Die Weiße Schlange von MorgainePendragon ================================================================================ Kapitel 31: Schatten der Vergangenheit -------------------------------------- Hier am Hafen der alten Kaiserstadt war das Feuer bereits erloschen. Zwei Gestalten, am Zügel ein Pferd hinter sich führend, waren als flache Schatten in dem Nebel und Rauch zu erkennen, der in dichten Schwaden über das jetzt beinahe gespenstisch ruhig daliegende Schlachtfeld waberte. Der Regen war einem permanenten, nervenzehrenden Nieseln gewichen und das Gewitter war endlich weitergezogen. Hier und da riss ein schwacher Windstoß die Rauchschleier auseinander und enthüllte ein erschreckendes, beängstigendes Bild. Ruinen verbrannter Häuser ragten wie schwarze Schatten aus der Glut noch glimmender Asche empor. Überall lagen Menschen. Tot, mit gebrochenen Augen gen Himmel starrend, auf eine Gnade hoffend, die ihnen nun nicht mehr zuteil werden konnte. Abgetrennte Gliedmaßen lagen in einem Meer von dunklem Blut. Hier und da war das Stöhnen eines Leidenden oder Sterbenden zu hören - doch es waren einfach zu viele Opfer, um ausmachen zu können wer von ihnen noch lebte und wer nicht. Verendete Pferde waren ebenfalls in großer Zahl vorhanden. Doch am schockierendsten war wohl die grausame Tatsache, dass auch etliche Zivilisten, Kinder - 'Gott, sind das wirklich Kinder?', fragte sich Takeo entsetzt - unter den Opfern zu finden waren. Der Wind trug den widerlichen Geruch von Schweiß, Blut und Tod mit sich. Auch lag nach wie vor ein deutlicher Brandgeruch über der unwirklichen Szene. Takeo und Shido bahnten sich vorsichtig einen Weg durch die leblosen Körper. Als sie die Kaimauer erreichten konnten sie sehen, dass die Wellen des Wassers träge und zäh gegen den Stein brachen. Blut hatte das Hafenbecken in unmittelbarer Nähe der Anleger dunkelrot gefärbt. Blasse, ungelenke Körper bewegten sich in der leichten Strömung. Draußen auf See brannte nach wie vor eines der großen Schiffe. Von den anderen beiden Seglern war keine Spur mehr zu sehen. Takeo hörte den klagenden Schrei einer Möwe hoch über ihren Köpfen und ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Wenn er einen Blick den Hügel hinauf zurückwarf, auf dem Kyoto errichtet worden war, dann konnte er sehen, dass das große Feuer nach wie vor wütete. Hier jedoch hatte es scheinbar nicht mehr genug Nahrung gefunden. Schwarz hingen die Wolken über der Stadt und der junge Samurai fühlte sich unwillkürlich an seine Kindheit erinnert - an die Katastrophe von damals. Und an... Mamoru. Wo war Mamoru? Wo hatten sie ihn zurückgelassen? Takeo begann immer unruhiger direkt am Kai entlangzugehen, jeden Meter Boden nach seinem toten Bruder absuchend. Irgendwo... Er musste noch hier irgendwo... Und dann verriet ihm das dunkelrote Haar, dass seinem eigenen so ähnlich war, wo sich sein Bruder befand. Halb unter der gefallenen Gestalt eines Shinsengumi-Kriegers vergraben konnte Takeo den blutbesudelten Leib Mamorus ausmachen. Er lief zu ihm hinüber und zerrte verbissen den toten Körper von ihm herunter. Shido folgte ihm, blieb jedoch neben ihm stehen und rührte keinen Finger ihm zu helfen. Er hatte den ganzen Weg hierher nicht ein Wort gesagt und es war klar, was er von Takeos wahnwitziger Idee hielt noch einmal hier zum Hafen zurückzugehen. Aber er wollte ihn auch nicht allein gehen lassen. Seine ohnehin vollkommen... überflüssige Eifersucht wurde angesichts des Grauens hier am Hafen zu einem bedeutungslosen Nichts. Und im Vergleich zu der Qual, die er nun auf Takeos schmalen, blassen Gesichtszügen erkennen konnte, war sie sogar eher ein ausgesprochen LÄCHERLICHES Nichts... Betreten ließ Shido-san den Kopf hängen. Takeos Gesicht zuckte - aber er vergoss nicht eine Träne. Behutsam strich er Mamoru das Haar aus den Augen. Kalt fauchte der Wind über den Kampfplatz, riss einmal mehr die Rauchschlieren auseinander und ließ die schräg in den Angeln hängende Tür einer nur noch zur Hälfte vorhandenen Fischerhütte schlagen. Shido wollte sich soeben in Bewegung setzen, um seinem Freund, dessen traurigen Anblick er kaum noch ertragen konnte, nun doch zu helfen Mamoru zu bergen, als hinter ihnen eine Stimme leise und vollkommen gefühllos sagte: "Ich wusste, dass du zurückkehrst. Nur du konntest so... dumm sein, hier wieder aufzutauchen, Yamazaki Takeo. Und dies wird dein letzter Fehler gewesen sein." Auch ohne sich herumzudrehen wusste Shido wer da hinter ihm stand - auch wenn er es jetzt NOCH weniger glauben konnte, als noch beim letzten Mal. Es war Saito. Der "Wolf von Mibu" war anscheinend einfach nicht tot zu kriegen. Ungläubig, ja beinahe entsetzt drehte Shido sich nun doch herum, gewahrte jedoch aus dem Augenwinkel, dass Takeo nicht die kleinste Reaktion zeigte und nach wie vor nur Augen für seinen toten Bruder hatte. Der Anblick Saitos traf Shido wie ein Hieb in die Magengrube und ließ ihn schlagartig vor Entsetzen die Luft anhalten. Er konnte FÜHLEN wie sein Gesicht auch noch das letzte bisschen Farbe verlor. "T...Takeo...", flüsterte er krächzend. Er brachte keinen weiteren Laut hervor - war jedoch auch zugleich unfähig den Blick von der grauenhaft entstellten, beinahe nur noch karikaturistisch an einen Menschen erinnernden Gestalt zu wenden. Saito Hajime, einer der größten und mächtigsten Männer in den Reihen der berüchtigten Samurai-Schutztruppe der Shinsengumi, lebte nicht mehr. Er KONNTE gar nicht mehr leben. Das war schlichtweg unmöglich. Dennoch stand dieses... Etwas mit vier an Arme und Beine erinnernden Gliedmaßen direkt vor ihnen, ohne zu schwanken und hoch aufgerichtet. Blut. Überall war Blut. Blankes, bloßgelegtes Muskelgewebe blitzte unter Eiter und rußgeschwärzten Brandwunden hervor. Die Kleidung war praktisch nicht mehr vorhanden. Ebenso wenig wie das Haar. Doch das Grauenhafteste überhaupt war sein Gesicht. Es war dermaßen entstellt, dass man Saito nur noch an seiner Stimme überhaupt erkennen konnte. Ein Auge fehlte. An seiner Stelle gähnte ein nässendes, dunkles Loch, aus welchem permanent Blut lief und das Gesicht in eine verwüstete Kraterlandschaft aus hellen und dunklen Flächen verwandelte. Ein Teil der linken Wange war weggerissen und man konnte sehen, wie die Zähne dahinter mahlten. Doch was Shido ein für alle Mal und vollkommen davon überzeugte, dass dieses Wesen, das einmal Saito Hajime gewesen war, TATSÄCHLICH noch lebte, war das übrig gebliebene Auge. Es war das Auge eines Dämons. Shido hatte diesen Blick, zumindest etwas ähnliches, schon einmal gesehen. Groß, mit geweiteten schwarzen Pupillen in einem Meer aus geronnenem Blut. Die Augen des Halbdämons Yasha hatten so ausgesehen, als seine dämonische Seite in ihm übermächtig wurde. Und jetzt stand hier vor Shido und Takeo ein Mann, der keiner mehr war und in dessen Augen der Wahnsinn und der Blutdurst eines wahren Dämons wüteten. Shido sah sich außerstande auch nur einen Finger zu rühren. Wie ein Kaninchen beim Anblick des Fuchses war er wie versteinert stehen geblieben und starrte seinen Todfeind an. So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen - und wollte es auch niemals wieder sehen, wenn er denn noch eine Wahl haben würde... Es war... beängstigend. Unheimlich und grauenvoll... Selbst diese Worte trafen es nicht wirklich. Kanzaki Shido litt Todesangst. Er wusste genau: Dieses... Geschöpf vor ihm war jenseits von Tod oder Leben. Ein unglaublicher Wille schien ihm einen grausamen Streich zu spielen und dem ohnehin schon verwesenden Leib den Tod vorzuenthalten. Etwas hatte Besitz von Saito ergriffen. Der "Wolf von Mibu" war besessen. Und Shido wollte um keinen Preis herausfinden, wovon... Der junge Mann fuhr heftig zusammen, als er plötzlich, ganz leicht nur, eine Hand auf seiner Schulter spürte. Erschrocken stieß er sie Luft aus, die er zuvor so krampfhaft angehalten hatte und blickte erstaunt in Takeos unbewegtes, ruhiges Gesicht. Die dunklen Augen des Freundes blickten nach wie vor traurig und noch tiefer in ihnen glaubte Shido eine Qual zu erkennen, die an die Grenzen des überhaupt Erträglichen reichte. Aber seine Gesichtszüge waren ruhig und unbewegt. Er lächelte sogar leicht. Shido konnte es einfach nicht fassen. "Es ist gut, Shido-san. Geh. Überlass Saito mir." Takeos Stimme war so ruhig und emotionslos wie sein Gesicht. Und Shido hatte überhaupt nicht bemerkt, dass er hinter ihn getreten war. Saitos blutunterlaufenes, glühendes Auge richtete sich auf Takeo, saugte sich an ihm fest - und mit einem Mal glaubte Shido zu ahnen, von was, vielmehr von WEM, der "Wolf" so besessen war. Saitos abruptes, böses Lächeln ließ Blut zu Boden regnen. "Du bist ja geradezu versessen darauf zu sterben, Kleiner. Ich hab nicht vor dich zu schonen. Du bist der Dorn in meinem Auge, der Stachel in meinem Fleisch, das Geschwür im Gefüge des Shogunat-Systems. DU bist derjenige, der für die Vernichtung der Shinsengumi zahlen wird." Shido wollte etwas sagen, doch Takeo ergriff ihn erstaunlich fest am Arm, führte ihn ein Stück zur Seite. "Ich werde mich dir stellen, Saito.", sagte der junge Samurai über die Schulter an den "Wolf von Mibu" gewandt. "Ich werde nicht mehr fliehen. Doch mein Freund hier hat nichts damit zu tun. Dies ist eine Sache zwischen dir und mir, die wir als letzte noch übrig sind von beiden gegnerischen Parteien." Saito lachte gurgelnd. Es war ein Geräusch, das Shido einen Schauer über den Rücken jagte. Doch noch mehr beunruhigte ihn der entschlossene Gesichtsausdruck seines Freundes, als er ihn nun ansah. Saito wartete tatsächlich ab. Das stand in gravierendem Kontrast zu der Mordlust in seinen Augen. Doch Shido verstand nun mit einem heftigen Anflug von Angst um seinen Freund, dass dieser brennende Hass ausschließlich Takeo galt. Bevor er jedoch einen entsprechenden Kommentar abgeben konnte hatte Takeo ihn bereits zu der Leiche seines Bruders geführt. "Kümmere dich bitte um Mamoru, Shido-kun. Bring ihn fort von hier und beerdige ihn an einem friedlicheren, ruhigeren Ort, ich bitte dich. Versprich mir, dass du alles tust, damit Mamoru die Ruhe findet, die er verdient." Shido sah Takeo aus weit aufgerissenen Augen an. "D... Das ist jetzt nicht dein Ernst, Takeo? Ich werde doch nicht..." "Doch, das wirst du. Geh zurück zu den anderen und komm nicht wieder hierher zurück. VERSPRICH ES MIR." Takeo hatte nicht wirklich die Stimme erhoben, aber er klang nun so eindringlich, dass Shido klar sein musste, dass Widerspruch zwecklos war. Aber er versuchte es dennoch - verzweifelt, traurig und völlig verwirrt. "Aber... Takeo was soll das denn! Komm, lass uns dem Verrückten den Rest geben und dann verschwinden! Gemeinsam!" Er trat vor und begann seinen Freund zu schütteln. "Takeo! Lass uns gehen!" Der junge Samurai schüttelte den Kopf und trat zurück. Shidos Arme fielen herab, als hätte ein sadistischer Puppenspieler beschlossen die Fäden durchzuschneiden, an denen sie hingen. Blankes Entsetzten spiegelte sich in seinem Blick. "Was zum..." "Es ist in Ordnung, Shido. Es gibt nur noch eine einzige Sache für mich, die ich erledigen muss. Das, was dort...", er deutete zu Saito hinüber, "... in diesem Mann wütet, was ihn am Leben erhält ist das, was mich zwingt hier zu bleiben und mich ihm zu stellen. Er würde mich verfolgen, wenn ich es nicht tue. Vielleicht nicht in dieser Gestalt, aber ganz sicher mein ganzes restliches Leben lang." Shido schüttelte den Kopf. Er konnte, nein, er WOLLTE das alles nicht hören. "Shido. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst. Aber ich werde keine Ruhe finden, wenn ich nicht das, was mich zum Mörder hat werden lassen, endgültig vernichte." "Indem du WIEDER tötest?", schrie Shido außer sich. "Das kann nicht dein Ernst sein! Wenn du auch nur einen weiteren Mord begehst..." "... kann es sein das ich nicht wieder zurückfinde und der Hitokiri in mir das verdrängt, was deinen Freund ausmacht. Ich würde vielleicht niemals wieder der sein, den du kennst." Shido öffnete den Mund, schloss in dann wieder und schoss dann in seine Richtung: "Du bist komplett wahnsinnig! Du bist ja völlig verrückt! Wenn du das schon weißt, Takeo, warum dann? WARUM? Du hast ein LEBEN, verdammt noch mal! Und du wirst gebraucht! ICH brauche dich! Madoka braucht dich! Findest du nicht, dass es einfach nur zu bequem ist sich als Sündenbock hinstellen zu lassen und zu büßen? Du bist doch nicht SCHULD an all dem Desaster! Der ganze, verdammte Krieg hätte auch ohne dich stattgefunden!" Takeo sah ihn milde lächelnd an. Das machte Shido noch rasender. "Du verstehst mich immer noch nicht, Shido-kun.", sagte Takeo jetzt. "Ich habe mit keiner Silbe erwähnt, dass ich mich für den Krieg verantwortlich mache. Es geht hier lediglich..." "... um DICH!", schrie Shido und Tränen rannen ihm über das Gesicht. "Es geht IMMER nur um dich! Denk doch auch ab und zu an deine Mitmenschen, deine Freunde!" Takeo schüttelte den Kopf. "Es geht nicht um mich. Nicht nur. Es geht um die Menschen, die durch den Attentäter zu Tode gekommen sind. Ich hatte geglaubt, die Stimmen in mir, die nach Rache und Vergeltung verlangten, seien verstummt. Ich WOLLTE es glauben. Madoka hat mir gezeigt was es heißt, mit der Vergangenheit zu leben, sie zu akzeptieren als einen Teil meines Lebens. Sie hat mir beigebracht, wie ich dennoch mein Leben leben kann, wieder lachen kann. Sie hat mir Liebe gegeben, wo ich keine verdient hätte. Und ich... ich durfte erfahren wie es ist, jemanden so sehr zu lieben, dass man kaum atmen kann, wenn die geliebte Person mal nicht in der Nähe ist. Aber Madoka hat ein eigenes Leben. Wir haben das Glück, das wir teilen durften, gestohlen. Sie weiß es. Ich weiß es auch. Und diese Welt ist nicht ihre Welt. Eines Tages wird sie froh sein, dass ich sie losgelassen habe." Shido wurde zornig. "Dann hättest du sie niemals so nah heranlassen dürfen! DU redest von Liebe - und tust dem Menschen, den du am meisten gern hast das größte Leid an, indem du dein Leben für falschen Stolz und schlechtes Gewissen aufs Spiel setzt!" "Shido, ich KANN ihr nicht geben wonach sie sich sehnt, wenn ich JETZT nicht meine Vergangenheit ENDGÜLTIG abschließe und hinter mir lasse! Wenn ich mich diesem Hass, diesem Zorn, den Saito im Moment verkörpert, nicht stelle, dann wird das Leid NIEMALS EIN ENDE HABEN! Ich würde JEDES MAL wieder in mein altes Ich zurückfallen, zum Attentäter werden, selbst beim geringsten Anlass! Mamorus Tod hat mir sehr deutlich gezeigt, dass ich mir etwas vorgemacht habe wenn ich dachte es sein vorbei. LIEBE REICHT NICHT AUS, UM MEINE SCHULD ZU SÜHNEN UND DEN ATTENTÄTER ZU VERNICHTEN!" Beide standen schwer atmend voreinander. "Du wirfst dein Leben weg.", sagte Shido bitter. Takeo sagte längere Zeit nichts. Saitos Blick glitt erwartungsvoll von einem zum anderen. Er schien den Streit zu genießen - trotz der Qualen die er leiden musste. Aber weder Takeo noch Shido waren sich sicher, ob er das noch wirklich spüren konnte. Vielleicht war Saito schon nicht mehr genug Mensch, um so etwas wie körperliche Schmerzen zu empfinden. Eile schien er jedenfalls keine zu haben. Er war sich seines Opfers wohl sehr sicher. "Vielleicht werde ich sterben, ja.", sagte Takeo nun langsam. "Aber mit mir wird das vernichtet werden, was den Attentäter ausmacht. Ich werde nie wieder Gefahr laufen jemanden, den ich liebe, zu verletzen. Und der Zorn und Hass der Menschen, die ich um ihr Leben gebracht habe, wird mit mir vergehen, denn so etwas wie das dort...", erneut deutete er auf das, was einmal Saito Hajime gewesen war, "... wird es niemals wieder geben. Dies ist mein eigener, ganz persönlicher Geist, mein Alptraum - und er wird in dieser oder anderer Form immer wiederkehren und von mir Sühne verlangen, wenn ich mich jetzt nicht meinen Taten stelle." Saito machte eine ungelenke, spöttische Verbeugung. "Gestatten? Yamazakis persönlicher Alptraum - direkt aus der Hölle." Er grinste - und Shido begann es zu glauben, denn sein beinahe bis auf den Knochen verbrannter Schädel wirkte wie ein mit blutigen Hautfetzen überzogener Totenkopf. Gott, das alles war so... surreal! "Ich lasse dich nicht gehen, Takeo.", flüsterte Kanzaki leise. "Shido..." "Ich sagte, ich rühre mich hier nicht weg! Du bist verrückt und weißt nicht mehr was du tust! Ich werde mit dir gemeinsam kämpfen!" "In deinem Zustand?", Saito feixte. "Das möchte ich sehen..." Shido fuhr herum und wollte sich ohne Umschweife auf ihn stürzen, doch eine schmale, schlanke Klinge, die plötzlich an seiner Kehle lag, ließ ihn mitten im Schritt verharren. Takeo hatte blitzschnell eines seiner Kodachi-Schwerter gezogen. "Keinen Schritt weiter, Shido. Zwing mich nicht dich zu..." "Was denn?", fauchte Shido böse. "Mich zu verletzen? Mich zu töten? Fängst du mit mir an und machst dann bei "deiner Vergangenheit" weiter? Ist ja praktisch ein Abwasch..." Jetzt wurde der bislang immer ruhig gebliebene Takeo wirklich zornig. "Shido, es reicht! Geh bitte! Und nimm meinen Bruder mit." Kanzaki-san presste die Lippen so hart aufeinander, dass sie weiß wurden. Ohne ein weiteres Wort und mit verbissenem Gesichtsausdruck drehte er sich mit einem Ruck herum. Er ging zu Mamoru hinüber, bückte sich und hob den leblosen Körper auf seine Arme. Behutsam legte er den Leichnam über den Sattel des Pferdes und wollte ohne Umschweife ebenfalls aufsitzen, als er noch einmal Takeos Stimme hörte. "Bitte, versuche mich zu verstehen, Shido-kun. Ich muss es tun. Ich kann sonst nicht weiterleben." Shido seufzte. Er drehte sich nicht herum. "Bist du sicher, dass es nicht nur Rache für den Mord an deinem Bruder ist, die dich da antreibt? Vielleicht machst du dir selbst nur etwas vor." Takeo trat näher. "Vielleicht. Aber es läuft für mich auf dasselbe hinaus. Ich muss mich dem stellen." Jetzt drehte sich Shido doch zu seinem Freund herum. Tränen hatten helle Spuren in dem Ruß und Schmutz auf seinen Wangen hinterlassen. "Takeo... Was... soll ich nur Madoka sagen? Du MUSST zurückkommen! Du MUSST einfach!" Der junge Samurai lächelte leicht. Er hob die Hände und löste die Kette von seinem Hals, reichte sie Shido-san. "Gib ihr das zurück. Sage ihr, dass ich mich nicht verabschiedet habe und mein Bestes tun werde meine Vergangenheit und auch Saito zu vernichten. Aber falls ich nicht zurückkommen sollte..." Er schwieg kurz und fuhr dann mit sichtlicher Überwindung fort: "Sag ihr, ganz egal was passiert und was kommen wird, ich werde bei ihr sein. Immer." Shido lächelte schief, doch seine Augen blieben ernst. "Und ganz egal was du sagst: Das WAR gerade ein Abschied..." Er schüttelte wieder den Kopf und schaute seinem Freund sehr lange und sehr intensiv in die Augen. "Ich habe dir nicht den Hals gerettet, damit du dein Leben wegwirfst. Ich denke, das weißt du. Wenn du nun also diesen Kampf so unbedingt und allein ausfechten willst, dann glaube ich dir wenn du sagst, dass es für dich sehr wichtig, vielleicht lebensnotwendig ist. Ich vertraue dir, Takeo. Ich habe es immer getan. Es tut mir Leid." Shido schloss die Finger um die Kette mit dem silbernen Schlangenanhänger. "Kümmere dich um Madoka, Shido. Bitte hilf ihr zurück in ihre Zeit zu finden. Wirst du das für mich tun?" Shido sah in Takeos blaue, entschlossene Augen . "Ich hoffe doch sehr, dass du ihr SELBST helfen wirst, Takeo-chan." Der andere sagte nichts, sah ihn nur noch fragender an. "Also schön, ja, ich WERDE ihr helfen. Aber bitte fass das jetzt nicht als Freifahrtschein zur Hölle auf. Wir erwarten alle, dass du es schaffen wirst. Du kannst es, ich weiß das. Du kannst es besiegen." Shido schaute über Takeos Schulter zu Saito hinüber, der scheinbar immer noch geduldig auf den Showdown wartete und unablässig grinste. "Und er dort...", Shido deutete mit dem Kopf in seine Richtung. "Er mag ein Idiot und vollkommen rachebesessen sein - aber eines muss man ihm lassen. Dass er uns diesen Moment geschenkt hat ist anständig von ihm." Er blickte hinab auf seinen Freund, der gute eineinhalb Köpfe kleiner war als er selbst. Es schnürte ihm die Kehle zu ihn dort mit hängenden Schultern stehen zu sehen, das dunkelrote Haar stumpf und verklebt von Schmutz, die Kleidung in Fetzen. Der Verband rund um seinen Torso war dunkel von bereits wieder eingetrocknetem Blut. Wortlos trat er vor und umarmte den Freund. Es war eine kurze, jedoch sehr warme und herzliche Umarmung. 'Also ist es wirklich ein Abschied.', dachte er traurig. Und als Kanzaki Shido sich auf Akumas Rücken schwang und das Pferd sich durch das Meer von toten und verletzten Körpern einen Weg vom Schlachtfeld suchte, blickte er nicht zurück. Doch er wusste sehr genau: Er hatte seinen besten Freund womöglich soeben zum letzten Mal lebend gesehen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)