Die Weiße Schlange von MorgainePendragon ================================================================================ Kapitel 22: Mamoru ------------------ Das Feuer sengte sein rotes Haar an und ließ seine Kleidung schwelen. Überall regneten glühende Funken und verbrannte Asche nieder und die Luft war beinahe zu heiß zum Atmen. Um ihn herum herrschte ein wahres Inferno. Die Stadt brannte. Hoch loderten die alles verschlingenden Flammen empor und färbten den Himmel dunkelrot. Schwarze Rauchsäulen bildeten eine undurchdringliche, unnatürliche Wolkendecke, welche die gesamte Stadt einzuhüllen schien. Mamoru hörte Schreie. Es hatte eigentlich niemals aufgehört: Das Schreien der Verletzten und der verzweifelt flüchtenden Menschen. Aber Takeo hatte ihm gesagt, dass er genau hier warten sollte. Er würde mit Hilfe zurückkommen. Und Mamoru vertraute seinem um wenige Minuten jüngeren Zwillingsbruder mehr als jedem anderen Menschen auf der Welt. Als das Dach der alten Gedenkstätte eingestürzt war, hatte Takeo noch versucht ihn zur Seite zu stoßen, um ihn aus der Gefahrenzone zu bringen - dennoch hatte ihn ein Teil der herabstürzenden Dachbalken gestreift und schwer am rechten Bein verletzt. Er konnte kaum noch laufen und die Menge an Blut, die er verlor, machte ihm Angst. Aber Takeo war bei ihm gewesen. Er hatte beruhigend auf ihn eingesprochen und gesagt, dass er ihn nicht im Stich lassen würde. Beide hatten entsetzt mit ansehen müssen, wie man ihre Eltern tötete und ihre jüngeren Geschwister schändete, um sie dann ebenfalls umzubringen. Sie waren blindlings geflohen, hinein in das Flammenmeer, in das sich das vertraute Kyoto verwandelt hatte. Nachdem Mamoru verletzt worden war hatte Takeo ihm eingeschärft hier, an dem kleinen Kanal, der die Stadt auf ganzer Länge teilte, auf ihn zu warten. Hier am Wasser war er zumindest vor der größten Wut der Flammen sicher. Aber Takeo kam nicht. Mamoru wartete. Viele Stunden. Er weinte und verstand einfach nicht, was seinen Bruder so lange aufhalten mochte. Und dann, in den frühen Stunden des nächsten Morgens, in denen die Flammen kaum noch Nahrung fanden und die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt hatten, fiel ein Schatten über den kleinen Jungen, der zusammengekauert am Ufer des Kanals hockte. Als er sich herumdrehte stand hinter ihm ein Hüne von einem Mann. Es sah nicht so aus, als käme dieser furchterregende Kerl aus der Stadt, denn seine Kleidung war sehr fein und musste teuer gewesen sein. Zudem war nicht ein Hauch des Feuers sichtbar an ihm vorübergegangen: Er war völlig unversehrt. Mamoru starrte ihn mit großen Augen an - und sein ganzes Leben lang sollte ihn der Blick aus den grauen, kalten, gefühllosen Augen dieses Mannes verfolgen. Der Hüne wandte den Kopf: "Hey, Kurosaki! Hier ist noch einer. Und der sieht auch noch ganz gesund aus. Für den werden wir ganz sicher einen guten Preis erzielen." Mamoru lief bei diesen Worten ein eisiger Schauer über den Rücken, doch er war unfähig sich zu rühren oder gar zu wehren, als übermäßig stärke Hände nach ihm griffen und ihn fesselten. Sie warfen sich das Kind wie einen nassen Sack über die Schultern, und als der Junge nun doch aus seiner überraschten Lethargie erwachte und anfing zu schreien, da lachten sie nur und der Riese sagte mit kalter, unbeteiligter Stimme: "Schrei so viel du willst, hier hört dich ja doch niemand mehr. Sie sind alle tot oder geflohen." Und Mamoru schrie. Er schrie und schrie den Namen, den er auf der ganzen Welt am meisten geliebt hatte und der zu einem Menschen gehörte, der ihn allein gelassen hatte, obwohl er versprochen hatte es niemals zu tun. 'Takeo... Wo bist du?' ~~~oOo~~~ Schweißgebadet und mit jagendem Herzen fuhr Mamoru aus dem Schlaf. Sekundenlang lag er keuchend da, und versuchte krampfhaft seinen Atem zu beruhigen. Takeo... Es war alles Takeos Schuld. Er hatte ihn allein gelassen. Er hatte ihn im Stich gelassen. Es war seine Schuld, dass er damals in die Hände einer Verbrecherbande geriet, die mit Menschen handelte. Es war seine Schuld, dass sie ihn an ein Stricher-Haus verkauften, wo er den Kunden zu Willen sein musste, wo man ihn vergewaltigte, schlug und auf alle nur möglichen anderen Arten misshandelte. In diesem Moment konnte er jede einzelne Narbe, die er damals davontrug, schmerzhaft brennen fühlen: Narben von Peitschenhieben, Narben von glühendem Eisen oder Zigarren, die man ihm in die Haut gedrückt hatte, Narben von Messern und Nadeln... Es war entwürdigend, grausam und unmenschlich gewesen was man ihm angetan hatte. Und mit jedem einzelnen Peitschenhieb, mit jeder weiteren Brandnarbe, die man ihm zufügte, hatte er Takeo verflucht, hatte geschworen ihn zu finden und dafür büßen zu lassen, dass er ihn hier, in dieser seiner eigenen Hölle, im Stich ließ. Ja, er HASSTE Takeo! Aber er war auch verzweifelt unglücklich gewesen. Warum nur? Warum hatte er ihn verlassen? Eines Tages war Mamoru dann seinen Häschern davongerannt, hatte sich tagelang versteckt, als man nach ihm suchte, und nur von Abfällen in der Gosse gelebt. Aber er hatte es tatsächlich geschafft zu fliehen. Später hatte ihn eine Einheit der Shinsengumi aufgegriffen. Da er in seinem damaligen Alter bereits ein gewisses Talent als Schwertkämpfer an den Tag legte, nahm man ihn bei der Samurai Schutztruppe auf und bildete ihn aus. Zu jener Zeit war die Shisengumi noch hoch angesehen. Die sogenannte Meiji-Restauration, welche die Abschaffung des Shogunat-Systems und damit verbunden natürlich auch das Ende der Shinsengumi zur Folge hatte, war gerade dabei bedrohliche Ausmaße anzunehmen. Man war über jede helfende Hand froh, die bereit war sich gegen die neue Regierung zu erheben. Und Mamoru genoss schon bald hohes Ansehen unter den Männern der Shinsengumi. Er war Kondo Isamis persönlicher Attachè, der wiederum Oberster Kommandeur aller Shinsengumi-Einheiten war - und wurde gar nach dessen Tod an der Seite von Hijikata Toshizo und Saito Hajime zum offiziellen Führer der Kyotoer Truppen ernannt. Er hätte glücklich sein können. Er hätte vielleicht sogar vergessen können, was ihm angetan worden war. Aber die Restauration und ihre kaisertreuen Anhänger machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Es war bei einem Scharmützel am Hafen gewesen, als er seinem Bruder das erste Mal seit Jahren wieder gegenüberstand. Er war sein Feind geworden und kämpfte für die Restauration als Attentäter. Mamoru war ebenso überrascht gewesen ihn zu sehen, wie Takeo es auch bei seinem Anblick zu sein schien. Takeo hatte versucht mit ihm zu reden - aber Mamoru hatte ihn auf der Stelle festnehmen lassen. Endlich war die Zeit für seine Rache gekommen! Und er ließ Takeo foltern - viele Tage lang. Er ergötzte sich an dessen Schreien und hörte in ihnen das Echo seiner eigenen, qualvollen Hilferufe, als man ihn geschändet und misshandelt hatte. Er schrie ihn an, warum hatte er ihn damals im Stich gelassen? "Oh, Gott, Mamoru! Man sagte mir du seiest TOT! Ich bin so schnell zurückgekommen, wie ich konnte - aber du warst nicht mehr dort, wo ich dich zurückgelassen hatte! Da waren... ein paar Männer. Sie hatten deine Hakama gefunden - blutverschmiert! Sie sagten du seiest getötet und anschließend in den Kanal geworfen worden! Ich habe um dich getrauert, verdammt noch mal!" Takeo war außer sich. Doch Mamoru hatte es nicht hören wollen. Er quälte ihn weiter. Er ließ Takeo bluten für die Tatsache, dass er zu spät gekommen war an jenem furchtbaren und ascheverhangenen Morgen in Kyoto. Und seine Qual, seine Schreie, waren Balsam für Mamorus geschundene Seele. "Glaub mir, bitte!", schrie Takeo unter unsäglichen Schmerzen. "Ich dachte du seiest umgebracht worden!" "Hätte man es doch nur getan!", brüllte Mamoru wie von Sinnen zurück. "Dann wäre ich in eine freundlichere Hölle gekommen als in die, in welcher ich mich die folgenden zwei Jahre wiederfand! DU HAST KEINE AHNUNG WAS SCHMERZ BEDEUTET! ICH WERDE ES DIR ZEIGEN!" Aber Takeo war befreit worden - von einem von Okita Sojis Männern. Mamoru hatte Kanzaki Shido nicht wirklich gekannt - wie das nun manchmal so war mit Vorgesetzten und Untergebenen. Aber der Name sagte ihm dennoch etwas, als man ihm eines morgens mitteilte, dass Kanzaki geflohen war und den Gefangenen mitgenommen hatte. Einmal mehr schwor Mamoru bittere Rache. Und das nächste Mal, wenn er ihn sah, würde er Takeo töten. Doch als sich Mamoru nun auf seinem Futon aufsetzte spürte er Tränen auf seinen Wangen. Warum nur hatte es so weit kommen müssen? "Takeo... Verdammt..." In diesem Augenblick vernahm er leises Klopfen an der Tür. Hastig wischte sich der junge Mann die Tränen aus dem Gesicht. "Wer ist da?" "Ich bin es, Herr.", erklang die melodische Stimme von Okita durch die papierne Wand. "Komm herein." Mamoru seufzte noch einmal schwer, um die letzten Nachwirkungen des Albtraumes von sich abzuschütteln, und schwang dann die Beine aus dem Bett. Wie spät war es überhaupt? Okita Soji trat ein - und wie immer konnte Mamoru nicht umhin, seine geschmeidigen Bewegungen und seinen schlanken, beinahe weiblichen Wuchs zu bewundern. Er spürte erneut Erregung in sich aufsteigen und bemühte sich, sie zu unterdrücken, als er ihm nun entgegensah. Okita war der einzige Mann innerhalb der Shinsengumi dem er bedingungslos vertraute. Auch umgekehrt schien es so zu sein, was ihn sehr freute. Während die anderen, allen voran dieser verdammte Saito, seine ihm von Kondo verliehene Autorität mehr und mehr in Frage zu stellen schienen, so war Okita immer an seiner Seite, mit Trost, Rat - und Liebe. Die heiße, leidenschaftliche Affäre, die sie beide verband, hatte Mamorus Vertrauen ihm gegenüber noch vertieft. Er sah Okita an und erinnerte sich an seine tiefen, zärtlichen Küsse und die geschickten, schmalen Hände, die ihn mühelos zum Höhepunkt zu bringen vermochten. Mamoru schluckte hart und verdrängte die letzten Gedanken mit Macht. "Yamazaki-san, unsere Späher haben Schiffe am Hafen gesichtet, die eine große Anzahl Krieger hergebracht haben. Sie haben sich getarnt - aber nicht gerade gut. Wir vermuten, dass sie sich mit den Aufrührern treffen wollen." "Sie rüsten also zum großen Kampf." Mamoru nickte, als hätte er genau dies erwartet. "Wie viele?" "An die zweihundertfünfzig Mann. Viele davon zu Pferd.", antwortete Okita. "Unsere Spione vermuten, dass noch mehr unterwegs hierher sind." Mamoru stand auf. "Also schön. Sag den Männern Bescheid. Wir werden die Bande gleich unten am Hafen aufreiben. Sie dürfen nicht mit Takeo zusammentreffen!" Okita neigte den Kopf. "Natürlich." An der Tür drehte sich der junge Samurai noch einmal herum. "Was ist denn noch?", fragte Mamoru leicht ungehalten. Er hatte bereits seine Hakama gelöst und stand vollkommen nackt da, suchte sich aus dem Wandschrank auf der anderen Seite des Zimmers einen frischen, leinenen Kimono heraus. "Was ist mit den Geiseln, Herr?" Mamoru hielt inne und drehte sich nun seinerseits herum. Ein leichtes, falsches Lächeln umspielte seine Lippen. "Wir nehmen sie mit. Sie könnten uns im Kampf als wertvolles Faustpfand dienen und uns etwas Luft verschaffen. Sag Hijikata Bescheid." Okita verneigte sich und verließ den Raum. 'So, Bruder. Jetzt heißt es alles oder nichts. Und dieses Mal wird mich NIEMAND davon abhalten können, dich zu töten.', dachte Mamoru und band sein schulterlanges, glutrotes Haar zu einem strengen Zopf zusammen. Und er lächelte immer noch kalt als er sich den Waffengürtel umschnürte und das Zimmer mit schnellen Schritten verließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)