik. Nackte Angst. Sein Blick klärte sich. Zum letzten Mal sah er die junge Frau direkt und bewusst an. "Es ist gut so, Madoka. Du musst... mich gehen lassen. Ich danke dir. Für alles, was du mir... gegeben hast. Ich hatte es nicht verdient... Ich werde dir immer dankbar sein. Erst... in den letzten Wochen meines Lebens... habe ich wirklich und wahrhaftig... gelebt..." Er wandte den Kopf. "Siehst du... Er ist hier. Er... ist gekommen." Madoka sah überhaupt nichts. Aber das war auch nicht weiter verwunderlich, denn jetzt waren ihre Augen so voll von ungeweinten Tränen, dass sie kämpfen musste sie fortzublinzeln. Sie WOLLTE jetzt nicht weinen. Doch hinter ihr war auch nach wie vor niemand zu sehen. Takeo streckte die Hand aus, ihre Finger entglitten seinen. "Mamoru... Warte... ich..." "TAKEO!" Sie schrie und schüttelte ihn, drohte wirklich den Verstand zu verlieren. Dann sank er in ihren Armen zusammen, sein Körper fiel zurück und seine Augen, weit aufgerissen gen Himmel gerichtet, brachen, während seine Lippen noch die Worte formten, die Madoka noch nie laut von ihm hören durfte und doch immer so sehnlichst hatte hören wollen. Sie beugte sich vor und hielt ihr Ohr über seinen leicht geöffneten Mund. "I... ich... liebe... dich, Madoka..." Der letzte Atem entwich seinen Lungen wie ein langgezogenes, erleichtertes Seufzen. Seine Qual hatte endlich ein Ende gefunden. Es war vorbei. Madoka starrte ihn an. Sie hasste ihn. Sie hasste ihn dafür, dass er sie erst geliebt und dann allein gelassen hatte! Doch sie liebte ihn auch. Sie liebte ihn in diesem einen Augenblick noch um so viel mehr, als sie es ohnehin immer getan hatte und es war ihr, als risse ihr bei lebendigem Leibe jemand das Herz heraus, um es zu zertreten. Nie hatte sie größeren Schmerz erfahren - und sie sollte auch nie mehr etwas Vergleichbares erleben. Es tat so weh, dass sie nicht weinen, nicht atmen und sich nicht bewegen konnte. Beim ersten Mal, als sie wieder einatmete, entrang sich ihrer Kehle ein Schrei. Langgezogen und so traurig, wie sie es von sich selbst nicht kannte. Sie schluchzte und schrie, jedoch alles ohne auch nur eine einzige Träne zu vergießen. Dabei zog sie seinen leblosen Körper an sich wie eine überdimensionale Puppe, streichelte sein Gesicht und presste sich so fest an ihn, als wollte sie seinen erkaltenden Leib mit ihrem eigenen wärmen. Sie wollte sterben. Jetzt und hier. Wenn er sich nicht gewünscht hätte, dass sie lebte, glücklich wurde und in ihre Welt zurückkehren solle... Doch im Grunde schuldete sie ihm nichts. Dennoch würde sie ihm zuliebe durchhalten. Sie MUSSTE. Auch wenn ihr jetzt noch nicht klar war WIE. Und ungerührt schaute der Mond auf sie hinab. Ein kaltes, gefühlloses und unbarmherziges Auge am dunklen Nachthimmel, dem nichts entging. ********************************************************************************* Und hiermit verabschiede ich mich von meinem geliebten Haupt-Chara... *schnief* Ich habe lange mit mir gerungen, aber ich hielt es letztlich doch so für am Besten, da Madoka wahrscheinlich - und das hatte ich von Anfang an so geplant - auch wieder in ihre Zeit zurückkehrt . JETZT hat sie ja erst Recht nen Grund dazu... Jedenfalls--- *räusper*----hoffe ich doch sehr, dass es nicht allzu schwülstig geworden ist??? Ich mein, klar, das ist ein echt trauriger Moment und dementsprechend MUSSTE ich ja praktisch auf die Tränendrüse drücken - sowas tu ich gern, ich gebs ja zu *seufz*, aber ich hoffe euch ist das nicht zu viel und ging euch so an die Nieren wie mir selbst, die ich ja schon beim Schreiben beinahe geheult habe. Doch was nun folgt ist möglicherweise dem einen oder anderen NOCH schwülstiger, noch trauriger. Jetzt kommt die Trauer. Hier natürlich insbesondere Madokas. Und die wollte und will irgendwie (auch bei mir selbst) nicht so schnell aufhören.... Gruß von eurer momentan leider recht gestressten Mado-chan^^ PS: Meinen treuesten Lesern ein DICKES Bussi! Es macht gleich nochmal so viel Spaß, wenn man so liebe Leute kennt, die das auch lesen wollen! DANKE!^^ *umarm* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)